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Seelenschatten

wenn das Dunkel sich erhebt
von

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Das Geschenk

Kein Zurück (Wolfsheim)
 

Weißt du noch, wie's war

Kinderzeit... wunderbar...

Die Welt ist bunt und schön.

Bis du irgendwann begreifst,

Dass nicht jeder Abschied heißt,

Es gibt auch ein Wiedersehen
 

Immer vorwärts, Schritt um Schritt ... Es geht kein Weg zurück!

Und Was jetzt ist, wird nie mehr ungeschehen.

Die Zeit läuft uns davon, Was getan ist, ist getan.

Was jetzt ist, wird nie mehr so geschehen.
 


 

Das Geschenk
 

Als sie den Raum betraten empfing sie ein Schwall warmer Luft und lauter, fröhlicher Stimmen. Der Mann an der Bar, Tom, winkte und rief ihnen zu: „Geht am besten gleich durch. Die warten schon alle.“
 

Harry ließ sich von Hermine durch den gut besuchten Pub ziehen und nahm wenig überrascht zur Kenntnis, dass ihm so einige Blicke folgten und drei oder vier verschiedene Tischgesellschaften sofort die Köpfe zusammensteckten, als sie an ihnen vorbeikamen.

„Sollte ich irgendwas wissen.“, fragte er trotzdem und wies mit dem Kopf auf die Tische hinter sich.
 

Hermine sah zu den tuschelnden Gästen hinüber. „Nein, nichts Neues. Nur die alltäglichen Spekulationen des Tages-Propheten und einige Leserbriefe, deren Verfasser geschworen haben, nicht nur Voldemort, sonder auch dich an seiner Seite gesehen zu haben. Die Zeitung hat das natürlich als lächerlich hingestellt, aber vielleicht hätten sie sie lieber gar nicht drucken sollen.“
 

Sie schien wenig bekümmert deswegen, für Harry allerdings war es wie eine kalte Dusche. Erst bezeichneten sie ihn als Lügner, weil er immer wieder beteuerte, dass Voldemort zurückgekehrt sei. Dann stellte es sich als Wahrheit heraus, und es gab noch nicht einmal eine Entschuldigung und jetzt das. Er auf der Seite dieses Wahnsinnigen. Waren die denn völlig bescheuert? Voldemort hatte ihm alles genommen, was ihm lieb und teuer war. Wieso sollte er auf seiner Seite stehen?
 

Doch dann hatte er keine Zeit mehr, sich darum zu kümmern, weil Ron ihm und den Hals fiel und ihn mit Glückwünschen und Erzählungen aus seinem Sommer überfiel, so dass Harry nach fünf Minuten schon gar nicht mehr wusste, wo ihm der Kopf stand. Der halbe Phönix-Orden war in dem bunt geschmückten Festsaal des Tropfenden Kassels versammelt. Rons Brüder, Fred und George, begrüßten ihn mit kräftigen Schlägen auf den Rücken, so dass er fast keine Luft mehr bekam. Feixend betrachteten die beiden den um Atem ringenden Harry und George reichte ihm scheinbar hilfreich eine gläserne Tasse, die mit einer dampfenden, roten Flüssigkeit gefüllt war.

„Harry möchtest du nicht zur Feier des Tages ein bisschen Punsch?“, fragte er scheinheilig.
 

Bevor Harry antworten konnte, wurden die beiden von ihrer Mutter beiseite geschoben.

„Fred und George Weasley!“, donnerte die robuste Frau. „Wenn ich euch erwische, wie ihr dem armen Harry auch nur ein einziges Mal etwas von euren neuen Erfindungen andreht, dann schwöre ich euch, dass ich dafür sorgen werde, dass ihr nicht eine einzige Stinkbombe mehr in eurem Leben mehr verkauft. HABT IHR MICH VERSTANDEN?“
 

Die beiden rothaarigen, jungen Männer sahen sich an und strahlten dann gleichzeitig mit ihrem unschuldigsten Lächeln.

„Aber ja, Mutter. Wie immer hat du vollkommen Recht.“

Danach machten sich die beiden auf den Weg, ihren Punsch bei Mad-Eye Moody loszuwerden. Harry hätte es nicht gewundert, wenn sie sogar das geschafft hätten, denn der Mann grüßte nur kurz zu ihm herüber und ließ sich dann von den Zwillingen in ein Gespräch verwickeln.
 

„Harry, Schatz, lass dich ansehen.“, rief Mrs. Weasyley und ehe Harry sich versah, wurde er von Rons Mutter in eine warme, mütterliche Umarmung gezogen. Er ließ es zähneknrschend über sich ergehen und verabschiedete sich dann möglichst schnell von ihr, bevor er sich noch eine längere Tirade darüber anhören durfte, wie „schlecht“ er doch aussah.
 

Stattdessen ging er zu Moody hinüber, der in diesem Moment doch tatsächlich sagte: „...und ihr seid euch sicher, Jungs, dass das ungefährlich ist? Ich traue grundsätzliche niemandem, auch keinem Freund. Ihr führt doch was im Schilde. Was ist in dem Punsch?“
 

Die Zwillinge kamen jedoch gar nicht dazu etwas zu sagen, weil sich die Frage so eben von selber beantwortete. Ron hatte nicht aufgepasst und einen kräftigen Schluck Punsch genommen, den seine Brüder auf dem Buffet aufgebaut hatten. Plötzlich wurde er grün im Gesicht, ihm wuchsen kleine Hörner auf dem Kopf und er spuckte Feuer.
 

„Drachenpunsch.“, feixte Fred und stieß Harry in die Rippen. „Du musst zugeben, er ist ziemlich beeindruckend nur die Nebenwirkungen sind noch nicht ganz weg.“

Dabei deutete er auf seinen jüngsten Bruder, der nun unter einem gewaltigen Schluckauf zu leiden hatte, wobei ihm immer wieder kleine Flammen aus dem Mund schossen. Wütend sah er zu ihnen herüber.

„Ich werde ihm wohl besser das Gegenmittel geben, sonst grillt Ron uns bei lebendigem Leibe.“, grinste George und trollte sich mit Harrys hicksenden Freund in eine Ecke.

„Ich hab´s ja gewusst.“, sagte Moody triumphierend und sah Harry nachdenklich an. „Deine Verwandten haben sich doch benommen, oder Potter?“

„Ja klar. Es war auszuhalten.“, log Harry. Eigentlich kannte er den alten Haudegen ja noch nicht einmal besonders gut, warum sollte er ihm also erzählen, wie es war den ganzen Sommer über mit Leuten zu verbringen, die einen entweder komplett ignorierten oder mit einer dermaßenen Eiseskälte behandelte, dass man selbst im Hochsommer eine Gänsehaut davon bekam.

„Du lügst nicht besonders gut, Potter.“, stellte der Mann fest. „Dafür brauche ich kein magisches Auge. Was war los?“

„Nichts besonderes, das hätte ich doch geschrieben.“, wich Harry der Frage aus. Warum begriff eigentlich keiner, dass er heute und auch das nächste Jahr einfach nicht mehr über die Zeit bei den Dursleys sprechen wollte? Hatte er denn kein Recht unglücklich zu sein? Sicher hatten sie sich darum gekümmert, dass er inzwischen fast wie ein normaler Mensch behandelt wurde, aber das gab ihnen noch lange nicht das Recht, jede Kleinigkeit aus ihm herauszuquetschen. Außerdem schwankte sein Magen immer noch bedenklich, besonders bei der Aussicht auf „Drachenpunsch“.
 

Moodys unheilvoll rotierendes, magisches Auge behielt mit einem Mal seine Position bei und musterte ihn ausgiebig. „Nimm es dir nicht so sehr zu Herzen, Junge. Was nicht tötet, härtet ab und Unkraut vergeht nicht so schnell.“ Dann drehte er sich um und lies Harry stehen, um sich bei den Zwillingen noch einmal nach dem Rezept für den Punsch zu erkundigen. Die drei versanken sofort in ein Gespräch, aus dem sie in nächster Zeit wohl nicht wieder aufzutauchen würden.
 

„Mann, das war echt ätzend.“, stöhnte Ron neben Harry und hielt sich den Bauch. „Ich dachte, ich platze, wenn ich nicht sofort den Mund aufmache. Außerdem hab ich jetzt einen Hunger, als hätte ich eine Woche lang nichts gegessen. Du auch was, Harry?“

“Nein, lieber nicht. Ich habe mir wohl irgendwie den Magen verdorben.“, antwortete der; ließ sich aber trotzdem von Ron zum Buffet zerren, nahm einen Teller und saß kurz daraus zwischen Hermine und Ginny am Tisch, während Tonks wieder die tollsten Verwandlungen zur Schau stellte. Die beiden Mädchen kamen gar nicht mehr heraus aus dem Lachen und ein bisschen ließ Harry sich auch von der ganzen Fröhlichkeit anstecken. Schließlich war das immer noch sein Geburtstag.
 

Dann fing Ron an Hermine verschwörerische Blicke zuzuwerfen. „Wir müssen Harry doch noch sein Geschenk geben.“, quengelte er so unzufrieden, dass Harry nun wirklich lachen musste. Was Geschenke anging kannte sein Freund keinen Spaß. Hermine versuchte sich zwar noch ein bisschen zu triezen, sah dann jedoch ein, dass da nichts mehr zu machen war.
 

Mit einem strahlenden Lächeln überreichte sie Harry ein großes, in buntes Papier eingepacktes Geschenk. „Noch mal unseren ganz herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Harry. Übrigens auch von Lupin, der damit eigentlich die meiste Arbeit hatte, heute jedoch nicht kommen konnte.“ Dabei deutete sie auf ein Fenster, durch das aufgrund der fortgeschrittenen Stunde bereits der helle Mondschein ins Zimmer fiel. Vollmond.

Gespannt befühlte Harry das Paket. Es schien ein Buch zu sein. Dann riss er einfach das Papier herunter. Zum Vorschein kam ein Fotoalbum ganz ähnlich dem, das er von seinen Eltern besaß. Als er es öffnete, erkannte er, dass es diesmal ein Album voller Fotos von ihm und allen seinen Freunden war.
 

Bilder aus allen Schuljahren, Fotos von Harrys Quidditch-Erfolgen - seine Freunde mussten sich mit Colin Creevey in Verbindung gesetzt haben. Weiterhin Fotos vom Trimagischen Turnier, von der Quidditch-Weltmeisterschaft, sowie Baby-Fotos von allen Mitgliedern des Phönix-Ordens und ganz zum Schluss auch ein Bild von...
 

„Sirius.“, flüsterte Harry tonlos. Das Bild war erst vor ein paar Monaten im Grimmauldplatz Nummer 12 aufgenommen worden. Sirius lächelte ein bisschen schief in die Kamera, während er immer wieder versuchte den Hippogreif Seidenschnabel mit ins Bild zu bekommen. Harrys Augen sogen sich an dem blassen, aber glücklichen Gesicht fest. Immer wieder winkte der Mann auf dem Bild fröhlich in die Kamera und zerrte an der Leine des riesigen Tieres hinter sich.
 

Harry war wie versteinert. Wie durch eine Mauer aus Watte hörte er Hermines Stimme, die ihn fragte, ob ihm das Geschenk gefalle. Er nickte mechanisch und konnte den Blick immer noch nicht abwenden. Sirius...
 

Die Bilder stürmten wieder von allen Seiten auf ihn ein.
 

Der Kampf im Ministerium.
 

Sirius Lachen und seine spöttisch Herausforderung an Bellatrix Lestrage: „Komm schon, du kannst es doch besser!“
 

Dann der rote Blitz, der Sirius mitten in dir Brust traf.
 

Er fiel.
 

Die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen.
 

Der Schleier.
 

Ein letzter Blick auf das Gesicht seines Paten.
 

Dann nichts mehr.
 

Nur noch der Schleier, der nach einer kurzen heftigen Bewegung wieder völlig bewegungslos herabhing.
 

„HARRY!“, schlüpfte eine nicht in die Szene passende Stimme in sein Bewusstsein. „Harry, was ist denn los? Du bist ja ganz bleich!“

Harry schüttelte den Kopf und sah in eine Menge fragender, besorgter Augen. Hermine hielt ihn immer noch am Arm fest, während Ron ihn nur erschrocken anstarrte. Auch alle anderen schwiegen und sahen ihn an. Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Er wollte hier raus.

„Mir ist schlecht. Ich brauch frische Luft.“, rief er dann und drückte sich an den anderen vorbei.

Mrs Weasley rief ihm nach. „Harry, soll einer von uns mitkommen.“

„Nein!“, schrie er noch. „Ich schaff das auch alleine.“, dann stürzte er durch die Tür. Er taumelte durch den Schankraum des Pubs, fand irgendwie den Weg nach draußen und musste sich dort erst einmal übergeben. Ein die Straße entlang kommendes Pärchen schüttelte missbilligend die Köpfe.

„Also so was.“, sagte der Mann. „Diese jungen Zauberer wissen auch nicht mehr, was gut für sie ist.“

Die Frau blieb stehen und musterte Harry genauer. „Ist das nicht Harry Potter?“, wollte sie daraufhin wissen. Harry wartete die Antwort ihres Begleiters nicht mehr ab, sondern stürzte aufs Geratewohl in die Nacht hinaus.
 

Auf der Winkelgasse herrschte immer noch reger, recht fröhlicher Betrieb, so dass er immer wieder aufpassen musste, nicht mit jemandem zusammenzustoßen. Auch hier fühlte er die Blicke, die auf ihm ruhten. Natürlich, er war ja neben Dumbledore und Voldemort der wohl berühmteste Zauberer, den die Zauberwelt kannte. Doch bei diesen Gedanken regte sich kein Freude oder gar Stolz in ihm. Viel mehr überkam ihn eine große Wut, die gleich danach in Trauer und Niedergeschlagenheit umschlug.
 

„Ich bin ja so bekannt.“, dachte er und spuckte noch einmal aus, um endlich den widerlichen Geschmack aus seinem Mund zu vertreiben. Aber der Geschmack blieb, wenn auch die Übelkeit nun ein wenig kleiner geworden war als vorhin. „Aber wirklich kennen tut mich keiner. Sicher haben sie es gut gemeint, aber… ach verdammt.
 

Die ganzen Erinnerungen, die er über den Sommer so erfolgreich verdrängt hatte, kamen nun ebenso wie sein Mittagessen wieder hoch und belagerten seinen Geist. Die Bilder von Sirius, als er noch glücklich war. Bevor Harry ihn leichtsinnigerweise durch sein Handeln dazu gebracht hatte, ihm in das Ministerium zu folgen. Er hatte Dumbledore Erklärungen gehört, dass der Schulleiter selber es war, der an allem Schuld war, dass er den Überblick verloren hatte und nicht Harry die Schuld an Sirius Tod traf. Dass es Dumbledore gewesen war, der die Verantwortung trug, weil er der Ältere war und alles gewusst hatte. Doch jetzt war das alles so lächerlich, denn es brachte seinen Paten nicht zurück. Niemand konnte das, obwohl er es sich wünschte wie sonst nichts auf der Welt.
 

Harry fühlte die Tränen in seine Augen steigen und würgte sie mit dem bitteren Geschmack zusammen wieder nach unten. Er hatte genug geweint, er wollte nicht mehr. Schon gar nicht hier, mitten auf der Straße, wo seine Freunde wahrscheinlich bald anfangen würden nach ihm zu suchen. Unbewusst suchte er eine Seitenstraße auf und ließ sich von dem dort herrschenden Dämmerlicht verschlucken. Hier achtete niemand auf ihn, und so schlang er die Arme um sich und ging ziellos die Gasse entlang. Immer tiefer geriet er in das Gewirr der hinter der Winkelgasse liegenden Straßen und hob irgendwann den Kopf, um sich umzusehen. Hier war es viel dunkler, denn meist diente nur der Mond als Beleuchtung, der jedoch zwischen den Häusern nicht so recht durchzudringen schien. Er fröstelte, mehr aus einem Gefühl innerer wie äußerer Kälte heraus. Vielleicht sollte er sich langsam wieder auf den Rückweg machen, bevor sich noch jemand Sorgen um ihn machte.
 

Da ertönte eine heisere Stimm hinter ihm. „Wen haben wir denn da? Einen hübschen, jungen Mann, nicht wahr, Mafalda. Sieh nur, er hat sich verlaufen.“
 

Harry drehte sich ruckartig um und seine Hand glitt zu seinem Zauberstab, den er trotz Moodys Warnung oft genug in der Hosentasche trug. Vor ihm stand eine alte Hexe, der Rücken war gebeugt und ihr weißes Haar hing ihr in Strähnen vom Kopf. Ihre Augen starrten Harry an, ohne dass er das Gefühl hatte, dass sie ihn wirklich sah. Suchend schaute er sich nach der zweiten Person um, mit der sie gesprochen hatte, doch da war niemand.

„Sieh nur, Mafalda. Er ist schlau, der kleine Bursche. Immer wachsam, so ist es gut. Doch du has recht, Mafalda. Er sieht aus, wie jemand, der uns gebrauchen kann. Der unseren Rat gebrauchen kann.“
 

Sie kicherte irre und Harry lief es kalt den Rücken hinunter. Offensichtlich war die Frau nicht ganz richtig im Kopf. Er wollte gar nicht wissen, was für einen tollen Rat sie wohl für ihn haben mochte. Von Leuten, die wussten, was gut für ihn war, hatte er heute sowieso die Nase voll. Gerade wollte er sich einfach umdrehen und aus der Gasse eilen, da kam sie auf ihn zu und hielt ihn mit erstaunlicher Kraft fest.

„Warte mein Junge, ich will dir doch nur helfen.“, flüsterte sie eindringlich.
 

Er riss sich ängstlich los. „I-ich brauche keine Hilfe, vielen D-dank“, stotterte Harry und wollte erneut fliehen, so schnell es sein Magen und seine Beine erlaubte, doch was sei dann sagte, ließ ihn zögern.

„Dann bist du also nicht auf der Suche nach jemandem, den du verloren hast, mein Junge?“ Ihre Stimme schien nun völlig klar und als er sie anblickte, traf ihn ein Blick aus tiefschwarzen Augen, die sich tief in seine Gedanken fraßen.
 

Unwillkürlich öffnete er den Mund und fragte verblüfft. „Woher wissen Sie das?“

Sie kicherte erneut. „Oh, er fragt, woher wir das wissen, Mafalda, hast du das gehört. Er ist ja so ein dummer Junge. Weiß er denn nicht, dass man das sieht, wenn man das gesehen hat, was wir gesehen haben. Nein, das weiß er nicht, altes Mädchen. Weiß er nicht, der dumme Junge.“

Harry ging zögernd auf die alte Frau zu, die immer noch vor sich hinbrabbelte. War das, was sie sagte nur dummes Gerede oder wusste sie wirklich, was mit Harry los war. Er wartete, doch sie schien ihn schon wieder vergessen zu haben. Vorsichtig sprach er sie an. „Miss ähm..., ich weiß ja nicht, was sie mir so unbedingt erzählen wollten, aber was meinten sie damit, als Sie sagten, man sieht es mir an? Was sieht man mir an?“
 

„Oh mein armer Junge. All das Leid. Den Schmerz. Den Verlust. Du hast jemanden verloren, der sehr wichtig für dich war, oder?“ Sie schien nun wieder klar im Kopf zu sein, doch dann trübte sich der Blick wieder und sie lachte. „Na sieh nur, wie er neugierig ist, der kleine Junge. Sieh es dir an, Mafalda.“

Harry wurde böse und herrschte sie an. „Ich bin kein kleiner Junge. Wenn sie etwas wollen, dann sagen sie es, sonst gehe ich jetzt.“ Er tat so, als wolle er sich umdrehen, doch sie war schneller.
 

„Aber willst du denn nicht wissen, was ich dir zu erzählen habe, mein Junge? So ein dummer Junge, der nicht hören will, was Mafalda und ich zu erzählen haben.“ Ihr Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, das den Blick freigab auf erstaunlich gut erhaltene Zähne. Irgendwie hatte er etwas anderes erwartet. Auch die Kleidung, die sie trug, war zwar alt, und völlig aus der Mode gekommen, aber sauber und nicht halb so verschlissen, wie er im ersten Moment angenommen hatte. Sie roch auch nicht unangenehm. Wer war diese Frau? Wusste sie etwas von Sirius?

Er wurde neugierig. „Warum wollen Sie unbedingt mit mir reden, ich kenne sie doch gar nicht?“, fragte er immer noch misstrauisch. Schließlich musste man hier in den Seitenstraßen mit allem rechnen. Hermine würde ihm nachher bestimmt die Hölle heiß machen, doch das war ihm im Moment ziemlich egal. Sogar sein Magen schien sich ein bisschen beruhigt zu haben.
 

Die Frau bekam wieder diesen verschleierten Blick und sagte verträumt. „Ich suchte auch mal etwas vor so langer Zeit. Erinnerst du dich Mafalda. Michael war gerade von uns gegangen, als er zu uns kam, nicht wahr. Du hast ihn noch gekannt, Mafalda, den alten Michael Mullingtow. Was war das für ein Mann.“ Sie schien sich schon wieder in ihren Erinnerungen und Selbstgesprächen zu verlieren, denn offensichtlich war niemand anders als sie selbst, diese mysteriöse Mafalda.
 

“War Michael Mullingtow ihr Mann?“, fragte er leise.

Sie strahlte. „Siehst du, er ist ja so ein kluger Junge, Mafalda. Ich hab es gleich gewusst, dass er es versteht. Nett sagst du? Natürlich ist er nett.... Ob ich wirklich? Na sicher will ich ihm davon erzählen.“
 

Sie schien sich über irgendetwas sehr zu ärgern. „Ach was, gefährlich. So ein kluger Junge. Er wird schon wissen, was er zu tun hat... Nein ich schäme mich nicht. Es ist höchste Zeit. Sie werden ungeduldig. Ich habe nicht mehr viel Zeit.“ Zum Schluss hatte sie sich suchend umgesehen und sich ein wenig tiefer in den Schatten gedrückt, so dass Harry sich unwillkürlich ebenfalls umsah. Von wem sprach sie?
 

Ganz nahe kam die Frau nun an ihn heran. „Lass dich nicht von Ihnen verwirren, Junge. Sie sind heimtückisch, aber sie wissen es. Sie wissen, was auf der anderen Seite ist, nur sagen sie es dir nicht.“ Ihre Augen hatten nun einen panischen Ausdruck angenommen und sie sah sich immer wieder nach allen Seiten um.

„Aber was soll das denn heißen. Wer sind SIE? Wie soll er mir helfen? Sagen Sie es mir!“ Er versuchte, die Frau festzuhalten, doch sie riss sich los und lachte meckernd. „Er wartet auf dich, mein Junge. Aber nicht für immer. Beeil dich, sonst ist er für immer verschwunden.“

Auf einmal verfiel sie in ein lautes Kreischen, das in der kleinen Gasse von den Wänden widerhallte und seine Ohren zum Klingen brachte. „Ich will nicht, geht weg. Nehmt den Jungen. Ihr braucht mich doch gar nicht. GEHT WEG!“, schrie sie, und gleich darauf mit ausgebreiteten Armen durch die Straße zu laufen und „ICH BIN HIER!“ zu rufen. Immer lauter wurde sie, so dass er sich irgendwann die Ohren zuhielt. In den oberen Stockwerken ging schon das Licht an und einige zornige Stimmen wurden laut und riefen, sie sollte endlich Frieden geben.
 

Dann verschwand die Frau um eine Ecke und das Geräusch verstummte schlagartig. Die Lampen gingen langsam alle wieder aus und Harry stand allein in der Dunkelheit. Verzweifelt versuchte er einen Sinn in das zu bringen, was ihm die Frau gerade erzählt hatte. Seine Neugier regte sich. Was hatte das alles mit seinem verstorbenen Paten zu tun? Gab es doch eine Möglichkeit, noch einmal mit ihm in Kontakt zu treten? Das war sicherlich nicht erlaubt, doch das kümmerte Harry im Moment wenig.
 

Er wollte sie nicht aus den Augen verlieren und jagte ihr nach. Als er um die Ecke bog, wäre er fast über etwas gestolpert. Im letzten Moment fing er sich wieder und stolperte ungeschickt einige Schritte vorwärts. Beiläufig warf er einen kurzen Blick auf sein Hindernis und erstarte wieder. Das war doch nicht möglich.
 

Dort auf der Erde lag die alte Frau, deren Gesicht mit völlig leblosen Augen gegen den Nachthimmel starrte. Unbewusst bemerkte Harry, dass sie nicht älter als fünfzig sein konnte, was jedoch so gar nicht zu ihrem altmodischen Aufzug und ihren schlohweißen Haaren passen wollte. Das alles änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass sie tot war. Ihre Hand hatte sich über ihrem Brustkorb verkrampft, das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt. Was war da passiert?
 

Ihn beschlich das merkwürdige Gefühl, das er beobachtet wurde. Erschrocken blickte er auf und versuchte im Dunkeln irgendwas zu erkennen. Aber er sah nicht, außer der Dunkelheit, die sich nun in allen Ecken zusammenzurotten schien. Die einzige Fackel, die einige Meter entfernt an der Wand hing, war wohl kurz vor dem Verlöschen, denn es wurde immer dunkler.
 

Sein Beobachter, wenn es ihn denn gab, hatte auf jeden Fall die besseren Karten. Harry wurde klar, dass er schleunigst zusehen sollte, dass er wieder auf die belebte Straße kam, doch er rührte sich nicht. Auch die wenigen Geräusche, die bis jetzt noch zu hören gewesen waren, schienen verstummt zu sein.
 

Er starrte in die Dunkelheit vor sich, durch die er musste, um wieder zur Winkelgasse zu gelangen. Die eiskalte Hand der Angst griff nach seiner Kehle und eine merkwürdige Kälte umfing ihn. Was war denn nur los? Er musste jetzt gehen und das sofort. Sonst würde etwas ganz Schreckliches passieren, das spürte er jetzt überdeutlich. Seine Sinne arbeiteten mit Hochtouren und er fing unmerklich an zu zittern. Er wollte schreien, weglaufen irgendetwas tun, doch er schaffte es nicht, auch nur zu blinzeln.
 

Immer noch starrte er in das Dunkel, das sich nun zusammenzuziehen schien, zu einer noch tiefern Schwärze, die fast ein Loch in die Wirklichkeit zu brennen schien. Ein Teil der Dunkelheit löste sich von dem Rest und kam langsam, aber unaufhaltsam auf Harry zu.

Harry glaubte, dass sein Brustkorb jeden Moment zerspringen müsse, von den gewaltigen Schlägen, mit denen sein Herz dagegen hämmerte. Sein Magen rebellierte wieder und er fühlte heiße Magensäure seine Speiseröhre emporsteigen, doch immer noch konnte er sich nicht auch nur einen Zentimeter bewegen. Er versuchte sich loszureißen, zu fliehen um Hilfe zu schreien, doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr.
 

Das Dunkel stand nun vor ihm und er hatte immer noch das Gefühl, dass ihn unsichtbare Augen anstarrten, ihn musterten und ihn bis in sein Innerstes durchleuchteten. Dann begann sich eine undeutliche Gestalt aus der Dunkelheit zu bilden, Immer definierter wurden ihr Züge und er fühlte Panik wie ein wildes Tier in sich wüten, immer noch zur Regungslosigkeit verdammt, bis ihn dieses fürchterliche Wesen berühren und vernichten würde.

Ein Gesicht formte sich dort, wo sich Harrys Gefühl, angesehen zu werden, am stärksten konzentrierte. Er fühlte noch einen letzten, prüfenden Blick, dann war es vorbei und die Klammer, die sich um seinen Brustkorb gelegt hatte, zersprang. Die Gestalt drehte sich langsam um und ging. Während sie sich von Harry entfernte, hatte er auf einmal ein unheimliches Gefühl von Vertrautheit; fast so als würde er denjenigen kennen, der ihm dort den Rücken zudrehte.
 

Hin und her gerissen zwischen dem Impuls, dem Schatten nachzujagen und dem, hier bei der Frau zu bleiben, war Harry nicht fähig, eine Entscheidung zu treffen. Dann gab er sich einen Ruck. Er konnte sowieso nichts mehr für die Frau tun, dann konnte er genauso gut diesem mysteriösen Schatten folgen. Irgendwie hing er mit Sirius und dessen Tod zusammen, das hatte Harry ganz deutlich gespürt. Er musste es einfach wissen. Vielleicht hatte sein Pate doch eine Möglichkeit gefunden zurückzukehren. Hoffnung flammte in ihm auf.
 

Mit einem Satz war er über die Frau hinweg und stürzte durch die Gassen. Vor sich sah er immer wieder die Schattengestalt, die Sirius immer mehr ähnelte. Er musste ihn finden, musste noch einmal mit ihm reden und sich wenigstens verabschieden.

Als er ihn fast erreicht hatte und ihm schon so dicht war, dass er nur noch die Hand auszustrecken brauchte, um ihn zu berühren, bog der Mann um eine Ecke und als Harry ihm ohne hinzusehen folgte, rannte er in jemanden hinein. Er prallte zurück, fiel zu Boden und er hörte eine höchst bekannte Stimme sagen:
 

„Harry, mein Junge. Da bist du ja endlich.“
 

Als er den Kopf hob und die Gestalt anblickte, die sich zu ihm herunterbeugte, fühlte er heiße Tränen in seinen Augen, doch er hatte nicht mehr die Kraft sie zurückzuhalten.
 

Eine Hand streckte sich ihm entgegen. „Ist ja gut, ich bin doch bei dir.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2004-11-25T23:24:44+00:00 26.11.2004 00:24
Oooh, spannend! Kenne zwar Sirius nicht, außer von Fanarts, aber man bekommt eine gute ahnung davon, wie wichtig er Harry war.

Korinthen für dieses kapitel:

>Harry ließ sich von Hermine durch den gut besuchten Pur ziehen

Pur, ja die Band kenn ich... *g*

>Ihr habt doch was im Schilde.

Heißt das nicht was im Schilde "führen"?
Und ein paar klitzekleine Tippfehlerchen.

Ansonsten, wär's nicht schon gleich halb eins nachts und müsste ich nicht morgen früh raus, würde ich glatt weiterlesen!

RH
Von: abgemeldet
2004-10-14T15:10:26+00:00 14.10.2004 17:10
super!
hm, schreib doch bald weiter, ja?
ich hoff bis zum nächsten teil
susui
Von:  Allonsy-Alonso
2004-10-14T14:12:50+00:00 14.10.2004 16:12
Wirklich super Kapitel!
Schreib bald weiter (bzw. Hauptsache du schreibst überhaupt weiter)
Deine SD
Von: abgemeldet
2004-10-14T12:52:34+00:00 14.10.2004 14:52
Diese Frau hat mich voll an Gollum erinnert *gg* Ich hab ständig darauf gewartet, dass sie "nicht wahr, meins chatz?" sagt... *gg* wieso legst du die FF auf eis? O.o
na ja, wenigstens nur für einige zeit. schreibst du dann an "weltenwandler" öfters weiter?


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