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Magenta II

Zwischen Azeroth und Kalimdor
von

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Die Hütte im Sumpf

Abbefaria war der Erste, der bemerkte, dass etwas mit ihrer Flugmaschine nicht stimmte und ihr einstmals ruhiges Dahingleiten zusehends zu einem Vabanquespiel wurde. Beim ersten Mal war es ihm kaum aufgefallen, doch beim zweiten und dritten Mal war die Erschütterung der Konstruktion so groß, dass er sich vorsichtshalber festhielt. Noch beunruhigender als die Stärke der Störungen war allerdings, dass ihre Abstände kleiner wurden.

Der Nachtelf wendete den Kopf und sah zu Emanuelle hinunter. „Was war das?“

„Oh, ich fürchte, der fortschreitende Sonnenstand sowie die Tatsache, dass sich die Landschaft unter uns verändert, lassen die Aufwinde, die den Gleiter tragen, langsam abflachen. Es wird Zeit, uns auf die Landung vorzubereiten.“ Die Gnomin setzte ein zuversichtliches Lächeln auf. „Kein Grund sich Sorgen zu machen.“

In diesem Moment erbebte die Flugmaschine wieder unter einer Erschütterung, die Abbefaria fast das Gleichgewicht kostete. Mit beiden Händen klammerte er sich an seinem Sitz fest und knirschte: „Keine Sorgen machen? Wir können nicht steuern, wir sind dem Wind ausgeliefert und unter uns sehe ich nichts als Dornenbüsche. Wieso also sollte ich auf die Idee kommen, mir Sorgen zu machen? Panik wäre doch viel angebrachter.“

Emanuelle machte ein undefinierbares Geräusch, das irgendwo zwischen verächtlichem Schnauben und belustigtem Kichern lag. „Nöliger Nachtelf.“, grinste sie nach oben. „Wir werden schon irgendwie runterkommen. Sieh mal, dort hinten. Sieht aus, als wäre dieses Gestrüpp da unten zu Ende.“

Abbefaria folgte der der Richtung, die die Gnomin ihm wies, mit den Augen und sah, dass sie Recht hatte. Die riesigen Dornbüsche, die bis weit in den Himmel hineinragten und die Täler zwischen den Felsen völlig ausfüllten, endeten an einem Gebirgszug. Die Gesteinsmasse zog sich von der steilen Klippe, die die Grenze zum Gebiet von Tausend Nadeln bildete, ins Landesinnere und verlor sich am Horizont. Was jenseits der Berge lag, konnte man selbst von ihrem erhöhten Standpunkt nicht erkennen. Eine Dunstschicht hüllte das gesamte Gebiet dahinter ein und verbarg es vor neugierigen Blicken.

Wieder schüttelte sich der Gleiter, entschlossen sich seiner Fluggäste zu entledigen. Die gesamte Konstruktion geriet ins Trudeln, die weiten Flügel stellten sich gegen den Wind. Mit einem unterdrückten Fluch stemmte Abbefaria sich zur Seite, um die Lage des Gleiters zu stabilisieren. Auf allen Vieren versuchte er, mit seinem Gewicht die Flugbahn des Gefährts in eine einigermaßen ruhige Bahn zu lenken, doch ein plötzlich aufkommender Wind machte seine Bemühungen zunichte. Die Dornenbüsche sprangen ihnen förmlich entgegen und ein Zusammenstoß schien unvermeidlich.

„Nach hinten!“, kommandierte Emanuelle von unten.

Abbefaria gehorchte ohne zu überlegen. Er lehnte sich, so weit er konnte, auf den Stangen zurück. Das vordere Ende des Gleiters wurde nach oben gehoben und passierte im letzten Moment die Bergspitze. Ein Krachen und Knirschen folgte, als das hintere Ende der Konstruktion mit den Felsen kollidierte. Ein Teil des Gleiters zersplitterte unter der Wucht des Aufpralls und durch den plötzlichen Gewichtsverlust wurde der Rest noch einmal nach oben katapultiert. Für einen Augenblick wurde Abbefaria ein Blick auf eine graugrüne, nebelverhangene Landschaft gewährt, dann stürzten er und Emanuelle in den Abgrund.
 


 

„Sind wir bald da?“, stöhnte Magenta und Pizkol im Chor. Es war selten, dass sich die Hexenmeisterin und ihr nervtötender Wichtel einig waren, doch in diesem speziellen Fall gab es unter den beiden nur eine Meinung: Dieser Sumpf war eindeutig zu groß und zu nass.

„Hütte von Tabetha gleich hier sein müsste.“, erklärte Abumoaham sicherlich schon zum fünften Mal innerhalb der letzten zehn Minuten. Die Tatsache, dass er dabei jedes Mal in eine andere Richtung sah, ließ Magenta jedoch zweifeln, dass sie jemals in diesem Leben noch bei dieser ominösen Hütte ankommen würden. Eigentlich hätte sie es bereits in dem Moment wissen müssen, als ihr Geliebter auf die glorreiche Idee gekommen war, eine Abkürzung direkt durch den Sumpf zu nehmen. Eine Abkürzung, der sie nun sicherlich schon seit Stunden folgten, denn der Himmel über ihnen begann sich merklich rot zu färben.

„Woher weißt du eigentlich, wo die Hütte ist?“, fragte Magenta schlecht gelaunt. Das Wasser, durch das ihr Esel stapfte, spritzte ihr bis zu den Knien hinauf.

„Ich das im Gefühl.“, erklärte Abumoaham. Es klang ein wenig gekränkt. „Tabetha große Magierin. Ich spüren kann, wo Wissen schlummert in diesem Sumpf.“

„Mhm…“, machte Magenta und dachte sich ihren Teil. Wenn sie jetzt bereits ihren Teufelsjäger gehabt hätte, hätte der sie sicherlich weitaus zuverlässiger führen können.
 

Lustlos begann die Hexenmeisterin in ihrem Gepäck herumzuwühlen. Sie spürte das ungeduldige Kribbeln, als ihre Hand über den gut verpackten Einband des Folianten der Kabale strich. Es wurde wirklich Zeit, dass sie sich ernsthaft auf die Suche nach den fehlenden Seiten machte. Schließlich würden die nicht von allein zu ihr gelaufen kommen.

Einer plötzlichen Eingebung folgend kramte sie das Kartenetui hervor, das Krom Starkarm ihr gegeben hatte. Sie öffnete es und zog die Landkarte heraus. So gut das auf dem schaukelnden Rücken ihres Reittieres eben ging, breitete sie das aufgerollte Pergament aus und versuchte herauszufinden, wo sie sich befanden.

Vom Gasthaus zur süßen Ruh hatten sie sich zunächst südwärts gewandt. Magenta wusste das, weil ihr die Sonne ständig in die Augen geschienen hatte. Dann waren sie irgendwann auf Höhe eines Wachturms in den Sumpf abgebogen. Zuerst hatten sie noch überlegt, ob sie an dem Wachturm Quartier beziehen sollten, doch Demuny hatte eingewandt, dass die Wachen am Turm zwar die Rüstungen, nicht jedoch das Wappen Theramores trugen. Da der befestigte Weg sie unweigerlich an dem Turm vorbeigeführt hätte, hatte Abumoaham beschlossen, sich abseits der Straße in die Sümpfe zu schlagen. Und so irrten sie jetzt irgendwo durchs Nirgendwo.

„Nicht einmal auf dieser blöden Karte ist etwas zu sehen.“, seufzte die Hexenmeisterin und fuhr mit dem Finger über das spröde Pergament. Zwischen dem Wachturm und der Küste, die die Bucht mit den unzähligen, kleinen Inseln umschloss, lag nichts als offener Sumpf. Eine riesige, von Wasserläufen durchzogene Fläche, in der sie die glorreiche Aufgabe hatten, ein einzelnes Gehöft zu finden. Die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen.

„Wer zum wirbelnden Nether sucht sich eine Bleibe so weit draußen?“, murrte Magenta, rollte die Karte zusammen und stopfte sie wieder in ihren Rucksack. „Ich meine, hier gibt es Nichts als Schlamm und Wasser und Viehzeug. Von irgendwelchen Deserteuren und Hordenunholden mal abgesehen.“

„Aber immerhin muss man nicht fürchten, dass auf einmal die Nachbarn ungeladen zum Tee hereinschneien.“, gab Pizkol zu bedenken. „Es gibt Professionen, bei denen das durchaus nützlich ist.“

Der Wichtel schenkte seiner Meisterin einen bedeutungsvollen Blick, bevor er einen handtellergroßen Moskito in ein Häuflein Asche verwandelte.

„Du meinst, sie ist eine Hexenmeisterin?“, fragte Magenta nach.

„Nein, Bäckerei-Fachverkäuferin.“, antwortete der Wichtel und rollte mit den Augen. „Und ich sage nicht, dass sie eine ist. Ich denke nur, wenn jemand so weit draußen wohnt, wird es einen Sinn haben. Vielleicht etwas, dass es sich herauszufinden lohnt.“

„Du könntest Recht haben.“, sinnierte Magenta vor sich hin. „Ich werde sie fragen, wenn wir sie finden. Falls wir sie finden.“

„Na auf die Antwort bin ich sehr gespannt.“, lachte der Wichtel höhnisch und grillte zur Abwechslung einen Frosch. So langsam fing diese Tätigkeit an, ihm Spaß zu machen. Aber das hätte er seiner Meisterin natürlich nie verraten. Es hätte ihr gefallen können.
 


 

„Au.“, erklang eine Stimme irgendwo dumpf unter den Überresten der Plane hervor. Die gesamte Gegend war übersäht mit Bruchstücken des Gleiters und die beiden Flügel hingen schlaff über den Kronen einiger Bäume, die ihre grauen, laublosen Äste in den Himmel streckten.

Abbefaria krabbelte aus einem großen Busch hervor, der seinen Aufprall gebremst hatte. Probeweise bewegte er Arme und Beine und stellte fest, dass er sich erstaunlicherweise nichts gebrochen hatte. Die Baumkronen, die ihren Sturz zunächst abgebremst hatten, hatten ihm vermutlich das Leben gerettet. Mitleidig sah er das tote, graue Holz an. Er legte eine Hand auf die Rinde, doch so sehr er auch suchte, er fand kein bisschen Leben mehr. Die Pflanze war nicht mehr zu retten.

„Hey da, Baumkuschler!“, rief eine Stimme von oben. „Kannst du mir hier mal runter helfen?“

Emanuelle, die sich inzwischen aus der Plane befreit hatte, saß auf einem Ast über Abbefarias Kopf und sah vorwurfsvoll zu ihm herab. „Ich meine, nur wenn´s nicht zu viele Umstände macht.“

„Was ist hier passiert?“, murmelte Abbefaria halblaut und strich noch einmal nachdenklich über das tote Holz. „Irgendetwas muss diesen Pflanzen alle Lebenskraft entzogen haben.“

„Na dann eben nicht.“, schimpfte die Gnomin ungeduldig und ließ sich kurzerhand fallen. Sie landete auf dem Boden, überschlug sich ein paar Mal und blieb dann auf dem Rücken liegen.

Aufgeschreckt ließ Abbefaria den Baum los und lief zu der am Boden liegenden Gnomin hinüber. Als er jedoch sah, dass sie die Augen geöffnet hatte und in den Himmel starrte, verzog er das Gesicht zu einer verdrießlichen Grimasse.

„Was sollte das?“, knurrte er. „Ich hab mich fast zu Tode erschreckt.“

„Dann musst du eben schneller sein und mich das nächste Mal auffangen.“, grinste die Gnomin frech. „Außerdem: Fühl doch mal. Der Boden ist total weich. Ich frage mich, woran das liegt.“

Abbefaria trat ein paar Mal prüfend mit dem Fuß auf und musste Emanuelle Recht geben. Der Untergrund fühlte sich schwammig an, so als wäre es Sumpfboden. Jedoch war alles um ihn herum dafür zu trocken und die Luft schmeckte nicht nach Wasser und vermodernden Pflanzen, sondern nach…

„Rauch?“, sagte Abbefaria verblüfft. Er prüfte den Geruch noch einmal und war sich sicher. Es roch verbrannt und die Luft kratze im Hals. Außerdem war darin noch etwas anderes. Etwas, dass Abbefaria seltsam bekannt vorkam. Wenn ihm nur eingefallen wäre, woran es ihn erinnerte.

„Drachen.“, sagte Emanuelle unvermittelt. Sie deutete mit dem kurzen Arm nach oben. „Sieh mal, dort oben. Das können nur Drachen sein.“

Abbefaria richtete den Blick in den Himmel und sah die langen, dunkle Schatten, die hoch über ihnen durch das Rot des aufziehenden Abends glitten. Die schlanken Körper mit den weit ausladenden Flügeln, die sich im gleichmäßigen Takt bewegten, konnten unmöglich zu Vögeln gehören. Nahm man dazu noch die Spuren, die sie dieser Sumpflandschaft aufgedrückt hatten, blieb eigentlich nur eine Schlussfolgerung übrig.

„Schwarze Drachen.“, flüsterte Abbefaria. Er war sich sicher, dass nur diese bösartigste aller Drachenarten zu so einer Verwüstung fähig war.

„Woher weißt du das?“, wollte Emanuelle wissen. Die Gnomin richtete sich auf und zückte ihr Notizbuch. „Gibt es da irgendwelche Hinweise, auf die man achten muss?“

Abbefaria brachte das Kunststück fertig, gleichzeitig zu nicken und mit dem Kopf zu schütteln. „Ich weiß nicht sehr viel über Drachen.“, erklärte er. „Zumindest nicht mehr, als dir jeder erzählen könnte. Es gibt fünf Drachenschwärme, die jeder einen unterschiedlichen Aspekt der Welt verkörpern. Doch nur die abtrünnigen, schwarzen Drachen, deren wahnsinniger Anführer Deathwing zum Wohle der Welt von ihrem Antlitz getilgt wurde, widmen sich so vehement der Zerstörung der Welt. Hass auf alles Lebende, das von ihren Todfeinden, den roten Drachen, beschützt wird, hat sie verblendet und lässt sie Tod und Chaos verbreiten, wo immer sie ihr Weg auch hinführt.“

Der Nachtelf unterbrach seine Erläuterung für einen Augenblick und betrachtete die versengte Landschaft. „Man ging eigentlich davon aus, dass es nur noch vereinzelte Exemplare von ihnen gibt, nachdem der Schwarm zerschlagen wurde. Noch dazu vermutete der Zirkel die meisten von ihnen auf dem Kontinent jenseits der Meere. Wenn ich mir das hier allerdings so ansehe, muss dieser Sumpf einige hundert von ihnen beherbergen. Ich kann nur hoffen, dass ich mich irre.“

„Was gibt es da zu hoffen?“, fragte Emanuelle. „Na los, gehen wir dort hin und finden es heraus.“

Die Gnomin rappelte sich auf und wollte schon in Richtung der verbrennten Landschaft losmarschieren, als Abbefaria sie an der Schulter erwischte und festhielt.

„Wir können uns nicht allein mit dem Schwarzen Drachenschwarm anlegen. Ein jedes Mitglied dieses Schwarms würde sofort alles daran setzen, uns zu vernichten. Und vermutlich hätte es damit auch Erfolg.“

Emanuelle legte sich den Zeigefinger auf die Nase und überlegte. „Ich gebe es zwar nicht gerne zu, aber du könntest Recht haben. Wir sollten Verstärkung ausfindig machen. Aber vorher versuchen wir noch rauszufinden, ob es hier wirklich schwarze Drachen gibt. Wäre doch höchst peinlich, wenn wir hier mit einer Armee anrücken und sich dann herausstellt, dass es sich lediglich um ungewaschene rote handelt.“

Abbefaria fand zwar, dass die Gnomin den nötigen Ernst in dieser Angelegenheit vermissen ließ. Er sah jedoch ein, dass sie zumindest in einem Punkt Recht hatte: Sie mussten sicher sein, dass sie es wirklich mit Mitgliedern von Deathwings Schwarm zu tun hatten.

„Gehen wir also.“, sagte er und begann einen Weg durch das abgestorbene Gehölz zu suchen.

„Was ich noch vergessen habe zu fragen.“, hörte er Emanuelle hinter sich. „Was war eigentlich in der Höhle? Hast du irgendwas Ungewöhnliches entdecken können?“

„Nichts.“, log der Nachtelf ohne zu zögern. „Ich habe die ganze Höhle abgesucht, aber dort nichts finden können. Vielleicht ein Überrest eines schändlichen, schwarzmagischen Rituals. Die Felsen könnten die Energie gespeichert haben.“

„Verstehe.“, antwortete die Gnomin offensichtlich ohne Verdacht.

Abbefaria fuhr nachdenklich mit der Hand über das Paket unter seiner Kleidung und war sich sicher, so etwas wie ein Schnurren darunter zu hören.
 


 


 

Wie ein lauerndes Raubtier erhob sich die Waldlandschaft von Feralas am Rand von Tausend Nadeln. Dunkelheit strich zusammen mit dem aufsteigenden Abendnebel zwischen den Bäumen hindurch und verbreitete ein unwirkliches Zwielicht, in dem die Tiere der Nacht langsam erwachten. Wer immer zu den turmhohen Baumkronen emporblickte, fühlte eine Mischung aus Furcht und Ehrfurcht in sich aufsteigen, wobei bei vielen die erste Empfindung bei Weitem überwog. Die drei Nachtelfen jedoch, die sich dem dunklen Streifen näherten, fühlten beim Anblick des urtümlichen Waldes Geborgenheit, wie ein Kind, das in die liebende Arme seiner Mutter zurückkehrte.

Witternd sog Easygoing die feuchte Luft ein. „Endlich.“ Der Druide schloss für einen Augenblick die Augen und kostete die Aromen von Bäumen, Farnen und Moos wie einen Schluck köstlichen, alten Weins. „Wie habe ich diesen Anblick vermisst.“

Sein Bruder, der mit den ihn umgebenden Schatten verschmolz wie ein Wassertropfen mit einem See, nickte zustimmend. „Sehr viel angenehmer als diese endlose Staubwüste. Meine Kehle ist schon ganz trocken.“

Ceredrian hob den Kopf und blickte zu dem eigentümlichen Spiel von Licht und Schatten, das sich zwischen den Bäumen ereignete. „Wir sind ganz in der Nähe eines Mondbrunnens.“, erklärte er. „Ich kann die Kraft Elunes bis hierher spüren.“

„Das muss Thalanaar sein.“ Easygoing öffnete seine Augen wieder und straffte die Schultern. „Gehen wir.“
 

Die drei Freunde mussten nicht lange suchen, bis sie die ehemals prachtvolle Nachtelfen-Siedlung fanden. Nur noch wenige Gebäude scharrten sich um einen zentralen Mondbrunnen, in dem das silbrige Wasser das Licht brach und spiegelte. Am seinem Rand stand eine einsame Gestalt. Ein Nachtelf mit langen, blauen Haaren starrte in die Tiefe des Brunnens und wirkte seltsam abwesend. Easygoing, der diesen Gesichtsausdruck kannte, trat auf die Lichtung und blieb in respektvollem Abstand stehen. Dort wartete er ab, ohne sich zu rühren oder sonst irgendwie bemerkbar zu machen.

Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis sich der Nachtelf am Brunnen endlich bewegte. Er drehte sich herum und seine goldenen Augen fixierten den jungen Druiden, der, als er bemerkt wurde, ehrfürchtig den Kopf neigte.

„Meister Waywarder?“

Der andere Nachtelf nickte. „Der bin ich. Und ich habe Euch erwartet. Die Kunde Eures Kommens eilte Euch voraus wie die Dämmerung der Nacht. Setzt Euch und erzählt, was Euch zu mir führt.“
 

Bei einer einfachen Mahlzeit aus Wasser und Früchten berichteten die drei Freunde von dem Kampf und das Verbrannte Tal, den Harpyien und schließlich dem Hilfegesuch, das Behüter Albagorm sie aufgetragen hatte zu überbringen. Als sie geendet hatten, schwieg Falfindel Waywarder eine ganze Weile. So lange, dass Deadlyone begann, unruhig auf seinem Sitz hin und her zu rutschen. Sein Bruder wollte ihn eben zurechtweisen, als der ältere Druide sein Schweigen endlich brach.

„Ihr bringt schlimme Neuigkeiten und Euer Weg war lang. Ich kann nicht sagen, ob ich Euch wirklich helfen kann. Doch wir können versuchen, wenigstens einen Teil der Zerstörung wieder rückgängig zu machen. Behüter Albagorm hätte Euch nicht geschickt, wenn es nicht an dem wäre. Folgt mir!“
 

Der Druide verließ seine Behausung und trat wieder an den Rand des Mondbrunnens. Die Nacht war inzwischen so weit heraufgezogen, dass sich die ersten Sterne im Wasser des Brunnens spiegelten. Er streckte die Hände in das Wasser und schöpfte einen kleinen Teil der klaren Flüssigkeit in seine hohlen Hände. Die silbrigen Perlen, die dabei wieder zurück in den Brunnen tropften, schienen von innen heraus in einem inneren Feuer zu leuchten.

Vorsichtig, um nichts des kostbaren Nasses zu verschütten, trat Falfindel Waywarder an den Rand des Waldes. Dort hob er die Hände, legte den Kopf in den Nacken und rief mit volltönender Stimme:

„Geister des Waldes, erhöht den Ruf der Natur! Eure Brüder und Schwestern im Verbrannten Tal sind gefallen! Geister des Waldes, eilt Euch und helft! Geister des Waldes, wir brauchen Euch!“

Mit jeden Satz versprengte er einen Teil des Monbrunnenwassers über die umgehenden Bäume, so dass sich schließlich ein Kreis aus glitzernden Tropfen um die Nachtelfen herum gebildet hatte. Wie schimmernde Perlen lag die Flüssigkeit auf den Blättern und Gräsern. Ein aufkommender Wind schüttelte die Kronen der Bäume und ein Rauschen wie von tausenden von Flügeln erhob sich aus dem Unterholz. Die alten Bäume ächzten und knarrten und irgendwo in der Ferne heulte ein Wolf.

„Was zum…“, begann Deadlyone, doch ein eindringlicher Blick des alten Druiden brachte ihn zum Schweigen. Dies war kein Moment für törichte Plapperei.
 

Dort, wo die Tropfen die Blätter berührten, begannen die Pflanzen zu leuchten. Kleine, kugelförmige Lichter stiegen überall dort auf, wo das heilige Wasser des Mondbrunnens verschüttet worden war. Fasziniert beobachteten die Nachtelfen die wachsende Anzahl von Irrwischen. Die Luft war erfüllt von ihrem klingenden Singsang, den nur die wenigstens Auserwählten zu verstehen im Stande waren. Wie auf ein geheimes Kommando hin sammelten sich die Waldgeister schließlich zu einer großen, silbrigen Wolke, kreisten noch einmal um die Nachtelfen und flogen dann gemeinsam in nördlicher Richtung in die Nacht davon. Schweigend blickten die Nachtelfen ihnen nach.

„Werden sie es schaffen?“, fragte Ceredrian nach einer Weile leise.

„Diese Frage kann dir keiner hier beantworten.“, antwortete ihm Falfindel Waywarder. „Wir können nur beten, dass sie einen Teil dessen wieder ungeschehen machen, was die Törichten und Gierigen in dieser Welt der Natur angetan haben. Denn sonst, so fürchte ich, wird sie sich eines Tages erheben und Freund und Feind gleichermaßen mit in den Untergang reißen. Ande'thoras-ethil!“

Mit diesen Worten drehte er sich um und wanderte langsam zurück in Richtung Thalanaar.
 

Wie eine Reihe von Statuen blieben die drei übrigen Nachtelfen am Rand des Waldes stehen und blickten in die Richtung, in der die Waldgeister verschwunden waren. Schließlich regte sich Ceredrian als Erster wieder.

„Unsere Mission ist erfüllt.“, sagte er und sah seine beiden Freunde an. „Was schlag ihr also vor, was wir jetzt tun. Kehren wir nach Darnassus zurück? Berichten wir Behüter Alabgorm vom Erfolg? Oder..“

„Ich bleibe.“, entschied Easygoing. Er warf einen sehnsüchtigen Blick in Richtung des dunklen Waldes. „Ich würde gern noch eine Weile diese Gegend erkunden und herausfinden, welche Geheimnisse dieser Quell uralter Waldmagie noch beherbergt. Irgendwo an der Küste soll es außerdem einen Außenposten des Cenarischen Zirkels geben.“

„Und du?“, fragte Ceredrian den Schurken.

Der zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Naja, ist schon ganz nett hier. Soll ja auch ne Menge Tempel und so geben. Und wo es Tempel gibt, gibt es auch Schätze.“ Der Nachtelf setzte ein unschuldiges Lächeln auf, das zartbesaitete Seelen dazu gebracht hätte, schreiend davon zu laufen.

Ceredrian unterdrückte ein Seufzen. „Ich sehe schon, dass ich euch zwei nicht allein lassen kann. Also schön, bleiben wir noch in Feralas und sehen, wie wir den Zirkel hier unterstützen können. Tyrande wird sicherlich noch eine Weile auf einen Bericht warten können.“

„Wie er gleich wieder angeben muss.“, stichelte Deadlyone und äffte den Ton des Priesters nach „Tyrande wird sicherlich noch eine Weile auf einen Bericht warten können. Als wenn du höchstpersönlich mit ihr verkehren würdest.“

„Verkehren? Höchstens in seinen kühnsten Träumen.“, kicherte Easygoing ungewohnt albern und versetzte dem Priester einen spielerischen Rempler gegen den Arm. „Na los, du alter Schwerenöter. Wir suchen dir eine nette Waldnymphe als Ersatz.“

Ceredrian verdrehte die Augen, rieb sich den geschlagenen Arm und folgte seinen beiden ausgelassenen Freunden kopfschüttelnd, bis der Wald und die Dunkelheit schließlich auch seinen silberweißen Schopf verschluckten und nichts als Nacht und Stille zurückließen.
 


 


 

Gebannt beobachtete Magenta das funkelnde Licht, das am Rand des Weges verlockend auf und ab schwebte. Nur mit Mühe widerstand sie dem Drang, dem Irrlicht einfach zu folgen. Es hätte zu einem sehr kurzen Ausflug geführt, der vermutlich mit einem nassen Tod im nächsten Sumpfloch endete. Dazu allerdings hätte es nicht unbedingt eines bösartig verspielten Geistes bedurft. Die Dunkelheit und die Tatsache, dass sie Tabethas Hütte immer noch nicht gefunden hatten, schienen dafür völlig ausreichend.

„Wie wäre es, wenn wir die Nacht einfach hier draußen verbringen?“, rief sie nach vorne zur Spitze des kleinen Zugs. Zur Sicherheit hatten sie beschlossen, in einer Linie hintereinander durch den Sumpf zu reiten und Magenta hatte sich großzügig dazu bereit erklärte, das Schlusslicht zu bilden.

„Ich mir sicher, wir gleich da.“, kam Abumoahams uneinsichtige Antwort zurück.

Magenta stöhnte und sackte auf dem Rücken ihres Reittieres zusammen. Sie war müde, ihr war kalt und sie hatte endgültig die Nase voll von dem platschenden Geräusch, dass die Hufe des Esels auf dem halbfesten Sumpfboden machten. Gerade, als die Hexenmeisterin beschlossen hatte, dass sie diesen Wahnsinn nicht mehr mitmachen würde, kam der Zug vor ihr ins Stocken. Demuny, die als zweite in dem kleinen Tross ritt, hatte ihr inzwischen ebenfalls mit Schlamm bespritztes Pferd zum Stehen gebracht und deutete aufgeregt geradewegs ins Gebüsch hinein.

„Seht, dort drüben ist ein Licht.“

Magenta wollte die Priesterin zunächst auslachen, weil diese sich von einem weiteren Irrlicht hatte verwirren lassen. Dann jedoch sah auch sie, dass der goldene Schein, der dort durch die schlammig graue Nacht leuchtete, von einer größeren Lichtquelle stammen musste. Möglicherweise tatsächlich von einem Haus.

„Wir uns das ansehen.“, erklärte Abumoaham und wendete seinen Rappen. Das Tier, das bis dahin gehorsam durch den Sumpf getrottet war, blieb jetzt jedoch nach wenigen Schritten wie angewurzelt stehen. Es schnaubte unruhig und tänzelte auf der Stelle.

„Dummes Pferd.“, schimpfte der Magier und versuchte, den Rappen irgendwie nach vorne zu bewegen. Ängstlich wiehernd legte das Tier die Ohren an und warf den Kopf zurück, als wolle es die Zügel abstreifen.

Aus der Finsternis vor ihnen drang plötzlich ein Fauchen und ein riesiges, mit unzähligen Zähnen besetztes Maul öffnete sich direkt vor den Vorderhufen des unruhigen Pferdes. Panisch stieg der Rappe auf die Hinterhand und schlug mit den vorderen Hufen nach dem scharfzähnigen Angreifer. Abumoaham hatte alle Hände voll damit zu tun, nicht vom Rücken des scheuenden Pferdes zu fallen. Demuny rief etwas und Bladewarrior griff nach seinem Schwert, um es in den Rachen des Untiers zu stoßen, doch Magenta war schneller.

Mit einer eilig gemurmelten Formel schoss sie einen Blitz aus Schatten und Dunkelheit direkt in das weit geöffnete Maul des Krokilisken. Es zischte, als die Magie das weiße Fleisch versenkte. Wütend fuhr das Biest zu der Hexenmeisterin herum und überwand die wenigen Meter zwischen ihnen mit ein paar erstaunlich schnellen Sätzen seiner kurzen Beine. Schon schnappten die gewaltigen Kiefer nach den Beinen ihres Esels, als eine Schwertschneide wie ein silberner Blitz durch den Leib des Reptils fuhr und es mit einem Streich tötete.
 

Bladewarrior zog die blutige Schneide aus dem schuppigen Leib und versetzte dem Tier noch einen verächtlichen Tritt in die Rippen. Dann sah er zu Magenta hinüber und grinste breit. „Ist fast so gut wie Drachen töten.“

„Beschrei es nur nicht.“, gab die Hexenmeisterin zurück. Sie konnte ihr Herz schlagen hören, das sich nur langsam von dem Schreck erholte, der sich schließlich doch als relativ harmlos herausgestellt hatte. Vermutlich ging es den anderen nicht viel anders, denn die Erleichterung stand ihnen allen ins Gesicht geschrieben, als sie sich wieder in Richtung des gelben Lichtscheins in Bewegung setzten.
 

Ihr Weg führte sie zu einer windschiefen Hütte, die am Rand eines kleinen Tümpels stand, an dessen Steg ein breites, flaches Boot vertäut war. Vermutlich diente es dazu, sich auf den unzähligen Wasserwegen durch den Sumpf zu bewegen. Hinter dem Haus gab es ein Stück Land, das ein Gemüsegarten hätte sein können, wenn es Gemüse gegeben hätte und durch die Fenster konnte man einen Schatten erkennen, der sich im Inneren des Hauses auf und ab bewegte.

Abumoaham wartete, bis alle von ihren Reittieren gestiegen waren, dann klopfte er dreimal kräftig an die hölzerne Tür der klapprigen Hütte.

„Kommt herein!“, erklang eine weibliche Stimme von drinnen und die Tür schwang lautlos auf.

Magenta und Abumoaham wechselten einen kurzen, besorgten Blick, dann durchschritt der Magier als erster die Tür. Die anderen folgten ihm nacheinander und Magenta, die als letzte das Haus betrat, entließ noch mit einer schnellen Handbewegung ihren Wichtel, bevor sie über die Schwelle trat.
 

In der Hütte erwartete sie ein niedriger Raum mit einem Tisch, mehreren Stühlen und einem lebhaftes Feuer im Kamin. An den Wänden reihten sich Regale mit Gläsern und Tiegeln und vor allem unendlichen Reihen von Büchern. Trotz der Fülle schien alles hier an einem bestimmten Platz zu stehen. Ein schwarzer Rabe, den Magenta zunächst für ausgestopft gehalten hatte, blinzelte plötzlich und öffnete den schwarzen Schnabel, um die Besucher mit einem heiseren Schrei zu begrüßen.

„Sei still, du nichtsnutziges Vieh.“ Wieder sprach die Stimme, die sie schon zuvor gehört hatten und endlich trat auch ihre Besitzerin in ihr Sichtfeld.

Die Frau trug eine braune Robe und eine ebensolche Kapuze bedeckte ihr Haupt. Sie ging langsam, doch ohne die Trägheit des Alters in ihren Bewegungen. Auch das Gesicht, das die Besucher aus den Falten des groben Stoffs heraus ansah, war eigenartig alterlos. Mal schien es einer Greisin zu gehören, doch im nächsten Augenblick zeigten sich die Züge einer jungen Frau. Es war ein faszinierendes Spiel aus Licht und Schatten, das durch den Tanz der Flammen noch verstärkt wurde. Einige Momente lang war nichts zu hören außer dem Prasseln des Feuers und dem Scharren der Rabenkrallen auf dem Regal.

Abumoaham wagte schließlich den ersten Schritt. Er trat vor und deutete eine Verbeugung an. „Lady Tabetha, wir…“

„Schweig!“, unterbrach sie ihn ruppig. „Ich erkenne, was Ihr seid und von dort wird es nicht weit sein zu dem, was Ihr wollt. Doch lasst mich sehen.“

Sie musterte Abumoaham von Kopf bis Fuß und schnalzte dann mit der Zunge. „Ein Magier, ohne Zweifel. Ihr seid ein würdiger Vertreter unserer Zunft, auch wenn Ihr noch einen langen Weg zu wahrer Macht vor Euch habt. Ihr lasst den Instinkt vermissen, den es zum Überleben braucht.“

Tabetha ging weiter zu Bladewarrior, der sofort Haltung annahm und nicht zu atmen wagte.

„Rühren, Krieger.“, sagte die Frau etwas milder. „Ihr habt gut gekämpft dort draußen, doch mangelt es Euch an Entschlussfreudigkeit. Ein Krieger, der sich hinter einem Magier verkriecht, hat seinen Beruf verfehlt.“

Der junge Krieger zuckte unter ihren Worten zusammen wie ein geprügelter Hund und senkte den Kopf.

„Ich werde es mir merken.“

Als Tabetha vor Demuny trat, knickste die Priesterin und wollte schon den Mund aufmachen, als die Magierin ihr das Wort mit einer herrischen Geste abschnitt.

„Priester“, sagte sie, als wäre dieses eine Wort schon Erklärung genug. Dann jedoch setzte sie hinzu: „Ihr seid nützlich, wenn ihr bei dem bleibt, was Eure Aufgabe ist. Weniger reden, mehr tun, Kindchen.“

Schließlich blieb die braune Robe vor Magenta stehen. Die Augen unter der Kapuze leuchteten auf und Tabetha atmete tief ein.

„Ich rieche arkane Macht in dir.“, flüsterte sie und ihre Stimme ließ einen Schauer über Magentas Rücken laufen. „Deine Magie ist stark, doch es ist noch etwas anderes darin. Etwas, das nur zu oft mit dir und deinesgleichen kommt. Die Fäulnis, die Verderbtheit…ihr zieht sie an wie das Licht die Motten. Ich habe nicht sehr oft Hexenmeister hier zu Gast. Sieh zu, dass ich es nicht bereue, dich zu beherbergen.“

Magenta überlegte, was sie darauf antworten sollte, doch offensichtlich erwartete die Magierin gar keine Antwort. Sie hatte sich bereits umgedreht und war zum Feuer geschlurft. Dort zog sie den Deckel von einem neben der Feuerstelle hängenden Topf und sofort flutete ein köstlicher Geruch die Hütte. Magentas Magen war nicht der einzige, der sofort vernehmlich zu knurren begann.

„Es wäre von Vorteil, wenn endlich jemand Schüsseln auf den Tisch stellen würde, sonst müsst ihr Euren Eintopf vom Boden kratzen.“, meckerte Tabetha und machte sich an dem Kessel zu schaffen. Bladewarrior, der ihr zur Hilfe kommen wollte, scheuchte sie mit dem Kochlöffel wieder vom Feuer.

„Wenn ich Hilfe beim Tragen brauchen würde, würde ich mir einen kleineren Kessel kaufen.“, keifte sie und hob das bauchige Gefäß ohne viel Mühe aus seiner Aufhängung. „Hol lieber noch ein paar Holzscheite vom Holzstoß neben der Tür. Wir werden eine lange Nacht haben.“

Sofort eilte der junge Krieger nach draußen, während Demuny den Tisch deckte und Abumoaham noch einen Stuhl aus der Ecke an den Tisch holte. Einzig Magenta stand nutzlos mitten im Raum und wusste nicht wohin mit sich.

Spürst du ihre Macht? , fragte eine Stimme in ihrem Kopf und Magenta hatte seltsamerweise das Gefühl, dass Pizkol flüsterte. Sie fühlte Tabethas Augen auf sich ruhen und der wissende Ausdruck um ihre Augen gefiel Magenta gar nicht.

Ich merke es, gab sie ebenso leise denkend zurück. Sie ist mir irgendwie unheimlich.

Unheimlich ist gar kein Ausdruck, wisperte der Wichtel. Und wenn ich von unheimlich spreche, weiß ich, wovon ich rede.
 

Magenta schrak zusammen, als Tabetha neben sie trat und den Kessel mit einem Ruck auf den Tisch krachen ließ. Ein wenig des Eintopfs schwappte übe den Rand und lief zischend an den äußeren Wand entlang.

„Suppe?“, fragte die Magierin und lächelte nachsichtig. „Im Übrigen ist es nicht höflich, heimlich über jemanden zu reden. Wenn du mit ihm sprechen willst, hol deinen Diener lieber hervor. Er kann gleich einmal nachsehen, was sich eigentlich in meinem Kaminschlot verkrochen hat. Betram weigert sich, hinein zu fliegen.“

Der Rabe auf dem Regal plusterte sich auf und krächzte missbilligend.

„I-ihr…Ihr hört, was ich denke?“, stotterte Magenta.

„Nein, aber du bewegst die Lippen, wenn du mit ihm sprichst.“, erklärte die Magierin augenzwinkernd. „Und jetzt mach schon, sonst wird das Abendessen kalt.“

Magenta tat, wie ihr geheißen war und kurz darauf verschwand Pizkol fluchend und hustend in einer Wolke Ruß im Schornstein des Hauses.

„Hier nistet eine ganze Spinnenfamilie.“, verkündete er dumpf. „Und sie haben Eier gelegt.“

„Verbrenn das Nest und bring die Eier mit.“, befahl Tabetha mit dem Kopf halb im Kamin. „Die können wir morgen zum Frühstück brauchen.“

Magenta fragte sich, worüber sie sich mehr wundern sollte. Darüber, dass jemand Spinneneier zum Frühstück aß, oder darüber, dass von ihrem sonst so nervtötenden Wichtel keinerlei Protest kam. Doch als Tabetha anschließend eine Diskussion mit Bladewarrior über die Vor- und Nachteile von Äxten gegenüber Schwertern begann, gleichzeitig Abumoaham ein Buch heraussuchte, das ihn in den höheren magischen Studien anleiten sollte, und dazu auch noch Demuny ein Salben-Rezept nebst Zutaten in die Hand drückte, beschloss Magenta, sich über gar nichts mehr zu wundern und einfach abzuwarten, was die Nacht noch so mit sich bringen würde.
 


 


 

Dicker, öliger Rauch stieg vom Boden auf und ersetzte den sonst allerorts im Sumpf üblichen Nebel. Kleine Feuernester glommen überall unter dem Torf und verbreiteten einen üblen, schwelenden Geruch, der das Atmen schwer machte. Kein Vogel flog in diesem Gebiet und kein noch so kleines Tier kroch über den Boden. Es war, als hätte die Natur Platz gemacht und wäre etwas Größerem gewichen.

Eine vierfüßige Gestalt schob sich schwerfällig über den glimmenden Boden und wirbelte dabei Asche und Glutfünkchen auf. Ihr dicker, gut gepanzerter Leib mit den vier gewaltigen, krallenbesetzten Pranken und dem muskulösen, stachelbewehrten Schwanz ging in einen schlanken Oberkörper über, der in einem schmalen Kopf mit einem Echsengesicht endete. Immer wieder fuhr die gespaltene Zunge des Wesens aus dem Maul und kostete die Luft, während es die Fackel, die es in seinen Händen hielt, nach rechts und links schwenkte. Dabei raschelten die Spitzen der Hornplatten auf seinen Schultern, als würde sich ein wütendes Stachelschwein schütteln.

Als die Kreatur nicht fand, wonach sie suchte, zischte sie böse und trampelte von dannen, eine Spur auch Rauch und Funken hinter sich her ziehend. Erst als sie hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden war, wagte Abbefaria wieder zu atmen. Vorwurfsvoll sah er auf seine Begleiterin hinab, der er kurzerhand den Mund zugehalten hatte.

„Hatte ich nicht gesagt, wir müssen leise und vorsichtig sein?“, flüsterte er halblaut.

Emanuelle befreite sich von seiner Hand und starrte ebenso vorwurfsvoll zurück. „Und hatte ich nicht erwähnt, dass ich Luft zum Atmen brauche? Ich wäre fest erstickt.“

Das Nachtelf musterte sein Gegenüber ernst. Die Gnomin sah ebenso wie er ziemlich mitgenommen aus. Zwar hatten sie beide den Sturz unverletzt überlebt, doch war er nicht spurlos an ihnen vorüber gegangen. Ihre Kleidung war teilweise zerrissen und über Emanuelles linke Wange lief ein tiefer Kratzer, den sie sich bei einem beherzten Sprung hinter einen der wenigen Dornenbüsche zugezogen hatte. Sie wirkte müde und erschöpft und selbst der neugierige Schimmer in ihren Augen hatte etwas von seinem Glanz verloren.

Abbefaria beließ es daher bei einem kurzen Augenrollen anstatt der geharnischten Antwort, die ihm auf der Zunge lag, und hielt stattdessen nach weiteren Patrouillen Ausschau. Irgendwie hatten sie es geschafft, tief in das Gebiet der Drachen vorzudringen, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Jetzt jedoch schien die schwarze Brut überall zugleich zu sein, so dass ihnen der Rückzug abgeschnitten war. Und zu allem Überfluss hatte Emanuelle auch noch eine eigenartige Pflanze entdeckt, die sie unbedingt katalogisieren musste. Der Zeitpunkt war denkbar ungünstig.

„Aber es muss sein.“, wisperte die Gnomin, sah sich noch einmal um und trippelte dann auf das grüne, verschlungene Knäuel zu, über das sie buchstäblich gestolpert waren. Abbefaria betrachtete das Gewächs mit gemischten Gefühlen. Die gesamte Pflanze pulsierte in einem Rhythmus, der an einen Herzschlag erinnerte, während sie ihr grünes Blut in gleichmäßigen Schüben durch die unzähligen, fleischigen Windungen pumpte. Ein widerwärtiger und faszinierender Anblick zugleich.

„Ich nehme nur schnell eine Probe.“, erklärte die Gnomin. Sie holte ein kleines, silbernes Messer heraus, prüfte kurz die Schärfe mit dem Daumen und stach dann mitten in die dickste der Adern.

Ein markerschütternder, spitzer Schrei ertönte, als plötzlich ein dicker Strahl giftgrünen Pflanzensaftes aus der Wunde austrat. Zunächst dachte Abbefaria, dass er von der Gnomin stammte, die von oben bis unten mit grünem Schleim bedeckt war, doch dann bemerkte er, dass der Schrei von der Pflanze stammte. Die dicken, fleischigen Ranken hatten sich entfaltet und den Blick auf ein runzliges, grünes Gesicht freigegeben. Und der Mund eben dieses Gesicht stand weit auf und schrie zum Steinerweichen.

Ganz in der Nähe wurden zischende Warnrufe laut und stampfende Schritte kündigten die Ankunft mehrerer Vertreter der schwarzen Drachenbrut an. Gehetzt blickte Abbefaria sich um, um irgendwo ein Schlupfloch zu finden. Das Einzige jedoch, was ihnen in der Nähe Zuflucht bieten konnte, war eine riesige, einem enormen Drachenmaul gleichende Höhle, hinter deren Eingang nur gähnende Schwärze auf ihn wartete. Eine noch offensichtlichere Falle konnte es somit also nicht geben. Daher entschied Abbefaria sich, sich auf das Einzige zu verlassen, was ihm gegenüber den Drachen vielleicht noch von Vorteil sein konnte: seine Schnelligkeit.

Ohne lange zu überlegen verwandelte er sich in eine schwarze Raubkatze, packte die Gnomin mit den Zähnen am Kragen und schoss mit gewaltigen Sprüngen direkt auf die herannahende Drachenbrut zu.

Klauenhände griffen nach ihm, gewaltige Krallen bohrten sich nur Zentimeter neben ihm in den Boden und ein Schlag mit einer langen, dreizinkigen Waffe brachte ihn aus dem Gleichgewicht und fügte ihm einen langen, schmerzhaften Riss an der Seite zu. Doch er blieb nicht stehen und kümmerte sich weder um das wütende Brüllend er Drachen noch um den keifenden Protest seiner Begleiterin, die ihn mit allerlei fantasievollen Schimpfnamen bedachte, von denen „Hasenfuß“ noch der charmanteste war. Er lief einfach immer weiter und weiter, so schnell ihn seine Pfoten in den nebelverhangenen Sumpf hinein tragen konnten.
 

Es erschien ihm wie Stunden, als das aufgebrachte Gebrüll der Drachenbrut endlich hinter ihm verklang und das einzige Geräusch, das er hörte, das seines rasselnden Atems war. Keuchend blieb er schließlich stehen, setzte seine kostbare Fracht ab und ließ sich kurzerhand auf die unverletzte Seite in den Schlamm sinken. So lag er eine Weile da und lauschte dem Rasen seines Herzens, das ihm erschien, als habe er einen wild gewordenen Minaturzwerg mit einem ebensolchen Amboss in seiner Brust stecken. Erst als sich zwei funkelnde, blaue Augen in sein Gesichtsfeld schoben, hob er wieder den Kopf. Als er jedoch aufstehen wollte, jaulte er schmerzerfüllt auf und sank kraftlos wieder in den Schlamm zurück. Die Wunde an seiner Seite brannte höllisch und jetzt erst spürte er, dass warmes Blut an seiner Hüfte herunter lief.

„Das war ja eine feine Flucht.“, nörgelte die Gnomin. „Ich kann nur von Glück sagen, dass ich dieses Zeug noch an mir habe. Ansonsten sehe ich jetzt vermutlich aus, als wäre ich unter ein Rudel Wölfe gekommen. So kurz über dem Erdboden gibt es eine Menge unangenehmer Sachen, an denen man sich stoßen kann. Da hätten wir es lieber mit den Drachen aufnehmen sollen.“

Abbefaria musste gegen seinen Willen und trotz der Schmerzen lachen. Dieses Persönchen war wirklich unglaublich.

„Aber nein“, schimpfte sie weiter, „Der Herr muss ja unbedingt mitten durch rennen und jetzt liegt er hier und jammert mir die Ohren voll. Nur gut, dass ich noch genug von diesem Pflanzenzeug an mir habe.“

Abbbefaria, der nicht verstand, was sie damit meinte, knurrte unwirsch, als sie begann seine Wunde abzutasten. Doch ebenso schnell wie der Schmerz aufgeflammt war, verebbte er schon wieder. Er spürte, wie die kleinen Hände über sein Fell strichen und merkte, wie auch diese Seite seines Körpers langsam feucht wurde. Er hob den Kopf und sah, wie Emanuelle den grünen Schleim, der sie überall bedeckte, auf die Wunde strich. Es prickelte und fast meinte er zu spüren, wie sich die Wundränder zu schließen begannen.

Als sie fertig war, drehte sie sich zu ihm herum und grinste breit. „Ja, da staunt der Herr Nachtelf. Wir Gnome mögen keine besonders begabten Heiler sein, aber wenn die Schramme in meinem Gesicht verschwindet, nachdem ich mit diesem grünen Zeug vollgeschleimt wurde, dann bin ich durchaus in der Lage die richtigen Schlüsse zu ziehen. Diese Pflanze heißt ´Drachenwinde` und wächst nur dort, wo Drachen…na ja du weißt schon. Ich hab von ihr gelesen. Allerdings sollten sie die Einträge in der Enzyklopedia Gnomenica um einen Hinweis auf das infernalische Geschrei ergänzen. Ist ja lebensgefährlich. Wobei das vermutlich der Grund ist, warum das noch niemand aufgeschrieben hat. Ich werde vielleicht sogar einen Preis für diese Entdeckung bekommen. Wer weiß, was in diesen Pflanzen für ein Geschäftspotential steckt? Ich könnte vielleicht…“

Abbefaria gab es auf den Ausführungen der Gnomin zuzuhören und ließ den Kopf wieder sinken. Er spürte, wie langsam aber stetig die Kraft in seinen Körper zurückströmte. Nicht mehr lange, und die Wunde wäre geheilt und er so weit zu Kräften gekommen, dass er wieder laufen konnte. Und dann, so sagte er sich, würden sie als erstes eine sichere Unterkunft für die Nacht suchen. Allein die Tatsache, dass sie den Drachen entronnen waren, war noch lange keine Garantie, dass sie auch den nächsten Morgen erlebten. Dieser Sumpf war tückisch und barg mit Sicherheit noch mehr Gefahren.
 

Als er noch einmal die Augen öffnete, meinte er zunächst, dass seine erschöpften Sinne ihm einen Streich spielten. Als er jedoch ein paar Mal blinzelte und das Licht, das er entdeckt hatte, immer noch durch den Nebel zu ihm herüber schien, konnte er nicht umhin erleichtert aufzuatmen. Licht bedeutete vermutlich eine Siedlung, zumindest aber ein Haus oder ein Gehöft, dessen Besitzer ihnen freiwillig oder nicht Unterkunft gewähren würde. Mit neuer Kraft stemmte er sich hoch und blickte in die Richtung des gelben Lichtscheins, der verheißungsvoll zwischen den Bäumen aufleuchtete. Es wurde Zeit, dass sie aufbrachen.
 


 


 

Magenta gähnte verhalten, während Abumoaham die Geschichte des abgebrannten Gasthauses erzählte. Sie war gesättigt, ihr war warm und sie hätte eine Menge dafür gegeben, jetzt einfach in ein weiches, warmes Bett zu kriechen und den Tag endlich enden zu lassen. Ziellos ließ sie ihren Blick durch die Hütte wandern, betrachtete einige Zeichnungen an der Wand, die Ansammlung von mit bunten Flüssigkeiten gefüllten Glasflaschen, die auf einem Tisch an der Wand standen, die an der Decke des Hauses zum Trocknen aufgehängten Kräuter und die neue, blinkende Axt, die genau die richtige Größe hatte, um Bladewarrior zu gefallen.

Tabetha saß derweil in einem Stuhl am Feuer. Sie hatte die Arme auf die Lehnen gelegt und lauschte den Ausführungen Abumoahams mit halb geschlossenen Augen. Als er geendet hatte, öffnete sie die Augen wieder und starrte in die Flammen.

„So.“, sagte sie nach einer Weile. „Und jetzt kommt ihr also hierher und erwartet von mir, dass ich Euer Rätsel für euch löse.“

„Wir dachten, wir fragen weise Frau um Rat, ja.“, bestätigte der Magier.

„Weise Frau?“, schnaubte Tabetha belustigt. Sie zog eine Pfeife mit einem langen Stiel aus ihrer Rocktasche hervor, stopfte sie sorgfältig und steckte sie an. Der süßlich aromatische Rauch malte verschlungene Muster in die warme Luft. „Vermutlich meint ihr mich damit. Und vielleicht habt ihr sogar Recht. Vielleicht weiß ich in diesem Fall tatsächlich einen Rat. Doch der hat wenig mit magischem Können zu tun.“

Sie paffte ein paar Mal an der Pfeife und verzog das Gesicht zu einem freudlosen Lächeln. „Vor einiger Zeit bauten die Tauren des Grimtotem Clans eine neue Siedlung ganz in der Nähe. Man hätte schon blind, taub und strohdumm sein müssen, um sie nicht zu bemerken. Wenn sie nun tatsächlich, wie ihr sagt, das Gasthaus zur Süßen Ruh niedergebrannt haben, ist es an der Zeit, ihnen eine Lektion zu erteilen.“

„Wir haben das nie gesagt.“, mischte sich Demuny ein. Der Priesterin schien die Entwicklung der Dinge nicht zu gefallen.

„Habt ihr nicht?“ Tabetha schmunzelte und paffte noch ein paar Rauchwölkchen. „Dann muss mir das wohl doch der Wind zu geflüstert haben.“

Magenta, deren Blick immer noch auf die Axt gerichtet war, fragte sich, wie Tabetha mit so einer großen Waffe wohl Holz hackte. Ein kleineres Beil wäre dafür sehr viel praktischer gewesen. Doch was wäre wenn…

„Der Ork war hier.“, platzte die Hexenmeisterin heraus. Sie wusste nicht, woher diese plötzliche Erkenntnis kam, aber es konnte keine andere Erklärung dafür geben. Es sei denn, Tabetha konnte tatsächlich hellsehen.

Die Anwesenden drehten sich erstaunt zu ihr um, bis auf eine Ausnahme.

„Gut erkannt, Hexenmeisterin.“, lächelte Tabetha. „Die Horde hat ein ebensolches Interesse daran, den Waffenstillstand zu halten wie ihr. Zumindest, wenn sie auf ihren Kriegshäuptling hören. Ein Taurenstamm wie die Grimtotem gefährdet diesen fragilen Zustand und stellt eine Bedrohung für Heim und Herd dar. So etwas wird nicht geduldet.“

„Was ihr habt mit Horde vereinbart?“, wollte Abumoaham wissen.

„Sagen wir mal, die Grimtotem werden eine Lektion erhalten, die sie daran erinnert, wem dieser Teil des Sumpfes gehört. Bei Morgengrauen wird von ihrem Dorf nicht viel mehr als einig brennende Trümmer übrig sein.“

„Gleiches mit Gleichem zu vergelten führt zu weiterer Gewalt.“, empörte sich Demuny. „Ich kann nicht erkennen, wie dies zum Frieden beitragen soll.“

Tabetha sah die Priesterin direkt an. Sie faltete die Hände über dem Bauch und reckte das Kinn nach vorn. „Und was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen? Beten, dass die Tauren von selbst wieder verschwinden? Glaube mir, das hätte nicht viel genützt. Und ich wäre in der Lage weitaus Schlimmeres anzurichten, als nur ihr Dorf niederbrennen zu lassen. Sollten sie versuchen, es wieder aufzubauen, werde ich mich selbst darum kümmern. Ich denke, das ist genug Fairness für jemanden, der Unschuldige hingerichtet und ihnen ihren gesamten Besitz genommen hat. Die Grimtotem haben sich diese Reaktion selbst zuzuschreiben. Wer Wind säht, wird Sturm ernten.“
 

Demuny, die zunächst noch etwas hatte erwidern wollen, klappte den Mund wieder zu und starrte in die Flammen des Kamins. Sie konnte sich der Wahrheit von Tabethas Worten nicht verschließen und haderte gleichzeitig damit, dass erneut Blut vergossen worden war.

Eine Hand legte sich auf ihre Wange und hob ihr Kinn an. Tabethas Augen hielten ihren Blick fest und ein warmer Glanz lag darin, als sie sagte: „Es ist nicht falsch, sich das Mitleid im Herzen zu bewahren. Aber die Grimtotem mussten aufgehalten werden, sonst werden ihre Versuche, die Menschen von hier zu vertreiben, entweder fruchten oder in einem neuen Krieg münden. Ich habe den Ork angewiesen, so viele Leben wie möglich zu schonen und die Sache dann an seinen Kommandanten weiterzuleiten. Doch jemand musste sie aufhalten, bevor sie zu stark geworden wären. Manchmal lässt sich das Gleichgewicht der Welt nicht einfach nur mit schönen Worten erreichen. Manchmal muss man aufstehen und für eine Sache kämpfen, die einem wichtig ist.“

Demuny atmete hörbar ein und aus und nickte dann. „Ihr habt Recht, Lady Tabetha. Ich wünschte nur, wir hätten mehr für James und seine Familie tun können, als lediglich seine Mörder stellen.“

Die Magierin überlegte einen Augenblick, dann nickte sie. „Vielleicht gibt es da etwas. Da ihr die Nacht ohnehin hier verbringen werdet, werde ich die Zeit nutzen um euch etwas mitzugeben. Es ist nicht viel und es gibt keine Garantie, dass es wirken wird, doch einen Versuch ist es wert.“

„Ihr zu freundlich uns zu geben Unterkunft für Nacht.“, sagte Abumoaham und unterdrückte ein Gähnen. „Wir alle gleich aufbrechen morgen früh zu berichten von Vorgängen in Theramore.“

„Das wird sich zeigen.“, erwiderte Tabetha und lächelte wissend. Dabei glitt ihr Blick für einen kurzen Augenblick zu Magenta hinüber und die Hexenmeisterin meinte ein Aufblitzen in den schwarzen Augen zu erkennen. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen und wollte schon etwas sagen, als es plötzlich an der Tür klopfte.
 

Die kleine Runde erstarrte und blickte geschlossen zur Tür. Abumoaham war aufgesprungen und ein eisiger Hauch umwehte den Magier. Bladewarriors Hand war automatisch zu der Stelle geglitten, wo normalerweise sein Schwert hätte hängen müssen. Demuny machte große Augen und verkrampfte die Hände in den Stoff ihres Kleides und Magenta hatte unwillkürlich die Hand nach ihrem Gepäck ausgestreckt. Einzig auf Tabethas Gesicht lag ein ruhiger, wissender Ausdruck. Sie lehnte sich lächelnd in ihrem Stuhl zurück und rief: „Immer herein, wenn´s kein Taure ist.“

Nahezu lautlos schwang die Tür auf und Nebel schwappte über die Türschwelle herein. Die Geräusche der Nacht drangen aus dem dunklen, fast schwarzen Viereck und jemand betrat den Raum. Zumindest hörte man seine trippelnden Schritte auf dem hölzernen Fußboden der Hütte.

„Hallo?“, rief eine hohe, weibliche Stimme. „Ist das hier die Hütte von Tabetha?“

Abumoaham, der den Neuankömmling als einziger richtig sehen konnte, fielen fast die Augen aus dem Kopf. Er keuchte auf und stammelte dann: „E-Emanuelle?“

Als hätte das Wort einen Bann gebrochen, sprangen mit einem Mal alle auf und redeten durcheinander. Die Gnomin wurde begrüßt, getätschelt, befühlt, in den Arm genommen und schnatterte dabei selbst wie ein Wasserfall. Alle versuchten gleichzeitig, ihre Geschichte zu erzählen und wurden dabei immer lauter, bis mit einem Mal wieder Totenstille einkehrte.

Die Blicke der Anwesenden hefteten sich an die Tür, in der ein weiterer, großer Schatten erschienen war. Zwei leuchtende Augen glommen in der Nacht auf und als die Gestalt einen Schritt vortrat, fiel der Lichtschein des Feuers auf violette Haut und ein Paar langer, spitzer Ohren. Der Nachtelf trat noch einen Schritt vor und verbeugte sich mit vor der Brust gefalteten Händen.

„Ishnu-alah!“
 

Magenta hielt unwillkürlich den Atem an. Sie wusste, dass sie den Nachtelf auf höchst unschickliche Weise anstarrte, doch sie konnte die Augen einfach nicht von ihm nehmen. Seine Körperhaltung war abwartend, die Muskeln spannten sich unter der dunklen Haut und er hatte die Ohren zurückgelegt. Irgendwie erinnerte er sie an eine Katze, die unverhofft auf einen überlegenen Gegner gestoßen war und jetzt überlegte, ob sie die Flucht ergreifen und doch lieber langsam von dannen stolzieren sollte. Alles an ihm war faszinierend und fremdartig und doch umwehte ihn der Hauch von etwas vertrauten. Etwas, auf das Magenta schon sehr lange gewartet hatte.

„Ich grüße Euch, Elf.“, sagte Tabetha und erhob sich nun ebenfalls. „Einen von Eurer Sorte habe ich noch nie in meiner Hütte begrüßen dürfen. Setzt Euch doch und nehmt Euch von dem Eintopf. Ich denke, Ihr werdet ihn mögen. Das Schreiterfleisch war ganz frisch, als ich es bekam.“

Tabetha fabrizierte zwei weitere, saubere Schüsseln auf den Tisch und füllte sie jeweils mit einer großen Kelle des eigenartigerweise immer noch dampfenden Eintopfs. Dann nahm sie wieder auf ihrem Platz am Kamin Platz und blickte höchst zufrieden in die Runde.

Der Nachtelf zögerte sichtlich, doch als ihm der Geruch des Essens in die Nase stieg, geriet Bewegung in seine steinerne Miene.

„Schreiter-Eintopf?“, sagte er leise. Er sog das Aroma des Gerichts ein und schloss für einen Moment die Augen. Dann setzte er sich, ohne noch einmal aufzublicken, und begann zu essen. Emanuelle hingegen begnügte sich mit einer Scheibe Brot und begann zu erzählen, was sie bis jetzt erlebt hatten.
 


 

Abbefaria war froh, sich an etwas festhalten zu können. Zumal an etwas, das ihn so an zu hause erinnerte. Er lauschte dem Gebrabbel seiner kleinen Begleiterin mit halbem Ohr und konzentrierte sich stattdessen darauf, den Eintopf in sich hineinzulöffeln. Doch ähnlich den Fettaugen auf der Oberfläche der Suppe wollten auch die peinlichen Erinnerungen an das letzte Zusammentreffen mit diesen Menschen einfach nicht in seinem Gedächtnis versinken.

Er spürte, dass ihn jemand von der anderen Seite des Tisches anstarrte, aber solange noch Eintopf in seiner Schale war, nahm er diesen als Entschuldigung nicht hinzusehen. Als jedoch der Löffel hörbar über die Unterseite des Napfes kratzte und niemand ihm einen Nachschlag anbot, fügte er sich in das Unvermeidliche und sah auf.

Er sah sich mit zwei höchst unterschiedlichen Frauen konfrontiert, die ihn beide unverhohlen anstarrten. Während die eine jedoch ein finsteres Gesicht zog, lächelte die andere ihm freundlich zu.

„Weißt du, Magenta, ich glaube, er kommt mir bekannt vor.“, sagte die zweite Frau. Sie war hübsch, ihre blonden Haare umspielten die Schultern und der Ausschnitt ihres weißen Kleides enthüllte gerade ebenso viel, dass es Abbefarias Interesse weckte. Dazu strahlten ihre blauen Augen eine Freundlichkeit und Wärme aus, dass es dem Nachtelfen fast schwindelig wurde.

„Gehört er nicht zu den drei Nachtelfen, die wir im Hafen von Menethil getroffen haben?“, fragte sie ihre Nachbarin. Die andere Frau gab eine unverständliche Antwort und in ihren braunen Augen loderte grünes Feuer auf. Schnell sah Abbefaria wieder zu der ersten hinüber.

„Wie unhöflich von mir, über Euch zu sprechen, als wärt Ihr gar nicht anwesend.“, kicherte die und wurde ein wenig rot. „Mein Name ist Demuny. Und meine Freundin heißt…“

„Magenta.“, antwortete Abbefaria automatisch.

„Ja, woher wisst Ihr das?“, fragte Demuny erstaunt. Sie hatte Emanuelles Ausführungen offensichtlich nicht sehr genau zugehört.

„Wir hatten bereits das Vergnügen uns näher kennen zu lernen.“, erklärte Abbefaria. „Außerdem nanntet Ihr sie gerade beim Namen.“

„Können wir mal aufhören über mich zu reden.“, fauchte die rothaarige Frau erbost. Sie trug wieder die Robe, die sie auch beim letzten Mal angehabt hatte, als er sie sah. Seine Augen blieben an dem langen Riss hängen, der noch immer den Ärmel verunstaltete. Als sie seinen Blick bemerkte, ließ Magenta den Arm unter den Tisch sinken und verbarg ihn in den Falten ihres Rockes.
 

„Ihr wirklich erlebt phantastische Abenteuer.“, erklärte der Magier und nickte anerkennend. „Aber wir auch nicht schlecht gewesen. Haben befreit große Steinprinzessin, haben gejagt Oger und Yetis und schließlich wieder gefunden Freund Schakal. Und jetzt auch Freundin Emanuelle. Es wirklich glücklicher Zufall war, wir zusammen getroffen hier.“

In diesem Moment erwachten die Seiten unter Abbefarias Hemd zum Leben.
 


 


 

Der Nachtelf auf der anderen Seite des Tisches fasste sich plötzlich an die Brust. Ein trockenes Rascheln war zu hören, wie ein Flüstern, eine Raunen, das ständig lauter wurde. Magenta hörte es und verstand. Ihre Hand glitt wie von selbst zu ihrem Rucksack und zog das in gewachstes Papier eingeschlagene Paket daraus hervor. Auch dieses Päckchen wisperte und flüsterte wie das Rascheln unzähliger Blätter. Ohne den Blick von der Hand des Nachtelfen zu nehmen, begann sie die Schnüre um das Päckchen zu lösen.

„Was geht hier vor?“, fragte Demuny und sah Magenta fassungslos an.

„Das ich auch wissen möchte.“, sprang Abumoaham ihr bei. „Magenta, was du tun da?“

„Seht doch“, rief Emanuelle. Im Gegensatz zu den anderen richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf den Nachtelfen.

Die langohrige Gestalt kämpfte mit etwas, das unter ihrem Hemd herumzappelte, als habe sie ein Kaninchen oder sonst ein kleines Tier darin gefangen gehalten. Dann plötzlich verschwand die Bewegung zusammen mit dem verzerrten Gesichtsausdruck des Nachtelfen. Gleichgültigkeit und eine seltsame Trägheit ersetzten die verzerrte Miene und er glich einem Schlafwandler. Mechanisch griff er unter sein Hemd und holte eine Ansammlung von Blättern daraus hervor. Gleichzeitig hatte Magenta das Paket auf ihrem Schoß geöffnet und holte jetzt einen sehr alt aussehenden Folianten daraus hervor. Vorsichtig, ja fast schon zärtlich legte sie ihn auf den Tisch und schlug den Einband auf.

„Gib mir die fehlenden Seiten.“, sagte sie und streckte fordernd die Hand aus. Ihr Gegenüber schien sich für einen Moment zu sträuben, doch dann streckte sich die Hand mit den Blättern gehorsam über den Tisch. Die Hexenmeisterin nahm die Seiten und in ihren Augen glomm das schwelende Feuer wieder auf. Feierlich senkte sie die losen Seiten des vergilbten Manuskripts zwischen die verschimmelten Seiten des Folianten.
 

Es gab einen Laut, als würde ein Drache aufseufzen. Ein Windstoß fuhr durch den Kamin und löschte die Kerzen im Raum. Im schwachen Lichtschein des Feuers konnte man gerade noch erkennen, wie für einen kurzen Moment eine tiefviolette Aura um den Folianten entstand. Sie schien das verbliebene Licht förmlich zu schlucken und einen Augenblick lang sah es aus, als hielte Magenta ein Stück gebündelter Nacht in den Händen.

Dann war der Zauber ebenso schnell wieder verflogen, wie er begonnen hatte. Das Feuer brannte wieder höher und auf einen Wink Tabethas hin entzündeten sich auch die Kerzen wieder. Die Magierin stand auf und trat an den Tisch, in dessen Mitte der wieder vereinigte Foliant lag. Auf den ersten Blick konnte man nicht viel Besonderes erkennen. Und doch schien der schäbige Einband förmlich darauf zu lauern, dass sich ihm jemand näherte und Nahrung für die schrecklichen Geheimnisse brachte, die sich zwischen den Seiten verbargen.

Tabetha atmete hörbar ein, als sie den Titel des Buches las.

„Ein Foliant der Kabale?“, flüsterte sie fast unhörbar. „Und ich dachte, ich würde nie wieder einen von ihnen zu Gesicht bekommen.“

Abumoaham runzelte die Stirn. „Was dieses Buch sein? Ich nicht fühle gut in Gegenwart. Böser Zauber wohnen zwischen Seiten. Wir besser vernichten.“

Tabethas trockenes Lachen klang wie brüchiges Papier. „Das habe ich versucht. Ich riss Teile der Seiten heraus und versenkte sie an verschiedenen Stellen im Meer. Wie es scheint, hat das Buch seine Rache bekommen. Der Ort seiner Vernichtung ist der Ort seiner Wiedergeburt.“

„Was hat es damit auf sich.“, sagte der Nachtelf. Seine glühenden Augen waren auf den Folianten geheftet. Das Blut in seinen Schläfen pulsierte und die angestaute Wut unter der Oberfläche war fast greifbar.

„Dies ist ein Foliant der Kabale. Viele schwarzmagische Zauber sind auf seine Seiten gebannt worden und man sagt, es habe den einen oder anderen seiner Verfasser und seiner Leser um Verstand und Leben gebracht.“

„Dann sollten wir schnell handeln.“ Der Nachtelf war so heftig aufgesprungen, dass sein Stuhl hinter ihm zu Boden polterte. Bevor jemand reagieren konnte, hatte er seinen Dolche gezogen und rammte ihn direkt in die Tischplatte an den Platz, vor Bruchteile von Sekunden zuvor noch der Foliant gelegen hatte. Er knurrte und fauchte die Frau ihm gegenüber an. „Legt ihn wieder hin.“
 

Magenta presste den Folianten an die Brust. „Niemals.“, erwiderte sie. „So lange bin ich jetzt schon auf der Suche danach. Er gehört mir.“

Der Nachtelf grollte drohend und fletschte die Zähne. „Ihr seid besessen. Ich habe die Wirkung dieses teuflischen Machwerks schon zu spüren bekommen. Es verdirbt den schwachen Geist und macht ihn sich gefügig. Lasst uns Euch helfen.“

„Helfen?“ Magenta lachte spöttisch. „Ihr mögt vielleicht ein schwacher Geist sein, aber ich beherrsche die Macht des Buches. Seht selbst.“

Mit diesen Worten beschwor die Hexenmeisterin eine Kugel aus purer Finsternis hervor. Schon wollte sie ihn auf den Nachtelfen werfen, als ein heller Blitz zwischen die beiden fuhr und den Tisch in zwei Hälften spaltete. Die beiden Kontrahenten fuhren herum und sahen sich einer vor Energie pulsierenden Magierin gegenüber.

„Ihr werdet sofort Euren Spruch beenden, Hexenmeisterin.“, sprach Tabetha und ihre Stimme klang machtvoller als je zuvor. „Tut Ihr es nicht, werde ich Euch vernichten.“

„Wie wollt Ihr das anstellen, kleine Magierin.“, höhnte Magenta. „Meine Macht ist unbegrenzt.“

„Wie ihr wollt.“, antwortete Tabetha ruhig und holte zum Schlag aus.

Der Besenstiel traf Magenta völlig unvorbereitet am Kopf. Sie ließ den Folianten fallen und dessen dunkle Aura verlor schlagartig ihre Wirkung. Auch Tabethas Magie verebbte. Licht und Schatten kehrten wieder in geordnete Bahnen zurück und binnen Sekunden war der ganze Spuk vorbei.

Die Magierin entzündete die Kerzen ein zweites Mal mit einem Handwink. Dann stützte sie sich auf ihren Besenstiel und sah zu, wie Abumoaham Magenta aufhalf. Emanuelle nahm derweil besorgt ihren langohrigen Freund ins Visier.
 


 


 

„Bist du ok?“, hörte Abbefaria die Gnomin fragen.

Er nickte langsam. „Mir fehlt nichts. Ich hatte nur…“

„Du hast mich angelogen.“, stellte die Gnomin nüchtern fest. „Die Höhle war nicht leer. Du hast etwas von dort mitgebracht. Es waren die fehlenden Seiten aus diesem komischen Buch.“

Wieder nickte der Druide. „Und wie es aussieht, hätte ich sie lieber dort gelassen.“

„Es ist gut, wie es ist, Nachtelf.“, erklärte die Magierin, die wie ein Fels inmitten der Trümmer ihres Mobiliars stand. „Ich wusste, dass etwas in der Art passieren würde. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet dieses Machwerk wieder einen Weg hierher finden würde. Aber trotzdem ist es besser, wir haben es hier, als dass es irgendwo in einer Höhle verborgen darauf lauert, eine weniger widerstandsfähige Seele als die Eure zu erwischen und sich ihrer zu bemächtigen. Ihr habt gesehen, was dann passiert.“

Abbefaria nickte ein drittes Mal. Gleichzeitig sah er zu der rothaarigen Frau hinüber, die jetzt in den Armen des Magiers lag. Er strich ihr beruhigend über den Rücken und redete leise in seinem eigenartigen Akzent auf sie ein, bis sie ihn schließlich von sich schob und sich trotzig an die alte Magierin wandte.

„Was passiert jetzt mit dem Buch?“, fragte sie herausfordernd. „Ich benötige es.“

„Ich kann mir denken, wofür.“, antwortete die alte Magierin. Sie trat zu einem Schrank, öffnete ihn und nahm ein schwarzes Tuch heraus. Damit ging sie zu dem Folianten, warf es über ihn und wickelte ihn sorgfältig darin ein, wobei sie darauf achtete, den Einband des Folianten nicht zu berühren. Als sie fertig war, drückte sie ihn der überraschten, jungen Frau in die Hand.

„Hier, nehmt ihn. Ihr werdet noch heute Nacht nach Ratchet aufbrechen.“

„Aber…“, begannen Abbefaria und Magenta gleichzeitig, doch die Magierin schnitt ihnen mit einer entschiedenen Geste das Wort ab.

„Es gibt keine bessere Lösung. Strahad Farsan und ich mögen in vielem nicht einer Meinung sein, doch der alte Kauz wird wissen, wie er damit umzugehen hat. Es gibt weniger seiner Zunft, die sich noch so viel seines gesunden Menschenverstandes bewahrt haben wie er. Gebt ihm das Buch.“

„Sie noch soll heute Nacht aufbrechen?“, fragte der Magier nach. Abbefaria erinnerte sich jetzt, dass sein Name Abumoaham war.

„Ja.“ Die Miene der alten Magierin war unnahbar. „Ich dulde nicht, dass es auch nur eine Minute länger unter meinem Dach bleibt. Geht jetzt und verlasst den Sumpf, so schnell es geht. Der Weg am Gasthaus zur Süßen Ruh vorbei wird Euch ins Brachland bringen und von dort ist es nur noch ein Katzensprung nach Ratchet. Und jetzt geht! Dort ist die Tür. Alle anderen können die Nacht hier verbringen, bevor sie morgen früh aufbrechen.“

Magenta blickte unsicher zwischen den Anwesenden hin und her. Dabei mied sie Abbefarias Blick, wie ihm auffiel. Als niemand sich rührte, drückte sie den Folianten fest an sich, raffte ihr Gepäck vom Boden und rief:

„Komm, Pizkol, wir gehen.“

Mit diesen Worten ging sie in Richtung der Tür. Abbefaria erstarrte, als ihre ein kleines, abrundtief hässliches Geschöpf folgte. Abbefaria brauchte nicht lange um zu erkennen, dass es sich um einen dämonischen Wichteldiener handelte. Die Frau war also tatsächlich eine Dämonenbeschwörerin. Er wusste nicht, warum ihn diese Erkenntnis so traf. Er hätte es wissen müssen, schon als er sie zum ersten Mal sah, doch irgendwie schien ein Teil von ihm gehofft zu haben, dass er sich geirrt hatte.

„Magenta?“, rief Abumoaham und in dem Blick, mit dem er die junge Frau bedachte lag ebenso viel Wärme wie in seiner Stimme. „Pass auf dich auf. Ich auf dich warten werde.“

Sie war in der Tür stehen geblieben und drehte sich noch einmal herum. Die Emotionen, die sich auf ihrem Gesicht widerspiegelten waren so facettenreich wie die Farben des Herbstlaubes.

„Ich werde mich bemühen.“, sagte sie mit bebender Stimme. Dann drehte sie sich um und stürmte in die dunkle Nacht hinaus. Abbefaria war es, als können er jetzt, da sie verschwunden war, wieder leichter atmen.

„Ich mit ihr gehen werde.“, erklärte Abumoaham und wollte ihr schon nachlaufen, als sich auf eine Geste der alten Magierin die Tür schloss und krachend ins Schloss fiel.

„Als ich sagte, dass die anderen morgen früh aufbrechen, war dies keine Bitte.“, sagte sie. „Ich hege keinerlei Groll gegen Euch oder Eure Freundin. Doch es gibt Bürden auf dieser Welt, die ein jeder allein zu tragen hat, und dies ist eine davon.“

Als sie in das besorgte Gesicht des Magiers blickte, wurde ihr Blick weicher. „Sorgt Euch nicht zu sehr. Sie wird zurückkehren. Das Buch, so teuflisch es auch sein mag, wird sie beschützen.“

Abumoaham blickte noch einmal zur Tür. „Ich weiß.“, sagte er leise. „Ich nur nicht sicher, wer beschützen Magenta vor Buch.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2009-10-21T07:32:19+00:00 21.10.2009 09:32
Ja huhu :D Ich muss sagen, das Kapi hat mich mal wieder begeistert :D Einfach nur prima, nur meine Lachmuskeln brauchen (wie so häufig wenn ich deine FF lese) eine Pause, sonst reißen die mir noch^^
Von:  darkfiredragon
2009-10-15T19:34:04+00:00 15.10.2009 21:34
Hallihallo!

Mal wieder ein suuuuuuuper Kapi von dir, da stört es auch nciht dass es nur so "kurz" ist (manche FFs sind komplett kürzer als eins deiner kürzeren Kapis, von daher ist das alles relativ zu sehen^^). Vor allem die erste Szene mit Tabetha hat meine Lachmuskeln sehr gefordert und Emanuelle ist auch immer wieder zu lustig ;)
Was ich unbedingt noch loswerden will: diese Story verdient eindeutig mehr Kommis, kann ja nich sein dass nur 2 Leute das hier lesen...! Schwarzlesen gibts nicht!!!! Also Leute, immer fleißig Kommis schreiben^^


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