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Seelenschatten

wenn das Dunkel sich erhebt
von

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Spiegelbilder

No fear von The Rasmus
 

You lived your live like a sleeping swan

Your time has come to go deeper

Your final journey's just begun

But destiny chose the reaper
 

Rain falls down from the northern skies

Like poisoned knifes with no mercy

Close your eyes for the one last time

Sleepless nights from here to eternity
 


 

Spiegelbilder
 

Den Kopf voller Gedanken, den reparierten Spiegel in seiner Tasche, saß Harry auf seinem Bett und lauschte den gleichmäßigen Atemzügen seiner Klassenkameraden. Immer wieder glitt seine Hand in Richtung des Spiegels, nur um sie kurz darauf wieder zurückzuziehen. Eigentlich war es viel zu spät, um sein Vorhaben heute noch in die Tat umzusetzen. Wie wahrscheinlich war es, dass Narzissa Malfoy ausgerechnet um halb zwei Uhr nachts Sirius alten Spiegel in der Hand hielt und darauf wartete, dass durch ihn jemand versuchte mit ihr Kontakt aufzunehmen? Und warum fielen ihm diese Dinge eigentlich immer erst hinterher ein? Und warum saß er bereits seit über einer Stunde regungslos im Dunkel herum, unfähig, auch nur die kleinste Entscheidung zu treffen und sei es auch nur die, endlich schlafen zu gehen?
 

Irgendwann musste er dann schließlich doch eingeschlafen sein, denn als er die Augen aufschlug, war es draußen bereits hell und die Betten der andere ebenso leer wie der Gemeinschaftsraum, in den Harry kurze Zeit später stolperte. Ein entsetzter Blick auf seine Armbanduhr bestätigte ihm seinen Verdacht: Er hatte verschlafen und zwar so gründlich, dass die erste Stunde sich bereits ihrem Ende zuneigte. Zuerst wollte er schon wieder in den Schlafsaal zurückstürmen, um seine Sache zu holen, doch dann ließ er sich lediglich in einen der Sessel fallen. Eine Strafarbeit würde er ohnehin bekommen, so dass nicht viel Sinn darin lag, sich noch groß zu beeilen. Eine von Freds und Georges Nasch- und Schwänzleckereien wäre ihm jetzt recht gelegen gekommen, denn soweit er wusste, hatte Madame Pomfrey bis jetzt noch nicht herausgefunden, woher die angestiegene Zahl von Spotanerkrankungen vor unangenehmen Schulstunden kam. Aber da er keine hatte, würde er wohl oder übel pünktlich zum nächsten Unterricht erscheinen müssen. Bis dahin hatte er allerdings noch zwanzig Minuten Zeit und die wollte er nutzen.
 

Kurzentschlossen griff Harry nach dem Zwei-Wege-Spiegel. Zwei grüne Augen sahen ihm daraus entgegen, umrandet von unübersehbaren, dunklen Schatten. Sie verschwanden hinter einer weißen Nebelwand, als Harry gegen den Spiegel hauchte und ihn kurz mit einem Zipfel seines Umhangs polierte. Doch schließlich waren alle Vorbereitungen getroffen und Harry blieb nur noch Eines zu tun übrig.

„Narzissa Malfoy.“, flüsterte er kaum hörbar.

Die Worte schienen wie von selbst aus seinem Mund zu schlüpfen und unaufhaltsam auf die Oberfläche des Spiegels zu treffen. Dieser begann wie schon beim ersten Mal sanft zu leuchten und ein weiße Punkte begannen darin auf und abzutanzen. Dann klärte sich das Bild plötzlich auf und er bekam etwas sehr Eigenartiges zu sehen. An einem undefinierbaren, länglichen Etwas vorbei hatte Harry einen hervorragenden Blick in zwei ernorme Nasenlöcher, die zu etwas gehörten, dass man schon her eine Schnauze als eine Nase nennen konnte.

„Wo soll Kreacher diese Sachen hinbringen, junge Herrin?“, fragte der Besitzer der enormen Nase gerade. Jetzt konnte Harry auch Teile fledermausartiger Ohren, aus denen weiße Haarbüschel sprossen erkennen. Sie gehörten ohne Zweifel Kreacher, dem ihm nur allzu bekannten Hauselfen der Familie Black. Mit einem angewiderten Ausdruck auf dem faltigen Gesicht spähte Kreacher in die Kiste, in der sich ganz offensichtlich der Zwei-Wege-Spiegel befand. Seine blutunterlaufenen Augen wurden groß, als sein Blick sich mit Harrys kreuzte, und obwohl das eigentlich unmöglich schien, trat ein Ausdruck noch größeren Widerwillens auf sein runzliges Gesicht. Mit schnarrender Stimme verkündete er:

„Kreacher sieht sich gezwungen der jungen Herrin mitzuteilen, dass sich das Gesicht dieses Potter-Jungen in der Kiste befindet, die er gerade trägt.“

„Was für ein Unfug.“, hörte Harry eine Frauenstimme aus dem Hintergrund. „Ich bin heute nicht zu Scherzen aufgelegt, Kreacher. Sieh zu, dass du diese Kiste endlich in die Küche hinunter bringst.“

„Kreacher bittet vielmals um Verzeihung für seine Ungehörigkeit, doch er muss auf der Wahrheit seiner Aussage bestehen, junge Herrin.“, verkündete Kreacher und brachte trotz der Tatsache, dass er die Kiste trug, einer Verbeugung zustande.

Harry konnte Schritte hören und dann beugte sich Narzissa Malfoy über die Kiste. Sie schien im ersten Moment sehr überrascht zu sein, dann jedoch griff sie nach dem Spiegel und hob diesen auf.

„Harry Potter?“, sagte sie fragend. „Wie kann das sein?“

„G-Guten Morgen, Mrs. Malfoy.“, nuschelte Harry. Innerlich schalt er sich einen Dummkopf und herrschte sich selbst an, sich endlich zusammenzureißen. Schließlich hatte er das hier im Kopf schon an die tausend Mal durchgespielt. „Ich hoffe, ich störe Sie nicht?“

Jegliches Erstaunen war inzwischen aus dem Gesicht seines Gegenübers gewichen. Stattdessen verzog Mrs. Malfoy die Lippen zu einem freundlichen Lächeln. „Aber nein, Mister Potter. Wie könnte so ein reizender, junger Mann wohl in der Lage sein, mich zu stören.“

Sie wendete den Spiegel einen Moment lang von ihrem Gesicht ab und zischte etwas Unfreundliches in den Raum. Als Antwort ertönte unverständliches Gemurmel, das sich verdächtig nach einem verstimmten Hauselfen anhörte, und kurz darauf fiel eine Tür ins Schloss.

„Wir sind nun unter uns.“, erklärte Mrs. Malfoy. „Was beschert mir die Ehre ihres…nun etwas ungewöhnlichen Besuchs? Und was ist das für ein Spiegel?“

Harry leckte sich nervös über die Lippen und fing erst langsam, dann aber flüssiger an zu erzählen, woher er den Spiegel hatte und wie er schließlich auf die Idee gekommen war, sie wegen Hagrids Verhandlung um Hilfe zu bitten. Als er geendet hatte, herrschte für eine Weile Stille. Es war nicht erkennbar, wie Mrs. Malfoy auf seine Bitte reagieren würde. Harrys Herz klopfte so laut, dass er meinte, man hätte es eigentlich auch durch den Spiegel hören müssen.
 

„Nur dass ich Sie richtig verstehe.“, nahm Mrs. Malfoy das Gespräch schließlich wieder auf und sie schien nicht besonders begeistert zu sein. „Sie verlangen von mir, dass ich mich im Ministerium dafür einsetze, dass die Anhörung dieses…Hagrid verschoben wird. Und das obwohl er nachweislich einen gefährlichen Riesen auf dem Schulgelände beherbergt hat, der nicht nur für das Leben dieser…Miss Granger, sondern auch für das der anderen Schüler, insbesondere für das meines Sohnes, eine ernsthafte Bedrohung darstellte?“

„J-ja“, stammelte Harry. Er hatte ja gewusst, dass es nicht einfach werden würde, aber mit dieser Reaktion hatte er nicht wirklich gerechnet. Zumindest hatte er gehofft, dass sie anders ausfallen würde. Verzweifelt suche er nach Argumenten, um ihre Bedenken zu zerstreuen.

„Ich glaube aber nicht“, platzte er schließlich in das erneute, unangenehme Schweigen hinein, „dass Draco jemals ernsthaft in Gefahr war. Er hätte sich den Riesen sicherlich ganz leicht vom Hals zaubern können.“

Eine kleine Stimme in seinem Kopf bekam bei diesem Satz einen mittleren Tobsuchtsanfall und verlangte vehement zu wissen, seit wann er Draco Malfoy für einen begabten Zauberer hielt. Eine andere beglückwünschte ihn jedoch zu diesem genialen Einfall. Tatsächlich schien Mrs. Malfoy von dieser Vorstellung recht angetan zu sein.

„Sie haben natürlich Recht, Mister Potter.“, schnurrte die blonde Frau und sah ihn selbstzufrieden an. „Also gut, ich werde sehen, was ich für Sie tun kann. Sobald ich Näheres weiß, werde ich Ihnen eine Eule schicken.“

“Nein!“, sagte Harry schnell. Lebhafte Bilder von Szenen am Frühstückstisch schossen ihm dabei durch den Kopf. „Keine Eule. Ich möchte nicht, dass jemand etwas von dieser Sache mitbekommt. Können wir nicht irgendwie…durch den Spiegel in Verbindung bleiben?“

„Wie Sie wünschen, Mister Potter.“, antwortete Mrs. Malfoy mit einem amüsierten Glitzern in den Augen. „Dann bleibt diese Sache also bis auf weiteres unser kleines Geheimnis.“

„Danke.“, konnte Harry noch sagen, bevor ihn ein Geräusch herumfahren ließ. Das Potraitloch hatte sich geöffnet; jemand kam in den Gemeinschaftsraum. Schnell ließ er den Spiegel in einer Tasche seines Umhangs verschwinden.
 

„Ich verstehe wirklich nicht, warum dieser Weasley eigentlich im Beisein andere Leute zaubern darf. Hast du gesehen, wie er meinen besten Federkiel eingeäschert hat, nur weil seine Augen an Hermine klebten?“, schimpfte Lavender lautstark und ihre beste Freundin Pavarti machte ein mitfühlendes Gesicht.

„Ja, grässlich. Aber weißt du, ich wüsste aber wirklich gerne, ob er und Hermine…“

Die Mädchen verstummten, als sie Harry bemerkten. Unschlüssig sahen die beiden erst sich und dann Harry an.

„Du wirst Ärger bekommen.“, brach Lavender schließlich das Schweigen. „Professor Flitwick war nicht gerade erfreut darüber, dass du…“

„Dass ich was?“, fragte Harry scharf.

„Naja…“, druckste Lavender herum. „Die anderen aus eurem Schlafsaal haben gemeint, sie wüssten nicht, was mit dir ist. Aber du wärst nicht bei Madame Pomfrey gewesen.“

„Stimmt.“, fauchte Harry ärgerlich. „Ich hab verschlafen und die anderen waren so freundlich, mich nicht zu wecken.“

„Hey!“, mischte sich nun Pavarti ein. „Dann mach uns doch nicht an. Wir haben schließlich bei euch im Schlafsaal nichts verloren.“
 

Irgendetwas an dieser Feststellung schien offensichtlich sehr komisch zu sein, denn die beiden Mädchen brachen daraufhin in albernes Gekicher aus, so dass Harry sich schließlich schneller, als er es eigentlich vorgehabt hatte, zu den Gewächshäusern begab. Dort angekommen fragte er sich jedoch, ob Pavartis und Lavenders Anwesenheit nicht der seiner so genannten Freunde vorzuziehen gewesen wäre.

Dean und Seamus waren in ein ebenso lautes, wie gekünstelt wirkendes Gespräch über die letzten Quidditch-Ergebnisse vertieft und Ron hörte Hermines Ausführungen über seine Fehler in der vorangegangenen Verwandlungsstunde so interessiert zu, als sei sie es, die über Quidditch reden würde. Einzig Neville stand etwas verloren in der Gegen herum und versuchte, sich hinter seinem Verwandlungsbuch zu verstecken. Die Wirkung dieser Tarnung wurde allerdings stark dadurch gemindert, dass er das Buch verkehrt herum hielt.

Resigniert kramte Harry ebenfalls ein Buch hervor und tat so, als würde er lesen. In Wahrheit machten seine Gedanken jedoch Überstunden. Wieso hatte ihn keiner der andere geweckt? Am meisten wurmte es Harry, dass nicht einmal Ron sich auf seine Seite geschlagen hatte, und so verbrachte er den Rest der Stunde allein an seinem Tisch und versuchte krampfhaft, eine Kröte in einen Teekessel zu verwandeln. Entnervt gab er auf, als der Kessel zum achten Mal vom Tisch hüpfte. Nicht ohne Befriedigung stellte er fest, dass Rons Kessel immer noch quakte.
 

Nach dem Ende der Stunde Harry verspürte wenig Lust, sich weiterhin anschweigen zu lassen, und so beschloss er, die Mittagspause lieber allein zu verbringen. Er wickelte sich lediglich ein paar belegte Brote in eine Serviette und stahl sich dann hinter dem Rücken von Hausmeister Filch vorbei, der gerade damit beschäftigt war, zwei Drittklässler zu schelten, deren fangzähnige Frisbee einen Erstklässler erwischt hatte. Der heulende Junge stand wie ein Häufchen Elend daneben und hielt sich das Ohr, während Blut langsam über sein Handgelenk auf seinen Ärmel tropfte.

Völlig in diesen Anblick vertieft, merkte Harry nicht, wohin er trat, und stolperte somit über Mrs. Norris, die zunächst neugierig Harrys herumkullernde Brote begutachtete und dann ohrenbetäubend zu maunzen begann. Filch ließ sofort die Frisbee Frisbee sein und nahm Harry ins Visier, der sich inzwischen aufgerappelt hatte und versucht, Staub und Schmutz von seinem Mittagessen zu entfernen.

„Es ist verboten, Lebensmittel aus der Großen Halle mitzunehmen.“, frohlockte Filch. „Das gibt eine saftige Strafarbeit.“

Einen Moment lang war Harry versucht, ihm eine freche Antwort zu geben, doch dann zuckte er nur mit den Schultern, ließ seine Beute wieder fallen und drehte sich wortlos um. Er ignorierte Filchs´ Geschrei, er solle gefälligst die Schweinerei wieder wegputzen, und machte sich auf den Weg in den Kerker.

Es war nicht so, dass er besondere Sehnsucht nach Snapes Unterricht hatte, aber wenigsten würde er so nicht riskieren, noch eine Strafarbeit zu bekommen und zweitens konnte er dort unten ungestört darauf warten, dass sich Malfoys Mutter bei ihm meldete. Denn vielleicht…ja sogar ganz wahrscheinlich war sie seiner Bitte schon nachgekommen und würde schon bald versuchen, ihn durch den Spiegel zu erreichen.
 

Aber die Mittagspause verrann ebenso wie der nächsten Tag, ohne dass der Spiegel irgendeinen Muckser von sich gab. Wieder und wieder war Harry versucht, erneut selbst Kontakt mit Mrs. Malfoy aufzunehmen, doch dann kam immer irgendetwas oder irgendjemand dazwischen.

Am Morgen des schicksalhaften Freitags jedoch, öffnete sich die Tür zur Großen Halle mit einem Knall und Hagrid stürmte hindurch. Seine Haare, sein Bart und sein langer Mantel troffen vor Feuchtigkeit, doch auf seinem Gesicht zeigte sich ein Strahlen, dass dem schönsten Sommertag Konkurrenz machen konnte. Am Gryffindor-Tisch angekommen packte er die völlig in ein Buch versunkene Hermine ganz unvermittelt, wirbelte sie im Kreis herum und rief immer wieder: „Sie ha´m ihn verlegt! Is´ das nicht toll?“

Reichlich derangiert und ebenfalls von oben bis unten durchnässt befreite sich Hermine schließlich aus Hagrids feuchter Umarmung. „Wen um alles in der Welt haben sie verlegt, Hagrid?“, fragte sie halb lachend, halb ärgerlich ihr nasses Buch betrachtend.

„Na den Termin!“, erklärte Hagrid ungeduldig. „Wir ha´m jetzt Zeit bis Ende Oktober. Um Grawp da rauszuhaun. ´S ist wie ein Wunder…“

Jetzt begann auch Hermine zu strahlen und fing sofort an, Hagrid eine Liste von Büchern aufzuzählen, die Madame Pomfrey ihr besorgen könne. Der nickte nur immer wieder begeistert und tropfte derweil den Fußboden voll. Ein wirklich rührendes Bild…

In ihrer Freude achteten jedoch weder Hermine noch Hagrid auf Harry. Warum sollten sie auch? Schließlich hatten sie keine Ahnung, woher dieser plötzliche Aufschub gekommen war. Ein Einwurf von Harry hätte genügt, um sich selbst wieder in ein besseres Licht zu rücken. Unter diesen Umständen hätte es wahrscheinlich noch nicht einmal jemanden gestört, dass er sozusagen “mit dem Feind kollaboriert“ hatte.

Aber Harry schwieg.

Er ignorierte auch den fragenden Blick von Ron, der inzwischen ebenfalls am Frühstückstisch erschienen war und sich wahrscheinlich keinen Reim auf Harrys Verärgerung machen konnte. Ja, es fiel Harry selbst schwer zu sagen, warum er sich eigentlich nicht recht freute. Sein Plan hatte funktioniert, doch trotzdem nagte die Eifersucht an ihm. Was hatte er denn schon groß getan? Sicherlich würde Hermine ihm jetzt mit ihren ach-so-tollen Vorschlägen und ihrer Buchwälzerei den Rang ablaufen. Abrupt stand Harry auf und verließ fluchtartig die Halle, ohne noch ein weiteres Wort an Hagrid oder sonst jemanden zu richten. Ihm war bewusst, wie das aussehen musste, doch er konnte den Anblick dieser freudestrahlenden Gesellschaft, von der er kein Teil war, einfach nicht mehr ertragen.
 

Ungeduldig wartete er den Abend ab. Unter dem Vorwand, müde zu sein, zog er sich bereits lange Zeit vor dem Zapfenstreich in den Schlafsaal zurück. Wenn man es genau nahm, war er auch müde. Eine merkwürdige Erschöpfung hatte sich seiner bemächtigt, und so zog er nur zu gerne den Vorhang seines Bettes zu und richtete seine verbliebene Aufmerksamkeit auf den Spiegel. Wie er gehofft hatte, erschien kurz darauf das Gesicht von Narzissa Malfoy darin.

„Mister Potter!“, lächelte sie. „Ich dachte mir schon, dass sie mich heute erneut kontaktieren würde. Ich habe mir extra ein wenig Zeit für unser Gespräch genommen.“

Ein wenig verlegen grinste Harry zurück. „Ja, ich wollte mich bedanken. Ich hab gehört, dass der Termin für Hagrids Anhörung verschoben worden ist. Danke…“

Dann wusste Harry nicht mehr, was er sagen sollte. Es überraschte ihn, dass sich tatsächlich jemand Zeit für ihn genommen hatte und jetzt wusste er nicht, was er damit anfangen sollte. Schließlich schien sich seine Mitmenschen im Allgemeinen nicht besonders für ihn zu interessieren, wenn er nicht gerade die Welt rettete. Doch seine Unsicherheit schien unbegründet, denn Mrs. Malfoy erwies sich als äußerst geduldige Zuhörerin.

So ertappte Harry sich schließlich dabei, ihr sogar von der Szene mit Hagrid und Hermine zu berichten, die sich am Morgen abgespielt hatte. Er verschwieg auch nicht, wie er sich dabei gefühlt hatte und beschwerte sich zudem darüber, dass niemand auf die Idee gekommen war, ihn irgendwie in diese Sache mit einzubeziehen. Eigentlich hatte er all das gar nicht erzählen wollen, doch irgendwie hatten sich seine Sätze verselbstständigt und nun betrachtete er hilflos die Situation, in die ihn sein vorschnelles Mundwerk gebracht hatte. Trotz des Verständnisses, dass Mrs. Malfoy ihm und seiner Enttäuschung entgegen brachte, war ihm die ganze Sache mit einem Mal fürchterlich peinlich und er entschuldigte sich knapp mit der Erklärung, jemand würde die Treppe hinauf kommen, und löschte den Spiegel.

Atemlos lauschte er nach Schritten auf der Treppe, für einen Moment lang überzeugt von seiner eigenen Lüge. Das Einzige, was er jedoch wahrnahm, war die fast vollkommene Dunkelheit um ihn herum und das Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Natürlich kam noch niemand in den Schlafsaal hinauf, denn schließlich war morgen Samstag und die anderen Schüler würden bis zum letztmöglichen Augenblick im Gemeinschaftsraum verweilen. In dem schmerzlichen Bewusstsein, nicht zu ihnen zu gehören ließ Harry sich in die Kissen sinken, die Hand um den kleinen Spiegel geschlossen.
 

Auch in der nächsten Zeit blieb der Spiegel Harrys ständiger Begleiter. Immer öfter suchte er das Gespräch mit Mrs. Malfoy, die als Einzige immer ein offenes Ohr für seine Gedanken zu haben schien. Allerdings war es auch schwierig, den Spiegel all zu oft zu benutzen. Bald schon munkelten die anderen Schüler darüber, dass er immer wieder Selbstgespräche führen würde und wahrscheinlich nicht mehr ganz richtig im Kopf war. Einmal verlangte Hermine sogar vehement zu wissen, was denn nun eigentlich mit ihm los sei, doch Harry zog es vor, ihr nicht zu antworten. Was hätte er auch sagen sollen?

An diesem Tag beschloss er, dass er einen anderen Weg finden müsse, den Spiegel unbemerkt zu benutzen, wenn er nicht dazu übergehen wollte, Mrs. Malfoy nachts zu belästigen. Am Abend zuvor hatte er ihr zum ersten Mal von seiner Theorie zu Sirius Rettung erzählt. Sie hatte erstaunt, aber nicht unbedingt ungläubig reagiert und ihn um Bedenkzeit gebeten. Wenn er doch nur öfter eine Möglichkeit gehabt hätte, ungestört mit ihr zu reden. Doch nicht einmal Harry hätte geahnt, dass sich ihm diese Möglichkeit ausgerechnet in einer der verhassten Zaubertrankstunden offenbaren würde…
 

Leise blubberte die Flüssigkeit in Harrys Kessel vor sich hin und er war sich sicher: Diesmal konnte Snape einfach nichts an seinem Trank auszusetzen haben. Er war dem Rezept Schritt für Schritt gefolgt und war felsenfest der Überzeugung, dass das Ergebnis ein einwandfreier Unsichtbarkeitstrank sein würde.

Snape war wie in den praktischen Unterrichtsstunden üblich damit beschäftigt Unheil verkündend zwischen den Schülertischen hin und her zu gleiten und bissige Kommentare über ihre Unfähigkeit abzugeben. An Harrys und Dracos Tisch angekommen, musterte er zunächst Dracos Kessel und nickte dann einigermaßen zufrieden. Als sein Blick jedoch auf Harrys Tischsseite fiel, erstarrte er und seine Stirn zog sich zu einer steilen, zornigen Falte zusammen.

„Potter!“, donnerte er. „Was bei Merlins goldenem Kessel MACHEN SIE DA?“

„Ich braue einen Unsichtbarkeitstrank.“, gab Harry gezwungen ruhig zurück. Es prickelte in seinem Nacken und er fühlte, dass sich wieder einmal der Schatten ganz in seiner Nähe befand; wie eigentlich immer, wenn Harry wütend oder aufgebracht war.

„Das denken Sie vielleicht.“, bellte Snape völlig außer sich und durchbohrte Harry förmlich mit seinen Blicken. „Aber anstatt diesen Trank als letzten Schritt mit violetten Makramewurzeln zu versetzen, haben sie meine letzten Vorräte an purpurnen verbraucht. HABEN SIE EIGENTLICH EINE AHNUNG WIE WERTVOLL DIE SIND?“

Beklommen erinnerte Harry sich, diese Zutat selber aus der angrenzenden Vorratskammer geholt zu haben, da Draco die letzten Reste der ursprünglich von Snape ausgegebenen Menge für sich beansprucht hatte. Mit einem schnellen Blick verglich Harry die Farbe von seinem und Dracos Trank. Unverkennbar war der andere Trank ein wenig heller und simmerte gleichmäßig, während in Harrys Trank unregelmäßige Blasen aufstiegen.

„Es…“, begann er stockend.

„Kommen Sie mit jetzt nicht mit irgendwelchen Ausflüchten, Potter.“, zischte Snape. „Sie haben die Zutaten ruiniert. 20 Punkte Abzug für Gryffindor. Außerdem werden sie mir bis morgen früh einen Aufsatz über Makramewurzeln schreiben. Über alle ihre Arten, ihre Eigenschaften, ja sogar über ihren Entdecker und was der am liebten zum Frühstück aß. Und wenn ihr Aufsatz auch nur einen Fingerbreit kürzer ist als sechs Fuß, werden sie für den Rest des Schuljahres Kesselböden schrubben. HABEN SIE DAS VERSTANDEN?“

„Ja, Sir.“, murmelte Harry. Er versuchte möglichst niedergeschlagen zu wirken, doch in ihm brodelte es. Er war sich so sicher gewesen, dass er die richtige Zutat genommen hatte. Außerdem: Violett oder Purpur…wo sollte denn da der Unterschied sein? Dämliche Kocherei. Dämliche Tränke. Dämlicher Snape. Dämliche, dumme Scheißschule!

„Und jetzt gehen Sie mir aus den Augen, Sie…“, herrschte Snape ihn an

„Und lassen Sie gefälligst ihre Sachen liegen, sonst richten Sie nur noch mehr Unheil an.“, fügte er barsch hinzu, als Harry gerade anfangen wollte aufzuräumen. „Ich will Sie bis morgen Punkt acht nicht mehr sehen. RAUS!“
 

Harry zitterte vor Zorn und Demütigung. Sollte Snape doch an seinen Wurzeln ersticken! Wütend schmiss er das Büschel Einhornhaar wieder auf den Tisch, das er gerade in der Hand gehalten hatte, und griff nach seiner Tasche, als sein Blick auf das feixende Gesicht von Malfoy traf.

„Du wirst noch mal jemanden mit deinen Tränken umbringen, Potter.“, formten seine Lippen nahezu lautlos und dann tat er so, als würde er etwas von Harrys Trank trinken, um gleich darauf an heftigen Erstickungsanfällen zu leiden. Kurz bevor er sein Kichern nicht mehr unterdrücken konnte, wandte Malfoy sich wieder seinem Kessel zu und nur das leichte Beben seines Rückens verriet, dass er sich immer noch vor Lachen schier ausschütten wollte.

Sämtliche Farbe wich aus Harrys Gesicht. Alle anderen Schüler bemühten sich offensichtlich krampfhaft, so zu tun, als wären sie vollauf mit ihren Tränken beschäftigt, Malfoy lachte sich über ihn kaputt und Snape schien es vorzuziehen, so zu tun, als hätte Harry seinem Befehl zu verschwinden schon Folge geleistet. Eine unglaublich Wut packte Harry und noch bevor er überhaupt wusste, was er da tat, hatte er eine Schöpfkelle gegriffen, etwas von seinem misslungenen Trank in einen Becher geschüttet und diesen in einem Zug geleert. Was auch immer dieser Trank bewirkte, etwas Schlimmeres als das hier konnte es auch nicht sein.

Mit fest aufeinander gepressten Kiefern wartete Harry ab, was passieren würde. Der Trank schmeckte merkwürdig an und kratzte irgendwie im Hals. Er hatte das Gefühl, die Haare an seinem Körper würden sich in regelmäßigen Abständen sträuben und wieder anlegen. Ansonsten passierte aber rein gar nichts. Niemand sah ihn an, niemand regierte auf seine Tat und Snape, der ihn in diesem Moment direkt ansah, machte keine erneute Bemerkung darüber, dass Harry endlich gehen sollte. Entmutigt ließ Harry den Kopf sinken und verließ den Kerker, ohne eine Ahnung zu haben, wo er eigentlich hinwollte.
 

Ziellos lief er durch die dunklen Gänge des Kerkers und schwankte zwischen Wut und Enttäuschung hin und her. In seinem Kopf kreisten die Gedanken umeinander. Konnte er es wagen, Mrs. Malfoy jetzt schon wieder zu stören? Und würde er das ungestört tun können, ohne dabei gleich wieder einen Rattenschwanz von Beobachtern auf sich aufmerksam zu machen. Man konnte schließlich nie wissen, wer einem selbst hier unten auf einmal über den Weg lief.

Als Harry kurze Zeit später tatsächlich Stimmen hörte, blieb er stehen und lauschte. Eine davon gehörte ohne Zweifel Dean. Anscheinend war die Zaubertrankstunde inzwischen zu Ende. Wie lange war er denn hier unten herumgelaufen? Die andere Stimme jedoch ließ Harrys Herz einen kurzen Moment höher schlagen: Ginny. Als die beiden näher kamen, konnte Harry auch hören, worüber die beiden sich unterhielten und irgendein Teil von ihm freute sich sehr darüber.

„Da muss ich zum Quidditch-Training…wie übrigens jeden Dienstag- und Donnerstagabend.“, erklärte Ginny gerade dem leicht ungeduldig wirkenden Dean. Ganz nebenbei stellte Harry dabei fest, dass Angelina offensichtlich nicht schnell genug hatte die Trainingstage ändern können, seit Harry nicht mehr mitspielte.

„Ja, ich weiß.“, versuchte Dean nun einzulenken. „Aber du bist immerzu beschäftigt, und wenn du mal Zeit hast, dann hab ich entweder Kurse oder muss für meine UTZs lernen.“

„Wir könnten beim nächsten Mal zusammen nach Hogsmeade gehe.“, schlug Ginny vor und schmiegte sich enger an Dean. „Da haben wir dann jede Menge Zeit für uns.“

„Ja, wunderbar.“, schnaubte Dean, ohne auf Ginnys Annäherung einzugehen. „Wenn du bis dahin noch einen Termin frei haben solltest, schick mir eine Eule.“

Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ Ginny einfach stehen. Unglücklicherweise stürmte Dean genau in Harrys Richtung und wäre mit ihm frontal zusammengeprallt, wenn Harry nicht im letzten Moment einen schnellen Satz zur Seite gemacht hätte. So streifte er lediglich Deans Schulter, der seine Schritte für einen kurzen Moment verlangsamte, dann jedoch den Kopf schüttelte und die nächste Treppe hinaufstürmte.

„Aber…“, hörte Harry Ginny sagen. Als er sich umdrehte sah er, dass sie blass geworden war. Auf den ersten Blick wirkte sie bestürzt, ihre Augen hingegen funkelten zornig. Immer noch starrte sie Dean hinterher, zeigte jedoch mit keiner Miene, dass sie Harry bemerkt hatte.

„Ginny?“, sagte er unsicher. „Ist alles in Ordnung?“

Sie reagierte nicht.

Etwas lauter, wiederholte Harry seine Frage und diesmal schien sie zumindest etwas gehört zu haben. Doch obwohl Harry nur wenige Meter von ihr entfernt stand, schien es, als würde sie ihn gar nicht sehen. Harry ging noch ein paar Schritte auf Ginny zu und nannte erneut ihren Namen. Jetzt endlich schien sie ihn wahrzunehmen, was jedoch nicht hieß, dass sie sehr erfreut war.

„Hallo Harry!“, antwortete sie kühl und drückte ihre Schultasche enger an sich. „Was machst du denn hier unten?“

„Ich hatte Zaubertränke.“, antwortete Harry nicht besonders geistreich. „Ich bin in einem Kurs mit Dean, weißt du?“

Hatte er eben noch gehofft, er könne so ein Gespräch mit ihr anfangen, so wurden seine Hoffnungen jetzt mit einem Schlag zunichte gemacht. Ginnys Gesicht verdüsterte sich bei der Nennung von Deans Namen schlagartig.

„Ja, ich weiß.“, fauchte sie. „Ich bin ja schließlich nicht blöd. Und ein kleines Kind bin ich auch nicht.“
 

Damit stürmte sie an Harry vorbei und stürzte dieselbe Treppe hinauf, über die auch schon Dean geflüchtet war. Harry kam sich einmal mehr ziemlich dumm vor, denn er verstand Ginnys Reaktionen nicht im Geringsten. Weder die heftige auf die Erwähnung von Dean, noch die ignorante in Bezug auf Harrys Anwesenheit. Geistesabwesend kratzte er sich am Arm, denn das Prickeln auf seiner Haut hatte immer noch nicht nachgelassen.

Dann stutzte er. Auch Dean hatte irgendwie den Eindruck gemacht, als würde er Harry gar nicht sehen. Und noch etwas anderes kam Harry mit einem Mal sehr seltsam vor. Er musste das überprüfen…

Wenige Augeblicke später stand Harry wieder in dem nun leeren Klassenzimmer für Zaubertränke. Allerdings war der Raum nicht so leer, wie er hätte sein sollen. Harrys Kessel stand immer noch auf seinem Platz und sein missglückter Zaubertrank befand sich immer noch darin. Er hatte doch gewusst, das etwas faul daran war, wenn Snape sich eine Gelegenheit entgehen ließ, Harry Arbeit aufzuhalsen.

Aus dem Nebenraum drang ein leises Klirren und als Harry vorsichtig um die Ecke lugte, sah er wie Snape mehrere kleine Flaschen aus einem Regal auf ein Tablett stellte. Auch er schien Harry nicht zu bemerken, obwohl er mehr als einmal in dessen Richtung sah. Es war genau, wie Harry vermutet hatte. Der Trank war offensichtlich zwar nicht der, den er eigentlich hatte herstellen sollen, seine Wirkung aber war ohne Zweifel nützlich.

So dicht, dass Harry ihn ohne Schwierigkeiten hätte berühren können, glitt Snape neben ihm durch die Tür und Harry hielt vor Erstaunen den Atem an. Es war wirklich fantastisch. Er war zwar nicht unsichtbar – was sich bei näherer Betrachtung auch als ziemlich unpraktikabel herausgestellt hätte, denn wie hätte er eine ständige Unsichtbarkeit erklären sollen- aber er blieb unbemerkt; ein Zustand, der Harry nur zu wünschenswert erschien. Das Problem war, dass er nicht wusste, wie lange die Wirkung des Trankes anhielt und dass die einzige verfügbare Menge dieses Trankes, sich jetzt in Snapes Händen befand.

Fieberhaft überlegte Harry, wie er an einige der Flaschen kommen könnte, die der Lehrer inzwischen fein säuberlich auf dem Tisch aufgereiht hatte. Sicherlich wusste auch er um die Wirkung des Trankes und würde diesen hüten wie seinen Augapfel. Harry musste Snape von diesem Tisch weglocken. In seiner Verzweiflung entschloss er sich das Einzige anzutasten, dass Snape zuverlässig aus dem Raum locken würde: seine Vorräte.

Auf Zehenspitzen stahl sich Harry in den Nebenraum. Sein Blick fiel auf ein großes Glas, in dem irgendwelche eingelegten, schleimigen Würmer grünlich vor sich hindümpelten. Perfekt! Er nahm das Glas, hielt es einen Moment lang hoch über dem Kopf und ließ es dann mit voller Wucht auf den Boden krachen. Das Glas splitterte in tausend Scherben und ergoss seine eklige Fracht über den gesamten Fußboden. Schnell drückte sich Harry an die Wand, als Snape in dem Raum stürzte. Dann nahm er die Beine in die Hand, bevor der Lehrer sich noch genauer nach dem Verursacher des Tumults umsehen konnte. In Windeseile griff er drei der Fläschchen vom Tisch und hastete zur Tür.

„Halt! Wer da?“, hörte er Snape noch rufen, doch dann hatte Harry den Raum schon verlassen und jagte die dunklen Kerkergänge entlang in Richtung des rettenden Gryffindor-Turms.
 

Das Hochgefühl, das er nach dieser Aktion verspürt hatte, hielt jedoch nicht lange an. Als die Wirkung des Trankes verflogen war, erinnerte ihn Hermine mit der Hartnäckigkeit eines Zahnarztbohrers daran, dass er noch einen Aufsatz für Snape zu schreiben hatte. Ganz abgesehen von den restlichen Hausaufgaben, die ihn noch erwarteten. Ein kleiner Trost jedoch war, dass er mit Hilfe einer weiteren Portion des Trankes die Bibliothek betreten konnte, ohne sich weiter mit Madame Pince auseinandersetzen zu müssen. Er marschierte einfach an ihr vorbei und zog sich dann in eine ruhige Ecke der Bibliothek zurück. Dort arbeitete er bis spät in die Nacht und blieb bis darauf, dass ihm Madame Pince mehrmals das Licht vor der Nase auspustete, ungestört. Erst spät nach dem Zapfenstreich kehrte Harry schließlich in sein Bett zurück, in seiner Tasche aber ein ausreichend langer Aufsatz für Snape und zumindest ein großer Teil seiner Hausaufgaben. Das, so hoffte er, würde ihm wohl erst einmal die nötige Luft verschaffen, die er brauchen würde, um endlich Sirius Rettung zu planen.
 

Als Harry am nächsten Morgen seinen Aufsatz zu Snape bringen wollte, erlebte er jedoch eine unangenehme Überraschung. Der Lehrer saß bereits steif wie immer an seinem Schreibtisch, als er Harry auf dessen Klopfen hin hineinrief. Harry hatte eigentlich vorgehabt, den Aufsatz stumm auf den Tisch zu legen und dann wieder zu verschwinden. Doch plötzlich schlossen sich Snapes Finger unerbittlich wie ein Schraubstock um sein Handgelenk.

„Nicht so schnell.“, knurrte der Lehrer. „Ich glaube, Potter, Sie haben etwas, das mir gehört. Ich hätte es gerne wieder.“

„I-ich weiß nicht wovon sie reden.“, stotterte Harry und versuchte, seine Hand zu befreien.

„Oh doch, Sie wissen genau, was ich meine.“, fauchte Snape bedrohlich und fixierte Harry mit kaltem Blick. „Wer sonst hätte es gewagt sich an meinem Eigentum zu vergreifen.“

Harry bemerkte den Druck in seinem Kopf und wusste augenblicklich, dass Snape Legilimentik gegen ihn einzusetzen versuchte. In Gedanken rief Harry verzweifelt nach Sirius Hilfe. Er würde diesem Druck nicht lange alleine standhalten.
 

Sirius´ Präsenz brach wie eine Flutwelle über Harry herein. Er spürte förmlich den Schlag, den Snapes Gedanken erhielten, und dessen körperliches Äquivalent Harrys Hand durchzuckte. Snape ließ Harrys Handgelenk so unversehens los, als hätte er sich verbrannt. Er taumelte einen Schritt rückwärts und sah Harry ungläubig an.

„Fassen Sie mich nie wieder an.“, presste Harry zwischen den Zähnen hervor. In seinem Kopf brodelte mit einem Mal wieder all der Hass, den er jemals für Snape empfunden hatte. Das Blut summte in seinen Ohren und seine Finger kribbelten vor zurückgehaltener Energie. Nur mit Gewalt rief sich Harry wieder zur Ordnung.

„Fassen Sie mich nie wieder an.“, wiederholte er leise. „Oder es wird Ihnen noch leid tun.“

Er sah, dass Snape schluckte, konnte förmlich sehen, wie die Gedanken hinter seiner Stirn rasten, konnte fühlen, wie sich sein Puls beschleunigte, wusste, dass Snape ihn ernst nahm. Es war eine Patt-Situation, die beide Gegner abschätzend auf die womöglich falsche, erste Reaktion des Gegners lauern ließ. Harry kam es wie eine Ewigkeit vor, bis Snape den Blick senkte und sich wieder an seinen Schreibtisch setzte.

„Gehen Sie!“, befahl der Lehrer knapp. Sein Gesicht war weiß wie eine frisch gekalkte Wand.
 

Mühsam zwang Harry sich, sich umzudrehen und das Büro zu verlassen. Vor der Tür begann er zu zittern, Schweiß lief ihm in Strömen den Rücken hinunter und sein Herz raste. Eine plötzliche Schwäche ließ in taumeln und schließlich blieb er rücklings an eine Wand gelehnt stehen, bis seine Knie sich nicht mehr wie Wackelpudding anfühlten.

Ein Kribbeln fing an, seine Kehle hinauf zuwandern. Es fühlte sich eigenartig an, doch erst als ein verhaltenes Lachen aus seinem Mund drang, konnte Harry einordnen, worum es sich handelte. Er hatte tatsächlich eine Auseinandersetzung mit Snape gewonnen. Und er war davon gekommen, ohne auch nur eine weitere unangenehme Konsequenz für diesen Sieg fürchten zu müssen.

Wie berauscht von dieser Erkenntnis lief Harry kurze Zeit später durch die leeren Gänge von Hogwarts. Er hätte eigentlich in Professor McGonagalls Unterricht sitzen sollen, um die ersten Lektionen in Eigenverwandlung zu erhalten, und dort würde er auch hingehen, sobald er jemandem von der Begebenheit mit Snape erzählt hatte. Ron, Hermine oder sonst einer seiner Schulkameraden kam dafür natürlich nicht in Frage, denn dann hätte er auch von dem Trank erzählen müssen. Aber schließlich hatte er ja jemanden, der immer Zeit für ihn hatte.
 

In einer Nische ganz in der Nähe seines Klassenzimmers nestelte er den Spiegel aus seiner Tasche und flüsterte Mr. Malfoys Namen. Wie er gehofft hatte, erschien nur wenige Augenblicke später das Gesicht der blonden Frau in dem Spiegel.

„Mister Potter?“, sagte sie erstaunt. „Ich hatte nicht damit gerechnet, so bald wieder von ihnen zu hören. Wir hatten doch…“

„Ja, ich weiß.“, murmelte Harry entschuldigend. „Es ist nur so, dass ich unbedingt jemand erzählen muss, was gerade passiert ist.“

Er schilderte die Begebenheit mit Snape, ließ Sirius Beteiligung an der Sache allerdings unter den Tisch fallen. Er hätte selbst nicht erklären können, was genau dort passiert war und so blieb er bei dem, was sich in seinen Ohren wie eine gute Geschichte anhörte: dass er einen Trank gebraucht hatte, dass er etwas davon behalten hatte und dass Snape ihn nicht hatte zwingen können, seine Beute wieder herzugeben.

Als er geendet hatte, glitzerten Mrs. Malfoys Augen belustigt.

„Ich wette, dass hat dem guten Severus nicht gefallen.“, lächelte sie. „Aber Sie sollten vorsichtig sein, Mister Potter. Mit Severus Snape ist nicht gut Kirschen essen, wenn man ihn reizt.“

„Ich habe keine Angst vor ihm.“, behauptete Harry brüsk.

„Das glaube ich gerne.“, lachte Mrs. Malfoy glockenhell. „Doch so lange Sie in Hogwarts zur Schule gehen, werden sie sich den Anweisungen der Lehrer Folge leisten müssen…ob es Ihnen nun gefällt oder nicht.“

„Dann wäre es vielleicht an der Zeit, Hogwarts zu verlassen.“, antwortete Harry, bevor er lange darüber nachgedacht hatte.
 

Erst als er den Satz ausgesprochen hatte, drang dessen Bedeutung langsam in sein Gehirn vor. Hogwarts verlassen...das war undenkbar. Niemals hatte er sich an einem Ort so zu hause gefühlt wie hier. Und doch waren da unüberhörbare Stimmen des Zweifels, die ihm leise ins Ohr sangen, wie fremd ihm doch die Schule und all seine Freunde geworden waren. Wie sehr er es doch genießen würde, endlich frei zu sein. Frei zu tun und zu lassen, was er wollte. Frei, um ein Leben nach seinen Regeln zu gestalten.

Mrs. Malfoy sah Harry nun ernst an. „Das, Mister Potter ist eine weitreichende Entscheidung, die Sie nun einmal ohne einen Vormund nicht treffen dürfen.“

„Sirius ist mein Pate. Er würde es mir erlauben.“, wand Harry ein.

„Aber er ist jetzt nicht hier. Nicht mehr.“, gab Mrs. Malfoy zu bedenken.

„Dann müssen wir ihn endlich zurückholen.“, begehrte Harry auf. „Mrs. Malfoy, Sie helfen mir doch dabei, oder?“

Bange Sekunden schwieg die blonde Frau, dann aber nickte sie. „Ich werde tun, was in meiner Macht steht, Mister Potter. Als Erstes werde ich Ihnen die Sachen zukommen lassen, die Ihnen von Rechts wegen sowieso zustehen würden. Vielleicht finden wir dort noch etwas, das uns in diese Situation weiter bringt. Und noch etwas: Ich möchte nicht, dass Sie mit meinem Sohn über diese Angelegenheit reden. Ich weiß, dass Sie beide sich nicht besonders nahe stehen und ich könnte mir denken, dass er vielleicht aus purer Eifersucht etwas tun könnte, dass unsere Übereinkunft gefährden könnte. Haben Sie das verstanden, Mister Potter?“

Harry nickte nur. Irgendwie war das alles fast zu schön um wahr zu sein. Mrs. Malfoy war nicht nur bereit, ihm zu helfen. Nein, sie war auch noch bereit, ihn gegen ihren eigenen Sohn zu verteidigen. Ein kleines Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Wie sich doch manchmal das Blatt wenden konnte.
 


 

Zwei Tage später kündigte Flügelrauschen die Ankunft der Posteulen an. Sie brachten kalte Luft mit hinein und ihr Gefieder glänzte feucht. Wie die magische Decke der großen Halle zeigte, herrschte draußen dichter Nebel. Mit leichter Schadenfreude beobachtete Harry, wie Hermine zähneknirschend ihren Tagespropheten bei der Liefer-Eule bezahlte und diesen dann erst einmal mit heißer Luft aus ihrem Zauberstab trocken musste, weil das dünne Zeitungspapier so durchgeweicht war. Doch dann landete ein stattlicher Waldkauz vor Harrys Nase und beanspruchte seine Aufmerksamkeit für sich. Das Tier trug ein Paket von der Größe eines Schuhkartons an seinem Bein, auf dem in unmissverständlichen Buchstaben stand, dass das Paket für Harry Potter, große Halle, Hogwarts bestimmt war.

Am liebsten hätte Harry das Paket sofort aufgemacht, doch dann bemerkte er, dass er beobachtet wurde.

„Du hast ein Paket bekommen, Harry.“, stellte Ron fest. Er saß Harry schräg gegenüber und seine Augen schienen sich an dem Packpapier festgesaugt zu haben.

„Es scheint so, ja“, antwortete Harry steif.

„Was ist drin?“, fragte Neville, dem der angestrengte Ton des Gesprächs offensichtlich entgangen war, neugierig. „Willst du es nicht aufmachen?“

„Vielleicht später.“, würgte Harry hervor. Er wusste genau, dass Ron nichts mehr hasste, als verschlossene Pakete. „Ich glaube, ich werde es erst einmal in den Schlafsaal bringen.“

Wie in Zeitlupe stand Harry auf, nahm sein Paket und ging so langsam er konnte auf die Tür zu. Keiner konnte ihn schließlich zwingen, sein Pakte zu öffnen, er würde es dann tun, wann ihm danach war. Er fühlte die bohrenden Blicke in seinem Rücken und zu seiner Verwunderung auch von der Seite, kurz bevor er die Tür erreichte.

Malfoy starrte Harry an, als hätte er ein Gespenst gesehen. Auch er starrte das Paket an, das Harry in Händen trug, bevor sich seine Augen wieder auf etwas hinter Harry richteten. Ganz unwillkürlich sah Harry sich um und bemerkte, dass der große Waldkauz immer noch auf seinem Platz saß und sich an seinem Kürbissaft gütlich tat. War es möglich, dass Malfoy den Vogel erkannt hatte? Doch eigentlich traute Harry ihm das nicht zu. Jemand wie Draco hatte sicherlich keine enge Beziehung zu einem Haustier. Und selbst wenn…

Grinsend verließ Harry die Große Halle. So langsam begann ihm diese Sache wirklich Spaß zu machen.
 

Auch wenn er eigentlich vorgehabt hatte, Ron noch etwas mit dem Paket zu ärgern, konnte Harry nicht länger als bis zur Mittagspause aushalten. Er ließ das Essen ausfallen, zog sich hinter die Vorhänge seines Himmelbettes zurück und löste ungeduldig die Verschnürungen.

Es war irgendwie merkwürdig, diese Dinge in der Hand zu halten, die einmal Sirius gehört hatten…ja, immer noch gehörten. Trotzdem hatte Harry kein gutes Gefühl dabei. Er blätterte kurz in dem Angelbuch, bis sein Blick auf einen Umschlag fiel. Als er ihn öffnete, fand er darin einen kurzen Brief von Mrs. Malfoy.

Sehr geehrter Mister Potter“, schrieb sie. „Wie versprochen sende ich Ihnen zunächst einmal die versprochenen Gegenstände zu. Ich habe auch noch eine Kleinigkeit beigefügt; ich hoffe, Sie mögen Schokolade. Mit Freundlichen Grüßen, Narzissa S. Malfoy

Tatsächlich fand Harry zwischen Sirius persönlichen Gegenständen eine Pralinenschachtel. Zwei Lagen feinste, belgische Schokolade verpackt in einer edel und vor allem teuer aussehenden Schachtel aus cremefarbenden Karton. Fast andächtig steckte er ein Stück davon in den Mund. Sie war gut und so naschte er immer wieder, während seine Hände ziellos durch den Karton glitten.

Schließlich holte er das Schlüsselbund heraus, das ganz am Grunde des Paktes lag. Es hingen einige unmoderne, klobige Schlüssel daran, einer rostiger und abgenutzter als der andere. Entweder handelte es sich dabei um irgendwelche Schlüssel für unglaubliche Geheimgänge oder, was Harry wahrscheinlicher erschien, um Schlüssel zu Türen, die es überhaupt nicht mehr gab. Einer der Schlüssel jedoch war anders, als die anderen. Er war kleiner und hatte weniger Kerben; auch schien er nicht ganz so verrostet zu sein. Er erinnerte Harry irgendwie an einen Briefkastenschlüssel, doch dafür war er eigentlich zu groß.

Unfähig das Rätsel des Schlüssels zu lösen, steckte Harry sich noch ein Stück Schokolade in den Mund und ließ aus einer Laune heraus das Schlüsselbund in seine Hosentasche gleiten. Vielleicht würde er später herausfinden, wozu diese Schlüssel passten.
 


 

Inzwischen waren es nur noch zwei Wochen bis zur Halloween-Nacht und Harry war mit seinen Erkenntnissen und Plänen, was Sirius Rettung anging, noch keinen Schritt weiter gekommen. Wenn er erst einmal in London war, würde sich sicherlich ein Weg finden lassen, sich in das Ministerium zu schleichen. Aber schließlich konnte er sich ja schlecht einfach eine Zugfahrkarte kaufen oder mit dem Besen hinfliegen. Dann wäre er wahrscheinlich schneller wieder in Hogwarts gewesen, als er hätte „Halloween“ sagen können.

Auf Anraten von Mrs. Malfoy hielt er sich jedoch bedeckt und arbeitete einigermaßen im Unterricht mit; wenngleich auch unterstützt von einen guten Portion Heimlichkeits-Trank, wie er den von Snape erbeuteten Trank genannt hatte. Es war einfacher dem Unterricht zu folgen, wenn man sich nicht dauern beobachtet vorkam. Außerdem wurde er auf diese Weise so gut wie nie aufgerufen. Die einzige Ausnahme dabei bildete Professor McGonagall, die offensichtlich auf jeden ihrer Schüler ein gutes Augen hatte…und zwar zu jeder Zeit.

Harry nahm auch weiter an den zusätzlichen Stunden mit Solomon teil, wobei sich der Inhalt dieser Stunden immer mehr von seinem eigentlichen Ursprung entfernte. Nachdem Solomon sich nachhaltig von Harrys „Kenntnissen“ in Okklumentik überzeugt hatte- Harry war Sirius für seine Hilfe dabei mehr als dankbar- hatte er begonnen, Harry in der Kunst der wortlosen Magie zu unterrichten. Allerdings musste Harry schon bald feststellen, dass er für diese Art des Zauberns noch weniger Talent besaß als für Okklumentik.
 

„Ob es Ihnen gefällt oder nicht, Mister Potter“, tadelte Solomon ihn an einem Abend. „Es führt nun einmal keine Abkürzung zum ehrlichen Erfolg. Sie müssen sich mehr anstrengen, wenn Sie in der Lage sein wollen, gegen einen erwachsenen Zauberer zu bestehen, ohne dass dieser weiß, was Sie im Schilde führen. Und die einzige Möglichkeit dafür ist…“

„…einen Zauber zu wirken, ohne die Formel dafür aussprechen zu müssen.“, ergänzte Harry augenrollend. Sein Kopf war bereits hochrot von den verzweifelten Versuchen, den Levitationszauber auf Solomons Tintenfass auszuführen, ohne dabei die Lippen zu bewegen. Wäre es darum gegangen, den Zauber ohne Zauberstab auszuführen, wäre ihm dieses Kunststück sicherlich besser gelungen. Seine magischen Energien auch ohne dieses Hilfsmittel zu bündeln war eine Sache, sie tun zu lassen, was man lediglich denken durfte, eine ganz andere.

Solomons prüfender Blick ruhte immer noch auf Harry und es war unübersehbar, dass er enttäuscht war. Harry ärgerte sich darüber. Er konnte eine Menge anderer Dinge, warum musste er ausgerechnet das hier sofort beherrschen. Sicherlich, Solomon meinte es gut, doch in Harrys Augen war es einfach frustrierend etwas wieder und wieder zu versuchen, ohne auch nur einen nennenswerten Erfolg verzeichnen zu können. All die Erklärungen, die Solomon ihm zu dem Vorgang gegeben hatte, hatten sich inzwischen in Harrys Kopf zu einem großen, wirren Gedankenknäul verknotet. Es musste doch irgendeinen leichteren Weg geben, dieses Tintenfass schweben zu lassen.

Sirius Präsenz war nicht so überwältigend wie beim letzten Mal, als Harry ihn um Hilfe gebeten hatte, doch seine Nähe war deutlich spürbar. Bilder schwappten mit einem Mal durch Harrys Geist; sie zeigten ihm ein schwebendes Tintenfass und einen zufriedenen Solomon. Wie einfach wäre es gewesen, diese langweilige Übung zu beenden. Harrys Widerstand bröckelte und er erlaubte Sirius, seine magischen Energien in die richtigen Bahnen zu lenken.

Das Tintenfass schoss so plötzlich empor, dass Solomon zusammenzuckte. Er hatte sich schnell wieder in der Gewalt, doch Harry konnte ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. Die Überraschung war ihm gelungen.

„Sehr gut, Mister Potter.“, lobte Solomon anerkennend. „Ich frage mich nur, warum Sie mit diesem Trick zunächst solche Schwierigkeiten hatten. Es schien Ihnen doch jetzt ganz leicht zu fallen. Sowieso scheint mir ihr Talent etwas sprunghaft. Haben Sie eine Erklärung für diese Ausbrüche?“

Harry fühlte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg. Er konnte sich dem Eindruck nicht erwehren, dass Solomon nicht nur von dem Tintenfass sprach. Ob Snape ihm etwas von ihrer Begegnung erzählt hatte?

„Nein, Sir, ich weiß nicht, woran das liegen könnte.“, gab Harry schließlich möglichst gelassen zur Antwort. „Vielleicht muss es eben nur ´Klick´ machen, damit etwas funktioniert. Oder ich hatte eben Glück.“ Er versuchte ein unschuldiges Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern.

„Glück…“, murmelte Solomon zweifelnd. „Ja, so könnte man es auch nennen.“

Einen Moment lang schien er durch Harry durchzusehen, dann schüttelte er den Kopf. „Wir machen Schluss für heute, Sie können gehen.“

Harry ließ sich das nicht zweimal sagen und verließ, so schnell er konnte, Solomons Büro. Der Lehrer war ihm immer noch irgendwie unheimlich. Immer, wenn er glaubte, er habe endlich verstanden, wie er sich verhalten müsse, um nicht aufzufallen, kam Solomon mit einer neuen, heimtückischen Attacke auf das Bild, das Harry seiner Umwelt zu vermitteln versuchte.

Harrys Hände spielten geistesabwesend mit dem Schlüsselbund, dass er inzwischen fast als eine Art Talisman ansah. Solomon war gefährlich, so viel stand fest. Er, Harry, hatte den Lehrer viel zu nah an sich heran gelassen, das wurde ihm mit einem Mal klar. Vielleicht sollte er Dumbledore bitten, die Stunden abzusetzen. Doch dieser Vorschlag war ebenso unsinnig wie undurchführbar. Selbst wenn Harry hätte mit Dumbledore sprechen wollen, so wäre das unmöglich gewesen, da sich der Schulleiter gegenwärtig überhaupt nicht in Hogwarts aufhielt. Harry hatte gehört, wie Professor McGonagall Hermine darüber informiert hatte, als diese wegen dieser Anhörung zu Dumbledore gewollt hatte. Sie und Ron waren beide als Zeugen vorgeladen worden. Sicherlich wollte die Streberin erreichen, dass man sie den versäumten Schulstoff nachholen ließ. Womöglich wollte sie mal wieder einen Zeitumkehrer für sich haben.

Missmutig starrte Harry aus einem Fenster hinaus auf die Schlossgründe. Er wusste, dass er Hermine Unrecht tat, doch es tat gut, sich zumindest auf diese Weise ein wenig an ihr zu rächen. Nicht, dass er wirklich mit ihr und Ron zusammen an dieser Sache mit Hagrids Anhörung hätte arbeiten wollen. Aber da die beiden nun fast ständig in der Hütte des Wildhüters zu finden waren, gab es noch weniger Plätze in Hogwarts, an denen er sich ungestört aufhalten konnte. Und sein Vorrat an Heimlichkeitstrank ging langsam zur Neige.
 

„Hi, Harry!“, erklang da eine Stimme hinter ihm. Harry musste sich nicht umdrehen, um sie zu erkennen.

„Hi, Neville“, antwortete er mit Fatalismus in der Stimme.

„Was…äh. Was machst du hier?“, erkundigte sich Neville. Er klang aufgekratzt.

Als er sich umdrehte, bestätigte ein Blick Harry, was ihm seine Nase schon verraten hatte. Neville kam gerade aus den Gewächshäusern und hatte ganz offensichtlich mit Professor Sprouts Lieblingsdünger gearbeitet: Drachendung. Ein Teil davon klebte immer noch an seinem Umhang. Nichtsdestotrotz leuchteten Nevilles Ohren in dunklem Rot, was daraufhin wies, dass er Harry eigentlich etwas erzählen wollte, sich aber nicht traute, damit herauszurücken, bevor der ihn fragte. Einen genüsslichen Augenblick lang ließ Harry ihn och zappeln, dann sagte er endlich:

„Nicht besonderes. Ich hatte gerade Unterricht bei Solomon. Und was hast du gemacht?“

„Oh. Ich?“, sprudelte Neville hervor und seine Ohren schienen im Dunkeln zu leuchten. „Ich war bei Professor Sprout. Du weißt ja, sie hat mich zu ihrem Assistenten gemacht wegen dieses Wettbewerbs. Naja, auf jeden Fall hat sie mir heute die Schlüssel zu den Gewächshäusern anvertraut. Sie sagte zwar, wenn ich sie verlieren, würde sie mich mit dem Kopf zuerst in einen Snargaluff-Stumpf stecken, aber ich glaube nicht, dass sie das ernst meinte. Oder denkst du, sie würde das tatsächlich machen?“

Neville sah Harry erwartungsvoll an. Wenn man es sich recht überlegte, war es Professor Sprout wirklich nicht zuzutrauen, dass sie einen ihrer Schüler kopfüber in einen fleischfresssenden Baum steckte. Andererseits war Neville zweifelsfrei ziemlich schusselig, auch wenn sich das im Laufe seiner Schulzeit schon wesentlich gebessert hatte. Ihm so etwas anzudrohen, hatte sicherlich eine nachhaltige Wirkung auf ihn.

„Naaa...“, meinte Harry schließlich gedehnt. „Ich würde es an deiner Stelle lieber nicht riskieren. Aber Glückwunsch zu dem Schlüssel!“

„Danke!“ Neville strahlte über das ganze Gesicht. „Willst du die Mitternachts-Hymenocallis mal sehen? Sie sind wirklich schön und einige von ihnen haben letzte Nacht begonnen zu blühen.“

Eigentlich interessierte sich Harry nicht die Bohne dafür, ausgerechnet mit Neville mitten in der Nacht durch die Gewächshäuser zu geistern, andererseits bot dieser Ausflug eine recht willkommenen Abwechslung. So nickte er und die beiden Gryffindors machten sich auf dem Weg in Professor Sprouts grünes Reich.

Mit einem Gesicht wie Weihnachten und Ostern zusammen schloss Neville die Tür zum Gewächshaus Nummer Drei auf. Warme, nach feuchter Erde und Drachendung riechende Luft schlug den Jungen entgegen. Schnell schlüpften sie hinein und Neville verschloss die Tür sorgfältig wieder.

„Einige der Pflanzen vertragen keine großen Temperaturschwankungen.“, erklärte er Harry bedeutungsschwanger.

In einer Ecke erreichten sie schließlich einige seltsam anmutende Pflanzen. Ihre silberweißen Blüten mit den tentakelartigen Auswüchsen schienen im Dunkeln zu leuchten. Die Stempel, die aus der Mitte der Blüte emporsprossen, waren schwer von goldenem Blütenstaub.

„Das besondere an dieser Züchtung ist, dass sie wirklich nur nachts blühen. Tagsüber würdest du lediglich die recht unscheinbaren, grünen Stammblätter sehen. Aber sobald der Mond aufgeht wächst aus jeder Pflanze ein Stängel hervor, auf dem dann dieser herrliche Blüte sitzt.“

„Ja, sie sind wirklich hübsch“, gab Harry zu.

Seine Augen schienen sich langsam an das Halbdunkel zu gewöhnen, dass in dem Gewächshaus herrschte, so dass er immer mehr Details seiner Umgebung erkennen konnte. Sein Blick blieb schließlich an einer Tür an der hinteren Wand hängen. Er hatte sie noch nie vorher bemerkt.

„Wo kommt man da hin, Neville?“, wollte er wissen.

„Das? Ach, das ist nur ein Lagerraum.“, wollte Neville schon abwinken, als er plötzlich stutzte. Er runzelte die Stirn, dann klatschte er sich mit der flachen Hand dagegen. „Ja richtig, jetzt weiß ich es wieder. Komm, ich zeig dir noch was.“

Eilig zog Neville Harry zu der Tür. Er zückte grinsend seinen neu erworbenen Schlüssel und öffnete mit einer einladenden Geste die Tür.

In dem Lagerraum war es stockdunkel und die Luft roch noch mehr nach Dünger, als es schon im Gewächshaus der Fall gewesen war. Harry holte seinen Zauberstab hervor.

Lumos! “, murmelten er und Neville gleichzeitig.

Im Licht der beiden Zauberstäbe konnte man nun Kisten und Säcke er kennen. Regale bedeckten die Wände; darin lagen alte Gartengeräte und Samentüten in einem bunten Durcheinander. In einer Ecke war ein großer Gegenstand mit einem Tuch verdeckt.

Neville ging zielstrebig auf dieses Tuch zu, klemmte sich den Zauberstab zwischen die Zähne und zog dann mit beiden Händen kräftig daran. Staub wirbelte auf und als sich das Tuch auf den Boden sank, konnte Harry erkennen, was sich darunter befand. Es war ein großes, schwarzes Motorrad. Das sanfte Licht der Zauberstäbe ließ die Chromteile abwechselnd aufblitzen.

Schweigend trat Harry neben Neville. Es war seltsam, das Gefährt zu betrachten, von dem er wusste, dass es einmal Sirius gehört hatte. Zögern strich er mit der Hand über das inzwischen etwas brüchig gewordene Leder des Sitzes. Auch wenn er sich nicht erinnern konnte, so war er doch schon einmal damit unterwegs gewesen. Damals in der Nacht, als seine Eltern getötet wurden. Sirius hatte Hagrid sein Motorrad gegeben, damit dieser Harry zu Dumbledore bringen konnte.

„Es ist toll, oder?“, fragte Neville vorsichtig. „Nur schade, dass man es nicht mehr benutzen kann. Hagrid hat den Schlüssel in den See geworfen und der Riesenkrake hat ihn verschluckt.“

„Ja, man bräuchte den Schlüssel.“, wiederholte Harry leise. Sein Blick fiel in den schon leicht blind gewordenen Rückspiegel. Dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag. Hastig kramte er den Schlüsselbund, den er von Sirius geerbt hatte, aus der Tasche. Mit vor Aufregung zitternden Fingern steckte er den eigenartigen Schlüssel in das Schloss des Motorrades. Als er ihn drehte erwachte die Maschine zögerlich spuckend zum Leben. Es knallte ein paar Mal ziemlich laut, dann lief der Motor rund. Das gleichmäßige Brummen des Leerlaufes war wie Musik in Harrys Ohren. Endlich wusste er, auf welchem Weg er Hogwarts verlassen konnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Pheline
2006-04-02T12:48:59+00:00 02.04.2006 14:48
Ich kann allen hier nur zustimmen, war wieder ein tolles Kapitel! Schreib schnell weiter!
Von:  Yakuen
2006-04-02T11:16:02+00:00 02.04.2006 13:16
*freu* ^-^ Endlich geht es weiter! Hab schon gedacht, das die FF abgebrochen wurde.^^''

Der Teil hab mir gut gefallen. Aber irgendwie find ich es doch merkwürdig, das Mrs. Malfoy so net zu Harry ist.

bye ^^
Von:  JamieBlack
2006-03-19T17:26:47+00:00 19.03.2006 18:26
Vileicht sollte Harry sich nen neues Zuhause suchen.
Kann Lady_Blackbird nur zustimmen das verhalten von den anderen ist echt beschi...
Bei Narzissa werd ich aber langsam nen bißchen skeptisch... aber nya auch egal.

CU Jay
Von: abgemeldet
2006-03-07T13:08:06+00:00 07.03.2006 14:08
O.O!!!!!!!

Seelenschatten geht weiter!!!!!!!!!!!!!! Yeah baby! XDDDD

Ich kann nur sagen, dass ich wieder mal total begeistert bin! =^.^=

Weiter!^^
Itako
Von: abgemeldet
2006-03-04T12:48:33+00:00 04.03.2006 13:48
Banzai!!!! ich finde das verhalten der anderen harry gegenüber echt zum kotzen..von draco und snape sind wir+s ja gewöhnt..aber, dass alle so tun, als würde harry nicht dazu gehören..ich könnte kotzen..


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