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DOLL

von

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Rot und grün

„Hast du schon gehört?“

„Ja, ja, natürlich, jeder spricht davon! Sie soll wunderschön sein und ihr Gesang einem jeden, der ihm lauscht, den Atem rauben! Wie schade, dass niemand weiß, wo sie versteckt gehalten wird.“

Das Getuschel der Hausfrauen, die am Marktplatz kleine Grüppchen gebildet hatten, war nicht zu überhören, wenn man die Hauptstraße überquerte. Beladen mit Körben voller Kartoffeln, Blumen und Brot hielten sie an, um einen kurzen Plausch mit den Nachbarinnen zu halten und die neusten Gerüchte auszutauschen. Kaito wusste, dass er alles über die Geschehnisse außerhalb der Stadt erfahren würde, wenn er bloß den Frauen lauschte. Seitdem seine Schwester unerwartet erkrankt war, hatte er seine Arbeit als Söldner aufgegeben und sich in einer kleinen Hütte jenseits des Marktes niedergelassen, die seit jeher in Familienbesitz lag. Der Zustand seiner Schwester hatte sich in den letzten Wochen erheblich verschlechtert, was zur Folge hatte, dass er die Stadt kaum noch verlassen konnte. Stattdessen wachte er den Großteil des Tages an ihrem Bett und machte medizinische Besorgungen während sie schlief. Doch mit jedem Kraut, das keine Wirkung zeigte und jedem Arzt, der ihm kopfschüttelnd versicherte, er habe eine derartige Krankheit noch nie gesehen und könne nichts mehr für sie tun, verlor Kaito an Zuversicht.

„Wie gern würde ich diese Puppe mit ihrer göttlichen Stimme einmal singen hören“, schwärmte eine untersetzte Dame, die in ihrer Euphorie eine Tüte grüner Äpfel fielen ließ, die nun bis zu Kaitos Füßen hinüberkullerten. Hastig sammelte er sie auf. Einen besseren Vorwand, mehr über die Geschichte zu erfahren, würde er kaum finden.

„Entschuldigung“, wandte er sich an die Frau, indem er ihr die Äpfel übergab, „was für eine Puppe meint Ihr?“

„Ach, mein Junge, hast du es denn noch gar nicht gehört? Alle reden sie davon. Weit weg von hier soll es eine Puppe geben, deren Gesang magische Kräfte besitzt. Niemand weiß, ob sie wirklich existiert, aber viele sollen sich auf den Weg gemacht haben, sie zu suchen. Ihre Kräfte sollen so mächtig sein, dass selbst der König seine Männer ausschickt, um sie sich zu Eigen zu machen.“

„Eine magische Puppe?“ Irritiert senkte Kaito den Blick, während die Frau dankte und sich wieder unter das Getümmel des Marktbetriebes mischte, um ihre restlichen Einkäufe zu tätigen. Kaito blieb zurück und starrte auf den Boden, auf dem ein einzelner Apfel lag, den er beim Aufsammeln wohl übersehen hatte. Er hatte viele absurde Geschichten gehört, die sich am Ende oft als Hirngespinst geschwätziger Menschen herausgestellt hatten, alte Sagen und Legenden, die man sich zum Zeitvertreib erzählte, um dem öden Alltag für einen Moment zu entkommen. Als er noch ein Kind war, hatte er solche Erzählungen auch geliebt. Aber spätestens seit Kaikos Erkrankung hatte er jeglichen Glauben an eine Magie verloren, die größere Stärke versprach als die der Heiler, die er in seiner Not aufgesucht hatte.

Die Kirchturmuhr schlug schon zur Mittagsstunde, es wurde langsam Zeit, nach dem Rechten zu schauen. Geistesabwesend hob Kaito den Apfel auf und machte sich auf den Weg zurück. Der Heiltrank in seiner Tasche, den er einem reichen Händler abgekauft hatte, würde vielleicht helfen, das Fieber für einen Moment zu senken, doch kurieren würde er seine Schwester nicht. Aber er wollte nicht aufgeben. Es musste einen Weg geben, diese Krankheit aufzuhalten. Andernfalls würde sie nicht mehr lange durchhalten.
 

„Ich bin wieder zu Hause.“

„Wird auch Zeit, du Idiot! Die Kleine hat im Schlaf furchtbar geschrieen, muss wohl ein Alptraum gewesen sein, da bin ich rüber gekommen.“ Meiko hatte sich neben Kaikos Bett gesetzt, die Beine locker über den Tisch geschlagen und blickte Kaito missbilligend an. In der einen Hand hielt sie ein feuchtes Tuch, mit dem sie versuchte, Kaikos Stirn abzukühlen, in der anderen einen Revolver, den sie ihrem Kindheitsfreund grinsend entgegenstreckte, als wollte sie ihn für sein Verhalten bestrafen.

„Tut mir Leid, ich war noch auf dem Markt. Danke für deine Hilfe.“

Lachend schwang Meiko ihre Waffe und steckte sie zurück in den Halfter. Ihr Lachen klang nicht anders als vor Jahren, so wie Kaito es kannte, ein wenig hämisch, aber trotzdem freundlich. Seit jeher waren die Beiden Freunde gewesen, obwohl Meiko nicht gerade ein einfacher Mensch war. An der Art jedoch, wie sie sich um seine Schwester kümmerte, konnte er ihre weiche Seite erkennen. Sie war kein schlechter Mensch, das wusste er und dafür schätzte er sie.

Meiko hatte einige Teller auf dem Tisch verteilt und ein großer Topf lag zu ihren Füßen. Der Geruch, der davon aufstieg, war würzig und beißend. Den Kopf an die Wand gelehnt zeigte sie darauf und sagte: „Hab euch ’nen Eintopf gemacht, schmeckt wahrscheinlich nicht so berauschend wie Kaikos Drei-Sterne-Küche, aber besser als nichts. Hau rein, bevor’s kalt wird, nicht dass du mir als Nächster hier im Bett liegst.“

„Danke, Mama“, antworte Kaito ironisch und die Beiden brachen in Gelächter aus, verstummten jedoch schnell wieder in der Gesellschaft der kranken Kaiko. Er wusste genau, dass Meiko mit der Küche auf Kriegsfuß stand, nahm sich aber trotzdem einen Teller. Dann sah er besorgt zu seiner Schwester. Ihre Wangen waren rot angelaufen und Schweißperlen lagen ihr auf der Stirn. Meiko reichte ihrem Freund das Tuch.

„Das Fieber will einfach nicht runter. Haste nicht was mitgebracht?“

„Ich glaube nicht, dass die Medizin daran viel verändert.“ Kaitos Stimme klang trübsinnig, als er den Heiltrank neben seinen Teller stellte. Mit düsterem Blick starrte er zwischen seinem Löffel und der rötlichen Flüssigkeit hin und her. „Wahrscheinlich ist das wieder nur eine billige Pansche, die für viel Geld angeboten wird, obwohl sie keinerlei Wirkung zeigt. Es ist doch immer das Gleiche. Vielleicht sollte ich ihr den Trank gar nicht -“

„Jetzt hör aber mal auf, Kaito!“, fauchte Meiko ihn an und schlug ihm den Löffel aus der Hand. „Wenn du dich hören könntest! Als hättest du längst aufgegeben! Was soll deine Schwester von dir denken?!“

Kaito wusste nicht, worüber er erschrockener war, seine eigene Mutlosigkeit oder Meikos Reaktion darauf. Er wischte sich die Suppe aus dem Gesicht, die durch den heruntergefallenen Löffel in alle Richtungen gespritzt war, während er nach einer Erklärung suchte. Aber er kam nur zu dem Schluss, dass sie Recht hatte. Seufzend rutschte er den Stuhl hinunter und ließ den Kopf hängen. Es musste einen Weg geben. Es musste einfach einen Weg geben, Kaiko zu helfen.

„Sag mal Meiko“, begann er nach einer Weile des Schweigens, „hast du je von einer Puppe gehört, deren Gesang magische Kräfte besitzen soll?“

„Was soll das denn jetzt? Aber ja, habe ich, die Kerle im Wirtshaus sprechen alle davon, wie toll die sein soll. Blabla engelsgleiche Stimme hier, blabla wunderschönes Gesicht da, du kennst das ja, über die Bardame sagen sie nichts anderes. Nur dass sie wohl übermenschlich starke Magie besitzen soll, keine Ahnung, was man damit alles treiben könnte, aber sieht so aus, als wären sie alle dahinter her. Einige aus der Stadt sind wohl schon los, um sie zu suchen. Was für Idioten. Werfen ihr Leben für die Suche nach einem Spielzeug weg. DOLL nennen die sie, wenn dich das interessiert.“

„Glaubst du, dass sie wirklich existiert?“

„Ach, komm, wer außer den Säufern glaubt denn bitte noch an so was? Ist schon schwer genug, heutzutage ’nen anständigen normalen Magier zu finden zwischen all den Flaschen, wenn du mich fragst.“ Spöttisch beäugte sie ihren Gegenüber, wie er in seiner Suppe herumstocherte. Sie versuchte, aus seinem Blick zu lesen, worauf er hinaus wollte, doch der gab außer Hoffnungslosigkeit nicht viel preis. Als sie jedoch die Flasche mit der Medizin, die tatsächlich nicht besonders genießbar auf sie wirkte, betrachtete, schien sie zu verstehen und fragte entgeistert: „Du willst doch nicht etwa die Magie dieser Puppe benutzen, um Kaiko zu heilen?“

„Wäre das so abwegig?“

„Kaito, das ist nur ein Gerücht, kein Schwein weiß, ob es dieses Ding wirklich gibt! Willst du etwa nach dieser Wunderpuppe, die es vielleicht gar nicht gibt, suchen, nur weil die klitzekleine Möglichkeit besteht, dass sie deiner Schwester helfen kann?“

„Hast du nicht eben selbst gesagt, dass ich nicht aufgeben soll?“

Er hatte Recht. Das brachte Meiko zwar ins Grübeln, trotzdem legte sie den Kopf in die Hände und verfluchte sich insgeheim dafür, ihn in dieser Sache bekräftigt und von ihrem Wissen erzählt zu haben. Wenn er sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er nur schwer wieder davon abzubringen. Und obwohl sie ihn wegen seines Missmutes angefahren hatte, wusste sie, dass Kaito alles in seiner Macht stehende tun würde, um Kaiko zu helfen.

„Nehmen wir mal an, die Gerüchte stimmen und diese DOLL existiert tatsächlich. Wie willst du sie dann überhaupt finden? Es scheint ja niemand ’ne wirkliche Ahnung zu haben, wo man nach ihr suchen sollte.“

„Eine Frau am Markt meinte zu mir, dass auch König Al seine Männer ausgesandt hat, um die Puppe zu finden. Wenn dem so ist und die Gerüchte auch in der Hauptstadt kursieren, ist es wahrscheinlich, dass ich dort einen Hinweis erhalten kann.“

Meiko konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

„Die Hauptstadt! Du bist wirklich naiv. Aber gut, ich bin dabei, irgendwer muss ja auf dich aufpassen, wenn du auf Weltreise gehst.“

„Wie?“

„Idiot.“ Ein Grinsen zierte Meikos Gesicht, als sie an Kaikos Bett heranrückte und ihr wieder ein kühles Tuch auflegte. Während sie ruhig schlief, wirkte der Zustand der kranken Schwester gar nicht so bedenklich, was Kaito umso mehr schmerzte. „Versteh mich nicht falsch. Sie wird es nicht gerade begrüßen, glaub mir“, murmelte Meiko an Kaikos Seite leise. „Aber ich kann dich verstehen. Ich weiß, wie du dich fühlst. Ist ein ziemlich beschissenes Gefühl, nichts ausrichten zu können, wenn ein geliebter Mensch im Sterben liegt, ging mir damals ja nicht anders. Doch wenn es jemanden auf dieser Welt gibt, der einen Weg finden kann, Kaiko zu retten, dann bist du es, nicht?“

„Wer weiß.“

Kaito nahm seinen Suppenteller an den Mund und schlürfte zufrieden einen Schluck. Meiko lächelte Kaiko an, als wollte sie ihr sagen, alles würde endlich gut werden. Die beiden Freunde würden nach der DOLL suchen, in der Hoffnung, die Rettung käme nicht zu spät, ganz gleich, ob sie nur der Fantasie eines besonders angetrunkenen Barbesuchers entstammte oder nicht. Denn so unglaublich diese Geschichte auch klang: Sie versprach ihnen mehr Erfolg als jeder Heiltrank dieser Welt.

„Nun gut“, sprach Kaito entschlossen, stellte den roten Schandtrunk in die hinterste Ecke des Regals und tauschte ihn gegen den Apfel aus, den er für Kaiko mitgenommen hatte. „Dann ist es also beschlossen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Morgen bei Sonnenaufgang brechen wir auf.“
 


 

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Vielen Dank für's lesen. Ich hoffe, ihr schaut auch im nächsten Kapitel wieder rein. :D



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2011-02-17T09:48:46+00:00 17.02.2011 10:48
habe wieder gelesen <3
musste mich echt hart
beömmeln über big-al als King XD
Von:  Lexxy
2011-02-14T13:15:56+00:00 14.02.2011 14:15
Animexx und Stilmittel *kopfschüttel*
Nun ja, für mich wird es DOLL. bleiben!
Und es liest sich immer noch gut und ich freu mich auf mehr :3


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