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Wintermond

von

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Meine Geschichte?

Hallo ihr.

Ich wollte euch meine Geschichte erzählen, aber… ich habe feststellen müssen, das ich das nicht kann. Nicht, weil ich keine Geschichte zu erzählen hätte, sondern vielmehr, weil es mir unmöglich ist, euch nur meine eigene Geschichte zu erzählen.

Meine Geschichte existiert so nämlich gar nicht. Bei allem, was ich je sagte, bei allem, was ich je tat, war immer irgendein anderes Wesen beteiligt.

Somit ist es nicht mehr meine Geschichte, es ist unsere.

Meine Geschichte ist die Geschichte all jener, die je in mein Leben getreten sind.

Und es waren viele. So manch einer war mir gleichgültig, doch manche hab ich geliebt, manche hab ich gehasst, für manche hätte ich mein Leben gegeben. Sie alle haben mein Leben irgendwie geprägt.

Deswegen ist es niemals nur mein Leben, von dem ich euch erzähle.

Ich bin sie, sie alle sind ich. Sie haben mich zu dem gemacht, was ich bin und ich habe jeden von ihnen zu dem gemacht, was sie sind. Einfach nur, indem wir uns begegnet sind. Manchmal kann eine Begegnung, wie unscheinbar sie auch aussehen mag, Dinge in Gang setzen, die so viel größer sind, als wir. Und manchmal erinnern wir uns nach Jahrzehnten wieder an diese eine Person und fällen nur aus diesem Grund eine wichtige Entscheidung.

Ja, all das kann eine einzige Begegnung ausrichten.

Nun, ich kann euch die Geschichte meines Lebens erzählen, ich kann davon berichten, was mir geschehen ist, wie ich gelebt, geliebt und gelitten habe. Und zugleich muss ich euch auch immer von dem Leben jener erzählen, die mir nahe standen, denn sie begleiteten mich in jeder Sekunde meines Lebens. In meinen Gedanken und in meinem Herzen.

Wenn euch das nicht abschreckt, ja vielleicht nicht einmal stört, dann möchte ich euch meine Geschichte gerne erzählen. Wenn ihr jedoch nur an meiner höchsteigenen Geschichte interessiert wart, dann muss ich euch enttäuschen, die werdet ihr nicht finden.

Denn mein Leben ist das vieler und das Leben vieler ist meines.

Eine stürmische Nacht

Ein stürmischer Wind blies über das Land. Er kam vom Norden her und trieb Schnee mit sich. Viel Schnee, der die Erde schon lange mit einer dicken, weißen Decke zugedeckt hatte. Er türmte sich fast Manneshoch, doch die Menschen, die in diesem kalten, abweisenden Land lebten, waren es gewohnt, denn es war jedes Jahr dasselbe. Es war Winter in Irian und er war auch nicht anders, als all die Winter zuvor auch.

Dennoch hätte dieser Tag etwas besonderes sein können, denn die Sonnenwende war vorüber und das Lichterfest hätte gefeiert werden sollen, doch bei dem Schneesturm, der das Reich fest in seiner Hand hatte, wäre es zu gefährlich gewesen, im Freien zu Tanzen und zu Lachen.

Stattdessen hatten sich die Menschen von Irian in ihre Häuser zurückgezogen, saßen gemeinsam vor dem Kamin und erzählten einander Geschichten, kümmerten sich um ihre Kleider oder Werkzeuge, oder taten all das andere, was im kurzen Sommer liegen blieb.

Doch ein Haus gab es, da ging es nicht so ruhig und friedlich zu.

Im Hause des Herrn von Irian ging Tywyll von Winters-Midnight aufgeregt in seinem Wohnzimmer auf und ab. Im Haus waren laute Schreie zu hören, denn seine Frau Callisto lag seit Stunden schon in den Wehen, doch des vielen Schnees wegen konnte man keine Heilerin hinzuziehen und niemand wusste, wie es mit ihr und dem Kind weitergehen sollte.

»Maria, kann ich denn wirklich gar nichts für sie tun?«, erkundigte sich Tywyll zum unzähligsten male.

»Nein, leider nicht. Das muss sie allein durchstehen, wie eine Milliarde Frauen vor ihr«, lächelte die Bedienstete und goss Tee in die Tassen, die auf dem Tablett standen. »Und jetzt trink etwas um dich aufzuwärmen. Im Pferdestall war es bestimmt eiskalt und du hast dich ja geweigert, einen der Burschen hinauszuschicken.«

Tywyll schnaubte abfällig.

»Was wäre ich für ein Herr, der von seinen Leuten Dinge erwartet, die zu tun er selbst nicht bereit ist? Außerdem hatte ich gehofft, dass das Tosen des Sturms ihre Schreie übertönen würde, aber leider war diese Hoffnung vergebens.«

Maria lachte leise und setzte sich in einen der großen Sessel, die das Wohnzimmer beherrschten. Sie nahm sich eine der Tassen und nippte nachdenklich am Tee, während sie Tywyll beobachtete.

»Mach dir doch nicht so viele Sorgen. Es wird schon alles gut gehen«, versuchte sie ihn noch einmal zu beruhigen.

»Kannst du nicht gehen und schauen, wie es ihr geht? Hören, was Mena sagt?«, bat er sie und ließ sich schwer in den anderen Sessel fallen.

»Sie wird auch nicht mehr sagen, als vor zehn Minuten«, lächelte Maria und schob ihm die zweite Tasse Tee zu.

»Bist du dir da ganz sicher?« Er schaute sie flehend an.

»Ziemlich, ja«, nickte sie.

Tywyll wollte ihr eben antworten, da kam eine kleine Gestalt zu ihnen und setzte sich am Sessel des Vaters auf den Boden.

»Papa, ich will das Mama aufhört so zu schreien«, weinte der kleine Junge und blickte bettelnd, wie ein kleiner Hund, zu seinem Vater auf, doch der ignorierte das Kind.

»Kannst du dennoch kurz nachfragen?«, bat er Maria.

»Oh Tywyll, wenn etwas von Bedeutung geschehen würde, dann wüssten wir schon davon, das garantiere ich dir.« Sie verdrehte die Augen.

»Maria, ich will das wirklich nicht tun, aber wenn du meine Bitten abweist, dann bleibt mir keine andere Wahl, dann muss ich es dir wohl befehlen.«

Darauf lachte Maria, laut und schallend.

»Ich habe noch nie einen Befehl von dir entgegen genommen, Tywyll von Winters-Midnight, und ich werde es auch jetzt nicht tun«, erklärte sie belustigt und er wusste, dass sie recht hatte. Dies war einer der Gründe, warum er die junge Frau so mochte.

Er wollte eben etwas dazu sagen, als sie hörten, wie irgendwo im Haus eine Tür geöffnet wurde. Er lief hinaus und nach einem kurzen Zögern folgte ihm Maria. Der kleine Junge blieb allein zurück.

Er weinte noch immer. Er war noch klein, doch keiner nahm sich die Zeit, ihm zu erklären, was vor sich ging. Sie taten fast so, als gäbe es ihn gar nicht. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, da schrie seine Mutter ständig und er wusste genau, das sie schmerzen hatte. Doch keiner ließ ihn zu ihr.

Langsam jedoch hörte er mit dem Weinen auf. Er wollte nicht alleine bleiben, er wollte von seiner Mutter in den Arm genommen werden, oder wenigstens vom Vater oder von Maria oder Mena, doch sie alle hatten keine Zeit für ihn.

Er zog sich am Sessel hoch, denn allein kam er nur schlecht auf die kleinen Beine, und folgte Maria und seinem Vater. Er hörte, wie der Mann laut herumschrie, doch das war ihm egal, er wollte bei jemanden sein, den er kannte und den er lieb hatte.

»Mena, verstehst du das nicht?«, brüllte Tywyll die alte Frau an, die sich um die Organisation des Haushaltes kümmerte. »Es ist mir egal was mit dem Kind wird! Ich habe einen Sohn, ich brauche kein zweites Kind! Aber ich habe nur eine Ehefrau! Ich will nicht so jung schon verwitwet sein! Also tu verdammt noch mal was nötig ist, um Callisto zu helfen!«

Die alte Mena schaute ihn ruhig und gelassen an, bevor sie die Schultern zuckte.

»Schrei so viel du willst, Tywyll, dadurch wird es auch nicht besser. Ich tue was ich kann, du wusstest vorher schon, dass es nicht besonders viel ist«, erklärte sie, wurde von einem lauten Schrei unterbrochen. Danach sprach sie weiter, als wäre nichts gewesen. »Wenn du mehr erwarten solltest, dann schraube deine Erwartungen lieber schon jetzt gewaltig hinab, dann wirst du am Ende nicht enttäuscht.«

Die alte Frau wandte sich um und ging wieder in den Raum zurück, während Tywyll die Tür anstarrte. Er schien nicht zu wissen, ob er lieber weiterbrüllen oder doch in Tränen ausbrechen sollte. In seinem Kopf raste es.

»Ich reite ins Dorf«, sagte er dann.

»Hast du heute schon mal hinausgesehen?«, wollte Maria mit gerunzelter Stirn wissen. »Du kommst bei dem Sturm nicht einmal bis zur Hauptstraße.«

»Ich muss es versuchen«, antwortete Tywyll und wandte sich entschieden um.

»Tywyll! Willst du deine Frau zur Witwe machen? Oder deinen Sohn zu einem Waisen? Verdammt, bleib hier und sitz es aus!«

»Ich kann nicht! Ich will nicht. Ich kann nicht einfach herumsitzen und warten, ich muss etwas tun und ich kann da niemand anderen rausschicken«, antwortete Tywyll.

Maria schaute ihn einen Moment lang an, dann gab sie ihm eine schallende Ohrfeige.

»Geh ins Wohnzimmer, setz dich an den Kamin und trink deinen Tee, auch wenn er mittlerweile kalt sein dürfte. Und wenn die Tasse leer ist, wirst du dich um deinen Sohn kümmern, dir scheint es noch nicht aufgefallen zu sein, aber er hat Angst«, fauchte sie und deutete auf den kleinen Jungen, der sich mittlerweile an ihrem Rock festhielt und ängstlich von einem zum anderen schaute.

»Kümmere du dich um ihn, ich fürchte, mit mir hätte er gerade keine Freude«, antwortete Tywyll und lehnte sich gegen die nächste Wand.

»Tywyll, willst du, das ich dir noch mal beweise, wie wenig mich unsere sozialen Stellungen interessieren oder tust du endlich, was ich dir sage? Und bevor du anfängst dir die frage zu stellen: Das waren alles keine Bitten.«

Einen Moment schaute der junge Mann sie an, dann musste er tatsächlich lächeln.

»Genau deswegen wollte ich dich in meinem Haushalt wissen, Maria. Dir ist egal, wer du bist und wer ich bin, für dich sind alle gleich. Schade, das mein Bruder nie begriffen hat, sie recht du damit hast, meine Freundin.«

»Ich verprügel auch den König von Lanta wenn du dann endlich einmal Vernunft annimmst«, fauchte sie und deutete so entschieden den Weg zurück, dass sich Tywyll endlich fügte. Er ging wieder ins Wohnzimmer.

Sie nahm den kleinen Jungen auf den Arm und folgte ihm, setzte das Kind wieder vor dem Kamin ab und setzte sich dann zu Tywyll, der gedankenverloren mit einer kleinen Flamme in seiner Hand herumspielte. Er war ein Zauberer, Maria wusste das, deswegen wunderte es sie nicht.

Der kleine Junge krabbelte zu seinem Vater und zog sich am Sessel hoch. Er streckte die Arme aus um zu zeigen, dass er auf den Arm genommen werden wollte und Gedankenversunken hob sein Vater ihn hoch.

»Papa, ich will nicht, dass Mama so schreit«, weinte er.

»Ach Kenai… ich auch nicht, aber wir können nichts tun«, antwortete der Vater und schloss das Kind fest in die Arme.

»Wir können den verscheuchen, der ihr wehtut«, fand der kleine Junge.

»Das geht leider nicht, sonst hätte ich es schon lange getan«, seufzte Tywyll.

»Warum?«

Der junge Mann zögerte. Wie konnte er seinem Sohn erklären, was vor sich ging?

»Weißt du, Kenai, es gibt Dinge, die kann man nicht ändern. Die Natur sieht manchmal Dinge vor, die für uns nicht zu verstehen sind, aber sie sind dennoch so und wir können nichts dagegen tun. Der Schneesturm zum Beispiel. Wir wissen alle nicht, wieso er ausgerechnet heute sein muss, oder warum es ihn überhaupt gibt, doch er ist dennoch da und wir können nichts dagegen tun.«

»Und mit Mama ist es genauso?«

»Ja, irgendwie schon. Wir können nichts gegen ihre Schmerzen unternehmen, wir können nur warten und hoffen, das es schnell geht.«

Darauf schwieg der kleine Junge und nickte schließlich.

»Warum tut die Natur Mama weh?«, wollte er weiter wissen.

»Ich weiß nicht. Ich denke, weil es irgendwie dazu gehört«, antwortete Tywyll nachdenklich. Er warf Maria einen Hilfesuchenden Blick zu, doch sie lächelte nur aufmunternd.

»Kannst du sie nicht einfach fragen?« Kenai schaute fragend zu seinem Vater auf. Der musste nun auch lächeln, beschloss aber, das es an der Zeit war, das Thema zu wechseln. Sein Sohn stellte eindeutig zu viele Fragen, auf die er keine Antwort wusste.

»Weißt du Kenai, du bekommst jetzt, in diesem Augenblick ein Geschwisterchen. Was hättest du lieber, einen Bruder oder eine kleine Schwester?«, fragte er.

»Einen Hund«, antwortete der kleine Junge trocken und kuschelte sich in die Arme des Vaters. Der schaute Maria verblüfft an, dann brachen sie in lautes Lachen aus. Mit dieser Antwort hatte keiner von ihnen gerechnet.

»Na, da schauen wir doch mal, ob du den irgendwann bekommen wirst«, kicherte Maria und grinste breit.

Tywyll wollte ihr eben darauf etwas antworten, doch er hielt inne und lauschte. Die Schreie waren verklungen, es war ganz still im Haus. Bloß das Tosen des Windes, der um das Haus herumwütete, war noch zu hören.

Es dauerte noch einen Augenblick, doch dann öffnete sich eine Tür im Haus und Schritte kamen in ihre Richtung. Schließlich trat Mena ein. Sie wirkte abgekämpft und müde, doch sie lächelte.

»Wie… geht es Callisto?«, fragte er zögernd. Er hatte Angst vor der Antwort.

»Sie ist sehr schwach und sehr müde, aber davon einmal ab, geht es ihr gut«, lächelte Mena.

»Kann ich… zu ihr?«, fragte er leise.

»Natürlich.«

Tywyll stand langsam auf, behielt Kenai auf dem Arm. Er fühlte sich plötzlich seltsam ruhig, alle Anspannungen waren von ihm gewichen. Er ging, öffnete umständlich die Tür und sah sofort seine Frau Callisto, die mit geschlossenen Augen im Bett lag, ein kleines Bündel in den Armen. Er setzte sich zu ihr, wusste, dass sie wach war.

»Wie geht es dir?«, wollte er flüsternd wissen.

»Ich bin müde, ich will am liebsten ein Jahrhundert lang schlafen«, antwortete sie, lächelte aber. Schließlich schob sie sich im Bett ein wenig nach oben und öffnete die Augen, schaute ihren Sohn und ihren Mann zufrieden an.

»Kenai mein Schatz, schau, du hast jetzt einen kleinen Bruder.« Sie schob das kleine Bündel ein wenig vor, sodass ihr Mann und ihr Sohn hineinblicken konnten. Verschlafene dunkle Augen aus einem runden Babygesicht blinzelten sie an.

»Diesmal ist es an dir einen Namen auszusuchen«, überlegte Tywyll und betrachtete seinen zweiten Sohn nachdenklich.

»Er hat schon einen, er soll Kanoa heißen. Kanoa Kuroi von Winters-Midnight.«

»Kanoa Kuroi? Wie bist du den darauf gekommen?«, wollte der junge Mann erstaunt wissen. Von diesem Namen hatte er noch nie gehört.

»Ich weiß nicht, ich glaube, ich habe auf der Straße mal jemanden diesen Namen rufen hören und er ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Und Kuroi ist einfach, es bedeutet schwarz. Ich finde es passend, ich habe noch nie ein Neugeborenes mit schwarzen Augen gesehen«, lächelte Callisto und ihr Mann musste ihr recht geben, auch er hatte noch nie von einem Neugeborenen mit schwarzen Augen gehört. Doch hier lag der Beweis, dass es möglich war.

»Ich hätte ja Nanuk besser gefunden. Eisbär. Es passt zum Wetter. Und zu Kenai, bedeutet schließlich auch Bär«, fand Tywyll, zuckte aber mit den Schultern. »Aber gut, dann soll er Kanoa heißen.«

»Ein Bär im Haus reicht«, lächelte Callisto und schaute wohlwollend auf ihren ersten Sohn, der neugierig den kleinen Bruder beäugte.

»Ich denke, du solltest jetzt schlafen.« Tywyll gab seiner Frau einen Kuss auf die Stirn.

»Und du solltest einmal tun, was ein fürsorglicher Vater tun würde: Deinen Sohn ins Bett schicken«, antwortete sie lachend und deutete nach draußen. »Selbst wenn nicht zufällig alles hinter Wolken und Schnee völlig unkenntlich wäre, ich wäre mir sicher, dass der Mond schon lange aufgegangen ist. Höchste Zeit für den kleinen Mann.«

»Du hast recht«, nickte er und stand auf. Er nahm ihr Kanoa aus dem Arm und legte seinen zweiten Sohn in die Wiege, die im Raum stand. Eine Weile noch stand er bei dem kleinen Lebewesen, betrachtete es voll Stolz und schämte sich dafür, dass ihm Kanoas Leben so egal war, als es um die Entscheidung ging, wem er den Vorzug gab.

Jetzt, wo er seinen Sohn dort liegen sah, liebte er den kleinen Jungen ebenso sehr, wie auch Callisto und Kenai.

Schließlich wandte er sich ab, schürte er das Feuer im Kamin und legte noch einmal Holz nach, damit der Raum schön warm blieb, bevor er wieder Kenai hochnahm.

»Ab ins Bett, mein Großer. Morgen hast du genug Zeit, um deinen kleinen Bruder kennen zu lernen.«

Kenai wirkte ein wenig Unendschloßen und misstrauisch, nickte aber schließlich und lachte.

»Ich bin ein großer Bruder«, stellte er erfreut fest.

»Dann hoffe ich doch mal, dass du das in ein paar Jahren noch genauso gut finden wirst«, überlegte Tywyll und lächelte traurig. Callisto wusste, woran er dachte, doch sie fand, dass das noch Zeit hatte. Sie rutschte wieder im Bett hinab und war eingeschlafen, bevor ihr Mann den Raum verlassen hatte.

Heute Nacht waren sie alle glücklich.
 

Dies war die Geschichte meiner Geburt. Nicht besonders spektakulär, einzig und allein der Schneesturm, der auch noch die folgenden Tage anhielt, machte sie zu etwas besonderem. Ich denke, ihr werdet bald merken, dass der Winter auch im Rest meines Lebens noch eine sehr große Rolle spielen wird. Manchmal habe ich das Gefühl, es war Vorsehung, das mein Leben im Winter begann.

Nun, natürlich ist das nicht das Einzige gewesen, was mein Leben geprägt hat. Auch mein Name hat dies getan. Meine Mutter wusste es nicht, für sie entstammte er der reinen Willkür, doch mein Name, Kanoa, er bedeutet Freiheit. Auch dieses Wort wird noch in meinem Leben von Bedeutung sein.

Das wusste damals natürlich noch keiner und wer weiß, vielleicht wäre mein Leben anders verlaufen, hätte man nur eine Kleinigkeit verändert. Ich werde es nie erfahren.

Doch das soll jetzt auch nicht weiter von Belang sein. Jetzt gibt es erst einmal eine andere Geschichte zu erzählen. Und sie hat gerade erst begonnen.

Vom Pläneschmieden

Kanoa saß im Sand, lehnte sich an die Wand und malte mit einem Stock Bilder in den weichen Untergrund. Unruhig schaute er dabei immer wieder auf, doch die Tür, die ins Innere des Hauses führte, blieb geschlossen und das machte ihn nervös.

»Hallo Kanoa, was tust du hier?«, fragte ihn plötzlich eine Stimme. Er hatte nicht damit gerechnet, angesprochen zu werden, deswegen zuckte er heftig zusammen und schaute erschrocken nach oben. Maria stand da und schaute ihn prüfend an.

»Nichts, ich warte nur auf Kenai«, antwortete der kleine Junge schnell und wurde rot.

»Was hast du ausgefressen?«, wollte sie sogleich nüchtern wissen.

»Gar nichts!«, antwortete Kanoa und sprang auf, das schlechte Gewissen deutlich im Gesicht stehen. Er war kein besonders guter Lügner, Kenai konnte das besser.

»Kanoa, ich kriege es sowieso heraus, also sag es mir besser gleich.« Die junge Frau zog vielsagend die Augenbrauen hoch.

»Wir haben aber nichts gemacht!«, rief der kleine Junge, bestätigte damit eindeutig alle Vermutungen, die Maria haben mochte, und lief weg, bevor sie weiterfragen konnte.

Kanoa wusste, sein Bruder Kenai würde sehr wütend sein, wenn er Maria die Wahrheit sagte, von dem Ärger, den sie beide bekommen würden, einmal ganz abgesehen. Und wenn sie ihn nicht sah, konnte sie auch nicht nachfragen.

Er lief in den Pferdestall und lugte um die Ecke herum um zu sehen, ob sie noch da war. Einen Moment schaute Maria ihn auch noch nachdenklich nach, schließlich jedoch ging sie ins Haus.

Kanoa zögerte, er war sich nicht sicher, ob er den Stall wieder verlassen, oder ob er besser hier warten sollte, doch diese Entscheidung wurde ihm abgenommen. Nur Augenblicke später öffnete sich die Tür erneut und Kenai kam hinausgelaufen.

Er schloss die Tür, warf dem Haus noch einen finsteren Blick zu, dann schaute er sich suchend um.

»Nai, hast du viel ärger bekommen?«, wollte Kanoa laut wissen und lief zu seinem großen Bruder.

»Nein, aber wenn du in alle Welt hinausschreist, das wir es beide durchaus verdient hätten, dann werden wir den sicher gleich kriegen«, zischte Kenai, griff die Hand des kleinen Bruders und zog ihn unsanft mit sich, vom Hof hinunter.

Als sie ein Stück der Straße gefolgt waren, kletterten die Brüder unter dem Zaun einer Pferdeweide hindurch und liefen mit nackten Füßen über das grüne Gras. Dabei sagten sie nichts, Kanoa wartete, das Kenai mit dem Sprechen beginnen würde.

»Mama war nur böse, weil wir Kinaya nicht mitgenommen haben, sie weiß gar nicht, dass wir mit Hester bis an die Grenze geritten sind«, erklärte Kenai schließlich und lachte zufrieden.

»Dann bin ich beruhigt, sie wäre bestimmt ganz böse geworden, wenn sie es wüsste«, seufzte Kanoa erleichtert.

»Nicht so böse wie Papa. Mama mag es nur nicht, wenn wir so weit weggehen, Papa dagegen wird immer ganz wütend, wenn man Forea erwähnt.« Kenai drehte sich einmal im Kreis und lief dann recht wahllos in eine Richtung weiter.

»Weißt du wieso? Im Granzland sieht es genauso aus, wie hier auch«, fand Kanoa und folgte seinem Bruder, musste sich mit seinen kurzen Beinchen beeilen, um mit ihm mitzuhalten.

»Papa sagt, dass in Forea böse Menschen leben. Manchmal kommen sie sogar bis in die Grenzländer. Aber ich glaube ihm nicht, das erzählt er nur, damit wir dort nicht hingehen.«

»Und was glaubst du dann? Papa verbietet uns doch sonst auch nichts ohne Grund«, fand Kanoa.

»Ich weiß es nicht, ich würde es aber gerne herausfinden«, antwortete Kenai und blieb stehen, ein zufriedenes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Er deutete auf eine Ponystute die ein einiger Entfernung am grasen war. »Schau mal, dort hinten ist Hester!«

»Willst du etwa schon wieder dorthin reiten?« Erstaunt, aber auch eindeutig bewundert, blickte Kanoa zu seinem Bruder hoch.

»Nicht heute, dazu ist es zu spät, aber morgen vielleicht. Wenn wir bei Sonnenaufgang Losreiten, schaffen wir es ein gutes Stück in die Grenzländer hinein, bis wir wieder umkehren müssen.«

»Und wenn wir unterwegs jemanden treffen, den wir kennen? Erwachsene sind zwar ein bisschen dumm, aber nicht so dumm, dass sie nicht verstehen würden, wo wir hinwollen«, warf Kanoa ein.

»Stimmt wohl, aber da fällt uns schon etwas ein. Du kommst doch mit, oder?«

Kenai blieb abrupt stehen und schaute seinen kleinen Bruder mit einem Blick an, der sehr deutlich machte, dass er kein nein akzeptieren würde. Kanoa hatte aber auch nicht vor, ihm abzulehnen. Seine Augen glitzerten begeistert und er nickte heftig.

»Ja, ich frage Mama morgen früh gleich, ob sie uns Kuchen und Brote einpackt und sage ihr bescheid, das wir einen Ausflug machen wollen!«

»Aber pass auf, dass Maria nicht in der Nähe ist, sie durchschaut sofort, das da etwas im Busch ist. Und versuch diesmal nicht rot zu werden und zu stammeln«, wies Kenai ihn an.

»Ich bin eben noch nicht so gut im Flunkern wie du«, antwortete Kanoa. Sie waren bei der Ponystute angekommen und Kenai strich ihr prüfend über die Fesseln, wie er es schon so oft bei den Stallburschen gesehen hatte. Er wusste nicht, wozu man das tat, aber er kam sich dabei furchtbar wichtig und erwachsen vor und der bewundernde Blick Kanoas tat ein Übriges, um dieses Gefühl zu verstärken.

»Was tun wir, wenn wir Kini mitnehmen sollen?«, wollte Kanoa wissen und streichelte die Stute, beobachtete dabei den großen Bruder aus großen Augen.

»Die ärgern wir so lange, bis sie weinend zu Mama läuft«, beschloss Kenai und machte eine Räuberleiter, damit Kanoa auf den Pferderücken klettern konnte.

»Aber dann gibt es doch nur wieder ärger, vielleicht sogar Stubenarrest«, prophezeite Kanoa und kletterte umständlich an seinem Bruder hinauf. Auf Hesters Rücken krallte er sich fest in die helle Mähne.

»Kann sein, aber anders werden wir sie nicht los«, murrte Kenai und griff ebenfalls in die Mähne. Er kam nicht einfach so auf den Ponyrücken, er brauchte eine Erhebung, also suchte er sich eine. Dabei führte er die Ponystute an ihrer eigenen Mähne vor sich hin.

»Wenn wir aber nicht raus dürfen, ist uns auch nicht geholfen«, gab der kleine Bruder zu Bedenken.

»Die behalten uns nicht drinnen, das ertragen die nicht«, lachte Kenai und hatte damit recht.

»Hm… kann sein, Mama und Maria schicken uns wirklich sehr oft raus in letzter Zeit. Mama ist sowieso ganz seltsam«, fand Kanoa und beugte sich nach vorn, sodass er auf dem Pferdehals lag. »Glaubst du, sie haben uns nicht mehr lieb?«

»Mama bekommt noch ein Kind, deswegen braucht sie ruhe. Das war damals bei Kini auch so, daran kannst du dich nur nicht erinnern.«

»Noch ein Kind? Also noch eine Schwester, auf die wir immer aufpassen müssen?«, wollte Kanoa mit gerümpfter Nase wissen.

»Oder einen Bruder, aber um das Aufpassen können wir uns bestimmt nicht dauerhaft drücken, wenn es erstmal alt genug ist. Vielleicht haben wir aber auch glück und Kini passt auf. Mädchen machen so was gerne hat Maria einmal gesagt.«

»Bestimmt nicht Kinaya, Papa sagt immer, sie hat Haare auf den Zähnen, sie wird noch einmal zu einem richtigen Kerl. Geht das? Das aus einem Mädchen plötzlich ein Junge wird?«

»Ich weiß nicht, aber ich hoffe nicht, dann würde das bestimmt auch anders herum funktionieren und ich will kein Mädchen sein, die müssen immer so langweiligen Kram machen«, antwortete Kenai und hatte endlich eine Stelle gefunden, an der er auf den Ponyrücken klettern konnte. Er hatte Erfahrung darin, deswegen saß er schon bald hinter Kanoa und griff an seinem kleinen Bruder vorbei in die Mähne, bevor er Hester mit den Füßen antrieb.

Die kleine Stute war es gewohnt, dass die beiden Jungen auf ihrem Rücken ritten und sie tat bereitwillig, was von ihr verlangt wurde. Sie war ein gutes Tier, nicht schreckhaft und sehr zutraulich und zuverlässig. Deswegen hatte Tywyll sie gekauft, damit seine Söhne auf einem guten Pferd das Reiten lernen konnten. Dass die beiden Jungen das gute Tier für verbotene Ausflüge nutzten, hätte er sich niemals träumen lassen.

»Reiten wir jetzt nach Hause?«, wollte Kanoa wissen und kuschelte sich entspannt an den großen Bruder.

»Es ist noch nicht Zeit für das Abendessen, wenn du möchtest, können wir auch noch woanders hin«, antwortete Kenai.

»Ins Dorf vielleicht? Vielleicht bekommen wir von Reika etwas zum Naschen«, überlegte Kanoa laut.

»Au ja, die macht immer so leckere Kekse und sie haut einem nicht auf die Finger wenn man einen haben möchte«, nickte Kenai begeistert und trieb die Ponystute in die Richtung, in der das Dorf lag. Die beiden Jungen verbrachten jede freie Minuten in den weiten Feldern um ihr Elternhaus herum, sie wussten so ziemlich immer, wo sie waren. Und selbst wenn sie es nicht mehr wussten, so brachte die treue Stute sie sicher nach Hause.

Bald schon kamen sie wieder auf den Weg zurück, doch der Zaun versperrte Hester die letzten Schritte, sodass sie gut gelaunt neben dem Weg hertrabten. Doch die Jungen kamen gar nicht bis ins Dorf, bevor es auch nur in Sichtweite kam, sahen sie schon das braune Pferd, das ihnen entgegen trabte. Sie wussten, dass auf ihrem Rücken ihr Vater saß.

»Lass uns Wegreiten, vielleicht hat er uns noch nicht gesehen«, murmelte Kanoa.

»Wenn wir ihn gesehen haben, dann hat er uns auch schon gesehen«, antwortete Kenai. »Wenn wir jetzt Wegreiten weiß er, das wir etwas vorhaben, wir müssen uns unauffällig verhalten.«

Kanoa nickte entschlossen.

»Du musst lächeln, wir müssen so tun, als würden wir uns freuen, ihn zu sehen«, forderte ihn sein großer Bruder auf.

»Okay«, nickte Kanoa mit einem Blick, als wollte er entschlossen in die Schlacht ziehen. Dazu verzog er dem Mund zu etwas, was wohl ein Lächeln sein sollte, aber mehr an das Zähnefletschen eines Hundes erinnerte.

Der Vater hatte sie wirklich schon entdeckt, er ließ sein Pferd antraben und hielt neben ihnen.

»Kenai, Kanoa, was tut ihr hier?«, fragte er mit einem Lächeln, doch in seinen Augen war das Misstrauen deutlich zu sehen. Tywyll kannte seine Söhne nur allzu gut, egal wann oder wo man sie antraf, sie hatten immer nur Unsinn im Kopf.

»Wir wollten dir entgegen reiten, damit du nicht alleine den weiten Weg nach Hause machen musst«, log Kenai geistesgegenwärtig und Kanoa, noch immer das verbissene Zähnefletschen im Gesicht, nickte heftig.

»Weit, ja? Will ich wissen, was ihr wirklich vorhattet?«, lächelte der Mann und griff über den Zaun, um Kanoa zu sich aufs Pferd zu heben.

»Wir hatten gar nichts…!«, wollte Kenai ein weiteres mal widersprechen, doch der Blick seines Vaters ließ ihn mitten im Satz verstummen und den Kopf schütteln. »Wir haben zumindest nichts Böses vor, wir wollten nur schauen, ob Reika uns ein paar Kekse gibt.«

»Naschen also, obwohl es gleich essen gibt«, schmunzelte Tywyll und schwang sich vom Pferderücken, um auch seinen ältesten Sohn auf sein eigenes Pferd zu heben. Er entließ Hester mit einem alten Stück Brot und einem Halsklopfen, dann führte er seinen Braunen den Weg entlang, zurück nach Hause.

»Papa, erzählst du uns nach dem Essen eine Geschichte?«, wollte Kenai nach einer Weile wissen.

»Nein, nach dem Essen werdet ihr erst einmal geschrubbt, wo habt ihr euch nur wieder herumgetrieben? Und ich hoffe, ihr habt eure Schwester nicht irgendwo einfach sitzen lassen?« Streng schaute Tywyll zu seinem Söhnen hinauf.

»Wir haben sie gar nicht mitgenommen, sie hält einen doch bloß immer nur auf«, antwortete der Ältere und rümpfte die Nase.

»Das ist nur, weil sie noch so klein ist. In dem Alter kann man noch nicht so schnell und so weit laufen wie ihr. Wenn das neue Kind da ist, dann müsst ihr sie aber öfter mitnehmen, damit eure Mutter nicht so viel zu tun hat«, lächelte der Vater.

»Warum passt Maria nicht auf sie auf, das hat sie doch früher auch immer getan«, wollte Kanoa wissen und blinzelte müde. Er war den ganzen Tag herumgelaufen und jetzt, wo er auf den sanft schwankenden Pferderücken saß, wusste, das Kenai und sein Vater auf ihn aufpassen würden, da spürte er die Müdigkeit.

»Weil Maria auch ein eigenes Leben führt, sie kann nicht ständig für euch da sein. Wer weiß, vielleicht verabschiedet sie sich im Herbst auch ganz.«

»Was? Wieso?«, rief Kenai aus und starrte seinen Vater missmutig an.

»Weil sie dann selbst verheiratet ist. Dann braucht sie die Arbeit bei uns nicht mehr und wenn sie eigene Kinder hat, dann hat sie mit denen gewiss auch genug zu tun.«

»Hat sie uns denn gar nicht lieb, das sie einfach so weggehen will?«, wollte Kanoa traurig wissen.

»Doch, hat sie, aber nichts bleibt für die Ewigkeit. Und sie wird uns gewiss immer noch besuchen kommen. Sie ist dann nur nicht mehr jeden Tag da. Aber ihr müsst das Gute sehen, dann kann sie euch nicht mehr ausschimpfen«, lächelte Tywyll.

»Dann lieber von ihr schimpfe kriegen«, fand Kenai und Kanoa nickte bekräftigend.

»Ihr werdet das schon überleben, habt da mal keine angst«, lächelte der Vater.

Darauf schwiegen die Brüder zwar, doch sagten ihre Blicke deutlich, was sie davon hielten. Dennoch blieben sie ruhig, alle drei, bis sie auf dem Hof ankamen. Da hob Tywyll seine Söhne vom Pferderücken und schickte sie ins Haus, während er selbst das Pferd in den Stall brachte.

Im Innern wurden sie beide schon von ihrer Schwester Kinaya erwartet, die sichtlich böse darüber war, das ihre Brüder einfach ohne sie gegangen waren, doch das Versprechen, das Kenai sie bald einmal auf Hester reiten lassen würde, besänftigte das kleine Mädchen schnell wieder. Sie war gerne mit ihren Brüdern unterwegs.

So nahmen diese ihre lachende Schwester mit sich nach draußen. An der Handpumpe, an der die Pferde getränkt wurden, wuschen sie sich die Finger und setzten sich dann gut gelaunt an den Tisch. Sie aßen ihr Abendessen und dann setzte sich die ganze Familie ins Wohnzimmer. Um das Bad kamen die beiden Brüder irgendwie herum.

Stattdessen setzten sich Kenai und Kanoa in eine Ecke, möglichst weit weg von den Eltern und schmiedeten leise ihre Pläne weiter, damit am nächsten Tag alles glatt ging, während Tywyll, die schlafende Tochter auf dem Schoß, vorsichtig an einer Holzfigur schnitzte und Callisto mit einem Lächeln stickte. Ab und an legte sie ihre Hand auf ihren dicken Bauch und tauschte einen zufriedenen Blick mit ihrem Mann.

Schließlich war es an der Zeit, schlafen zu gehen. Tywyll brachte seine Söhne ins Bett und wünschte ihnen eine gute Nacht. Die beiden Jungen kuschelten sich in ihr gemeinsames Bett, voll Vorfreude auf den nächsten Tag, auf ihren verbotenen Ausflug. Mit einem wohligen Gefühl der Neugier und Aufregung im Bauch, schliefen sie ein.

Freuten sich auf den nächsten Tag, was auch immer er bringen mochte.
 

Wer keine Geschwister hat, kann es sich vermutlich gar nicht vorstellen, aber das Allerschönste was man tun kann ist, mit seinem großen Bruder irgendetwas Verbotenes anzustellen.

Dies war nicht das erste Mal und es sollte auch nicht das letzte Mal sein. Wir standen uns nicht nur als Kinder sehr, sehr nahe. Wenn man in einem Haus aufwächst, das so weit ab von allen Dörfern liegt, wo man nur sich selbst und die eigene Familie hat, muss man zwangsläufig seine Geschwister als Freunde sehen und das hat uns für den Rest unseres Lebens eng verbunden.

Geschwister müssen nicht nur die kleinen, nervenden Blagen sein, um die man sich kümmern muss, obwohl man keine Lust dazu hat. Sie können viel, viel mehr sein. Freund nämlich.

Ja. Kenai und ich, wir waren Freunde. Unser ganzes Leben lang.

Verbotener Ausflug

»Ach bitte Mama, ein wenig Kuchen noch, wir sind doch den ganzen Tag weg.« Kanoa blickte seine Mutter so bettelnd an, wie es sonst nur ein junger Hund zu tun vermochte.

»Reichen euch die Unmengen Brote nicht? Man könnte meinen, ich versuche hier einen Haufen nimmersatter Raupen ein anständiges Mahl zu bereiten und nicht zwei kleinen Jungen«, tadelte Callisto sanft, machte sich aber schon auf in Richtung Vorratskammer, um den gewünschten Kuchen zu holen.

»Mama, du bist die allerbeste!«, freute sich der kleine Junge und lief ihr lachend nach. Er nahm zwei große Kuchenstücken entdecken und verpackte sie fürsorglich in ein Tuch, legte es dann zu den Broten in den Korb. Er zögerte, überlegte, ob noch etwas fehlen mochte, da kam auch schon Kenai herein und legte zwei Trinkschläuche dazu.

»Das sollte reichen«, befand er gut gelaunt und warf Kanoa einen verschwörerischen Blick zu, während die Mutter sich gerade wieder an den Tisch zurücksetzte.

»Wohin wollt ihr eigentlich gehen?«, fragte die und zerschnitt sich einen Apfel.

»Nach Osten zu den Ruinen zu denen mich Papa letzten Sommer mitgenommen hat. Der alte Mann hatte so süße kleine Hunde, ich wollte sehen, ob er dieses Jahr wieder welche hat«, log Kenai gekonnt, während Kanoa ihn bewundernde Blicke zuwarf. Er konnte noch lange nicht so gut lügen wie sein Bruder.

»Der Weg dahin ist aber sehr weit, glaubst du, das Kanoa das schafft? Und das ihr euch nicht verirren werdet?« Maria betrat den Raum mit einem vollen Wassereimer in der Hand, den sie ins Waschbecken hinein entleerte.

»Wenn nicht, dann kehren wir eben früher um und auf den Weg gibt es eine Menge Häuser wo wir anklopfen können. Wir gehen schon nicht verloren«, antwortete Kenai gut gelaunt.

»Wollen wir es hoffen, Tywyll und Rafe haben besseres zu tun, als euch heute Abend zu suchen«, fand sie und musterte die Jungend streng.

»Maria, sei nicht so streng, du weißt doch wie sie sind. Sie können sich aus allen Schwierigkeiten herauswinden«, lachte Callisto.

»Wenn es dir Freude bereitet, wenn deine Söhne bei dunkelster Nacht durch unbekanntes Gelände laufen, meine Liebe, dann bin ich jetzt still, ansonsten sei ruhig und lass mich weiterdrohen, damit sie gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen«, erklärte Maria kühl.

»Denkst du nicht, das sie schlau genug sind, sich bei Einbruch der Dunkelheit in irgendein Haus selbst einzuladen?«, lächelte die Herrin des Hauses unbeirrt weiter. Maria wollte darauf noch etwas antworten, doch sie holte nur tief Luft, klappte den Mund dann wieder zu und zuckte stattdessen mit den Schultern.

»Aber sagt nicht, ich hätte es nicht versucht, wenn sie von irgendwelchen Wölfen zerfleischt werden und euch nur Kinaya bleibt«, meinte sie schlussendlich und verließ den Raum, während Callisto weiterhin unbeirrt lächelte. Dann jedoch wandte sie sich streng an ihre Söhne. »Sie hat recht, ihr seit vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause. Ihr wisst, es lauern nicht nur wilde Tiere.«

Kenai nickte und verdrehte zugleich die Augen während er den Korb hochnahm und in Richtung Tür lief. Kanoa folgte ihm. Die Brüder liefen nicht gleich los, stattdessen liefen sie in den Stall und packten ihren Proviant in eine Satteltasche um. Der Korb wäre nur hinderlich gewesen, doch hätten sie sofort eine Satteltasche gepackt, hätten die Eltern verdacht geschöpft, das wussten sie.

So versteckten sie den Korb gut unter dem Heu und liefen gemeinsam über den Hof in Richtung Pferdeweide um dort Hester zu suchen. Es dauerte nicht lange, bis sie die Stute gefunden hatte, sie weidete bei der braunen Stute ihres Vaters.

Kenai warf ihr die Satteltasche über den Rücken, dann half er Kanoa hinauf. Schließlich führte er sie zu einem Stein der in der Nähe lag und erklomm von dort aus selbst das Pony. Schließlich trieb er sie mit den Hacken vorwärts Richtung Westen.

»Welchen Weg nehmen wir? Über die Weide oder die Hohlwege?«, wollte Kanoa wissen.

»Über die Weide. So sind wir zwar langsamer, aber auf den Hohlwegen könnte uns jemand antreffen und Mama bescheid sagen und das wollen wir ja nicht«, antwortete Kenai und so trotteten sie gut gelaunt auf dem Ponyrücken über das grüne Gras. Er wusste, das alle Weiden in dieser Gegend miteinander verbunden waren, sie mussten nur immer das Gatter suchen.

Es war ein sonniger Tag, der blaue Himmel war wolkenlos. Eine sanfte Briese wehte über das Land und kühlte die Haut der beiden Brüder, sodass ihnen, der Sonne zum Trotz, nicht heiß war. Das grüne Gras, trotz der Sommerhitze noch nicht verdorrt, dämpfte die Schritte der kleinen Stute. Es war der perfekte Tag für ihren verbotenen Ausflug.

Den Morgen verbrachten sie singend, und ab und zu, wenn ein Bachlauf ihren Weg kreuzte, ließen sie Hester grasen und tranken am Wasser, kühlten ein wenig die Hände und Füße, bevor sie sich wieder aufmachten.

Gegen Mittag hielten sie bei einem kleinen Wäldchen. Sie setzten sich in den Schatten und verdrückten hungrig die Brote und den Kuchen, dann beschlossen sie, das sie schon weit genug gekommen sein mussten, das sie gefahrlos auf den Hohlweg wechseln konnte. Das Dorf würde schon weit hinter ihnen liegen, sodass sie wohl niemanden mehr antreffen würden, den sie kannten.

Und er hatte recht, als sie schließlich das Gatter erreichten, das von dieser Weide auf den Weg führte, war ihnen die Gegend nicht mehr vertraut, sodass sie sicher wussten, das Dorf schon lange passiert zu haben.

So ritten sie gut gelaunt auf dem Weg weiter, bis sie zu einer Abzweigung kamen. Ein Schild war hier aufgebaut, doch Kenai passte selten auf, wenn seine Eltern ihm das Lesen beizubringen versuchten, sodass er nicht wusste, was dort stand. Doch das spielte auch keine Rolle, denn er erkannte das Wappen auf einem Stein daneben umso besser.

»Kanoa! Das ist die Grenze von Irian!«, rief Kenai erfreut aus.

»Was sind das für Tiere?«, wollte Kanoa dagegen wissen und deutete auf das Wappen.

»Das sind die geflügelten Fuchswölfe von Irian«, antwortete der große Bruder und trieb die Ponystute wieder an.

»Warum haben sie Flügel? Und es gibt gar keine Fuchswölfe, Maria sagt, das Füchse und Wölfe keine Kinder haben können«, erklärte Kanoa und schob schmollend die Unterlippe vor.

»Das weiß ich selbst. Das sind auch keine richtigen Fuchswölfe, das sind eigentlich Hunde. Du kennst doch die Wolfshunde, die Reika hat, oder? Solche Hunde, die so aussehen wie Wölfe, gibt es nur hier in Irian. Ab und zu gibt es aber im Wurf auch Welpen, die aussehen wie Füchse. Die sind klein und rot oder weiß mit langen Schwänzen, wie Füchse eben. Und deswegen werden sie Fuchswölfe genannt. Weil sie aussehen wie Füchse, ihre Eltern wie Wölfe, und sie aber eigentlich Hunde sind«, erklärte Kenai.

»Und warum die Flügel?«

»Weil die Erwachsenen Fügel als Symbol der Freiheit verstehen. Und um zu zeigen, das Irian an freies Land ist und niemand besser als der andere ist, haben sie den Fuchswölfen Flügel gegeben.«

»Hm«, machte Kanoa. »Erwachsene sind seltsam.«

»Ich weiß. Aber wir sind jetzt in den Grenzländern, noch ein bisschen weiter und wir sind in Forea«, freute sich Kenai.

»Wenn wir aber rechtzeitig zu Hause sein wollen, müssten wir bald wieder zurück«, bemerkte Kanoa.

»Ja, ich weiß. Aber einen Blick auf Forea will ich noch erhaschen.« Kenai kicherte vor Aufregung.

»Und was tun wir, wenn Mama fragt?«, wollte der kleine Bruder ängstlich wissen.

»Dann sagen wir ihr, wir hätten uns ein bisschen verlaufen oder bei den Ruinen die Zeit vergessen, das glaubt sie uns schon. Wir vergessen doch oft die Zeit und sind dann viel zu spät.«

Da wirkte Kanoa beruhigt und lehnte sich wieder an seinen Bruder.

»Nai, ich hab dich lieb«, sagte er leise, während ihm langsam die Augen zufielen. Er war ein Mittagsschläfchen gewohnt, da Kenai nicht wirkte, als wollte er für ein solches anhalten, machte er es sich also auf Hesters Rücken bequem.

Er schlief ein. Als er wieder aufwachte, wusste er nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber es war kalt geworden und der Himmel hatte sich mit dunklen Wolken zugezogen. Er setzte sich auf, rieb sich die Augen und kuschelte sich dann wieder näher an Kenai heran.

»Nai, warum sind die Wolken so dunkel?«, fragte er leise.

»Ein Unwetter zieht auf, es dauert nicht mehr lange, bis es losbricht. Wir müssen uns einen Unterschlupf suchen«, antwortete Kenai und wirkte besorgt. Zu Hause wäre das kein Problem, doch hier kannten sie sich nicht aus, sie wussten nicht, wo sie trocken und sicher sein würden.

Es begann zu regnen, es wetterleuchtete über den Himmel und der Donner rollte über das Land. Sie wussten, dass sie sich von den Bäumen fern halten sollten, denn Blitze schlugen oft dort ein, sie hatten Angst und wollten nur möglichst schnell einen Unterschlupf finden, auch wenn es nur ein Baum mit einem dichten Laubdach sein mochte.

So saßen sie bald unter einer alten, knorrigen Eiche, hofften, das Hester nicht fortlaufen würde und warteten, dass das Unwetter vorbei zog. Da hörten sie aus der Ferne Hufgeklapper und Pferdewiehern und sahen schon bald einige Gestalten, die in einer kleinen Gruppe über den Weg galoppierten.

Die beiden Brüder schauten auf.

»Ist das Papa?«, fragte Kanoa hoffnungsvoll und auch Kenai fand, das eine der Gestalten durchaus Ähnlichkeit mit Tywyll aufwies.

»Warte hier und pass auf Hester auf«, wies er seinen kleinen Bruder an und stand auf. Wenn er nur mit dem Vater zurück nach Hause reiten konnte, dann nahm er auch jetzt gerne jeden Ärger in kauf, der kommen mochte.

So lief er das Stück über die Wiese hin zur Straße, lief den Pferden praktisch genau vor die Hufe. Der Rappe, der die Gruppe anführte, scheute erschrocken und stieg, während der Reiter, den die Brüder für Tywyll gehalten hatten, fluchte und versuchte, im Sattel zu bleiben.

Die Pferde seiner Begleiter sprangen um den Rappen und den kleinen Jungen herum, kamen dann erst zum stehen, während Kenai erschrocken auf die großen Hufe blickte, die ihn fast niedergetrampelt hätte, und dann auf den fremden Mann, der von nahem ganz eindeutig nicht sein Vater war.

»Verdammtes Gör, was sollte das?! Hast du keine Augen im Kopf? Willst du tot getrampelt werden oder was? Wo sind deine Eltern?«, fauchte der Mann und sprang aus dem Sattel. Einer seiner Begleiter ließ seinen Braunen einen Satz an Kenai vorbei machen und nahm dem Mann den Rappen ab. Der ging drohend auf den Jungen zu.

Kenai jedoch wich nicht zurück sondern starrte den Fremden stolz und furchtlos an, schob in einer schmollenden Geste die Unterlippe vor und setzte einen abfälligen Blick auf.

»Ich habe Sie verwechselt, ich dachte, dass Sie jemand anderes wären, deswegen meine Handlung. Doch mein Fehler gibt ihnen nicht das Recht, mich zu beschimpfen und so mit mir zu sprechen«, erklärte er ernst und sachlich, wie er es vom Vater kannte.

Für einen Moment starrte der Fremde ihn einfach nur völlig verblüfft an, sagte einige Sekunden lang gar nichts, sondern starrte Kenai nur an.

»Sag das noch mal«, forderte er nach einer gefühlten Ewigkeit.

»Sie haben nicht das Recht, so mit mir zu schimpfen«, fand der kleine Junge.

Abermals herrschte einen Moment lang fassungsloses Schweigen, dann brachen die Männer allesamt in Lachen aus. Kenai runzelte darauf unwillig die Stirn, ließ sie aber lachen, sie wussten ja noch nicht, mit wem sie es zu tun hatten.

»Okay Hosenscheißer, hör zu. Ich rede mit dir, wie ich möchte, wenn dir das nicht gefällt, dann geh und beschwer dich bei deinen Eltern. Und wo wir gerade bei denen sind, wo sind sie? Ich kann dich nicht hier in den Grenzwäldern alleine lassen, hier wirst du schneller von Raubtieren gefressen, als du bist zehn zählen kannst.« Der Mann schaute sich suchend um, entdeckte dabei aber nur Kanoa und Hester, die brav unter dem Baum warteten.

»Noch ein Kind«, kommentierte auch einer seiner Begleiter.

»Ich sehe es. Gut, dann werden wir euch wohl nach Hause bringen. Wie heißt ihr und wo kommt ihr her?«, wollte der Mann unwillig wissen.

»Wir sind Kenai und Kanoa von Winters-Midnight und wir kommen aus Irian. Genau genommen sind wir die Söhne vom Herr von Irian«, erklärte Kenai selbstzufrieden. »Tut dir jetzt leid, das du mich so schlecht behandelt hast?«

Der fremde Mann wirkte nicht gerade, als wenn ihm etwas Leid täte, doch sein Interesse war eindeutig geweckt.

»Von Winters-Midnight? Euer Vater heißt nicht zufällig Tywyll, oder?«, fragte er neugierig.

»Doch. Tywyll von Winters-Midnight«, bestätigte Kenai.

»Wer hätte das gedacht, dass ausgerechnet wir uns hier treffen…«, murmelte der Mann. Einen Augenblick lang schien er zu überlegen, dann nickte er, als wäre er zu einem Entschluss gekommen.

»Hol’ deinen Bruder, ich bring euch nach Hause«, sagte er schließlich.

»Leyal, wir haben keine Zeit für zwei Bälger, wir müssen weiter«, fand einer seiner Begleiter.

»Ihr reitet vor, ich bring sie allein zurück. Ich weiß wo sie wohnen«, antwortete der und deutete Kenai, das er seinen Bruder holen sollte.

Der zögerte. Tywyll hatte ihnen oft genug gesagt, das sie nicht mit Fremden mitgehen sollten, doch Leyal verdrehte bloß die Augen. Er lief selbst über die Wiese und griff Kanoa grob, warf ihn sich über die Schulter und ignorierte das Toben des kleinen Jungen. Leyal platzierte Kanoa unsanft auf dem Rücken des Rappen, wandte sich dann zu Kenai um.

»Nein, wir wollen nicht mit«, fauchte der, doch sein Gegenüber war das ebenso egal. Er schwang sich hinter Kanoa auf den Pferderücken und ließ sich Kenai von einem seiner Begleiter hinten aufsetzen.

»Halt dich fest, wir sind schnell unterwegs«, erklärte Leyal.

»Und was ist mit Hester?«, knurrte der kleine Junge unwillig.

»Wenn du das Pony meinst, die bring ich euch die nächsten Tage vorbei. Jetzt müssen wir erst einmal alle aus dem vermaledeiten Regen raus«, fand der fremde Mann. Er deutete auf das Pony und gab Anweisung, dass seine Begleiter sich darum kümmern sollten, dann ließ er seinen Rappen in schnellem Tempo vorwärts laufen.

Er hielt Kanoa, der vor ihm im Sattel saß, mit einer Hand gut fest, während sich Kenai krampfhaft an seine Hüfte krallte. So legten sie den Weg, für den die Jungen fast den ganzen Tag gebraucht hatten, binnen kürzester Zeit zurück, dabei sprach Leyal kein Wort mit ihnen.

Erst als sie in die Nähe des Dorfes kamen, wurde er langsamer. Als sie vor dem Gasthaus hielten, war es schon Nacht. Der Mann schien unentschlossen, ob sie Weiterreiten sollten, entschied sich dagegen.

»Eure Eltern machen sich sowieso schon Sorgen, da können wir auch erst noch etwas essen«, fand er. »Glaubst du, du schaffst es heile runter?«

Kenai antwortete nicht, schob stattdessen nur die Unterlippen vor und ließ sich vom Pferderücken rutschen. Er war schon öfter allein vom Braunen seines Vaters geklettert und der Rappe war auch nicht viel größer.

Leyal lächelte daraufhin und schwang sich ebenfalls hinab. Er band sein Pferd fest, dann griff er sich Kanoa und trug den kleinen Jungen, dem mittlerweile alles egal war, in den Schankraum. Kenai folgte ihm.

Er ließ die Brüder allein und begab sich zum Wirt, um mit ihm zu sprechen, während die beiden Jungen sich umblickten. Der Schankraum war fast leer, bloß zwei Fremde saßen dort. Ein junger Mann mit blondem Haar, der alles andere als zufrieden wirkte, und eine Frau mit hellbraunem Haar, die ruhig und zufrieden lächelte.

Die Brüder zögerten einen Moment, dann setzten sie sich an ihren Lieblingsplatz in der Ecke am Fenster und warteten. Leyal unterhielt sich mit dem Wirt, er wirkte nicht gerade so, als wollte er gleich zu ihnen kommen und so horchten die Brüder nach einer Weile gelangweilt auf das leise Gespräch der beiden Fremden.

»Ich versteh es immer noch nicht, Kunal. Das hier ist ein Dorf am Ende der Welt, was soll es hier schon Interessantes geben? Irian ist der wohl langweiligste Ort dieser Welt«, fand der Blonde genervt und starrte frustriert auf seinen Becher Wein, bevor er ihn in einem Zug hinunterstürzte.

»Findest du? Ich finde es faszinierend«, fand seine Begleiterin und lächelte unbeirrt weiter.

»Wieso? Es ist kalt, obwohl wir Sommer haben, das Wetter wechselt von einer Stunde auf die nächste, es wird nachts gar nicht richtig dunkel und die Menschen… Na ja, es ist eben ein Land voller unzivilisierter Wilde.« Der Blonde schnaubte abfällig.

»Sind wir nicht!«, rief Kenai wütend und sprang auf.

Der Blonde schaute ihn einen Augenblick lang verwirrt an, runzelte dann nachdenklich die Stirn, als überlegte er, ob er das hier wirklich ernst nehmen sollte. Schließlich lachte er leise und herablassend.

»Natürlich, du kleines Kind kennst die Welt da draußen bestimmt besser als ich«, brummte er schließlich sarkastisch und schenkte sich aus dem Tonkrug nach.

»Nein, aber ich kenne Irian und es ist ein tolles Land«, schnappte der kleine Junge.

»Irian ist nichts im Vergleich zu Altena.«

»Du hast doch gar keine Ahnung! Du bist nicht von hier, du kennst das Land doch gar nicht!«

Der Blonde zögerte einen Augenblick lang, dann schüttelte er wütend den Kopf.

»Was willst du Gör eigentlich von mir? Lauf nach Hause zu deiner Mutter«, fauchte er.

»Nenn’ Kenai nicht Gör!«, mischte sich da Kanoa wütend ein.

»Wollt ihr die Wahrheit etwa nicht hören?«

Das ging zu weit. Nachdem der Tag schon eine so negative Wendung genommen hatte, hatte Kanoa keine Lust, sich auch noch von einem Fremden schlecht machen zu lassen. Bevor Kenai etwas sagen konnte, hatte der kleine Junge in einer wütenden Bewegung einmal durch den Raum gewischt und dabei unbewusst einen magischen Wind entfesselt, der mit seiner vollen Kraft auf die beiden Fremden traf und sie mit Leichtigkeit vom Stuhl fegte.

»Du bist selbst ein Gör und schlecht erzogen bist du auch noch«, schrie er und blitzte den Blonden hasserfüllt an.

Der wiederum starrte erstaunt auf den kleinen Jungen, während seine Begleiterin laut lachte und Leyal fassungslos auf sie zugelaufen kam.

»Ich sagte doch, Irian ist ein faszinierendes Land«, kicherte sie und stand wieder auf. »Wie alt bist du, kleiner Mann?«

»Vier«, antwortete Kanoa wahrheitsgemäß und schob schmollend die Unterlippe vor.

»Vier?« Der Blonde wirkte ehrlich erstaunt.

»Wenn du mit vier Jahren schon solche Winde entfesseln kannst, dann wirst du gewiss einmal ein großer Zauberer werden«, prophezeite sie lächelnd, während auch ihr Begleiter aufstand.

»Mir vier ist man noch nicht so begabt«, widersprach der im Brustton der Überzeugung, doch seine Begleiterin ging nicht darauf ein.

»Lass uns schlafen gehen, Nikolai. Morgen wird ein anstrengender Tag«, erklärte sie stattdessen gut gelaunt und ging die Treppe zu den Schlafräumen hoch.

Nikolai starrte einen Augenblick lang noch fassungslos auf die Brüder, dann wandte er sich ebenfalls um und folgte ihr die Stufen hinauf.

Kenai, Kanoa und Leyal schauten ihnen nach, jeder mit seinen eigenen Emotionen angefüllt. Schließlich nickte Leyal, als wäre er zu einer Entscheidung gekommen.

»Gut, Abendbrot lassen wir doch ausfallen, ihr müsst jetzt schleunigst nach Hause, bevor ihr noch die ganze Wirtschaft auseinander nehmt«, fand er und scheuchte die Jungen wieder hinaus, tauschte dabei einen langen Blick mit dem Wirt, doch sie sagten nichts mehr zueinander.

Draußen setzte er die Brüder dann wieder aufs Pferd und führte es den restlichen Weg zum Haus. Dort brannte noch Licht und als er schließlich anklopfte, wurde ihm sofort von Maria geöffnet. Sie stutze, als sie den Mann sah.

»Leyal, was willst du hier?«, erkundigte sie sich kalt. »Tywyll ist nicht daheim, falls du ihn suchen solltest.«

»Ich wollte euch nur seine Söhne wiederbringen, ich habe sie in den Grenzländern angetroffen, als ich auf dem Weg zu einem überschwemmten Dorf war und dachte, es wäre besser, sie nicht allein nach Hause reiten zu lassen. Ihr Pony werde ich die nächsten Tage vorbeibringen, das hätte uns heute nur behindert.«

Maria runzelte die Stirn während er erzählte. Sie wirkte nicht begeistert und als er erzählte, wo er die Brüder gefunden hatte, runzelte sie wütend die Stirn, doch sie sagte nichts. Sie schob die Jungen einfach nur Wortlos hinein, verabschiedete sich kalt von Leyal und schickte sie ohne Abendessen ins Bett.

So verheißungsvoll der Tag für die Brüder begann, so betrüblich endete er schließlich, doch für den Moment waren sie dennoch guter Dinge, denn für diesen Moment hatte Maria sie noch nicht ausgeschimpft. Und während sie so gemeinsam im Bett lagen und den Tag müde Revue passieren ließen, heckten sie auch schon den nächsten Streich aus, bis sie schließlich erschöpft einschliefen.
 

Der große Ärger kam dann am nächsten Tag. Nicht nur von Maria, auch unsere Eltern schimpften lange und ausgiebig. Wir hätten wochenlangen Stubenarrest bekommen sollen, doch als unser neustes Familienmitglied, unser Bruder Fjodor, geboren war, da hielten sie es nicht lange durch, bald schon ließen sie uns wieder frei umhertoben.

Was die beiden Gestalten aus dem Wirtshaus anbelangt, die reisten am nächsten Tag schon wieder ab und der junge Mann, Nikolai, war dabei gar nicht mehr so arrogant. Und was Leyal betrifft, erfuhr ich später mehr über ihn, auch, woher er und Maria sich kannten.

Wie versprochen brachte er auch einige Tage später Hester zurück, doch wir wurden so scharf beobachtet, dass ein neuer Ausflug undenkbar war.

Und dennoch, trotz aller Widrigkeiten, war es rückblickend betrachtet, ein sehr erfolgreicher Tag.

Reise ans Meer

Kanoa wischte ungeduldig und alles andere als ordentlich mit einem Lappen über die Teller, stellte sie dann ins Regal, während sie noch tropften. Er war viel zu aufgeregt, um sich jetzt mit so etwas banalem wie Geschirrtrocknen zu beschäftigen.

Er sprang vom Stuhl und schmiss das Trockentuch ins Waschwasser, dann lief er nach draußen, wo Kenai gerade dabei war, die Satteltaschen zu packen, während Tywyll die Pferde sattelte.

»Fertig gewaschen, darf ich euch jetzt helfen?«, fragte er aufgeregt und lief zu seinem Vater, um ihn den Striegel zu geben.

»Du kannst die Hufe auskratzen wenn du sie hochhalten kannst«, bot Tywyll an, war mit seinen Gedanken weit fort. Das jedoch störte den Jungen herzlich wenig, begeistert stemmte er den ersten Huf hoch, doch er konnte ihn nicht halten, sodass das Pferd sein Bein bald wieder absetzte.

»Nai, hilf mir, mit einer Hand kann ich es nicht halten!«, rief er seinem großen Bruder zu.

»Dann tu etwas anderes sinnvolles, ich habe keine Zeit«, antwortete der und rieb das Leder noch einmal mit Öl ab. Sie würden einige Zeit unterwegs sein, da musste ihr Sattelzeug in Ordnung sein.

Kanoa streckte ihm die Zunge raus, da sah er Kinaya, die auf ihn zugelaufen kam. Auch sie würde bei ihrem Ausflug mitkommen und war schon ganz aufgeregt deswegen.

»Kini, willst du mir beim Hufekratzen helfen? Ich halte den Huf hoch und du kratzt«, erklärte er und das Mädchen nickte begeistert. So machten sie sich an die Arbeit und hatten schon bald den Dreck und die Steine entfernt.

Auch Kenai und Tywyll waren mittlerweile fertig und so verabschiedeten sie sich von Maria und Callisto, die Kinder voller Begeisterung und Abenteuerlust, der Vater eher bedrückt und nachdenklich.

Dass irgendetwas nicht stimmte, das hatten die Kinder natürlich auch schon gemerkt, doch in Anbetracht des Ausfluges der vor ihnen lag, machten sie sich darüber keine Gedanken. Stattdessen liefen sie zu den drei Pferden.

Tywyll und Kinaya würden gemeinsam auf der braunen Stute des Vaters reiten, Kenai hatte im vergangenen Herbst ein eigenes Pferd bekommen, eine weiße Stute mit dunklem Langhaar, auf der würden er und Kanoa reiten. Das dritte Pferd war ein Fuchs und würde einfach nur als Packpferd dienen.

Sie kletterte auf den Pferderücken, riefen noch einen letzten Abschied, dann trabten sie in einem leichten, lange durchzuhaltenden Trab durch die Hohlwege zur Hauptstraße.

»Sind wir lange Unterwegs nach Fenten?«, erkundigte sich Kanoa aufgeregt.

»Lange genug. Es liegt am östlichen Meer, ein paar Tage werden wir schon unterwegs sein«, antwortete Tywyll geistesabwesend.

»Ich hab noch nie das Meer gesehen, Maria hat irgendwann mal erzählt, dass es aussieht wie ein riesiger See«, überlegte Kenai laut. Auch er war aufgeregt, aber er versuchte ruhig und bedacht zu wirken. Er versuchte erwachsen zu wirken und nahm sich seinen Vater als Vorbild.

Kanoa nervte das ein wenig, er fand, dass sein Bruder nur versuchte sich aufzuspielen, aber heute hatte er nicht vor, sich von Kenai in irgendeiner Weise provozieren zu lassen. Er hatte sich auf diese Reise schon seit Wochen gefreut, es war das allererste mal, das sie Irian richtig hinter sich ließen, das sie die Winterlande verließen und in das Zauberreich von Altena kamen.

Der Grund war freilich kein besonders erfreulicher, das wussten die Kinder, doch für sie spielte es in diesem Moment einfach keine Rolle.

Die ersten Tage verbrachten sie in einem Zustand völliger Euphorie, für sie war alles neu und aufregend und dass sie diese Reise nur mit ihrem Vater antraten, machte sie noch mal doppelt besonders.

Sie kehrten zu jeder Pause in ein anderes Gasthaus ein und verbrachten so aufregende Nachmittage und Abende. Sie trafen Schausteller, Söldner, Händler und Zauberer, aber auch zwielichtige Gestalten, mit denen sie nicht sprechen durften.

Sie lauschten Geschichten und Berichten, die ihnen so phantastisch erschienen, das sie sich sicher waren, das sie nur erfunden sein konnten, doch Tywyll bestätigte nur allzu oft, das diese Geschichte durchaus der Realität entsprechen konnte.

An einem Abend jedoch trafen sie jemand ganz besonderen.

Der Tag war kalt und stürmisch gewesen, als die vier an diesem Abend ins Gasthaus einkehrten, waren sie alle froh über die Wände, die den beißenden Wind abhielt. Die Kinder gingen müde zu einem freien Tisch, während Tywyll mit dem Wirt sprach. Es war ein anstrengender Tag gewesen, sie wollten etwas essen und dann ins Bett, selbst die beiden abenteuerlustigen Brüder hatten langsam die Nase voll.

Nach einigen Minuten kam der Vater zu ihnen und setzte sich dazu, nahm Kinaya auf seinen Schoß. Er lächelte Gedankenverloren in die müden Gesichter seiner Söhne.

»Morgen kommen wir an, keine Sorge. Dann könnt ihr euch erst einmal von euerer ersten großen Reise erholen«, lächelte er.

»Die Reise selbst ist gar nicht schlimm«, fand Kenai daraufhin. »Im Gegenteil, ich finde es toll so viel Neues zu sehen und gar nicht lange irgendwo zu bleiben. Das Leben eines Gauklers ist bestimmt toll, die machen das ja immer.«

»Das glaube ich dir sofort, Kenai«, lachte Tywyll und dachte bei sich, wie anders der kleine Junge war als all die anderen Kinder die er kannte. Das Volk der Nordmänner galt eigentlich als Sturmfest und Erdverwachsen, es zog sie nicht in die Fremde und ihre ganze Aufmerksamkeit galt der Gegenwart.

Kenai war anders. Er war stürmisch und freiheitsliebend, wechselhaft wie der Wind. Tywyll glaubte nicht daran, das sein ältester Sohn in Irian bleiben würde, Kenai würde gewiss irgendwann auf reisen gehen.

Kanoa war da anders. Er war deutlich praktische veranlagt, wenngleich seine Augen genauso hell leuchteten, wenn es um die Fremde, das Unbekannte ging. Er würde gewiss in Irian bleiben, doch er würde ebenfalls seinen Weg gehen und sich auch von anderen nicht beeinflussen lassen. Das tat er auch jetzt schon nicht.

Da schaute er zu Kinaya hinab. Sie war eine Träumerin, sie sprach mit Bäumen, einem Bachlauf und dem Wind. Sie war nicht so voller Tatendrang wie ihre Brüder, ihr war egal wo sie war oder was sie tat, wenn man ihr nur den Freiraum zum Träumen ließ.

Da dachte er an seinen jüngsten Sohn, an Fjodor und das Herz wurde ihm schwer. Er fragte sich, was seinen dritten Sohn für ein Schicksal erwarten mochte.

Bevor er jedoch weiter darüber nachgrübeln konnte, brachte die Tochter des Wirts ihr essen. Schweigend und ohne jedes Murren aßen die Kinder, was ihnen vorgesetzt wurde, doch plötzlich hörte Kanoa auf zu essen. Er hielt mitten in der Bewegung inne, schaute auf und fixierte einen Punkt irgendwo im Raum.

Tywyll entging das nicht, als er sich suchend umblickte, gewahr er jedoch nichts Ungewöhnliches. Ein paar andere Reisende waren zugegen, ein Händler und ein Mann der wirkte, wie ein Zauberer.

Und eben diesen Mann hatte Kanoa fest im Blick. Auch er hatte erst gedacht, dass es sich um einen Zauberer handeln würde, doch irgendetwas störte ihn daran. Irgendetwas war an diesem Mann, das es Kanoa unmöglich machte, an einen Zauberer zu glauben.

Er beobachtete den Mann, vergaß dabei völlig, dass sein Teller noch nicht leer war. Er hörte, dass er angesprochen wurde, doch er konnte seine Aufmerksamkeit nicht abwenden. Schließlich standen alle am Tisch auf und auch er schrak aus seinen Gedanken auf.

Widerwillig folgte er seinem Vater und seinen Geschwistern in den Schlafbereich im oberen Teil des Wirtshauses, was in seinen Gedanken dabei nach wie vor immer bei dem Fremden.

Er lag im Bett, die Stunden verrannen und er lag wach, grübelte weiter vor sich hin. Er hörte, das Kenai neben ihm schon schlief. Mit einem Seufzen setzte er sich auf. Helles Mondlicht erhellte den Raum. Er zögerte noch einen Moment, dachte an das, was sein Vater ihnen gesagt hatte, stand schließlich dennoch auf und lief zur Tür. Er musste einfach sehen, ob der Fremde noch da war.

Er trat auf den Gang und lauschte. Im Haus war es sehr still, die Gäste waren wohl schon gegangen oder schliefen. Er ging mit nackten Füßen den Gang entlang, die Treppe hinab, zurück in den Schankraum.

Es war, als hätte der fremde Mann nur auf ihn allein gewartet. Er saß an demselben Platz, wie schon die ganze Zeit, in der Dunkelheit, beleuchtet vom hellen Mondlicht, schien er zu leuchten. Er wirkte, als käme er nicht aus dieser Welt.

»Wer bist du?«, fragte Kanoa und ging langsam aber ohne Scheu auf den Fremden zu.

»Ich habe auf die gewartet. Du bist anders, Zauberer«, fand der Mann und beobachtete ihn.

»Ich bin kein Zauberer. Mein Papa will nicht, dass wir schon so jung in die Lehre gehen«, erklärte Kanoa und setzte sich unaufgefordert auf den Stuhl dem Fremden gegenüber.

»Nur weil dir noch keiner beibrachte damit umzugehen, bedeutet das nicht, dass du keiner bist. Und es ändert auch nichts daran, dass du anders bist. Weißt du, wer ich bin?«

»Nein, sonst hätte ich nicht gefragt.« Der kleine Junge verdrehte die Augen. Das Erwachsene immer so schwer von Begriff sein mussten.

Der Fremde lachte leise.

»Mit meinem Namen wirst du auch nicht viel anfangen können. Ich hieß einst, vor langer Zeit, Nevar. Jetzt nennt man mich freilich anders, wenngleich die Bedeutung sich nicht viel änderte. Es spielt auch keine Rolle.«

»Wer bist du denn dann nun?«

Darauf antwortete der Fremde, Nevar, eine ganze Weile nicht. Er schaute Kanoa nachdenklich an, sein weißes Haar schimmerte dabei im Mondlicht wie Schnee. Plötzlich schrak er auf.

»Ich dürfte gar nicht hier sein, deswegen muss ich jetzt gehen. Ich bin mir dennoch sicher, das wir einander Widertreffen werden, Zauberer«, erklärte er und stand auf.

»Wirst du verfolgt?«, erkundigte sich Kanoa und schaute sich aufgeregt um.

»Nein, aber indem ich hier bin, verstoße ich gegen einen Packt, der so alt ist wie diese Welt. Deswegen gehe ich jetzt. Auf wieder sehen.«

Bevor Kanoa noch etwas antworten konnte, war Nevar auch schon verschwunden. Ganz plötzlich, als hätte es ihn niemals gegeben. Nur Frost, der den Stuhl überzog, bezeugte seine Anwesenheit.

Der kleine Junge runzelte verwirrt die Stirn. Er wusste wohl, dass das eigentlich unmöglich war, doch er war noch ein Kind und deswegen noch nicht so festgefahren in die Geschicke dieser Welt, sodass er einfach so dazu bereit war, das Gesehene zu akzeptieren, ohne sich darüber weitere Gedanken zu machen.

Er schaute noch einige Augenblicke auf den glitzernden Stuhl, dann stand er auf und lief wieder zurück. Er kuschelte sich zu Kenai ins Bett und war in kürzester Zeit eingeschlafen.

Am nächsten Morgen war er sich nicht mehr sicher, ob er von dem Mann nicht nur geträumt hatte. Eigentlich spielte es aber auch keine Rolle, denn Kenai würde ihm sowieso nicht glauben, schon gar nicht wenn er erzählte, wie der Fremde verschwunden war.

Deswegen erzählte er nichts, verschloss diese Begegnung einfach tief in seinem Herzen. Obwohl er noch ein Kind war wusste er, dass in der Vergangenen Nacht etwas ganz besonderes geschehen war. Etwas, das niemanden etwas anging.

Sie frühstückten und dann machten sie sich auf, zur letzten Etappe ihrer Reise.

Jetzt kehrte auch die Aufregung zurück, die die Jungen zu beginn der Reise so sehr gefesselt hatte. Sie konnten es kaum erwarten, endlich den Ozean zu sehen. Sie spürten, dass die Luft anders war und seit Stunden schon hörten sie das Rauschen der Wellen.

Dann war es so weit. Tywyll, der immer voran geritten war, hielt sein Pferd auf einem Hügel an und schaute mit einem Lächeln zu seinen Söhnen zurück. Sofort ließ Kenai sein Tier antraben und als er die weiße Stute auf dem Hügel halten ließ, erstreckte sich vor ihnen ein Anblick, den sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht hätten ausmalen können.

Unter ihnen glitzerte das Meer in einem Blau, das sie nie zuvor gesehen hatten. Es erstreckte sich bis schier in die Unendlichkeit, bis zum Horizont, der so fern wirkte, als gäbe es niemals ein Ende.

Da fühlte sich Kanoa klein. Er hatte gewusst, dass die Welt riesig war, doch in diesem Augenblick fühlte er sich so winzig klein und unbedeutend, wie ein Käfer. Er war sich nicht sicher, ob ihn die Größe, die sich ihm hier bot, angst machen sollte, oder ob er sich freuen sollte, das es noch so unglaublich viel zu entdecken gab.

Er entschied sich dazu, es einfach so hinzunehmen. Es brachte nichts, sich darüber Gedanken zu machen, es war, wie es eben war.

»Dürfen wir zum Wasser runter?«, riss ihn Kenai aus seinen Gedanken.

»Ja, aber seit vorsichtig. Das Meer verhält sich anders als ein Bach oder ein Teich. Bleibt am Ufer«, warnte der Vater. Sogleich trieb Kenai seine Stute an und ließ sie zum Strand hinab springen. Er rutschte aus dem Sattel und lief los, blieb aber kurz vor dem Wasser stehen und beäugte es misstrauisch.

Auch Kanoa kletterte vom Pferderücken, blieb aber misstrauisch bei der Stute stehen, bis sein Vater heran war und ebenfalls aus dem Sattel stieg. Er holte Kinaya hinunter, die aufgeregt zu Kenai lief und freudig im Wasser zu plantschen begann.

»Ich pass auf Flöckchen auf, du kannst auch zu Kenai laufen«, erklärte Tywyll, doch Kanoa schüttelte den Kopf. Er überlegte, wie er das, was ihn beschäftigte, am Besten in Worte kleiden konnte.

Er fühlte sich ein wenig wie in der Nacht zuvor, als er mit Nevar gesprochen hatte, doch während er immer gewusst hatte, das Nevar ihm nichts tun würde, spürte er jetzt die Anwesenheit von etwas, das er nicht einordnen konnte, etwas, das ihn unsicher werden ließ.

»Papa, glaubst du, das es Dinge gibt, die es eigentlich gar nicht geben dürfte?«, fragte er deswegen leise.

»Meinst du Dinge, die man mit Magie erschaffen hat? Illusionen, die Existieren, obwohl sie wider der Natur sind?«

Kanoa schüttelte hektisch den Kopf. Er überlegte, wie er es seinem Vater am besten erklären konnte und erzählte schließlich doch von Nevar, obwohl er es eigentlich nicht wollte. Dieses Treffen sollte nur ihm allein gehören, doch ihm viel einfach nichts Besseres ein.

»Ich glaube, dass es ihn eigentlich nicht geben dürfte, aber er war ja trotzdem da«, schloss er schließlich, hoffte, dass sein Vater verstand, was er meinte.

»Ja Kanoa. Ich weiß was du meinst. Und es gibt sie. Sie sind die Erschaffer dieser Welt. Sie sorgen dafür, dass alles so ist, wie es sein muss. Es gibt viele, die ihre Existenz leugnen, aber ich denke, dass es sie gibt, dass sie sich nur nicht jedem zeigen. Ich habe nicht erkannt, was er war, das er sich dir offenbart hat, ist großes Glück für dich.«

»Glaubst du, dass auch jetzt einer von ihnen hier sein könnte? Wollen sie etwas böses?«

»Sie sind immer da, sie sind überall. Zu jeder Stunde, jeden Tag im Jahr. Sie begleiten uns, sie können uns Schaden wenn wir es herausfordern, aber sie sind nicht böse. Hab keine Angst vor ihnen, freu dich, wann immer du ihnen begegnen darfst, denn das ist eine große Ehre«, erklärte Tywyll mit einem Lächeln. Kanoa nickte zwar, doch sein Vater merkte, dass da noch etwas war, was seinen Sohn beschäftigte.

»Willst du mir nicht erzählen, was dir sonst noch auf dem Herzen liegt?«, fragte er deswegen leise. Der Junge schaute ihn einen Augenblick an, dann sprach er auch schon.

»Haben sie Fjodor so krank gemacht? Maria hat das gesagt. Also das er krank ist.«

Tywyll zögerte. Er war sich nicht sicher, ob es richtig war, einen kleinen Jungen mit so etwas zu belastet, aber er sah auch überdeutlich, wie sehr die Unwissenheit an Kanoa nagte und er begriff, das es nicht besser war, wenn man ein Kind von allen schrecklichen und unfairen Dingen dieser Welt fern halten wollte.

»Nein. Sie können niemanden krank machen. Außerdem sind wir alle viel zu klein und unbedeutend, als das sie sich für uns interessieren würden. Das ist einfach nur das Leben. Weißt du Kanoa, nicht alle Menschen haben nur Glück in ihren Leben. Manche sind Arm, sie haben nichts zu essen und müssen frieren, weil sie kein Haus haben. Manche sind gefangen, sie müssen hart arbeiten und dürfen nicht jeden spielen, lachen und sich freuen. Und manche sind krank, wie Fjodor. Niemand kann etwas dafür, er hatte einfach nicht besonders viel Glück.«

»Wird er wieder gesund?«

»Das weiß ich nicht. Das weiß keiner. Wir versuchen alles, um ihm zu helfen, aber letzen Endes liegt es in fremden Händen. Wir können nur tun, was uns möglich ist und dann warten und hoffen.«

»Und wenn wir Nevar oder einen der anderen darum bitten? Können sie es?«

»Nein, ich denke nicht. Auch sie sind nicht allmächtig. Wenn du wieder so einem Wesen begegnen solltest, dann kannst du ihn darum bitten, aber ich denke nicht, das sie dir diesen Wunsch erfüllen können und es wäre vergebliche Liebesmüh, nach ihnen zu suchen und sie zu fragen.«

»Warum?«, wollte der kleine Junge wissen.

»Wenn sie nicht wollen, dass du sie findest, könntest du sie auf der ganzen Welt suchen und würdest sie dennoch niemals finden. Sie sind es, die zu dir kommen müssen, Kanoa, den du kannst nicht zu ihnen gehen.«

»Dann werde ich ab jetzt die Augen aufhalten, vielleicht sehe ich ja wieder jemanden. Dann kann ich ihn ja fragen«, erklärte Kanoa im Brustton der Überzeugung.

»Das ist eine gute Idee, mein Sohn. Und jetzt geh und sag Kenai, das er aufhören soll, Kinaya zu ärgern«, lächelte Tywyll. Sogleich nickte der kleine Junge begeistert und lief los zu seinen Geschwistern. Jetzt, nachdem all seine Fragen beantwortet waren, konnte er wieder ein Kind sein. Zumindest für eine Weile.
 

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die unser Leben am allermeisten beeinflussen. Fortan glaubte ich an Mächte, die größer sind als wir und ich hielt Wort, beobachtete meine Umwelt genau und hielt Ausschau nach ihnen, wann immer es ging. Ich sollte sie wieder treffen und zwar nicht nur Nevar.

Überhaupt war dieses Gespräch sehr wichtig für mich, denn ich verstand jetzt endlich, was vor sich ging, warum es meinem kleinen Bruder so schlecht ging, worüber sich meine Eltern sorgen machten.

Ich begann zu verstehen.

Tiamat und ihre Geschwister

»Da begann der Wolf zu jaulen. In der kalten Luft gefror sein Atem, doch er wurde nicht weiß, sondern er begann in allen Farben zu schimmern und stieg so in den Himmel auf!« Kanoa fuhr mit der rechten Hand über die Holzwand, an der er seine Geschichte als Schattenspiel zum Leben erweckte, und sofort begann sie zu Leuchten, als wenn das Nordlicht selbst auf ihr gebannt worden wäre.

»Und dann?«, wollte Fjodor begierig wissen und auch Kinayas Augen leuchteten, während Kenai vom anderen Ende des Zimmers aus eher gelangweilt zu ihnen herübersah, sich dann aber wieder seinem Buch widmete.

»Die Lichter verschwanden wieder.« Er ließ die Farben verblassen. »Da jaulte er noch einmal, solange, bis der Himmel so voll von ihnen war, wie in einem Ozean aus Licht.«

Mit einem Lächeln und dem Wissen, was gleich geschehen würde, wischte er einmal durch die Luft und sogleich explodierte ihr Zimmer in einem Meer aus Farben. Und wie erwartet begannen Kinaya und Fjodor sogleich an, laut aufzuquietschen und erfreut, mit leuchtenden Augen durch den Raum zu blicken.

Kenai dagegen sprang entsetzt auf.

»KANOA! Verdammt, lass das! Du weißt genau das wir nicht zaubern dürfen!«, brüllte er.

Sogleich entließ sein kleiner Bruder mit einem Lachen die Magie und es wurde wieder dunkel, nur eine kleine Kerze spendete Licht.

»Oh Nai, sei nicht so ein Spießer. Wer hat mir denn beigebracht, das Regeln da sind, um gebrochen zu werden?«, lachte Kanoa. Seitdem er herausgefunden hatte, wie er die Magie bewusst steuern konnte, tat er es bei jeder Gelegenheit, trotz des Verbotes seiner Eltern.

»Ja, aber nicht direkt vor ihrer Nase!«, schnaubte der. »Zu deinen Schattenspielereien sag ich nichts, aber das eben war viel zu auffällig.«

»Ja, ich hör ja schon auf«, lachte Kanoa und setzte sich zu Fjodor uns Kinaya aufs Bett.

»Du bist ein Spielverderber«, fand letztere gut gelaunt und stimmte so Kanoa zu.

»Nein, ich habe nur keine Lust darauf, ärger zu bekommen, den bekomme ich aber, wenn sie das hier mitbekommen. Ich bin der älteste, ich habe die Verantwortung, ich bekomme den Ärger. Dazu habe ich keine Lust, also sorge ich dafür, das ich keinen bekomme.«

»Gut, ich lass es ja schon, mach dir nur nicht ein«, fand Kanoa gut gelaunt und zog die Beine an.

»Sei ruhig«, antwortete Kenai bissig und ging wieder zurück zu seinem Bett, nahm das Buch auf, das er fallen gelassen hatte.

Kanoa beobachtete seinen Bruder einige Augenblicke, dann sprang er auf und lief zu seinem Bruder, setzte sich zu Kenai aufs Bett.

»Wollen wir morgen einen Ausflug machen?«, fragt er und bot somit zugleich die Versöhnung an.

»Nein danke, ich habe keine Lust auf Babysitten«, antwortete Kenai mit einem Seitenblick auf Fjodor und Kinaya.

»Nein, nur wir beide, wie früher. In die Westwälder oder…« Er zögerte, seine Augen glänzten vor Abenteuerlust. »Nach Forea. Auf Flöckchen und Stern schaffen wir das ganz leicht.«

Damit hatte er Kenais Aufmerksamkeit. Der Junge überlegte, warf dabei seinen Geschwistern einen nachdenklichen Blick zu. Er überlegte, ob sie sie verraten würden, glaubte aber nicht wirklich daran.

»Was erzählen wir Mama und Papa?«, wollte er leise wissen.

»Das überlege ich mir, wenn du ja sagst«, grinste Kanoa.

»Gut, dann überlegen wir einmal.«

»Ihr reitet einfach nach Fem. Das ist nur ein kleiner Umweg und dann könnt ihr mir neue Farben mitbringen und zu Süßigkeiten sagen Fin und ich auch nicht nein. Dann fällt es uns auch leichter, euch nicht zu verraten«, warf Kinaya mit einem unschuldigen Blick ein.

Ihre drei Brüder schauten sie erstaunt an, dann lachten sie laut auf.

»Ich bin dafür«, rief Fjodor sofort und auch seine großen Brüder nickten gut gelaunt.

»Aber vergesst nicht, wir verlassen uns darauf, dass ihr die Klappe haltet«, grinste Kanoa.

»Würde mir noch leichter fallen, wenn ich mitkommen dürfte«, bemerkte Kinaya ebenso unschuldig, wie zuvor, doch daraufhin schüttelte Fjodor hektisch den Kopf.

»Nein, ich will nicht alleine bleiben und mitkommen darf ich sowieso nicht«, murrte er.

»Irgendwann nehmen wir dich mit, Fin. Das verspreche ich dir. Wenn du noch etwas älter und gesünder bist, dann nehmen wir dich irgendwann einmal mit. Dann reiten wir alle vier nach Forea und ans Meer und sogar bis zur Mauer!«, versprach Kanoa, nicht ahnend, das das Schicksal etwas anderes für die Geschwister vorgesehen hatte.

»Au ja, die Mauer! Glaubt ihr, sie ist wirklich so hoch, das sie bis in den Himmel ragt?«, träumte Kinaya mit leuchtenden Augen.

»Keine Ahnung, ist auch egal. Es ist spät, jetzt wird geschlafen«, befahl Kenai und stand auf. Er scheuchte Kinaya in ihr Bett, deckte erst Fjodor, dann seine kleine Schwester zu, bevor er die Kerze nahm und in sein eigenes Bett kroch.

»Gute Nacht«, wünschten sich die Geschwister, dann löschte Kenai die Kerze.

Am nächsten Morgen standen sie schon früh auf. Kenai und Kanoa mussten nicht einmal lange betteln, bevor sie die Erlaubnis bekamen. In Rekordzeit hatten sie ihre täglichen Aufgaben erledigt und ihre Taschen gepackt, ritten gut gelaunt Richtung Westen.

Wie versprochen machten sie sich auch erst auf den Weg nach Fem. Ihre Pferde, Kenais weiße Stute Flöckchen und Kanoas dunkelgraue Stute Stern trugen sie in einem zügigen Trab durch die Hohlwege. Sie erreichten Fem, die größte Stadt innerhalb einer Tagesreise, am späten Morgen. Schnell kauften sie alles nötige, dann ritten sie auch schon weiter.

Sie waren noch eine ganze Weile unterwegs, dann hielten sie, ohne das absprechen zu müssen. Sie schauten einander mit einem Grinsen an und wussten genau, woran der jeweils andere dachte. Sie standen vor dem Grenzstein, in den das Wappen von Irian eingemeißelt war, der geflügelte Fuchswolf.

Sie erinnerten sich nur zu gut an ihren Ausflug vor ein paar Jahren, der ihnen so unendlich fern schien. Eigentlich erscheint einem nichts in einem jungen Leben wirklich fern. Alles scheint möglich, alles scheint greifbar, doch rückblickend betrachtet war ihnen, als hätten sie eine Reise in eine andere Welt gemacht, als wäre es nur ein Traum gewesen. Es schien auf eine bizarre Art und Weise nicht real.

Doch nun standen sie abermals vor dem Grenzstein und dachte an diesen Tag zurück. Nach einiger Zeit ließ Kenai seine Stute weiterlaufen und Kanoa folgte ihm.

»Weißt du eigentlich, wer der fremde Mann von damals gewesen ist?«, wollte er wissen.

»Ich bin mir nicht sicher. Papa hat sich einmal mit Maria über ihn unterhalten, das war nur kurze Zeit danach. Maria sagte ihm, das Leyal uns nach Hause gebracht hätte und Papa sagte, dass sie beide seit damals kein Wort miteinander gesprochen hätten. Darauf sagte Maria, dass sie es schade findet, wenn Brüder einander so sehr zerstreiten, also scheint Leyal unser Onkel zu sein. Und ich habe weiter geforscht. Er ist der Herr von Forea, auch wenn ich nicht weiß, wie das möglich ist.«

»Vielleicht waren Forea und Irian ja irgendwann einmal ein einziges großes Land? Auch wenn ich nicht wüsste, warum Papa und Leyal es teilen sollten.«

»Das habe ich auch schon überlegt. Das müsste dann ja einem freien Land wie Wynter gleichkommen.« Kenai runzelte die Stirn.

»Das Legendäre vereinte freie Nordenreich. Meinst du, es gab Wynter jemals?«

»Nein. Warum hätte man es denn teilen sollen?« Kenai schaute zu seinem kleinen Bruder hinüber.

»Es wäre aber ein schöner Gedanke. Ein freies Land, in dem niemand anders ist als sein Nachbar. Vielleicht können wir es ja schaffen, es irgendwie vereinen?« Kanoas Augen leuchteten.

»Gib dich nicht solchen Tagträumereien hin, Noah. Sie führen zu nichts und du verlierst deinen Blick für die Wirklichkeit.«

»Nein, das denke ich nicht. Ich denke, dass wir unsere eigene Zukunft nur dann ändern und verbessern können, wenn wir träumen, denn nur dann haben wir einen Plan dessen, was wir uns wünschen. Verstehst du, was ich meine?«

»Ja und es ist ja nicht einmal so falsch. Dennoch sollte man manchmal in der Gegenwart bleiben, die ist anstrengend genug.«

Kanoa schaute in Kenais Augen und erst jetzt fiel ihm auf, wie sehr sich sein großer Bruder verändert hatte. Er war viel zu schnell erwachsen geworden und Kanoa hatte das Gefühl, das auch er daran Schuld trug. Das machte ihn traurig, aber er konnte es wohl nicht ändern.

Aber er konnte es Kenai leichter machen. Indem er ihn wieder öfter in die Welt des Kindseins entführte, wie heute auch.

Doch er wurde jäh aus seinen Überlegungen gerissen, denn er hörte ein leises Geräusch. Er ließ Stern anhalten und nach einigen Momenten hielt auch Kenai an. Fragend blickte er zu Kanoa zurück, der legte den Finger über die Lippen, damit sein Bruder ruhig blieb. Er schaute sich suchend um, dann kletterte er aus dem Pferdesattel und ging langsam in die Richtung, aus der das Geräusch kam.

Es klang, wie ein Tier, das in eine Falle gelaufen war. Ein Fuchs vielleicht, oder ein junger Bär. Fallen legen war in Irian zwar grundsätzlich erlaubt, aber die Brüder mochten die Tierfallen nicht. Sie befreiten die Tiere wann immer es ging und so schlichen sie gemeinsam los und schauten, ob sie die Fallen nicht vielleicht finden konnten.

Sie mussten nicht einmal lange suchen, da hatten sie den Ursprung des Geräusches auch schon entdeckt. Es war wirklich eine Tierfalle, in der Schlinge gefangen war ein Tier, das sie im ersten Moment für einen Fuchs hielten.

Es war nicht groß, etwa so groß wie eben ein Fuchs, dazu hatte es eine lange, buschige Rute. Allerdings wussten sie, dass es sich um keinen Fuchs handeln konnte, denn dieses Tier besaß eine Art Mähne, wie sie es von Pferden kannten. Außerdem war das Fell in einem dunklen Braun und es besaß eine Musterung, die sie von einem gewöhnlichen Tier her nicht kannten.

»Was ist das?«, fragte Kanoa erstaunt.

»Ich weiß nicht. Lebt es?« Kenai näherte sich misstrauisch. Das Tier lag auf der Seite und bewegte sich nicht mehr, doch das musste nichts heißen.

Kanoa griff einen Stock und stupste es vorsichtig an. Er wollte dem Tier nicht weh tun, doch er wollte auch nicht gebissen werden, wenn er selbst zu nahe kam.

Doch es bewegte sich nicht und als sie doch dazu traten und es berührten, waren sie sich sicher, dass es tot war, denn es war eiskalt.

»Sollen wir es mitnehmen? Wer weiß, wann der Fallensteller das nächste mal hierher kommt«, überlegte Kenai, dem das Tier sichtlich Leid tat.

»Ja, ohne Schaufel können wir es hier schließlich nicht beerdigen. Aber woher kam das Geräusch? Der hier ist ja schon tot, es muss hier irgendwo noch etwas lebendiges sein«, überlegte Kanoa laut.

»Stimmt. Lass uns noch ein wenig weiter suchen«, fand Kanoa, doch als er aufstand, hörten sie schon das leise fiepen.

Sie schauten sich an, liefen dann los. Sie untersuchten die Gegend, dann hörte Kanoa einen überraschten Ausruf von Kenai. Er lief zu seinem Bruder. Der kniete vor einer Höhle und als er hineinblickte, gewahr auch er den Grund des Geräusches.

In der kleinen Höhle saßen vier Welpen mit unterschiedlicher Färbung. Es gab einen weißen Welpen, einen roten, einen schwarzen und einen gelblichen, die alle leise winselten und fiepten.

»Ich denke, die hier sollten wir auf jeden Fall mitnehmen. Das Tier dort drüben wird wohl ihre Mutter sein«, überlegte Kenai.

»Ja. Gott sei dank hat Kini uns nach Fem geschickt, sonst hätten wir bestimmt nicht die großen Satteltaschen mitgenommen«, seufzte Kanoa glücklich und fasste vorsichtig in die Richtung der Welpen.

»Pass auf, dass sie dich nicht beißen. Ich hole Stern und Flöckchen, dann müssen wir sie nicht weit tragen«, antwortete Kenai, sprang auf und lief los.

Kanoa indes ließ sich vom ersten Welpen, dem weißen, beschnüffeln. Schließlich konnte er das Tier auch über den Kopf streicheln und mit einem Lächeln zog er es aus dem Erdloch. Es war noch ganz klein, es hätte gut in die Hände des Vaters gepasst. Er nahm es in den Arm und streichelte es, bis sein Bruder wiederkam.

»Der Weiße ist schon ganz zahm«, erklärte er gut gelaunt und stand auf.

»Dann sind es die anderen hoffentlich auch. Wir packen sie am besten immer zu zweit in eine Tasche, damit sie sich Gegenseitig etwas wärmen können«, überlegte Kenai und öffnete Flöckchens Taschen.

Seine Stute war es größer und kräftiger als Stern und hatte auch einen gleichmäßigeren Gang, da würden es die Jungtiere besser drin haben. Er setzte den weißen Welpen in die linke Tasche, während Kanoa den schwarzen Welpen hervor lockte. Auch diesen setzte Kenai in die linke Tasche, während die anderen beiden in die rechte Tasche mussten.

Diese schlossen sie locker wieder und beschlossen, dass sie doch sofort zurückreiten wollten. Zugunsten der Welpen ließen sie ihr kleines Abenteuer fallen.

»Denkst du, wir dürfen sie behalten?«, fragte Kanoa hoffnungsvoll und beobachtete die Taschen.

»Nein. Ich wünsche mir schon ewig lange einen Hund, den habe ich bisher auch nicht bekommen. Ich denke nicht«, antwortete Kenai, doch auch in seinen Augen glomm ein Funke Hoffnung.

Es war später Nachmittag als sie zu Hause ankamen. Sie wurden auch schon sehnsüchtig von Kinaya und Fjodor erwartet, wie vor dem Haus in der Sonne saßen und die Wege gut im Auge behielten. Als Kinaya sie sah, sprang so sogleich auf und lief ihnen entgegen.

Als sie in den Hof ritten, war auch Tywyll da und putzte seine braune Stute. Auch er begrüßte seine Söhne und freute sich über die Aufregung seiner anderen beiden Kinder.

»Zeigt her, was hab ihr uns mitgebracht?« wollte Kinaya wissen.

»Mehr als wir eigentlich mitbringen wollten«, lachte Kenai, doch zuerst leerten sie Kanoas Taschen. Die Süßigkeiten und die Malsachen kamen gut an, doch als Kenai den ersten Welpen hervorzog, gab es kein Halten mehr.

Erst wurde das kleine Tier stürmisch begrüßt, dann wurde der Vater bestürmt, denn natürlich wollten alle vier die vier Welpen behalten. Tywyll zögerte nur einen Augenblick, dann sagte er lachend ja.

»Aber nur, weil ihr alle einen bekommt. Ich will schließlich nicht, das unnötiger Neid aufkommt.«

Kanoa glaubte zwar nicht, dass das geschehen würde, doch letztlich war es egal, sie hatten ja alle ihren Willen bekommen.

»Gut, dann müssen wir ja nur noch klären, welcher Welpe wem gehört und auch wie sie heißen werden«, bestimmte Kenai und setzte den schwarzen Welpen, den er auf dem Arm gehalten hatte, zu Boden.

»Ich möchte gerne die weiße hier haben. Sie gefällt mir am besten lachte Kanoa und streichelte die weiße, die er als erstes aus dem Bau gezogen hatte.

»Ich möchte die gelbliche, ich habe auch schon einen Namen. Ceres soll sie heißen«, lachte Fjodor und hob den gelblichen Welpen auf.

»Ich möchte gerne den Roten haben, den Jungen, wenn es dir recht ist, Kenai«, meinte Kinaya und setzte sich auf den Boden.

»Ich hätte sowieso am Liebsten die Schwarze. Ich weiß nur noch keinen Namen.«

»Ich schon, der Rote soll Pan heißen«, grinste Kinaya.

»Tiamat. Den habe ich ausgesucht«, sprach Kanoa und freute sich, als das weiße Tierchen ihm durch das Gesicht leckte, als wollte es ihm zustimmen.

»Kenai, nenn sie Gaia«, schlug Tywyll vor und sein ältester Sohn musste nicht lange zögern, um dann begeistert zu nicken.

»Ja, Gaia. Also haben wir Ceres, Pan, Gaia und Tiamat. Was sind das überhaupt für Tiere, Papa?« Neugierig schaute Kenai ihn an.

»Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht Hunde aus einem entfernten Land. Manchmal werden sie zu ganz bizarren Gestalten gezüchtet. Es könnte aber auch ein sehr seltsamer Fuchs sein. Ich weiß es nicht genau, aber ich denke, wir sollten von einer Art Hund ausgehen«, lächelte Tywyll.

Doch eigentlich interessierte die Kinder das nur am Rand. Sie liefen stattdessen ins Haus, denn ihre neuen Weggefährten mussten jetzt schließlich gefüttert werden.
 

Ein paar Jahre später habe ich erfahren, was Tiamat und ihre Geschwister für Tiere sind. Es hat mich nicht einmal erstaunt, nicht, nachdem ich sie kennengelernt hatte. Sie sollten für mich und meine Geschwister langjährige Weggefährten sein. Ratgeber, Geheimniswahrer, Freunde.

Ich glaube, besonders Kenai hat es gut getan, jemanden zu haben, dem er alles erzählen konnte. Jemand, der nicht zu unserer Familie gehört und jemand, der auch ganz gewiss niemals etwas verraten würde.

Letztlich haben wir diesen Ausflug aber nie bereut. Unser ganzes Leben nicht.

Das Lichterfest

Kanoa lag auf seinem Bett und starrte nachdenklich und traurig auf die leere Fläche, wo bis vor kurzem noch die Betten von Kinaya und Fjodor gestanden hatten. Ihre Eltern waren der Ansicht gewesen, das Kenai und Kanoa langsam keine Kinder mehr waren. Auch Kinaya würde bald eine junge Frau sein, dann hatte sie im Zimmer ihrer Brüder sowieso nichts mehr verloren und so hatte sie ihr eigenes Zimmer bekommen.

Es war nur eine Tür weiter, nicht mehr als der sprichwörtliche Katzensprung, doch für ihn war es eine fast unerreichbare Ferne. Es schien ihm, als wäre die Holzwand eine unüberwindbare Mauer. Er wollte seine Schwester bei sich haben, doch alles betteln hatte nichts gebracht.

Auch Fjodor schlief nicht mehr bei ihnen, ihm ging es seit ein paar Tagen wieder schlechter und so hatten die Eltern beschlossen, dass er bei ihnen im Zimmer schlief.

So blieben Kenai und Kanoa alleine in ihrem Zimmer, in einem Raum, der ihnen viel zu groß und leer erschien. Es war ihm, als lauerte überall im Schatten ein Ungeheuer, das nur darauf gewartet hatte, dass das Kinderlachen verklungen war, damit es jetzt zuschlagen konnte.

Doch Kanoa konnte nicht weiter nachgrübeln, denn Tiamat sprang zu ihm aufs Bett. Die kleinen Welpen hatten sich gut entwickelt und sie hatten sie auch gut verteilt, denn die Hunde entsprachen dem Temperament und dem Charakter ihrer Besitzer voll und ganz.

So betrachtete die weiße Hündin ihren Besitzer eine Weile, schien dabei zu überlegen. Dann stürzte sie sich mit einem lauten knurren auf ihn, landete auf seinem Bauch und trieb ihm so alle Luft aus den Lungen.

Keuchend und hustend schubste Kanoa sie weg, er fühlte sich, als hätte er während einer Prügelei einen Fausthieb direkt in die Magenkuhle bekommen.

»Sag mal spinnst du?«, fauchte er seine Hündin an, doch die wedelte nur erfreut mit der Rute.

»Musst du raus oder hast du Hunger?«, fragte Kanoa nach einem kurzen Zögern. Darauf riss Tiamat ihre Schnauze so weit auf, wie es ging. Sie hatte Hunger und scheinbar ziemlich großen.

Kanoa lachte leise, dann stand er auf. Zum Trübsal blasen hatte er eigentlich sowieso keine Zeit, zumal heute ein ganz besonderer Tag war. Gleich in doppelte Hinsicht.

Die Sonnenwende war jetzt drei Tage her, heute würde also das Lichterfest stattfinden, das Wetter lud geradezu ein, ein Fest zu feiern. Es würde Kanoas erstes Lichterfest sein, in den vergangenen Jahren war es oft ausgefallen oder er war zu jung gewesen. Heute aber war es so weit.

Zudem war heute auch sein Geburtstag. Sein neunter. Er kam sich mit einem mal so viel älter vor. Als wäre seine Kindheit nun vorbei. Er wusste nicht, ob das an seinen neu gewonnenen Privilegien lag, oder an Kinayas Auszug, doch es machte ihn melancholisch, denn es hatte etwas Endgültiges.

Doch er folgte Tiamat, statt weiter darüber nachzudenken. Sie liefen gemeinsam die Treppe hinab, wo Callisto schon fast fertig mit den Vorbereitungen für das ganze Essen, das sie mitbringen würden.

»Mama, hast du irgendetwas leckeres für Tiamat und mich?«, fragte er und lugte hungrig in den Korb, der auf den Tisch stand.

»In der Speisekammer ist noch Brot. Mehr gibt es erst heute beim Fest«, antwortete die.

Kanoa schob zwar schmollend die Lippe vor, doch er wusste, das Widerspruch sowieso nichts brachte, so lief er in die Speisekammer und holte gleich das ganze Brot, dazu noch etwas Käse, denn nur das Brot schmeckte ihm nicht.

Er schnitt ein paar Scheiben runter, brachte dann beides wieder weg, als er zurückkam, war Kenai schon am Essen.

»Hey! Hol dir selbst was!«, rief er entrüstet. Kenai antwortete darauf nicht, steckte stattdessen Gaia etwas zu und rutschte auf der Bank ein wenig rum, damit sich Kanoa zu ihm setzen konnte. Der gab erst Tiamat ihren Anteil, dann setzte er sich zu seinen Bruder und as ebenfalls etwas.

»Wann gehen wir los?«, wollte Kenai mit vollem Mund wissen. Auch für ihn war es das erste Lichterfest.

»Sobald euer Vater wieder da ist«, antwortete Callisto und schob Tiamat mit dem Fuß beiseite, denn die Hündin war noch lange nicht satt und wollte mehr.

»Wo ist Papa hingeritten? Er war vorhin so schnell weg«, erkundigte sich Kanoa, der vom Fenster aus gesehen hatte, wie Tywyll auf seiner Stute losgalloppiert war, obwohl er nur im äußersten Notfall eine schnellere Gangart als einen flotten Trab nutzte.

»Ich weiß es nicht, aber es schien wichtig zu sein. Ich denke aber, dass er bald wieder da ist«, antwortete Callisto.

»Und wenn nicht? Dürfen Noah und ich dann schon vorgehen?«, wollte Kenai wissen.

»Wir nehmen auch Kini und Fin mit«, beeilte sich Kanoa zu versichern.

Seine Mutter überlegte einen Augenblick, dann nickte sie mit einem Seufzen.

»Nicht nötig, ihr dürft auch alleine vorreiten«, antwortete sie.

»Jetzt?«, überrumpelt schaute Kenai sie an. Er hatte nicht damit rechnet, dass sie beide die Erlaubnis so schnell bekommen würden und schon gar, das sie alleine reiten durften.

»Ja, wenn ihr wollt, zieht los«, antwortete ihre Mutter.

Einen Augenblick lang schauten sich die Brüder fragend an, dann sprangen sie auf und liefen los, sie konnte schließlich nicht riskieren, dass die Mutter es sich anders überlegte. Gemeinsam mit ihren Tieren liefen sie nach oben, um sich ihre dicken Umhänge umzuwerfen. Sie zogen auch noch ein paar Socken an, so viele, das sie kaum noch in die Stiefel kamen, und ein paar Pullover mussten auch noch sein.

So vor der Kälte gerüstet, verließen sie im letzten Licht des frühen Abend das Haus und liefen zu Fuß in Richtung des Dorfes. Als sie ankamen, blieben sie für einige Augenblicke voll Staunen stehen.

Die Nacht hatte sich über die Welt gelegt und eigentlich hätten nur die Sterne und der Schnee, der das Sternenlicht reflektierte, für Licht sorgen sollen, doch dem war nicht so.

Hunderte Laternen waren auf Seilen am Festplatz gespannt. Das farbige Glas, mit dem sie gemacht wurden, ließ den Schnee in allen Farben aufleuchten. Die Feuer, die um den Platz herum gut gesichert brannten, ließen zusätzlich ein geheimnisvolles Flackern über den Schnee blitzen. Sie standen einfach nur da, starrten und staunten.

»Kenai, Kanoa, wo habt ihr den Rest gelassen?«, fragte eine der Dörflerinnen gut gelaunt und stellte einen Teller voller Kuchen auf einen der Tische, die den Platz ebenfalls säumten.

»Papa ist noch einmal fortgeritten und weil Mama nicht wusste, wann er wiederkommt, durften wir schon einmal hierher kommen!«, rief Kenai aufgeregt.

»Oh, dann kommen sie nach? Gut, dann lauft und amüsiert euch schon einmal, aber gebt acht, das eure Hunde dem Feuer nicht zu Nahe kommen«, mahnte sie noch, doch die Jungen liefen schon weiter.

Aufgeregt betrachteten sie alles um sich herum, begutachteten, was es zu essen geben würde, lauschten einigen Augenblicken, wie die Musiker ihre Instrumente stimmten und setzten sich schließlich zu den wenigen Dorfkindern, die ebenfalls darauf warteten, dass das Fest offiziell beginnen würde.

Dort fühlten sie sich aber nicht besonders wohl. Kenai und Kanoa waren nur selten im Dorf und noch seltener, um mit den Dorfkindern zu spielen. Sie fühlten sich ein wenig wie Fremde und waren froh, dass sie einander hatte und auch, das Tiamat und Gaia dabei waren.

Auch zwei der Dorfkinder besaßen Hunde, doch die waren noch lange nicht so auffällig und besonders, wie ihre und so zogen sie trotz allem die Aufmerksamkeit der Jugend auf sich.

Zumindest solange, bis der Rest ihrer Familie eintraf. Erst Callisto mit Kinaya und Fjodor, sodass die Brüder verwirrt nach ihrem Vater Ausschau hielten und schon mit dem Gedanken spielten, dass er nicht kommen würde.

Da jedoch gewahren sie die große weiße Stute des Pferdehändlers, die auf den Platz trabte, und auf ihrem Rücken der in weiß gekleidete Mann, der eine Fackel in der rechten Hand durch die Menge trug.

Erst jetzt fiel den Brüdern auf, dass es absolut still geworden war, als der Reiter, den sie im ersten Augenblick nicht einmal erkannten, erschienen war. Erst als der Mann in ihre Richtung blickte und den ernsten, feierlichen Gesichtsausdruck für ein Lächeln verscheuchte, erkannten sie Tywyll.

Kanoa konnte sich gerade noch einen erstaunten Ausruf verbeißen, indem er sich heftig auf die Lippe biss. Er wechselte einen Blick mit Kenai, der ebenso verblüfft, aber auch unglaublich stolz wirkte. Dann schlossen sie sich der Prozession an, die ihrem Vater still durch den Schnee folgte.

Sie liefen eine ganze Weile und Kanoa fragte sich schon lange, wohin sie unterwegs waren, als er den riesigen Holzhaufen gewahr, der ihr Ziel zu sein schien. Er überlegte, ob das ganze Holz brennen würde. Er wusste, wenn ja, würde man das Feuer über Kilometer hinweg sehen können.

Zwei junge Männer aus dem Dorf begrüßten sie schweigend mit einem Kopfnicken, sie schienen auf den Haufen acht gegeben zu haben. Tywyll bedanke sich mit einem ebenso schweigsamen Kopfnicken, während er aus dem Sattel der Stute rutschte. Kanoa fragte sich dabei, wie er es schaffte, ohne das Tier mit dem Feuer zu verletzen, doch der Gedanke war schon vergessen, als sich sein Vater vor dem Holzhaufen aufbaute.

»Der Winter ist da!«, rief er laut und mit fester Stimme. »Vor drei Tagen begann ihre Herrschaft! Es ist lange Zeit her, das sie zuließ, dass wir ihr zu Ehren ein Fest feiern durften, doch heute ist es wieder so weit! Heute soll das Land feiern!«

Seine Stimme hallte laut über den Schnee und es erschien Kanoa, als wäre dies nicht wirklich sein Vater, sondern ein fremder Herrscher, der bloß so aussah wie Tywyll. Er spürte die freudige Erwartung, die Aufregung und Anspannung der Leute um sich herum, es vibrierte regelrecht in seinem Körper.

»So wollen wir dem ganzen Reich zeigen, das sie in diesem Jahr nicht vergeblich warten. Sie sollen das Feuer sehen!«, brüllte Tywyll und von ihm und seiner kleinen Ansprache und ihrer eigenen Erwartung aufgepuscht, antwortete die Dörfler. Sie brüllten ihre Zustimmung laut hinaus.

Auch Kenai und sogar Kinaya und Fjodor brüllten mit, da konnte Kanoa sich nicht entziehen. Er zitterte vor Aufregung. Da drehte sein Vater sich um und von den Menschen angefeuert, warf er die Fackel in den Holzhaufen.

Im ersten Augenblick geschah gar nichts, Kanoa vermutete schon, das die Fackel einfach ausgegangen sein könnte, doch dann hörten sie das knacken und sahen die Flammen, die erst klein waren, dann jedoch immer höher und höher hinauf wuchsen.

Nach kurzer Zeit schon brannte der Haufen Lichterloh. Tywyll entfernte sich nur langsam vom Feuer, blieb schließlich bei seinen Söhnen stehen. Gemeinsam beobachteten sie, wie die Flammen immer höher in den Himmel hinauf schlugen.

Da tippte ihr Vater ihnen auf die Schulter und deutete noch Südosten.

»Dort müsst ihr hinschauen, in der Richtung müsste das nächste Feuer brennen.«

Tywyll behielt recht, nach einiger Zeit schlugen in der Richtung ebenfalls die Flammen hoch.

»Hä? Was passiert da?«, wollte Kanoa mit großen Augen voller Staunen wissen.

»Für heute sind überall in Irian unzählige Feuerhaufen aufgebaut worden. Wenn das Wetter gut ist, wenn es ein gutes Jahr mit guter Ernte gab, wenn wir eben ein Grund zum Feiern haben, dann entzünden wir hier den ersten Haufen. Die jungen Männer, die Feuerwacht haben, halten dann nach unserem Feuer Ausschau und wenn sie es sehen, dann zünden sie ihren eigenen Haufen an. Und nach diesen Haufen halten ebenfalls wieder Feuerwächter ausschau. Das geht immer so weiter, bis irgendwann überall im Land die Feuer brennen. Wenn es in einem Dorf einmal nicht der Fall sein sollte, dann wird die Kette unterbrochen und das Feuer, das hinter uns brennen sollte, wird sich nicht entzünden. Dann feiern wir nicht, denn dann hatte ein Dorf im Land ein nicht so gutes Jahr wie wir«, erklärte der Vater.

»Und die im Nordosten? Die wissen davon doch gar nicht«, bemerkte Kenai mit einem unwilligen Stirnrunzeln.

»Nein, da hast du recht. Sie werden diese Nach feiern, egal was geschieht.«

»Und warum wir nicht?«, erkundigte sich Kinaya mit einem unwilligen Stirnrunzeln.

»Weil es sich nicht gehört, wenn der Herr von Irian mit seinen Freunden und seiner Familie feiert, während es andernorts Probleme gibt.«

Das leuchtete den Geschwistern ein und sie wagten nicht zu widersprechen.

»Was tun wir jetzt?« fragte Kanoa schließlich.

»Wir warten«, antwortete Tywyll und wandte sich nach Südwesten, wo das letzte Feuer brennen würde.

Sie warteten lange. Die Jungen froren trotz ihrer dicken Klamotten gewaltig und Langeweile hatten sie auch, da stand ihr Vater, der sich, wie viele andere Dörfler auch, in den Schnee gesetzt hatte, auf.

»Gehen wir feiern«, lächelte er. Erstaunt blinzelten die Geschwister ihn an, schauten dann in die Richtung, in der sie schon zuvor die ganze Zeit gestarrt hatten und erkannten schließlich, dass er recht hatte. Das letzte Feuer brannte, der Kreis schloss sich.

Sie liefen zurück ins Dorf, wo schon alles vorbereitet war. Sofort begannen die Musiker, ihre Lieder zu spielen, sie aßen, sie tranken, sie tanzten und lachten. Stunde um Stunde verbrachten sie so.

Irgendwann beschloss Kanoa, das es Zeit für eine Pause war. Er setzte sich etwas abseits in den Schnee, zog sich Tiamat auf den Schoß, damit sie ihn wärmte. Da gesellte sich ein Mädchen zu ihm, das er nicht kannte.

»Hallo«, begann sie. »Darf ich mich zu dir setzen?«

»Tu dir keinen Zwang an. Du bist nicht von hier, oder? Wer bist du und woher kommst du?«, fragte er sogleich.

»Ich bin Channa. Ich wohne erst seit ein paar Tagen im Dorf, meine Eltern sind erst vor kurzem hierher gezogen, wir kommen aus dem Grenzland. Du bist der Sohn von Lord Tywyll, oder?«, erkundigte sie sich.

»Ja, Kanoa. Und das ist Tiamat. Warum seit ihr aus den Grenzländern fortgezogen?«

»Unser Dorf wurde aufgegeben, weil die Ernten immer schlechter wurden. Papa fand, im Herbst ist es leichter, da hat man den ganzen Winter über Zeit, sich vorzubereiten. Ihr scheint aber nicht gut mit den anderen aus dem Dorf auszukommen?«

»Als wir klein waren durften wir nicht alleine ins Dorf, deswegen haben wir uns auch mit niemanden anfreunden können. Jetzt ist uns das zu umständlich, wir haben auch so immer jemanden zum spielen.«

»Das ist schade. Ich hatte gehofft, dass wir Freunde werden könnten. Die anderen aus dem Dorf scheinen mich nicht so besonders zu mögen und du und deine Geschwister, ihr erschient mir freundlich.«

»Nein, so war das nicht gemeint! Natürlich können wir freunde sein, sehr gerne sogar«, lachte Kanoa. Er schob Tiamat von seinem Schoß und stand auf, riss Channa einfach mit sich.

»Komm, lass uns tanzen!«

Bevor sie widersprechen konnte, standen sie auch schon auf dem platt getrampelten Schnee, der als Tanzfläche herhalten musste und tanzten umeinander herum. So fand Kanoa ganz unverhofft eine neue Freundin, denn Freunde wurden sie.

Sie feierten noch bis tief in die Nacht hinein und als sie irgendwann morgens müde, erschöpft, aber unheimlich glücklich nach Hause liefen, da blieb Kanoa plötzlich stehen. Von einem Gefühl geleitet schaute er plötzlich in den Himmel.

Da sah er, wie der Himmel in einem Meer aus Licht explodierte. Das Nordlicht flackerte über den Himmel so hell und strahlend, wie er meinte, es nie zuvor je gesehen zu haben.

Auch seine Eltern und seine Geschwister bleiben stehen, als sie das Schauspiel bemerkten. Still, ohne ein Wort standen sie da und schauten nur, bis es vorbei war.

»Ich glaube, da wollte jemand danke sagen«, lächelte Tywyll.

»Zufall«, fand Callisto, lächelte aber.

»Vielleicht«, antwortete ihr Mann. Dann nahmen sie auch das letzte Stück Weg in angriff. Während Kinaya und Fjodor schon auf dem Pferderücken schliefen, freuten sich die beiden älteren Brüder nun auf nichts mehr, als auf ihr Bett.

Ja, sie waren in diesem Augenblick einfach nur glücklich und zufrieden.
 

Es war kein Zufall. An jedem Lichterfest, an dem ich teilnahm, leuchtete danach der Himmel. Ich wusste schon damals ganz sicher, dass da irgendetwas war, was sich für das Schauspiel bedanken wollte, dass wir ihm boten, wenn wir die Feuerhaufen entzündeten. Ich wusste damals nur noch nicht, wer es war.

Winter

»Dann setze ich den Stein so. Damit hast du verloren, Nai.« Kanoa grinste seinen großen Bruder breit an.

»Ja, mist«, antwortete der ohne jeden Ärger. Er schien gar nicht bei der Sache gewesen zu sein, aber das war Kanoa auch schon vorher aufgefallen.

»Willst du mir nicht sagen, was los ist?«, fragte der und sortierte die Figuren für eine neue Runde.

»Nein, es ist nichts. Alles ist gut, alles ist in Ordnung so«, antwortete sein großer Bruder traurig und stand auf.

»Na sicher und ich trage dieses Jahr die Fackel zum Lichterfest.« Sein Bruder hob eine Augenbraue und versuchte gar nicht, den Sarkasmus aus seiner Stimme zu verbannen.

»Hör auf mir auf die Nerven zugehen, Kanoa. Ich geh mit Gaia raus«, fauchte Kenai, plötzlich ausgesprochen schlecht gelaunt. Er verließ wütend den Raum, als er anschließend das Haus verließ, ließ er die Tür mit einem lauten knall zufallen.

Kanoa registrierte das mit einem Stirnrunzeln, räumte dann das Spiel weg, mit dem sie zuvor gespielt hatten. Als er fertig war, hörte er abermals die Tür, doch die schweren Schritte eisenbeschlagener Stiefel gehörten eindeutig zu Tywyll, nicht zu Kenai.

Er überlegte kurz, ob er seinen Vater fragen sollte, vielleicht wusste der ja, was mit Kenai los war, doch er entschied sich dagegen. Erwachsene hatten sowieso nie von irgendetwas eine Ahnung und schon gar nicht von den Problemen, die ein Kind plagen mochte.

So lief er an seinem Vater völlig Begrüßungslos einfach nur vorbei, während er darüber nachdachte, was mit seinem Bruder nur los sein könnte.

Er fand keine Antwort. Er ging in ihr Zimmer und versuchte ruhelos in einem Buch zu lesen, gab es aber bald schon wieder auf. Er schaute hinaus und sah, dass es zu schneien begonnen hatte. Wenn das Wetter anhielt, würde es dieses Jahr, wie schon so oft, kein Lichterfest geben. Doch heute war erst die Sonnenwende, drei Tage blieben ihm noch, vielleicht hatten sie ja Glück.

Er seufzte und legte seinen Oberkörper auf den Tisch, stützte seinen Kopf auf den Armen und beobachtete die dichten Schneeflocken. Er fragte sich, wo Kenai gerade stecken mochte, als er spürte, das Tiamat auf seinen Schoß klettern wollte. Er rutschte zurück und betrachtete sie nachdenklich.

»Wollen wir auch ein wenig spazieren? Wird langsam Zeit, oder?«, fragte er nachdenklich. Sie wedelte mit dem Schwanz und er stand auf. Er zog sich dickere Kleidung an, dann gab er Kinaya bescheid, verließ dann das Haus.

Er überlegte einen Moment, wohin er gehen sollte, entschied sich dann dafür, nicht weit zu laufen. Er ging einmal ums Haus herum. Er wollte zur Quelle, die nicht weit vom Haus entfernt lag.

Bei diesem Wetter war die Quelle zugefroren. Er hatte auch nichts anderes erwartet. Er überlegte kurz ob er ausprobieren sollte, wie dick das Eis war, doch er hatte keine Lust nass zu werden, sollte es sich als zu dünn erweisen. Tiamat schien da weniger Skrupel zu haben, denn sie stürzte sich mit einem lauten Jaulen auf die glatte Fläche.

Das Eis knackte laut, hielt aber, was Kanoa aber verriet, das er sicher eingebrochen wäre. Was einigermaßen seltsam war, um diese Zeit war das Eis normalerweise schon viel dicker.

Er ging einmal um die Quelle herum und setzte sich auf den Steinrand, während Tiamat laut bellend und jaulend durch den Schnee lief. Er blieb aber nicht lange, eine halbe Stunde später schon war er so durchgefroren, das er beschloss, das es Zeit war, nach Hause zu gehen. Zumal er damit rechnete, das Kenai wieder da war. Vielleicht beschloss sein Bruder ja, dass es jetzt an der Zeit war, ihm zu erzählen, was ihn bedrückte.

Als er jedoch zu Hause ankam, da erfuhr er von Fjodor, das Kenai noch immer nicht zurück war. Das beunruhigte Kanoa ein wenig, Kenai blieb sonst nie so lange weg, wenn er alleine raus ging.

Er zögerte nur einen kleinen Augenblick bis er beschloss, das es an der Zeit war, den Eltern bescheid zu geben. Seine Mutter jedoch war mit dem Abendessen und den Vorbereitungen für das Lichterfest beschäftigt, denn ganz gleich ob es im Dorf gefeiert würde oder nicht, ein Festessen würde es in jedem Fall für die Familie geben.

So suchte er seinen Vater und fand ihn schließlich im Pferdestall. Tywyll striegelte gerade seine braune Stute als Kanoa eintrat.

»Papa, Kenai ist noch nicht wieder da«, begann er und setzte sich auf einen Heuballen.

»Ist er denn schon lange weg?«, erkundigte sich der Vater ohne in seiner Arbeit innezuhalten.

»Ja. Er ist gegangen, kurz bevor du gekommen bist. Jetzt ist es schon dunkel und es schneit auch immer mehr.«

Tywyll ließ seine Hand auf dem Pferderücken liegen und schaute seinen Sohn erstaunt an. Sorge schlich sich in seinen Blick, er zögerte lange, bevor er weiterstriegelte.

»Hat er etwas gesagt, als er wegging? Wo er hinwollte?«, fragte er.

»Er wollte mit Gaia spazieren gehen, aber er sagte nicht, wohin er wollte.«

»Das ist wirklich seltsam… Wir warten noch eine Stunde, dann gehen wir ihn suchen«, beschloss Tywyll besorgt. Er begann, die Hufe seiner Stute auszukratzen, Kanoa blieb einfach bei ihm sitzen.

Sein Vater war gerade fertig, als sie schnellen Hufschlag hörten. Das war ungewöhnlich, bei solch einem Wetter ritt kaum jemand und schon gar nicht im Galopp, außer es war wirklich wichtig. Wichtig genug, das man riskierte, dass das Pferd ausrutschte und sich die Beine brach und man selbst sich den Hals.

Sofort öffnete Tywyll das Stalltor. Kanoa lief zu ihm und gemeinsam mit seinem Vater beobachteten er, wie ein fremder Mann auf ihrem Hof schlitternd zum Stehen kam.

»Tywyll von Winters-Midnight?«, fragte der Fremde, als er die beiden bemerkte.

»Ganz recht. Mit wem habe ich das Vergnügen?«, wollte der Vater misstrauisch wissen.

»Samje von Temp. Ihr werdet mich nicht kennen, ich steh in den Diensten eures Bruders«, erklärte der Fremde.

»Und was führt euch bei diesem Wetter diesen weiten Weg zu mir?«

»Ich bin im Leyals Namen hier. Er bittet euch zu kommen. Es gab in den Grenzländern eine Lawine, die ein Dorf unter sich begraben hat, wir schaffen es nicht ohne Hilfe«, erklärte Samje.

Tywyll zögerte nur noch einen kleinen Augenblick, dann wandte er sich ab, um seine Stute zu satteln. Als er fertig war, trat er hinaus, wandte sich aber noch einmal Kanoa zu.

»Sag Callisto bescheid. Kenai suchen wir, wenn ich wieder da bin, sollte er bis dahin noch nicht aufgetaucht sein. Ich beeile mich«, gab er knapp Anweisungen, schwang sich dann in den Sattel und folgte dem Fremden, ohne weitere Abschiedsworte.

Kanoa schaute ihnen eine Weile nach, dann lief er ins Haus und suchte seine Mutter. Er erzählte ihr, was geschehen war, dann suchte er Kinaya und Fjodor, denn er hatte einen Entschluss gefasst.

»Also, was ist denn so wichtig?«, wollte Kinaya wissen und legte ihren Kopf zwischen Pans Ohren ab.

»Kenai ist schon ganz lange weg, draußen ist es dunkel und kalt und der Schnee wird immer dichter. Papa ist eben mit einem Mann aus Forea davon geritten, ich weiß nicht, wann er wiederkommt, deswegen finde ich, wir sollten Kenai suchen gehen. Wer weiß, was passiert ist, wenn er so lange wegbleibt«, fand er.

Fjodor zögerte, schaute einen Moment aus dem Fenster und beobachtete, wie die Flocken durch die Luft gewirbelt werden.

»Es gibt heute bestimmt noch einen Schneesturm, wenn, dann sollten wir uns wirklich beeilen«, sprach Kinaya aus, was ihr kleiner Bruder dachte.

»Ja, Ceres, Tiamat und Pan können uns aber auch durch einen Sturm nach Hause bringen. Trotzdem, wenn der Wind zu stark wird, suchen wir uns irgendwo einen Unterschlupf. Und Mama sagen wir natürlich nichts, die verbietet uns das nur«, erklärte Kanoa weiter.

»Darf ich wirklich alleine durch den Schnee laufen?«, fragte Fjodor daraufhin leicht ungläubig.

»Mit Ceres und nur, wenn Mama nichts mitbekommt. Ich finde sowieso, dass du bestimmt viel mehr kannst, als sie glauben«, antwortete der große Bruder daraufhin und stand auf. Er trug noch immer seine dicke Kleidung und konnte gleich losziehen.

»Am besten sagen wir, wir wollen noch mal schnell mit Pan, Ceres und Tiamat raus, bevor das Unwetter richtig losgeht, dann schöpft Mama keinen verdacht«, überlegte Kinaya und war schon auf dem Weg zur Tür.

»Noah war erst, aber wir beiden müssen zusammen gehen«, bestätigte Fjodor und folgte seiner Schwester.

»Ich geh schon mal vor. Und passt auf euch auf, geht kein Risiko ein«, mahnte Kanoa noch, lief dann die Treppe hinab und aus dem Haus, allerdings so leise, das seine Mutter nichts bemerkte.

Im immer dichter werdenden Schneetreiben folgte er erst eine Weile den Hohlwegen, als man ihn vom Haus aus nicht mehr sehen konnte, blieb er aber stehen.

»Meinst du, du kannst Nai finden, Tiamat?«, fragte er leise. Sein Tier schaute zu ihm hoch, schaute ihn lange an, dann sprang sie aus dem Weg hinaus und lief in Richtung Norden über die Wiese.

Kanoa folgte ihr sofort. Er wusste, dass sie besser wusste, was zu tun war, als er. Vielleicht roch sie seinen Bruder auch, trotz des heftigen Schneetreibens. Sie war schlau und hatte eine gute Nase, er traute es ihr ohne Zögern zu.

So liefen sie eine ganze Weile über verschneite Felder. Irgendwann wurde Kanoa langsamer und blieb schließlich stehen. Er schaute zurück und stellte fest, dass das Schneetreiben mittlerweile so dicht war, das er nur wenige Schritte weit sehen konnte. Außerdem hatte er die Orientierung verloren, er hatte keine Ahnung mehr, wo er war.

Er wandte sich wieder um, denn er wusste genau, dass einzig Tiamat ihn wieder zurückbringen konnte, doch er musste feststellen, dass er sie nicht mehr sah. Er lief schnell weiter, hoffte, sie noch einmal einzuholen, hielt nach ihren Pfotenspuren Ausschau, doch er musste einsehen, dass es so keinen Sinn hat. Er hatte sich verlaufen. Und weit und breit war nichts in Sicht, wo er die Nacht verbringen konnte.

Der Wind flaute auf und obwohl er es kaum glaubte, so wurde das Schneetreiben noch einmal heftiger. Er zögerte nicht länger, er konnte nicht auf freiem Feld stehen bleiben. Er lief los und hoffe, dass er irgendwo hinkommen würde, wo er in Sicherheit war. Vielleicht fand Tiamat ihn ja wieder, wenn ihr auffiel, dass er ihr nicht mehr folgte.

Er wusste nicht, wie lange er lief, doch plötzlich überkam ihn ein seltsames Gefühl. Als wenn etwas sehr, sehr wichtiges fehlen würde. Er verstand es nicht, es verwirrte ihn und schließlich blieb er stehen.

Mit einemmal war Tiamat wieder an seiner Seite. Sie drängte sich an sein Bein, wie er es sonst nur von Katzen kannte, dann schaute sie ihn auffordernd an und lief wieder los. Verwirrt folgte er ihr. Sie hatte ihn nicht einmal begrüßt, sie schien ihm etwas zeigen zu wollen.

Sie liefen noch weiter in den Norden, dann sah er eine Gestalt im Schnee stehen. Er wusste sofort, dass es Kenai war, doch es war seltsam. Irgendetwas war nicht so, wie es sein sollte. Deswegen lief er nicht laut schreiend zu seinem Bruder, sondern trat nur ganz still an seine Seite.

»Ich habe dich gefunden. Wo sind wir?«, fragte er leise.

»Ich weiß es nicht, aber Gaia und der weiße Wolf wollten wohl, das ich hierher komme«, antwortete Kenai und legte nachdenklich eine Hand auf die schwarze Mauer, die sich vor ihnen erhob. Kanoa schaute daran hinauf und runzelte verwirrt die Stirn. Er konnte das Ende nicht sehen.

»Ist das…«, begann er.

»Ja, die Mauer, von der Papa uns einmal erzählt hat. Aber wir können unmöglich so weit gelaufen sein. Nicht in einer einzigen Nacht.« Kenai wandte sich um und lehnte sich an den kalten, schwarzen Stein.

»Dann ist Magie im Spiel. Aber warum? Was hat das zu Bedeuten?«

»Weiß ich nicht. Dabei könnte ich es wissen, wenn Papa mich nur ließe«, verbittert starrte Kenai in den Schnee hinaus.

»Wie meinst du das?«, wollte Kanoa wissen.

»Er hält mich hier fest! Normalerweise wäre ich doch schon lange ein Zauberschüler, ich wäre in Altena und würde lernen und nicht hier festsitzen«, fauchte Kenai verbittert.

»Papa findet eben, das wir noch zu jung sind«, versuchte Kanoa seinen Bruder zu beruhigen, doch der hatte nicht vor, das zuzulassen.

»Zu jung«, schnaubte er. »Normalerweise wird man mit sechs Zauberlehrling. Ich bin doppelt so alt. Das ist doch bloß alles eure Schuld!«

»Unsere… Schuld?«

»Ja! Von Fjodor, Kinaya und von dir! Nur weil ihr ständig Unsinn anstellt, weil du verdammt noch mal nicht erwachsen werden willst! Weil ich ständig auf euch aufpassen muss! Nur deswegen bin ich doch noch hier!«

Traurig schaute Kanoa seinen großen Bruder an. Er wusste nicht, was er sagen sollte, tausend Gedanken stürmten gleichzeitig durch seinen Kopf.

»Das ist keine Absicht«, sagte er schließlich traurig.

»Sei ruhig, du verstehst es sowieso nicht«, fauchte Kenai, wandte sich ab und lief einfach los, fort von der Mauer in das dichte Schneetreiben.

Kanoa blieb stehen, schaute ihm nach, kam sich so unglaublich hilflos vor. Er versuchte sich selbst einzureden, das sein Bruder das nicht wirklich so meinte, dass er einfach nur wütend war, doch es wollte ihm einfach nicht gelingen.

Plötzlich hörte er einen lauten Schrei und er wusste sofort, dass das Kenai war. Ohne zu zögern lief er los, Tiamat an seiner Seite. Sie mussten nicht weit laufen, bis Kanoa schon sah, was geschehen war. Es gab einen See, der unter einer Schneedecke versteckt lag, in den war Kenai scheinbar eingebrochen. Er hielt sich noch mühsam am Eis fest, Todesangst in den Augen. Die Brüder wussten nur zu gut was geschah, wenn Kenai nicht bald aus dem eiskalten Wasser heraus und an ein warmes Feuer kam.

Kanoa machte einige Schritte auf das Eis, doch als es laut knackte, sprang er wieder zurück ans Ufer.

»Kenai, was soll ich tun?«, rief er seinem Bruder voller angst zu, doch der antwortete nicht. Stattdessen lief Tiamat an ihm vorbei auf das Eis und versuchte Gaia zu helfen, den Jungen aus dem eiskalten Wasser zu ziehen, doch es gelang ihnen nicht, die beiden Tiere waren viel zu klein und schwach.

Da sah Kanoa plötzlich die Wölfin. Ihm fiel wieder ein, dass auch Kenai etwas von einem weißen Wolf erzählt hatte, doch nachdem er dem weißen Tier in die Augen gesehen hatte, war er sich nicht sicher, ob das hier wirklich ein Wolf war.

Doch es war egal, denn kaum war es erschienen, schien die Zeit langsamer zu werden. Gaia und Tiamat ließen von Kenai ab und wandten sich dem Wolf zu, schauten ihn nur an, und auch Kenai selbst wandte den Kopf und betrachtete sie.

Da kam die Wölfin langsam über das Eis, das eigentlich viel zu dünn für ein solch großes, schweres Tier war, zu Kenai und blieb am Loch stehen. Das Eis knackte nicht einmal und für einen Moment glaubte Kanoa, das sie wohl ein Geist sein mochte, der gekommen war, um ihr zu helfen.

Sie setzte eine Pfote auf das Wasser und sogleich gefror es unter ihren Pfoten, solange, bis sie direkt vor Kenai stand. Sie packte ihn an seiner Kleidung und zog ihn aus dem Wasser auf das Eis, ließ dann den Rest gefrieren und schaute auffordernd zu Kanoa.

Der zögerte nur noch einen Augenblick, dann trat er vorsichtig auf das Eis. Es hielt. Er lief zu seinem Bruder, der Wölfin und den beiden Hunden, schaute sofort, wie es Kenai ging.

Sein Bruder war scheinbar Ohnmächtig, doch er atmete, das war weit mehr, als Kanoa gehofft hatte. Er schaute die Wölfin an und aus der Nähe betrachtet wirkten ihre Augen noch seltsamer und eindrucksvoller als zuvor, sodass er sich sicher war, das sie definitiv keine einfache Wölfin sein konnte.

»Danke«, sagte er leise.

»Ich habe zu danken, junger Zauberer. Ihr habt Hells Jungen das Leben gerettet und ihr kümmert euch gut um sie«, antwortete sie und stupste Tiamat und Gaia mit einem wölfischem Lächeln an.

»Du sprichst?« Eigentlich war Kanoa nicht wirklich erstaunt und sein Gegenüber lächelte nur unbeirrt weiter.

»Es ist jetzt an der Zeit für uns zu gehen. Mein Rudel und ich werden dich und deine Geschwister nach Hause geleiten, wenn du das möchtest«, bot sie an. »Dann werde ich gehen, gemeinsam mit Hells Jungen.«

Daraufhin bellte Tiamat laut und auch Gaia wirkte auf eine seltsame Art und Weise unzufrieden. Erstaunt betrachtete die weiße Wölfin die beiden Tiere, dann nickte sie.

»Sie wollen bei euch bleiben. Sie sagen, dass ihr ihre Freunde seid und dass ihr sie braucht. Ich werde mich nicht gegen ihren Wunsch stellen. Sie sollen bei euch bleiben, aber dagegen, eure Kommunikation zu erleichtern, habt ihr gewiss nichts, oder?« Sie lächelte und berührte erst Kenai, dann Kanoa mit dem Kopf.

»Ich verstehe nicht…«, begann der, doch die Wölfin schüttelte nur den Kopf. »Sie werden es euch erklären. Später. Erst einmal müsst ihr nach Hause. Eure Geschwister warten schon.«

Die weiße Wölfin schaute auf und als Kanoa ihrem Blick folgte, da sah er Nevar, halb verborgen im Schneesturm stehen. Als er wieder zurückschaute, war die Wölfin verschwunden.

»Ich sagte doch, dass wir uns wieder sehen werden«, sprach Nevar und kam zu ihm. Er nahm Kenai hoch und ging los und ohne dass es einer Aufforderung bedurfte, folgte ihm Kanoa.

»Erklärst du mir, was hier vor sich geht?«, fragte er, schaute sich dabei suchend nach Gaia und Tiamat um, die ihnen folgten.

»Nein, ich will den beiden doch nicht den spaß nehmen. Ich werde euch nur bis zu eurem Haus bringen, dann werde ich wieder gehen«, antwortete Nevar und ging schweigend weiter.

Auch Kanoa schwieg, er verstand, dass jetzt nicht die Zeit zum Reden war. Sie liefen eine Weile, dann tauchte ihr Haus aus der Dunkelheit und dem Schnee auf. Kanoa, nahm das mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis, sagte jedoch nichts weiter dazu.

Kinaya und Fjodor warteten vor dem Haus schon auf ihn. Nevar legte Kenai, der langsam wieder zu sich kam, in den Schnee und verabschiedete sich dann mit einem Nicken.

Als er ging schaute Kanoa ihm noch lange nach. Er ahnte, dass er in dieser Nacht jemanden, etwas getroffen hatte, dass außerhalb dessen lag, was er begreifen konnte. Das größer war, als er. Sehr viel größer.

Tiamat erzählt

»Was ist passiert?«, wollte Kenai leise wissen. Er hatte den fremden Mann noch gesehen, er erinnerte sich auch noch daran, wie er ins Eis eingebrochen war, danach war alles in tiefe Schwäre getaucht.

Ihm fiel auch auf, dass er seltsamerweise nicht fror. Seine Kleider waren nass, es schneite so heftig, wo schon lange nicht mehr und ein eisiger Wind wehte, dennoch war ihm warm.

»Lasst uns erst einmal reingehen. Du musst aus den nassen Klamotten raus, Kenai«, beschloss Kanoa und wandte sich erst jetzt seinem Bruder zu. Er wirkte in diesem Augenblick unglaublich erwachsen. Er half seinem Bruder auf. Als sie eintraten, wurden sie schon von Callisto erwartet.

»Wo seit ihr gewesen?«, fragte sie barsch, runzelte unwillig und fragend die Stirn, als sie die nasse Kleidung ihres ältesten Sohnes sah.

»Kenai war so lange weg, deswegen haben wir nach ihm gesucht, bevor Papa wiedergekommen ist«, begann Kanoa wahrheitsgemäß. »Wir teilten uns auf, um ein größeres Gebiet absuchen zu können und als ich ein Stück weit nach Norden gelaufen war, da habe ich einen Fremden getroffen, der Kenai bei sich hatte, genauso nass wie jetzt.«

»Was ist passiert, Kenai?«, fragte die Mutter streng und begann sofort damit, ihm die Kleider auszuziehen.

»Ich…«, wollte Kenai beginnen, doch Kanoa unterbrach ihn.

»Kenai sagte vorhin, er weiß es nicht mehr, aber der Fremde hat es mir erzählt. Da waren unbekannte Reiter, Kenai stand auf der Brücke in Richtung Tensde und sie haben ihn einfach über den Haufen geritten, er ist über das Geländer gestürzt und dann im Eis eingebrochen.«

»Der Fremde hat ihn raus gezogen?«, erkundigte sich Callisto misstrauisch.

»Und nach Hause gebracht, genau. Er hieß Nevar hat er gesagt, aber nicht, woher er kommt oder wohin er will«, log Kanoa, während seine Mutter ihn und seine Geschwister ins obere Stockwerk scheuchte.

»Will ich wissen, was ihr wirklich getrieben habt?«, erkundigte sich Callisto, nachdem sie ihren ältesten Sohn in trockene Kleider und ein paar dicken Decken gewickelt hatte, und gerade dabei war, eben dies auch mit ihrem jüngsten Sohn zu machen.

»Nein«, antwortete Kanoa mit einem entschuldigenden Lächeln.

Seine Mutter hielt einige Momente inne, schaute ihn nachdenklich an, dann nickte sie. Einige Minuten später saßen die vier Kinder in Kenais Bett, in dicke Decken eingehüllt und tranken eine warme Schokolade. Und sie waren allein.

»Was ist wirklich passiert?«, wollte Kenai wissen, hatte er gehört, das seine Mutter die Treppe hinab gegangen war.

Kanoa grinste und erzählte es ihnen. Auch Kinaya und Fjodor gaben eine kurze Rückmeldung, was geschehen war.

»Bleibt noch die Frage, wer jetzt Hells Junge sind, die uns mehr erklären sollten«, überlegte Fjodor. Kanoa lächelte darauf und schaute Tiamat mit einem Lächeln an.

»Hör auf mich so anzuschauen, das bedeutet immer etwas Schlechtes«, fand die, stand auf und legte sich so hin, das ihr schwarzer Schwanz in seine Richtung zeigte.

Kanoa hörte, wie seine Geschwister scharf die Luft einsogen und er runzelte unwillig die Stirn. Nach seiner Geschichte erschien es ihn unglaublich, das Kenai und die anderen noch immer erschraken. Zumal Kenai dem Winter ja auch begegnet war.

»Gut, ich hab hohes Fieber«, murmelte der.

Kinaya dagegen streichelte Pan über das rote Fell.

»Kannst du das auch?«, fragte sie.

»Was, sprechen? Das konnten wir schon immer, ihr habt uns nur nicht verstanden«, antwortete er.

»Woher kennt ihr den Winter?«, wollte dagegen Kanoa wissen.

»Wir? Gar nicht«, antwortete Ceres und kuschelte sich an Fjodor.

»Unsere Mutter kannte den Winter, wir aber nicht, sonst wären wir bestimmt nicht so lange bei euch geblieben«, erklärte Gaia, zögerte einen kurzen Moment, bevor sie hinzufügte: »Nicht, das wir es bereut hätten.«

»Ich verstehe nicht ganz, was hat das zu bedeuten? Was seid ihr und woher kommt ihr?«, wollte Kenai mit gerunzelter Stirn wissen.

»Ich erkläre es euch.« Tiamat setzte sich vor ihnen hin. »Es begann vor einigen Jahren, in der alten Welt.«

»Alte Welt?«, fragte Kinaya.

»Wir sind in der alten Welt, Tiamat. Die beiden Grundkontinente im Norden und Süden sind die alte Welt, während Osten und Westen die neue Welt sind«, widersprach Kanoa mit gerunzelter Stirn. Das weiße Tier aber schnaubte nur abfällig, als sie jedoch seinen unwilligen Blick sah, da neigte sie entschuldigend den Kopf.

»Entschuldige, ich vergesse manchmal, dass auch du ein Mensch bist. Nun, das ist euer Verständnis der alten und der neuen Welt, diese Ordnung vertreten nur ihr Menschen. Nicht aber jene wie wir, die die wirkliche Ordnung der Welt kennen.«

»Wirkliche Ordnung der Welt?« Kenai tauschte einen Blick mit Kanoa. Sie verstanden beide, dass dieses Gespräch wohl langer dauern würde.

»Ja, seid ruhig und hört zu«, mischte sich Pan etwas ruppig ein und verdrehte die Augen. »Wenn ihr Tiamat ständig unterbrecht, dann kann sie ja nie zum Kern kommen.«

Seine Schwester kicherte leise, wurde aber sofort wieder ernst.

»Also, die Erde, der Planet, auf dem wir leben, er ist zweigeteilt. Es gibt die neue Welt und die alte Welt. Die alte Welt war das ursprüngliche Land. Sie existiert schon seit Anbeginn der Zeit und ist unterteilt in Asgard, der Himmel, Midgard, das Land, und Udgard, die Unterwelt. Herzstück ist der Weltenbaum Yggdrasil.«

»Wo ist die alte Welt?«, wollte Fjodor mit großen Augen wissen.

»Wenn du immer weiter in den Süden reist, jenseits des Sommerreiches, oder aber wenn du immer weiter in den Norden reist, das Winterreich überwindest und das große Meer, dann kommst du irgendwann zu einer Insel. Das ist die alte Welt, unsere Heimat«, erklärte Ceres und leckte ihm einmal über das Gesicht.

Kenai runzelte darauf die Stirn, wollte etwas einwerfen, doch Kanoa war schneller.

»Worin unterscheidet sich die alte Welt von der neuen Welt? Sieht sie anders aus?«

»Das auch, ja. Die Unterschiede sind schwer zu erklären.«

»Fang vorne an. Als die Welt sich teilte«, riet Gaia.

»Sich teilte?«

»Hörst du nicht zu? Ja, die alte Welt existiert seit Anbeginn der Zeit, sie ist so alt wie der Himmel, so alt wie das Sternenreich. Diese Welt hier nicht. Sagt doch schon der Name.« Pan verdrehte die Augen, während Kinaya leise lachen musste und ihn zu kraueln begann.

»Ich sag ja schon nichts mehr«, brummte Kenai und rümpfte die Nase.

»Gut, dann noch mal. Einst gab es nur eine Welt. Sie wurde beherrscht von den vier Großmächten über die nur ein Wesen steht. Das jedoch hat man schon seit Jahrtausenden nicht gesehen, keiner weiß, ob es noch lebt. Das spielt aber auch keine Rolle. Diese Welt war im Grunde friedlich, doch es gab eine Menge strenger Gesetze. So hat jedes Lebewesen dort zum Beispiel eine bedeutungsvolle Aufgabe, der er sich nicht verwehren darf. Unter anderem eben auch Mani und Sol.«

»Was passiert wenn man sich widersetzt?«, wollte Fjodor dazwischen wissen. Pan warf ihm zwar einen bösen Blick zu, doch Ceres verhinderte mit einem warnenden Blick, das er etwas sagte.

»Dann wird man bestraft. Je größer das Vergehen, desto größer die Strafe. Wenn das Vergehen zu groß war, dann wird man vernichtet«, antwortete sie sanft.

»Vernichtet?« Die Geschwister starrten wie entsetzt an.

»Man wird getötet? Nur weil man nicht blind das tun will, das irgendein anderer einem Aufträgt?«, wollte Kenai fassungslos wissen.

»Nicht getötet, vernichtet. Es ist endgültig, dann existierst du in keiner Form in keiner Welt mehr. Es ist, als hätte es dich niemals gegeben. Das ist schlimmer als der Tod«, widersprach Gaia.

»Das ist grausam«, fand Kanoa.

»Nein. Es klingt so, aber es ist nötig, um die Ordnung dieser Welt zu bewahren. Das gehört auch zur Geschichte, deswegen erzähl ich jetzt einfach mal weiter«, beschloss Tiamat. »Mani ist nämlich der Mond und Sol die Sonne. Es war immerzu ihre Aufgabe im Wechsel über den Himmel zu laufen, doch irgendwann geschah etwas, was nicht geschehen durfte, um nichts auf der Welt. Mani und Sol, die sich immer fern bleiben mussten, verliebten sich ineinander. Sie wollten beieinander bleiben, doch habt ihr eine Vorstellung was geschieht, wenn die Sonne und der Mond beisammen bleiben?«

»Eine Sonnenfinsternis«, antwortete Kenai. »Der Mond verdunkelt die Sonne.«

»Oder ein ewiger Vollmond. Es würde aber immer auf Dunkelheit hinauslaufen, oder?«

»So ähnlich, ja. Es würde darauf hinauslaufen, das eine Seite der Welt immer im Dunkeln bliebe, während die andere immerzu von der Sonne beschien wird. Die eine Seite würde verbrennen, die andere erfrieren. Es würde dazu führen, dass wir nicht mehr leben könnten«, erklärte Gaia.

»Was geschah dann mit Mani und Sol? Wurden sie vernichtet?«, fragte Kinaya ängstlich.

»Nein. Anfangs trafen sie einander heimlich, doch bald schon fiel es auf und es ist so. Wenn wir unsere Aufgabe nicht erfüllen, dann kann diese Welt so wie sie ist nicht existieren, man kann uns aber nicht einfach austauschen. Die Sonne darf nicht zweimal in ein und derselben Welt existieren. Also muss man eine Sonne vernichten, damit die andere ihren Platz einnehmen darf. Seht ihr die Zwickmühle? Man opfert einen oder man opfert alle, die dritte Möglichkeit gibt es nur selten.«

»Und den dritten Weg sind Mani und Sol gegangen?«, vermutete Kenai.

»Ja. Sie verließen die alte Welt und kamen hierher. Um zusammen sein zu dürfen. Eine neue Sonne und ein neuer Mond bekamen ihren Platz. Aber so ist es immer, wenn wir unseren Platz nicht einnehmen wollen, so gibt es nur zwei Wege. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir uns daran halten«, erklärte Gaia.

»Nun, Mani und Sol kamen auf jeden Fall hierher. Sie verlebte eine schöne, gemeinsame Zeit und bekamen vier Kinder. Das sind Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Schließlich starben sie und die Jahreszeiten wurden die Herren der neuen Welt, sie kümmern sich nun um die Geschicke.«

»Sie können sterben?«

»Alles stirbt irgendwann. Altes muss immer dem Neuen weichen, das ist gut und richtig so«, antwortete Ceres sanft.

»Was ist mit euch?«, wollte Kanoa wissen. »Woher kommt ihr und warum seit ihr hier?«

»Wir müssen nicht nur unseren Bestimmungen folgen, sondern auch werden auch in vielen anderen Dingen fremdgesteuert«, bemerkte Pan und fletschte die Zähne.

»Dürft ihr nicht heiraten wen ihr wollt?«, fragte Fjodor.

»Wir heiraten doch nicht, Schätzchen«, lachte Ceres leise. »So etwas tut ihr Menschen, nicht wir.«

»Aber im Prinzip hast du recht, Fjodor«, warf Gaia ein. »Wir haben die Wahl, aber wir haben nur eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten.«

»Soll heißen, dass unsere Mutter und unser Vater für irgendwen nicht das ideale Paar waren. Man verbat es ihnen. Wie man an uns sieht, war es ihnen egal, aber es gibt immer ein paar, die zu radikaleren Mitteln greifen.« Tiamats Fell sträubte sich bei dem Gedanken daran.

»Dann sind die Herren eurer Welt aber keine besonders guten Herrscher«, fand Kenai mit gerunzelter Stirn.

»Sie können sich nicht um alles kümmern. Auch hier gibt es das Böse. Es gibt Raub und Mord und euer Vater, ganz gleich was er tut, er kann es nicht immer verhindern. So ist es auch bei uns. Zudem traut sich kaum einer, sie wirklich offen anzuprangern, denn sie sind mächtig.« Gaia kratze sich hinter ihrem Ohr und wirkte dabei, als spielte das alles keine Rolle für sie.

»Das Böse lässt sich niemals ausmerzen. Manche erhalten ihre Strafe, viele nicht. Wir wissen nicht, ob sie aus eigenem Antrieb handelten oder auf Befehl, aber am Ergebnis ändert es letztlich nichts. Sie griffen uns bei Nacht an, töteten unserer Vater und verletzten unsere Mutter. Wir flohen hierher, Mutter wollte zum Winter und sie um Asyl bitten. Sie ließ uns in der Höhle und kam nicht wieder zurück. Stattdessen seit ihr gekommen.« Tiamat verzog ihre Schnauze zu einem Lächeln und schaute Kanoa an.

»Und wir haben euch mit hierher genommen, ja. Warum seit ihr geblieben?«

»Weil es uns gut ging. Wir wussten ja auch nicht, wie wir zum Winter kommen würden und da war dies die bequemste Alternative. Wie ich schon sagte, wir haben es nicht bereut«, erklärte Gaia weiter.

»Gut. Und was seid ihr genau? Keine Füchse, aber bestimmt auch keine Hunde oder gar Wölfe. Was seid ihr?«, wollte Kanoa wissen.

»Einfach nur Bewohner der alten Welt. Wenn ihr eine Bezeichnung für uns braucht, dann trifft es der Fuchswolf schon ganz gut, oder?« Pan schaute Beifall heischend in die Runde und seine Schwestern nickten.

»Gut. Und wie sind eure richtigen Namen? Scheinbar sind diese es ja nicht, oder? Wenn ihr in der alten Welt geboren seit, dann werdet ihr wohl schon ein wenig älter sein, nicht wahr?«, fragte Kenai weiter.

»Du hast recht, wir sind schon ein wenig älter. Gaia und ich sind jetzt zwölf, wir du Kenai. Pan und Ceres sind etwas jünger, sie sind jetzt zehn Jahre alt, wie du, Kanoa. Und was die Namen anbelangt, so haben wir uns an diese hier gewöhnt. Sie gefallen uns gut, deswegen behalten wir sie.«

»So alt seit ihr schon? Aber das ist doch nicht wie bei normalen Hunden, das ihr bald sterben werdet, oder?«, fragte Kinaya ängstlich.

»Nein. Seht uns als Menschen der alten Welt. Wisst ihr, dort gibt es nicht viele wie euch und wenn, dann sind sie verzerrt und unwirklich. Wir sind wie ihr, wie sehen nur anders aus«, erklärte Pan.

»Dann bin ich beruhigt. Dann werdet ihr uns noch lange erhalten bleiben. Können wir jetzt immer mit euch sprechen?«, wollte Kanoa hoffnungsvoll wissen.

»Ja. Winter hat euch die Fähigkeit gegeben, die Sprache der alten Welt zu verstehen. Ihr könnt uns nun verstehen, ihr seid die Einzigen die es könnt«, erklärte Tiamat.

»Und ihr werdet immer bei uns bleiben?«, fragte Fjodor noch einmal nach.

»Ja, für immer«, versprach Ceres und kuschelte sich an ihn. Dabei war ihr Blick jedoch unendlich traurig. Kanoa wusste, dass da etwas war, was sie nicht aussprach, aber er beschloss, das er es auch nicht wissen wollte.

Es gab Dinge, bei denen es besser war, wenn man nichts von ihnen wusste. Und so schwieg er, griff sich Tiamat und drückte sie fest an sich.

»Lasst uns schlafen gehen«, fand er.

Seine Geschwister stimmten zu und so löschten sie das Licht und kuschelten sich noch tiefer in ihre Decken. Doch es sollte lange dauern, bis Kanoa an diesem Abend einschlafen konnte.
 

Ceres wusste damals schon was geschehen würde. Ich habe nicht bereut, nicht gefragt zu haben, denn so blieben noch ein paar glückliche Monate.

Was Tiamat da aber von der alten und der neuen Welt erzählte, begriff ich erst später völlig. Mehr noch, ich begriff irgendwann, dass es eigentlich drei Welten sind. Die Geschicke der Menschenwelt regeln zwar Winter und ihre Geschwister, aber wir Menschen bekommen davon nichts mit. Wir leben in unserer eigenen Welt und außer der Magie der Zauberer hat dort nichts Magisches, nichts Unbegreifliches einen Platz.

Wir sehen, aber wir haben nie gelernt, wirklich hinzuschauen. Das muss man erst lernen und manchmal dauert es lange. Manche lernen es nie.

Zauberschüler

Kanoa seufzte. Seit zehn Minuten schon stand er vor der Tür doch er wagte nicht, sie zu öffnen und einzutreten. Warum? Weil er angst hatte? Weil es ihm unangenehm war? Eigentlich fühlte er doch schon seit Tagen nichts mehr. Nur eine Leere, die sich nicht füllen ließ. Und dennoch stand er hier vor der Tür, die Stirn an das raue Holz geneigt, ohne weiter etwas zu tun.

»Du kannst hier nicht ewig stehen, Kanoa. Und in Frieden lassen wird man dich sowieso die nächste Zeit nicht.« Tiamat saß neben ihm und schaute mitfühlend zu ihm auf.

»Ich weiß«, antwortete er und drehte endlich den Türknauf, trat ein. Wie er erwartet hatte, lag Kenai auf seinem Bett und starrte vor sich hin.

»Papa sagt, dass wir heute noch Besuch aus Altena bekommen, er möchte, dass wir dann ordentlich aussehen«, erklärte er seinem Bruder, doch er ließ nicht erkennen, ob er ihn überhaupt zugehört hatte. Das war nicht weiter ungewöhnlich, Kenai hatte seit Tagen schon kein Wort mehr gesprochen. Zu niemanden, nicht einmal Gaia schenkte er mehr Beachtung.

Kanoa zögerte einen Augenblick. Er überlegte, ob er etwas sagen sollte, ob er wütend werden sollte, doch er war sich nicht sicher, ob er das überhaupt schaffen würde. Schließlich schüttelte er den Kopf und verließ den Raum wieder und verließ das Haus. Der Herbst war früh dieses Jahr gekommen.

Er lief in den Stall, spielte einen Moment mit dem Gedanken, einfach fortzureiten, obwohl er genau wusste, das sein Vater dann wütend werden würde. Stattdessen aber kletterte auf den Heuboden und versteckte sich in der hintesten Ecke. Er brauchte Ruhe zum Nachdenken, selbst Tiamat störte ihn dabei, hierher konnte sie ihn aber nicht folgen.

Er versuchte sich noch einmal an die vergangenen Tage zu erinnern, doch es wollte ihm nicht gelingen. Es war, als hätte er sie in Trance verbracht und konnte sich an nichts mehr erinnern. Er war sich auch nicht sicher, ob er das wirklich wollte.

Er seufzte wieder. Er konnte Kenai verstehen, am Liebsten würde auch er sich irgendwo vergraben und am besten nie wieder rauskommen, aber er wusste, das er das nicht konnte. Es musste weitergehen. Immer.

Irgendwann hörte er, wie jemand den Stall betrat. Er dachte, es wäre der Besuch, der die Pferde in den Stall brachte, doch dann rief Maria leise nach Kinaya. Da zögerte er nicht länger und kroch zur Leiter.

»Kini ist nicht hier. Warum suchst du sie?«, wollte er wissen.

»Ich hab sie schon seit Stunden nicht mehr gesehen und Callisto möchte, das sie mithilft den Tisch zu decken. Sie meint, Hausarbeit würde sie von Fjodor ablenken.« Maria wirkte nicht gerade glücklich.

»Ich hab sie auch schon länger nicht mehr gesehen. Vielleicht ist sie mit Pan spazieren. Vielleicht sucht sie Ceres«, antwortete Kanoa und kam die Leiter hinunter.

»Stimmt ja, die ist ja auch verschwunden. Meinst du, sie ist fortgelaufen?«

»Sie ist in guten Händen. Für sie gab es keinen Grund mehr hier zu bleiben«, antwortete er.

»Habt ihr sie weggegeben?«, fragte Maria, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Ist auch egal. Du bist blass, hast du schon etwas gegessen?«

»Nein, aber ich hab auch keinen Hunger«, wehrte der Junge ab.

»Und Kenai? Liegt er noch immer einfach nur da?«

Kanoa nickte.

»Ich verstehe nicht, warum es ausgerechnet ihn so hart traf. Ich hatte nie das Gefühl, das Fjodor und Kenai einander besonders nahe standen«, überlegte Maria.

»Es fühlt sich schuldig«, antwortete Kanoa und schlenderte mit ihr die Stallgasse entlang.

»Schuldig? Weswegen denn, er hätte auch nichts tun können«, fand sie erstaunt. Kanoa zögerte einen Moment. Er war sich nicht sicher ob es okay war, wenn er Maria davon einfach so erzählte, doch er begriff, dass es eigentlich egal war. Es änderte nichts an der Situation.

»Kenai war wütend. Auf Papa und auf uns. Er dachte, dass Papa ihn nicht nach Altena lässt, weil sonst keiner mehr da wäre, der auf uns aufpasst. Er hat einmal zu mir gesagt, das er sich wünscht, das wir alle weg wären, damit er endlich Zauberer werden könnte. Jetzt fühlt er sich deswegen schuldig.«

»Weil er das Gefühl hat, damit Fjodors Tod heraufbeschworen zu haben.« Maria verstand und seufzte, während Kanoa schlucken musste. Er mied alle Gedanken an seinen kleinen Bruder weil er wusste, dass er sonst nur wieder mit dem Weinen anfangen würde und er hatte Angst, dann nicht mehr aufhören zu können.

Rückblickend war es zumindest schnell gegangen. Innerhalb von ein paar Tagen war es Fjodor immer schlechter gegangen, vor einer Woche dann war er verstorben. Er war einfach eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht.

Am nächsten Tag schon hatte man den Leichnam verbrannt, wie es in diesem Lande üblich war. Seitdem hatte Kanoa keinen ruhigen Moment mehr. Ständig waren Leute um ihn herum, die ihm versicherten, wie Leid ihnen das alles tat oder seine Eltern gaben ihn irgendwelche Aufgaben, während er selbst sich nichts mehr wünschte, als das er einfach einmal ein paar Augenblicke hatte, um zur Ruhe zu kommen.

So hing Kanoa seinen Gedanken nach, erschrak als Maria plötzlich stehen blieb.

»Was ist?«, fragte er und schaute in dieselbe Richtung wie sie.

»Ich glaube, euer Besuch kommt«, antwortete sie und Kanoa erkannte, das sie recht hatte. In der Ferne näherten sich zwei Reiter.

»Dann sollte ich wohl Kenai dazu zwingen, sich etwas vernünftiges anzuziehen«, seufzte der Junge. Er lächelte Maria matt zu, dann verschwand er wieder ins Haus.

Als er das Zimmer betrat, erwartete ihn eine Überraschung. Kenai hatte sein Bett verlassen und saß in ordentlicher Kleidung am Schreibtisch.

»Geht es dir besser?«, fragte Kanoa, eigentlich nur, um überhaupt irgendetwas zu sagen. Kenai antwortete ihm jedoch nicht, er schaute ihn nur traurig an.

»Die Reiter sind bald da, Maria und ich haben sie schon kommen sehen«, sprach der Junge einfach weiter, denn ihm war klar, dass sein großer Bruder nicht antworten würde.

»Weißt du, was sie wollen?«, erkundigte sich Kenai da heiser. Erstaunt hob Kanoa eine Augenbraue. Es hatte ihn schon erstaunt, das sein Bruder das Bett verlassen hatte, das er jetzt mit ihm sprach, verwunderte ihn maßlos. Doch er fasste sich schnell wieder.

»Nein. Ich weiß auch nicht, wer da kommt. Papa sagte nur, dass wir uns fertig machen sollen. Ich habe nicht weiter nachgefragt.«

Kenai nickte. Sie hörten, wie geklopft wurde, wie Tywyll die Neuankömmlinge begrüßte und sie ins Wohnzimmer verschwanden. Da stand Kenai auf zum Zeichen, das sie gehen konnten.

Sie verließen den Raum, doch oben auf der Treppe blieben sie stehen und blickten hinab. Sie hörten Stimmen aus dem Wohnzimmer. Der Besuch unterhielt sich mit ihren Eltern.

Ach einigen Augenblicken trat Kinaya zu ihnen. Sie trug ein Kleid und ihre Haare waren geflochten.

Kanoa betrachtete ihre Frisur nachdenklich. Zöpfe waren im Nordenreich ein Zeichen des Erwachsenwerdens. Eigentlich war sie noch viel zu jung dafür. Dennoch glaubte er, diese Geste zu verstehen.

»Wollen wir gehen?«, fragte er leise.

Seine Geschwister nickten und so liefen sie gemeinsam die Treppe hinab. Kenai klopfte leise am Türrahmen, bevor sie eintraten.

»Ah, da sind sie«, sprach ihr Vater und lenkte so die Aufmerksamkeit auf die drei Kinder.

Kanoa erkannte beide sofort wieder. Es waren die beiden, die sie vor so unendlich langer Zeit im Wirtshaus im Dorf getroffen hatten. Nach ihrem Ausflug nach Forea, bei dem sie Leyal getroffen hatten. Er wusste ihren Namen nicht mehr, aber er war sich sicher, dass sie es waren.

Als Kenai und er einen Blick wechselten wusste er, dass auch sein Bruder sie erkannt hatte und das maßlose Erstaunen des blonden Mannes sagte ihm, das auch er noch wusste, wer sie waren.

»Hallo kleiner Mann, lange nicht gesehen«, lächelte die Frau gut gelaunt und lächelte ehrlich erfreut.

»Du kennst meine Söhne?«, fragte Tywyll erstaunt.

»Ja, wir hatten schon einmal das Vergnügen, ist aber schon eine Weile her«, bestätigte sie, wandte sich dann aber wieder den Kindern zu. »Wisst ihr, warum wir hier sind?«

»Nein, aber wenn sie uns wieder erklären wollen, das Irian unzivilisiert und langweilig ist, dann können sie gerne sofort wieder gehen«, fand Kenai bissig.

Tywyll wollte seinen Sohn umgehend zurechtweisen, doch die Frau hielt ihn kichernd zurück.

»Mit ihnen wirst du deinen Spaß haben, Nikolai«, erklärte sie zufrieden an den blonden Jungen gewandt.

»Spaß? Wobei?«, wollte Kinaya wissen.

»Kunal und Nikolai sind hier, weil es Zeit ist, das Nikolai seinen ersten Schüler bekommt. Und ihr endlich Zauberer werdet. Nikolai wird einen von euch dreien als Schüler nehmen, die anderen beiden werden ihre neuen Meister in Altena kennenlernen«, erklärte Tywyll.

Die Geschwister warfen einander einen kurzen Blick zu. Sie waren sich nicht sicher, was sie davon halten sollten, doch sie würden nicht widersprechen. Stattdessen schaute Kanoa auffordernd auf Kunal, die unbeirrbar weiterlächelte.

»Ich denke, die Entscheidung viel schon vor geraumer Weile, nicht wahr, Nikolai?«, fragte sie gut gelaunt.

»Wen er als Schüler will?«, hakte Tywyll nach und man sah ihm deutlich an, das ihn brennend interessierte, was damals vorgefallen war. Doch er fragte nicht.

»Ja«, nickte Kunal, schüttelte aber sogleich den Kopf. »Findest du nicht, dass es langsam an der Zeit ist, uns einmal einander vorzustellen? Ich zumindest weiß nicht, wie deine Kinder heißen.«

Tywyll zog vielsagend eine Augenbraue hoch, doch er sagte nichts dazu, deutete stattdessen nacheinander auf die drei.

»Der Älteste ist Kenai Arkas oder auch Nai, wie sie ihn immer nennen. Der zweite ist Kanoa Kuroi, er hört aber auch ganz gut auf Noah. Das Mädchen heißt Kinaya Scarlett, oder kurz Kini. Sie ist die jüngste.« Der Vater deutete dann auf die beiden Besucher. »Das hier ist Kunal, sie ist eine gute Freundin, wir gingen zur selben Zeit in die Lehre. Der junge Mann hier ist Nikolai, er war bis vor einem Jahr ihr Schüler. Wie Kunal schon sagte, einer von euch wird sein Schüler.«

»Ja, Kanoa«, nickte Nikolai und seine Augen leuchteten.

Erstaunt runzelte Tywyll die Stirn, damit hatte er nicht gerechnet. Auch Callisto, die sich bisher still im Hintergrund gehalten hatte, wirkte sehr erstaunt, während Kunal nichts anderes erwartet zu haben schien und auch die Geschwister nur mäßig erstaunt waren.

»Dann gehe ich wohl am besten meine Sachen packen«, fand Kanoa und verließ das Wohnzimmer.

Er ging langsam die Treppe hinauf, verschwand in sein Zimmer und legte sich auf sein Bett. Tiamat sprang zu ihm hinauf.

»Du wirkst nicht glücklich«, bemerkte sie.

»Ich will eigentlich gar kein Zauberer werden. Wozu auch? Nai will es doch schon sein, das heißt, dass er in Altena bleiben wird. Und das bedeutet, dass mir Irian zukommen wird. Ich werde dasselbe machen, wie Papa und der muss auch nicht zaubern. Und selbst wenn es anders kommt, was nützt einem aller Zauber, wenn man trotzdem nicht die Macht hat, wirklich wichtige Dinge zu verändern?«

»Weil keine Magie der Welt etwas gegen das Schicksal ausrichten kann, Kanoa. Es war Fjodors Schicksal, seit langem. Noch bevor er geboren wurde, vielleicht sogar schon, bevor du geboren wurdest. Vielleicht schon seit Anbeginn der Zeit. So lange eben, wie die Nornen gebraucht haben um zu beschließen, wessen Lebensfaden es sein würde.«

»Die Nornen?« Kanoa schaute sie fragend an.

»Ja. Sie weben unseren Lebensfaden und bestimmen dabei, wie es verlaufen wird. Keine Einzelheiten, aber sie können dir die Richtung weisen, wenn du nur wagst, ihren Faden zu folgen«, erklärte Tiamat und rollte sich neben seinem Kopf zusammen, legte ihre eigene Wange an seine.

Eine Weile lag Kanoa nur still da und dachte nach, froh über den warmen Körper neben sich, der ihm zeigte, dass er nicht alleine war.

»Denkst du, dass ich gehen sollte? Wenn ich mich weigere wird mich Papa bestimmt nicht zwingen.«

»Ich denke, jetzt ist der beste Zeitpunkt zu gehen. Kinaya hat es deutlich gemacht, auch wenn ihr noch jung seid, auch wenn es eigentlich viel zu früh ist, dennoch seit ihr keine Kinder mehr. Jetzt nicht mehr. Und es wird Zeit, dass ihr lernt, wie man fliegt. Alle drei«, flüsterte sie an seinem Ohr.

»Hilfst du mir dabei?«

»Natürlich. Wir sind Freunde, Kanoa, Geschwister im Herzen. Wohin du gehst, werde ich mit dir gehen und sei es bis ans Ende dieser Welt.«

Kanoa schloss die Augen und lauschte noch einen Moment dem Nachhall verklungener Worte. Er wusste, das Tiamat ernst meinte, was sie sagte und so nickte er.

»Wenn du bei mir bist, habe ich keine angst«, sprach er fest.

Da kam Kenai herein. Er stand einen Augenblick lang in der Tür, dann kam er zu Kanoa und setzte sich zu ihm aufs Bett, während Gaia an Tiamats Seite sprang und sich an ihre Schwester kuschelte.

»Wir reiten morgen früh los. Kunal, Nikolai, Kinaya, du und ich. Nach Altena. Bist du aufgeregt?«, fragte Kenai.

»Ich bin mir nicht sicher. Und du?«

»Ja. Du zumindest kennst schon deinen Meister, ich kenne ihn nicht. Papa sagte, das Kini und ich zu einem Zauberer namens Kajol und einer Zauberin Namens Nima kommen werden. Denkst du, sie werden nett sein?«

»Wenn Papa denkt, dass sie eine gute Wahl sind, dann schon. Und wenn nicht, werden Pan und Gaia ihnen bestimmt zeigen, das sie aufpassen sollten. Dürfen wir unsere Pferde mitnehmen?«

»Ja, allerdings werden sie außerhalb von Altena bleiben, in einem Stall. In der Stadt selbst ist es zu eng, um dort Pferde halten zu können. Sie sagen, die Stadt sei unglaublich groß und voller Menschen.«

»Ich bin gespannt, was uns erwarten wird. Morgen früh sagtest du?«

»Ja. Wir reiten, noch bevor die Sonne aufgeht, der Weg ist weit. Deswegen sollten wir jetzt wohl auch packen und dann schlafen gehen. Damit wir morgen ausgeruht sind.«

Kanoa nickte und stand auf. Gemeinsam mit seinem Bruder packte er. Er hatte angst vor dem nächsten Tag und war zugleich unendlich froh, dass er nicht alleine sein würde. Er hatte noch immer seine Geschwister und Tiamat, die bei ihm bleiben würden.
 

Nikolai suchte mich aus, weil er wusste, dass ich gut war. Das Kenai viel geschickter war, fand er erst später heraus, ich denke aber nicht, das er sich ärgerte. Ich mich im Übrigen auch nicht. Nikolai sollte noch eine große Karriere bevorstehen und ich weiß, dass vieles anders gelaufen wäre, hätte ich einen anderen Meister gehabt.

Irgendwann einmal sollte ich ihn sogar nicht nur Meister nennen, sondern auch Freund. Bis dahin aber hab ich ihn verflucht und gehasst, wie es wohl jeder Lehrling mit seinem Meister tut.

Und das wir genau jetzt Zauberschüler werden sollten, hatte einen positiven Nebeneffekt. Wir hatten fortan anderes zu tun, als ständig über Fjodor nachzugrübeln. Besonders Kenai tat das gut.

Hier aber endet das erste Kapitel meines Lebens, denn meine Kindheit war nun endgültig vorbei. Fjodors Tod hat uns alle erwachsen werden lassen und das, was uns erwarten sollte, tat ein Übriges.

Doch erst jetzt sollte der wirklich interessante Teil meines Lebens beginnen.

Neue und alte Bekannte

Eingeschüchtert blickte Kanoa um sich. Die Stadt war sehr viel größer als alles, was er je in seinem Leben gesehen hatte. Es war eng und laut und viel zu warm für diese Jahreszeit. Es war Spätherbst, doch man hätte meinen können, dass es Sommer wäre.

Er war froh, das Kinaya und Kenai bei ihm waren, als sie so gemeinsam durch die engen Gassen der Stadt liefen.

»Altena ist die größte und mächtigste aller Zaubererstädten. Sie ist die Hauptstadt der Zauberer des Nördlichen Kontinentes und wohl mächtigste Zauberstadt der ganzen Welt«, erklärte Kunal gerade und man konnte deutlich den Stolz in ihrer Stimme hören.

»Sie ist größer als Lanta und somit auch die größte Stadt des Kontinentes. Auf der ganzen Welt kennt man sie und ist beeindruckt von ihrer herausragenden Schönheit und Architektur«, sprach Nikolai weiter.

»Fem ist schöner«, fand Kenai trocken und schaute sich geringschätzig um.

Kanoa bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Kunal Nikolai einen warnenden Blick zuwarf. Er wusste, dass sie ihn davon abhalten wollte, etwas Bissiges zu Antworten. Vermutlich dachte sie, das Kenais Worte reinem Trotz entsprangen, doch in Gedanken gab Kanoa seinem Bruder recht. Fem war schöner. Dort war es nicht so eng und die Hitze staute sich nicht in den Gassen. Auch die vielen Pflanzen wirkten irgendwie nicht so bunt und lebendig, wie er es kannte. Altena war ein seltsamer Ort.

»Wieso blühen die armen Blumen noch? Es ist doch schon lange Zeit für den Herbst«, bemerkte Kinaya da.

»Wir halten Altena mithilfe der Magie warm. Wir haben hier immer Sommer, die Menschen brauchen hier nicht zu frieren wie bei euch«, erklärte Nikolai und bedachte dabei Kenai mit einem Blick, als wäre er sich nicht sicher, was er tun würde, sollte der Junge abermals widersprechen, doch Kenai schwieg.

»Ihr tötet die Natur hier damit«, fand stattdessen Kinaya und betrachtete mitleidig die Pflanzen.

»Wie meinst du das?«, wollte Kunal wissen.

»Die Natur braucht den Winter, damit sie schlafen kann. Damit alles im Frühling neu erwachen kann, mit all der Kraft, die es im Winter über sammeln konnte«, erklärte das Mädchen.

»So ein Humbug, warum sollten wir den Winter brauchen? Altena existiert schon seit Jahrhunderten und es ist noch genauso schön, wie am ersten Tag, das wir hier nur Sommer haben hat dem keinen Abbruch getan«, fand Nikolai.

»Das Schlimmste daran ist, das du das wirklich glaubst«, fand Kenai noch, doch in einem solch abschließenden Ton, das keiner mehr wagte, das Gespräch fortzusetzen, wenngleich man Nikolai deutlich anmerkte, das er vor Zorn fast platze. Kunal dagegen wirkte erstaunt, lächelte aber still vor sich hin.

Kanoa beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Sie war anders als die meisten Leute die er kannte. Sie schien mehr zu wissen als sie sagte und sie sprach lange nicht all das aus, was sie dachte. Er begriff schnell, dass sie in dieser fremden, feindseligen Welt eine Verbündete sein konnte. Oder eine mächtige Feindin. Er konnte sie nicht durchschauen.

Er beobachtete sie eine Weile und er wusste dabei genau, das sie durchaus bemerkte, doch ihr wissendes Lächeln wurde eher noch breiter. Er fragte sich, was sie dachte.

Schließlich aber wandte er sich wieder wem Weg zu. Er betrachtete die Straßen, durch die sie liefen, genau. Er wusste, dass er die nächsten Jahre hier leben würde. Er hatte schon jetzt schreckliches Heimweh.

Dann traten sie auf den weiten Platz hinaus, der direkt vor dem Turm der Zauberer lag, von dem Kunal auf ihrer Reise erzählt hatte. Er und seine Geschwister blieben stehen und begutachteten erst den großen Platz, den Brunnen, der in seiner Mitte stand, und schließlich den riesigen Turm, der bis zu den Wolken zu reichen schien.

»Wohnen wir dort drin oder findet dort nur der Unterricht statt?«, wollte Kinaya wissen.

»Ihr wohnt dort auch. Ihr werdet in dreier oder viererzimmern untergebracht, immer fünf Zimmer haben einen Gemeinschaftsraum zur Verfügung. Aber das werden euch alles eure Paten erklären. Jetzt zeigen wir euch erst einmal eure Zimmer. Ihr habt auch noch ein paar Wochen, um euch in aller ruhe einzuleben, erst am Tag vor der Sonnenwende werdet ihr richtige Zauberschüler«, erklärte Nikolai.

»Unsere Paten?«, fragte Kanoa erstaunt nach. Er hatte erwartet, dass ihre Meister ihnen alles erklären würden.

»Ja. Andere Zauberlehrlinge, die aber schon länger in der Lehre sind. Sie erklären euch, wie das Alltagsleben verläuft, welche Regeln es gibt und so. Eure Meister bringen euch den magischen Teil bei, sie kümmern sich um den Rest.« Diesmal kam die Erklärung von Kunal.

»Wann lernen wir sie kennen?«, wollte Kinaya sogleich wissen.

»Bald. Aber erst einmal eure Zimmer und eure Zimmergenossen. Eure Paten werden im Laufe des Tages dann zu euch kommen«, antwortete Nikolai, während sie langsam über den Platz gingen.

Er war nicht so voll wie in den Straßen und Kanoa fragte sich, ob das alles Zauberer sein mochten. Dann waren sie beim Turm angelangt. Zwei Männer flankierten die Tür. Sie tauschten Blicke mit Kunal, stellten sich ihnen jedoch nicht in den Weg.

Dann betraten sie zum ersten Mal den Turm der Zauberer und blieben sogleich wie vom Donner gerührt stehen. Sie wussten alle drei, was ein beeindruckendes Farbenschauspiel war, doch das leuchtenste Nordlicht war kein Vergleich zu dem, was sie hier sahen.

Eine Explosion aus Milliarden von Farbschattierungen tobte vor ihren Augen. Selbst das Nordlicht war nur ein farbloses Glimmen gegen dem, was sich ihnen hier bot. Sie standen lange da und staunten, denn keiner von ihnen hatte jemals so viele Farben, ein so wunderschönes Leuchten gesehen.

Sie hätten noch stundenlang hier stehen und starren können, doch Nikolai und Kunal holten sie bald aus den tiefen ihrer Gedanken zurück in die Wirklichkeit. Sie schoben sie durch das Licht auf die große Freitreppe zu.

»Was ist das für ein Licht?«, wollte Kenai mit heiserer Stimme wissen.

»Das weiß keiner so genau. Das Licht entsteht durch die Glasscheibe, die über der Tür eingelassen ist, aber niemand weiß, woher sie ist«, erzählte Nikolai mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen. Kanoa war sich nicht sicher, was er bedeuten mochte, doch auch in Kunals Augen sah er diesen Ausdruck. Er würde wohl nichts Gutes bedeuten.

Und das verstand er nicht. Das Licht beruhigte ihn, er mochte es. Er löste in ihn Gefühle und Erinnerungen aus, die durchweg positiv waren, auch wenn er es nirgendwo direkt festmachen konnte.

Einem Gefühl folgend schaute er zu Tiamat hinab, die neben ihm saß und ebenso wohlwollend auf das Licht hinabblickte, wie auch er. Sie schaute zu ihm hoch und verzog die Schnauze kurz zu einem zähnefletschenden Lächeln. Sie schien sehr gut zu wissen, was es mit dem Licht auf sich hatte.

Kanoa jedoch fragte nicht, sondern folgte der kleinen Gruppe, die jetzt die Treppe hinaufstieg. Sie mussten ein ganzes Stück laufen, bevor sie zum ersten Raum gelangten. Kunal öffnete die Tür und ließ sie eintreten. Dies schien der erste Schlafraum zu sein, denn es standen drei Betten, drei Schränke und drei Schreibtische hier.

»Hier wirst du wohnen, Kinaya. Deine Mitbewohner sind scheinbar alle ausgeflogen, aber so hast du Zeit, deine Sachen auszupacken«, erklärte Kunal mit einem Lächeln.

Kinaya nickte zögernd und schaute sich um.

»Welches ist mein Bett?«, wollte sie wissen.

»Das dort, rechts am Fenster«, antwortete Kunal, lächelte noch einmal beruhigend, dann ließen sie Kinaya alleine. Sie mussten noch ein ganzes Stück weitergehen, bevor sie zum Schlafraum der beiden Jungen kamen.

Es lag sehr weit oben und als sie das Zimmer betraten stellten sie sogleich fest, das es größer war, als das von Kinaya. Und es war auch nicht leer, ein Mädchen war gerade dabei, in paar Bücher auf ein Regalbrett zu stellen.

»Das ist euer Zimmer und das hier ist eure Mitbewohnerin Eden«, erklärte Nikolai.

»Wir wohnen mit einem Mädchen zusammen?«, fragte Kanoa erstaunt.

»Ja. Wir erwarten, dass ihr euch anständig verhaltet«, lächelte Kunal.

»Warum mit ihr? Warum nicht mit Kinaya?«, wollte Kenai unwillig wissen.

»Weil sie zu jung ist. Aber das lasst euch lieber von eurem Paten erklären.« Damit war das Gespräch beendet und Nikolai und seine ehemalige Meisterin verließen den Raum.

Kenai und Kanoa starrten missgelaunt die Tür an. Ihnen war egal welchen Grund das haben mochte, es störte sie. Kanoa schaute seinen großen Bruder kurz an und erkannte sofort, das Kenai im Begriff war, sein Missfallen auch lautstark zu äußern. So legte er ihm schnell beruhigend die Hand auf den Arm, wandte sich dann dem Mädchen zu, das sie neugierig anschaute.

»Auch angehende Zauberlehrlinge?«, wollte sie wissen.

»Du bist also auch noch keine Zauberin?«, fragte er. Eden verneinte und legte das letzte Buch auf das Regal.

»Nein. Ich kam kurz nach dem letzten Sonnenfest hierher und die Eidssprechung findet immer am Abend vor dem nächsten Sonnenfest statt. Somit war ich etwas zu spät, aber das macht nichts. So habe ich mich zumindest schon einmal ausreichend eingelebt«, lächelte sie.

»Stehen außer uns schon viele andere Lehrlinge fest?«, wollte Kenai wissen.

»Ja, Ikaika sagte gestern, das es dieses Jahr dreizehn sein werden. Es sind selten so viele und die magische Zahl wird uns sicher glück bringen.«

Darauf warfen sich die Brüder nur wortlos einen Blick zu. Kanoa wusste, das Kenai an dasselbe dachte wie er. Wie sehr wünschten sie sich, dass sie das Glück jemand anderes hätten geben können. Doch sie schwiegen. Stattdessen machte Kanoa ein paar Schritte durch den Raum, während Tiamat an ihm vorbeilief und auf das Bett sprang, das dem Fenster am Nächsten war.

»Kommen wir zu praktischeren Dingen, wie heißt ihr?«, wollte Eden wissen und lehnte sich an ihren Schreibtisch.

»Ich bin Kenai und mein Bruder heißt Kanoa«, erklärte der ältere und überlegte, welches Bett dann wohl seines sein würde, denn das Tiamat nicht Grundlos den Fensterplatz in Beschlag genommen hatte, war ihm sofort klar gewesen.

»Eure Hunde müsst ihr nachher übrigens in den Stall bringen, wir dürfen hier keine Haustiere haben, außer ihr bekommt die offizielle Erlaubnis eines Hochmagiers oder des Gildenmeisters«, erklärte sie und deutete eindeutig bedauernd auf Tiamat und Gaia.

»Dann werden wir auch im Stall wohnen«, antwortete Kanoa und trat ans Fenster, um hinauszuschauen.

Die Aussicht war schier atemberaubend. Er konnte zwar nicht so weit sehen, wie in Irian, wo nur der Horizont die Ferne verbarg, aber er sah Wälder, Flüsse, Seen und Berge. Er fragte sich, ob man sie in der Stadt einsperren würde, oder ob sie durch die weite Landschaft streifen durften.

»Im Stall wohnen? Das ist nicht euer ernst, oder?« Eden wirkte irritiert.

»Doch. Gaia und Tiamat begleiten uns schon seit Jahren. Sie sind keine Hunde, sie sind Freunde«, antwortete Kenai und schien entschieden zu haben, was scheinbar sein Bett war. Eden protestiere nicht, also schien er richtig geraten zu haben.

»Ich denke nicht, dass euren neuen Meistern das recht sein wird«, vermutete sie.

»Und? Was sollen sie tun um uns zu bestrafen? Uns nicht ausbilden? Da zittern wir ja schon vor angst«, antwortete Kenai verächtlich.

»Wollt ihr etwa keine Zauberer werden?«

»Es spielt keine Rolle«, mischte sich Kanoa ein.

»Wieso das?«

»Weil wir auch ohne Magie unser Schicksal finden können. Zumal einer von uns schon einen festen Platz haben wird und da brauchen wir die Magie nicht zwingend«, erklärte er weiter und setzte sich dann zu Tiamat, die Eden aufmerksam beobachtete.

Die wirkte verwirrt, ging aber nicht weiter darauf ein. Stattdessen setzte sie sich auf ihr eigenes Bett und betrachtete die Jungen genau.

»Ihr seid also Brüder, ja? Woher kommt ihr?«, erkundigte sie sich stattdessen.

»Ja. Wir haben auch noch eine Schwester, die mit uns in die Lehre gehen wird, Kinaya. Wir kommen aus Irian. Du sprichst einen südlichen Dialekt, woher kommst du?«

Kanoa schaute seinen Bruder verwundert an. Woher wusste Kenai, das sie einen südlichen Dialekt sprach? Er kannte nur den Dialekt aus Forea und aus Altena, alles andere war neuartig und fremd für ihn.

»Aus der Hafenstadt Kare. Mein Vater kommt aus dem Kaiserreich und kümmert sich hier in Altena um die Angelegenheiten einiger Lords«, erklärte sie.

»Du bist also aus Navarre?«

»Nein, nicht wirklich. Nur mein Vater, meine Mutter stammt aus dem Zauberreich Altena. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, ich war nur ein paar Mal für Besuche im Kaiserreich, mehr nicht«, antwortete Eden.

»Auf jeden Fall bist du gänzlich anderes Klima gewohnt, als wir«, stellte Kanoa fest und zog Tiamat auf seinen Schoß.

»Stimmt, Irian ist eines der Eislande im Norden. Da ist man bestimmt ständig am frieren, immerhin liegt ja das ganze Jahr über Schnee!«

»Nur, wenn man sich nicht vernünftig anzieht. Außerdem liegt dort nicht das ganze Jahr über Schnee, wir haben genauso Frühling, Sommer und Herbst, wie ihr auch. Sie haben nur einen anderen Stellenwert«, antwortete Kenai kühl. Kanoa wusste genau, was seinen Bruder störte.

»Warten wir erst einmal ab, vielleicht kann uns ja irgendwer erklären, warum wir nicht mit Kini ein Zimmer teilen dürfen«, sprach er deswegen.

»Weil wir die drei Ältesten sind und es geht immer nach dem Alter«, antwortete Eden prompt.

»Weißt du, wenn du zu allem eine Meinung hast, dann würde ich es vorziehen, wenn du diese Meinung auch ab und an für dich behalten würdest«, fand Kenai.

»Versteh das bitte nicht falsch, das ist nicht böse gemeint, aber es reicht, wenn Maria und unsere Mutter schon immer alles besser wissen und sofort ein oder zwei Antworten parat hatten. Wenn wir also schon hier sind, dann würden wir es vorziehen, zumindest diesen Unarten der Erwachsenen zu entgehen«, beeilte sich Kanoa zu entschuldigen.

»Oh, entschuldigt bitte. Ja, ich weiß, was ihr meint«, nickte sie.

Einige Augenblicke herrschte darauf Schweigen, dann stand Kenai wieder auf und trat ebenfalls ans Fenster. Er überblickte die Stadt und Kanoa konnte an seinem Gesicht ablesen, was er dachte. Wie sehr hatte sich sein Bruder gewünscht, hierher zu kommen und plötzlich hatte es keine Bedeutung mehr.

Plötzlich horchten Tiamat und Gaia auf. Sie lauschten einen Moment und Kanoa wollte sie eben fragen, was sie denn hörte, als sie aufsprang und durch das Zimmer lief. Geschickt sprang Tiamat auf die Klinke, sodass sich die Tür öffnete und die Brüder folgten den beiden Wesen. Auf Edens Ruf, der ihnen nach erscholl, antworteten sie nicht.

Sie liefen schnell durch den Turm, die langen Treppen hinauf, immer und immer höher, bis sie schließlich in einen Saal kamen, der sich über die ganze Länge des Saals erstreckte. Von hier aus führte nur noch eine Treppe hinauf.

Langsam gingen die Tiere vorwärts, liefen wie hypnotisiert die Treppe hinauf und die Brüder folgten ihnen.

Schließlich standen sie auf einer Plattform auf der Spitze des Turms. Es wehte ein eisiger Wind und eine dünne Eisschicht hatte sich auf dem Stein gebildet. Und in der Mitte standen zwei Gestalten, die im dämmrigen Zwielicht des Spätherbstes nicht gleich zu erkennen waren.

Und doch, als Kanoa einen Schritt auf sie zumachte, erkannte er Nevar und er wusste, dass der Frost sein Verdienst war. Aber nicht der kalte Wind. Er wusste nicht wieso, aber den schrieb er sogleich dem anderen Mann zu, den er jedoch nicht kannte. Die Männer schienen sie nicht zu bemerken, sie blickten auf die Stadt hinab und sprachen leise miteinander, während Gaia und Tiamat sich zu ihnen setzen.

Auch Kenai und Kanoa kamen hinzu, ohne ein einziges Wort zu sagen, und blickten hinab auf die Stadt, die von hier oben noch trostloser und grau wirkte, als sie es sowieso schon tat.

»Wir haben auf euch gewartet«, sprach Nevar und schaute wohlwollend auf die beiden Jungen hinab.

»Wieso?«, wollte Kenai wissen.

»Weil die Nornen euch ein großes Schicksal bestimmt haben. Noch nie zuvor stand das Schicksal eines Menschen so früh fest. Zumindest nicht, wenn es so fest mit dem Schicksal unserer Herren verwoben ist«, erklärte der Fremde.

»Kennt ihr unser Schicksal?«, wollte Kanoa wissen.

»Ja, einen Teil schon. Euer ganzes Schicksal aber kennen nur die Nornen.«

»Was habt ihr damit zu tun?«, fragte Kenai.

»Wir werden immer mal wieder ein Auge auf euch haben und euch dann auch ein paar Fragen beantworten«, lächelte Nevar.

»Und wenn wieder die Zeit kommt, zu der ihr hier nichts zu suchen habt?« Kanoa lächelte. Er erinnerte sich noch gut an seine Begegnung mit Nevar.

»Altena ist Niemandsland, das haben die Zauberer selbst so gewollt. Hier ist es sich gleich«, lächelte der Mann mit dem weißen Haar.

Kanoa nickte und auch Kenai, der eigentlich noch so unendlich viele Fragen hatte, schwieg still.

»Wir werden uns bald wieder sehen, Kanoa«, sprach Nevar und wie er es schon einmal getan hatte, verwehte er wie Schneeflocken im Wind.

Auch der andere Mann lächelte noch einmal, ließ sich dann nach hinten vom Turm hinabfallen. Erschrocken stürzten die Jungen hinzu, doch als sie hinabblickten gewahren sie keine Gestalt, die unaufhörlich gen Erdboden fiel, um dort zerschmettert zu werden. Stattdessen blies ihnen für ein Moment ein eiskalter Wind entgegen, der ebenso schnell wieder verschwand, wie er gekommen war.

Schließlich schauten die Brüder einander an, waren sich nicht ganz sicher, was sie davon halten sollten, und wandten sich schließlich um, schauten sich nach Tiamat und Gaia um. So bemerkten sie auch nicht die Männer, die nicht gerade begeistert auf die Brüder blickten.

»Was habt ihr hier oben zu suchen, wer seit ihr?«, fragte einer von ihnen.

Erschrocken schauten die Jungen zu ihnen und sie wussten beide, dass sie jetzt gewiss großen Ärger bekommen würden. Sie sollten recht behalten.
 

Wenn man gerade ganz neu irgendwo hinkommt, dann ist es eine denkbar schlechte Idee, gleich am ersten Tag ein nicht erlaubtes Haustier zu halten, in einen Bereich zu laufen, der für Schüler verboten ist, sich dabei vom Meister der Zauberergilde persönlich erwischen zu lassen und das ganze auch noch mit übernatürlichen Schnee- und Windgestalten erklären zu wollen.

Ich versichere euch, tut es nicht, es glaubt euch keiner, selbst wenn es wahr ist.

Entsprechend schlecht verlief also unser erster Tag und die, die folgten, sollten nicht besser laufen. Wir galten schon jetzt als Störenfriede und hatten uns auch bei unseren Paten und Meistern, die die Verantwortung für unser Tun hatten, nicht gerade beliebt gemacht, wenngleich gerade unsere Paten die Geschichte mit einem gewissen Humor betrachteten.

Wobei ich denke, dass auch das dazu beigetragen hat, wie nahe mein Pate und ich mir letztlich einmal stehen würden.

Es war ein aufregender Tag, der nicht optimal verlief und den ich dennoch niemals ändern würde. Er stellte gewisse Weichen, die genau so, wie sie letztlich standen, richtig waren.

Ikaika und Nevaeh

»Was um alles in der Welt hat dich dazu bewogen, da hinaufzugehen?« Sichtlich schlecht gelaunt blitzte Nikolai Kanoa an, doch der gab keine Antwort. Er verstand, warum Nikolai wütend auf ihn war, sehr gut sogar. Er selbst und auch Kenai hatten vom Gildenmeister selbst keinerlei böses Wort erfahren, doch Nikolai und die drei ihm unbekannten Personen dafür umso mehr. Er hatte nicht alles verstanden, doch es reichte um zu wissen, dass er besonders Nikolai in eine sehr unangenehme Situation gebracht hatte.

Es war ihm egal. Für ihn zählte im Moment nur, das er Tiamat fortgeben sollte, denn ihre Tiere waren dem Gildenmeister keineswegs verborgen geblieben. Er weigerte sich einfach, jetzt auch noch sie zu verlieren und er überlegte krampfhaft, wie er sie bei sich behalten konnte. Deswegen hörte er Nikolai auch nicht zu, als der mit ihm schimpfte.

Erst als der Fremde, der sich ihnen völlig kommentarlos angeschlossen hatte, sich zu Wort meldete, horchte er wieder auf.

»Niko, halt die Klappe. Verzieh dich in dein Studierzimmer und überlass den kleinen Unglücksraben hier mir«, meinte er mit einem genervten Augenrollen.

»Hättest du deine Aufgabe gleich gemacht, wäre er kein kleiner Unglücksrabe«, fauchte Nikolai bissig. »Und hör auf, mich als gleichwertig zu behandeln, du bist jünger und noch ein Schüler, du hast mir mit einem gewissen Respekt zu begegnen!«

»Oh, entschuldige bitte. Würdet ihr die Strafe eures angehenden Schülers bitte mir unwürdigen Wurm überlassen? Damit würdet ihr meinem unseligen Leben endlich einen Sinn verleihen«, spottete der junge Mann.

Nikolai schaute ihn so wütend an, als wollte er jetzt seinen ganzen Zorn auf ihn entladen, schließlich aber schnaubte er nur wütend.

»Ich hasse dich, Ikaika Levin«, fauchte er, fuhr auf dem Absatz herum und verschwand. Der Fremde schaute ihn noch einige Augenblicke mit einem breiten Grinsen nach, dann wandte er sich Kanoa zu.

»Weißt du eigentlich, dass du dir den spießigsten, langweiligsten und regelversessensten Zauberer der kompletten Gilde als Meister ausgesucht hast? Das weiß ich aus eigener Erfahrung, er war mein Pate«, seufzte er.

»Er hat sich mich ausgesucht. Weil ich ihn vor ein paar Jahren mal mit einem Windzauber gezeigt habe, das es nicht klug ist, die Nordmannen zu ärgern«, antwortete Kanoa und musste lächeln.

»Er ist ein Schwätzer. Das war er schon immer. Natürlich, er ist begabt, sogar sehr begabt, aber das sind andere auch und die geben damit lange nicht so an wie er. Du bist also Kanoa von Winters-Midnight, ja?«

»Ja. Und du bist?«

»Ikaika Levin, dein Pate. Ikaika reicht aber«, antwortete der.

»Du kommst auch aus den Nordlanden, nicht wahr?«

»Ja, aus Forea«, nickte der junge Mann bestätigend und lächelte.

Kanoa betrachtete ihn genauer. Ikaika hatte schwarzes Haar, was für die nördlichen Reiche sehr typisch war, doch er besaß nicht die üblichen braunen Augen. Seine Augen waren hellblau und stechend, sie wirkten, wie aus Eis.

Sein Gesicht war freundlich, hatte aber einen harten Zug um die Mundwinkel. Er war größer und schlanker als die Nordmannen, was Kanoa verriet, das ein Elternteil wahrscheinlich aus dem Süden stammte.

Seltsamerweise sprach er nicht im typischen Foreadialekt, sondern als käme er aus Altena. Deswegen war Kanoa auch nicht auf die Idee gekommen, das er wohl ein Landsmann sein konnte.

»Wer waren die anderen beiden?«, fragte er schließlich, obwohl es ihn brannte, mehr über Ikaika zu erfahren.

»Ria und Kajol. Kajol wird wohl der Meister deines Begleiters sein und Ria seine Patin. Sonst wüsste ich zumindest nicht, wieso sie da gewesen war. Und glaub mir, er wird nichts zu lachen haben, Kajol wird ihn irgendeine Strafe aufhalsen, die über Wochen oder Monate andauert, wenn Ria, die gute Seele, ihn nicht davon überzeugen kann, nicht gleich so hart zu sein.«

»Dann ist Nikolai also doch besser als dieser Kajol?«

»Nur bedingt. Weißt du, Kajol ist nicht grundsätzlich böse oder so, im Gegenteil. Er ist sehr gerecht, er hört sich immer beide Seiten an und entscheidet dann und zwar nur anhand der Fakten, nie nach Sympathie. Das kann gut, aber auch schlecht sein und ich fürchte, dass es in diesem Fall schlecht ist. Auch sonst ist es nicht ganz einfach, mit ihm umzugehen, nicht zuletzt deswegen ist auch Ria die Patin. Sie ist als Vermittlerin ausgesprochen überzeugend«, erzählte Ikaika.

»Kenai wird aber vermutlich trotzdem eine Menge ärger bekommen, ja?«, vermutete Kanoa.

»Ich denke schon. Aber das wird er dir nachher bestimmt Brühwarm erzählen, erstmal haben wir jetzt andere Dinge, um die wir uns kümmern müssen.« Das Lächeln verschwand von Ikaikas Zügen.

»Welche?«, wollte der Junge verwundert wissen.

»Dein Fuchs.« Der junge Mann deutete auf Tiamat, die still zugehört hatte.

»Ich will sie nicht fortgeben«, antwortete Kanoa sogleich und spannte sich, wie um sich zur Abwehr bereit zu machen.

»Ich weiß. Deswegen ja. Wir brauchen einen Ort, wo er bleiben kann, ohne das die Meister ihn finden.«

»Tiamat ist ein Weibchen«, antwortete Kanoa kühl.

»Trotzdem der Fuchs«, grinste Ikaika, schüttelte dann den Kopf. »Es ist nicht einfach etwas vor einem Zauberer zu verbergen und was du getan hast, war nicht klug. Versteh mich nicht falsch, ich fand es ausgesprochen amüsant und mutig, aber eben auch ein wenig dumm. Er wird dich jetzt genau im Auge behalten.«

»Wer, Nikolai oder der Gildenmeister?«

»Beide fürchte ich. Mit Nikolai wirst du fertig, es ist leicht, Dinge vor ihm zu verbergen, doch Keo ist nicht Grundlos der Oberste der Obersten. Aber ich habe eine Idee, wer uns vielleicht helfen könnte«, überlegte Ikaika und schaute nachdenklich den Gang hinab, den sie eben entlang geschlendert waren.

Kanoa schaute ihn an und dann den Gang entlang. Er fragte sich, an wen sein Pate da dachte, doch er war sich nicht sicher, ob er das wirklich wissen wollte. Er wusste nicht zu helfen, Ikaika hatte eine ganz bestimmte Art an sich, die ihn Vorsichtig werden ließ, auch wenn er eigentlich keinen Grund dazu hatte.

Schließlich beschloss der junge Mann scheinbar, seine Idee doch zu wagen, denn er setzte sich langsam in Bewegung, wurde dann immer schneller und schließlich liefen sie im Eiltempo den Weg wieder zurück.

Ikaika führte Kanoa und Tiamat durch verschlungene Gänge und Wege, bei denen Kanoa meinte, sie sich nie merken zu können. Schließlich stieß Ikaika die Tür zu einem Saal auf, der bis unter die Decke mit Büchern gefüllt war.

»Die Bibliothek, hier wirst du eine Menge Zeit verbringen«, erklärte Ikaika beiläufig und eilte schon zu einer Gestalt, die bei Kerzenschein in einer Wandniesche saß und las.

»Nevaeh! Mein Herz, mein Augenstern!«, rief er, während Kanoa langsam folgte, dabei einen unsicheren Blick mit Tiamat wechselte.

»Was willst du, Ikaika?«, fragte sie bissig, ohne ihren Blick von ihrem Buch zu heben.

»Kannst du deinen Vater davon überzeugen, dass mein Patenkind seinen Fuchs behalten darf?«, erkundigte sich Ikaika daraufhin ohne Umschweife.

Gelangweilt blickte sie nun doch auf, schnaubte verächtlich.

»Nenn’ mir einen Grund, warum ich dir bei irgendetwas helfen sollte, Ikaika. Ein Einziger allein würde mir reichen.«

»Weil du damit nicht mir hilfst, sondern Kanoa«, antwortete der junge Mann und deutete auf seinen Schützling.

Auch die Gestalt, die Kanoa bei dem Licht nicht richtig erkennen konnte, schaute zu ihm. Er sah selbst bei dem schlechten Licht, wie sich ihre Augen ein wenig weiteten. Langsam stand sie auf und kam auf ihn zu.

»Ich kenne dich. Du bist der Junge aus meinem Traum«, sprach sie leise.

»Aus deinem Traum?« Noch weiter verunsichert schaute Kanoa abermals zu Tiamat hinab.

»Ja. Eine Zeitlang träumte ich immer denselben Traum. Ein düsterer Mann mit einem blutüberströmten Gesicht sitzt am Wasser und schaut hinein. Blut tropft in das Wasser und sein Spiegelbild verschwimmt. Er blickt auf und sieht sich einem Bären gegenüber, der ihn und freundlich anschaut, ihn mit der Nase anstößt und dann verschwindet. Dann ist dort ein Mädchen mit rosanem Haar steht unter einem Baum und fängt lachend Blütenblätter, beobachtet von demselben Mann, sein Gesicht ziert jetzt eine Narbe. Als nächstes scheint das Mädchen erwachsen, sie steht bei jemandem, ihrer Mutter oder ihrer Schwester vielleicht, die ihr lachend eine Blume überreicht. Dann wechselt die Szene. Ein rothaariger Junge stürzt aus dem Turm und eine Gestalt mit einem weißen Fuchs fängt ihn auf. Dann ist der Rothaarige erwachsen und umarmt ein Mädchen mit unterschiedlichen Augen und blondem Haar. Sie stehen auf einer weiten Wiese. Er verwandelt sich in einen riesigen Löwen und er und das Mädchen legen die Stirn aneinander. Als sie die Augen aufschlägt, leuchten sie wie Edelsteine, die vom Feuer angestrahlt werden. Danach ist dort ein Wald und ein kleiner Junge mit schwarzem Haar sitzt am Klavier und spielt eine zauberhafte Melodie, während die Tiere des Waldes sich um ihn scharen. Er schaut dabei aus blinden Augen in den Himmel. Dann ist er Erwachsen, er ist in das dichte Fell des Bären vom Anfang gekuschelt und spielt eine Flöte, dabei wirkt er glücklich. Dann ist dort eine Szene, die mich verwirrt. Ein junger Mann steht dort und ein Freund von mir, oben, auf dem Turm. Sie sehen sich an und der junge Mann sagt etwas, woraufhin mein Freund sehr, sehr wütend wird. Es scheint, als wollte er den Mann vom Turm stoßen, tut es aber doch nicht. Zuletzt stehst dann du dort, doch deine Augen leuchten so hell und bunt, wie ich es noch nie sah. Leuchtender, als selbst das Licht der Eingangshalle. Du fliehst durch die Straßen Altenas gemeinsam mit einer jungen Frau mit rotem Haar, um dich herum ist blutroter Schnee und ein Pfeilhagel regnet auf euch nieder. Dann scheint ein Pfeil seinen Weg zu finden, doch du stürzt dich in den Weg und wirst an Stelle der jungen Frau getroffen. Schließlich bist du erwachsen, und besitzt noch immer diese Augen. Du sitzt im Schnee und neben eine weiße Wölfin und eine Polarfüchsin mit schwarzem Muster, die dir einen leuchtenden Stein aus Glas zum Geschenk machen«, sprach sie und schaute ihn an, als wäre er ihr ganz persönlicher Schatz.

»Das ist… ein seltsamer Traum«, antwortete Kanoa unsicher und suchte mit Blicken nach Hilfe.

»Nicht mehr als jeder andere auch«, erklärte sie lächelnd. Dann blickte sie auf Tiamat hinab und in ihren Augen war etwas zu sehen, was Kanoa nicht einzuschätzen vermochte. Als wüsste sie etwas, als wüsste sie viel, viel mehr als sie zu sagen bereit war. Als wüsste sie, wer Tiamat ist.

»Du erkennst mich, nicht wahr?«, fragte diese, denn auch sie hatte den Blick durchaus bemerkt und ebenso gedeutet, doch wenn Nevaeh sie verstanden hatte, so ließ sie es sich nicht anmerken. Sie lächelte still vor sich hin, bewahrte ihr Geheimnis und ihre Gedanken, bis sie sich letztlich zu Ikaika umwandte.

»Ich werde mit Vater reden, aber nicht, weil du mich darum gebeten hast. Nur damit das klar ist, Ikaika. Ich mag dich heute noch genauso wenig, wie am ersten Tag und du weißt ganz genau wieso. Tu mir also bitte den Gefallen und versuch nicht so zu tun, als wären wir Freunde«, erklärte sie knurrend, setzte sich dann wieder in ihre Wandnische und las weiter.

Ikaika wirkte nach ihren harschen Worten für einen Augenblick ein wenig verletzt, doch dann schien sich sein Trotz zu regen. Er schnaubte abfällig und ging zur Tür.

»Komm mit Kanoa, lassen wir den Stinkstiefel in ruhe. Und lass deinen Fuchs bei ihr, sonst vergisst sie es womöglich noch«, erklärte er bissig und verließ die Bibliothek.

Kanoa schaute traurig auf Tiamat.

»Ich denke, er hat recht. Es ist wohl besser, wenn du erst einmal bei ihr bleibst«, flüsterte er.

»Ich weiß. Wir sehen uns bald wieder, Kanoa«, erklärte Tiamat und lief zu Nevaeh, um sich neben ihr auf den Boden zusammen zu rollen.

Anschließend folgte Kanoa seinem Paten, der schnellen Schrittes, aber völlig ohne Ziel durch die Gänge lief. Der Junge brauchte einige Augenblicke, um ihn einzuholen.

»Darf ich fragen, was…«, begann er.

»Was zwischen Nevaeh und mir vorgefallen ist?« Ikaika blieb stehen und schüttelte energisch den Kopf. »Es ist egal, vorbei, nicht mehr zu ändern. Ich bringe dich jetzt lieber wieder in dein Zimmer, es ist schließlich schon spät und ich denke, das du müde sein wirst und mit deinen Bruder sprechen möchtest, nicht wahr?«

Kanoa nickte zögernd. »Ich denke schon, ja.«

Ikaika schaute ihn an, war in Gedanken aber weit weg. Dann gingen sie gemeinsam los und abermals fragte sich der Junge, wie um alles in der Welt er sich jemals hier zurechtfinden sollte. Die Stadt und der Turm, alles war ihm so fremd und viel zu groß. Er sehnte sich schon jetzt nach seinem kleinen Zimmer im elterlichen Haus und nach den weiten Wiesen und Feldern seiner Heimat.

»Woran hast du eigentlich erkannt, das ich auch aus den Nordreichen komme?«, wollte Ikaika plötzlich wissen. »Ich bin schon lange niemanden mehr begegnet, der es wusste.«

»Dein Nachname. Levin. Er verrät es.«

Da lächelte Ikaika wieder ein wenig. In seinen eisblauen Augen schimmerte das Licht, das durch die Fenster hereinsickerte. Sie mussten sich irgendwo außen an der Mauer aufhalten, nicht überall gab es Fenster, das hatte Kanoa sehr schnell gemerkt.

Den Rest des Weges verbrachten sie schweigend.

Schließlich standen sie vor der Tür, hinter der sein neues Zimmer, sein neues zuhause lag. Kanoa zögerte noch einen Moment, bevor er schließlich eintrat.

»Bis morgen kleiner. Dann zeig ich dir den Turm«, lächelte Ikaika, dann ging er und Kanoa wandte sich seinen Mitbewohnern zu. Eden saß auf ihrem Bett an die Wand gelehnt und las, während Kenai auf der Fensterbank saß und wütend und verzweifelt hinausblickte.

Als Kanoa die Tür schloss, blickten beide auf.

»Haben sie dir Tiamat auch weggenommen?«, fragte Kenai leise.

»Ikaika und ich haben sie zur Tochter des Gildenmeisters gebracht. Sie hat versprochen, mit ihm zu sprechen, vielleicht bekommen wir sie also bald wieder. Wir können morgen gemeinsam zu ihr gehen und sie darum bitten, dass sie ihren Vater auch wegen Gaia fragt«, bot Kanoa an und Kenai nickte dankbar.

Dann blickte der Junge auf Eden. Er wollte seinem Bruder von Nevaehs Traum erzählen, er ahnte, das er weit mehr von Bedeutung war, als sie ihm glauben machen wollte und auch, das sie das durchaus wusste, aber er war sich nicht sicher, ob er das vor Eden tun sollte.

Schließlich entschied er sich dafür, es für heute gut sein zu lassen und es nicht zu tun. Es würde noch genügend Gelegenheiten geben, bei denen er mit Kenai in ruhe sprechen konnte, da war er sich sicher.

Er ging langsam zu seinem Bett und setzte sich darauf. Das Bett im Elternhaus war mit Heu gefüllt gewesen und Nachts, wenn es dunkel war, hatte man nur die Geräusche des Holzes und der Natur vernommen und war mit dem Geruch von Heu in der Nase eingeschlafen. Hier war es, trotz der fortgeschrittenen Stunde noch viel zu laut und sein Bett roch seltsam, nach etwas, das er nicht so recht einschätzen konnte.

Er hörte, wie auch Kenai ins Bett ging und nachdem sich die Brüder unter ihre Decken gekuschelt hatten, löschte Eden das Licht.

Traurig und einsam schloss Kanoa die Augen. Er wünschte sich wieder nach Hause, doch irgendwann siegte die Erschöpfung und er schlief ein.

 

Ich mochte Nevaeh. Sie wurde im Laufe der Jahre für mich so etwas wie eine Freundin, wenngleich es immer eine seltsame Beziehung zu ihr blieb. Heute weiß ich auch, wer diese Personen waren, von denen sie träumte, auch wenn ich die Meisten niemals kennenlernte.

Ich mochte auch Ikaika, der einmal einer meiner besten Freunde und engsten Vetrauten werden sollte. Leider begriff ich erst zu spät, wie wichtig er für mich war, denn wer weiß, wenn ich früher ehrlich zu ihm gewesen wäre, hätte sich vielleicht einiges anders entwickelt.

Doch es bringt nichts, sich in Spekulationen zu verlieren. Ich war keineswegs böse darüber, dass er mein Pate geworden war, wenngleich es auch Seiten an ihm gab, die ich nicht mochte.

Ich fand auch irgendwann heraus, warum Nevaeh ihn nicht leiden konnte und ich musste bedauernd feststellen, dass einen manchmal unliebsame Zufälle trennen, für die wohl niemand etwas kann, wenngleich ich Nevaeh doch verstehen kann.

Manchmal soll man wohl einander einfach nicht mögen, wenngleich man so gut hätte befreundet sein können.

Die Geschichte der Schimmersplitter

»Und das hier ist dann euer Gemeinschaftsraum.« Ikaika deutete einmal durch den gemütlichen Raum. Er war nicht groß, aber mit zwei großen Sofas, einem offenen Kamin und anderen gemütlichen Sitzgelegenheiten, konnte man sich hier sofort Wohlfühlen.

»Wozu der Kamin? Ich dachte, hier wär’ immer Sommer«, erkundigte sich Kanoa.

»Ja, das habe ich mich auch schon gefragt. Zumal es auch keine Schornsteine gibt. Ich denke, es soll einfach nur gemütlich aussehen, ist aber eigentlich auch egal. Ein Ort fehlt hier im Turm noch. Wollen wir hingehen oder willst du den Turm erst einmal selbst erkunden?«, fragte der junge Mann.

»Lass uns ruhig alles ansehen, ich habe die nächsten Tage noch Zeit und Gelegenheit genug. Dann weiß ich zumindest, das ich dort nichts verloren habe und Nikolai und du bekommt nicht wieder meinetwegen ärger, wenn es ein Tabu-Ort ist.«

»Oh, da weißt du schon, dass du dort nicht hindarfst, du warst schließlich schon einmal dort. Es fehlt jetzt nur noch das Dach.«

Kanoa zögerte kurz, doch Ikaika hatte bisher in den verschiedenen Räumen einiges Interessantes zu berichten gehabt und er wollte wissen, was er hier zu berichten hatte. So nickte er schließlich.

»Lass uns gehen.«

Ikaika grinste kurz, dann liefen sie los. Der junge Mann führte den Jungen zielgerichtet zu dem großen Raum, der dem Dach vorausging.

»Was weißt du über die Eidsprechung?«, fragte er und blieb an der Treppe stehen.

»Nur, das sie am Tag vor der Sonnenwende stattfindet und das wir dieses Jahr dreizehn sind«, antwortete ihm Kanoa.

»Das ist nicht viel, aber das macht nichts. Ich erzähle dir einfach mal ein bisschen was. Es stimmt, die Eidsprechung findet immer am Tag vor der Sonnenwende statt. Das liegt daran, dass die Völker des Kontinentes an vier gottähnliche Wesen glauben. Sie bestimmen die Geschicke der Welt und ihre Herrschaftsdauer ist immer von einer Sonnenwende zur nächsten. Am Tag vor der Sonnenwende sind sie als so Schwach, wie zu keiner anderen Zeit im Jahr. Sie geben ihre Pflichten weiter und ruhen dann für neun Monate. Bei der Eidsprechung wird unter anderem auch von den Göttern wohlwollen erbeten, allerdings will man vermeiden, das die Schüler sofort unter ihrem strengen Blick stehen. So nimmt man also ein Datum, das am ende ihrer Herrschaft steht.« Während Ikaika sprach, traten sie die Treppe hinauf.

»Ja, von den Göttern hörte ich schon, aber meine Eltern glauben, dass es Unsinn ist«, antwortete Kanoa.

»In Forea und Irians ist der Glaube auch nicht weit verbreitet, dafür gibt es andere Dinge. Hier und im Süden ist es aber sehr weit verbreitet, deswegen lebt man ihn hier auch so.«

»Und was passiert bei der Eidsprechung?«, wollte Kanoa wissen.

»Eigentlich gar nicht viel. Der Gildenmeister eröffnet sie, immer zum Sonnenuntergang. Er richtet Worte an die Meister, das die nächste Generation zu Formen nun in ihren Händen läge und so. Dann kommen die Meister und Schüler vor. Nacheinander kommt ein Meister und ein Schüler in der Mitte zusammen, so.« Ikaika stellte Kanoa in die Mitte und stellte sich ihm gegenüber. »Dann spricht der Meister einen Eid, den der Schüler leisten muss. Wenn der Meister zufrieden ist, darf der Schüler einen Umhang ablegen, um seinen Schülernamen zu erhalten. Anschließend darf er sich die Glückwünsche von Freunden von Familie abholen. Danach wird die ganze Nacht gefeiert.«

Kanoa schwieg einen Moment lang.

»Was ist ein Schülername?«, fragte er schließlich.

Ikaika antwortete nicht gleich. Er wirkte nachdenklich. Schließlich jedoch begann er zu erklären.

»Das ist tiefe Magie, die mächtigste Waffe, die du besitzen kannst. Du weißt, das wir beim Zaubern nicht sprechen?«

Kanoa nickte: »Ja, aber ich weiß nicht, wieso.«

»Zum einen bräuchtest du erst einmal die richtigen Worte, die haben wir aber nicht, aus gutem Grund. Weißt du, Worte sind mächtig. Wenn wir dem, vor dem wir uns fürchten, einen Namen geben, erscheint es uns nicht mehr so Furcht einflößend, wusstest du das? Worte, besonders Namen, können sehr, sehr mächtig sein. Und wenn wir unseren Schülernamen bekommen, dann ist das kein einfaches Wort. Dieses eine Wort, dieser eine Name fängt unser tiefstes, innerstes Wesen. Wenn jemand deinen Schülernamen ausspricht, wenn er ihn nutzt und seine Magie erweckt, dann hast du keinen freien Willen mehr. Es… ist schwierig zu beschreiben. Es macht etwas mit dir, gegen das du dich nicht wehren kannst. Das ist gut, denn wenn du Magie nutzt, die du nicht beherrschen kannst, kann dein Meister sie unschädlich machen. Es kann dir aber auch sehr schnell zum Verhängnis werden, wenn ihn jemand kennt, der dir böses will, deswegen darfst du ihn auch niemanden verraten, außer du vertraust ihm mehr als dir selbst.«

»Wenn man jemanden seinen Namen verrät, ist das also so etwas wie ein Bruderkuss?«

Ikaika zögerte, lächelte.

»Nein. Es ist anders. Demjenigen, den du den Bruderkuss gibst, dem gibst du dein Sein vollkommen freiwillig, derjenige, der aber deinen Schülernamen kennt, der kann dich kontrollieren, ohne dass du es willst. Aber doch, es ist ähnlich.«

»Kann man den Schülernamen einer anderen Person erraten?«, Kanoa wanderte nachdenklich über das Dach. Als Ikaika nicht antwortete, wandte er sich zu seinem Paten um.

Scheinbar hatte er einen empfindlichen Nerv getroffen. Ikaika starrte still vor sich hin, scheinbar mit seinen Gedanken weit, weit fort. Kanoa fragte sich, woran er wohl dachte, als der junge Mann schließlich traurig blinzelnd den Kopf schüttelte.

»Ja. Man kann den Schülernamen einer anderen Person erraten, aber versuche es nie, nie, niemals. Es kommt immer schlechtes dabei heraus«, antwortete er schließlich und lächelte traurig.

Kanoa ging nicht weiter darauf ein. Er wollte nicht das Messer in der Wunde umdrehen, indem er Ikaika weiter damit quälte, stattdessen trat er ganz nah an den Rand heran und blickte hinab.

»Wie kommt es, dass es hier oben so kalt ist, obwohl es sonst überall in Altena so warm ist? Wirkt hier oben die Magie nicht?«

»Hier oben ist Niemandsland. Hier endet das Herrschaftsgebiet des Gildenmeisters. Hier oben regiert nur der Wind und der entscheidet selber, ob er warm oder kalt sein will«, antwortete Ikaika. Als Kanoa zu ihm blickte erschien es ihm, als sähe Ikaika im Wind viel mehr als er.

Für eine ganze Weile standen sie einfach nur still da. Es war, als hätte die Welt aufgehört, sich zu drehen. Still und starr lauschten sie dem Flüstern des Windes.

Und dann war der Moment vorbei.

»Gut, jetzt kennst du auch das Dach und weißt in etwa, was dich bei deiner Eidsprechung erwarten wird. Möchtest du noch etwas sehen oder wissen?«, wollte Ikaika wissen.

»Ja«, nickte Kanoa ohne zu zögern. »Das Licht in der Eingangshalle. Was ist das?«

Da lächelte der junge Mann wieder schelmisch und seine eisblauen Augen blitzten.

»Du kennst doch garantiert die Geschichte, wie die Wölfe das Nordlicht erschaffen haben, oder?«, fragte er und deutete mit einem Kopfnicken, das sie wieder runtergehen sollten.

Kanoa antwortete nicht. Ein dicker Kloß schnürte ihm die Kehle zu. Das war immer Fjodors Lieblingsgeschichte gewesen, sein Bruder hatte es so sehr geliebt, wenn Kanoa mit ein wenig Magie die Lichter in ihr Zimmer geholt hatte. Daran musste er jetzt denken.

»Na gut, macht nichts, dann erzähle ich sie dir eben. So, wie man sie sich in Forea erzählt«, sprach Ikaika munter weiter als er begriff, das er keine Antwort bekommen würde. »Die Geschichte handelt von den Eiswölfen und dem Winter. Lange, bevor die Menschen den Norden mit ihren Dörfern und Feldern bevölkerten, da lebten dort nur die Eiswölfe, die Wilden Nordmenschen und die anderen Geschöpfe des Nordens. Sie lebten in Ruhe und Frieden, das Einzige was ihnen gefährlich wurde, das waren Kälte und Hunger.

Doch einer der Eiswölfe war anders. Er war genauso weiß wie Schnee, wie seine Gefährten, doch seine Ohren waren schwarz wie die Nacht und seine Augen leuchteten wie der Mond. Deswegen nannten ihn die Einheimischen Lugh. Licht. Dieser Wolf war anders als seine Artgenossen.

Er war zahm und er jagte bei Tag genauso gut, wie in der Nacht und Mensch und Tier fürchtete ihn gleichermaßen, denn er war schnell wie ein Fuchs und stark wie ein Pferd. Die Menschen verehrten ihn wie einen Gott und eines Tages bat ihn eine junge Frau darum, den Menschen zu helfen. In den langen Polarwintern konnten sie kaum jagen, denn sie sahen die Hand vor Augen nicht und vielleicht konnte er ihnen helfen.

Lugh hatte auch eine Idee, doch er besaß nicht die Macht, sie umzusetzen. Er überlegte, dass man einen Lichternebel in den Himmel malen könnte, das ihnen den Weg wies.

Das hörte der der Winter und sie war so fasziniert von der Idee, dass sie zu ihnen kam. Sie forderte Lugh auf, seine Idee der Lichternebel umzusetzen, sie würde ihm helfen. Da begann der Eiswolf zu heulen. Es war das erste Mal, das ein Wolf heulte und da es eine kalte Nacht war, gefror sein Atem in der Luft.

Doch es wurde nicht der leuchtende Nebel, sondern es gefror ganz und gar und fiel in splittern auf die Erde zurück. Doch Winter und das Menschenmädchen ließen nicht locker, sie feuerten ihn an und als der Boden um sie herum schon von Milliarden Schimmersplittern bedeckt war, sodass kaum noch Schnee zu sehen war, da gelang es Lugh. Sein leuchtender Atem stieg in den Himmel auf und blieb dort, leuchtete in allen Farben und erhellte die ewig währende Nacht. Winter versprach ihnen, dass das so bleiben würde und ging. Das Menschenmädchen bedankte sich bei Lugh und ging ebenfalls.

Sie und der Wolf wurden bald darauf gute Freunde und als das Mädchen älter wurde und nach Süden ziehen sollte, da bat sie Lugh darum, einen der Schimmersplitter mit sich nehmen zu dürfen. Der Wolf gestattete es ihr und mehr noch. Er wollte, dass jeder Nordmann, den es in den Süden verschlug, einen der Splitter mit sich nahm, auf das er niemals seine Heimat vergessen möge.

Dieses Ritual wurde beibehalten, auch nachdem der Wolf Lugh schon lange nicht mehr lebte und seine Geschichte nur noch eine Legende war. Wer in den Süden ging, nahm einen Splitter mit sich, bis er wieder nach Hause zurückkehrte.

Doch so mancher verstarb im Süden, fernab der Heimat und auch hier verweilten ihre Splitter. Ein kluger Zauberer, sein Name ist schon lange vergangen, fand, man müsste den heimatlosen Splittern ein Heim bauen und fing an, sie zu einem Glas zusammen zu fügen. Als auch der letzte Splitter dann endgültig im Süden blieb, da war auch seine Scheibe vollendet und sie wurde in den Turm von Altena eingelassen um den Nordmannen zu zeigen, das sie hier ebenso willkommen waren. Seitdem leben hier Nordmannen ebenso, wie Zauberer aus allen anderen Ländern.«

Kanoa schwieg. In Irian wurde die Geschichte etwas anders erzählt, aber es war verkennbar dieselbe Geschichte. Sie hätte Fjodor gewisse gut gefallen.

Mittlerweile waren sie unten im Turm angekommen. Die Sonne stand tief, das Licht funkelte magisch um sie herum. Kanoa betrachtete es verträumt, bis sich die Tür öffnete und Kunal und ein fremder Mann eintraten. Kunal sagte leise etwas zu dem Mann, dann kamen sie die Treppe hoch.

»Wir sehen uns nachher, Duster«, verabschiedete sie sich, lächelte Kanoa noch zu, ging dann weiter ins Innere des Turms.

»Ikaika, wir erwarten zur Sonnenwende besuch. Der Imperator von Lanta und sein Sohn werden sich mit den Hochmagiern treffen, ich erwarte, dass du dich anständig benehmen wirst. Hast du mich verstanden?«, fragte der Fremde, Duster, mit tiefer Stimme.

Sofort schaute Kanoa seinen Paten an und der wirkte, als hätte man ihm gesagt, das man das komplette nächste Jahr nur Brot und Wasser zu essen bekommen würde. Begeisterung sah eindeutig anders aus.

»Muss ich dabei sein?«, erkundigte er betteln, fast flehend.

»Ja. Wir sind ausdrücklich eingeladen worden, vom König persönlich. Aber nimm es leicht, dein kleiner Freund hier wird auch dabei sein, denn auch Kunal und Nikolai sind eingeladen«, antwortete Duster leichthin, nickte noch einmal und folgte dann Kunal.

Sogleich war Ikaika nicht mehr wiederzuerkennen. Es schien in ihm zu Brodeln vor Wut und Hass, von seiner guten Laune, die er sonst immer an den Tag legte, war nichts mehr zu spüren.

»Das war’s, Ende der Führung, ich habe zu tun«, fauchte er Kanoa wütend an und stapfte die Treppe hinab, als sich die Tür ein weiteres Mal öffnete. Ein junger Mann mit schwarzem Haar und goldgelben Augen trat ein. Als er hochschaute und Ikaika erblickte, da wollte er sofort umgehen. Er schloss die Tür nicht, sondern öffnete sie erneut, doch Ikaika war mit zwei Schritten bei ihm und drückte die Tür ins Schloss, bevor er hinaus konnte.

»Wen haben wir denn da? Du kommst mir gerade recht«, knurrte er schlecht gelaunt.

Sein Gegenüber wich von der Tür in die Mitte des Raumes zurück.

»Lass mich in Ruhe, Ikaika«, fauchte er, dabei zitterte jedoch seine Stimme ein kleines bisschen, kaum hörbar.

»Och, hat der arme kleine Noak angst vor dem großen, bösen Wolf?«, säuselte Ikaika, dem das keineswegs entgangen war. Er ging auf den Jungen zu und grinste dabei böse. Der wiederum spannte sich an, um sich zu wehren, doch soweit wollte Kanoa es nicht kommen lassen.

»Ikaika, hattest du nicht etwas Dringendes zu tun? Dann solltest du das vielleicht auch machen«, fand er laut.

Sein Pate blickte zu ihm hoch, er schien vergessen zu haben, das Kanoa da war. Aus blauen Augen blickte er ihn kalt an, hinter seiner Stirn arbeitete es sichtlich. Schließlich wandte er sich mit einem Zähnefletschen an Noak.

»Glück gehabt. Er hat nämlich recht, ich habe besseres zu tun, als mich mit dir gewürm zu beschäftigen.«

Dann ging er und Kanoa musste seine Einschätzung von Ikaika gewaltig korrigieren. Er beobachtete, wie Noak die Treppe hinaufkam und ihn geringschätzig Musterte.

»Glaube nicht, dass ich dir dankbar bin. Ich wäre auch allein mit ihm fertig geworden«, knurrte er und ging.

Kanoa blieb allein und fragte sich, ob ihm jemals irgendwer erzählen würde, was es mit der ganzen Sache auf sich hatte. Was die ganzen Geheimnisse waren, die Ikaika zu hüten schien. Es wurden immer mehr.

 

Manche Menschen sind, wie sie eben sind. Man kann sie mögen, man kann sie hassen oder sie sind einem egal. Es gibt nur schwarz und weiß, niemals grau. Davon gibt es nur sehr, sehr wenige, aber Ikaika gehört dazu. Er ist einer der verständlichsten Menschen, die ich kennengelernt habe, er tut nie etwas Grundlos und nur selten sind seine Emotionen der Grund. Er ist sehr berechnend und schlau, etwas, was ich damals nicht von ihm erwartet hätte.

Aber damit bildet er auch das Gegenteil von mir, der sich einzig von seinem Gefühl leiten lässt. Dennoch kann ich ihn verstehen. Jede noch so kleine Entscheidung, denn ich habe sein Sein verstanden.

Man kann den Schülernamen anderer Leute erraten, aber nur, wenn man sie besser kennt, als sich selbst. Und wenn man ihnen mehr vertraut als sich selbst, dann kann man auch bestätigen, dass es wahr ist, ohne dass der andere es ausprobiert.

Ich weiß, dass immer der Meister den Schülernamen festlegt. Aber ich glaube, dass mein Schülername nicht von Nikolai kommt. Ich bezweifle, dass Nikolai mich jemals so gut kannte, das er in der Lage gewesen wäre, mein tiefstes Sein zu benennen.

Wintermond

Nachdenklich schaute Kanoa auf die zwölf Jungen und Mädchen um sich herum. In den letzten Tagen hatte er viele von ihnen kennengelernt, denn sie würden mit ihm zusammen ihre Lehre zum Zauberer beginnen.

Fast alle waren jünger als er und wirkten sehr aufgeregt. Eden, die an seiner Seite saß, wirkte sogar fiebrig, ihr Blick war glasig, ihre Wangen feuerrot. An seiner anderen Seite saß Kenai, starrte nachdenklich auf die Treppe, hielt dabei Kinaya im Arm, die leise ein Lied sang, um sich zu beruhigen.

Kanoa betrachtete ihr blasses Gesicht, das unter der schwarzen Kapuze noch viel blasser wirkte und fragte sich, ob sie Angst haben mochte oder ob sie sich freute. Dann fragte er sich, was er empfand und stellte fest, dass es ihm gleich war. Ohne Fjodor hatte alles seine Bedeutung verloren, nichts war ihm mehr wirklich wichtig.

Es dauerte einen Moment bis er begriff, dass das nicht stimmte. Er war traurig wegen seinem Bruder, aber das war etwas anderes. Trauer ließ einen doch nicht so gleichgültig der Welt gegenüber werden, oder?

Doch wenn selbst Kinaya, die Fjodor näher stand als jeder andere, damit fertig werden konnte, wie konnte es sein, das es ihm nicht gelang?

Als er sah, wie Nevaeh für die Zeremonie auf das Dach ging, Tiamat, Gaia und Pan an ihrer Seite, da musste er grinsen. Es war doch so klar. Wer wollte schon in der Wirklichkeit leben, wenn er wusste, dass noch eine andere Welt existierte, die mehr Zauber und Magie besaß, als alle Zauberreiche gemeinsam? Die so anders war als alles, was er bisher kannte.

Er seufzte. Es brachte nichts, mit dem Kopf in einer Welt festzuhängen, in der er niemals leben würde. Er sollte sich auf das hier und jetzt konzentrieren. So atmete er einmal tief durch und konzentrierte sich. Dann sah er, wie eine junge Zauberin ihnen ein Zeichen gab, das es an der Zeit war, nach oben zu gehen.

Er setzte seine Kapuze auf und folgte seinem Bruder, der mit Kinaya an der Hand als erster die Treppe hinaufging. Er war der Älteste. Er hätte nicht als erstes gehen müssen, doch die Kinder um ihn herum wirkten so scheu und aufgeregt, das er sie führte.

Als sie auf dem Dach stehen blieben, da aber war Kanoa voll und ganz in der Wirklichkeit. Es war ein wenig, wie bei seinem ersten Lichterfest. Wie Ikaika ihm erklärt hatte, gab es drei Gruppen. Die Schüler, die ängstlich zusammengedrängt bei der Treppe stehen geblieben waren, die Zuschauer, die sich Zahlreich auf dem Dach eingefunden hatten und voll Neugierde die neuen Schüler begutachteten und die neuen Meister sowie die Hochmagier und der Meister der Zauberergilde.

Wie üblich fand die Zeremonie bei Sonnenuntergang statt und da der Himmel den ganzen Tag über klar gewesen war, war auch jetzt ein leuchtend roter Himmel zu bewundern. Auch die Menschen und der Turm wirkten einladend in diesem warmen Licht, das so gar nicht nach Winter aussah, sondern eher nach einem wunderschönen Spätsommerabend. Nur die Kälte, die durch die Kleider biss, ließ einen wissen, das der Winter nahte.

»Seid ihr alle da?«, fragte der Gildenmeister, Keo, und riss damit Kanoa aus seinen Tagtraum. Der würdevolle alte Mann schien keine Antwort zu erwarten, denn er nickte und sprach dann auch schon mit lauter, voller Stimme weiter.

»Heute ist der letzte Tag des Herbstes. Morgen ist Sonnenwendfest. So ist es also wieder einmal an der Zeit, das einige junge Menschen den langen Weg antreten, der sie dorthin führt, wohin es sie zieht.«

Keo wandte sich an die wartenden Meister, die wohlwollend, aber teilweise auch sehr nervös auf ihre künftigen Schüler blickten.

»Für einige von euch sind es nicht die ersten Schüler. Ihr habt schon einmal einen oder mehrere junge Menschen über den langen Weg des Lernens begleitet. Ich hoffe, nein, ich erwarte, dass ihr euch auch dieses Mal mit ebendieser Hingabe auch eurem neuen Schüler widmet. Ich erwarte, dass ihr nicht blind davon ausgeht, dass sie genauso sind, wie jene, die ihr schon hattet, dass ihr sie als jene Individuen seht, die sie sind! Und ich erwarte, dass ihr auch eure anderen oder ehemaligen Schüler nicht vernachlässigt. Jene, die das erste mal einen Schüler auf ihrem Weg begleiten, von denen erwarte ich, das ihr euer bestes gebt. Fragt, wenn ihr fragen habt, niemand ist unfehlbar. Ihr seit es eurem Schüler schuldig, eure eigenen Fehler einzugestehen.«

Ehrfürchtiges Schweigen breitete sich unter den dreizehn Meistern aus. Einige nickten lächelnd, andere wirkten gelangweilt und wieder andere blieben ernst und starr. Und wenige, wie Nikolai, wirkten nervös und schauten Hilfe suchend umher.

Dann wandte sich Keo an die Schüler. Lange ruhte sein Blick auf jedem einzelnen und er schien die Gedanken jedes einzelnen zu lesen. Kanoa wollte seinem Blick ausweichen, denn seine Gedanken gehörten nur ihm, doch als sich ihre Blicke dennoch trafen, da wurde ihm bewusst, das auch er in den Gedanken seines Gegenübers lesen konnte. Keos Augen verrieten ihn, so wie die Augen einen immer verrieten.

Der Augenblick hielt nur für einen Augenblick, aber letzten Endes standen sie einander nackt gegenüber, denn für diesen Moment gab es keine Geheimnisse mehr. Und das war gut so. Dann blickte der Meister weiter, bis er alle dreizehn Schüler angesehen hatte.

»Auch euch habe ich noch etwas zu sagen. Auch an euch habe ich so manche Erwartung. Ich erwarte, dass ihr euer bestes tut, um das Handwerk zu lernen, das eure Meister euch beibringen werden. Ich erwarte, dass ihr ehrlich und folgsam seid und dass ihr euch auf das konzentriert, was vor euch liegt und euch nicht von Belanglosigkeiten ablenken lasst. Ihr alle seit nun gleich. Eure Heimat spielt keine Rolle mehr, eure Familie ist sich gleich. Es zählt nur noch ihr und das, was ihr aus euch zu machen gedenkt. Keiner von euch ist besser als sein Nebenmann, egal, ob eure Eltern Bauern, Gutsherren oder Könige sind. Ihr seit euch gleich«, sprach Keo eindringlich, doch Kanoa war, als wenn er dabei gar sie meinte.

Er folgte dem Blick des Gildenmeisters und als er unsicher nach hinten lugte, da war er sich sicher, dass er sich geirrt haben musste, denn als er dorthin blickte, da schaute er zu Ikaika.

Verwirrt wandte er sich wieder Keo zu, der schon weiter gesprochen hatte und nun den ersten Meister nach vorn wunk.

Es war Kajol, der Meister von Kenai. Ernst trat er in die Mitte.

»Kenai Arkas von Winters-Midnight, komm zu mir«, rief er mit lauter Stimme.

Kenai und Kanoa tauschten noch einen schnellen Blick, dann ging sein Bruder schnellen Schrittes und wehenden Umhangs zur Mitte der Plattform, stellte sich seinem Meister gegenüber.

»Kenai Arkas von Winters-Midnight! Leiste den Eid vor dem Himmel und der Erde!«, sprach Kajol laut weiter. »Schwöre mir, das du folgsam und fleißig sein wirst, schwöre mir Ehrlichkeit und Strebsamkeit!«

Kenai zögerte einen Augenblick, widerstand der Versuchung, noch einmal hinter sich zu blicken, bevor er laut zu sprechen begann.

»Ich leiste den Eid vor dem Himmel und der Erde. Ich werde folgsam und fleißig sein. Ich werde immer wahre Worte sprechen und ich werde strebsam mein Ziel verfolgen«, sprach er laut und deutlich, dennoch deutlich sanfter als sein Meister.

»Dann öffne deinen Umhang und erhalte deinen Schülernamen«, forderte Kajol ihn auf und sogleich warf Kenai seinen Umhang ab. Sein Meister flüsterte ihm etwas ins Ohr, dann entließ er seinen Schüler mit einem nicken, der Schatten eines Lächelns auf den Lippen.

Kenai wandte sich sofort ab, lief zu Kanoa und Kinaya zurück, umarmte sie beide, bevor er zu seiner Patin Ria lief.

Danach folgte ein Schüler nach dem anderen, sie alle versprachen im Grunde dasselbe. Die Reihe lichtete sich. Kinaya sprach ihren Eid vor der jungen Zauberin Nima und Eden sprach vor einer noch jüngeren Zauberin namens Luca. Letztlich blieb nur Kanoa allein.

Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen. Feuer erhellte das Dach, dennoch konnte man den klaren Sternenhimmel und den vollen Mond betrachten, der über ihnen fast so hell schien, wie eine bleiche Sonne.

In das fahle Mondlicht trat ein nervöser Nikolai, der einen ruhigen Kanoa zu sich rief. Der junge Meister schaute noch einmal Hilfe suchend zu Kunal, bevor er mit lauter, aber eindeutig zittriger Stimme zu sprechen begann.

»Kanoa Kuroi von Winters-Midnight, leiste den Eid vor dem Himmel und der Erde! Schwöre mir, dass du ehrlich, treu und folgsam sein wirst.«

Mehr brach Nikolai nicht hervor, er wirkte auch so, als erstickte er fast an seinen eigenen Worten. Scheinbar war sein Meister um einiges aufgeregter als er selbst.

Kanoa lächelte beruhigend, bevor er selbst zu sprechen begann.

»Ich leiste meinen Eid vor dem Himmel und der Erde. Ich schwöre, dass ich ehrlich, treu und folgsam sein werde«, erklärte er laut und ruhig.

»Dann lege deinen Umhang ab und erhalte von mir deinen Schülernamen«, sprach Nikolai, diesmal ohne zittern in der Stimme, weiter.

Kanoa öffnete das Band und ließ den Umhang achtlos zu Boden gleiten. Nikolai zögerte eine Sekunde, schaute kurz zum Himmel hoch, dann lächelte er leicht und flüsterte ihm seinen Schülernamen zu.

»Wintermond bist du.«

»Wintermond?«

»Ja. Sagen wir, ein Vögelchen zwitscherte mir den Namen zu. Ich denke, er passt.«

Kanoa wusste nicht, was er davon halten sollte. Hieß das, jemand Fremdes, der es nicht wissen sollte, kannte seinen Schülernamen? Er war sich nicht sicher, ob ihm das recht war, aber dennoch nickt er. Wintermond gefiel ihm. Es zeugte von seiner Herkunft und er gedachte nicht, diese jemals zu vergessen, sosehr Keo das auch missfallen mochte.

Er nickte und trat zurück. Mit einem Nicken entließ ihn Nikolai und er lief zu seinen Geschwistern, die ihn lächelnd begrüßten, doch Kenai zögerte nicht lange, zog ihn und Kinaya beiseite, sodass sie nicht mehr im engsten Gedränge standen. Während Keo wieder zu sprechen begonnen hatte, umarmte er seine Geschwister.

»Sturmschwinge«, flüsterte er ihnen ins Ohr. Mehr musste er nicht sagen, Kinaya und Kanoa verstanden auch so.

»Aschenseele«, antwortete ihre kleine Schwester ebenso leise und lächelte.

»Wintermond«, offenbarte Kanoa und blinzelte glücklich. Es bedeutete ihm sehr viel, das seine Geschwister ohne das geringste Zögern ihm offenbarten, was ihr tiefstes Sein ausmachte.

»Kommt ihr? Wir feiern jetzt!«, rief Eden und kam zu ihnen gelaufen.

»Ja, wir kommen«, antwortete Kenai und ging in ihre Richtung, als sie Nevaeh auf sich zukommen sahen, die drei Tiere im Schlepptau.

»Kanoa, ich habe mit meinem Vater gesprochen«, begann sie, während sich die Geschwister sofort hinabbeugten und ihre Freund hochhoben, um sie von gleich zu gleich zu begrüßen.

»Was hat er gesagt?«, fragte Kanoa und hoffte, das Tiamat bei ihm bleiben durfte.

»Er will mit euch sprechen. Jetzt«, antwortete sie und deutete zu Keo, der geduldig mit Kunal und einem fremden Zauberer beisammen stand.

Sogleich liefen die Geschwister zu ihnen, auch Eden folgte ihnen. Als Keo sah, das sie auf ihn zukamen, beendete er das Gespräch und deutete ihnen, mit ihm zu kommen. Sie verließen die festliche Gesellschaft und suchten sich einen ruhigen Raum, während Eden ihnen nachrief, das sie auf sie warten würde.

»Nevaeh sagte mir, das euch viel an euren Tieren gelegen sei«, begann er. »Warum?«

»Kanoa und ich fanden sie im Wald, als wir noch klein waren. Sie hatten keine Mutter mehr, sie hätten nicht überlebt, also nahmen wir sie mit und zogen sie auf«, begann Kenai.

»Wir waren ganz allein für ihr Wohlergehen verantwortlich, wir waren Tag und Nacht zusammen. Sie sind für uns mehr als Haustiere, sie sind Freunde«, erklärte Kinaya und presste Pan eng an sich.

»Sie helfen und beschützen uns«, fügte Kanoa noch hinzu.

»Wisst ihr, wieso ihr sie nicht behalten dürft?«, erkundigte sich Keo weiter, ließ nicht erkennen, ob ihre Worte irgendetwas bewirkt hatten.

»Weil Haustiere hier nicht gestattet sind. Außer man bekommt die Erlaubnis der Hochmagier oder von ihnen«, nickte Kenai.

»Das ist nicht der einzige Grund. Es sind Fuchswölfe und ich weiß sehr wohl, das der Fuchswolf das Wappen von Irian ist. Und ich weiß auch, dass ihr drei Kinder der Herren von Irian seid. Sie unterstreichen, dass ihr aus gutem Haus kommt, aber ab heute seit ihr nicht mehr als jeder andere auch. Ich will nicht, das irgendjemand euch anders behandelt, weil ihr euer Familienwappen so offen mit euch führt und ich will auch nicht, das ihr glaubt, eine Sonderbehandlung zu verdienen.«

»In Irian gibt es keinen Herrn und keinen Diener. Es gibt nur Menschen, von gleich zu gleich. Es wäre das erste Mal, das wir eine Sonderbehandlung unseres Elternhauses wegen bekämen«, antwortete Kanoa und Kenai nickte mit einem Lächeln. Kanoa wusste, das er an die unzähligen Male dachte, als sie im Dorf Unsinn getrieben hatten und postwendend von einem Dörfler ausgeschimpft worden waren.

Keo nickte und wirkte nachdenklich. Kanoa glaubte nicht, das es für ihn von Bedeutung war, was sie sagten, er glaubte, dass die Entscheidung schon gefallen war. Er verstand nicht, wieso Keo daraus sein Spiel machte, aber er würde für eine Weile noch mitspielen.

»Ihr wisst, wenn ich euch erlaubte, die Tiere zu behalten, hättet ihr die volle Verantwortung für sie«, sprach er langsam weiter.

»Die hatten wir vorher auch schon«, antwortete Kinaya leichthin.

»Stimmt, das kennen wir. Wir müssen sie füttern, erziehen, ihren Dreck wegmachen und wenn sie etwas anstellen, dann haben wir die volle Verantwortung zu tragen«, leierte Kenai herunter, was ihr Vater ihnen immer wieder eingetrichtert hatte.

Keo lächelte, schaute dann für eine Weile einfach nur auf die drei Tiere, die ruhig entgegen blickten.

»Ihr habt sie wirklich einfach so im Wald gefunden?«, fragte er leise.

»Einen für jeden von uns«, bestätigte Kanoa ebenso leise. »Als Vertraute, Beschützer und Freund.«

Er sah, wie es hinter Keos Stirn zu arbeiten begann und er fragte sich, über was der Gildenmeister wohl nachdachte. Schließlich schien er aber zu einem Entschluss zu kommen.

»Ich denke, ich werde es mir eine Weile ansehen. Wenn ich der Ansicht bin, das es euch oder eurer Ausbildung nicht gut tut, werdet ihr sie fortgeben müssen, aber fürs erste dürft ihr sie behalten.«

Hatte er erwartet, das die Geschwister nun vor Freude aufschreien und herumtanzen würden oder dergleichen, so wurde er enttäuscht. Sie nickten dankbar und während die Brüder ihre Gefährten wieder auf den Boden setzten, drückte Kinaya Pan noch enger an sich.

Für einen Augenblick wirkte der Gildenmeister verwundert über die stille, fast teilnahmslose Freude der Geschwister, doch er ließ sich davon nicht lange beirren.

»Dann wird es Zeit, auf das Fest zu gehen«, fand er und entließ sie mit einer Handbewegung. Langsam und ohne Eile gingen die Geschwister. Sie hatten es nicht eilig, auf das Fest zu kommen, sie wussten, dass dies nicht das einzige Fest bleiben würde, morgen würde man den Winter offiziell begrüßen und der Besuch das Menschenkönigs würde gewiss auch ein Grund für ein Fest sein.

 

Sturmschwinge, Wintermond und Aschenseele. Diese Namen sprachen von unserer Zukunft, wir wussten es damals nur noch nicht. Viel wichtiger war aber, das wir Tiamat, Gaia und Pan wiederhatten und wir hatten nicht vor, sie wieder zu verlieren. Ich war Nevaeh sehr dankbar dafür, ich wusste, dass wir es nur ihr zu verdanken hatten.

Den Rest des Abends feierten wir gemeinsam, auch der nächste Tag war noch sehr ruhig, erst dann begann unsere wirkliche Ausbildung, denn so etwas wie das Lichterfest gab es hier nicht.

Wir lernten die Grundlagen der Magie, uns wurde erklärt, war wir zu tun hatten und was die Magie eigentlich war. Ab jetzt begann eine Zeit des Lernens.

Lehrer

Kanoa klopfte an Nikolais Zimmertür. Heute war seine erste Lernstunde, er wusste nicht, ob er ruhig oder aufgeregt sein sollte.

»Das schaffst du«, schnurrte Tiamat an seiner Seite. Der Junge nickte, ohne sie anzusehen und trat ein, als sein Meister ihn hereinrief.

»Kanoa, guten morgen. Ich habe dich bereits erwartet«, lächelte Nikolai und wirkte heute deutlich entspannter als die Tage zuvor.

»Dir auch einen guten morgen«, grüßte Kanoa und blieb unschlüssig an der Tür stehen.

»Setz dich. Ich werde dir erst einmal erklären, wie genau deine Ausbildung ablaufen wird«, begann Nikolai und deutete auf einen Tisch und zwei Stühle, die direkt vor dem Fenster standen. Er war gedeckt, scheinbar würden sie erst einmal in aller Ruhe Frühstücken.

Kanoa setzte sich hin, Tiamat machte es sich auf der Fensterbank bequem und gemeinsam schauten sie hinaus. Das Zimmer lag recht weit oben im Turm, man konnte die ganze Stadt überblicken. Die Sonne schien und man hätte meinen können, das Sommer wäre, gäbe es die kahlen Bäume jenseits der Stadt nicht.

»Greif zu«, bemerkte Nikolai und nahm sich sogleich selbst eines der seltsamen hellen Brote, die Kanoa nicht kannte.

»Danke«, sprach er artig und griff ebenfalls zu, beobachtete dabei, wie Nikolai weiter verfuhr.

»Tut mir Leid, das ich in den letzten Tage nicht allzu viel Zeit für dich hatte, ich hoffe doch, Ikaika hat dir alles erklärt und gezeigt?«

»Ja, er war sehr hilfsbereit«, nickte Kanoa und schnitt das kleine helle Brot auf. Darin war es fast weiß.

»Schön zu hören. Wie du sicher weißt, wird Ikaika dir in allen belangen, die nicht direkt mit der Zauberei zu tun haben, zu Seite stehen. Er ist sozusagen für die sozialen Aspekte verantwortlich. Den praktischen Teil der Magie werde überwiegend dann ich übernehmen«, erklärte Nikolai, während er Butter auf die hellen Brothälften schmierte.

»Überwiegend?«, horchte Kanoa auf.

»Ja. Ich habe auch noch andere Pflichten, ich bin mit Kunal oft auf Reisen und da können wir dich nicht immer mitnehmen. In der Zeit werden verschiedene andere Zauberer deine Ausbildung übernehmen. Das ist nicht unüblich, auch deinen Geschwistern wird das oft so gehen und es ist auch nicht schlecht so. Weißt du, jeder Zauberer hat gewisse Talente, besondere Arten der Magie, die einem besonders leicht fallen. Keo zum Beispiel ist ein herausragender Feuermagier, während ich mehr Talent in der Windmagie besitze. Es gibt beispielsweise auch Wassermagier oder Eismagie, oder auch Heiler, die sich nicht auf die Elemente berufen. Jeder hat seine Talente. Natürlich wirst du jede Art der Magie erlernen, aber auf dieses Talent wirst du dich gegen Ende deiner Ausbildung dann spezialisieren. Und um herauszufinden, was dein Talent ist, musst du viel kennen lernen und auch von verschiedene Personen«, erklärte Nikolai und legte Schinkenscheiben auf das Brot und biss hinein.

»Gut, das verstehe ich. Weißt du schon, wer meine Lehrer sein werden?«

»Du wirst sie heute noch alle kennenlernen. Du wirst jeden von ihnen heute noch besuchen und mit ihnen sprechen. Sie werden dir erklären, was sie mit dir vorhaben. Natürlich kann es sich kurzfristig noch ergeben, dass ein Fremder ebenfalls eingespannt wird, aber mit ihnen wirst du überwiegend arbeiten. Aber jetzt iss erst einmal«, forderte Nikolai ihn auf.

Zögernd legte Kanoa eine Scheibe Käse auf sein helles Brot und biss hinein. Es schmeckte anders als das dunkle Brot, das er kannte, aber nicht schlecht. Neugierig wartete er darauf, dass sein Meister weitersprach, doch der as erst einmal ruhig auf.

»Gut, bevor du zu deinen anderen Lehrern losziehst, hast du erst einmal ein paar Fragen?«

»Was ist Magie eigentlich?«, wollte Kanoa gerade heraus wissen.

»Ich wusste, dass du diese Frage stellen würdest«, lächelte Nikolai. »Und ich kann sie dir nicht beantworten.«

»Ich schon«, warf Tiamat ein und lenkte Kanoa so kurzzeitig ab, doch der hörte seinem Meister dennoch brav zu.

»Es weiß einfach keiner. Es ist wie Feuer oder Wind. Es kann dir keiner sagen, woraus es besteht, es ist einfach da. Und so ist es auch mit der Magie«, antwortete Nikolai.

»Humbug, nichts ist einfach da«, warf Tiamat schnaubend ein, sodass Kanoa sich zusammennehmen musste, um sie zu ignorieren.

»Wie kommt es, das sie tut, was wir von ihr verlangen? Wieso können wir all diese Dinge? Und warum wir, aber keine Menschen?«

»Es gibt Zauberer, die ihre Forschung genau diesen Fragen widmen und keiner von ihnen hat bisher eine Antwort zufrieden stellende Antwort gefunde

Kanoa schnaufte und musste sich zusammennehmen, um nicht dieselben Fragen auch Tiamat zu stellen. Er wusste, dass sie eine Antwort hatte, aber er ahnte zugleich, dass er diese Antwort vielleicht nicht ganz so leicht bekommen würde. Dafür kannte er sie schon zu gut.

»Was sind die schwierigsten Zauber? Was ist unmöglich und was so schwer, das selbst ein Hochmagier es vielleicht nicht kann?«

»Tote wieder lebendig machen. Niemand kann es. Alchemie, aus wertlosen Metallen Gold machen. Oder ewiges Leben. Diese Geheimnisse hat noch niemand lesen können. Sehr schwierig, etwas, was nur sehr begabte können, sind Verwandlungen. Wenn du es schaffst, dich aus eigener Kraft in ein Tier zu verwandeln, dann darf ich dir mitteilen, das du mehr kannst, als Keo.«

Da horchte Kanoa auf. Er hatte schon oft von Zauberern gehört, die sich in Tiere verwandeln konnten. Er hatte nicht erwartet, dass es so schwierig sein würde. Er as noch eines der hellen Brote und gab auch Tiamat ihren Anteil, dann stand er auf.

»Ich denke, es wird Zeit, dass ich gehe«, sprach er.

»Ja, ich denke, dass du recht hast. Als erstes solltest du in die Bibliothek zu Nevaeh.«

»Sie wird eine Lehrerin von mir?«

»Sie ist die Meisterin der Bücher, niemand kann dir mehr über die Theorie beibringen, als sie. Sie wird dich dann weiterschicken.«

Kanoa nickte, stand auf und verließ mit Tiamat den Raum. Die junge Fuchswölfin zeigte ihm den Weg und er folgte ihr schweigend. Er hätte ihr seine Fragen stellen können, aber er tat es nicht. Er wollte nicht. Er hing lieber seinen eigenen Gedanken nach.

Bei der Bibliothek angekommen, trat er ohne anzuklopfen ein. Er ging davon aus, dass dieser Raum frei zugänglich war. Er fand Nevaeh an einem der Fenster, wie sie in der Wintersonne saß und las.

»Nevaeh. Nikolai schickt mich und ich wollte mich auch noch einmal bei dir bedanken. Wegen Tiamat«, begann er.

»Sei ruhig«, blafft sie ihn an und verdutzt schwieg er. Er wartete, dass sie zu sprechen begann, doch sie tat nichts, also setzte er sich und wartete einfach ab. Es schien ihm, als ob eine Stunde vergangen war, als sie sich endlich von ihrem Buch löste.

»Kanoa Kuroi von Winters-Midnight. Ich wusste nicht, dass deine Eltern solche Persönlichkeiten sind«, sagte sie und musterte ihn.

»Sind sie auch nicht. Sie sind meine Eltern, nicht mehr und nicht weniger«, antwortete Kanoa und verstand nicht, warum jedem so wichtig schien, wer seine Eltern waren.

»Gute Antwort. Ich verstehe dich, mein Vater ist auch einfach nur mein Vater, er wird nie etwas anderes sein, denn er war es für mich sehr viel länger, als der Meister der Gilde. Aber deswegen bist du nicht hier. Nikolai bat mich, deine theoretische Ausbildung zu übernehmen. Was glaubst du, was ich dir beibringen werde?«, erkundigte sie sich und stand auf.

»Ich weiß nicht. Vielleicht sollst du mir erklären, welche Regeln es zu beachten gibt. An welche Verbote muss sich ein Zauberer halten und was sind seine Pflichten.«

»Nicht schlecht. Ja, auch das werde ich dir beibringen, aber auch ganz alltägliche Dinge. Ich weiß nicht, inwieweit du es kannst, aber lesen, schreiben, rechnen, einige der wichtigsten Sprachen... die meisten Schüler können es nicht, wenn sie hierher kommen. Das wirst du von mir lernen. Hast du noch selbst irgendwelche Wünsche?«, erkundigte sie sich.

»Ja. Ich möchte gerne so viel wie möglich über die Sagen und Legenden der Welt hören«, antwortete er.

»Das ist eine ungewöhnliche Bitte. Wieso?«, erkundigte sich Nevaeh.

»Weil ich ein paar… ungewöhnliche Begegnungen hatte.«

»Und du glaubst, das du ihren Ursprung in Legenden findest?« Sie wirkte nicht belustigt, sie schien ihn ernst zu nehmen.

»So ähnlich. Ich möchte etwas über zwei bestimmte Gestalten erfahren, aber ich weiß nicht, welche es sind. Das muss ich erst herausfinden und ich würde es schätzen, wenn du mir dabei hilfst«, bat er.

»Gerne. Wenn das alles ist, dann sollte das keinerlei Probleme darstellen. Weißt du schon, zu wem du noch musst?«, fragte sie.

»Nein. Nikolai meinte, du würdest es mir sagen.«

»Gut. Eine weitere Lehrerin von dir wird Kunal sein. Als Hochmagierin hat sie eine Menge zu erzählen.«

»Kunal ist Hochmagierin?«, fragte Kanoa erstaunt. Nevaeh nickte und wirkte erstaunt, das er das nicht wusste.

»Ja. Sie hat sogar beste Aussichten, nach meinem Vater die Meisterin der Gilde zu werden. Kennst du die anderen zwölf?«

Kanoa verneinte, aber das schien Nevaeh schon gar nicht mehr zu erstaunen.

»Die dreizehn Hochmagier sind Kunal, Kajol, Duster, Kara, Zacharias, Rei, Fyra, Rose, Rudyard, Tiana, Blaze und zwei, deren Namen dir vielleicht etwas sagen. Einmal Rena, Ikaikas Mutter…« Sie hielt inne, als sie Kanoas erstaunen bemerkte.

»Er hat nichts gesagt, was?« Sie lächelte.

»Nein, aber jetzt verstehe ich, warum Keo bei der Eidsprechung Ikaika angesehen hat, als es darum geht, das jetzt keiner mehr besser ist, als der andere.«

»Oh nein, um Rena ging es dabei nicht. Dabei ging es um Ikaikas Vater. Aber lass uns nicht über den sprechen. Der letzte, der dreizehnte Hochmagier, ist nämlich Leyal.«

»Der Herr von Forea?« Das erstaunte Kanoa jetzt nicht.

»Dein Onkel, ja. Mich wundert, das du nichts davon wusstest…?« Nevaeh schaute ihn fragend an.

»Ich wusste nicht, dass er mein Onkel ist, aber das erklärt einiges. Er und mein Vater verstehen sich nicht so besonders gut musst du wissen.« Kanoa schüttelte den Kopf. »Ist aber auch egal. Wo kann ich Kunal finden?«

»Für gewöhnlich halten sie zu dieser Zeit ihre Versammlung ab. Weißt du, wo die Hochmagier sich versammeln?«

»Ja, aber darf ich denn da einfach so stören?«

»Nein. Kunal weiß aber das du kommst, sie wird darauf eingestellt sein. Klopf an die Tür und warte, was geschieht, zur Not wartest du«, wies Nevaeh ihn an.

Kanoa nickte und machte sich gemeinsam mit Tiamat auf den Weg.

»Weißt du, wer Ikaikas Vater ist?«, fragte er die Fuchswölfin, nachdem sie sich auf den Weg gemacht hatten.

»Nein, aber wenn er seinetwegen mehr Grund zur Überheblichkeit hat, dann wird es eine hohe Persönlichkeit sein. Wenn ich mir nicht sicher wäre, das dem nicht so ist, würde ich auf Keo tippen, aber für Geschwister scheint mit Nevaeh ihn viel zu sehr zu hassen.«

»Stimmt«, nickte Kanoa. »Wobei ich da nur zu gerne den Grund wüsste.«

»Ich habe eine Vermutung«, antwortete Tiamat leise.

»Hast du vor, sie mir zu verraten?«

»Ich denke, dass es etwas mit ihren Traum zu tun hat. Ihr Traum ist nicht einfach nur ein Traum, denn sie träumt von den Jahreszeiten und diese Träume sind niemals grundlos. Was genau sie aber bedeuten, das weiß ich nicht.«

Kanoa schwieg und dachte darüber nach. Er hatte ebenfalls das Gefühl, das Nevaehs Traum mehr zu bedeuten hatte, aber warum träumte gerade sie ihn? Doch er grübelte nicht lange darüber nach, denn bald schon stand er vor der Tür, hinter der die Hochmagier tagten. Er klopfte dreimal laut gegen das Holz, dann wartete er, wie Nevaeh ihm geheißen hatte.

Nach kurzer Zeit schon kam Kunal heraus und lächelte ihn freundlich an.

»Ich habe dich schon erwartet. Komm mit, hier spricht es sich schlecht«, fand sie und führte ihn zielstrebig in einen leeren Raum.

»Ich habe doch nicht gestört, oder?«, wollte Kanoa wissen.

»Nein, im Gegenteil. Viel länger hätte ich den Streit zwischen Kajol und Duster nicht mehr zuhören können, ohne durchzudrehen. Die Ankunft des Königs macht gerade alle etwas verrückt. Aber deswegen bist du ja gar nicht hier. Weißt du, was ich dich lehren werde?«, erkundigte sie sich und wirkte aufgeregt, wie ein kleines Kind.

»Nein, mir fällt auch nichts mehr ein, was ich noch zu wissen brauche«, antwortete er wahrheitsgemäß.

»Ich werde dir die Politik nahe bringen«, lächelte Kunal gut gelaunt.

»Politik? Aber was interessiert mich denn die Politik?« Erstaunt tauschte Kanoa einen Blick mit Tiamat.

»Oh, eine Menge. Du musst wissen, wie die politische Lage in den verschiedenen Ländern ist, um dich entsprechend verhalten zu können. Nichts wäre dramatischer, als wenn du in eines der westlichen Kleinreiche reist und dort getötet würdest, nur weil du nicht wusstest, dass sie Zauberer hassen. Außerdem ist Politik bei weitem interessanter, als sie klingt.«

»Kannst du mir dann auch erklären, warum mein Vater und mein Onkel sich nicht besonders gut verstehen?«, erkundigte sich Kanoa sogleich.

»Natürlich. Aber nicht heute. Heute wirst du auch deine anderen Lehrer nicht mehr kennenlernen können. Die Lady Eveline ist außer Haus, sie hat geschäftlich woanders zu tun. Sie wird dafür zuständig sein, dir die Natur näher zu bringen«, erklärte Kunal, woraufhin Kanoa verächtlich schnaubte.

»Wer in einer Stadt lebt, der die Natur verspottet, Tag für Tag, Jahr für Jahr, der kann nicht allzu viel taugen«, bemerkte Tiamat und Kanoa stimmte ihr insgeheim zu.

»Glaub mir, sie weiß was sie tut. Eigentlich spielt es aber auch keine Rolle, denn du hast keine Wahl.«

Diese Aussage gefiel Kanoa gar nicht, doch er widersprach nicht. Stattdessen nickte er abgehackt.

»Waren das dann alle?«, erkundigte er sich höflich.

»Ja. Wenn du möchtest, kannst du jetzt gehen. Ich muss zurück zu den Streithammeln.« Sie seufzte und wirkte nicht glücklich.

»Muss ich nicht mehr zu Nikolai zurück?«

»Nein. Mach etwas Nettes mit deinen Geschwistern, für heute hast du frei. Morgen beginnt ihr dann richtig.«

Kanoa nickte und ging. Er wollte Kenai oder Kinaya suchen, doch er war noch nicht weit gegangen, Kunal war gerade außer hörweite, da blieb er stehen. Er wurde beobachtet, das wusste er genau und als er sich umdrehte, da stand Nevar vor ihm.

»Sie hat zwei Lehrer vergessen«, erklärte er, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten.

»Zwei sogar?«

»Tiamat und mich«, bestätigte Nevar. »Wir werden dir das beibringen, was die Menschen nicht wissen.«

»Wieso?« Mehr Worte waren nicht nötig.

»Weil du fragst. Und wegen Nevaehs Traum. Wenn du zu unserer Welt gehören sollst, dann musst du etwas über sie wissen.«

Damit ging er. Nicht auf die mystische Art und Weise sie sonst, sondern wir ein ganz gewöhnlicher Mensch. Kanoa wollte fragen, was er damit meinte, er wollte von Tiamat wissen, was das alles bedeutete, doch ein Blick in ihre Augen sagte ihm, das er niemals eine Antwort erhalten würde.

So seufzte er und schwieg. Er lief weiter, um seine Geschwister zu suchen, er brauchte jetzt jemanden, der nicht immer mehr wusste als er und in Rätseln sprach.

 

So werden also als einem einzigen Lehrer viele. Ich war mir nicht sicher, auf welchen Unterricht ich am wenigsten Lust hatte, denn so spannend ich auch fand, was mir Nevar und Tiamat wohl beibringen mochten, so sehr hasste ich es, wenn sie meine Fragen nicht beantworteten.

Ich ahnte damals nicht, dass ich nicht der Einzige war, der noch ganz und gar unübliche Lehrer hatte. Nicht Tiamat und Nevar, aber vom gleichen Schlag.

Nevaehs Traum haben wir im Übrigen schon damals eine größere Bedeutung angedacht, als er eigentlich hatte. Er hat uns auf den richtigen Weg gebracht, aber irgendwie hätten wir ihn gewiss auch so gefunden.

Die Legende von Altena

»Erzähl mir doch einmal, was genau weißt du über die Politik dieser Welt. Fangen wir leicht an, erzähl mir etwas über Irian«, forderte Kunal Kanoa auf.

»Die Herren von Irian sind Tywyll und Callisto von Winters-Midnight. Sie haben vier… drei Kinder. Kenai, Kinaya und mich. Es liegt im Norden des Kontinentes Altena.«

Einen Augenblick lang wartete Kunal darauf, dass er weitersprach, doch als er nichts mehr weiter sagte, seufzte sie.

»Das war alles? Kanoa, dein Vater ist der Herr über eines der interessantesten Länder dieser Welt! Das kann doch nicht alles sein«, schnaubte Kunal.

»Warum soll Irian interessant sein?« Verwundert runzelte Kanoa die Stirn. Bisher hatte er immer nur negative Reaktionen bezüglich seiner Heimat erhalten, er verstand nicht, was sie meinte.

»Kaum zu glauben, du bist, in der Erbfolge der Zweite und du hast scheinbar keine Ahnung. Was weißt du über die Vergangenheit der unabhängigen Nordreiche? Weißt du warum sie unabhängig sind? Es sind die einzigen Länder auf dem Kontinent, die nicht dem Imperium angehören.«

»Ich weiß. Ich habe nie darüber nachgedacht, warum das so ist«, antwortete Kanoa und zog die Nase kraus. »Es war eben immer so.«

»Diese Einstellung, junger Mann, solltest du ganz schnell vergessen. Sie führt nur dazu, das die, die nachdenken, mehr Macht erhalten, während so jemand wie du, immer sein Untergebener sein wird. Aber gut, dann fangen wir ganz von vorn an. Vor Jahrtausenden, da gehörten Irian und Forea noch den Menschen. Es gab keine Zauberer und das ganze Reich gehörte nur einer einzigen Familie. Doch dann kam sie. Ihr Name ist schon lange verklungen, niemand kennt ihn mehr, keiner kann mehr mit Sicherheit sagen, wie sie hieß, doch heute nennen wir sie Altena. Sie war die erste Zauberin. Weißt du etwas über Altena?« Kunal schaute ihn prüfend an.

»Natürlich. Man sagt, dass ihre Eltern die Sonne und der Mond gewesen sind, sie soll der Winter selbst in menschlicher Gestalt sein. Ihre Augen sollen blau wie das Eis und ihr Haar weiß wie der Schnee gewesen sein und sie sollen geschimmert haben, als wären sie bestreut mit Sternenstaub. Ihre Güte und ihre Anmut sind legendär, nicht einmal Fußabdrücke hat sie im Schnee hinterlassen, so sacht verstand sie sich zu bewegen«, erzählte Kanoa und dachte dabei mit leuchtenden Augen an die Geschichten über die erste Zauberin, die Maria ihnen erzählt hatte.

»Na, wenigstens weißt du etwas, wenngleich das nicht unbedingt das Wissen ist, das ich haben wollte«, fand Kunal mit gerunzelter Stirn.

»Ich weiß auch andere Dinge«, brummte Kanoa, jäh aus seinen Träumen gerissen. »Sie war die erste Zauberin, deswegen hat das Nordvolk sie an das Imperium entsandt. Sie sollte dafür sorgen, dass die Nordmannen unabhängig vom Imperium agieren durften, denn sie hatten nie wirklich dazugehört. Als Altena jedoch ihre Macht demonstrierte, das ließ man sie in Ketten legen, denn der Imperator hatte große angst vor ihr. Sie entkam mithilfe ihrer Magie und ritt wieder in den Norden und stellte ein Heer auf. Dieses Heer teilte sie in drei Teile. Eines befehligte sie selbst, die beiden anderen ihre Töchter, Cinder und Wynter, die ebenfalls Zauberinnen waren. So ritten sie gegen den Süden, doch sie töteten auf ihrem Weg nicht eine einzige Person. Sie verletzten und verstümmelten, aber sie töteten nicht. Als sie abermals in der Hauptstadt des Imperiums ankamen und ein weiteres mal die Unabhängigkeit des Reiches forderten, da ergab sich der Imperator und überließ ihnen das Nordland.«

Kunal wirkte, als könnte sie sich nicht entscheiden, ob sie wütend oder freudig sein sollte.

»Du weißt es ja doch! Warum hast du behauptet, es nicht zu wissen?«, fragte sie.

»Weil das eine Geschichte ist. Eine Legende, jedes kleine Kind weiß, wie Altena, Cinder und Wynter gegen das Imperium geritten sind. Eine Geschichte, die man Kindern vor dem Einschlafen erzählt. Kann ich wissen, das man hier Geschichten für die Wirklichkeit hält?«

»Oh, dann kannst du mir gewiss verraten, was die Wirklichkeit ist, oder?«, erkundigte sich Kunal spitz.

»Auf jeden Fall war Altena nicht der Winter, denn in deren Augen spiegelt sich eine ganze Welt. Und der Rest ist mir so ziemlich egal, denn das Freie Reich Wynter ist schließlich schon längst Vergangenheit und ich denke nicht, das ich noch erleben werde, wie es wieder aufersteht.«

»Willst du es nicht?«

»Ich wünsche mir nichts mehr, denn solange das Nordvolk nicht zusammenhält, sind wir anfällig. Aber es ist nicht an mir, dieses neue Ära einzuleuten. Ich kann bloß die Geschichten weitererzählen und hoffen, das irgendwann jemand kommt, der mächtig und gütig ist und das Reich wieder vereinen wird.«

Kunal schaute ihn nachdenklich an, als fragte sie sich, ob er etwas wüsste, was sie nicht wusste, doch sie fragte nicht nach. Stattdessen nickte sie langsam.

»Weißt du, warum das vereinte Reich Wynter hieß und nicht nach Altena oder Cinder benannt wurde?«

»Natürlich. Altena starb schon kurz nachdem das Reich unabhängig wurde. Sie reiste damals zum südlichen Kontinent und half dabei, das Magiereich der Region aufzubauen, denn auch dort fanden sich die ersten Zauberer. Schließlich blieb sie bei einer Gruppierung, die sich als Niemands-Adepten bezeichneten, sie haben die Tagbücher und die Nachtbücher geschrieben und sie glaubten an eine Macht, die größer ist, als wir. Und größer auch, als die Jahreszeiten. Dort blieb sie bis sie starb, während die Schwestern über das Land herrschten. Gemeinsam. Sie liebten sich sehr, wie es bei Geschwistern eben sein sollte, wenn sie nicht gewaltsam auseinander gerissen werden.« Kanoa konnte sich einfach nicht wirklich damit abfinden, das Kinaya nicht bei ihnen bleiben durfte. Kunals lächeln sagte ihm, das sie sehr genau verstand, was er damit sagen wollte.

»Nun, die Schwestern herrschten ebenso Weise und Gütig über das Reich. Es hatte keinen Namen, ebenso wie die meisten anderen Reiche des Kontinentes. Zu dieser Zeit begab es sich, das Wynter ins Ostreich zog, denn dort war der König verstorben und die einzelnen Clans bekämpften sich, weil jeder seine Nachfolge haben wollte. Wynter konnte alleine jedoch nichts viel ausrichten, also schickte sie nach ihrer Schwester in der Hoffnung, mit ihrer Hilfe mehr leisten zu können. Doch als Cinder auf dem östlichen Kontinent ankam, da wurde ein Anschlag auf sie verübt, den ein paar Clans fürchteten um ihre Machtstellung, sollte sich das Nordreich zu sehr einmischen.«

»Man sollte den Kindern dieser Breitengrade eindeutig mehr Geschichten erzählten«, unterbrach ihn Kunal. »Ich kenne nur wenige Schüler, die so viel wissen, wie du.«

Kanoa bedachte sie mit einem unwilligen Blick, dann erzählte er weiter.

»Jedenfalls kam bei dem Anschlag nicht Cinder ums Leben. Wynter, die von einigen Spitzeln davon erfahren hatte, das man ihre Schwester mit einem Schwert ermorden wollte, stürzte hinzu und warf sich vor die Schwester, gerade als der tödliche Streich ausgeführt wurde. Sie starb an Cinders stelle und als diese Begriff, was geschehen war, wurde sie fast wahnsinnig vor Kummer und Zorn. Doch mit ihrem letzten Atemzug bat Wynter sie, nichts zu tun, damit nicht ein ganzes Reich leiden musste, wegen ein paar dummen Menschen. Cinder respektierte den Wunsch ihrer Schwester und statt das Leben der Attentäter zu fordern, wie es ihr gutes Recht war, forderte sie, das die Attentäter der toten Schwester einen Kuss geben mussten. Die Männer hatten wahnsinnige Angst vor dieser Geste, sie glaubten, Wynter würde sie fortan verfolgen, so gab Cinder ihrer Schwester als erste den Kuss…«

Kanoa hielt Inne.

Kunal wartete darauf, dass er weitersprach, doch als er keine Anstalten machte, runzelte sie die Stirn und sprach ihn an.

»Ist etwas?«, wollte sie wissen.

»Mir ist nur gerade bewusst geworden, wie wenig ich über manche Hintergründe der alltäglichen Gebräuche und Sitten meiner Landsmänner weiß«, erklärte Kanoa leise.

»Wie meinst du das?«, erkundigte sich Kunal.

»Mir ist gerade bewusst geworden, woher die Geste des Bruderkusses stammt.«

»Bruderkuss?« Kunal schien nie etwas davon gehört zu haben.

»Was tust du, wenn dir jemand wichtiger ist, als du selbst? Was tust du, um ihn das zu beweisen?«

»Schülername«, war Kunals schlichte Antwort.

»Ein Wort. Es  gibt ihm zwar die Macht über dich, aber es ist trotzdem nur ein Wort. Und das ist nichtmal das Schlimme. Ich will nicht mithilfe eines Wortes jemand anderen dazu zwingen können zu tun, was ich will, ohne dass er es auch will. Den Schülernamen von jemand anderen zu kenne ist eine nette Geste, aber mehr auch nicht. Nicht für mich.«

»Und was hat das mit dem Bruderkuss zu tun?« Ihre Stimme klang unwillig, als würde es ihr nicht gefallen, wie er über das sprach, woran sie glaubte.

»Na ja, wenn ich etwas gelernt habe, dann das man jemanden tausend mal versichern kann, das man ihn lieb hat, nichts daran ändert, das es bloß Worte sind. Sie vergehen, kaum das sie verklungen sind. Aber etwas, das man tut, das beweist es auch. Ich habe meiner Mutter zumindest immer mehr geglaubt, dass sie mich liebt, wenn sie mich umarmt hat, als wenn sie es mir gesagt hat. Weil sie aus freien Willen, völlig ohne Zwang etwas körperliches geleistet hat, um es mir zu verdeutlichen. Ich hoffe, du verstehst, was ich meine?«

»Ja, aber ich weiß noch immer nicht, worauf du hinaus willst.«

»Mit dem Bruderkuss verhält es sich genauso. Ich vergebe ihn ohne jeglichen Zwang und es ist eine körperliche Leistung die ich erbringe, um jemanden zu beweisen, wie gern ich ihn habe. Es ist sozusagen der Schülername der Nordlande. Indem ich jemanden dem Bruderkuss gebe, gebe ich ihm zugleich das versprechen, immer, jederzeit und aus freien Stücken meine eigenen Wünsche aufzugeben, um die meines Gegenübers erfüllen zu können. Ich tue in etwa dasselbe wie wenn ich meinen Schülernamen verrate, der Unterschied ist nur, das ich alles nachfolgende tue, weil ich selbst es will und nicht, weil ein Zauber mich dazu zwingt. Und das hat Cinder ja auch getan. Sie hätte sich gewiss gerächt und das Leben der Anderen gefordert, hätte Wynter sie nicht um etwas anderes gebeten.«

»Und indem sie von den Attentätern den Bruderkuss als Tribut forderte, machte sie die Männer und auch sich selbst zu Untergebenen des Willens ihrer Schwester. Ich habe mich immer schon gefragt, welchen Sinn dieser Teil verfolgt, scheint sie doch so unsinnig. Ich danke dir, Kanoa.«

Kanoa nickte und begann damit, wieder mit der eigentlichen Geschichte fortzufahren.

»Die Männer küssten Wynter ebenfalls. Danach begannen Cinder damit, sich alle Anwärter genauer zu besehen und einer viel ihr besonders auf. Er war der Sohn von einem der Attentäter und er zeigte alle Qualitäten dafür, dass er mal ein guter und gerechter Herrscher sein würde. Cinder dankte ihrer Schwester, denn  ohne Wynters Wunsch, hätte sie das Leben des Vaters gefordert und sie wusste, dass das nicht einzuschätzende Konsequenzen gehabt hätte. So aber konnte sie dem Mann auf den Thron verhelfen und der Mann schloss aus Dankbarkeit, das Cinder nicht genommen hatte, was ihr zustand, einen immerwährenden Frieden mit dem Nordreichen, der bis heute anhält.«

»Das stimmt, das wirst du auch bald merken. Wir reisen regelmäßig in die Ostreiche um diesen Frieden bewahren zu können«, warf Kunal ein, dann ließ sie Kanoa fortfahren.

»Nun, reiste Cinder nach Hause und begann damit, aus ihrem eigenen Reich das zu machen, was sich ihre Schwester so sehnlichst erwünscht hatte. Ein Land, in dem keiner besser war als der andere und in dem Mord nicht mit weiterem Mord geahndet wurde. Dieses Land benannte sie Wynter, nach ihrer Schwester und das freie Reich von Wynter dauerte dreizehntausend Jahre an, bis es gespalten wurde. Aber das ist eine andere Geschichte«, schluss Kanoa.

Kunal lachte. »Nun, dreizehntausend Jahre hat es wohl nicht gehalten, denn das ist eine wirklich wahnsinnig lange Zeit, aber ja. Wynter, das freie, unabhängige Winterreich, existierte lange. Wahrscheinlich länger, als jedes andere Reich dieser Welt. Weißt du auch, wieso die Zeit von Wynter letztlich endete?«

Kanoa verneinte.

»Willst du es wissen?«

Er zögerte einen Augenblick, dann verneinte er abermals.

»Du weißt, das du auch dieses Kapitel früher oder später aufschlagen musst?«

»Ja, aber nicht gerade heute«, lächelte Kanoa hilflos.

»Gut. Dann lass uns über den Imperator von Lanta sprechen. Schließlich wirst du ihn bald kennenlernen.«

»Oh, ich werde dabei sein?«, erkundigte sich Kanoa erstaunt.

»Natürlich. Immerhin ist dein Meister einer der heißesten Anwärter auf den nächsten Platz als Hochmagier und das, obwohl er noch sehr jung ist. Und er ist mein Schüler. Aber kommen wir zum Thema zurück, was weißt du über Lanta und seinen Imperator?«

»Sie sind Menschen. Das ganze Königshaus von Lanta besteht aus Menschen, sie herrschen über die Menschenreiche, aber mit uns haben sie eigentlich nicht viel zu tun.«

»Nein, das stimmt nicht. Menschen und Zauberer leben in derselben Welt, also haben sie gezwungenermaßen auch viel miteinander zu tun. Warum glaubst du, werden Menschen und Zauberer von unterschiedlichen Herren beherrscht? Warum tun wir es nicht Navarre gleich und vereinen die Herrscherhäuser der Zauberer und der Menschen, sodass das ganze Land von einer einzigen Person beherrscht wird?«

»Damit keines der Völker benachteiligt wird. Auch Navarre wird schließlich nicht von einer einzigen Person beherrscht, der Kaiser hat viele Berater. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, das der König von Lanta nichts tun darf, was in die Belange der Zauberer eingreift, ohne Erlaubnis der Hochmagier und des Gildenmeisters. Deswegen ist auch immer einer der Hochmagier als Berater. Allerdings dürfen auch die Zauberer nicht in die Menschenbelange eingreifen und auch dafür ist der Hochmagier beim König.«

»Das stimmt. Zumindest diese Grundsätze der Gesellschaft kennst du also. Was glaubst du, wer ist der Hochmagier, der diese wichtige Aufgabe übernommen hat? Und warum der Imperator mit seinem Sohn zu besuch kommt?«

»Ich weiß nicht, ich kenne die meisten Hochmagier nur vom Namen her. Aber ich denke, der Besuch ist dazu da, um dieses stille Bündnis zu festigen. Außerdem wohl um den Prinzen in seine künftige Rolle als König einzuführen.«

»Das stimmt. Gut überlegt. Weißt du auch, wie der König und der Prinz heißen?«

»Nein. Ich wusste bis vor kurzem nicht einmal, wie die Hochmagier heißen oder der Gildenmeister.«

»Gut. Der König heißt Reil und sein Sohn ist Whyn. Und die Hochmagierin ist Rena.«

»Ikaikas Mutter?« Das erstaunte Kanoa dann doch. Warum war sein Pate dann so unglaublich schlecht auf die Königsfamilie zu sprechen?

»Oh, das hast du schon gehört?« Kunal wirkte nachdenklich. »Sollte mich eigentlich nicht überraschen. Gut, wie dem auch sei. Wir machen für heute Schluss, wie der Ablauf der Feier sein wird und wie du dich zu benehmen hast, erkläre ich dir morgen. Für heute hast du frei.«

Kanoa nickte, stand auf und ging.

 

Die Geschichte von Altena und ihren Töchtern hat mir als Kind immer sehr gut gefallen. Besonders Cinder mochte ich immer sehr. Sie war für mich der Inbegriff dessen, was einen guten Menschen ausmachte. Schließlich war sie bereit, ihren eigenen Hass zu unterdrücken, um ihrer Schwester einen letzten Wunsch zu erfüllen.

Manchmal fragte ich mich, ob meine Geschwister dasselbe für mich tun würden, aber eigentlich spielt es keine wirkliche Rolle. Man kann nie erwarten, dass die Menschen in der wirklichen Welt dasselbe tun, wie sie es in einem Märchen getan haben.

Diese Geschichte aber, obwohl sie weder besonders spannend oder dergleichen ist, mochte ich immer sehr. Sie hat mir Mut gemacht, wann immer ich ihn brauchte. Sie sagte mir, dass ich tun sollte, was mein Herz mir sagte und nicht allzu sehr auf meinen Kopf hören sollte.

Ein Rat, den ich noch öfter brauchen sollte.

Besuch vom König

Kanoa beobachtete Ikaika. Es war der Tag, an dem der Menschenkönig ins Zauberreich kommen sollte und weil Kanoa dazu angehalten war, dicht bei Nikolai zu bleiben und Nikolai dicht bei Kunal blieb, war auch er immer in der Nähe der Hochmagier, genauso wie Ikaika.

Und der wirkte alles andere als glücklich. Im Gegenteil, er wirkte so schlecht gelaunt, wie Kanoa es gar nicht für möglich gehalten hätte. Als wollte er am liebsten etwas zerschlagen, etwas zerstören, ganz gleich, was es sein mochte. Und dabei blitzte er immer wieder zum König und seinen Sohn.

Kanoa fragte sich wirklich, was der König von Lanta ihm wohl angetan haben mochte, aber er kam zu keiner Antwort. Er konnte, nein, er wollte sich einfach nicht vorstellen, was man einem Menschen antun musste, um einen solchen Hass in ihm zu entfachen.

»Weist du, was ihm für eine Laus über die Leber gelaufen ist?«, fragte Kenai leise. Auch sein Meister war ein Hochmagier und so war auch er immer in Kanoas Nähe und auch ihm war schon aufgefallen, mit was für einer Miene der Pate seines Bruders zog.

»Er will nicht hier sein, aber ich weiß nicht, wieso.«

Kanoa seufzte und wollte sich suchend nach Tiamat umsehen, doch bevor er es tun konnte fiel ihm wieder ein, das er sie nicht hatte mitnehmen dürfen. Er schaute zu Ikaika, wandte sich dann ab. Er wollte gehen, diese ganzen Festlichkeiten waren nichts für ihn. Sie waren so förmlich, so anders.

Er schaute stattdessen zu Nikolai, hoffend, das sein Meister ihn vielleicht doch gehen lassen würde, doch der war viel zu sehr mit dem seltsamen Zeremoniell beschäftigt, das sich zu Ehren des Lantaschen Königs abspielte.

Doch in diesem Augenblick war das alles vergessen, denn plötzlich wurde die Menge unruhig. Kanoa reckte sich, konnte aber dennoch nichts sehen, weil er zu klein war.

»Was passiert?«, wollte er von Kenai wissen, doch sein Bruder war nicht viel größer als er, deswegen konnte auch der nicht viel sehen.

»Meinst du, wir dürfen uns vordrängeln?«, überlegte Kenai, doch sein Meister hatte ihn gehört und sein Blick sagte genug aus, sodass sie es nicht erst versuchten.

Doch um den Menschenkönig und seinen Sohn zu sehen, mussten sie auch nicht nach vorn. Auf Pferden kamen sie die Straße entlang geritten.

Der König ließ seinen Schimmel langsam durch die Gasse reiten. Er hatte dunkles Haar und eine dunkle Haut. Die Familie schien aus dem Süden zu stammen. Dem Prinzen sah man dagegen an, dass seine Mutter wohl aus der Region um Altena stammte, er hatte eindeutig braunes Haar und eine hellere Haut als sein Vater. Sein Blick war unsicher, sein Körper angespannt. Ihm schien die Stadt nicht geheuer. Zudem schien er in der Menge ein Gesicht zu suchen. Kanoa vermutete, das er nach Rena suchte, schließlich kannte er sie.

Da spürte er eine Bewegung und als er in die Richtung blickte sah er, wie Ikaika sich durch die Magier in Richtung der Hochmagier drängelte. Kanoa überlegte, ihm zu folgen. Er fragte sich, was sein Pate vorhatte, doch er blieb, wo er war.

Dann waren der König und der Prinz bei Keo angelangt und saßen ab. Was dort weiter vor sich ging, konnte Kanoa nicht erkennen. Gelangweilt wandte er sich ab.

»Wir gehen gleich alle in den Saal, da gibt es etwas zu essen«, flüsterte ihm Nikolai plötzlich zu und lächelte entschuldigend. »Die Begrüßung ist immer am langwierigsten. Bei den meisten Veranstaltungen musst du nicht dabei sein.«

Kanoa nickte, schüttelte sogleich den Kopf. »Es wäre weniger schlimm, wenn Tiamat dabei wäre oder wenn ich wüsste, worum es eigentlich geht.«

»Ich weiß was du meinst, als ich noch Schüler war und zwar ständig bei Kunal bleiben musste, aber trotzdem nichts wirklich machen durfte, da fand ich auch alles stinklangweilig«, lächelte Nikolai.

»Seien wir ehrlich, es ist noch immer stinklangweilig«, fand Kunal, die plötzlich von irgendwoher auftauchte, Ikaika war an ihrer Seite, genauso wie seine Mutter.

Kanoa sah Rena das erste Mal aus der Nähe. Man sah sofort, dass sie aus dem Norden stammte. Sie hatte warme Augen und ein sanftes Gesicht, sie war Kanoa sofort symphatisch.

»Kunal, er möchte, das Nikolais Schüler mit am Haupttisch sitzt«, erklärte sie. Ihre Stimme war sanft und klangvoll. Sie wandte sich direkt an Kanoa. »Selbstverständlich steht es dir frei, das Angebot auszuschlagen. Er weiß, dass man die Nordmänner zu nichts zwingen kann.«

»Warum will der König mich am Tisch haben?«, fragte Kanoa erstaunt.

Rena antwortete nicht gleich. Sie warf Ikaika einen kurzen Blick zu, der ihn eisig erwiderte, dann lächelte sie.

»Manche Geheimnisse hüten sich selbst. Wenn du es erfahren sollst, dann wirst du es erfahren«, erklärte sie.

Kanoa zögerte noch einen Augenblick, schaute Hilfe suchend zu Kenai. Der jedoch zuckte auch nur mit den Schultern, hatte keine Antwort auf Kanoas stumme Frage.

»Ich nehme an, aber nur, wenn ich Tiamat dabei haben darf«, sprach er schließlich. Er hätte gerne auch darum gebeten, dass auch Kinaya und Kenai dabei sein durften, doch er wagte es nicht.

»Dein Hund? Sehr gerne, Xenon schätzt Hunde sehr«, lächelte Rena, wandte sich dann wieder Kunal zu.

»Kümmerst du dich bitte darum, dass die Sitzordnung eingehalten wird? Keo möchte, das ich bei ihnen bleibe.«

»Natürlich, Rena-Schatz«, lächelte Kunal.

»Ich möchte bitte gehen, darf ich?«, erkundigte sich Ikaika mit kalter Stimme.

»Nein. Ikaika, wir haben darüber gesprochen. Den Rest der Zeit darfst du dich von mir aus herumtreiben wo du möchtest, aber heute bleibst du, du wirst dich gut benehmen und du wirst bei uns am Tisch sitzen«, sprach Rena in einem Tonfall, der jeglichen Widerspruch im Keim erstickte. Einige Augenblicke tobte noch ein stummer Kampf zwischen Mutter und Sohn, dann senkte Ikaika den Blick und wandte sich ab.

»Ich sitze aber am Rand, so weit weg wie möglich«, brummte er und ging.

Rena seufzte, tauschte noch einen vielsagenden Blick mit Kunal, ging dann ebenfalls.

»Lauf und hol Tiamat, es wäre mehr als peinlich, wenn du zu spät wärst«, meinte die an Kanoa gewandt.

Der tat wie ihm geheißen und lief schnell in den Turm, zu seinem Zimmer hinauf. Eden saß auf dem Fensterbrett und beobachtete das Treiben, Tiamat dagegen lag auf seinem Kissen und schien die Zeit ohne ihn zu verschlafen.

»Oh, Kanoa, warum bist du nicht unten? Hast du den König von nahem gesehen?«, fragte sie aufgeregt.

»Nein, noch nicht. Vermutlich hast du mehr von dem gesehen, was vor sich geht, als ich. Ich wollte Tiamat holen. Rena hat erlaubt, das ich sie beim Essen dabei haben darf«, erklärte er schnell und hob seine Gefährtin hoch.

»Du musst mir nachher alles genau erzählen«, bat Eden aufgeregt.

»Natürlich, aber jetzt muss ich los, ich darf nicht zu spät kommen hat Kunal gesagt«, erklärte er und war schon wieder auf dem Rückweg.

In der Halle angekommen wies ihm Kunal ein Platz an Ikaikas Seite zu, der trotz seiner harschen Worte dennoch ein Platz unweit des Königs hatte: Er saß an der Seite seiner Mutter, die wiederum neben dem Prinzen saß und somit nicht weit vom König entfernt. Die andere Seite des Königs war Keo vorbehalten, die anderen Hochmagier reihten sich aneinander, die ganze Länge des Tisches. Er fühlte sich ein wenig wie auf dem Präsentierteller, denn er und Ikaika waren die einzigen ohne Rang und Namen, die dem König so nahe waren, doch Ikaika hatte zumindest noch eine Begründung dafür. Er war froh, das Tiamat unter seinem Stuhl saß und sich beruhigend an sein Bein drückte.

Dann, abermals folgte eine komplizierte Zeremonie, an dessen Ende er sich auch endlich setzen durfte. Keo und der König eröffneten das Essen und sie begannen zu speisen.

Normalerweise war das Essen im Turm nicht schlecht, aber lange nicht so vielfältig, wie an diesem Tag. Es erinnerte Kanoa an die Tage, an deinen sie zu Hause ein Fest gefeiert hatten, dann hatten seine Mutter und Maria ähnliche Unmengen an Essen aufgetragen. Davon hatten sie noch Wochenlang essen können.

Doch obwohl es gut schmeckte, as er nicht viel. Ikaika an seiner Seite ließ seinen Teller sogar komplett leer, doch Kanoa wagte nicht, ihn darauf anzusprechen. Er sprach kein Wort, ebenso wie Ikaika und auch der Prinz.

Da lachte der König plötzlich laut auf.

»Oh, wenn ich das so höre, Keo, dann kann ich ja heilfroh sein, einen Sohn zu haben«, lachte er.

Was Keo darauf antwortete, hörte Kanoa nicht, doch es spielte auch keine Rolle. Ikaika an seiner Seite stand auf. Kanoa sah, das Rena es zur Kenntnis nahm, aber nichts mehr dazu sagte, während der Prinz noch unglücklicher dreinblickte. Ikaika trat zwischen den Prinzen und den König, beugte sich herab und sagte etwas. Er sprach nicht viel und so leise, das Kanoa es nicht verstand, doch er sah, wie sich etwas im Blick des Königs wandelte und er etwas ebenso leise erwiderte, während der Prinz noch kleiner wurde und sich so offensichtlich weit weg wünschte, wie es nur ging.

Er hörte Ikaika noch verächtlich schnauben, dann verließ er den Saal, seine Schritte waren dabei weit ausgreifend und verrieten seine Wut.

»Vater, ich bitte dich um die Erlaubnis, mich zurückziehen zu dürfen«, sprach der Prinz laut, kaum das Ikaika außer Sicht war.

»Geh«, knurrte der Mann, seine gute Laune war dahin.

»Ich begleite dich, Roan«, sprach Rena und wollte aufstehen, doch der König hielt sie mit einer Geste zurück.

»Ich möchte, dass du bleibst«, sagte er.

Rena tauschte einen Blick mit Keo, dann nickte sie und blieb sitzen. Stattdessen wandte sie sich um und tausche einen Blick mit Kunal, die wiederum nickte.

»Begleite Roan bitte. Ich denke es ist besser, wenn er nicht ganz allein durch die Gegend läuft«, sprach sie leise.

Kanoa nickte, stand auf und verließ gemeinsam den Saal. Auf dem Hof blieb er stehen und schaute sich suchend um.

»Wo ist er nur…?«, fragte er leise, schien gar nicht wirklich zu bemerken, das er nicht alleine war.

»Ikaika?«

Der Prinz wandte sich um, schaute ihn nachdenklich an.

»Du bist doch der Schüler von dieser Frau…?«

»Nicht ganz. Ich bin der Schüler von ihrem Schüler.«

»Oder so. Entschuldige, aber ich bin kein Zauberer, ich kenne mich damit nicht aus. Du bist oft mit Ikaika zusammen, oder? Deswegen wollte mein Vater, das du bei uns sitzt.«

»Ja, aber welche Verbindung Ikaika nach Lanta hat weiß ich nicht. Außer eben über seine Mutter, es scheint mir aber nicht so, das er deswegen so gefragt ist…?«

»Dir scheint richtig. Weißt du, wo er hingegangen sein könnte?« Der Prinz überhörte die Frage einfach.

»Ich denke in den Turm, auf sein Zimmer. Dorthin kannst du aber nicht gehen.«

»Ist auch nicht nötig. Was willst du, Roan?« Ikaika trat aus dem Schatten eines Nebengebäudes.

»Ikaika, Vater hat das gewiss nicht so gemeint«, beeilte sich der Prinz zu versichern.

»Mir ist egal wie er es gemeint hat. Ich wollte heute nicht einmal hier sein, aber Duster und meine Mutter haben mich gezwungen«, knurrte der junge Mann und Kanoa war erstaunt, in welchem Tonfall er mit dem Prinzen sprach.

»Aber Ikaika…!«, begann Roan abermals, doch Ikaika wischte seine Worte beiseite.

»Kanoa, wie viele Kinder hat der König?«, fragte er stattdessen.

»Eines«, antwortete der darauf verwirrt.

»Siehst du? Mir ist egal was er sagt, wenn keiner zuhört, mir ist gleich, was er meint«, knurrte Ikaika und blitzte den Prinzen an.

»Ikaika, was meinst du?«, wollte Kanoa nun wissen. Es gefiel ihm nicht, dass scheinbar jeder mehr wusste, als er. Doch Ikaika war nicht bereit, ihm zu antworten.

»Bitte Roan, geh. Geh wieder zu ihm oder ins Bett, oder wohin auch immer du möchtest, aber lass mich in Ruhe«, sprach er stattdessen.

Der Prinz wirkte, als wenn er noch einmal widersprechen wollte, besann sich aber schließlich eines besseren, wandte sich um und ging.

»Geh«, sagte Ikaika auch zu Kanoa, doch der verneinte.

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil ich dir ansehe, das es dich belastet. Egal was es ist, ich werde es nicht verraten und ich wird nichts ändern, aber ich werde dich auch nicht drängen es mir zu verraten. Ich biete es dir nur an.«

Ikaika zögerte lange. Er dachte ernsthaft darüber nach. Dann seufzte er und deutete Kanoa, ihn zu begleiten.

Gemeinsam zogen sie durch die dunkle Stadt hin zu einem der dreizehn Türme, die in der Stadtmauer eingelassen waren. Kanoa wusste, dass die Hochmagier hier zwar nicht wohnten, aber dass sie ihnen dennoch gehörten. Dieser hier musste wohl Rena gehören. Sie betraten den Turm, der innen verwahrlost und leer war. Eine dicke Staubschicht lag hier und man hörte Ratten und Mäuse über den Boden huschen. Sie gingen die Treppe hinauf, bis sie letztlich auf einer Dachterrasse ankamen.

Hier war schon alles sehr viel wohnlicher, es wirkte, als wenn jemand hier viel Zeit verbrachte. Man hatte eine wunderbare Aussicht auf die umliegenden Ländereien.

»Ich komme oft her, wenn ich keine Lust zum Lernen habe. Duster lässt sich hier nie blicken«, erklärte Ikaika und deutete auf einen Stuhl. »Setz dich.«

Kanoa setzte sich nicht, er trat an die steinerne Brüstung und betrachtete das Land, das im Mondlicht glitzerte und funkelte. Es erschien ihm so unwirklich, das dort, scheinbar nur eine Armlänge weit weg, Winter war und er dennoch nicht fror.

Ikaika trat neben ihn und Tiamat sprang auf die Brüstung, schaute ebenfalls auf die Schneelandschaft.

»Der König von Lanta, das ist mein Vater«, brachte Ikaika es gleich auf den Punkt.

»Wie kommt das?«, erkundigte sich Kanoa, war eher mäßig über die Nachricht erstaunt. Er hatte es sich denken können nach allem, was geschehen war.

»Nun, meine Mutter war damals mit ihrer Meisterin in Lanta. Ihre Meisterin war ebenfalls Hochmagierin und sie war ebenfalls die Beraterin. Xenon war damals erst ein oder zwei Jahre König und sein Vater drängte darauf, das er sich möglichst bald um einen Nachfolger bemühte. Er bemühte sich, aber manchmal will die Natur eben einfach nicht. Ist auch egal, nach zwei erfolglosen Jahren traf er dann meine Mutter. Versteh das nicht falsch, er liebt seine Frau, aber…«

»Manchmal weiß man nicht so genau was man will und dann begeht man einen Fehler«, nickte Kanoa und dachte dabei an Kenai, der sich so sehr gegen die Geschwister gesträubt hatte, das er sie zuletzt hasste, bis er seinen Fehler erkannte.

»Ja, das trifft es ganz gut. Nun, die beiden begannen eine Affäre, ohne das es jemand wusste natürlich. Und dann verkündete die Königin, dass sie Nachwuchs erwartete. Und meine Mutter stellte fest, dass es bei ihr nicht anders war.«

»Was tat Xenon?«

»Er schickte sie fort. Für eine Weile. Er wollte es erst seiner Frau erklären. Das tat er auch, dass meine Mutter und er etwas miteinander hatten wusste bald der ganze Hof. Doch sie sollte irgendwann zurückkehren und das tat sie nicht. Sie blieb im Nordreich, brachte mich zur Welt und zog mich groß. Als ich fünf war, reisten wir immer zwischen Forea und Altena hin und her, denn meine Mutter wusste, dass das nicht ihr ganzes Leben sein konnte. Sie hat mich nie vernachlässigt, sie war immer für mich da, aber sie hat auch ihre eigenen Träume nicht aus den Augen verloren. Und so kam es, dass sie irgendwann Hochmagierin wurde. Und das Keos Vorgänger sie bat, als Beraterin tätig zu sein.«

»Sie nahm an und ihr seid nach Lanta gezogen«, mutmaßte Kanoa und Ikaika nickte.

»Ja. Als wir in Lanta ankamen, war es das erste Mal, dass ich meinen Vater traf. Aber so sehr er auch beteuerte, das ich ihm genauso lieb war, wie Roan, so war ich es immer nur, wenn keiner zuhörte. Zu jeder anderen Zeit hat er bloß einen Sohn. Den Prinzen, den Thronfolger. Roan eben.«

Kanoa schwieg und auch Ikaika schwieg. Eine Weile blieben sie einfach nur so stehen.

»Hasst du Roan?«

» Versteh das nicht falsch, mir ist der Thron völlig egal, das war nie mein Weg. Ich bin in den Nordlanden geboren, ich weiß, dass jeder einen rechten Weg hat, den er gehen muss und meiner war es nie, König zu werden. Ich will es auch gar nicht. Dafür ist Roan viel besser geeignet. Wenn ich will, das Xenon auch Öffentlich meine Existenz anerkennt, dann geht es mir nicht darum, dass ich damit die Möglichkeit erhalte, irgendwann einmal das Menschenimperium zu regieren. Mir geht es nicht um Macht oder Einfluss oder dergleichen, mir geht es nur darum, das…« Ikaika schienen die Worte zu fehlen, also beendete Kanoa den Satz.

»Das dein Vater auch wirklich dein Vater ist, zu jeder Zeit und an jedem Ort. Und nicht nur dann, wann es ihm gerade passt.«

»Ja.«

»Aber meine Frage hast du damit nicht beantwortet.«

»Welche?«

»Ob du Roan hasst.«

Erst schien es, als wenn Ikaika sofort darauf antworten wollte, doch er klappte den Mund wieder zu und schien sich nicht mehr sicher über seine Antwort.

»Denk darüber nach und antworte mir, wenn du eine Antwort weißt«, meinte Kanoa, schaute sehnsüchtig auf die weite Schneelandschaft. Dann nahm er Tiamat und ging. Er wusste, das Ikaika jetzt Zeit zum Nachdenken brauchte und er musste schließlich noch Eden und seinen Geschwistern erzählen. Nur Ikaikas Geheimnis würde er nicht verraten.

 

Ikaika hat mir nie verraten, warum er es mir erzählte. Warum er sich einem kleinen Jungen anvertrauten, obwohl manche seiner damaligen Freunde es nicht einmal wusste. Aber das Ikaika auch aus dem Herrscherhaus von Lanta abstammte, erklärte mir nicht nur, warum ich am Haupttisch sitzen durfte, sondern es bescherte mir auch die eine oder andere Begegnung mit dem König.

Was aber am allerwichtigsten war: Es war einer der Grundsteine Steine, auf der Ikaika und ich unsere Freundschaft errichteten.



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Kommentare zu dieser Fanfic (17)
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Von: abgemeldet
2012-05-08T16:46:14+00:00 08.05.2012 18:46
Naja, aber es ist wirklich echt schwierig, was Magie wirklich ist ^^
Ich finde es echt gut das du das mal angesprochen hast :D Denn sonst findet man in allen Geschichten (inklusiver meinerXD) immer nur vor, das Magie einfach existiert, ohne weitere Erklärungen ^^ Ehrlich gesagt, mir würde auch keine Erklärung dafür einfallen ^^"
Nikolai gefällt mir irgendwie immer mehr, ich mochte ihn schon seit der Sache mit Lugh damals ^^
Außerdem hat er einen sehr üblichen und trotzdem ungewöhnlichen Namen XD
Von: abgemeldet
2012-05-08T16:42:46+00:00 08.05.2012 18:42
Schön das Tiamat, Gaia und Pan wieder da sind :D
Die Zeremonie ist schon echt was besonderes :3
Und Keo ist ein wahnsinnig schöner Name *-*
Die Schülernamen sowieso, sie klingen sehr gut XD

Von: abgemeldet
2012-05-08T16:37:38+00:00 08.05.2012 18:37
So, ersteinmal eine Frage vorraus:
Bei der Vergabe der Schülernamen sind ja auch noch andere dabei, die doch mitbekommen welchen Namen man bekommt (zumindestens der Meister XD).
Wäre es für ih/für sie nicht eine verlockende Leichtigkeit damit die anderen zu kontrollieren? ^^ Oder hab ich da was falsch verstanden XD

Ansonsten wie immer wahnsinnig toll *______*
Von: abgemeldet
2012-02-20T11:00:25+00:00 20.02.2012 12:00
Ich mag Nikolai ja irgendwie, ich mag seine Art einfach ^^
Ok, Paten sind verteilt, dann kanns ja jetzt weiter gehen :3

Obwohl ich mich ja immer noch frage woher du immer diese tollen Ideen nimmst :3 Ich meine, das kann ich mich bei mir selbst auch manchmal fragen, aber gut, aber deine Geschichten klingen immer so.. real XD

*auf nächstes Kapitel wart*
Von: abgemeldet
2012-02-20T10:57:02+00:00 20.02.2012 11:57
Weißt du was? Ich würde so gerne mal ein Bild von dir sehen aus Altena, mit den Blumen ^^ Ich stelle mir das richtig schön vor *-*
Ja, ich weiß, klingt verrückt, aber als ich das gelesen hab, hatte ich direkt das Bild dazu im Kopf ^^"

Nya, zurück zum Text XD
Ich liebe es einfach immer wieder deine kapitel zu lesen, weil sie einfach total geil geschrieben sind ^^ Und das 10. Kapitel hat eine echt schöne Atmosphäre (ja, ich beziehe mich wieder auf den Anfang) XD

Wirklich richtig schön, wie immer *.*
Von: abgemeldet
2011-11-13T15:46:44+00:00 13.11.2011 16:46
Ich finde es ja immer wieder erstaunlich wie du so profane Sachen wie der geflochtene Zopf von Kinaya zu etwas bedeutenem machst *___________*
Auf jeden Fall verlierst du nie den Faden, obwohl in jedem Kapitel so viel passiert O.o
Hab ich dir eigentlich schon gesagt das ich es total toll finde wie du immer die Gedanken und Gefühle der einzelnen Personen rüberbringst? :3
So, jetzt hat Nikolai also Kanoa ausgewählt, wie sollte es auch anders sein XD
Dann bin ich mal gespannt wie es weiter geht :D
Von: abgemeldet
2011-10-28T08:40:01+00:00 28.10.2011 10:40
So niedlich das die kleinen sprechen können :DD
Jetzt bin ich wieder auf dem neusten Stand, jetzt kannst du das nächste Kapitel hierher befördern :3
Obwohl ich sagen muss das sie mir als Kinder sehr gut gefallen, sie müssten gar nicht älter werden XXD


Von: abgemeldet
2011-10-28T08:37:02+00:00 28.10.2011 10:37
Kein Text am Ende? v.v
Aber jetzt ergibt es alles einen Sinn, mit den Welpen und so XXD
Schön gemacht :3
Von: abgemeldet
2011-10-28T08:31:58+00:00 28.10.2011 10:31
Ich mag die kursiven Textpassagen am Ende jedes Kapitels ^^ Das fasst nochmal gut zusammen was passiert ist und macht aber auch gleichzeiig tierisch neugireig auf das nächste Kapitel :D Und man sellt sich am Ende immer tausende Fragen, die gerade durch diese kleinen Stücke entweder weiter ausgeweitet werden oder teilweise beantwortet werden :3
Auf jeden Fall ist die Idee total gut *____*
Von: abgemeldet
2011-10-28T08:26:45+00:00 28.10.2011 10:26
Ok, was sind die Welpen nur für Wesen? o.o
Ist ja schon ungewöhnlich mit den drei Farben XXD
Kinaya hats ja mit dem Pläne schmieden auch schon ganz schön drauf XD



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