Wintersorgen
Nox aeterna - die ewige Nacht
Es war Winter. Der Rauhreif setzte sich an den Fensterscheiben fest und bildete weiße Sternenmuster aus winzigen Kristallen, während dicke, große Schneeflocken auf die Dächer der Häuser rieselten. Seufzend starrte Horaz in den grauen Himmel hinauf, der mit dunklen, schweren Wolken behangen war und ungewohnt bedrohlich wirkte. Fast so als ob sich ein riesiges, lauerndes Ungeheuer über der Welt erheben würde um sie zu verschlingen - "Was selbstverständlich völliger Unsinn ist!", redete Horaz sich beruhigend ein. "Die Kälte macht mich noch ganz wahnsinnig!!!", rief er verärgert und hüllte sich fester in seinen schwarzen Mantel. Horaz hasste den Winter mit all dem Schnee und lachenden Kindern, die nervig und sinnlos durch die stillen Straßen hüpften und dabei vergnügt quiekten. Er war eher für den Herbst und den Frühling, wo sich oft der beruhigende Nebel auf Wälder und Wiesen senkte und die Kälte noch erträglich war. Der Nebel war ein Verbündeter, wenn man wie Horaz gern im Verborgenen blieb und sich von den meisten Menschen drastisch unterschied. Horaz
hatte recht kurzes schwarzes Haar, das sich etwas wirr um seinen Kopf wellte und in frechen Locken bis in seine Augen hinab hing. Er hatte sanfte grüne Augen und ein ebenmäßiges, jugendliches Gesicht, war von hochgewachsener, schlanker Gestalt und besaß einen sehr ausgeprägten Schwarz-Humor und einen Hang zum pessimistischen Denken. Er trug eine schwarze Hose, schwere Stiefel aus dunklem Leder und einen schwarzen Mantel über dem ebenfalls schwarzen Hemd. Ein silbernes Amulett in Form eines kunstvoll gearbeiteten Pentagramms zierte seinen Hals und seine Haut war sehr blass und nur an Gesicht und Händen leicht gebräunt. Die Frauen bezeichneten den 21-Jährigen als sehr hübsch und mehr als eine von ihnen hatte zugegeben, sich durchaus vorstellen zu können eine aufregende Nacht mit ihm zu verbringen. Im Moment allerdings war sein Gesicht zu einer ärgerlichen Grimasse verzogen und statt cooler Sprüche kamen nur unanständige Flüche über Horaz' Lippen. "Dieser verdammte Scheiß-Winter! Ich könnte ihn...!", er machte eine brutal wirkende Handbewegung und schnaubte erregt. "Ja, ja, ich weiß.", unterbrach ihn Orestes ruhig. Orestes war Horaz' einziger Freund und eigentlich schon fast so etwas wie ein Vorbild für ihn. Er war noch einen Kopf größer als Horaz und ebenfalls sehr schlank, wirkte allerdings trotzdem durchtrainiert und strahlte eine eindrucksvolle Stärke und Beherrschtheit aus. Sein Haar ,schwarz und zum Zopf gebunden, fiel ihm lang über die Schultern hinab. Wo Horaz blass wirkte, da war Orestes fast schon weiß. Seine Haut war äußerst hell und ließ ihn mit seinen stechenden, eisblauen Augen sehr imposant und edel aussehen. Sein Stil war ebenfalls schwarz, im Gegensatz zu Horaz jedoch elegant. Orestes war ein junger Lord und hatte von seinem Vater ein riesiges, finsteres Anwesen geerbt (von beträchtlicher Größe), eine mittelalterliche Villa, die ganz zu einem 28-Jährigen Vampir passte. Denn genau das waren Horaz und Orestes: Vampire - Orestes ein Adeliger und Horaz sein Vertrauter. In der Stadt wurde er von den meisten Männern gefürchtet und von den Frauen heimlich verehrt. Auf seine Ländereien traute sich kaum jemand, denn jeder verspürte Respekt oder gar Furcht vor dem geheimnisvollen jungen Count, der so schön und zugleich so beängstigend und eindrucksvoll wirkte. Horaz sah ihn fragend an. "Denkst du denn nicht genauso...?", Orestes schloss kurz die Augen. "Nein. Ich hasse nur den Sommer.", antwortete er bestimmt. "Gehen wir!" Widerwillig nickend setzte sich Horaz in Bewegung. "Der Sommer...? Oh ja, die Sonne ist da besonders nervig. Allerdings vertrage ich die Eiseskälte fast genauso wenig...", schloss er wehleidig. Orestes warf ihm einen Blick zu, den Horaz nicht zu deuten vermochte und lief dann mit weit ausgreifenden Schritten den zugeschneiten Weg entlang auf die Stadt zu. Horaz eilte ihm nach und brummelte leise vor sich hin. "Ich bin wohl der Einzige, der diese Temperaturen nicht verträgt...", dachte er resignierend und stieß ein tiefes Seufzen aus. Kurze Zeit später erreichten sie die ersten Häuser, die sich aus der weißen Pracht erhoben, wie Lebkuchen aus einem Meer von Puderzucker und Zimt. Horaz schaute sich leicht bibbernd um. Wahrscheinlich saßen die Menschen jetzt alle gemütlich vor ihren Kaminen und lasen sich gegenseitig Weihnachtsgeschichten vor. Während die schön geschmückten Tannenbäumchen um die Wette funkelten... Ein heftiger Stoß in den Rücken riss Horaz aus seinen Gedanken und ließ ihn zwei Schritte nach vorne taumeln, gleichzeitig erscholl ein überraschter Schrei, dem ein erschrockener Ruf einer Frauenstimme folgte.