Zwei Ringe, ein Versprechen
Epilog: Zwei Ringe, ein Versprechen
Yugi verabschiedete den letzten Kunden und schloss die Tür zum Game Shop ab, während sein Großvater die Einnahmen des Tages zählte. Es war ein paar Stunden her, seit er Yami in seinem Zimmer alleingelassen hatte und fragte sich, wie es seinem Freund wohl ergangen sein mochte. Ob er noch schlief? „Brauchst du mich noch, Opa?"
„Wie? Oh, nein, nein, mein Junge. Du kannst ruhig Schluss machen, um die Kasse und den Laden kümmere ich mich. Und danach muss ich noch die Liste mit den Bestellungen überprüfen. Geh nur."
„Prima, danke!" Der kleinwüchsige Sechzehnjährige stob die Treppe zur Wohnung hinauf und von dort direkt in sein Zimmer unter der Dachschräge. Er klopfte, und als sich nichts rührte, dachte er selbstverständlich, sein Alter Ego würde nach wie vor süß träumen. Er öffnete also die Tür und trat ein. Es war schon dunkel und so knipste er das Licht an. Irgendwas war anders. Yugi betrachtete verwirrt die auf dem Boden verstreuten Kleidungsstücke, stolperte fast über das Sonnenschwert, beglotzte das Mondschwert und wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Diese Jeans und dieses geringelte T-Shirt kamen ihm merkwürdig bekannt vor....sein Blick glitt zu dem Bett hinüber und seine Augen wurden immer größer (sofern möglich). In den dunkelblauen Laken mit dem Sternenmotiv lagen Yami und Bakura eng aneinander gekuschelt, offensichtlich nackt, wie das Klamottenchaos verriet, und der Kopf des Banditen ruhte auf der makellosen Brust des Königs.
Okay. Hier stimmte was nicht, eindeutig! Er rieb sich die Augen, blinzelte und sah ein zweites Mal hin. Nein, sie waren noch da. Yugi atmete tief ein....und schrie aus Leibeskräften, als wäre ihm Satan persönlich über den Weg gelaufen. Den Göttern sei Dank waren die Türen und Wände dick, sonst hätte sein Großvater Mord und Totschlag vermutet. Das Paar schreckte auf und der Bunthaarige war nur halb beruhigt, als er begriffen hatte, dass sein Hikari die Quelle des Lärms war. „Yugi, sei still!! Uns platzt noch das Trommelfell!!"
Der Kleine verstummte abrupt und funkelte seine beiden Gegenüber misstrauisch an. „Was ist hier los?! Ich verlange eine Erklärung!!"
„Wonach sieht‘s aus, Kurzer? Dein hochgeschätzter Pharao und ich hatten ein Schäferstündchen, wenn du verstehst."
„Ein....ein Schäferstündchen?!?! Yami, was soll das heißen?!?!"
„Soll ich jetzt mit den Bienchen und Blümchen anfangen?"
„Nein!! Wie kommst du dazu, dich von diesem....diesem....also ich meine, wie kommst du dazu, dich von Bakura - BAKURA, man denke! - flachlegen zu lassen?!?!"
„ICH habe IHN flachgelegt, damit das mal klar ist!"
„Musst du das unbedingt ausplaudern!? Das ist demütigend, so geil du auch warst!"
„Wer bist du, und was hast du mit Bakura gemacht? Und wer bist du und was hast du mit Yami gemacht???"
„Wir sind wir, Yugi."
„Das kann nicht sein!! Ihr hasst euch wie die Pest!! Ihr habt euch zu verachten, kapiert?! Gut, ganz ruhig. Das ist alles nur eine Halluzination. Ich gehe jetzt einfach raus und komme nach fünf Minuten wieder rein, und dann...."
Er tat genau das, was er angekündigt hatte, war aber mit dem Ergebnis nicht sonderlich zufrieden.
„Du bist ja noch da!" sagte er vorwurfsvoll zu dem Weißhaarigen, der genervt die Augen verdrehte. „Schön, in Ordnung. Gibt es eine vernünftige, halbwegs logische Erklärung dafür?"
„Die gibt es, Hikari, aber sie ist ziemlich lang."
„Macht nichts. Ich habe Zeit."
„Kannst du mit Ryo telefonieren? Es wird ihn bestimmt auch interessieren."
„Das kann ich machen. Äh....du bist sicher, dass ich dich mit diesen Irren allein lassen kann?"
„Yugi....!!"
„Is‘ ja gut, ich geh ja schon....!"
So geschah es, dass Ryo, der ehemalige Wirt des Grabräubers, zu einem abendlichen Besuch bei den Mutos vorbeischaute und wieder einmal mit seiner dunklen Seite zusammentraf. Er war mehr überrascht als schockiert und lauschte der gesamten Erzählung um den Schlangendämon und die alternative Vergangenheit mit größter Aufmerksamkeit. Sein Klassenkamerad hockte Schokolade knabbernd neben ihm und lauschte ebenfalls. Als Atemu gerade das letzte Gefecht zwischen ihnen und Apophis schilderte, erstrahlte ein goldenes Licht im Raum und Maat erschien vor ihnen. Die Schüler verneigten sich vorsichtshalber, um sie nicht zu verärgern.
~~ Sohn des Ra, mein Bruder auf Erden, und du, mein treuer Krieger - ich wurde noch einmal zu euch geschickt, um euch diese Schatulle zu überreichen. Sie enthält eine Belohnung von materiellem Wert, die Ra euch darzubringen wünscht. ~~
Sie klappte das Kästchen aus purem Gold, das mit kostbaren Edelsteinen verziert war, auf und zeigte ihnen ihre Belohnung: auf purpurfarbenem Samt glänzten ihnen zwei goldene Ringe entgegen, geschmückt mit zwei prächtigen Juwelen, eines rot und geformt wie eine Sonne mit Strahlen, das andere hellblau und geformt wie eine Mondsichel. In die Innenseiten waren Hieroglyphen eingraviert. Der einstige Regent Ägyptens nahm den Ring mit der Sonne an sich und las: „Verbunden für die Ewigkeit." Er blickte zu seinem Geliebten hinüber, der plötzlich einen Kloß in seiner Kehle spürte. Yami ergriff auch den zweiten Ring und schob ihn behutsam über Bakuras rechten Ringfinger. Der Dieb sprach kein Wort, er würdigte diese Geste in ernstem Schweigen. Das Herz schwoll ihm in der Brust, fast überladen mit einem Gefühl, das ihm fremd und zugleich vertraut war. Er erinnerte sich an jene Stunden ihrer körperlichen Vereinigung, und erschauerte bei dem Gedanken an diese Augenblicke der Leidenschaft, der Hingabe, als er sich zum ersten Mal seit fünftausend Jahren hatte fallen lassen, überzeugt, aufgefangen zu werden. Mit jeder Faser seiner selbst hatte er ihren Höhepunkt herbeigesehnt, hatte sich mit nachlassenden Kräften an jenen geklammert, der sich zu seinem Herrscher aufgeworfen hatte und ging unter in rauschhaftem Entzücken, nach Luft ringend, seinen Namen stöhnend, genüsslich, wollüstig....glücklich. Ja. Er war glücklich. Er schnappte sich den Sonnenring aus der Hand des Meisterduellanten und schob ihn auf dessen Ringfinger.
„Damit alles seine Richtigkeit hat." grinste er.
„Aton...."
»Was kann ich dir sagen, du wundervoller Schuft? Ich liebe dich. Mehr fällt mir nicht ein. Du hast dich völlig fallengelassen, hast mir dein bedingungsloses Vertrauen geschenkt. Ist dir klar, was unsere Stunden der Erfüllung für mich bedeuten? Dich so nahe zu wissen, dich zu spüren, von dir liebkost zu werden....es war unbeschreiblich. Ich bereue nichts von dem, was war. Wir werden weiter streiten. Wir werden weiter brav übereinander herziehen und uns mit Gift und Galle bespucken, daran zweifele ich nicht. Wir sind so. Aber es wird auch diese anderen Momente geben - die Momente, in denen wir füreinander kämpfen, füreinander einstehen. Die Momente, in denen wir zärtlich und liebevoll, sinnlich und fordernd sein werden. Die Momente, in denen wir nur uns allein gehören und in denen uns die ganze Welt scheißegal sein wird! Wir sind zwei Hälften eines Ganzen....und werden es bleiben!«
Sie legten die beringten Hände aneinander und falteten die Finger.
„Verbunden für die Ewigkeit."
„Verbunden für die Ewigkeit."
Maat seufzte begeistert und fügte hinzu: ~~ Die Schatulle ist auch ein Geschenk. Da mein Vater davon ausgegangen ist, dass ihr die Ringe nicht verkaufen werdet, könnt ihr das Kästchen zu Geld machen, um ihn zu zitieren. Ich hoffe, du bist nun zufrieden, Beschützer des Pharaos! ~~
„Hm, mal überlegen. Das Ding ist echt Gold und die Edelsteine sind garantiert einen Haufen Zaster wert! Doch, wirklich, eine angemessene Belohnung, Euer Vater ist sehr spendabel! Mit einer monatlichen Zahlung Heldengeld auf ein japanisches Konto können wir aber vermutlich nicht rechnen, oder?"
~~ Reiz. Mich. Nicht!! ~~
„Das heißt wohl ‚nein‘?"
~~ ....Ich fürchte, ich werde mich im ägyptischen Pantheon sehr langweilen, wenn ich euch nicht mehr beobachten oder besuchen darf. Aber Götter haben göttlich zu sein, hoch über den Wolken zu leben und sich nicht mehr als unbedingt nötig in die Belange der Menschen einzumischen. Außerdem werdet ihr beide vorläufig genug von Leuten meiner Sorte haben! ~~
„Zugegeben. Atemu dürfte zwar springen, sobald Ihr nach der nächsten Weltenrettermission pfeift, aber macht das bitte nicht so bald, wir müssen uns erholen!"
~~ Wie kommt es, dass ich dir deine Frechheit ständig durchgehen lasse? ~~
„Mein Charme."
~~ Natürlich. Wie konnte ich den vergessen! Leb wohl, mein unverbesserlicher Schüler. Und lebt wohl, mein Bruder auf Erden. Es war eine lehrreiche Zeit für mich, für uns alle. Wer weiß - vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder. ~~
Sie löste sich in Tausende schimmernde Lichtfunken auf und verschwand. Yugi und Ryo waren beeindruckt von ihr und Bakuras Hikari meinte: „Sie ist schön und majestätisch, aber trotzdem irgendwie....menschlich. Mir scheint, die Götter sind gar nicht so anders als wir. Allerdings muss ich mich erst noch an den Gedanken gewöhnen, dass ausgerechnet ihr beide jetzt ein Liebespaar seid!"
„Da bist du nicht der einzige - frag mich mal. Gar nicht zu reden davon, wie ich das Joey, Tristan, Duke und Tea beibringen soll! Sie werden mich für verrückt erklären!"
„He, sie haben auch Joey nicht für verrückt erklärt, als er seine Beziehung mit Kaiba publik gemacht hat! Warum sollten sie es jetzt tun?"
„Ryo, zwischen Joey und Kaiba, bei denen es praktisch offensichtlich war - auch wenn die zwei Querköpfe natürlich das Gegenteil behaupten -, und einem Monarch und einem Grabräuber aus dem alten Ägypten, von denen erwiesenermaßen bekannt ist, dass sie sich seit fünftausend Jahren bis aufs Blut hassen, besteht ein Unterschied!!"
„Ach Yugi, nun verkompliziere die Angelegenheit nicht unnötig!"
„Verkomplizieren?! Ich halte mich an die nüchternen Tatsachen!"
„Wir müssen die anderen eben schonend auf die neue Situation vorbereiten."
„Schonend? Das kann ja lustig werden...."
Während sie über das Thema weiterdiskutierten, stahl sich das Paar aus dem Schlafzimmer hinaus und verließ das Gebäude, um draußen den Sternenhimmel zu betrachten. Es war nicht kühl, und das Funkeln am Firmament war atemberaubend.
„Anfangs hätte ich nie gedacht, dass unser Abenteuer so enden würde. Alles, was ich wollte, war, diese unselige Sache rasch zu erledigen, um nie wieder mit dir zusammenarbeiten zu müssen. Aber bei dir verläuft nie etwas nach meiner Planung, Pharao!"
„Ich widersetze mich dir eben gern. Und warum auch nicht? Wenn ich meine Krallen nicht an dir schärfen kann, verliere ich womöglich meinen Biss!"
„Nein. Du wirst stolz, herrisch, stahlhart bleiben, so, wie du immer gewesen bist. Ich werde dich dafür hassen....und ich werde dich dafür lieben!"
Damit drehte er ihn zu sich herum und küsste ihn.
ENDE