Zum Inhalt der Seite

Magical Girl LaFee

The Destiny of Christina Klein
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Handy

Prolog: Handy
 

1998, Stolberg-Büsbach bei Aachen
 

Das kleine blonde Mädchen hielt sich ihr Handy ans Ohr. „Ja? Hallo Therese. Ja, mit gehts ganz gut. Was machst du so? In der Schule wars heute total langweilig. Wir müssen in Mathe zwanzig Aufgaben machen. Da hab ich gar keine Lust drauf. Der Lehrer gibt uns immer viel zu viel auf einmal auf.“

Bernhard Klein beobachtete seine siebenjährige Tochter mit tiefer Beunruhigung. Dann fragte er seine Schwester: „Was meinst du, wie lange das noch so mit ihr gehen wird, Karlotta?“

Die braunhaarige Frau Anfang vierzig entgegnete besorgt: „Gib ihr Zeit. Christina braucht sehr viel Liebe von uns beiden, doch dass ihre Mutter nicht mehr da ist, kann man nicht ungeschehen machen. Ich werde ihr die Mutter niemals ersetzen können, und das will ich auch gar nicht. Doch ich will mich so gut um sie kümmern, wie ich es nur vermag. Ich liebe sie, als wäre sie meine eigene Tochter, und nicht nur meine Nichte.“

„Du weißt, wie dankbar ich dir bin, doch ich kann es nicht oft genug sagen. Es war noch nie selbstverständlich, dass man sich so um fremde Kinder kümmert, und schon gar nicht in der heutigen Zeit. Dass du einfach, nachdem Koulla weggegangen war, zu uns ins Haus gezogen bist, und den ganzen Haushalt führst... Du weißt, ich wäre alleine damit überfordert. Arbeit, Haushalt und noch zwei kleine Kinder. Ich weiß gar nicht, wie andere Eltern das schaffen.“

„Ich bin sicher, du hättest es auch ohne mich geschafft.“

„Ich weiß es nicht.“

„Es ist meine Pflicht, dich bei der Erziehung von Christina und Andreas zu unterstützen, schließlich bin ich Christinas Patentante.“

„Trotzdem brauchst du dich nicht verpflichtet zu fühlen, Karlotta.“

„Das tue ich aber, aber deshalb tue ich es nicht, sondern weil ich es möchte. Mich um Kinder zu kümmern, die soviel Freude und Glück und Sonnenschein in die triste graue Alltagswelt der Erwachsenen bringen... Das ist wahrhaft ein Geschenk Gottes, welches die Menschen nicht verstehen.“

„Du hast Recht. Aber Christinas Verhalten macht mir trotzdem Sorgen. Seit Wochen schon hat sie diese imaginäre Freundin. Mir wäre es lieber, sie würde reale Freundinnen finden. Doch in der Schule findet sie einfach keinen Anschluss. Sie scheint in einer ganz anderen Welt zu leben, als alle Andere.“

„Christina hat einfach sehr viel Fantasie. Viele Kinder besitzen imaginäre Freunde, mit denen sie spielen und sich unterhalten.“

Bernhard nickte ernst. „Ich habe nur Angst, dass sie vollkommen den Sinn für die Realität verliert.

Christina kam mit dem Handy in der Hand angelaufen. „Theresa sagt, ihr sollt was mit mir spielen. Ihr sollt euch mehr um mich kümmern!“

„Christina, ich muss noch etwas mit deiner Tante besprechen. Warum läufst du nicht nach nebenan zu Oma und Opa? Vielleicht kannst du ihnen beim Melken der Kühe zusehen.“

„Na gut.“

„Das Handy kannst du ruhig hierlassen, das kannst da nicht gebrauchen.“

„Doch, doch. Ich muss dich alles Therese erzählen.“ Schnell lief sie aus dem Raum hinaus.

„Das ist auch so etwas.“, sagte der Mann ernst. „Dieses Handy. Sie schleppt es überall hin mit, egal ob im Bad, auf dem Balkon, ja selbst auf der Toillette hat sie es dabei. Wenigstens hat sie es nicht mit in der Schule, dort sind Handys verboten. Vielleicht sollte ich es ihr einfach wegnehmen. Vielleicht hört sie dann mit ihren Träumereien auf.“

„Tu das nicht.“, meinte seine Schwester und sah ihn mit ihren tiefbraunen Augen an. „Dadurch wird das Problem nicht gelöst werden. Im Zweifelsfall wird es nur noch schlimmer werden.“
 

„Ja? Hallo, Therese. Nein, Papa hat gestern schon wieder nicht mit mir gespielt, er hat gesagt, er muss arbeiten und dann ist er erst ganz spät heimgekommen. Aber Tante Lotta hat mit mir gespielt, den ganzen nachmittag. Erst MauMau, dann Mensch ärgere dich nicht, dann Memory. Bei Memory hab ich meistens gewonnen, bei den anderen Spielen manchmal. Was? Ja, ich sag es ihm.“ Christina lief zu ihrem Vater.

„Gibt es etwas Besonderes?“, fragte Bernhard Klein skeptisch.

„Du, Papa. Therese hat gesagt, du sollst dich heute beim Autofahren anschnallen, weil sonst tust du einen unfall machen und dich ganz schlimm verletzen.“

„Ach, Christina, da brauchst du keine Angst zu haben. Ich fahre vorsichtig, da passiert kein unfall. Mit wird nichts passieren.“

„Papa, hör auf Therese. Sie sagt, das ist sonst ganz gefährlich.“

„Ja, ja. Schon gut, meine Kleine. Ich pass schon auf.“ Zum Abschied fuhr er ihr über den blonden Haarschopf.

Kurz darauf fuhr er im Auto los. Dann hielt er an. Seine Tochter hatte Recht, er sollte sich wirklich anschnallen, allein schon, falls die Polizei dies sehen würde. Also nahm er den Gurt und befestigte den Schluss in der vorgesehenen Öffnung.
 

Der Verkehr war sehr zähflüssig. Ungeduldig trommelte Bernhard mit den Fingern auf das Armaturenbrett, als er an einer Ampel stand. Zu allem Überfluss regnete es nun auch noch in Strömen. Die Scheibenwischer arbeiteten ohne Unterbrechung. Er musste sich beeilen, denn er würde noch eine lange Strecke mit dem Lastkraftwagen fahren müssen, doch zuerst einmal musste er bei seinem LKW ankommen.

Nach einiger Zeit ging der Verkehr endlich schneller. Ein kurzer Blick zur digitalen Zeitanzeige im Auto. Es würde knapp werden. Er fuhr dichter am Wagen seines Vordermannes auf. Dieser bremste plötzlich sehr stark. Bernhard konnte nicht mehr rechtzeitig reagieren, und so knallte er in den Wagen vor ihn hinein. Er wurde nach vorne geschleudert, doch der Gurt hielt ihn schmerzhaft zurück. Einen Augenblick später machte eine Erschütterung ihm klar, dass auch der nachfolgende Wagen wiederum ihm draufgefahren war. Sein herz schlug schnell und fest. Nun wurde ihm bewusst, dass er nur um Haaresbreite dem Tod oder einer Schwerstverletzung entkommen war, und zwar lediglich aufgrund dessen, dass er angeschnallt war, was er normalerweise nie tat.
 

Am Abend kam Bernhard klein nach Hause. Karlotta begrüßte ihn schon aufgeregt. „Was hat der Arzt gesagt? Bist du verletzt?“

„Nein, mit mir ist alles in Ordnung, nur der Wagen ist Schrott.“

„Papa, gehts dir gut? Wie war der Unfall?“, kam Christina fragend angelaufen.

„Du solltest ihr doch nichts erzählen...“, sprach Bernhard leise zu seiner Schwester.

„Das habe ich auch nicht.“, entgegnete Karlotta erstaunt.

„Christina, woher weißt du das mit dem Unfall?“, fragte der Vater streng.

„Das hat mir Therese gesagt.“, entgegnete sie, und hob ihr Handy hoch.

„Das hat dir Therese nicht gesagt, weil es Therese gar nicht gibt. Also, woher hast du es?“

„Natürlich gibt es Therese. Sie sagt mir immer alles, und ich sage ihr immer alles.“ Sie hielt sich das Mobiltelefon ans Ohr. „Sie sagt jetzt zum Beispiel gerade im Moment, dass du mal mich hören sollst. Du hast nämlich schon früher als Kind nicht immer auf das gehört, was zu dir gesagt wurde.“

„Also, Christina, jetzt nun mal ehrlich. Woher will deine Therese denn wissen, was ich als Kind gemacht habe?“

Christina sah ihren Vater nur mit großen Augen an. „Aber sie ist doch deine Oma...“

Karlotta wurde es kurz schwindlig, als sie sich auf einen Stuhl setzte. „Das... Das ist doch nicht möglich. Oma Resi?“

„Was hat denn Oma damit zu tun?“, fragte Bernhard seine Schwester irritiert.

„Nein, ich hatte schon gleich so ein komisches Gefühl... Aber Oma Resi ist doch schon seit über zehn Jahren tot...“

„Sie ist nicht tot.“, sagte Christina verwirrt. „Sie macht Urlaub auf einer Insel am Meer.“

„Auf einer Insel?“

„Ja. Sie hat gesagt, sie ist jetzt da, wo es ihr ganz gut geht, wo sie Ruhe hat, wo niemand sie stört und da, wo ganz viel licht und Wärme ist. Und dann muss sie ja auf so einer Insel sein, wie man sie im Fernsehn sieht. Hawaii oder wie das heißt. Oder so ne andere Insel halt, wo die Sonne ganz viel scheint.“

Karlotta sah ihren bruder mit hilflosem Blick an. „Oh, Bernhard, sie hat ebenfalls die Kraft. Lass uns für sie beten, dass Gott sie ewig schützen möge.“

Virus

Kapitel 1: Virus
 

Fast zehn Jahre später...
 

Christina Klein lief schnell auf die andere Straßenseite, obwohl die Ampel rot anzeigte. Als sie angekommen war, begrüßte sie ihr beste Freundin Janine Engstler. Sie kannten sich schon seit dem ersten Schultag. Christina war froh, eine so gute Freundin zu haben, der sie alles, und wirklich alles, erzählen konnte.

„Hi, Janny!“, rief sie freudig. „Cool, dass ich dich hier gerade treffe. Ich wollte sowieso zu dir. Also, es geht um Folgendes: Morgen macht Sarah ja ihre Party. Gehst du hin?“

„Nein, morgen hab ich leider keine Zeit, Chrissy. Aber geh doch allein. Das wird bestimmt ne coole Party.“

„Ja, werde ich auch machen. So, ich muss jetzt aber dringend nach Hause. Ciau!“

„Bye.“, entgegnete Janine.
 

Christina kramte ihren Haustürschlüssel hervor und steckte ihn ins Schloss. Sie öffnete die Tür zu dem kleinen Häusschen und trat ein. Sie hörte schon die dunkle Stimme ihres Vaters: „Christina, bist du das? Hast du noch Tomaten im Supermarkt gekriegt?“

„Ja, Paps.“, rief Christina zurück. Sie ging in die Küche und stellte ihre Einkaufstasche auf den Boden. Christinas Mutter war kurz nach ihrer Geburt verschwunden. Christina wusste nicht, warum, aber seit ihrem zwölften Lebensjahr kocht nun sie für die ganze Familie. Heute ist sie sechszehn Jahre alt. Ihr Vater versucht es, sich nicht anmerken zu lassen, aber seine Frau fehlt ihm sehr. Normalerweise heilt die Zeit alle Wunden, doch in seinem Fall scheint es mit jedem Jahr schlimmer zu werden. Eine neue Beziehung hat er nie mehr gekriegt. Allerdings hatte er auch nie ernsthaft versucht, jemanden zu finden. Das blonde Mädchen sah ihn traurig an. Sein Gesicht wirkte wie eingefallen. Wenn er jetzt schon so aussah, mochte sie nicht wissen, wie es ihm ging, wenn er stundenlang alleine in seinem Truck rumfuhr. Fernfahrer war nicht wirklich ein schöner Beruf.

Nachdem das Essen fertig war, setzten sie sich an den Tisch. Auch ihr zwanzigjähriger Bruder Andreas kam nun aus seinem Zimmer, in welches er sich immer öfter zurückzog. Die schlechte Laune des Vaters schien ansteckend zu sein. Christina bekam plötzlich starke Kopfschmerzen. Die ganzen negativen Schwingungen, welche von den beiden Männern ausgingen waren kaum auszuhalten.

Nach dem Essen ging Andreas wieder in sein Zimmer. Christina deckte den Tisch ab und räumte alles in die Geschirrspülmaschine ein. Da sie voll war, stellte sie sie an. Ihr Vater sah sich derweil irgendeine bescheuerte Gerichtsshow im Fernsehen an. Es ging gerade darum, dass ein Vater seine Tochter zum Anschaffen gezwungen hatte und diese nun unter Mordverdacht an einem Zuhälter stand. Würde er doch etwas Sinnvlles mit seiner Zeit anfangen! Die junge Frau stieg die hölzerne Treppe hinauf in den zweiten Stock. Bei jedem Schritt knarrte eine der Stufen. Sie klopfte kurz an einer Tür, dann trat sie ein. Das Zimmer war voll mit Postern irgendwelcher MetalBands gehängt, von Manowar über Blind Guardian bis hin zu 69 eyes. Es lief gerade ein Lied von Metallica im CD-Player. Andreas lag auf seinem ungemachten Bett und starrte an die Decke. Seine pechschwarzen Haare hingen ihm rebellisch ins Gesicht.

Christina drehte die Musik leiser. Ihr Bruder blickte auf, wie als ob er gerade aus einer Trance gerissen worden wäre. „Was soll das?“, fragte er in einem aggressiven Ton. „machd as sofort wieder lauter!“

„Ich wollte nur fragen, ob du vielleicht Lust hast, eine Runde mit mir um den Block zu gehen.“

„Bin ich ein alter Opa?“, entgegnete er gereizt.

„Das hat nicht mit dme Alter zu tun. Frische Luft tut jedem gut. Ich mache mir Sorgen, wenn du den ganzen Tag hier drin vor dich rumvegetierst.“

„Kümmer dich um deinen Scheiß.“, sagte der großgewachsene junge Mann, stand auf und drehte die Musik wieder lauter.

Ich muss auf jeden Fall hier raus, dachte Christina und verließ das Zimmer, steckte den Haustürschlüssel ein und wollte raus. Da hörte sie eine Stimme rufen: „Wo willst du hin?“

„Ich geh nur ein bisschen raus, Paps.“

„Nur ein bisschen raus? Um spätestens halb acht bist du wieder zurück!“, meinte er streng.

„Ja, Paps.“ Christina verdrehte genervt die Augen. Er behandelte sie immer noch wie ein kleines Kind! Sie war sechszehn, verdammt! Andere Mädchen in ihrem Alter gingen weg, ohn etwas zu sagen, und bleiben die ganze Nacht weg. Das war natürlich auch nicht ganz richtig, aber es war immer noch besser, als das hier.
 

Die frische Luft, welche sie draußen umwehte, wirkte Wunder. Die Kopfschmerzen waren sofort wie verflogen. Sie spazierte in einen kleinen Wald. Sie liebte die Natur über alles. Sie gab ihr Kraft, und sie fühlte so etwas, wie einen lebendigen Geist hier.

Sie war so in Gedanken versunken, dass sie erschrak, als plötzlich ihr Handy klingelte. „Ja?“

„Hi, ich bins!“ Es war Alexander Merten, ihr Freund. Er war zwei jahre älter als sie selbst.

„Hi, Alex. Was gibts?“

„Hast du gerade Zeit?“

„Klar.“

„Dann komm bei mich.“

„Na gut, bis gleich.“
 

Sie klingelte an dem kleinen Reihenhaus. Von drinnen rief eine Stimme: „Komm rein, die Tür ist offen.“

Die Tür war meistens offen. Sicher war dies nicht. Christina drückte sie auf und trat in einen dunklen Flur ein. Dann kam sie zu Alexanders Zimmer. An der Wand hingen Poster von 50cent, D12 und Snoop Dogg. Das Zimmer war ziemlich unordentlich. Alexander war ein junge, welcher nur etwas größer als Christina selbst war. Er hatte kurze schwarze Haare und trug einen Pullover mit der Aufschrift „Ich habe kein Problem mit Alkohol, nur ohne.“

„Hi, Süße.“, grinste er und kam näher.

„Hi, Alex.“ Sie freute sich, ihn zu sehen. Sie küssten sich. Sie roch, dass er ein paar Bier intus hatte. Seine Zunge fand die ihre. Er küsste fordernd, aber das war normal. Seine Hände glitten zu ihren Oberschenkeln und wanderten rauf zu ihrem Po. Er kniff kurz hinein. Dann fuhr er unter ihrem T-Shirt ihren Rücken hinauf. Seine andere Hand glitt langsam zu Christinas Busen.

Das Mädchen hörte auf, ihn zu küssen und schüttelte langsam den Kopf.

„Was ist los, Chrissy?“, entgegnete er unwirsch.

„Du weißt doch, dass ich das noch nicht will.“, sagte sie leise.

„Ja, wie lange willst du denn noch warten? Ich habs langsam satt.“

„Wir sind doch erst seit zwei Monaten zusammen!“

„Eben! Meine früheren Freundinnen hab ich alle spätestens nach zwei Wochen flachgelegt. Dass ich so lange gewartet hab, zweigt, dass ich dich wirklich liebe.“

„Flachgelegt?“, wiederholte Christina langsam. „Geht es dir also nur darum, mich schnell ins Bett zu kriegen, oder wie?“

„Nein, Chrissy, so war das jetzt nicht gemeint.“ Christina wich einen Schritt zurück. „Nein, Chrissy, bleib hier, es tut mit Leid. Hast du gehört? Bleib hier?“ Doch christina war schon schnell gegangen.

Tausend Gedanken rasten ihr durch den Kopf. Liebt er mich überhaupt? Bin ich nur so prüde? Ist das denn normal, dass ich noch Jungfrau bin? Ist er überhaupt der Richtige für mich?

Im Prinzip hätte sie vielleicht wirklich mit ihm geschlafen, aber nicht so. Es sollte etwas besonderes sein. Verflucht, hörte sich das kitschig an! Aber sie wollte es so. Sie war nicht so wie die anderen, die sich an den Wochenenden durch die Diskos poppen, nein so war sie nicht.

Langsam setzte sie sich unter einen Baum auf den Boden. Sie spürte die Erde mit ihren Fingern. Sie lehnte sich an den Stamm. Er gab ihr Kraft. Jetzt hatte sie ihn nicht gefragt, ob er morgen auf die Party mit will! Nun, dann musste sie wohl wirklich alleine gehen. Alleine. Sie war so alleine...
 

Musik dröhnte aus dem großen Haus. Die Party würde bestimmt gut werden. Sie trat durch die offene Tür. Sie begrüßte flüchtig ein paar Klassenkameraden und Kameradinnen. Sarah redete gerade mit ein paar anderen Mädchen. Christina stellte sich dazu. Nach ein paar minuten sah Sarah sich um. „Ach, Christina! Du bist ja auch da! Freut mich.“ Sarah umarmte sie kurz. „So, ich geh mal zu den jungs. Kommst du mit?“

„Okay.“

Caroline Spieß betrat den Raum, sie war umgeben von zwei ihrer Freundinnen, welche immer bei ihr waren. Sie hatten sich die Lippen geschminkt, kurze modische Tops angezogen, hippe Nietengürtel mit Playboy-Bunnies an und lange lackierte Fingernägel. Die gesprayten Haare fielen um das von Lidschatten und Maskara geschminkte sich und rahmten es ein, wie ein wunderschönes Gemälde. Caroline war die beliebteste Schülerin der ganzen Schule. Ihre Eltern waren reich, weshalb sie sich jeden Luxus leisten konnte. Sie flog in jeden Ferien, manchmal auch an verlängerten Wochenenden in Uralub. Nach Spanien, nach Mallorca, in den Skiurlaub in die Schweiz, ans schwarze Meer... Christina war noch in Uralub gefahren. Nur einmal als ganz kleines Kind nach Griechenland, als ihre Mutter noch da war, aber daran konnte sie sich nicht mehr erinnern. Christina sah die Designerklamotten von caroline an. Dann sah sie an sich herunter. Sie hatte einen einfachen schwarzen Pullover an.

„Hi, Caro!“, begrüßte Sarah sie. Dann gabs Küsschen links und Küsschen rechts. „Schön, dass du Zeit gefunden hast, bei meiner Party vorbeizuschauen.“

„Ach, das war doch ganz selbstverständlich.“ Und dann flüsterte sie in Sarahs Ohr, mit Kopfnicken in Richtung Christinas: „Was tut die denn hier?“

„Soll ich sie etwas rausschmeißen?“, antwortete Sarah leise.

Doch Christina hatte alles gehört. Sie spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen. Sie fingen an, ihre Wangen hinunterzulaufen und verschmierten ihre Wimperntusche aus dem Supermarkt. Schnell, ohne auf die anderen zu achten, lief sie aus dem Haus hinaus. Verwunderte Blicke wurden ihr nachgeworfen, doch niemand versuchte sie aufzuhalten.

Nein, das war so schrecklich. Wieso passierte das immer ausgerechnet ihr? Was konnte sie denn dafür? Sie brauchte Trost, doch wer war noch da? Wo Janine war, wusste sie nicht. Nach hause wollte sie erst recht nicht. Vielleicht zu Alex? Nach dem, was passiert ist? Ja, er war schließlich ihr Freund!
 

Die Tür war wie immer offen. Christina trat ins Haus ein. Ob er zu Hause war? Sie schritt zu seinem Zimmer. Leise öffnete sie die Tür einen Spalt breit. Was sie dann sah, versetzte ihrem Herzen ein schmerzhaften Stich. Auf dem Bett bewegten sich zwei nackte Körper. Sie stöhnten und rieben sich lustvoll aneinander. Der eine Körper gehörte Alex, der andere gehörte Janine.

Jetzt wusste Christina, wieso sie nicht auf die Party mitkommen wollte. Wie konnten ihr die beiden das nur antun? Wie lange ging das schon? War sie von Anfang an verarscht worden? Alex steckte seine Zunge tief in Janines Mund hinein. Seine Hände kneteten ihre Brüste.

Christina drehte sich um. Sie wollte diesen Anblick nicht mehr länger sehen. Sie lief aus der Wohnung hinaus, und versuchte die Bilder und die Geräusche aus ihrem Kopf zu drängen. Und diese Gerüche. Es war der Gestank von Sex.

Christina lief so schnell sie nur konnte. Sie lief in den Wald hinein. Diese verfluchte janine! Sie war doch alles für mich! Und jetzt? Meine beste Freundin? Warum denken die Leute nur, dass man mit ihr alles machen könnte? War sie selbst Schuld daran?

Nein! Sie fühlte eine unglaubliche Wut in sich aufsteigen. Ihre Enttäuschung verwandelte sich in Hass. Würden sie doch sterben! Würden sie sich doch einen schrecklichen Virus einfangen, oder tödliche Bazillen! Sollten sie nie wieder ihres Lebens froh werden! Das hätten sie verdient.

Christina fiel zu boden und stützte sich mit den Händen auf. Als sie diese finsteren Gedanken hatte, spürte sie, wie ihr ganzer Körper von dem Hass durchdrungen wurde. Es fühlte sich an, als ob ihr Blut in den Adern kochen würde. Ihre Haare waren wie elektrisiert und standen nach allen Seiten ab. Ihre Fingernägel wuchsne und wurden spitz und schwarz. Ihre Reißzähne wurden länger und ihre Augen glühten auf. Eine unglaublich starle Energie durchflutete sie. Dann entlud sich ihr Zorn in einer gewaltigen Ladung und sie selbst schrie laut vor Schmerzen auf, denn es war, als würde ihr Körper bersten.
 

Alexander und Janine waren wie in Ekstase. Doch der Höherpunkt schmerzte stärker, als gewöhnlich. Ihre beiden Körper schmerzten.

„Oh Gott, was ist das?“, schrie Janine, als sie ins das gesich von Alex sah. Die Haut war runzlig geworden und war wie eingefallen. Janine selbst fasste sich ins Gesicht. Es war voller Pickel, die größer wurden zu eitrigen Pestbeulen. Sie quollen auf und platzten. Schwarzer Schleim lief an ihnen hinunter. Dann sah sie wieder Alex an. Die Haut hing vom schädel herunter, die Augenfielen heraus und er hustete einen ganzen Schwall Blut. Dann fiele er um und blieb liegen. Er war tot.

Janine war in Panik. Ihr fiel es schwer zu atmen. Sie fasst sich an die Brust und in diesem Augenblick riss ihre Haut auf. Die Lungen zerissen und Janine fiel ebenfalls leblos zu Boden.
 

Christinas Haare fielen wieder ums gesicht. Die Nägel waren wieder kürzer, doch ihr Körper war gechwächt. Erschöpft fiel sie auf den Waldboden und schlief schließlich friedlich ein. Sie träumte von Elfen und Feen und hatte einen erholsamen Schlaf.

Prinzesschen

Kapitel 2: Prinzesschen
 

Christina erwachte durch die ersten Strahlen der Sonne, welche durch das gelichtete Geäst der Bäume fiel. Erst war sie verwirrt. Sie wusste nicht, was geschehen war, und wieso sie hier im Wald lag. Langsam kamen ihr die Bilder wieder in den Sinn. Und sie wusste, dass sie voller Hass gewesen war, doch dann war es wie abgeschnitten. Was war denn nur geschehen?

Sie nahm ihr Handy hervor. Es waren zwölf Anrufe in Abwesenheit angezeigt. Sie musste wirklich tief geschlafen haben, wenn sie das nicht mitbekommen hatte. Alle Anrufe waren aus ihrem Elternhaus gekommen. Langsam machte sie sich auf den Weg. Ihr war etwas schummrig.

Nach etwa zehn Minuten kam sie zu Hause an. Sie schloss die Tür auf und trat ein. Sofort kam ihr Vater angestürmt. „Wo warst du, Christina? Ich hab gesagt, um zehn, spätesten elf bist du zu Hause. Um halb zwölf hab ich angerufen, aber du bist nicht drangegangen. Ich habs noch zweimal probiert, dann bin ich zur Party gefahren, aber die haben gesagt, du wärst schon lange gegangen. Wo warst du denn verdammt noch mal? Ich wollte jetzt egrade die Polizei informieren. Hast du dich mit deinem Freund rumgetrieben, diesem Alexander?“

Christina schüttelte langsam den Kopf.

„Ja, wo warst du denn dann?“, entgegnete Bernhard Klein aufgebracht.

„Ich... Ich weiß es nicht.“

„Wie, du weißt es nicht? Willst du mich verarschen? Oder hast du dich vollgesoffen, bis zum Blackout? Lass mich mal riechen.“

Das blonde Mädchen wich zurück. Sie wollte den Kopf schütteln, dch vielleicht hatte ihr Vater Recht. Vielleicht hattes sie sich aus Frust vor Alex` Untreue betrunken, bis sie gar nichts mehr wusste. Ihr Vater schnüffelte.

„Nein, ich rieche nichts. Also, wo warst du? Antowrte mir endlich!“

„Ich weiß es wirklich nicht!“, schrie Christina unter Tränen und rannte die Treppe rauf zu ihrem Zimmer. Sie schloss die Tür hinter sich zu und warf sich aufs Bett, wo sie weinte. Was war nur mit ihr los?

Bernhard war ihr nachgelaufen. Er hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür. „Mach sofort wieder auf! Sonst kriegst du richtig Ärger!“ Die Schläge gegen das Holz der Tür hallten in Christinas Kopf wieder. Sie wollte einfach nur noch ihre Ruhe. Sie ertrug es nicht mehr. „Na gut, wie du willst. Aber eins sag ich dir: in den nächsten Monaten bist du um Punkt sieben Uhr zu Hause, und mit deinem Freund triffst du dich ab sofort gar nicht mehr. Er scheint einen sehr schlechten Einfluss auf dich zu haben.“

Und wenn schon, dachte sich die hübsche Halbgriechin. Den wollte sie sowieso nie wieder sehen.
 

Gegen zwei Uhr nachmittags kam Christinas Vater an die Zimmertür seiner Tochter und klpfte vorsichtig an. „Darf ich reinkommen.“, fragte er mit normaler Stimme.

Oh, er ist nicht mehr sauer?, wunderte sich Christina und stand von ihrem Bett auf, in dem sie gelegen und nachgedacht hatte. „Ja, du kannst reinkommen. Ich mach die Tür auf. Moment.“

Bernhard kam langsam ins Zimmer, welches mit Postern von Evanescence und Christina Aguiliera vollgeklebt war. Er setzte sich aufs Bett und bedeutete seiner Tochter, sich neben ihn zu setzen. Er atmete einmal tief ein und aus, bevor er begann, zu erzählen. Schon bei diesem Verhalten wusste Christina gleich, dass etwas nicht in Ordnung war. „Crhistina, die Polizei hat eben angerufen. Man hat vor wenigen Stunden die Überreste von zwei Leichen gefunden. Und zwar... In der Wohnung deines Freundes Alex, weshalb man davon ausgeht, dass... Alex eine der beiden Leichen ist.“

Christina brauchte einen Moment, um zu begreifen, was sie da hörte. „Alex ist tot? Wurde er etwa umgebracht?“

„Das weiß die Polizei noch nicht, aber sie gehen von einem Verbrechen aus. Die Leichen müssen ziemlich schlimm zugerichtet sein, wobei Fremdeinwirkung noch nicht nachgewiesen werden konnte. Sie haben deine Telefonnumer bei seinen Sachen gefunden, und deshalb bei mir angerufen.“

„Und seine Eltern?“

„Die wurden informiert. Und es ist noch etwas... Janines Eltern haben bei mir angerufen, weil du ja ihre beste Freundin bist. Sie ist heute morgen nicht aufgetaucht. Sie fragten, ob sie mit dir zusammen gewesen sei, was ich verneinte. Der zweite Tote, den sie gefunden haben, war weiblich. Es wäre möglich...“

„Dass es Janine ist. Oh Gott.“ Christina wusste nicht, ob dies alles wirklich passierte, oder ob es einfach nur ein böser Traum war. Plötzlich waren zwei für sie wichtige Menschen verschwunden. Nach dem gestern wären sie sowieso für sie ein für allemal gestorben gewesen, aber... Gestorben. Ständig verliert sie Menschen aus ihrem Leben, die sie doch so nötig braucht. Das verschwinden ihrer Mutter. Der Tod ihrer geliebten Tante, der ebenfalls bis heute ungeklärt ist. Es ist schrecklich, was tagtäglich geschieht. So viele einzelne Schicksale, und alle betreffen sie.

„Christina?“, fragte ihr Vater vorsichtig. „Tina?“

Er nahm sie tröstend in den Arm. Doch obwohl er sie damit warm hielt, fröstelte es sie, und sie wusste nicht, warum.
 

Zwei Tage später, am Montag, ging die Schule weiter. Die DNA-Tests waren noch nicht ausgewertet, doch man ging inzwischen davon aus, dass die beiden Toten Alexander Merten und Janine Engstler waren. Und diese Gerüchte hatten sich rasend schnell in Stolberg verbreitet. Auch unter den Hauptschülern machte es rasend schnell die Runde. Christina betrat den Klassenraum und war von den Blicken der Mitschüler wie erstochen. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, ignorierte sie und setzte sich auf ihren Platz. Der Stuhl neben ihr war leer. Es war Janines Stuhl. Sie war normalerweise noch vor Christina da. Niemand sprach sie an, niemand fragte nach ihrem Wohlbefinden. Man sprach nicht mit ihr, sondern nur über sie. Und Christina spürte jeden einzelnen negativen Gedanken, der ungehemmt auf sie eindrang. Dankbar sah sie Herrn Hinzer an, welcher gerade die Klasse betrat. Das Getuschel verstummte zusehends, als der Lehrer seine unterrichtsmaterialien auf den Tisch legte. Er atmete einmal tief und lang ein und aus.

Dann sprach er: „Ihr habt bestimmt schon von Janines Verschwinden und dem Fund zweier Leichen gehört. Ich bitte euch, mit dem Gerede aufzuhören, solange wir nichts Genaues wissen. Es kann genausogut sein, dass es für alles eine andere Erklärung gibt, als die, die euch vorschwebt. Und jetzt,... Beginnen wir mit dem Unterricht. Schlagt alle bitte Seite. 72 im Buch auf.“
 

„Tina..“, wurde Christina auf dem Schulflur angesprochen. Sie drehte sich zu der Stimme um. Es war Katharina Feuersinger, ein befreundetes Mädchen aus der Parallelklasse. Sie war ziemlich klein für ihr Alter, hatte braune gelockte Haare, haselnussbraune Augen und eine niedliche Stupsnase.

„Hi, Katha.“, begrüßte Christina sie.

„Ich hab von der Geschichte mit Janine erfahren. Wie gehts dir?“

„Nicht gut. Können wir bitte über etwas Anderes reden? Ich will nicht ständig an sie denken müssen.“

„Klar. Hast du heute nachmittag schon was vor? Wenn nicht, könnten wir ja zusammen Eis essen gehen, wenn du Lust hast.“

„Das ist eine gute Idee. Wieviel Uhr sollen wirs denn machen?“

„Gegen drei?“

„In Ordnung, Katha. Ich komm dann so um zehn vor drei bei dir zu Hause vorbei, und dann gehen wir zusammen zu Eisdiele.“

„Einverstanden. So machen wirs.“
 

Als die Schulglocke läutete und damit das Ende der letzten Schulstunde verkündete, packte Christina ihre Schulsachen in den Rucksack und ging durch die Klassentür. Auf dem Flur begegnete sie Caroline. Sie unterhielt sich gerade mit ihren beiden ständigen Begleiterinnen über Selbstbräunungscreme, als sie die junge Halbgriechin erblickte.

„Christina, du warst am Wochenende so schnell verschwunden? War etwas nicht in Ordnung, war dir schlecht gewesen, oder was war da los gewesen.“

„Ich möchte nicht darüber reden.“, entgegnete sie knapp. Und mit dieser blöden Zicke schon gar nicht.

„Ach, ist es was Privates? Hast du Stress mit deinem Freund gehabt? Hat er dich etwa wegen einer anderen verlassen?“, fragte sie hämisch. „Ach, du Arme...“

„Nein, und jetzt lass mich in Ruhe.“ Christina wollte zum Ausgang, doch Janine versperrte ihr zusammen mit ihren beiden Freundinnen den Weg.

„Warum bist du so unhöflich? Etwa, weil ich Recht habe?“

„Gar nichts hast du!“

„Ach, und ich dachte, Janine hätte was mit ihm. Tja.“

„Du... Du weißt davon? Sie hat es dir erzählt!?“

„Das war gar nicht nötig. Jeder wusste das. Nur du hast natürlich nichts mitgekriegt, blöd wie du bist. Aber was will man auch schon von so einer aus der Arbeiterklasse erwarten? Und so scheiße wie du aussiehst, wundert es mich sowieso, wieso du überhaupt einen Freund abgekriegt hast:“

„Was bist du doch für ein Miststück...!“, erwiderte Christina wütend.

„Achte auf deine Worte. Wir wissen ja, wo du herkommst, du brauchst es nicht jedes Mal aufs Neue mit deinem Wortschatz zu beweisen. Und da wundert es dich noch, dass dich niemand leiden kann?“

„Mich kann niemand leiden? Das ist nicht wahr.“

„Du hast hier in der Schule keine Freunde, und das weißt du selbst ganz genau, wenn du ehrlich bist.“

„Natürlich hab ich die. Zum Beispiel Ja...“

„Ja, nenn mir nur fünf, ach Quatsch, drei Personen dieser Schule, die dich ansatzweise mögen.“

„Katha,...“

„Die ist ein blödes kleines Kind. Die läuft ja genau so assozial ru, wie du. Kein Wunder.“

„Die ist wenigstens lieber als du.“

„Lieber. Du redest auch wie jemand Zurückgebliebenes, und das bist du wohl auch.“

„Halt die Fresse!“, schrie Christina aufgebracht.

„Sehr schön. Mach nur wieter so. So kriegst du auch nicht mehr Freunde. Apropos: Ist deine Aufzählung schon zu Ende? Sieht etwas mager aus.“

„Sarah, Julia, Jessy...“, sprach sie schnell. Sie spürte den Schweiß unter ihren Achseln hinunterlaufen.

„Das glaubst du doch selbst nicht! Soll ich mal lachen?“

Christina wurde schwindlig. Sie lief schnell den gang die andere Richtung entlang, während sie weibliches Gelächter im Hintergrund hört. Sie lief zu Toilette und hielt sich am Rand des Waschbeckens fest. Alles um sie herum schien sich zu drehen. Nach zwei Minuten ging die Tür auf. Dort stand Caroline.

„Na, hast du dich hier verkrochen, du dummes Ding?“

„Verschwinde. Lass mich allein.“

„Na, na, nicht so unhöflich. Die Toilette ist für alle da.“

Christinas Augen funkelten gefährlich. „Verschwinde, hab ich gesagt!“

„Wie redest du denn mit mir? Beherrsch dich.“

Christinas Blut hämmerte in ihren Adern. Sie zitterte vor Wut am ganzen Körper.

„Christina, ich glaube, ich lasse dich mal wirklich alleine. Du siehst heute mal wieder schrecklich aus, allein deine Frisur. Die Haare stehen ja nach allen Seiten ab. Du solltest mal einen Friseur aufsuchen. Falls dein Geld dazu reicht.“

„Halt deine Fresse.“, stieß die junge Frau hervor. „Du bildest dir was darauf ein, dass du Geld hast, aber das hast du nur, weil deine Eltern stinkreich sind, du verwöhntes Prinzesschen.“

„Was erlaubst du dir?“

„Du fragst mich, ob ich Feunde habe? Du fragst mich, ob mich jemand mag? Dabei bist du es doch, die von niemandem geliebt wird. Die Typen sind nur geil auf deine dicken Titten, deshalb läuft dir jeder Arsch nach. Weshalb denn auch sonst? Ein Gehirn scheintst du ja nicht zu haben.“

„Jetzt reichts!“, erwiderte die Blondine empört. „Das muss ich mir wirklich nicht länger anhören, und schon gar nicht von so einer Bitch wie dir!“

„Und warum nicht? Weil es die Wahrheit ist. Du bist hübsch, du bist sexy, du hast eins chönes Gesicht, aber das war es auch schon. Ohne das un dein Geld würde sich niemand für dich interessieren. Und weißt du auch wieso?“ Bei den nächsten Worten zeigte Christina mit ihren plötlich schwarzlackierten langen Fingernägeln auf Carolines Herzgegend. „Weil tief in dir, da wo andere Menschen ein mitfühlendes Herz, nicht, überhaupt nichts ist!“ Christina schloss die ausgestreckte Hand zu einer Faust und drehte sie in der Luft herum.

Im gleichen Augenblick nahm Christina, die alles automatisch gesagt und getan hatte, den Ausdruck puren Entsetzens in Carolines Gesicht. Diese fasste sich krampfhaft an die Brust. Dann schrie sie vor Schmerzen laut auf. Ihr Blick schaute fassungslos Christina an, dann wurde er leer. Die junge Frau fiel zu Boden und blieb reglos auf den kalten weißen Fließen liegen. Die Luft stank nach Urin.

Christina ging erschöpft in die Knie. Die Energie verließ sie, und sie betrachtete den leblosen Körper am Boden. Was war das gewesen? War sie das? Wieso hatte sie eben diese ganzen Dinge gesagt, und was war das für eine Energie, die sie durchflossen hatte? Caroline bewegte sich nicht mehr. Ob sie tot war? Sie war ganz sicher tot, dass wusste Christina einfach, so wie sie im Grunde ihres Herzens auch schon gewusst hatte, dass Alex und Janine tot waren, noch lange, bevor sie vom Fund der zwei leichen erfahren hatte. Doch hatte sie selbst sie umgebracht? Wie war das möglich. Ihr war wieder so schwindlig, und sie war so müde. Die Kopfschmwerzen verstärktens ich. Wie in Trance stand sie auf und ging aus der Toilette und schließlich aus dem Schulgebäude heraus. Im Nachhinein konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, wie sie nach Hause in ihr Bett gekommen war. Als sie gegen siebzehn Uhr aufwachte, bemerkte sie mehrere verpasste Anrufe von Katharina. Sie musste das Handy überhört haben, so tief hatte sie geschlafen. Sie erinnerte sich wieder and as Geschehene. Sie betrachtete ihre Hände. Ging von ihr eine Macht aus, die andere zerstören konnte?

Sie bemerkte, dass sie wieder geweint hatte. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und wählte Kathas Nummer. Sie hoffte, dass ihr Stimme einigermaßen festklang, als sie Katha erzählte, dass sie wohl eingeschlafen sein musste und das Handy überhört hatte. Sie entschuldigte sich und Katha wollte wissen, ob alles in Ordnung sei.

„Ja, es ist alles in Ordnung.“, beteuerte sie langsam. Als sie aufgelegt hatte, begann sie erneut zu weinen.

Mitternacht

Kapitel 3: Mitternacht
 

Es war Dienstag. Christina Klein stand pünktlich um sieben Uhr morgens auf, als der Wecker klingelte. Sie ging ins Bad, wusch sich, zog sich an, aß, nahm ihren Rucksack und den Haustürschlüssel und verließ schließlich das Haus. Dies alles tat sie ohne ein Wort zu sagen, denn sie war in einer eigenartigen Stimmung. Sie wusste, dass heute kein normaler Unterricht stattfinden würden könnte, doch sie musste zur Schule gehen, als ob nichts gewesen sei, denn ansonsten würde sie sich verdächtig machen. Wenn sie dies nicht sowieso schon war. Sie wollte nicht ins Gefängnis, oder in den Jugendknast. Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, machte Schritt um Schritt, bis sie schließlich an der Stolberger Hauptschule ankam. Schon von weitem sah und hörte sie die vielen Schüler, welche vor der Schule standen, und nicht hineindurften. Der Eingang wurde von zwei kräftigen Polizisten bewacht.

Katha, welche bei den anderen Schülern stand, lief auf sie zu. „Tina, es ist etwas geschehen. Gestern wurde die Leiche eines Mädchens gefunden. Es ist Caroline Spieß.Man hat sie in der Mädchentoilette entdeckt.“

„Ach so.“, meinte Christina geistesabwesend. „Und deshalb dürfen wir nicht ins Gebäude?“

„Ja, die Schule fällt heute und morgen aus. Die Polizei sucht weiter nach Spuren. So weit ich weiß, konnte noch keine Fremdeinwirkung festgestellt werden. Aber man geht von einem Mord aus, da Caroline erstens eine junge Frau ohne irgendwelche Krankheiten war und weil ja Janine erst ermordet wurde, eine weitere Schülerin dieser Schule. Das kann kein Zufall sein. Übrigens, wenn es richtig ist, was ich aufgeschnappt habe, sind die DNA-Tests inzwischen ausgewertet. Die beiden Toten sind wirklich Janine und Alex.“

„Ich will hier nicht bleiben, an diesem Ort. Lass uns gehen.“

„Gut, Tina.“, stimmte Katharina ihr zu. „Wir können hier sowieso nichts tun.“

Bloss weg hier, dachte Christina wehmütig. Ich werde schon noch früh genug unangenehme Fragen gestellt kriegen, wenn die Anderen erst einmal ausgeplaudert haben, dass ich Streit mit ihr hatte, und dass mein Freund fremdging. Drei Tote, und für alle habe ich das passende Motiv. Na, sehr toll. Ich sollte meine Freiheit nutzen, so gut es geht, solange ich sie noch habe. Und ich sollte mit meinem Zynismus aufhören, der hatte mir noch nie geholfen.

„Wie wärs mit Inlineskaten?“, schlug das braunhaarige Mädchen vor.

„Gut, das wird mich auf andere Gedanken bringen. Ich hol meine Skates von zu Hause und bring meine Schulsachen dabei gleich weg, und du kannst das bei dir auch machen, und dann treffen wir uns in zwanzig Minuten am Skateplatz.“

„Gut, bis dann, Tina.“

Wenige Minuten darauf war Christina wieder zu Hause. Sie schloss die Tür auf, ging die Treppe hinauf in ihr Zimmer, stellte den Rucksack in die Ecke und nahm die Inliner in die Hand. Als sie wieder ins Erdgeschoss gegangen war, sich auf die unterste Stufe der Treppe setzte und die Inlinerschuhe anzog, kam ihr Bruder die Treppe hinunter.

„Was machst du da, Chris?“, fragte er irritiert.

„Ich geh mit Katha skaten. Die Schule fällt heute und morgen aus.“

„Aha.“, meinte er dazu. „So plötzlich.“

„Ja, ein Mädchen ist gestorben. Kommst du mit skaten?“

„Ich hab eigentlich keine Lust dazu.“

„Du hast zu gar nichts mehr Lust...“

„Na und? Geht dich das was an?“

„Andy, warum bist du so gemein zu mir? Früher war das alles ganz anders.“

„Ja, weil früher eben alles anders war.“

Christina stand auf und umarmte ihren großen Bruder liebevoll. Dieser stand einfach nur da. „Willst du wirklich nicht mit?“

„Nein.“

Christina löste sich wieder von ihm. „Na, dann tschüss.“

Sie schloss die Tür hinter sich. Es machte ihr viel aus, dass sie den Draht zu Andreas verloren hatte. Wie lange sollte das noch so mit ihm weitergehen?

Als sie über den Asphalt raste und die Zugwinde auf ihrem Gesicht und in ihrem Haar spürte, war sie wie in einer anderen Welt. Das war so erfrischend und gab ihr neue Kraft. Es war eine gute Idee von Katha gewesen. Auf dem Skateplatz fuhr sie mit ihr zusammen, eine halbe Stunde, bis sie nicht mehr konnten. Sie setzten sich an den grasbewachsenen Randstreifen. Das Blut pochte in Christinas Schläfen. Doch sie fühlte sich gut. Wie lange würde der Adrenalinrausch anhalten?

Katharina packte Süßigkeiten aus einem Rucksack aus, den sie mitgebracht hatte. „Hier, hab ich für uns mitgenommen. Nimm dir ruhig.“

„Oh, lecker. Dankeschön.“, grinste Christina und biss ein großes Stück von einem Schokoriegel ab. Nachdem sie mehrere verputzt hatte, meinte sie: „Also, da ja morgen die Schule immer noch zu ist, könnten wir ja mal so eine Art Pyjamaparty machen, also, dass ich bei dir übernachte. Das wär doch was, oder?“

„Ich glaube, das ist keine so gute Idee. Aber wir könnten die Party bei dir stattfinden lassen.“

„In dieser von negativen Schwingungen vergifteten Atmosphäre? Ich bin froh, wenn ich da mal rauskomme.“

„Na, ich glaube, mein Vater würde auch nicht so begeistert sein.“ Katharina lebte allein mit ihrem Vater. Katharinas Mutter war vor zwei Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.

„Also, nix mit übernachten?“, wollte Christina wissen.

Katharina schüttelte den Kopf.

„Schade.“ Sie stand langsam wieder auf. „Dann lass uns noch ein paar Runden drehen.“ Im nächsten Augenblick war Christina wieder dem Geschwindigkeitsrausch verfallen. Keine Zeit, nachzudenken.
 

Christina war auf dem Weg nach Hause. Ihr kam eine südländisch aussehende Frau Mitte dreißig entgegen. Wie angewurzelt blieb diese stehen und sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. Christina blieb irritiert stehen. „Was... ist mit ihnen? Gehts ihnen nicht gut?“

„Du...“, sagte die Frau und zeigte verheißungsvoll auf die junge Halbgriechin. „Du bist etwas Besonderes. Du hast ein Schicksal zu erfüllen.“

„Wovon reden sie bitte?“

„Ich sehs an deiner stark auflodernden Aura und ich spüre auch die Energie. Du bist sehr mächtig. Du hast eine unglaubliche Kraft in dir, der sich nur schwer einer entgegenstellen kann.“

„Davon will ich nichts wissen.“, meinte Christina knapp und drehte sich um. Sie wollte schnell weitergehen, doch irgendetwas hinderte sie daran. War es Vorhersehung, dass diese Frau sie entdeckt hatte?

„Warte.“ Die Frau schritt schnell zu dem Mädchen hin. „Wie heißt du?“

„Christina.“, entgegnete sie zögerlich.

„Mein Name ist Dilara Shakur. Ich wusste, dass ich dich treffen würde, auch wenn ich dich nicht kannte. Es war kein Zufall, sondern hatte sollen so sein. Du hast eine spezielle Bestimmung, deshalb hast du auch die Gaben, die du besitzt.“

„Das sind keine Gaben.“, meinte Christina kalt. „Das ist eine Geißel.“

„Du verstehst das jetzt noch alles nicht, das ist verständlich. Doch mit der Zeit, wirst du es verstehen. Hab Geduld. Ich weiß nicht, was dein Schicksal für dich vorgesehen hat, und die Geister werden es wohl nicht verraten, doch ich werde dir mit meinen Fähigkeiten so gut helfen, wie ich nur kann.“

„Ich brauche keine Hilfe. Ich will einfach mein normales Leben zurück! Ich... Ich will nicht mehr ständig diese Angst spüren, dass ich jemanden verletzten oder töten könnte.“

„Gerade deshalb brauchst du magische Unterstützung. Das, was du willst, kann ich dir leider nicht geben, dafür sind andere Personen da, doch ich kann dir auf andere Weise helfen, du musst es nur zulassen. Der Rest wird von ganz alleine kommen.“

„Bitte lassen sie mich in Ruhe.“

„Ich gebe dir meine Visitenkarte.“ Dilara streckte sie Christina entgegen, und diese nahm sie an. Ohne sie anzusehen, steckte sie sie in eine Tasche. „Wenn die Zeit gekommen ist, wirst du dich an mich wenden. Glaub mir, das wird schneller sein, als du denkst.“

„Wenn sie meinen, Frau Shakur. Ich für meinen Teil gehe jetzt, und will nichts mehr davon hören.“

„Du kannst nicht davonlaufen.“, rief ihr Dilara nach, als Christina sich schnellen Schritts entfernte. Du wirst schon noch verstehen, dachte sie lächelnd.

Christina ging so schnell, dass sie fast rannte. Sie hatte sich schon immer für Mysteriöses und Magie interessiert, aber tatsächlich damit konfrontiert zu werden, auf so eine Art und Weise, das hatte sie nie gewollt. Doch wenn der Stein einmal ins Rollen gebracht war, dann war er nicht mehr aufzuhalten. Das war auch ihr klar.
 

Abends lag Christina in ihrem Zimmer auf dem Bett. Sie hatt nur die Nachttischlampe brennen, und so war eine zwielichtige Atmosphäre entstanden. Der CD-Player spielte das Lied „Going Under“ von der Band „Evanescence“. Christina mochte diesen Song, es war ihr Lieblingslied. Es drückte exakt die Stimmung aus, in welcher sie sich momentan befand. Sie hörte die CD weiter, bis das Lied zu Ende war, dann schaltete sie die Anlage aus. Sie dachte nach über die Dinge, die geschehen waren. Diese eine Frau ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Da die junge Frau inzwischen selbst erfahren hatte, dass es Übersinnliches gibt, konnte sie auch nicht mehr ausschließen, dass es Schicksal oder Vorhersehung gibt. Vielleicht hatte sie ja wirklich irgendeine Aufgabe in der Welt zu erfüllen, doch sie wollte keine wahllose Schachfigur in einem Spiel sein, das sie nicht verstand.

Das blonde Mädchen stand langsam auf. Überall in ihrem Zimmer standen Figuren herum, von Elfen und von Feen. Dies war ein Hobby, welches sie schon als kleines Mädchen begonnen hatte. Schon immer hatten sie diese mystischen Wesen mit ihrer geisterhaften Ausstrahlung fasziniert. Diese Wesen aus einer anderen Welt waren ziemlich mysteriös. Man wusste nicht wirklich viel über sie. War die feinstoffliche Welt, in der sie lebten eine reale Welt, wie diese, eine Astralwelt oder einfach nur eine Traumwelt von realitätsfremden Träumern? Sie nahm ihre Lieblingsfeenfigur in die Hand. Es war eine alte keltische Skulptur aus Ton, welche einmal ihrer Mutter gehört hatte. Christina sah ihr in die geheimnisvollen Augen und schien dari zu versenken. Dann dachte sie: Ich habe so viele Fragen. Kannst du sie mir beantworten?

Dannn hatte sie ein seltsames Gefühl in ihrem Körper. Schnell stellte sie die Fee wieder auf den Schrank. Zwischen Christinas Augen, etwas höher auf ihrer Stirn, entbrannte ein heißer Schmerz. Dann sah sie plötzlich etwas im großen Spiegel, welcher gegenüber ihres Bettes stand. Es war eine dunkle Gestalt. Dann erkannte Christina, dass sie selbst diese dunkle gestalt war, oder zumindest sah sie ihr sehr ähnlich. Das Mädchen ging näher heran, ob es vielleicht nur eine optische Täuschung sei. Dann fragte sie: „Wer bist du?“

„Ich glaube, das weißt du selbst ganz genau.“

„Nein, ich weiß es nicht. Wer bist du? Was willst du von mir?“

„Ich bin du.“, entgegnete das Wesen mit einem kühlen Grinsen.

„Nein, das bist du nicht. Du bsit nicht ich!“

„Doch, das bin ich. Ich bin ein Teil von mir. Ich lebe in dir.“

„Verschwinde.“

„Das kann ich nicht, denn ohne mich kannst du nicht überleben. Ich bin deine Wut, dein hass, deine zerstörerische Energie, dein ganz persönlicher Bacchus, das Dionysische, was du nicht wahrhaben willst, was du viel zu oft unterdrückst.“

„Ich bin das nicht. Ich bringe niemanden um. Ich will niemandem etwas Schlechtes.“

„Doch das willst du, du willst es nur nicht zulassen. Wie jeder andere Mensch auf der Welt auch, hast du manchmal den Wunsch, dass anderen etwas Schlimmes zustoßen soll. Das ist ganz normal, das gehört zum Leben dazu. Es gibt kein Schwarz ohne Weiß, oder Ying ohne Yang. Du willst jedem Liebe geben, obwohl du selbst keine empfängst. Dass das nicht ewig gutgehen kann, ist logisch.“

„Ich bin ein guter Mensch. Du bist nicht wie ich.“

„In jedem Guten steckt etwas Böses und in jedem Bösen etwas Gutes. So ist es auch bei dir. Du bist keine Heilige, auch du hast Wünsche, Verlangen, und du hast Angst, und davon nicht zu knapp.“

„Sei ruhig.“

„Ich bin nicht dein Feind. Das wäre auch unlogisch. Ich helfe dir.“

„Wie willst du mir denn helfen?“

„Das wirst du sehen. Doch du musst wieder ins Gleichgewicht komme. Erkenne an, dass ich ein Teil von dir bin, dass es auch diese Seite an dir gibt, und... dass es gut so ist.“

Das Wesen verblasste und war von einem auf den anderen moment nicht mehr wahrzunehmen. Hatte sie sich das gerade eingebildet? Oh Gott, sie verlor tatsächlich langsam aber sicher den verstand! Und wenn es nicht so war?

Christina nahm nachdenklich die Visitenkarte Dilaras aus der Hosentasche und legte sie auf das Nachtschränkchen. Anschließend schaltete sie die Lampe aus und schlief ein.
 

Katharina lag in ihrem Bett. Sie konnte nicht schlafen. Ihr war kalt, denn es fröstelte sie am ganzen Körper. Sie zählte die Schläge der Kirchturmuhr, welche sie durch das leicht geöffnete Fenster hören konnte. Zwölf. Es war Mitternacht. Aus dem Flur hörte sie schwere langsame Schritte. Ein Spalt Licht fiel durch die sich öffnende Tür. Ihr Atem ging schwar. Ein riesieger dunkler Schatten kam herein. Die Tür schloss sich leise wieder und der Lichtstrahl verschwand. Sie hatte Angst, entsetzliche Angst, denn sie wusste, was nun kommen würde, sow ie jede Nacht. Schon seit sie ein Kind war, doch dies war sie im Grunde immer noch, denn irgendetwas in ihr tief drinnen war unwiederbringlich zerstört worden, was sie daran hinderte, erwachsen zu werden, obwohl sie es gerne wäre, denn Erwachsene können sich wehren, Kinder nicht.

Sie vernahm lautes Atmen. Der Mann näherte sich ihr, sie spürte die Hitze nah an seinem Hals. Ihr Körper verkrampfte sich unter unter seine ersten Berührung. Seine große fleischige Hand fuhr unter die Decke, über ihren Körper, ihre zarten Rundungen, berührte sie überall. Wie konnte er das ihr nur antun, seinem eigenen Kind? Doch Katharinas Geist hatte sich schon abgeschaltet, wie sie es jedes Mal tat. Dies alles geschah nicht ihr, sondern einem armen bedauernswerten Mädchen. Dieses Mädchen tat ihr von ganzem Herzen Leid. Sie konnte sich gut vorstellen, wie es leiden musste, wie es schreckliche Schmerzen litt, als ihr Schenkel gewaltsam auseinandergerissen wurden und dieser fette behaarte Mann rücksichtslos in sie eindrang. Sie fühlte echtes Mitleid mit diesem Wesen. Erst als alles vorbei war, als sein Schnaufen ruhiger wurde und sie wieder alleine war, war sie wieder Katharina. Sie dachte nicht mehr an dieses arme Mädchen, sondern schlief schnell ein, doch in ihren träumen durchlebte sie ihr Martyrium immer wieder aufs Neue, denn vor ihrem Unterbewusstsein konnte sie nicht fliehen.

Du lebst

Kapitel 4: Du lebst
 

Christina wurde gegen acht Uhr durch die Sonnenstrahlen geweckt, die in ihr Zimmer fielen. Es hatte gut getan, mal ausschlafen zu können. Wieder fragte sie sich, ob die seltsame Begegnung gestern abend nur ein Traum gewesen war, oder ob es tatsächlich geschehen war. Sie nahm die Visitenkarte von Dilara Shakur vom Nachttisch. Sie schlich die Treppe hinunter und ging zum Festnetzanschluss. Schließlich wählte sie die Nummer, bevor ihr einfiel, dass es vielleicht noch viel zu früh am Tag war, um jemanden anzurufen. Im nächsten Augenblick wurde abgehoben.

„Hallo, Christina.“, begrüßte sie die Frau freundlich.

„Woher... woher wissen sie, dass ich es bin.“

„Das Telefon strahlte deine unverwechselbare Aura aus, deshalb wusste ich es. Außerdem habe ich schon deinen Anruf erwartet.“

„Also, was ich sagen wollte, ist... Es ist gestern abend etwas sehr Seltsames geschehen. Ich möchte mich gerne mit ihnen darüber unterhalten. Unter vier Augen, nicht hier am Telefon.“

„Natürlich. Du kannst so in circa zwei Stunden zu mit kommen.“

„Gut, das werde ich machen.“

Frau Shakur erklärte Christina noch genau, wo sie wohnte, und wie sie da hinkam. Danach verabschiedete sie sich und legte auf.

Schließlich ging Christina duschen, essen und zog sich an. Ihr Vater war seit ungefähr fünf Stunden mit dem Lastkraftwagen unterwegs, er hatte Nachtschicht. Andreas lag noch in seinem Bett und freiwillig würde er wohl vor elf Uhr nicht aufstehen. Christina zog ihre Inliner an, steckte den Haustürschlüssel in die Hosentasche, packte die normalen Schuhe in einen Rucksack und zog ihn sich auf den Rücken. Sie wollte gerade los, als es an der Haustür klingelte. Christina öffnete sie.

Im Eingang stand ein junger Türke, großgewachsen, schlank, sehr gutaussehend. Seine weißen Zähne blitzten zwischen hellbraunen weichen Lippen auf, als er zu sprechen begann: „Guten Morgen. Ist Andreas da?“

„Äh..., ja. Er ist oben, aber ich glaube, er schläft noch.“

„Das macht nichts.“ Der Junge ging an Christina vorbei und zielstrebig auf die Treppe zu, welche ins obere Stockwerk führte. „Ich bin übrigens Berkan.“

„Aha. Ich bin Christina.“

„Seine kleine Schwester. Ich weiß.“ Berkan drehte sich um und ging die Stufen hinauf.

Christina sah auf ihre Armbanduhr. Sie hatte es eilig, zu Frau Shakur zu kommen. Allem Anschein nach kannte Andreas diesen Typ, also würde er bestimmt nichts klauen oder so. Es gibt ja auch nicht wirklich etwas zu holen. Also schloss Christina die haustür hinter sich und fuhr los.
 

Kurz nach zehn Uhr morgens stand die hübsche Halbgriechin vor einem schmiedeeisernen Gittertor. Sie drückte die Klingel. Kurz darauf ertönte das Geräusch., welches Christina wissen ließ, dass sie das Tor nun aufdrücken musste. Anschließend ging sie über einen schmalen weg, welcher durch einen Garten führte. Die Haustür zu dem kleinen älteren Häusschen stand offen. Sie trat ein. Ein geschmackvoll eingerichteter Flur mit okkulten Symbolen führte zu einem kleinen abgedunkelten Zimmer. Nur ein paar Kerzen brannten drinnen und es roch nach Olibanum.

„Hallo, Christina. Setz dich.“, sprach Frau Shakur, welche auf einem Stuhl an einem runden Tisch saß.

Christina setzte sich auf den anderen Stuhl, direkt gegenüber. Links auf dem Tisch brannte eine große Chakrakerze, welche alle Spektralfarben besaß.

„Also, es geht um Folgendes...“, setzte Christina zu sprechen an.

„Ich weiß schon, du hast Angst:“, redete Dilara in ernsthaft jovialem Ton.

„Nein... Also, schon. Lassen sie mich erst erzählen.“

„Erzähl nur.“ Die Südländerin lächelte.

„Also, da war gestern plötzlich so ein Wesen, und das war irgendwie ich, also nicht wirklich ich, aber schon angeblich ein teil von mir. Es ist auf jedne Fall Schuld daran, dass ich, also eigentlich es, ich wieß nicht genau, drei Menschen getötet habe. Ich habe Angst, dass es wieder geschieht. Wie kann ich es aufhalten?“

„Ich weiß, dass du Angst hast, aber du sollst es nicht aufhalten. Du darfst dieses Wesen nicht bekämpfen, denn wie du bereits sagtest, es ist ein Teil von dir. Aber du darfst es auch nicht die Oberhand gewinnen lassen, denn wenn es dich kontrolliert, dann wird es tatsächlich weiterhin irgendwelche Leute töten. Du hast eine starke Macht, und du musst sie in die richtigen Bahnen lenken.“

„Ja, wie denn? Was kann ich tun?“

„Es gibt kein patentrezept, aber ich werde dich unterstützen. Dass du dieses Wesen gestern sehen konntest, daran war ich sozusagen dran Schuld. Nach der Begegnung mit dir habe ich mich selbst mit der Geisterwelt unterhalten, und so habe ich einiges erfahren. Auf jeden fall war es wichtig, dass du mit diesem Wesen sprichst. Deshalb habe ich gestern abend sehr stark meditiert und meine Energien zu dir geschickt, und so ist es mir gelungen, dein Stirnchakra zu stärken und dein drittes Auge hat sich deshalb für einige Minuten geöffnet. Aus eigener Kraft hättest du es noch nicht geschafft, denn du bist noch nicht soweit. Durch das dritte Auge konntest du die feinstoffliche Welt wahrnehmen und somit auch dieses Wesen.“

„Und was war das jetzt genau für ein Wesen?“, wollte Christina wissen.

„Das ist schwer zu erklären. Es ist ein teil von dir, der sich verselbstständigt hat, weil du ihn nicht ausgelebt hast, obwohl diese Veranlagung ganz klar in dir drin ist. Und so hast du ohne es zu wollen ein sehr mächtiges Elemental erschaffen. Jeder Mensch erschafft unbewusst, in seltenen Fällen bewusst, Elementale, doch die sind so gut wie nie so stark wie deines.“

Christina war fast noch verwirrter als zuvor. „Was ist denn ein Elemental?“

„Das ist schwer zu erklären. Es ist bestimmte Energie eines Lebewesens, ein Wunsch, eine Angst, ein bestimmtes Gefühl, oder sonst irgend etwas, was selbst zu einem Wesen wurde, zu einem feinstofflichen Energiewesen. Deine sind allerdings etwas besonderes. Elementale können sich normalerweise nicht mit jemandem anderen unterhalten.“

„Und ausgerechnet mein Elemental muss so durchdrehen. Na toll. Moment, sagtest du Elementale?“

„Ja. Du hast bis jetzt nur die eine Seite kennen gelernt. Du hast noch ein anderes sehr starkes Elemental. Ein sehr positives Elemental. Aber das musst du selbst rausfinden. Es geht jetzt um etwas Anderes. Gestern, als ich in den anderen Sphären schwebte, bin ich jemandem begegnet. Deshalb bist du hier. Ich werde den Kontakt zwischen euch zwei aufbauen.“

Christina war erst einmal total perplex. Was würde jetzt geschehen? „Wird ein Geist zu mir durch dich als Medium sprechen?“

„Nein., Christian.“, entgegnete Frau Shakur ruhig. „Du wirst selbst mit dieser Seele sprechen. Ich werde dein drittes Auge erneut öffnen. Deshalb ist es gut, dass du hier bist. Bleib ganz ruhig. Ich werde dich mit meiner Energie stärken.“

Dilara Shakur fasste Christina am Arm an und ließ die hand darauf ruhen. Sie hatte die Augen geschlossen. Christina spürte, dass die Stelle, an welcher Dilaras hand ruhte, warm wurde. Dann fühlte sie, wie die Wärme durch ihren ganzen Körper fuhr und in der Mitte ihrer Stirn explodierte ein heftiger Schmerz. Es brannte wie Feuer.

Im nächsten Augenblick sah Christina sich im Raum um. Ein feuriger Lichtschein schien um den ganzen Raum, ja, um das ganze Haus gelegt zu sein, dies fühlte Christina, obwohl sie das ja nicht sehen konnte. Was sie jedoch sah, war ein starkes violettes Strahlen, welches von Dilara ausging. Sie sah an sich hinunter. Sie selbst strahle in loderndem Rot. Sie sah wieder auf. Eine Frau Mitte vierzig war plötzlich da. Sie hatte braune Haare und gütige dunkelbraune Augen. Christina kannte diese Person.

Tränen liefen ihr aus den Augen, als sie sprach: „Tante...“

„Christina...“, entgegnete Christinas Tante.

„Wie kann das sein...? Du bist doch...“

„Ja, ich bin gestorben, Christina, doch du sollst wissen,d ass ich dich immer noch sehr lieb habe und immer liebhaben werde...“

„Ich hab dich auch lieb...“

„... und dass ich immer auf dich aufpassen werde. Ich bin ständig in deiner Nähe. Ich war nie fort, du hast mich nur nicht mehr gesehen.“

„Tante...“

„Aber dafür ist jetzt keine Zeit. Du hast wichtige Dinge zu erledigen. Es gibt böse Mächte, gegen die du kämpfen musst.“

„Ich alleine?“

„Nein, es sind viele auf unserer Seite, doch der Feind ist gefährlich. Mein Tod war kein Zufall. Ich wurde von diesen Leuten umgebracht.“

„Was? Wer war das? Das werden sie büßen!“

„Ich weiß nicht, wer genau es war, und ich kann dir jetzt nicht alles erklären. Ich spüre, dass deine spirituelle Energie noch zu schwach, um längere Zeit auf der Atraleben zu bleiben. Es gibt jemanden in der Welt der Lebenden, der dir weiterhelfen und mehr erklären kann. Diese Person musst du finden. Es ist deine Mutter Keriakoulla.“

„Mama? Wie kann ich sie finden?“

„Du musst nach griechenland, danach wirst du sie mithilfe deiner Kräfte schon finden.“

„Aber diese Feinde, wer sind sie? Tante...?“

Die Frau war plötzlich wieder weg. Christina spürte, dass sie wieder angekommen war. Dilara zog ihre Hand weg.

„Das war anstrengend. Ich hoffe, du hast erfahren, was du wissen wolltest.“

„Ich will wieder mit ihr sprechen! Mach wieder,d ass ich mit ihr sprechen kann!“, flehte Christina.

„Das geht jetzt nicht. Ich muss mich erst erholen. Das hat mich sehr viel Energie gekostet. Aber es gibt noch zahlreiche andere Möglichkeiten, mit der Geisterwelt in Verbindung zu treten, auch ohne das dritte Auge. Pass auf.“ Dilara nahm aus einer Schublade eines Schränkchens hinter ihr eine metallene Kette heraus, an deren Ende sich ein Edelstein mit Mteallspitze befand. Sie gab es Christina in die Hände. „Das schenke ich dir.“

„Danke, das ist sehr hübsch, aber wie kann mir das helfen?“

„Das ist ein Pendel. Ich werde dir zeigen, wie es funktioniert.. Nimm es mit den Fingern am Ende der Kette. Ja, genau so. Und jetzt sag: Zeig mir ein Ja.“

„Zeig mir ein Ja!“ Die Pendel schwang rund.

„Zeig mir ein nein.“ Das Pendel änderte sofort die Kreisbewegung und ging nun hin und her.“

Dilara fragte nun: „Liebst du Jesus Christus?“ Das Pendel ging im Kreis. „Das ist sehr wichtig, das zu fragen, denn wenn es nein gegangen wäre, hätte man sofort aufhören müssen und hätte es vielleicht in einer halben Stunde wieder versuchen können, denn dann wäre ein Dämon oder ein anderes niederes Geistwesen drangewesen.“

„Bist du meine Tante?“ Das Pendel ging hin und her. „Das bringt mir nicht. Erstens ist das nicht meine Tante und zweitens kann das nur ja und nein.“

„Nimm das Pendel mit, du wirst es noch brauchen, beispielsweise um etwas auszupendeln. Aber ich zeig dir jetzt noch etwas Anderes: Das Gläserrücken. Das ist nicht so ungefährlich, aber ich habe Erfahrung damit und ich habe auch dne doppelten Lichtkreis um uns gelegt. Uns wird nicht passieren. Mann macht es am besten nicht allein, sondern zu dritt. Aber es muss jetzt eben zu zweit gehen. Warte einen Moment.“ Dilara stand auf und kam kurz darauf mit einem Glas und Buchstaben und einem Plus und Minus zurück. Die Zeichen ordnete sie im Kreis auf dem runden Tisch an. Das Plus und das Minus kamen links und rechts von der Mitte hin. Dann stellte sie das Glas umgestülpt auf die mitte des Tisches.

„Hast du Angst, Christina?“

„Konischerweise momentan nicht mehr.“, antwortete sie wahrheitsgemäß.

„Das ist gut, sonst hätten wir es nicht machen können. Angst zieht negative Energien und Wesen an. Also, lege deinen Finger ganz leicht auf das Glas.“ Christina tat es, während Dilara es ebenfalls tat. „Zeige, dass du Gott und seine Engel anerkennst und nur ihm dienst. Mache dazu ein Zeichen.“

Christina bemerkte evrwundert, dass sich das Glas bewegte, ohne dass sie schob. Das Glas bewegte sich in Kreuzesform.

„Gut. Auch hier ist es wichtig, zu fragen. Und was ebenfalls wichtig ist: Wenn mal ein böser Geist dran ist, darf man das Glas nicht einfach umwerfen. Viele Leute machen diesen Fehler und stellen das Glas einfach um, weil sie erschrecken. Und dann haben sie den geist blöderweise im Haus und den kriegt man so schnell nicht mehr raus. So, und jetzt frag du, was du wissen willst.“

„Na gut. Ich wills versuchen. Bist du meine Tante?“ Das Glas bewegte sich zum Minus. Christina versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. „Was ist die Aufgabe, die ich habe? Was sind das für böse Mächte?“ das glas blieb still.

„Das dürfen sie dir nich sagen?“

„Warum?“

„Ich weiß es nicht. Einige Dinge dürfen die Geister nicht sagen.“

Christina seufzte auf. „könnt ihr mir sonst irgendetwas sagen?“

Das Glas bewegte sich zu den buchstaben. Nacheinander ergaben sie ein Wort.

H-I-L-F-E

„Hilfe? Wer braucht Hilfe?“

F-R-E-U-N-D

„Freund? Welcher Freund?“

K-A-T-A-R-I-N-A

„Katha? Oh Gott. Was ist mit ihr?”

G-E-F-A-H-R

„Was ist diese Gefahr? Woher kommt sie?“

V-A-T-E-R

„Ihr Vater? Was macht er? Wie kann ich ihr helfen?“

H-I-L-F-E

„Ja, das weiß ich auchs chon. Hilfe, hilfe. Aber was soll ich tun?“

K-A-T-A-...

Christina wurde ungeduldig. „Wie soll ich ihr helfen?“

H-I-L...

„Ach, es hat keinen Sinn mehr. Die geben ja doch keine vernünftige Antwort mehr! Ich muss jetzt zu Katha. Irgendetwas ist mit ihr. Ihr Vater ist eine Gefahr für sie. Ich muss ihr helfen.“ Das Glas ging im Kreis. „Was ist ejtzt los?“

„Nichts, der Geist geht nur wieder. Ja, ich glaube auch, dass deine Freundin in Gefahr ist.“

„Ich geh sofort zu ihr. Nein, ich ruf sie an, und treff mich mit ihr irgendwo. Ich weiß nicht, was passiert, wenn ihren Vater sehe.“

„Ja, tu das. Und wenn du was wissen willst, werde ich dir gerne weiterhelfen, Christina.“

Christina sah sie an und lächelte. „Vielen Dank, Frau Shakur. Für alles.“

Dann verließ Christina das Häusschen wieder, rief Katha mit ihrem Handy an und verabredete, dass sie sich am Stadtbrunnen treffen würden.

Secret Live

Kapitel 5: Secret Live
 

Christina saß auf der steinernen Einfassung des Stadtbrunnens. Die Sonne schien hell, Vögel flogen zwitschernd durch die Luft und eine erfrischene Brise wehte. All diese schönen Dinge, an denen Christina immer eine wahre Freude hatte und sie mit vollen Zügen genoss, nahm sie nun fast gar nicht wahr. Tausend Dinge schwirrten ihr durch den Kopf. Sie hatte zu viele Informationen auf einmal erhalten. Der Kontakt mit ihrer Tante, die Aussicht darauf, ihre Mutter wieder zu treffen, die Angst um Katha. Das Mädchen wusste nicht, ob sie weinen oder lachen sollte.

Nach einigen Minuten Wartezeit, in denen Christina viel nachgedacht, zu viel nachgedacht, Vermutungen angestellt und sich regelrechte Horrorszenarien ausgedacht hatte, kam fröhlich wie immer Katha angeschlendert. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass der Ausdruck der leichten Unbeschwertheit, den das braunhaarige Mädchen immer trug, vielleicht nur eine Maske war, um sich zu schützen. Wie leicht oder schwer würde diese Fassade brückeln?

„Hi, Tina!”, begrüßte diese sie nun. „Na, alles fit? Du hattest dich ja ziemlich ernst am Telefon angehört. Ist etwas Schlimmes passiert?“

„Ja, Katha, ich glaube, es ist etwas Schlimmes passiert.“, entgegnete Christina ernst, während Katharina sich nun schlagartig beunruhigt neben sie setzte. „Ich weiß nicht, was dieses Schlimme ist, doch ich hoffe, du kannst es mir sagen.“

„Ich, lautete die verwunderte Antwort. „Worum geht es denn? Ich glaube nicht, dass ich dir weiterhelfen kann. Ich wüsste nicht, womit.“

„Ich hoffe doch, denn es geht um dich. Wie soll ich es ausdrücken?“ Ihr fiel es sehr schwer, darüber zu sprechen, einen schrecklichen Verdacht laut auszusprechen. „Dein Vater... Behandelt er dich immer gut?“

Katha setzte sich kerzengearde auf und ihr Gesichtsausdruck zeigte Argwohn. „Natürlich! Mein Vater behandelt mich immer sehr gut. Er liebt mich. Er liebt mich über alles. Ich habe einen großartigen Vater.“

„Hat er dich schon mal geschlagen, oder...“

„Wie kommst du denn plötzlich auf solche Dinge?“

„...oder hat er dich vielleicht... angefasst...“

„Tina!“, fuhr Katha augenscheinlich ärgerlich werdend zu einer Antwort auf. „Mein Vater hat mich sehr sehr lieb, und ich ihn auch. Und dies zeigen wir uns auch gegenseitig, dabei ist überhaupt nichts Schlimmes, wenn ein Vater mit seiner Tochter kuschelt.“

Christina spürte, dass Katha nicht die Wahrheit sagte, sie fühlte ebenfalls eine Angst Kathas, die Christina erschauern ließ. Dann wurde sie wütend. „Mein Gott, Katha! Sei doch nicht so naiv! Mach dir nichts vor! Du bist fünfzehn Jahre, also alt genug, den Unterschied zu erkennen! Es gibt Dinge, die sind ganz normal bei einer Vater-Tochter-Beziehung, und es gibt Dinge, die sind nicht normal, und die gehören in eine solche Beziehung nicht hinein!“

Katha stand abrupt auf. „Tina, das hätte ich wirklich nicht gedacht von dir! Wir haben eben eine sehr innige Beziehung, seit meine Mutter verstorben ist! Das müsstest du eigentlich verstehen, doch du bist nur neidisch auf mich, weil die Beziehung zu deinem Vater so scheiße ist, und du kannst es nicht ertragen, wenn andere Leute glücklich in ihrer Familie sind! Doch eins sag ich dir, Tina! So eine starke Bindung, wie ich zu meinem Vater habe, und er zu mir, die kannst auch du nicht kaputtmachen, und wenn du dich noch so sehr anstrengst!“

Katha drehte sich um und wollte fortgehen. Christina erschrak. Sie durfte sie nicht einfach so gehen lassen. Sie wollte ihrer Freundin helfen, denn sie hatte sie sehr lieb. Dieser Wunsch zu helfen, brannte ganz tief in ihr. Sie fühlte die Wärme regelrecht in ihrer Brustmitte. Christinas glatte lange Haare veränderten sich zu wunderschönen geschwungenen Locken. Die Wärme der Nächstenliebe erfüllte sie im ganzen Körper, bis hin zu den Fingerspitzen, in denen es kribbelte. Sie fühlte sich leicht wie eine Elfe oder ein Fee und bewegte sich so schnell und fast schwebend zu Katha hin, als ob kein Zeitverlust bei dieser Bewegung entsstandne wäre, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Christina dachte nicht mehr nach, sie fühlte nur noch. Sie war nicht mehr sie selbst, oder vielleicht doch mehr als jemals zuvor. Unterbewusst wusste sie, dass dies das zweite starke Elemental war, von der Dilara gesprochen hatte.

Das wallende Haar pulsierte vor Energie. Liebevoll umschloss Christina Katharina mit beiden Armen. Die Energie der Liebe umfing Katharina und sie spürte, dass sie bedingungslos und aus vollem Herzen geliebt wurde. Sie wusste, dass das, was ihr Vater tat, keine Liebe war. Sie brach in Tränen aus. Sie hatte sie lange zurückgehalten, so viele Jahre. Jetzt konnte sie ihren Gefühlen und ihrem Schmerz endlich Ausdruck verleihen. Christina drückte sanft Katharinas Haupt an ihre Schulter, wo sie sich ausweinen konnte. Es tat so gut, die Emotionen zuzlassen. „Ja, so ist gut, Katha. Lass es raus. Lass alles raus.“

Nach mehreren minuten war Katharina einigermaßen wieder in Ordnung. Jetzt gab es kein zurück mehr, sie musste die Wahrheit zulassen und sie akzeptieren. Zusammen mit ihrer freundin setzte sie sich wieder auf den rand des Brunnens. Sie wartete weitere minuten, doch sie wusste, dass Tina ihr alle Zeit lassen würde, die sie brauchte. Dann begann sie schließlich: „Er... Er tut es jede Nacht. Jede gottverammte Nacht, seit ich weiß nicht mehr wie vielen Jahren. Es ist niemand da, der mir hilft, den ich um hilfe anflehen könnte. Er sagt, er liebt mich, er liebt mich so sehr, dass er es mir jede Nacht aufs Neue beweisen will. Ich könnte froh sein, dass ich so einen lieben Vater habe, und dass er das tut, was alle Väter tun, die ihre Töchter lieben, doch von denen gebe es in der heutigen Zeit zu wenig. Ich darf niemandem davon erzählen. Es ist unser Geheimnis. Er liebt mich so sehr, dass er in mir sein will.“

Das Mädchen schämte sich. Sie konnte Christina nicht in die Augen sehen. Sie sah zu Boden. Auf dem Boden lag ein plattgetretener dreckiger Kaugummi. So fühlte sie sich auch. Sie wartete wieder eine kurze Zeit, bevor sie kurz Luft holte und erneut zu sprechen begann.

„Ob ich ihn denn nicht lieben würde? Eine gute Tochter muss ihren Vater lieben. Und sie darf niemals etwas einem Außenstehenden erzählen. Viele Menschen würden es nicht verstehen. Sie würden ihn einsperren, und ich würde ihn nie wieder sehen. Ob ich das denn wolle? Er ist nicht sanft. Er ist brutal. Er denkt gar nicht an mich, er denkt nur an sich. Wie er sein Fleisch immer in mich reinstößt! Ich glaube, das ist auch der Grund, warum ich nicht sein kind in mir trage. Ich werde wohl nie irgendein Kind mehr in mir tragen können. Manchmal muss ich ihn auch anfassen. Ich muss ihn streicheln, und er streichelt mich. Da unten. Doch auch wenn dies fast noch zärtlich beginnt, wird es kurz darauf immer fester uns stärker. Immer weiter, er hört erst auf, wenn er bekommen hat, was er will. Das Schlimmste ist, wenn ich ihn in den Mund nehmen muss. Und wenn ich nicht artig bin, dann setzt es eine Tracht Prügel. Das habe noch keinem geschadet und es forme den Charakter. Doch wenn es so weit ist, dann bin ich schon längst weg. Ich sehe nur zu. Ich bin eine unbeteiligte Zuschauerin, als ob ich fern sehe. Es geschieht mir, doch irgendwie auch nicht.“

Christina schwieg. Sie zog Katha an sich und hielt sie tröstend umfangen. Katha hatte sich shcon lange nicht mehr so gut gefühlt. Endlich war es raus. Endlich. Der Alptraum würde zu Ende gehen. Raus aus dem Geheimen!

Die Energie war noch immer spürbar, doch Christina war nun wieder ganz sie selbst. Was hatte das zu bedeuten? Warum sollte ausgerechnet sie ihr helfen? Nur, wiel sie die Freundin war? Und wie sollte sie es tun? Sollte sie ihn mit ihren Kräften vernichten, wie sie es mit Janine, Alex und Caroline getan hatte? Sie griff mit ihrer linken Hand in ihre Hosentasche und nahm das Pendel hervor, welches Frau Shakur ihr geschenkt hatte. Sie hielt es in ihren Fingern und vergewisserte sich, dass sie mit beiden Füßen den Erdboden berührte. Dann fragte sie in Gedanken, ob sie Kathas Vater vernichten solle. Das Pendel schwang hin und her. Das war eindeutig, sie sollte ihn nicht umbringen. Christina steckte ihr Pendel wieder ein. Er musste angezeigt werden! Er würde verurteilt werden und ins Gefängnis kommen. Wenn die Gerüchte stimten, die man so hört, waren Kinderschänder nicht besonders beliebt im Knast und man würde ihm das Leben zur Hölle machen. Dies konnte Christina nur hoffen.

„Katha, du musst ihn anzeigen.“

„Ich hab Angst, Tina.“, sagte sie leise.

„Gerade deshalb musst du es tun. Damit du endlich mal keine Angst mehr zu haben brauchst. Nie mehr.“

„Ich kann da nicht. Du musst es tun. Zeig du ih an!“

„Nein, tu es selbst. Wir tun es zusammen. Mir werden sie vielleicht nicht glauben.“

„Ich kann nicht. Das ist zu viel für mich. Ich würde es nicht durchstehen, alles zu erzählen.“

„Du musst. Mir hast du es ja jetzt auch erzählt.“

„Das ist was Anderes. Außerdem werden die wollen, dass ich alles, wirklich alles erzähle, in den kleinsten Einzelheiten. Das ist so widerwärtig. Ich möchte mich nicht daran erinnern.“

„Er muss endlich bestraft werden, Katha!“

Katharina stand auf und ging los. „tu du es für mich. Bitte.“

„Du wirst so oder so aussagen müssen.“

„Ich muss nach Hause. Er wird misstrauisch werden, wenn ich nicht bald zurückkomme.“

Christina stand ebenfalls ruckartig auf. „Das ist nicht dein Ernst! Du willst doch nicht etwa jetzt zu ihm gehen, nach allem, was er dir angetan hat!“

„Ich bin daran gewohnt. Zeige ihn an, dann wird er noch heute abend wegkommen. Ich kann nicht mehr. Du musst dene rsten Schritt tun. Wenn er erst mal weg ist, bin ich vielleicht stärker.“ Katharina lief los.

„Nein, Katha, bleib hier!“ Christina wollte hinterher, doch da sah sie, dass es zu spät sein würde. Katha war schon zu weit weg.
 

„Ich möchte eine Anzeige machen.“

„Setzen sie sich bitte. Wie ist ihr Name?“

Die blonde junge Frau setzte sich auf einen unbequemen großen Stuhl vor einem unaufgeräumten Schreibtisch. Der etwa vierzigjährige Polizist mit Dreitagebart nahm einen block hervor und setzte mit einem Kugelschreiber zu schreiben an. Er hatte einen müden Gesichtsausdruck.

„Ich heiße Christina Klein. Ich wohne in Stolberg-Büsbach.“

Nachdem sie dem Beamten Auskunft darüber gegeben hatte, wo genau sie wohnte, wie die Telefonnummer sei und so weiter, kamen sie schließlich zum Wesentlichen.

„Worum geht es denn genau, Frau Klein?“

„Es geht um meine Freundin Katharina Feuersinger.“

„Alter, Adresse?“

„Sie ist fünfzehn Jahre alt. Die Adresse ist Meisenweg 14c.“ Der Polizist schrieb gelangweilt mit. „Sie wird seit Jahren tagtäglich von ihrem Vater sexuell missbraucht.“

„Wie kommen sie zu dieser Vermutung? Welche Anzeichen gab es?“

„Sie hat es mir selbst gesagt.“

„Wieso macht sie die Anzeige nicht selbst?“

„Sie hat Angst, und deshalb hat sie mich gebeten, dies zu tun.“

„Aha. Und was sollen wir ihrer meiner nach nun tun?“

Christina sah ihn missmutig an. „Sie sollen ihn verhaften.“

„Wir können niemanden auf bloßen Verdachts unbeteiligter Dritter, welche dazu noch minderjährig sind, verhaften.“

„Sie werden also nichts unternehmen?“, fragte Christina ungläubig.

„Doch, natürlich. Wir sind verpflichtet jedem Hinweis nachzugehen. In einer der nächsten paar tage werden wir die Sache genauer untersuchen.“

„In einem der nächsten Tage? Wie können sie es verantworten, dass bis zu diesem Zeitpunkt dieses Mädchen weitere Male vergewaltigt werden wird?“

„Nun mal langsam mit den jungen Pferden...“

„Gar nichts! Wenn sie auch nur noch einen einzigen tag warten, und es zum Schaden meiner Freundin ist, ich schwöre, ich werde jedes einzelne Detail ihres handels an die Presse weiterleiten, und dann werden sie schon sehen, was sie davon haben!“

„Was erlauben sie sich? Die Polizei lässt sich nicht erpressen. So machen sie es nur noch schlimmer, anstatt ihrer Freundin zu helfen.“

„Jede Sekunde zählt. Warum verstehen sie das denn nicht?“ Christina sah ihn eindringlich an.

„Na gut. Ich werde zwei Kollegen hinschicken, sobald hier jemand etwas Zeit hat. Wir werden uns noch heute darum kümmern. Sind sie jetzt zufrieden.“

„Danke.“, entgegnete Christina erleichtert. Sie stand auf. „Auf Wiedersehen.“
 

Christina öffnete die Tür zu ihrem Zuhause. Hoffentlich würde alles gutgehen. Arme Katha. Es war unmöglich, sich vorzustellen, was sie alles durchgemacht haben musste. Doch das würde nun endlich vorbei sein.

„Wo warst du denn die ganze Zeit?“, begrüßte sie Bernhard Klein sofort.

„Bei Katha. Du, Papa, ich brauche Geld.“

„Was? Wofür brauchst du denn Geld? Und wieviel?“

„Soviel, wie man braucht, um mit dem Bus von Büsbach zur Stadtmitte von Stolberg zu fahren, danach mit der Bahn nach Aachen, oder wo der nächste Flug nach Griechenland geht, und dann das Geld für den Flug. Ich schätze, so ein paar hundert Euro.“

„Ist das jetzt ein Witz, oder was? Ich eb dir garantiert keine paar hundert Euro, damit du allein ins Ausland fliegts. Was willst du denn da?“

„Ich muss zu Mama.“

„Niemand weiß, wo deine Mama ist, nicht mal ist. Vielleicht hält sie sich nicht mal mehr in Griechenland auf. Und wie willst du sie da finden? In griechenland wohnen über elf Millionen Menschen!“

„Ich werde sie finden, vertrau mir.“

„Ach, weil die Christina Klein es sich in den Kopf gesetzt hat, findet sie jemanden, der nicht gefundne werden will? Du bleibst hier, und fertig.“

„Ich muss sie finden! Unbedingt!“

„Dann sag mir doch, warum.“

„Das kann ich nicht, du würdest es sowieso nicht glauben.“

„Dann kriegst du auch kein Geld, Christina. Weißt du eigentlich, wie teuer das ist? Und du musst hier zur Schule. In einem fremden Land, ganz allein, eine kleine Bareschesserin. Du machst dir was vor, mein Mädchen.“

„Ich muss da hin, und ich werde auch dahin kommen! Koste es, was es wolle!“ Christina lief die Stufen der Treppe hinauf.

„Christina!“, rief ihr der Vater nach, doch sie ignorierte ihn. „Dein Verhalten gefällt mir überhaupt nicht, in letzter Zeit. Kommst und gehst wie du willst! Meinst du, ich hab Lust, irgendwann deine Leiche aus dem Münsterbach zu fischen? Du hast wohl schon vergessen, dass in den letzten tagen drei Jugendliche umgebracht worden sind. Büsbach ist nicht mehr sicher. Drei Jugendliche innerhalb weniger Tage, in einem Ort mit gerade mal knapp über 7000 Einwohnern! Christina, ich hab doch Angst um dich, verstehst du das nicht?“

„Das brauchst du nicht, Papa.“, rief die hübsche Halbgriechin von oben runter. „Ich kann schon ganz gut auf mich selbst aufpassen, glaub mir.“

Andreas kam aus seinem Zimmer heraus. Er schien endlich mal gute Laune zu haben, seit langer Zeit wieder. „Na, Tinchen. Bist du nicht mehr brav.“, neckte er sie.

„War ich noch nie, falls dir das nicht aufgefallen ist.“, gab sie frech zur Antwort. „Du scheinst ja heute besser drauf zu sein. Machen wir was zusammen?“

„Jetzt? Ich weiß nicht. Ich wollte mich noch mit jemandem treffen. Aber bald mal wieder, Schwesterchen.“

„Gut.“ Christina ging in ihr Zimmer. Sie wollte nicht im Zimmer bleiben. Es war noch genug Zeit heute. Plötzlich hörte sie eine Stimme. Sie war sich erst nicht ganz sicher, doch sie fühlte es. Es war die Stimme ihrer Tante, ganz schwach. Dass sie nun schon hellhörig wurde, war ein gutes Zeichen für die Entwicklung ihrer Kräfte. Die Stimme sagte: „Du brauchst Kraft. Der Kampf wird hart. Sammle neue Kraft. Ein kraftort. Die Kirche...“

Sie sollte zur Kirche? Christina erinnerte sich, mal gelesen zu haben, dass Kirchen ein Kraftorte seien, besonders alte Kirchen, denn in ihnen wurde viel gebetet und so werden diese Orte energetisch aufgeladen. Nun gut. Sollte sie zur Kapelle im Marienheim, oder zur Kirche von St. Hubertus? Sie entschied sich für die Hubertuskirche.

Eine Viertelstunde später stand sie vor dem Portal der neugotischen Basilika. Als sie durch das große dunkelbraune Tor den geweihten ort betrat, nahm sie Schwingungen war, für die sie früher nicht sensibel genug gewesen war. Die heilige Energie durchflutete sie und gab ihr tatsächlich neue Kraft. Sie kniete sich auf eine Bank, schloss die Augen, faltete die Hände und hörte tief in sich. Sie spürte die Lichtsstrahlen, welche durch die Glasmalereien und die Nazarener-Fenster fielen, auf ihren geschlossenen Augenliedern. Christina betete. Sie betete für sich, für ihre Familie und für Katharina.
 

Der dreißigjährige sportliche Polizist und sein zwanzig Jahre älterer und vierzig Kilo schwerere Partner stiegen die Treppen des schlecht beleuchteten Mietshauses hinauf. Sie überprüften die Adresse. Kein Zweifel, auch das Namensschild auf der Haustürklingel bestätigte, dass hier Thomas Feuersinger mit seiner Tochter Katharina wohnen musste. Der jüngere Beamte klingelte an der schrillklingenden Türklingel. Kurz darauf ein zweites und ein drittes Mal. Waren sie nicht zu Hause, oder machten sie einfach nicht auf. Der junge Kollege dachte nach. Es ging hier um ein Mädchen, welches Schreckliches durchmachen musste, falls sich der Verdacht bestätigen sollte. Er musste so schnell wie nur möglich handeln. Er warf sich mehrmals an die hölzerne Tür, bis sie endlich aufbrach. Beide Polizisten zogen ihre Dienstwaffe.

„Hallo?“, fragte er laut und deutlich. „Hallo, ist hier jemand?“

Keine Antwort.

Sie gingen durch den Hausflur und sahen in jedes Zimmer. Es war alles ziemlich unordentlich, ein regelrechtes Chaos. Sah es hier immer so aus, oder was war geschehen? Im Bad war niemand, in der Küche war niemand und so sahen sie alle Zimmer durch, bis nur noch eines übrig blieb. Es war das Zimmer der Tochter. Langsam öffnete sich die Tür. Die Schränke waren geöffnet und Wäsche auf dem Boden verteilt, genauso wie es auch in dem Zimmer des Vaters ausgesehen hatte. Doch es war niemand da. Sie musten abgehauen sein! Vielleicht hatte die Tochter sich verplappert und so hatte der Vater etwas gemerkt.

„Verdammt!“ Der Gesetzeshüter nahm sein Sprechfunkgerät heraus. „Gebt eine Fahndung raus, nach Thomas Feuersinger, einem Mann von 48 Jahren. Er hat vermutlich ein fünfzehnjähriges Mädchen dabei. Dieser Mann muss unbedingt gefasst werden!“

Warum

Kapitel 6: Warum
 

Am Donnerstagmorgen ging Christina zu Fuß in die Schule. Ihre Gedanken waren bei ihrer Freundin Katha. Noch gestern Abend hatte Christina den Anruf der Polizei erhalten, dass die Wohnung verlassen vorgefunden worden war. Kathas Vater musste sie gezwungen haben, mit ihm zu verschwinden. Der Leidensweg würde weitergehen, und sie konnte nichts tun, außer zu hofen, dass die Fahndung der Polizei bald erfolgreich sein würde.

Als sie auf dem Schulhof ankam, sahen sie die Mitschüler seltsam an und tuschelten untereinander. Ihre Blicke schmerzten wie Nadeln, die man ins Fleisch steckt. Niemand sprach sie an, es war so, als wär sie nicht da, doch irgendwie auch wieder nicht, denn ihre Blicke waren alle auf Christina gerichtet. Doch sie schinen durch sie durch zu sehen. Warum schweigt ihr?, fragte sie traurig. Was habe ich euch denn getan, dass ihr mich so behandelt?

Die junge Frau stellte sich direkt vor ein Mädchen aus ihrer Klasse. „Was ist denn los?“

„Das fragst du auch noch so scheinheilig, du miese Schlampe?“

„Was?“, antgegnete Christina erschrocken. „Wieso sagst du so etwas?“

„Weil es die Wahrheit ist. Meinst du denn, wir wären zu blöd, um zwei und zwei zusammenzuzählen? Erst werden unter mysteriösen Umständen die Leichen deiner ehemals besten Freundin und die deines Freundes, der dich mit ihr betrogen hat gefunden, und das kurz nachdem du es plötzlich sehr eilig hattest, von Sarahs Party zu verschwinden. Dann gerätst du in einen Streit mit Caroline, und wenige Minuten darauf findet man ihre Leiche in der Mädchentoilette. Und nun ist auch noch deine andere Freundin, mit der du immer rumhängst, die Katha, spurlos verschwunden. Wo werden wir ihre Leiche finden? Was hat sie getan, dass du sie umgebracht hast?“

„Halt deine Fresse. Ich würde Katha niemals etwas tun, denn sie ist meine Freundin und ich hab sie sehr sehr lieb!“

„Wie kannst du es wagen? Und die andereren hast du also umgebracht?“

„Nein,... ich...“ Bis auf Katha hatten sie im Grunde Recht. Was sollte sie nun antworten? Lügen?

Zwei Jungs und ein Mädchen kamen auf sie zu. Es waren Sven, Martin und Stefanie, drei Mitschüler, mit denen sie Recht wenig zu tun gehabt hatte und die sie nicht besonders mochte. Sven schubste sie, sodass sie rückwärts taumelte. „Du blödes Miststück hast sie umgebracht! Du kleiner Psycho!“

„Lasst mich in Ruhe.“

„Ich wusste doch schon immer, dass du nicht ganz fix im Kopf bist.“, meinte Stefanie und kam näher heran. „Aber dass dein krankes Hirn so etwas Abartiges zu Tage bringt und du es auch noch ausführst, ist wirklich das Letzte!“

„Verschwindet!“, schrie Christina wie in Panik. Sie zitterte vor Wut über das unverschämte Verhalten dieser Leute.

„Du sollst wissen,w as wir von solchen Freaks wie dir halten.“, meinte Martin und schubste Christina ebenfalls. Diese hätte beinahe das Gleichgewicht verloren.

„Haut ab! Ich hab euch nichts getan! Verschwindet!“, rief Christina. Sie spürte wie Energie des Zorns in ihr Aufstieg.

„Blöde Kuh. Jetzt machen wir dich fertig.“ Martin grinste, während er einen Shclagring aus der Hosentasche zog und ihn über seine rechte Hand streifte.

Christina atmete schwar. Ihre Augen glühten, die Haare waren wie elektrisiert und standen anch allen Seiten ab. Die Kraft kam aus ihrem Inneren. Sie sträubte sich dagegen, dass dieses fremde Wesen wieder die Macht über sie gewann. Der Arm zuckte krampfartig vor und zurück. Die drei Teenager kamen weiter auf sie zu. Christina stemmte sich mit aller Macht gegen die zerstörerische Energie, mit jeder Faser ihres Körpers. Die Sehnen waren bis zum Äußersten gespannt. Es war zu spät. Sie konnte es nicht mehr kontrollieren. Sie wusste, dass nun jemand anderes die Kontrolle übernommen hatte. Ihr gesichtsausdruck wurde ernst und hasserfüllt. In einer einzigen ruckartigen Bewegung schnellten ihre Arme nach vorne und so ausgestreckt spreizte sie die Finger nach allen Seiten ab. Die Energie, die ihren Körper vibrieren ließ, entlud in einem einzigen Augenblick sich in einer gewaltigen Woge, welche die drei Mitschüler traf. In der nächsten Sekunde explodierten diese Körper regelrecht. Die haut war zerfetzt, die Knochen zerborsten und die Sehnen gerissen. Blut, Gehirnmasse, Körpersekrete und Mageninhalte spritzten über den ganzen Schulhof und durchnässten die dort stehenden Schüler.

Die in Christina gestaute Energie hatte nun ihren Körper verlassen. Sie war wieder sie selbst. Und nun realisierte sie erst, was da gerade geschehen war. Ungefähr Hundert Schüler waren Zeugen gewesen, als sie drei von ihnen getötet hatte. Sie wusste, nun war ihr früheres Leben endgültig vorbei. Niemand würde sie mehr anders sehen, als ein Monster.

Die Jugendlichen standen teilweise unter Schock. Einige übergaben sich angesichts der flüssigen Überreste der drei Menschen und deren penetranter Gestank. Die restlichen starrten völlig fassungslos in Christinas Richtung. Dann wurde ein Ruf laut: „Du verfluchte Hexe!“

Andere schlossen sich an: „Mörderin!“ „Du verfickte Hexenschlampe!“ „Bringt diese Hexe um!“ „Geistesgestörte Psychopathin!“

Christina sah einen Stein geflogen kommen und konnte gerade noch ausweichen. Die nächsten Steine trafen sie jedoch am ganzen Körper. Ihr Herz hämmerte hart gegen ihre Brust. Sie dreht sich um und lief so schnell sie nur konnte. Sie hörte, wie ihre Mitschüler sie verfolgten. Nur ein Gedanke war in ihrem Kopf: Sie bringen mich um! Sie wollen mich umbringen!

Sie rannte, obwohl sie völlig außer Atem war. Sie rannte immer weiter, sie durfte nicht stehen bleiben. Ihre Verfolger ließen sich einfach nicht abschütteln. Sie bog in einige kleinere Straßen ein, dann in andere und so hin und her, dass die Stimmen leiser wurden. Fürs erste hatte sie sie abgehängt. Nun lief sie weiter, bis sie zu hause angekommen war. Sie zitterte so stark, dass ihr Shclüssel ihr beinahe aus der Hand glitt. Dann schloss sie die Tür auf, trat ein, schloss sie hinter sich wieder, sperrte zweimal ab und legte den Riegel vor. Dann sank sie erschöpft und völlig fertig zusammen und brach in Tränen aus.

Nach einiger Zeit, wischte sie sich die Tränen aus den Augen und stand auf. Sie wusste wirklich nicht mehr, wie es weitergehen sollte. Dies war kein traum, aus dem sie wieder erwachen würde, oder einer Geschichte in einem Buch, sondern Realität. Ihre eigene Realität. Langsam ging sie die Treppe zu ihrem Zimmer hoch. Dort packte sie ein T-Shirt, eine Hose, Strümpfe, Unterwäsche und die Inliner in einen großen Rucksack. Mit mehr Gepäck würde sie zu langsam sein. Doch wie wietwürde sie kommen, mit dme bisschen Geld, das sie im Geldbeutel hatte? Sie ging aus ihrem Zimmer hinaus. Sie wollte zu ihrem Bruder, doch sie blieb vor der Tür des Zimmers stehen, denn die Tür war einen Spalt breit geöffnet. Sie sah ihren Bruder, wie er Berkan leidenschaftlich auf den Mund küsste. Seine Hände streichelten über den schlanken dunklen Körper des Südländers. Diese leckte nun an Andreas` Hals entlang. Seine Hände fuhren in die Hose, in die Arschritze hinein. Andreas stöhnte kurz auf, dann sah er zur Seite und sein Blick traf Christinas Blick. Sofort trennte er sich aus der liebevollen Umarmung.

„Christina, was... was machst du denn hier?“, stammelte er verwirrt. „Wir... Wir haben nur...“

„Schon gut. Ich bin froh, wenn es dir besser ghet.“, lächelte Christina. Sie ging die Treppe hinunter. Berkan folgte ihr.

„Christina, bitte erzähl seinem Vater nichts davon. Das wird sonst mächtig Ärger geben.

„Liebst du ihn?“

„Was...?“ Berkan schaute etwas verwirrt.

„Liebst du meinen Bruder?“, wiederholte sie.

Berkan lächelte warm. „Ja, ich liebe ihn. Dein Bruder ist einfach so... so... Ihc kanns nicht beschreiben, aber ich liebe ihn wirklich.“

„Schön. Das freut mich. Ich werde meinem Vater nichts sagen. Wieso sollte ich auch?“

Andreas kam nun dazu. „Schwester...“

„Schon gut. Es geth jetzt um etwas Anderes.“

„Wie? Was ist denn los?“

In diesem Augenblick klirrte etwas. Es war das Küchenfenster geswesen. Ein Loch zeigte die Stelle, an der ein Stein reingeflogen war. Weitere Geschosse folgten.

„Oh mein Gott, Christina!“, sprach Andreas laut. „Was ist denn nur los?“

„Also, da ich jetzt dein Geheimnis weiß, sag ich dir auch schnell meins. Aber du darfst das auch nicht vater erzählen. Ich weiß nicht mal, ob es so klug ist, dass du es weißt, aber ich habe jetzt keine andere Wahl. Also, ich habe irgendwie irgendwelche magischen Kräfte, doch irgendwie sind zwei Wesen in mir, die Teil von mir sind. Deshalb kann ich diese Kräfte nicht kontrollieren. Und dieses Wesen, oder auch mein Wunshc, ich habs noch nicht so ganz verstanden, hat Alex, Janine und Caroline umgebracht.“

„Bitte was?“, fragte Andreas mit irritiertem Blick. „magische Kräfte? Wovon redest du?“

„Es ist einfach so. Glaub mir einfach. Auf jeden Fall hab ich, obwohl ich es nicht wollte, gerade noch drei Leute, Mitschüler von mir, vernichtet, und die da draußen habend as gesehen und wollen mich nun lynchen.“

Weitere Steine krachte durch Fenster. „Sie wollen dich umbringen? Wir müssen die Polizei rufen.“

„Das werden sie schon selbst machen, wenn sie sich beruhigt haben.“ Christian sah ihren Bruder eindringlich an. Er musste es einfach verstehen. „Andreas, wenn ich nicht von hier verschwinde, komme ich ins Gefängnis! Wenn ich Glück habe, vielleicht in die Psychiathrie. Andreas, ich muss hier weg!“

„Wie, weg? Wo willst du denn hin?“

„Zu Mama.“

„Zu Mama? Du weißt wo sie ist?“, fragte der junge Mann aufgeregt.

„Nein, nur dass sie in Griechenland ist. Aber wenn ich erst mal da bin, werde ich sie schon finden, das weiß ich.“

„Und wie willst du dorthin kommen?“

„Ich weiß es nicht.“

„Warte mal kurz.“ Andreas lief in das Schlafzimmer von bernhard Klein. Kurz darauf kehrte er mit Geld in der Hand zurück. „Das hier sind fünfhundert Euro. Mehr konnte ich auf die Schnelle nicht finden. Nimm sie. Vielleicht reicht es fürs Erste.“

„Ist das Papas Geld?“

„Ja. Du wirst es brauchen, Schwester.“

Christina nahm das ihr gereichte Geld und steckte es in den Geldbeutel. „Danke.“ Sie lief die Treppe hinauf und kam kurz darauf mit dem Rucksack auf dem Rücken wieder herunter.

„Verschwinde durch die hintertür, da sind, glaube ich, keine von diesen Leuten.“

„Werd ich machen.“ Christina umarmte ihren bruder fest. Beide hatten feuchte Augen. „Auf Wiedersehen.“

„Pass auf dich auf, Tinchen.“

„Mach ich.“ Christina drehte sich um und lief zum Hinterausgang. Zuvor zog sie ihre Schuhe aus, die Inliner an und packte die normalen schuhe in den Rucksack. Mit den inlinern an den füßen würden die Anderen sie niemals einholen. Sie überlegte sich schon ihre Route. Wenn sie ihre Verfolger abschütteln könnte, würde sie zum Busbahnhof und dort nach Stolberg Mitter fahren und danach mit dem Zug vom Hauptbahnhof nach Aachen. Sie konnte nur hoffen, dass sie dort einen günstigen Flug finden würde.

Andreas sah seiner Schwester nach, als die Tür ins Schloss fiel. Sie hatte es geschafft, sie war nicht bemerkt worden. Langsam ging er zur Hintertür und schloss sie ab.

„Meinst du, sie wird entkommen?“, fragte Berkan besorgt.

„Ich hoffe es. Allerdings kann ich noch nicht so ganz glauben, was sie da erzählt hat. Magie. Das ist eine Welt, mit der ich überhaupt nichts zu tun habe, von der ich nichts verstehe.“

„Also, ich war mal in Tunesien war das, glaube ich, da werden alle Leute, die ins Haus gehen erst einmal ausgeräuchert. Und in China baut man alle Gebäude nach den Feng-Shui-Prinzipien. Und ich glaube, in Amerika oder Canada wird, bevor ein Haus gebaut wird, erst einmal das Grundstück nach Wasseradern und so weiter abgesucht. Okay, das waren jetzt blöde Beispiele, und ziemlich zusammenhanglos, aber was ich damit sagen will ist, dass es so etwas wie Magie geben muss, ansonsten würden sich die Menschen nicht seit jahrtausendne danach ausrichten.“

„Ich weiß es nicht. Aber ich jetzt mache ich erst einmal etwas Anderes.“ Sie gingen zusammen die Treppe hoch. Andreas nahm seine Kamera aus seinem Zimmer und ging ans Fenster. Von dort oben konnte er alle Jugendlichen sehen, die seine Schwester verfolgt hatten. Er machte mehrere Fotos, bis er sicher war, dass er jeden einzelnen erwischt hatte. „Diese Fotos werden mir später helfen, zu sagen, wer alles bei dieser Aktion dabei war, und wer die kaputten Fenster ersetzen muss.“

„Sehr gut, Süßer.“ Berkan fuhr Andreas durch die dichten Haare. Dann küsste er ihn sanft auf die Lippen. Seine Zunge fand kurz darauf die Zunge seine Partners.
 

Christina stieg aus der Bahn aus. Sie befand sich nun am Bahnhof von Aachen. Die Zugfahrt hatte weniger als eine Viertelstunde gedauert. Sie hatte keine Ahnung, wo sie hingehen sollte. Sie schloss die Augen. Sie hörte die Stimmen der Passanten, welche sich laut unterhielten, und die verschiedenen Schritte der Menschen, doch diese Geräusche wurden immer leiser und leiser. Sie konzentrierte sich. Sie hatte ein Gefühl, und dieses Gefühl wurde immer stärker. Es zog sie in eine ganz bestimmte Richtung. Christina öffnete wieder die Augen und ging zielstrebig in diese Richtung. Sie ging wahllos über die Straßen, immer ihrem Gefühl nach. Und es hatte sie nicht enttäuscht. Sie war nicht einmal überrascht, zu sehen, dass ihr Ziel ein großes Reisebüro war. Sie ging durch die Eingangstür.

„Guten Tag.“

„Guten Tag. Wie kann ich ihnen helfen?“, fragte die Bedienung sie freundlich.

„Ich möchte gerne einen Flug buchen, und zwar nach Griechenland.“

„Welche Stadt?“

„Äh,... Athen.“

„Hin- und Rückflug?“

„Nein, nur Hinflug. Ohne Hotel oder so etwas nur. Nur der Flug.“

Die junge Frau sah im Computer nach. „Wann wäre es ihnen denn Recht?“

„So schnell wie möglich. Und so teuer sollte er auch nicht sein.“ Christina lächelte.

Die Mitarbeiterin des Reisebüros erwiderte das Lächeln. „Sie haben Glück. Für Morgen haben wir noch einen Last-Minute-Flug in der zweiten Klasse frei. „Er kostet 250 Euro.“

„Gut, den nehme ich. Kann ich in bar bezahlen?“

„Normalerweise nehmen wir kein bargeld...“

Christina konzentrierte sich. Du nimmst es, du nimmst es. „Bitte, nur dieses eine Mal....“

„Na gut, ausnahmsweise. Auf welchen Namen soll ich buchen?“

Sollte sie ihren richtigen namen sagen? Ja, sie musste das Risiko eingehen, ansonsten würde sie kein Ticket bekommen, weil sie nur ihren eigenen Ausweis hat. „Christina Klein.“

„In Ordnung, Frau Klein. Unterschreiben sie bitte noch hier.“

Nach einigen Minuten verließ Christina das Reisebüro wieder. Schon morgen mittag würde es soweit sein. Sie hatte so ein verdammtes Glück. Oder war es Schicksal, so wie die Begegnung mit Dilara? Egal, momentan gab es noch ein anderes Problem. Sie musste die Nacht über irgendwo schlafen. Sie suchte sich die billigste Absteige, die sie auf die Schnelle finden konnte, und legte sich sofort aufs Bett. Mit etwas Glück würde die Polizei sie Morgen noch nicht suchen, weil sie den Zeugenaussagen, so fantastisch sie klingen würden, wohl kaum ohne weiteres Glauben schenken würden. Nach kurzer Zeit schlief Christina ein und wachte schon ziemlich früh am nächsten Morgen auf. Sie war sehr aufgeregt, denn ihre weitere Zukunft lag im Ungewissen. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Ihr bisheriger weg war klar vorgezeichnet gewesen. Kindergarten, Grundschule, Realschule, und danach wahrscheinlich irgendeine Ausbildung. Doch was würde jetzt wohl aus ihr werden?

Wo bist du

Kapitel 7: Wo bist du
 

Das Flugzeug rollte immer schneller und schneller. Dann hob es schließlich vom Boden ab. Christina saß auf einem Platz am Fenster, kaute ein Kaugummi und sah hinaus. Sie war noch nie geflogen gewesen. Es war ein seltsames Gefühl, aber sehr interessant. Sie sah, wie die Stadt immer kleiner wurde, dann sah man größere Landstriche und nach einigen Minuten war das Flugzeug so hoch, dass man nichts mehr von dem Geschehen auf der Erde sah. Das Einzige, was man nun noch erblicken konnte, war eine endlose, riesige Landschaft aus Wolken. Christina war fasziniert. Das Wolkenmeer sah tatsächlich wie eine reale Landschaft aus, mit Bergen und Tälern. Ihr kam es vor, als würden sie sich im Schrittempo fortbewegen, doch das war eine Täuschung, denn sie wusste schließlich, dass sie mit mehreren hundert Stundenkilometern flogen. Nun verstand sie auch, warum Reinhard Mey in seinem berühmtesten Lied sang, dass über den Wolken die Freiheit grenzenlos sei und die Sorgen nichtig und klein erschienen. Es war tatsächlich so. Die junge Halbgriechin vergaß alle Probleme und war tief beeindruckt. Was die Leute, die Flugangst hatten, doch Wundervolles verpassten! Doch nicht nur sie. Christina sah sich um. Viele Leute schliefen, lasen Zeitung, und einige Jugendliche hörten gelangweilt Musik von ihrem MP3-Player. Christina verstand es einfach nicht. Wie konnte man denn dieses Erlebnis einfach so verstreichen lassen, ohne es mit allen Sinnen zu genießen?

Wenige Stunden später hatte Christina den Kaugummi schon längst aus dem Mund genommen, da er seinen geschmack verloren hatte. Leider war es ihr letzter gewesen. Sie spürte, wie das Flugzeug an Geschwindigkeit verlor. Es senkte sich zum Landeanflug, die Wolken lichteten sich. Plötzlich explodierte in Christinas Kopf ein schrecklicher Schmerz. Direkt in Höhe ihrer Ohren, war es so, als würde jemand einen spitzen Stein in ihr Gehirn rammen. So einen schrecklichen Schmerz hatte sie noch niemals erlebt, sie glaubte, sie würde sterben. Mehrere Minuten verspürte sie diese unerträgliche Pein, und erst, als das Flugzeug gelandet war, und sie die ersten Schritte tat, wurde es besser, und es war wie eine Erlösung. Jetzt wusste sie auch, warum es den Leuten immer so wichtig ist, dass ihnen nicht „die Ohren zugehen“. Bislang hatte Christina gedacht, das wäre genauso, wie beim Autofahren, wenn sie einem dort zugehen. Doch hier das war schrecklichster Schmerz gewesen. Von nun an würde sie immer genug Kaugummi dabeihaben, schwor sie sich.
 

Christina stieg aus dem Bus aus, der sie in die Innenstadt Athens gebracht hatte. Würde sie in dieser Stadt ihre Mutter finden? Sie wusste, dass der geburtsort ihrer Mutter nicht Athen, sondern Chaldiki war, doch das hieß ja nicht, dass sie heute noch dort wohnen würde. Sie nahm das Pendel hervor, welches sie von Dilara bekommen hatte. Sie setzte sich auf eine Bank, stellte beide Füße fest auf den Boden, und nahm ihr Pendel zwischen Zeigefinger und Daumen der linken Hand. „Befindet sich meine Mutter in dieser Stadt?“, fragte sie flüsternd. Das Pendel ging im Kreis. Hoffentlich war dies die Wahrheit. Christina hatte Angst, das Pendel durch ihre eigenen Wunschvorstellungen beeinflusst zu haben. Doch das half nichts, zu spekulieren, sie musste ihrer Intuition vetrauen, es blieb ihr nichts Anderes übrig. Sie stand wieder auf.

Dann schaltete sie ihr Nokia N90 wieder ein. Im Flugzeug hatte sie es auschalten müssen, obwohl sie vor Kurzem einen Bericht im Fernsehen verfolgt hatte, in dem es darum ging, dass es eigentlich unnötig ist, Handys im Flugzeug auszuschalten, da sie die heutige Bordelektronik nicht mehr stören würden. Plötzlich wurde das handy in ihrer Hand eisig kalt, dann klingelte es. Wer wusste denn, dass sie hier in Griechenland war? Denn schließlich müsste der Anrufer die Vorwahl Griechenlands vorwählen, es sei denn, er befindet sich selbst dort. Ob es ihre Mutter war? Schnell nahm sie das Gespräch an.

„Ja, hallo?“, meldete sie sich.

„Christina?“, fragte eine männliche Stimme.

„Ja. Wer ist denn da?“

„Das kann ich jetzt nicht sagen. Wir müssen uns treffen, dann wirst du alles Weitere erfahren.“

Christina schwieg kurz. Vielleicht würde er sie zu Mama führen. „Einverstanden. Wann und wo?“

„In einer Stunde am Turm der Winde?“

„Was ist das?“

„Das ist ein achteckiger, zwölf Meter hoher Bau, der nach acht Himmelsrichtungen die entsprechenden Winde zeigt. Er steht in der Altstadt Plaka-Plaka. Die ist nördlich der Akropolis. Du wirst ihn finden.“ Dann wurde das Gespräch abrupt beendet.

Nun fiel Christina auf, dass der Anrufer deutsch geredet hatte. Sie konnte sehr gut griechisch, weshalb es ihr erst jetzt aufgefallen war, dass er ja deutsch geredet hatte. Und dass das Handy in ihrer Hand so kalt geworden war... Egal, sie musste jeder Spur nachgehen.

Etwa eine Stunde später ging sie durch Plaka-Plaka an den Mitropoliskirchen vorbei. Schade, sie hatte keine Zeit, die kleine Mitropolis und die Agios Nikolaos zu besichtigen. Sie hätte es gern getan. Kurz darauf sah sie schließlich den Turm der Winde. Er war ziemlich groß, doch fiel er nicht so auf. Schließlich war sie angekommen. Sie sah sich um. Es war niemand da. Dann hatte sie plötzlich ein sehr ungutes Gefühl. Sie ging schnell einen Schritt zur Seite, was ihr das Leben rettete. In Höhe ihres vorherigen Standortes war nun ein kleines Loch an der Wand des Turmes zu sehen. Das war ein Scharfschütze gewesen! Man wollte sie umbringen! Sie konnte es nicht fassen, dass es Leute gab, die ihren Tod wollten. Sie lief, und wusste nicht wohin. Weitere Schüsse folgten, doch sie verfehlten ihr Ziel. Danke, Schutzengel, dachte Christina.

Wo kamen die Schüsse her? Sie konzentrierte sich. Sie sah etwas zwischen den Bäumen. Sie lief darauf zu. Sie war wie in Trance, sie lief einfach weiter. Der schwarzgekleidete Mann zeilte und drückte ab. Doch kein Schuss löste sich mehr. Das Gewehr musste Ladehemmungen haben. Er drückte wieder und wieder ab, doch es war sinnlos. Christina lächelte. Auf ihren Schutzengel war wirklich Verlass!

Der Attentäter nahm ein Walkie-Talkie hervor und schrie hinein: „Schnell, kommt!“

Das war das Letzte, was er sagen konnte, denn im nächsten Augenblick löste sich ein Schuss aus seiner Waffe, doch die Waffe wurde von einer unsichtbaren Enegrie nach oben gerissen und der Schuss zerfetzte das Gesicht des Mannes. Er sank tot zusammen. Christina zitterte vor Wut. Das hatte er verdient. Die Suche nach ihrer Mutter so schamlos auszunutzen! Dann hörte sie viele schnelle Schritte. Sie drehte sich um. Ein halbes Dutzend weitere Männer kamen angelaufen. Sie hatten Maschinengewehre in der Hand. Christina wusste, dass sie vermutlich nicht alle besiegen würde können und sterben würde, aber dann würde sie zumindest noch so viele von ihnen mitnehmen, wie es ging.

Doch gerade, als die Männer beginnen wollten zu schießen, tauchte eine sehr hübsche Frau mit südländischem Teint auf. Sie trug ein schönes weißes Kleid. Ihre langen blonden Haare schmückten ihr Gesicht und selbst der schwarze Punkt rechts über ihrer Lippe machte sie nicht weniger attraktiv. Sie sah aus wie allerhöchstens vierzig, doch sie war knapp fünfzig, was Christina natürlich nicht wusste.

Die Männer waren von ihrem plötzlichen Erscheinen abgelenkt und wirkten sofort sehr erschrocken, und dies, wie sich nun herausstellen würde, zu Recht. Die Kämpfer zielten auf die Frau und schossen. Das Knattern der Maschinengewehre war ohrenbetäubend. Die Blondine schwebte über die Schüsse hinweg in die Luft, sodass die tödlichen Kugeln lediglich den Boden trafen und jede Menge Staub aufwirbelten. Die mysteriöse Frau fasste in eine versteckte Seitentasche ihres Kleides und zog mit jeder hand je einen silbernen, runden Wurfstern hervor, welche aussahen wie Triskeln in einem Kreis. Sie benutzte diese Waffen, indem sie sie gezielt und mit aller Kraft warf. Die scharfgeschliffenen Kanten zefetzten bei zwei der Männer die Halsschlagadern mit einem sauberen Schnitt. Sie hielten sich reflexartig ihre Wunde, doch das Blut quoll durch ihre Hände hindurch und es verklebte ihre Luftröhren, sodass sie erstickten und tot auf der erde liegen blieben. Das übriggebliebene Quartett aus Attentätern dachte jedoch nicht ans Aufgeben, sondern wollte Rache. Sie schossen einfach weiter, doch sie konnten ihr Ziel nicht treffen, da es ständig auswich. Ehe er reagieren konnte, war die Frau bei einem der Männer und brach ihm von hinten das Genick. Dann entnahm sie dem Toten die Waffe und schoss zurück. Die lethalen Kugeln erreichten treffsicher ihr Ziel und der Exitus war nun auch bei dem übriggebliebenen Trio eingetreten. Ihre blutüberströmten und teilweise zerfetzten Leichen lagen wie ein groteskes Kunstwerk auf dem Boden, während ein dunkles Rinnsal sich von ihnen ausbreitete und den weißen Sand rötlich färbte, und schließlich im Grund versickerte.

Christina zitterte am ganzen Leib. Sie wusste, dass sie um ein Haar selbst umgekommen wäre, doch sie hatte das Massaker überlebt. Langsam ging sie auf die Frau zu, die ihr das Leben gerettet hatte. Diese blickte sie direkt mit ihren braunen Augen an. „Bist du Christina Klein?“, fragte diese in griechisch.

„Ja.“, antwortete Christina zögernd, ebenfalls in griechisch. „Und wer sind sie?“

„Mein Name ist Anna Vissi. Ich werde dich zu deiner Mutter führen.“

Konnte sie ihr vertrauen, oder war dies wieder eine Falle? Aber schließlich hatte sie ihr Leben gerettet und wenn sie ihr hätte was tun wollen, hätte sie es schon längst tun können. Christina hatte keine andere Wahl, als Anna zu vertrauen. „Sie kennen meine Mutter?“

„Ja, ich kenne sie. Keriakoulla Klein. Oder wie sie sich hier nennt, nämlich Dominika Stavros.“

„Sie hat hier einen anderen Namen?“

„Ja, aber wir werden gleich weiterreden. Ich werde erst einmal unsere Spuren verwischen. Bestimmt hat jemand diese Schüsse von eben gehört und die Polizei gerufen, und die sollen schließlich nichts finden. Zu ihrer eigenen Sicherheit.“ Anna Vissi breitete ihre Arme aus, und ihre Handflächen begannen zu glühen. Die Luft flimmerte. Dann begannen die Leichen zu kochen und schließlich zu brennen. Die Hitze wurde immer stärker das Feuer blendend grell. Dann war es vorbei. Es sah aus, als ob nie etwas passiert wäre. Von den Toten war nicht einmal ein kleiner Fetzen Haut übrig geblieben. Sie waren verschwunden.

„Wie... Wie hast du das gemacht? Warum hast du diese Kräfte?“, fragte Christina erstaunt.

„Später. Wir sollten hier erst einmal verschwinden. Wir treffen uns in zwei Stunden an der bzyantinischen Kapnikarea-Kirche. Keine Angst, du brauchst in dieser Zeit keine weiteren Angriffe zu befürchten. Sie werden denken, dass du tot bist.“

„Wer sind denn sie?“

„Später.“ Und damit verschwand Anna Vissi erstaunlich schnell. Ihr weißes Kleid flatterte im Wind, als sie durch die Straßen der Altstadt rannte.

Die bzyantinische Kapnikarea-Kirche. Es wurde Zeit, dass sie sich einen Stadtplan besorgte.
 

Christina stand an einen der riesigen hölzernen Blumenkübel gelehnt, welche vor der bzyantinischen Kapnikarea-Kirche standen. Sie schaute mit einem Seufzer auf ihre Uhr. Anna war schon zehn Minuten über der Zeit. Sie setzte sich auf die steinerne Maue, zog ihre Schuhe aus und rieb sich die Füße, welche ihr von dem ewigen herumgerenne schon etwas wehtaten. Dann sah sie sich um. Die Kirche sah schon etwas komisch aus, wie sie so allein dastand, zwischen den hohen Häusern, die sie überragten und auf denen Reklame für verschiedene Dinge angebracht war. Irgendwie wirkte die Kirche dadurch verloren, so verloren, wie auch Christina sich fühlte. Und plötzlich stand, ohne dass Christina sie kommen gesehen hatte, Anna Vissi neben ihr.

„Weißt du Christina, warum diese Stadt ihren Namen hat.“, fragte sie plötzlich.

„Weiß nicht. Einfach so.“

„Athen wurde nach der Göttin Athene benannt. Sie hatte sich in einem Wettstreit gegen Poseidon durchgesetzt. Während Poseidon der Stadt nur einen Brunnen schenkte, der allerdings nur Salzwasser brachte, schenkte sie hingegen einen Olivenbaum, den man für Nahrung, Olivenöl und Holz nutzen konnte. Weißt du, Pallas Athene war nicht nur die Göttin der Weisheit, Wissenschaften und des Schutzes, sondern auch der Kriegstaktiken. Sie war eine starke Kämpferin, so wie wir es auch sind, auch du, Christina. Sie war eine wahrlich wehrhafte Göttin, die sich gegen alle Schwierigkeiten durchsetzen konnte. In gewissen Sinne sind wir alle kleine Götter, wenn wir es nur wollen, denn wir sind das Abbild Gottes. Gott hat uns die Anlagen zum erschaffen oder zum Zerstören mit in die Wiege gelegt. Wozu wir sie benutzen, obliegt unserer Verantwortung.“

„Und sie haben sich für das Zerstören entschieden, Frau Vissi?“, wollte Christina wissen.

„Nein, habe ich nicht. Aber manchmal muss man kämpfen, um andere zu schützen. Das ist ja das Paradoxe an dem Ganzen. Ohne Krieg kann es keinen Frieden geben.“

„Und wenn man sich einfach mal zusammensetzt, und über die Probleme gibt, die bestehen?“

„Leider wollen manche Leute nicht zuhören, sondern nur ihre eigenen Ziele durchsetzen, auch wenn es auf Kosten Anderer ist.“

„Und diese Leute sind unsere Feinde?“, vermutete Christina.

„Richtig. Wir haben eine Mission, und zwar die Welt vor den Einflüssen solcher Personen zu schützen.“

„Aber wer sind denn diese Leute, und was ist ihr Ziel?“

„Das ist schwer zu erklären, doch deine Mutter wird es tun sobald wir bei ihr sind.“

Endlich. Sie wird ihre Mama sehen. „Wo ist sie?“

„Das kannst du selbst herausfinden.“

„Wie?“

„Es ist schon mal gut, dass du dir inzwischen einen Stadtplan besorgt hast. Breite ihn auf der Mauer aus.“ Die junge Halbgriechin tat, wie ihr gesagt wurde. „Und nun nimm das Pendel hervor, welches Dilara dir gegeben hat. Halte es über den Stadtplan, bewege langsam deinen Arm und bewege das Pendel über die ganze Stadt. Solange, bis es dir zeigt, wo deine Mutter ist. Konzentriere dich.“

Die hübsche Halbgriechin versuchte es. Mama. Wo bist du, Mama? Ich will zu dir. Pendel, zeige mir, wo meine Mama ist. Sie bewegte das Pendel langsam über den Plan, und an einer Stelle spürte sie, wie Energie durch ihre Hand strömte. Das Pendel begann zu kreisen. Erst langsam, dann immer schneller.

„Siehst du, du kannst es.“, lobte Anna sie. „Gut gemacht.“

„Dort lebt meine Mama?“ Christina sah sich die Karte genauer an. Es war das Gebiet in der Umgebung des Klosters Daphni. Es befand sich westlich des Stadtzentrums. Es war einer der Vororte Athens mit dem Namen Dafni. „Ich muss also nach Dafni. Und wie finde ich meine Mama dort in dem Ort?“

„Genauso. Ich habe dir den Stadtplan von Dafni mitgebracht. Wenn wir da sind, wirst du den genauen Wohnort auspendeln. Du musst deine Kräfte trainieren Christina.“

„Gut. Hauptsache, ich finde meine Mama.“, resignierte Christina.
 

Nachdem sie in Dafni angekommen waren, pendelte Christina die Straße und Anhand eines Zettels mit Zahlen die Hausnummer aus. Es war Abend, als sie an einem kleinen älteren Haus ankamen. Es war sehr schlocht, doch noch relativ gut in Schuss. Ein gewöhnliches weißes Haus von vielen. Auf dem Schild neben der hölzernen Tür stand in kleinen Buchstaben der Name „Stavros“. Es gab keine Türklingel, sondern nur einen eisernen Türklopfer. Christinas Herz schlug schnell in ihrer Brust und füllte ihren Körper mit Wärme, während sie ihre Hand nach dem Klopfer ausstreckte und sie dreimal laut klopfte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sich schließlich die Türe öffnete.

Verboten

Kapitel 8: Verboten
 

Die Person, die in der Tür stand, war nur unwesentlich größer als Christina. Ein dunkelbrauner Pullover, welcher die Rundungen der stämmigen Dame nicht verstecken konnte, passte ideal zu den ebenso dunkelbraunen Haaren, welche zu einer lockigen Kurzhaarfrisur geschnitten waren.

Christina sah ihre Mutter nur kurz an, dann fiel sie ihr in die Arme. Sie kuschelte sich an diese Frau, die sie so lange vermisst hatte. Zärtlich und liebevoll behütend schlossen sich die Arme von Keriakoulla warm um den schlanken Körper ihrer Tochter. Christina spürte, dass ihr Gesicht nass wurde, von den Tränen ihrer Mutter, welche diese aus Freude vergaß. Mama. Nun endlich bin ich bei dir. Bitte halt mich noch lange so fest. Lass mich nicht mehr los. Nie mehr.

„Christina.“, flüsterte Keriakoulla sanft. „Mein liebes Kind. Ich hatte immer gehofft, dass du kommst. Ich hab dich so vermisst. Jeden Tag.“

„Ich weiß. Ich dich auch.“

„Ich hab dich so lieb.“

„Ich weiß, Mama. Ich weiß.“

Mama. Wie schön es ist, wenn man dieses Wort zu jemandem sagen kann.

Nach einiger Zeit ließ Keriakoulla ihre Tochter langsam wieder los. Sie betrachtete sie eingehend. „Du bist so groß geworden.“, staunte sie kopfschüttelnd. „Und so schön! Ich werde ganz traurig, wenn ich daran denke, dass ich verpasst habe, wie du aufgewachsen bist. Ich wäre so gern dabei gewesen.“

„Aber warum warst du denn nicht da, Mama? Ich hab mir so gewünscht, dass du bei mir wärst.“

„Ich weiß. Aber ich musste es tun.“

„Ja, aber warum denn nur, Mama?“ Auch Christina waren die Tränen gekommen.

„Um dich zu schützen.“, entgegnete die robuste Griechin ernst. „Um dich, deinen Vater und deinen Bruder zu schützen.“

„Vor was?“ Christinas Stimme zitterte.

„Kommt erst mal rein. Ich mach euch einen schönen starken griechischen Kaffee, dann setzen wir uns gemütlich ins Wohnzimmer auf die Couch, und reden über alles.“

Christina wollte etwas einwerfen, doch bevor es dazu kam, erwiderte Anna Vissi schon: „Einverstanden, Koulla. Gute Idee. Einen starken Kaffee kann ich jetzt gebrauchen.“

Nach einigen Augenblicken saßen Christina, Keriakoulla und Anna auf einer alten, doch bequemen Couch, beziehungsweise auf einem der dazugehörigen Sessel. Christina setzte an, den griechischen Kaffee zu trinken, doch sie stellte ihn auf dem Cuchtisch ab, da er ihr noch viel zu heiß war.

„Ich glaube, es ist an der Zeit für Antworten.“, meinte Keriakoulla plötzlich. „Doch damit du mich verstehst, muss ich sehr früh anfangen. Ich wurde ja in Chalkidiki geboren, und dort bin ich auch aufgewachsen. Als ich ungefähr in deinem Alter war, vielleicht noch etwas jünger, verliebte ich mich in einen sehr süßen Jungen. Die Familie dieses Jungen war jedoch ziemlich arm, und meine Eltern waren vergleichsweise wohlhabend. So wurde mir verboten, mich mit ihm abzugeben. Mit wurden sogar solch bescheuerte Dinge eingeredet, dass man vom Küssen schwanger werden könnte. Ich hatte damals noch keine Teeniezeitschriften oder konnte Sendungen im Fernsehen anscheuen, um zu wissen, was stimmte, und was Blödsinn war. Es war damals eben noch eine andere Zeit, besonders dort wo ich lebte. Dieser Junge jedenfalls bekam von irgendwelchen Leuten Aufträge, und zwar ging es immer entweder darum, jemandem zu helfen, oder jemand anderen zu bekämpfen. Es war ziemlich verwirrend, und er wusste selbst nicht genau, worum es jetzt eigentlich ging, nur so viel, dass es das Richtige war, was er tat. Ich traf mich trotz des Verbotes meiner Familie heimlich mit ihm, und er öffnete mir die Augen in vielerlei Dingen. Ich sah die Welt, in der ich lebte nun ganz anders. Auch ich bekam plötzlich Aufträge, durch andere Mitstreiter, oder direkt von oben. Eines Tages griffen uns maskierte Männer an, keine Ahnung, wo sie herkamen. Sie warfen Brandbomben in das Lokal, in welchem ich und Pavlos, so hieß der Junge, saßen. Mehrere Menschen starben, darunter auch Pavlos. Ich selbst überlebte. Hier, schau. Man sieht heute noch die Verbrennungen.“

Keriakoulla zog ihr rechtes Hosenbein hoch, und dort sah man, wie die Haut entstellt war. „Wie schrecklich...“, meinte Christina betroffen.

„Es sieht zwar schlimm aus, aber es tut zum Glück nicht mehr weh.“, beruhigte ihre Mutter sie. „Nach dem Tod von Pavlos setzte ich meine Arbeit fort. Immer öfter wurden Attentate auf mich verübt und ich musste gefährliche Kämpfe bestehen, doch ich schaffte es. Dann, nach einigen Jahren lernte ich deinen Vater kennen. Bernhard war ein gutaussehender junger Mann. Er war als Tourist nach Griechenland gekommen. Es war sein erster Urlaub überhaupt, und er wusste selbst nicht, wieso er ausgerechnet nach Griechenland wollte, doch irgendetwas hatte ihn dorthin gezogen. Ich glaube, es war vorherbestimmt. Wir verliebten uns ineinander, und unsere Liebe wuchs sehr schnell und wurde stark. Uns war bewusst, auch wenn wir uns nur circa zwei Wochen kannten, dass dies kein alberner Urlaubsflirt war, sondern wahre Liebe. Ich wusste, dass meine Eltern dies nicht verstehen würden, doch trotzdem gab ich die Hoffnung nicht vorschnell auf und erzählte ihnen von Bernhard. Ihr Reaktion war schrecklicher, als ich es mir vorgestellt hatte. Sie waren entsetzt darüber, dass ich etwas mit einem Deutschen angefangen hatte und sie bezeichneten mich als eine Schande für die gesamte Familie und dass sie sich für mich schämen würden. Sie verboten mir, mich auch nur ein einziges Mal wieder mit ihm zu treffen. Da rastete ich aus. Ich schrie ihnen ins Gesicht, was ich von ihnen hielt und rannte aus dem Haus. Dann ging ich zu Bernhard und flog mit ihm nach Deutschland. An jenem Tage hatte ich meine Eltern zum letzten Mal gesehen. Ich kehrte nie wieder nach Chalkidiki zurück. Ich weiß nicht, ob sie noch leben, es ist mir egal.“

Christina erschrak bei den bitteren Worten ihrer Mutter, doch sie konnte sie verstehen. Solche Eltern zu haben musste auch etwas sehr Schlimmes sein.

„Ich wusste, dass das Leben in Deutschland ein ziemliches ärmliches sein würde, denn schließlich war dein Vater nur Kraftfahrer. Kein Vergleich zu dem Luxus, den ich bei meinen Eltern hatte. Doch dafür hatte ich einen anderen Luxus, den man mit Geld nicht kaufen konnte. Liebe. Und Freiheit. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so frei gefühlt, als in jenem Augenblick, als ich aus dem Flugzeug stieg und deutschen Boden berührte. Und noch nie so unsicher. Ich wusste nicht, was geschehen würde, wie das Leben in Deutschland sein würde. Und ob unsere Liebe Bestand haben würde, denn sollte sie dies nicht haben, wäre ich verloren gewesen. Doch sie hatte Bestand, und sie hat es immer noch. Ich liebe deinen Vater immer noch sehr, und auch ihn vermisse ich, Christina.“ Keriakoulla hielt einen Moment inne, bevor sie fortfuhr. „Schließlich kam dein Bruder auf die Welt. Andreas. So wie einer der vier Evangelisten. Andreas bedeutet ‚der Männliche’. Er sollte stark sein, stark, um in dieser Welt zu bestehen. Vier Jahre später wurdest du geboren, Christina. Christina bedeutet ‚die Christin’. Ich wollte, dass der Herrgott dich beschützt, denn ich wusste schon zu jenem Zeitpunkt, dass du einmal sehr viel Schutz benötigen würdest, denn auch du hast ein wichtiges Schicksal zu bestreiten. Auch in der Zeit in Deutschland, in Stolberg-Büsbach, diesem kleinen Kaff, kämpfte ich gegen die dunklen Mächte. Ich hatte sehr viel Glück, aber ich war auch gut. Ich konnte mich selbst verteidigen, und ich hatte Leute, die auf mich aufpassten. Aber wie sollte ich dich, deinen Bruder und deinen Vater beschützen? Durch die Sache mit Pavlos war mir bewusst geworden, in was für einer Gefahr sich diejenigen brachten, die gegen das Dunkel kämpften. Doch auch die Leute in unserer Umgebung waren in Gefahr. Ich konnte das Risiko nicht eingehen, dass sie herausfanden, wer ihr seid, und euch etwas antuen würden. Vielleicht kennst du das Problem von den Superhelden her, zum Beispiel Spiderman. Er hat auch Angst um seine Familie, und deshalb darf niemand seine wahre Identität erfahren. Doch ich bin kein Superheld. Ich habe keine andere Identität, als meine eigene. Ich wollte den Kampf nicht aufgeben, dafür war er zu wichtig. Doch selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte ich nicht aufhören können, dafür war es schon so spät. Der Feind war auf meiner Spur. Da tat ich das Einzige, was euch schützen konnte. Ich verließ euch. Ich zog hier nach Griechenland, nahm einen anderen Namen an, und eröffnete einen kleinen unauffälligen griechischen Grill. Natürlich kämpfte ich weiterhin gegen den Feind, doch ihr wart erst einmal außer Gefahr.“

„Wusste Papa davon?“, wollte die hübsche Halbgriechin wissen.

„Nein.“, antwortete Koulla. „zumindest glaube ich nicht, dass er es wusste. Aber ich denke, dass er etwas geahnt hat. Als ich ging, hatte ich ihm einen Abschiedsbrief geschrieben, in welchem stand, dass ich ihn immer lieben werde und er gut auf euch aufpassen soll.“

„Davon hat er nie etwas gesagt.“

„Jetzt weißt du also, warum ich euch verlassen musste. Ich musste euch verlassen, weil ich euch liebte, und alle, die ich liebte, waren in Gefahr.“

Christina fiel ihrer Mutter abermals um den Hals. „Ich versteh dich Mama. Ich versteh, dass du das tun musstest.“

Dann setzte sie sich wieder hin. Sie trank den griechischen Kaffee aus. „Möchtest du noch einen?“, fragte ihre Mutter sie.

„Nein, Danke.“, antwortete Christina ihr. „Nur ein Wasser.“

„Kriegst du, mein Kind.“ Kurz darauf gab sie ihrer Tochter das Glas Wasser. „Wie geht es Andreas?“

„Nicht so gut. Er ist ziemlich niedergeschlagen und deprimiert, weil er keine Arbeit findet.“

„Diese hohe Arbeitslosigkeit ist wirklich schlimm.“, stimmte sie zu.

„Aber ich glaube, momentan gehts ihm trotzdem wieder gut.“, entgegnete Christina schmunzelnd, als sie an Berkan dachte. Dieser hübsche Türke würde Andreas wirklich gut tun.

„Ich denke, es wird Zeit, dass du Christina über alles aufklärst, zumindest über das Wichtigste.“, erinnerte Anna Vissi.

„Ja, ich werde es versuchen.“, meinte die nette Griechin ruhig. „Es ist schwer, zu erklären. Also, Christina, du weißt ja, dass in der Geschichte der Menschheit schon oft viele schlimme Dinge passiert sind, und es viele böse Menschen gab. Der letzte Höhepunkt war, zumindest in Europa, der Nationalsozialismus. Aber ist dir aufgefallen, dass in den letzten Jahrzehnten, besonders in den letzten jahren, etwas vor sich geht, wie soll ich es erklären...? Also, das hört sich jetzt blöd an, weil es wie aus einem billigen Horrorschocker klingt, doch es ist leider so. Das Böse gewinnt immer mehr an Macht.“

„Das Böse? Aber was meinst du denn mit ‚das Böse’?“, fragte Christina irritiert. „Satan und die Teufel, oder was?“

„Ja.“

Diese knappe und ehrliche Antwort traf die junge Halbgriechin wie ein Hammerschlg. Ganz plötzlich bekam sie schleichende Angst. „Du meinst also, Satan, also Luzifer, existiert? Ich dachte, der wäre von der Kirche erfunden worden.“

„Ich weiß auch nichts hundertprozentiges, aber teils ja, teils nein. Dämonen gibt es schon viel länger als das Christentum, auch länger als das Judentum sind sie den Menschen bekannt. Man wusste eigentlich schon immer von ihnen. Dass Satan Luzifer war, ist ein Irrtum, denn Luzifer ist jemand anders. Satan war vorher nicht Luzifer, sondern Samael, falls wenigstens das stimmt, aber das ist nicht wichtig Es komtm nicht darauf an, wie sie heißen, ob sie Teufel, Dämonen, das Böse oder sonstwie nennt. Fakt ist, dass sie existieren, und dass sie das gesamte menschliche Geschehen beeinflussen. Es gibt zwei wichtige Ratschläge, die ich nicht oft genug wiederholen kann, und die du niemals vergessen sollst. Erstens: Mach die Augen auf. Sieh, was in der Welt geschieht. Sieh es selbst, mit deinen Augen, und mit deinem Bewusstsein. Zweitens: Wenn irgendetwas ist, egal was, dann hinterfrage es für dich und überlege immer gründlich, wer etwas davon hat.“

„Ich werde es versuchen.“, entgegnete Christina ernst.

„Gut, denn das ist sehr wichtig. In unserer heutigen materiellen Zeit glaubt kaum jemand mehr, dass es so etwas wie Satan oder Dämonen geben könnte. Dämonen werden eher mit Monstern aus Kinderserien gleichgesetzt, oder höchstens für irgendwelche Gruselstreifen wieder ausgekramt. Und jetzt denke daran, was ich dir gesagt habe. Wer hat etwas davon, wenn niemand mehr an Dämonen glaubt?“

„Die Dämonen selbst?“

„Richtig, denn wer nicht daran glaubt, kann sich nicht dagegen schützen. Und wer nicht daran glaubt, braucht auch keine Angst davor zu haben, dass nach seinem Tode etwas Schlimmes mit ihm geschehen würde, und kann deshalb tun was er will, egal ob belügen, betrügen oder morden. Heutzutage steht das Christentum ziemlich schlecht da. Warum? Da sind zwei gründe. Der erste wäre, dass Jesus und Gott überall, egal ob in den Medien, oder wo auch immer, lächerlich gemacht werden. Wieso sollte man also noch an so etwas Lächerliches wie einen Gott glauben? Das zweite ist die Kirche, besonders die katholische Kirche. Sie ist nicht schlecht, denn schließlich tut sie viel Gutes, besipielsweise durch die Caritas. Andererseits hat sie ein sehr schlechtes Image durch ihre Fehler in der Vergangenheit, also die Kreuzzüge, Hexenverbrennungen und Ähnliches, andererseits durch die Fehler, die sie heute macht, beispielsweise viele falsche Dogmen, wie Verbot der Verhütung oder Diskriminierung der Homosexualität. Nicht zu vergessen, dass einige Pastöre oder Priester menschlich totale Versager sind, also vom Gefühl her. Dadurch, dass sehr viele Menschen die Kirche, vor allem die katholische Kirche, ablehnen, lehnen sie auch gleichzeitig Jesus und Gott ab, obwohl das eine mit dem Anderen überhaupt nichts zu tun hat. Und wer hat etwas davon, wenn die Menschen nicht mehr an Gott glauben?“

„Wieder die Dämonen.“

„Richtig.“

„Aber der Vatikan, die Priesterschaft...“

„Das alles besteht auch nur aus Menschen, die von den negativen Wesen beeinflusst werden können. Wenn ein Priester keinen Glauben hat, sondern das einfach so macht, wie einen gewöhnlichen beruf, dann hat er keine chance, sic gegen die negativen Einflüsse zu wehren.“

„Und wir kämpfen also gegen diese Dämonen?“

„Indirekt. Gegen Dämonen kämpfen andere Leute auf dieser Welt, die auch unsere Verbündeten sind. Beispielsweiße weiße Hexen, Schamanen, Neu-Druiden oder wer auch immer. Unsere Gegner sind hier auf der grobstofflichen Ebene. Durch negative Beeinflussung ist es dem Feind gelungen, die gesamte Gesellschaft zu verändern. Böse sein gilt als etwas erstrebenswertes. Man hört ständig Jugendliche sagen, dass sie böse seien, und das meinen sie im Sinne von cool. Lieb sein hört sich blöd an, ist kindisch und uncool. Ebenfalls ein Synonym für Coolness ist es seit mehreren Jahren, wenn man ein Gangster ist. Ein Gangster wird als etwas Cooles angesehen, doch gangster ist eigentlich nur ein anderes Wort für Verbrecher. Das kann ein kleiner Dieb sein, aber auch ein Mörder. Es ist auch so, dass wenn jemand in einem Horrorfilm brutal ermordet wird, dass so etwas cool gefunden wird. Das ist nichts Neues, und ehrlich gesagt seh ich mir das auch hin und wieder gerne an. Aber hör mal verschiedenen Menschen zu, wenn in den Nachrichten über so etwas Schreckliches berichtet wird. Manche finden das geil, zum Glück nur einige Ausnahmen, aber erschreckend viele machen darüber Witze. Die finden das total lustig! Das waren jetzt nur einige Beispiele von vielen. Du wirst noch viel mehr erfahren. Aber du hast es jetzt eben, während ich sprach, vielleicht selbst bemerkt. Es geht um Kinder, um Jugendliche, um junge Erwachsene. Das ist das Fiese an diesen Drecksviechern! Sie fangen schon an, kleine Kinder so zu beeinflussen, machen es später weiter, wenn sie Jugendliche sind, und wenn sie schließlich erwachsen sind, ist es zu spät. So wird die gesamte Gesellschaft verdorben. Diese Kinder werden nämlich später Eltern und können ihren Kindern keine Werte mehr beibringen, udn diese werden dann noch schlimmer und immer so weiter. Das ist der schreckliche Plan des Feindes.“

„Oh Gott.“, entgegnete Christina. „Du hast mit allem Recht. Dass es solche Ausmaße annimmt...“

„Das meine damit, dass du die Augen aufmachen sollst. Seit wirklich erst mehreren Jahren ist es so, dass sehr sehr viele Jugendliche nicht mehr wissen, was Liebe ist. Woher auch? Das sieht man höchstens in irgendwelchen Schnulzen oder Telenovelas. Aber in der Realität nicht. Die Eltern lassen sich scheiden, und reden nur noch Schlechtes voneinander. In der Schule wird geprügelt, und selbst Grundschüler benutzen die schlimmsten Ausdrücke wie ‚Fotze’ oder ‚Hure’. Und das sieht man alles, wenn amn die Augen nur aufmacht und hinsieht. Was ist denn mit den jungen Liebespärchen? Sie küssen sich nicht mehr, sie halten nicht mehr Händchen, sie wissen nicht was Liebe ist. Sie haben nur noch Sex, kalten, gefühllosen Sex. Sie verwechseln Geschlechtsverkehr mit Liebe. Sie denken, wenn man zusammen ist, hat man Sex, mehr nicht. Das ist alles so was von schrecklich!“

„Aber nicht alle sind so.“, erwiderte Christina mit fast flehender Stimme.

„Richtig. Nicht alle sind so. Es gibt noch welche, die Liebe empfinden können, weil sie es selbst erfahren haben. Noch ist es nicht so spät. Auch wenn sich ein immer größer werdender Teil der Menschen nur noch für sich selbst, für Sex, für materielle Güter und für Alkohol interessiert, gibt es einen ebenfalls größer werdenden Teil, der sich für andere Leute einsetzt, der sich für Umwelt und Tiere interessiert, der sich gegen Armut engagiert. Noch nie wollten soviele Leute soziale Berufe ergreifen, wie in letzter Zeit. Der Numerus Clausus für Soziale Arbeit, den es vor einigen jahren noch teils gar nicht gab, da zu wenig dies studieren wollten, ist mittlerweile größtenteil höher als der NC für Medizin! Das muss man sich mal überlegen. Und aus diesem grunde, lohnt es sich zu kämpfen. Es gibt Menschen, denen ist alles egal und sie sind rücksichtslos allen anderen gegenüber, doch es gibt auch das genaue Gegenteil. Unsere Gesellschaft wird eine Gesellschaft zweier Extreme werden, von Apartheid bis hin zu sozialem Engagement höchster Stufe. Wir müssen uns nur entscheiden.“

„Ich habe mich entschieden.“, antwortete Christina fest entschlossen. „Ich werde für das Gute kämpfen, und wenn ich dabei zugrunde gehe!“

Keriakoulla sah ihre Tochter an. Sie hatte sich nicht in ihr getäuscht! Voller Freude schloss sie sie in die Arme.

Mama

Kapitel 9: Mama
 

„Christina, es ist Zeit zum Aufstehen.“, rief eine liebevolle weibliche Stimme.

Christina öffnete langsam die Augen. Die Sonnenstrahlen fielen durch ein großes steinernes Fenster und blendeten sie. Langsam setzte sie sich auf, gähnte einmal herzhaft, während sie sich streckte, und stand schließlich auf. Gemütlich schlenderte sie ins Badezimmer und erfrischte sich mit kaltem Wasser, welches sie sich ins Gesicht spritzte. Dann zog sie sich an und ging in die Küche. Auf dem Tisch war das Frühstück vorbereitet: Milch, frische Brötchen, Margerine, Honig und Marmelade standen zur Auswahl bereit. Sie setzte sich auf einen Stuhl und begann zu essen. Ihre Mutter kam durch die Tür, in der Hand eine Flasche Orangensaft.

„Guten Morgen, mein Schatz.“, begrüßte Keriakoulla ihre Tochter, während sie sich zu ihr setzte. „Hast du gut geschlafen?“

„Ja, wie ein Stein.“, berichtete die Angesprochene fröhlich.

Es war wie ein Traum. Sie hatte es sich immer gwünscht, mit ihrer Mutter gemeinsam zu leben, und so gewöhnliche Dinge wie ein gemeinsames Frühstück zu machen. Sie war nun schon über zwei Wochen in Griechenland, und es war das Paradies. Wenn dieser wunderschöne Traum doch niemals enden würde! Aber sie wusste, dass es nicht für immer sein konnte, die Realität würde schon bald erneut gnadenlos zuschlagen. Aber solange würde sie die Zeit, die ihr noch gemeinsam mit ihrer Mutter verblieb, genießen.
 

Bernhard Klein verabschiedete die Polizisten und schloss die Haustür hinter ihnen. Sie hatten immer noch keine Spur, wo seine Tochter sein könnte. Keine einzige. Was war nur mit ihr geschehen? Und diese Vorwürfe, dass sie diese anderen Jugendlichen ermordet haben sollte... Er konnte es nicht glauben. Wie sollte sie dies bewerkstelligt haben? Er setzte sich auf das Sofa und grübelte.

Andreas kam in das Zimmer und setzte sich zu ihm. „Mach dir keine Sorgen, Papa.“

Bernhard schaute seinem Sohn irritiert ins Gesicht. „Ich soll mir keine Sorgen machen? Meine sechszehnjährige Tochter ist verschwunden, ich habe keinen einzigen Anhaltspunkt wo sie sein könnte, sie wird wegen mehrfachen Mordes gesucht, ihr Mitschüler wollten sie lynchen, und ich soll mir keine Sorgen machen?“

„Sie ist in Sicherheit. Sie ist bei Mama.“

„Was?“ Er starrte ungläubig auf Andreas und versuchte ein Anzeichen in seinem Gesicht zu erkennen, dass es sich um einen Scherz handelte.

„Sie hat mir eine SMS geschickt, dass sie Mama gefunden hat und dass er ihr bei ihr gut geht. Und dass wir uns keine Sorgen machen sollen.“

„Wie hat sie sie gefunden?“, wollte der kräftige Mann wissen.

„Ich weiß es nicht, aber das ist ja auch egal. Die Hauptsache ist, dass sie sie überhaupt gefunden hat, und dass es ihr gut geht.“

„Bist du sicher, dass die Nachricht tatsächlich von Christina gesandt wurde?“

„Ja, ich bin mir hundertprozentig sicher.“

„Wir müssen sofort der Polizei Bescheid sagen. Vielleicht kann sie das Handy orten, mit dem die SMS verschickt worden war.“

„Tu das bloß nicht!“, warf der junge Mann aufgeregt ein. „Sie will nicht gefunden werden. Außerdem, ... Willst du, dass sie ins Gefängnis muss?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Dann sag der Polizei kein Wort davon.“

„Gut, du hast Recht.“ Er erleichtert richtete er sich auf. „Aber mir fällt jetzt ein so großer Stein vom Herzen! Ich bin so froh, dass ihr nicht passiert ist. Kann ich die SMS sehen?“

„Klar.“ Andreas nahm sein Handy hervor und zeigte seinem vater die SMS: ‚Hi, Andreas. Ich hab Mama gefunden und bin bei ihr. Mir geht es gut. Macht euch keine Sorgen. Sag auch Papa, dass ich ihn lieb hab und er sich ekine Sorgen machen soll. Lg Christina’
 

Christina sah sich zusammen mit ihrer Mutter Fotos von früher an.

„Weißt du, diese Fotos waren einige der wenigen Dinge, die ich von zu Hause mitgenommen hatte. Ich habe sie so oft angeschaut, doch diese ganzen Erinnerungen haben mir so weh getan, dass ich sie nach einigen Jahren weggepackt hatte. Dan habe ich sie nur noch selten angeschaut, doch schau hier, dieses Foto. Und dieses hier auch. Die habe ich nochmal und trage sie immer im Geldbeutel bei mir.“ Das erste Foto zeigte Bernhard und einen dreijährigen Andreas beim gemeinsamen Spielen. Auf dem zweiten Foto war Keriakoulla mit der neugeborenen Christina auf dem Arm zu sehen. „Und dieses Foto hier steht bei mir auf dem Nachttisch.“ Es war eine Fotografie von der gesamten Familie klein. Bernhard und Keriakoulla standen Arm in Arm verschlungen, vor ihnen stand Andreas, der seine Arme beschützend um Christina legte. „Ich habe jeden Tag vor dem Zubettgehen und nach dem Aufstehen gebetet, dass es euch gut gehen möge. Ich wusste ja gar nicht, was ihr so machtet, ich wsste immer nur, dass ihr am Leben seid, was mich sehr beruhigt hatte. Manchmal spürte ich es, wenn es euch schlecht ging, so wie in den Tagen, bevor du zu mir kamst.“

„Da ist ja auch meine Tante!“

„Ja, weißt du, woran sie gestorben ist?“

„Nicht genau. Ich dachte immer, es sei ein Tumor gewesen, doch sie sagte mir, sie sei von den Leuten, die unsere Feinde sind, umgebracht worden.“

„Deine Tante hat diesen Krebs nicht durch Zufall gekriegt. Da waren die Dämonen beteiligt gewesen, denn deine Tante hat auch für unsere Sache gekämpft. Die negativen Wesen hatten sich in den kranken Hautzellen eingenistet und alles verschlimmert. Sie hatten dies so geschickt gemacht, dass es zu spät war, als der Tumor entdeckt wurde. Diese Wesen, die sich im tumor festgesetzt hatten, waren sehr hartnäckig und stark, sodass der Krebs weder durch die Selbstheilungskräfte des Körpers, noch durch andere Heilkräfte besiegt werden konnte. Und so ist sie schließlich gestorben.“

„Ich vermisse sie so sehr.“

„Ich sie auch, doch die Toten muss man loslassen, sonst sind sie in einer Zwischenwelt gefangen. Wenn man am Bett eines Sterbenden sitzt, und diese Person stirbt, darf man niemals den Wunsch äußern, sie solle wieder zurückkommen. Das macht es der Seele nur schwerer, auf eine höhere Ebene zu gelangen.“

„Ich werds mir merken.“, antwortete Christina.“

„So, ich pack die Fotoalben jetzt mal weg, denn es ist Zeit für das Mittagessen. Ich mache die Tracchana, das ist du doch so gerne.“

„Ja, griechische Brotsuppe ist mein Lieblingsessen.“, freute sich die junge Halbgriechin. „Danke, Mama.“
 

Er hatte sie entdeckt. Er wusste, dass diese beiden die Gesuchten waren. Sein Griff fand ein langes Messer. Der richtige Augenblick würde kommen, das wusste er, man musste sich nur gedulden. Dann, wenn sie unachtsam sein würden, würde er zuschlagen und sie beide vernichten. Seine Auftraggeber würden zufrieden sein.
 

Nachmittags hatte Christina ihrer Mutter im griechischen Grill geholfen. Nachdeme er geschlossen wurde, streiften sie beide noch gemeinsam durch Athen. Mit der U-Bahn fuhren sie zum Sýntagmaplatz und in der Nähe des Platzes aßen sie ein Eis. Christina nahm ein Haselnusseis.

„Lass und weiter.“, meinte Keriakoulla plötzlich. „Ich glaube, wir werden beobachtet.“

Christina spürte ein unangenehmes Kribbeln auf dem Rücken. „Ja, lass uns gehen.“

Schließlich gingen sie weiter. Nach einiger Zeit waren sie auf dem Musenhügel, welcher südwestlich der Akropolis liegt. Beeindruckt stand Christina vor dem Philopapposdenkmal, welcher aus pentelischem Marmor besteht. Es war ein besonderer Anblick, auch wenn nur noch diese eine Wand stand. Die beiden steinernen Männer, die weit oben wie Herrscher saßen, hatten beide keine Köpfe mehr. Wer diese wohl gewagt hat abzuschlagen?

Von Norden her, dem Hügel Pnyx, welcher westlich der Akropolis liegt, näherte sich ein dunkle Gestalt. Es war in großer muskulöser Mann mit dunklen Haaren und schwarzen Kleidern. Keriakoulla drehte sich zu ihm um. Sie spürte eine negative Energie, welche von ihm ausging. „Was wollen sie?“

„Ich will euch töten. Das Philopapposdenkmal. Ein schöner Ort zum Sterben, findet ihr nicht auch?“

„Vielleicht für dich! Wir haben jedenfalls noch nicht die Absicht zu gehen!“, rief sie ihm wütend entgegen.“

„Ihr werdet gar nicht erst gefragt!“, entgegnete der Mann und grinste.

„Mama, wer ist das?“, wollte Christina wissen.

„Ich weiß es nicht. Er ist ein Feind, das ist alles, was wir wissen müssen.“

In diesem Augenblick zog der Mann sein Messer hevor und rannte auf die beiden Frauen zu. Keriakoulla lief ihm entgegen und in ihrer Hand erschien plötzlich ein Stilett. Mit diesem Dolch wehrte sie den Messerstich des Gegners ab und trat ihm mit voller Kraft in die Weichteile. Dieser krümmte sich vor Schmerzen, und die toughe Griechin versetzte ihm einen harten Tritt gegen den Kopf, sodass der Mann nach hinten flog. Doch er rappelte sich augenblicklich wieder auf, denn er wusste, dass ansonsten sein letztes Stündchen geschlagen hätte. Eine starke Energie traf Keriakoulla und lähmte sie. Christina bemerkte, was mit ihrer Mutter los war und wollte sie beschützen. Vor Wut zitterte sie und die starke Energie floss erneut durch ihren Körper. Diese Kraft erschuf tödliche Geschosse aus Eis, welche auf den großen Mann zuflogen. Mit voller Kraft baute er ein unsichtbares Schutzschild aus Energie auf, um den Angriff abzuwehren, was ihm auch gelang. Dadurch konnte er allerdings den Paralysationszustand von Keriakoulla nich aufrechterhalten. Diese nutzte diese Chance und griff von der anderen Seite an. Die relativ schmale, aber keineswegs allzu kurze Klinge des Stiletts traf den Angreifer direkt in sein Herz. Schnell zog Keriakoulla die Klinge wieder heraus und die Waffe verschwand. Man konnte bei dem Mann nur einen geringen äußerlichen Schaden erkennen, doch die innere Verletzung war umso größer. Tot brach er zusammen.

Christina lief zu ihrer Mutter. Diese betrachtete sie und bemerkte, wie die Energie langsam wieder aus ihr entwich. „Jetzt haben sie uns also schon gefunden. Ich wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, doch ich hatte gehofft, dass uns noch ein bisschen mehr Zeit bleiben würde. Christina, du musst noch heute diesen Ort verlassen.“

„Mama...“, protestierte die junge Frau mit traurigem Blick.

„Es muss sein. Es ist hier zu gefährlich. Wenn der nächste Gegner kommt, kann ich nicht garantieren, dass ich dich beschützen kann.“

„Kommst du mit?“

„Nein, ich bleibe hier. Ich muss hier ein wenig die Stellung halten. Ich werde Anna Vissi anrufen. Sie wird dich zu einem kleinen Privatflieger bringen. Mit diesem wirst du schließlich nach Hamburg gebracht werden. Unsere Seite hat dort ihr Ausbildungslager, dort wirst du sicher sein. Du wirst viele Leute kennen lernen, die sich gut um dich kümmern werden. Sie werden dir helfen, deine Kräfte zu kontrollieren und zu verstärken. Außerdem wirst du die nötigen Kampfkenntnisse erlernen und noch viele wichtige Dinge erfahren, die du brauchen wirst.“

„Wieso jetzt schon? Ich hatte dich gerade erst gefunden...“

Keriakoulla drehte sich zur Seite, damit ihre Tochter nicht die Tränen in ihren Augen glitzern sah. „Ich weiß, mein Kind, ich weiß.“ Dann sagte sie: „Komm, wir müssen schnell deine paar Sachen zusammenpacken, damit es schnell losgehen kann.“
 

Nach kurzer Zeit war alles fertig. Sie warteten nur noch darauf, dass Anna kam, und sie abholte. „Mama, wie hast du das eigentlich mit diesem Dolch gemacht?“, fragte Christina. „Der war plözlich da, und dann genauso schnell wieder weg. Anna Vissi hat auch so etwas Ähnliches gemacht, als sie mit diesen Wurfsternen, oder was das war, gekämpft hat.“

„Das war Materilisation. Das wirst du auch noch lernen. Aber es ist ein sehr langer Weg. Zuerst muss man das Visualisieren lernen, und erst dann, wenn man dies perfekt beherrscht, kann man Gegenstände erscheinen lassen.“

„Ich werde mir Mühe geben.“

Wenige Minuten später kam schließlich Anna. Zum Abschied umarmten sich Christina und ihre Mutter sehr lange, doch dann war es Zeit zu gehen. Christina stieg in Annas Auto, einen Honda Civic Hybrid, und zusammen fuhren sie irgendwo in die Pampas, wo weit und breit neimand zu sehen war. Dort stand ein kleines Flugzeug, eine Dornier Do 27, mit ihrem Piloten. Christina nahm ihr Gepäck aus dem Auto und gab sie dem Piloten, der sie im Flugzeug verstaute.

„Machs gut, Christina.“, verabschiedete sich Anna von ihr.

„Auf Wiedersehen, Anna.“ Christina stieg nach dem Piloten in den Viersitzer ein. Der Motor startete. Sie winkte noch zum Abschied, dann hob die Maschine ab.
 

„Der Killer, den wir jetzt geschickt haben hat auch versagt. Es ist einfach nicht zu fassen, was es für Weicheier gibt.“ Manuel Romeike starrte wütend Löcher in die Luft, doch dies sah man Aufgrund seiner Sonnenbrille nicht, die er trug, obwohl er in einem Raum war. Missmutig zog er an seiner Zigarette. „Diese Christina könnte eine große Gefahr für uns werden, wenn man bedenkt, wer ihr Mutter ist. Dieses blöde Miststück hatte unseren Bossen schon genug Ärger bereitet.“

„Denk nicht zu viel über diese kleine Schlampe nach.“, meinte Danny Bokelmann mit einer abweisenden Handbewegung. „Wenn mir diese Christina Klein mal über den Weg laufen sollte, dann mach ich sie kalt.“

„Halts Maul.“, entgegnete Manuel routiniert. Er war es gewohnt, Befehle zu geben. „Wir haben unsere Anweisungen bekommen, dass sie vernichtet werden muss. Die über uns geben keine Ruhe, bis sie abgekratzt ist. Deshalb sollten wir sie schnell kalt machen, und dann ist die Sache vergessen.“

„Wenn wir weiterhin einfach irgendwelche Killer hinschicken, werden wir sie nie kalt kriegen.“, warf Fabio Ferzan Cataldi. Der Deutsche mit türkisch-italienischer Abstammung sah Manuel genervt an. „Unser Geld wird uns nicht so viel nützen. Wir müssen uns schon selbst um die Sache kümmern, Alter.“

„Ja, da muss einer von uns professionellen ran, Atze.“

„Aber einer von unserer Seite.“, meinte Danny. „Wenn einer von, du weißt schon wem, es fertig bringt, und sie killt, dann hat er bei den Bossen gute Karten, und wir haben die Arsckarte gezogen. Noch haben sie sich nicht entschieden, wer aufsteigen wird, und wenn es einer von uns werden wird, dann soll es einer von uns sein, und nicht dieser Penner.“

„Ach, fick doch diesen Spast!“, warf Fabio ein. „Wenn einer diese Nutte fickt, dann einer von uns. Du glaubst doch wohl nicht echt, dass dieser Assi was auf die Reihe kriegt?“

„Das Problem ist,...“, entgegnete Manuel, „... dass er immer mehr Macht im Vergleich zu uns kriegt. Am Liebsten würden wir ihn auch kalt machen, doch bis jetzt hat er noch keinen Scheiß gebaut, also können wir nichts gegen ihn machen. Deswegen ist er auch der Liebling von den Bossen.“

„So ein Kack, Alter.“ Fabio kippte sein nur noch halbvolles Glas in einem Zug herunter. Warum regte er sich eigentlich so auf? Das Böse gewann immer mehr an Macht. Und das wa das Einzige, was zählte.

„Wir beide, wir kommen groß raus.“, flüsterte Fabios großer Bruder Aldo Ferzan Cataldi. „Und unser kleiner Bruder natürlich auch, den nehmen wir auch mit. Wir werden so etwas wie eine Triade sein. Im Vergleich zu uns werden selbst unsere Bosse wie nichts erscheinen, wenn wir erst mal an der Macht sind. Und Manuel auch.“

„Psst, sag das nicht zu laut!“, warnte Fabio ihn. „Noch ist es nicht so weit. Noch hält er uns ziemlich klein.“

„Reg dich ab, Alter. Was soll schon passieren?“, wehrte Aldo ab.

„Kein Plan. Aber halt dich mal etwas zurück.“

„Ist ja schon gut.“ Ja, noch würde er sich zurückhalten, aber eines Tages würde jeder von den Cataldi-Brüdern mit Ehrfurcht reden.

Alles ist neu

Kapitel 10: Alles ist neu
 

Christina sah aus dem Fenster der Dornier Do 27 und unter ihr wurde eine Stadt immer größer. Hamburg. Wie würde es ihr dort ergehen? Nun würde sich wieder alles verändern, nichts würde mehr so sein, wie es vorher war. War es vorher besser oder jetzt? Irgendwie hatte sie Angst. Es war, als ob sie auf ein großes schwarzes Loch zufliegen würde, welches sie verschlingen würde. Aber alles jammern würde nichts helfen. Alles was gestern war, ist vorbei, daran gibt es nichts zu ändern. Nun musste sie sich dem Neuen, dem Unbekannten, stellen. Sie würde es schaffen. Sie war nicht allein. Es gab Personen, lebende und tote, die auf sie aufpassten. Sie würde die Unterstützung erhalten, die sie brauchen würde. Momentan fühlte sie sich noch etwas verloren, doch sie wusste, dass es nicht so war.

„Schnallen sie sich bitte an.“, wies der Pilot sie an. „Wir werden in wenigen Minuten zum Landeanflug ansetzen.“

Den ganzen Flug über hatte der Pilot kein Wort mit ihre gesprochen, und wenn sie ehrlich war, dann war das Christina gerade recht gewesen. So konnte sie ihren Gedanken nachgehen, denn viel zu viel schwirrte ihr wieder im Kopf herum. Obwohl der Abschied von ihrer Mama erst wenige Stunden her war, vermisste sie sie schon sehr, denn sie wusste, dass sie sie nicht so schnell wiedersehen würde. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie überhaupt keine Telefonnummer, E-Mail-Adresse oder sonst irgendetwas von ihr hatte. Die einzige Art, wie sie Kontakt mit ihr aufnehmen konnte, war eventuell einen Brief zu schreiben, denn die Adresse wusste sie noch. Aber wenn ihre Mutter mit den Leuten, zu denen sie nun kommen würde, stand, dann gab es garantiert andere Möglichkeiten, mit ihrer Mutter in kontakt zu treten. Und selbst wenn nicht, dann konnte sie sich mit dem Gedanken trösten, sie kennen wenigstens gelernt zu haben.

Es war beeindruckend, Hamburg, diese große Hansestadt, zum ersten Mal aus der Luft zu sehen. Große Schiffe lagen am Hafen, die City war durchzogen von großen vorwiegend grauen und braunen Häusern, doch auch vereinzelte Grünflächen oder Bäume konnte man bei näherer Betrachtung entdecken. Doch als sie weiter über die Stadt flogen, wurde das Grün auch mal viel mehr. Eigentlich war es doch eine ganz schöne Stadt. Schließlich konnte Christina auch das Rathaus entdecken, welches wie eine Mischung aus einer Kirche und dem Schloss von Versailles aussah. Besonders das türkise Dach war sehenswert. Doch das Flugzeug flog immer noch weiter, bis an ein Randgebiet der Großstadt. Dort gab es einen kleinen Flughafen, wo sie unbeschadet landeten. Der Pilot stieg aus, half Christina heraus und nahm auch Christinas Gepäck. Dieses legte er in ein Auto, welches auf dem Flugzeug gestanden hatte und sagte: „Steig ein. Ich werde dich zur Hamburger Zentrale bringen.“

Christina stieg in den blauen Toyota Yaris ein und schnallte sich an. Die Reise war also immer noch nicht zu Ende. Doch es würde nicht mehr lange dauern.

Sie fuhren in einen der sieben Bezirke Hamburgs, nämlich nach Altona, den westlichsten Bezirk Hamburgs. Schließlich kamen sie in den Stadtteil Bahrenfeld und hielten vor einem großen, aber unscheinbaren, da ziemlich versteckten, Gebäude in der Nähe des Altonaer Volksparkes an.

„Wir sind da.“, meinte der Fahrer und Christina stieg, ihren Rucksack mit ihren Sachen auf dem Rücken, aus dem Auto aus. „Klingle, dann werden sie dich reinlassen.“, meinte er und fuhr wieder los.

‚Toller Rat’, dachte Christina. Da hätte er genausogut ‚Klopfe, und es wird dir aufgetan’ sagen können. Christinas Herz schlug vor Aufregung, als sie die Klingel betätigte und ein schriller Ton erklang. Ein Summen zeigte ihr an, dass sie eintreten konnte. Es war innen sehr dunkel und es sah ziemlich alt aus. „Hallo?“

„Komm hoch!“, rief eine weibliche Stimme von einem der oberen Stockwerke.

Als Christina in dene ersten Stock ging, sah es schon viel freundlicher aus, da viele Fenster da waren, aber sie musste weiter in den dritten Stock. Dort stand eine Tür offen. Sie trat ein und schloss sie hinter sich. Sie konnte ihren Augen kaum trauen, denn plötzlich waren ab dort die Räume wie in einem Luxushotel oder so etwas Ähnliches. Auch der Flur, durch den sie jetzt schritt, war sehr schön. An einer terracottafarbenen Tapete hingen tolle Gemälde und Fotos von verschiedenen Orten der Erde, und alles war hell erleuchtet. Als sie schließlich durch eine Tür trat, von der Stimmen kamen, und sie in einem riesigen Raum stand, kam eine freundlich aussehende Frau lächelnd auf sie zu. Diese schätzungsweise ungefähr zehn Jahre ältere Frau mit langen, welligen gepflegten Haaren und dunkelbraunen Augen, war Christina sofort symphatisch.

„Hallo. Du musst Christina sein.“, begrüßte die Frau sie und reichte ihr die Hand, welche Christina annahm. „Mein Name ist Jasmin Wagner. Ich werde deine Ansprechpartnerin hier sein und deine Kräfte trainieren. Ich weiß wie es ist. Bei mir hat auch alles angefangen, als ich ungefähr in deinem Alter war. Mit fünfzehn machten sich meine Kräfte zum ersten Mal richtig bemerkbar, und ich war total verunsichert. Dann kamen da diese ganzen Leute und sagten ich solle dieses und jenes machen und erzählten mir Dinge, die ich nicht so Recht verstand. Ich will nicht, dass es mit dir genauso geht, deshalb kannst du mich jederzeit alles fragen, was du wissen willst, oder nicht genau verstanden hat. Ich ich werde auch keine Dinge verlangen, die du noch nicht machen willst, oder die dich vielleicht noch überfordern. Es ist das Schlimmste, wenn man zu Dingen gezwungen wird, die man nicht machen will oder vor denen man Angst hat. Ich finde jeder sollte selbst entscheiden, was er machen will. Und diese Freiheit wirst du eingeräumt bekommen, dafür werde ich mic notfalls einsetzen. Wenn dir etwas nicht passt, einfach bei mir beschweren, ich bin dann nicht beleidigt, da brauchst du keine Angst zu haben.“

„Danke.“ Christina war froh, endlich nicht mehr allein da zu stehen, ohne Hilfe. „Und wie gehts jetzt weiter?“

„Also, komm mal mit, ich zeige dir dein Zimmer.“

„Ich soll hier einziehen?“

„Richtig, du brauchst dich nur auf das Training zu konzentrieren, und wenn du hier wohnst, ist es am Einfachsten, wiel du dann schnell hier in einem der Trainingsräume bist. Oder willst du vielleicht irgendwo anders wohnen?“

„Nein.“, antwortete das blonde Mädchen. „Ich wüsste auch gar nicht, wohin. Außerdem... Die Polizei sucht mich wegen mehrfachen Mordes.“

Jasmins Blick wurde teilnahmsvoll. „Ich habs schon von deiner Mutter gehört. Keine schöne Sache. Und du konntest ja noch nicht mal wirklich was dafür. Mach dir keinen Kopf, das wird schon alles. Hier wird dich die Polizei nicht finden, und falls sie dich sonst mal irgendwo aufschnappen sollte, aknnst du mit Hilfe deiner Kräfte bestimmt entkommen. Außerdem gibt es so viele Verbrecher allein in Deutschland, die polizeilich gesucht werden, da werden sie auf ein kleines Mädchen nicht achten.“

„Hey, ich bin kein kleines Mädchen!“, meinte Christina mit gespielt empört klingender Stimme.

„Ich weiß.“, lächelte Jasmin. „Du weißt ja, wie das gemeint war.“

„Klar.“

„Also, du wirst eine Zimmergenossin haben. Ihre Schwester ist schon länger im Kampf gegen den Feind unterwegs, deshalb kennt sie es schon ein bisschen, aber sie selbst fängt die Ausbildung ihrer Fähigkeiten auch erst an. Ihr werdet euch bestimmt gut verstehen.“

„Ja, eine Freundin könnte ich wirklich gut gebrauchen.“ Christina dachte an die Freundinnen, die sie noch vor Kurzem gehabt hatte. Janine war keine freundin, Katha ist irgendwo in der Gealt ihres Vaters und Tuba ist seit ein paar Monaten bei einem Schüleraustausch. An Tuba hatte sie schon lange nicht mehr gedacht. Sie würde sich bestimmt auch Sorgen um sie machen.

Sie kamen in einem kleinen, doch nicht zu kleinen, Raum an. Es standen zwei betten darin und die eine Hälfte des Zimmers war voll mit irgendwelchen Privatsachen und Postern an den Wänden. Jasmin zeigte auf das unbenutzte Bett. „Das wird dein Bett sein. Deine Kleider kannst du in diesen Schrank tun. Ich sehe, du hast nicht viel dabei, aber das ist nicht schlimm. Du kannst dir neue Kleider kaufen. Wir geben unseren Kämpfern für das Gute ein gehalt, denn es ist oft ein Full-Time-Job, und die Ausbildung ist sehr hart. Man braucht viel Disziplin. Da ist oft keine Energie für einen Nebenjob mehr. Zum Glück haben wir sehr viele wohlhabende Leute in unseren reihen, die unser Programm finanziell unterstützen.“

„Frau Wagner...“, begann Christina zögernd.

„Nenn mich Jasmin. Wir reden uns alle mit Vornamen an, denn keiner ist mehr wert als der Andere. So haben wir das mal beschlossen. Außerdem höre ich mich sonst so alt an, und das bin ich ja zum Glück noch nicht.“

„Also, Jasmin.“, fing Christina erneut an. „Kann man sich hier auch duschen.“

„Natürlich. Pro Zimmer gibt es ein eigenes Bad mit Dusche, da hinten ist Eures.“

„Könnte ich dann vielleicht mal...“

„Klar, kein Problem. Und wenn du da lang gehst, kommst du zur Küche. Du kannst dann noch was essen. Normalerweise essen wir alle zusammen, freiwillig natürlich, aber es gefällt den Meisten. Das Abendessen ist jedoch schon rum. Heute kannst du dich noch ausspannen, aber ab morgen gehts richtig zur Sache.“, meinte Jasmin augenzwinkernd. „Nein, keine Angst, wir fangen nur langsam an. Und den Kampftechniktrainer wirst du dann auch noch kennen lernen. Der ist auch ein ganz Lieber, aber ich lass dich jetzt mal alleine. Nur eins noch: Wenn du in deinen Schrank unten in die große Schublade siehst, wirst du verschiedene weiße weitgeschnitte Kleidungsstücke finden. Das wird zum Training angezogen. Aber du kannst sie auch nachher gleich anziehen, wenn du keine Sachen zum Wechseln dabei hast.“

„Vielen Dank, das werde ich.“
 

Christina genoss den warmen Strahl Wasser, der ihren Körper traf und in feinen Rinnsalen ihren Körper hinunterlief. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, zog sie die neuen Kleider an. Sie waren wirklich sehr bequem. Schließlich ging sie zurück in ihr neues Zimmer und ließ sich erschöpft auf ihr Bett fallen.

„Hallo?“

Christina hatte gar nicht das andere Mädchen bemerkt, welches auf dem anderen Bett saß und ein buch laß. Diese legte ihr Buch zur Seite, stand auf und kam auf Christina zu, welche sich ebenfalls aufrichtete.

„Bist du Christina Klein?“, fragte das blonde Mädchen, welches im selben Alter wie Christina sein musste. Sie hatte ihr langes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ein ehrliches Lächeln ließ ihre schönen Zähne zwischen edel geschminkten dunklen Lippen aufblitzen.

„Ja, das bin ich.“, antwortete Christina freundlich.

„Ich bin deine Zimmergenossin.“, erklärte das Mädchen. Mein Name ist Sofia Luisa Lewe, aber nenn mich ruhig Lulu. Das machen alle hier, und das hört sich auch nicht so hochtrabend an.“

„Das mach ich gerne, Lulu.“

„Hat Jasmin dir schon alles gezeigt?“

„So ziemlich alles. Ich bin jetzt etwas erschlagen von den ganzen vielen Infos. Und alles ging so schnell. Heute morgen war ich noch in griechenland, jetzt plötzlich in Hamburg...“ Christina machte eine kurze Pause, dann sagte sie: „Und die Leute die hier sind... Haben die alle diese Kräfte?“

„Ja, jeder von uns. Du wirst dich schnell daran gewöhnen.“

„Ja, ich denke, es ist gut so. Ich war die einzige, die diese übernatürlichen Fähigkeiten besaß, und ich war irgendwie ganz allein, aber jetzt ist hier plötzlich alles voll von solchen Leuten.“

„Ich glaube, das sollte so sein. Wenn ich hier eins gelernt habe, dann, dass alles einen Sinn hat.“

„Wie war es denn bei dir, als du deine Kräfte entdecktest?“

„Also, das war so: Ich saß in der Schule, und ich hatte wie verrückt für so eine Mathearbeit gelernt. Der Lehrer war allerdings mehrere Wochen krank gewesen, und erst einen tag vorher kam er zurück. Ich dachte, ich könnte alles, aber da waren plötzlich nur Dinge verlangt gewesen, die wir überhaupt nie gemacht haben. Wir haben den lehrer sofort darauf angesprochen, aber er hat nur gemeint, dass wir den Stoffplan erhalten hätten, und dass wir wissen müssten, dass dieses Thema in dieser Zeit behandelt werden würde, und dass er krank gewesen war, wäre keine Entschuldigung, wir hätten uns den Stoff selbst erarbeiten müssen, wir wären schließlich nicht mehr ind er Grundschule. Da wurde ich so wütend, und plötzlich brannten alle Blätter. Zum Glück wusste keiner, das das Feuer von mir kam. Ich erzählte das meiner Mutter, und sie schickte mich schließlich hierher. Ich wusste schon ungefähr was auf mich zu kam, weil meine große Schwester auch diese Gabe besitzt. Unsere anderen Geschwister können das komischerweise überhaupt nicht.“

„Wie war es bei deiner großen Schwester gewesen?“, wollte Christina wissen.

„Sie war völlig unvorbereitet, weil meine Mutter Soraya wollte Sarah nicht unnötig belasten, da sie ja nicht wusste, ob sie die Fähigkeiten geerbt hat. Das hätte sie aber besser mal machen sollen. Mann, war das schlimm. Sie war in so einen jungen verliebt, sie haben sich jeden Tage Liebesbriefchen geschrieben. From Sarah with love hat sie immer darauf geschrieben. War richtig süß, und sie waren dann eben zusammen, aber irgendwann hat dieser Typ gemeint, dass er Sarah nicht mehr lieben würde, und er seine Liebe jemand anderem geschenkt habe. Sarah war darüber so traurig, dass sie in regelrechte Lethargie und Depression verfiel. Und durch diese starken Emotionen wurden ihre Kräfte geweckt. Wir fanden sie am nächsten Morgen in ihrem Zimmer. Es war alles voller Eis und Sarah war ganz blau angelaufen. Unsere Mutter übertrug einen Teil ihrer Energie auf sie und konnte sie so schließlich vor dem Kältetod retten. Danach wurde sie mit einer starken Unterkühlung ins Krankenhaus eingeliefert und es dauerte einen halben monat, bis sie vollkommen genesen war. Durch diesen Vorfall belehrt, hat unsere Mutter mit jedem einzelnen von uns geredet, außer mit unserer jüngsten Schwester, die war damals noch nicht geboren, aber sie weiß es inzwischen auch. Es ist gefährlich, wenn man Magie unter großen Emotionen, egal ob Wut, Hass oder Trauer, betreibt.“

„Ja, das habe ich auch schon gemerkt, Lulu.“ Christina hielt sich schnell die Hand vor den mund, als sie gähnen musste. „Tut mir Leid, aber ich bin sowas von müde. Ich glaube, ich gehe lieber mal ins Bett.“

„Klar, mach das. Ich lese noch ein wenig, falls es dich nicht stört.“

„Nein, kein Problem.“, murmelte die müde Halbgriechin, während sie sich in ihrer Bettdecke verkroch. „Was ist das denn eigentlich für ein Buch.“

„So ein Buch über Pferde. Ich reite nämlich für mein Leben gern.“

„Schön.“, seufzte Christina, dann waren ihr die Augen zugefallen und sie schlief tief und friedlich.
 

Christina wachte langsam auf. Im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie war, doch dann erinnerte sie sich. Sie sah, dass Sofia Luisa sich schon am Anziehen war. Schließlich setzte die junge Halbgriechin sich ebenfalls auf, und zog ihre Kleidung an.

„Guten Morgen, Christina.“, begrüßte das blonde Mädchen sie fröhlich.

„Morgen, Lulu.“, entgegnete sie und gähnte dabei noch etwas. „Wie spät ist es eigentlich?“

„Kurz vor sieben. Um sieben Uhr ist gemeinsames Frühstück. Wenn wir es bis dahin schaffen, zeige ich dir, wer noch in unserer Gruppe ist.“

„Cool, da bin ich schon gespannt.“

Wenige Minuten später waren die beiden Mädchen auf dem Weg in einen riesigen Raum. Dort standen drei sehr lange Tische parallel zueinander. Zum größten Teil waren sie besetzt.

„Komm, wir setzen und hierhin.“, schlug Lulu vor und zeigte auf eine freie Stelle am ersten der Tische.

„Klar. In Ordnung.“

Auf dem Tisch standen mehrere Körbchen mit frischen Brötchen und Croissants. Zum Belegen der Backwaren standen Marmelade, Honig, Käse, Schokocreme und viele weitere Dinge zur Verfügung. Das war ein Frühstück, wie es die Protagonisten der Daily Soaps im Fernsehen täglich hatten, die Menschen in der Realität jedoch höchstens zum Wochenende hin. Christina griff zu und ließ es sich schmecken.

„Ich hätte nie gedacht, dass hier so viele Menschen wohnen.“, sagte sie zu Lulu. „Das Gebäude muss ja riesiger sein,a ls es sowieso schon aussieht.“

„Richtig, das liegt an zwei Dingen. Erstens ist das Gebäude länger, als normalerweise Häuser sind, und zweitens wurde ein Trick angewandt, den man von außen nicht sieht. Die Häuser, welche neben dem Gebäude stehen, durch welches du wahrscheinlich reingekommen bist, sind in Wirklichkeit Teil des Gebäudes, auch wenn sie vollkommen anders aussehen, und man denkt, es seien gewöhnliche Wohnhäuser. Dem ist aber nicht so, es ist alles ein großes durchgehendes Gebäude.“

„Erstaunlich.“, gab Christina verwundert zu. „Und diese ganzen Leute hier sind ebenfalls alle in der Ausbildung zum Kampf für das Gute, oder wie?“

„Ja, aber einige von denen sind Ausbilder. Es gibt unterschiedliche Gruppen und Stufen oder Grade. Wir beide sind in einer Gruppe eingeteilt, welche auf Niveau der ersten Stufe ausgebildet werden. Wenn wir die Kräfte irgendwann viel besser beherrschen, dann wird das Training härter, und wir kommen in eine Gruppe des zweiten Grades. Hier diese Leute, die du hier siehts, sind auf verschiedenen Levels, das sind nicht alles Anfänger. Wer in unserer Gruppe ist, das sind zum Beispiel diese sechs Mädchen dort. Die wirst du auch noch kennen lernen. Sie heißen Mandy Capristo, Senna Guemmour, Bahar Kızıl, Eliana D'Ippolito, Elvira Michieva und Kristina Neuwert. Sind alle ganz nett, besonders Mandy. Mit ihr versteh ich mich am Besten. Und diese da ist auch noch in unserer Gruppe, auch eine ganz Liebe. Ihr Name ist Liza Wilke.“

„Ob ich mir die Namen alle merken kann? Da werden ja noch viele dazu kommen.“

„Mach dir mal keinen Kopf. Alle kenne ich auch nicht.“

„Was ist denn mit diesem Jungen da? Ist der auch in usnerer Gruppe?“, wollte Christina wissen, während sie auf einen schwarzhaarigen jungen Mann zeigte.

„Ja, der ist auch bei uns, aber mit dem hatte ich noch nicht so viel zu tun. Ich glaube er heißt Matt. Ja, genau, er heißt Matt Mockridge.“

„Komischer Name.“

„Ja, hier gibts viele seltsame Namen.“, gab Lulu ihr lächelnd recht.

Sie beendeten ihr Frühstück, nahmen ihr Geschirr und brachten es in die Küche.

Lulu wandte sich zu Christina um und begann zu erklären. „Bei uns ist es so, dass es so etwas wie einen Haushaltsplan gibt. Dort steht dann drauf, wer an welchen Tagen was machen muss. Zum Beispiel das Essen vorbereiten, Mittags kochen, putzen, staubsaugen oder das Geschirr waschen oder abtrocknen. Das ist aber nicht so wild, man muss dan nur in die Spülmaschine einräumen. Bei so vielen Leuten müssen die Aufgaben klar verteilt sein, damit alles reibungslos funktioniert.“

„Das glaube ich.“, meinte Christina. „Und was passiert mit den Leuten, die sich nicht an die Vereinbarungen halten?“

„Die fliegen raus, so einfach ist das.“

„Was? Und wenn man es nur vergessen hat?“

„Dann natürlich nicht. Aber es gibt ja Leute, die einfach keine Lust haben. Und wenn man sich bei solch simplen Dingen nicht auf sie verlassen kann, wie soll das dann erst im Kampf sein? Deshalb finde ich das schon richtig, dass die dann rausfliegen.“

„Wo gehen wir jetzt hin?“

„Also, wir haben noch ein wenig Zeit und wir können noch ein wenig quatschen oder was du willst, aber um acht Uhr beginnt die Ausbildung. Dann müssen wir da sein, sonst kriegen wir Ärger, und am ersten Tag wäre das ja bei dir nicht so toll, oder?“

„Nö. Ich bin sowieso schon gespannt.“, antwortete Christina. Sie wusste nicht, was sie von ihr erwarteten. Konnte sie die Erwartungen, welche in sie gesetzt werden, tatsächlich erfüllen? Was, wenn sie ihre Kräfte nie hundertprozentig unter Kontrolle bringen würde? Nein! Sie musste cool bleiben. Sie würde so hart arbeiten, wie sie es noch nie getan hatte. Es war ihr Schicksal, und sie wollte es auch so. Sie hatte zwar keine richtige Wahl gehabt, aber sie wurde sich immer sicherer, dass sie sich so entschieden hätte, selbst wenn sie Alternativen gehabt hätte. Außerdem hatte sie es ihrer Mutter versprochen, und das war nicht nur so dahingesagt worden, sondern es entsprach der Wahrheit.
 

Als Christina und Lulu den riesigen Trainingsraum betraten, war er schon voller Schüler. Jasmin Wagner kam zu den beiden gelaufen. „Na, ihr zwei? Habt ihr euch schon gut miteinander bekannt gemacht?“

„Ja, klar.“, entgegnete Christina. „Sie hat mir auch alles schon sehr gut erklärt.“

„Das freut mich zu hören. Also, du kennst ja noch nicht deinen Ausbilder für die Kampftechniken. Aber er kann sich ja selbst vorstellen.“

Ein gutaussehender Mann von Mitte bis Ende dreißig kam zu ihnen. Seine stacheligen schwarzen Haare passten perfekt zu seinen dunklen Augen und bildeten einen Kontrast zu seinem weißen Trainingsanzug, welcher allerdings mit seinem eigenartigen Design etwas an eine Zwangsweste erinnerte. Er streckte die Hand aus und begrüßte Christina, welcher seine Hand ergriff. „Hi, Christina.“, sprach er mit symphatischer Stimme. „Ich bin dein Kampfausbilder. Mein Name ist Dero Goi.“

„Hallo.“

„Komm, wir gehen da hinten in den Raum, dann bringe ich dir einige Grundtechniken bei.“

„Natürlich. Können wir gerne machen.“, antwortete sie und kam mit ihm mit.

„Also, das Wichtigste ist, einen kühlen Kopf zu bewahren. Die beste Technik nützt nichts, wenn man unfähig ist, sie im richtigen Moment einzusetzen, deshalb trainieren wir sehr viel, bis einem die Techniken in Fleisch und Blut übergehen. Jetzt stell dir mal vor, ich wäre ein Angreifer. Und jetzt komme ich so auf dich zu.“ Plötzlich rannte er mit irrem Blick auf Christina zu und streckte seine Arme aus. Christina erschrak, wehrte ihn im ersten Augenblick ab, wurde dann jedoch von ihm festgehalten.

„War schon besser, als andere Anfänger.“, meinte Dero. „Du hast dich nicht evrschlossen, sondern den Angriff abgewehrt. Aber das Abwehren hat dich viel Energie gekostet, und da ich dir von der körperlichen Kraft überlegen bin, konntest du mich nicht lange aufhalten. Wie ich da so angekommen bin, hatte ich sehr viel Power reingelegt, das hast du aj bemerkt, oder?“

„Ja.“

„Wenn einer so ankommt, dann kannst du seine Angriffsenergie ganz leicht ablenken. Pass auf, ich zeig dir, wie. Greif du mcih aml an.“

„Na gut.“ Christina griff genauso an, wie Dero zuvor. Diese drückte schnell und ganz leicht von der Seite Christinas Arme zur Seite, sodass sie von ihrem eigenen Schwung fast das Gleichgewicht verlor.

„Siehst du, so einfach hättest du mcih abwehren können. Man muss die Energie des Angreifers ablenken, nicht sie zu blockieren versuchen. Und am Besten ist es, wenn man die Energie des Angreifers auf ihn zurücklenkt. Aber das wirst du noch lernen. Jetzt zeige ich dir eine andere Technik. Wenn du zum Beispiel jemanden so abwehrst, wie cih dich gerade, dann dreh dich so.“ Während er erklärte, machte er langsam alle Bewegungen vor. „Und durch den Schwung dieser Drehung kannst du ihm deinen Ellbogen mit voller Wucht in die Seite rammen, weil mit den Armen kann er sich ja nicht mehr schützen, da du deren Energie ja gerade in die andere Richtung gelenkt hast. Willst du es mal probieren?“

„Klar.“ Christina und Dero stellten sich wieder im Abstand wie zuvor auf. Dero griff wieder auf die gleiche Art und Weise an. Die hübsche Halbgriechin lenkte die angreifende Energie ab und rammte Dero den Ellbogen in die Seite. Dieser sackte zusammen und stöhnte.

„Eigentlich hatte ich gemeint, du solltest es mal so langsam ausprobieren, wie ich es dir eben gezeigt hatte, und nicht mit voller Power mir in die Magengegend. Na egal, ich bin ja selber dran Schuld, wenn ich mich nicht klar ausdrücke. Aber das war gut, Christina, das war sehr gut. Lass mir nur einen Moment, bevor wie weiter machen.“

„Okay.“ Christina grinste. Das hatte Spaß gemacht. Hoffentlich würde sie im Ernstfall genauso schnell reagieren.

„Also, und nun geb ich dir noch einenwichtigen Tipp. Du hast ja alnge Haare. Wenn dich jemand an den Haaren reißt, dann versuche deinen Kopf gegen seine Hand zu drücken, dann kann er das nicht mehr so gut machen.“

„Gut, ich dachte schon, ich müsste sie abschneiden.“, witzelte Christina.

„So, jetzt kannst du zu den Anderen und mit denen noch trainieren, aber sei bei denen nicht so rabiat.“

„Geht in Ordnung.“ Christina ging zu Lulu, Mandy, Senna und Liza. „Ich soll hier mit euch zusammen trainieren.“

„Gut.“, meinte Liza. „Wir trainieren hier gerade abwehren und angreifen. Ich bin übrigens Liza Wilke. Freut mich, dich kennen zu lernen.“

Auch Senna und Mandy stellten sich vor. Christina mochte auch diese Mädchen auf Anhieb. Besonders die offenherzige Art der schwarzhaarigen Liza, welche sich ihre langen Haare zu Zöpfen geflochten hatte, gefiel ihr. Die brünette Mandy war ein richtig süßes Mädel, welche einen guten Gegensatz zu der dunklen Senna bildete, welche Christina alles erklären wollte. Jede war auf ihre Art etwas Besonderes, und Christina war froh, dass sie sie in der nächsten Zeit näher kennen lernen würde.

Währenddessen hielt Dero sich die Seite, als er an Jasmin vorbei schlich. „Was ist denn mit dir passiert?“, wollte sie wissen und musste angesichts des schmerzverzerrten Gesichts etwas lächeln.

„Nichts weiter, aber eins sag ich dir. Mit dieser Christina haben wir einen richtigen Wildfang gemacht. Hat Power, das Mädel.“

Halt mich

Kapitel 11: Halt mich
 

Die Dose wackelte ein wenig. Christina starrte sie regelrecht an. Die Dose wackelte wieder ein bisschen. Dann flog sie durch den ganzen Raum und prallte gegen die gegenüberliegende Wand.

„Verdammt.“, ärgerte sich die junge Halbgriechin.

„Ganz ruhig Christina.“, meinte Jasmin Wagner freundlich. „Du hast gezeigt, dass du eine sehr starke Energie in dir trägst, du musst nur noch lernen, sie zu beherrschen. Stell die Dose wieder hin, und versuche erneut, sie zum Schweben zu bringen.“

Christina sah sich um. Lulu und Lisa konnten es schon recht gut, Senna ebenfalls. Elvira aber hatte auch ihre Probleme. Sie ging zur Dose, nahm sie und stellte sie wieder auf. Sie würde es schaffen. Sie würde nicht aufgeben. Entschlossen setzte sie sich im Schneidersitz auf den Boden und wurde ganz ruhig. Sie schloss die Augen, dann, nach einer Zeit, öffnete sie sie wieder. Sie streckte ihren Arm aus und stellte sich vor, wie ein unsichtbarer Lichtstrahl ihren Arm verlängerte, bis hin zu dem Objekt. Und nun hob die Dose ganz langsam vom Boden ab. Sie schwebte für einige Augenblicke, bevor sie herabfiel.

„Gut, Christina.“, lobte Jasmin sie. „Du bist in kurzer Zeit schon viel besser geworden. Du musst weiter trainieren, dann wirst du viel erreichen können.“

„Werde ich machen.“, versprach sie.

„Das war spitze!“, rief Senna ihr zu.

„Ach, übertreibt mal nicht.“, wehrte Christina ab, als sie merkte, dass sie rot wurde.

„Nein, wirklich.“, bekräftigte Senna sie. „Das kriegen einige von uns immer noch nicht hin, obwohl wir schon viel länger da sind als du.“

„Na vielen Dank!“, bemerkte Elvira. „das ist ja sehr aufbauend von dir!“

„So war das nicht gemeint.“, lächelte Senna. „Obwohl du wirklich schon viel weiter sein könntest. Du musst dich auf eine Sache genauestens konzentrieren, weißt du? Schau auf das Objekt. Denke an nichts anderes. Du und die Dose, ihr seid eins. Überwinde deine inneren Zweifel. Du weißt, du kannst es schaffen, denn du bist mit der Dose verbunden. Und jetzt... Lass sie schweben!“

Die Dose erhob sich für ungefähr eine halbe Sekunde, wackelte dann und fiel mit einem scheppernden Geräusch wieder auf die Erde.“

„Na, das war es noch nicht ganz, aber schon sehr gut, Elvira. Mit ein wneig mehr Übrung wird es klappen, da bin ich sicher.“

„Natürlich, Frau Lehrerin.“, entgegnete Elvira, während sie ihre Augen verdrehte.

„Senna denkt, sie sei auch eine Ausbilderin.“, bemerkte Bahar grinsend. „Aber im Grunde ist sie nur älter.“

„Hey!“, meinte Senna mit strengem Gesichtsausdruck. „Das will ich aber überhört haben, Fräulein.“

„Da siehst dus, Christina. So geht das bei uns jeden Tag.“

„Ist aber witzig.“, meinte die hübsche Halbgriechin. „Ihr seid ja schon fast wie Schwestern, wie eine richtige Familie.“

„Ich will gar nicht mit der da verwandt sein.“, witzelte Bahar.

„Sag ich ja! Wie in einer richtigen Familie.“

„Für mich wirst du immer meine große Schwester sein.“, bemerkte nun Mandy zu Senna.

„Und du bleibst unser Kücken, Mandylein.“, grinste Senna.

„Past nur auf, ich werde schnelle Flügge, als ihr alle denkt.“

„Bist wohl ein Nestflüchter.“, meinte Bahar stichelnd.

„Gar nicht.“

„Bleib doch noch ein bisschen bei uns.“, meinte Bahar und plötzlich fing sie gemeinsam mit Senna an zu singen: „Oh Mandy...“

„Geht da schon wieder los!“, rief Mandy und hob wie um Hilfe flehend die Hände zum Himmel.

„Solange sie nicht ’Oh Handy...’ singen, gehts ja noch.“, teilte Christina ihr augenzwinkernd mit.

„Stimmt, da hast du auch wieder Recht.“
 

Andreas Klein ging aus dem Haus und lief über die Straße. Nach wenigen Minuten war er in der Stadt angekommen. Berkan wartete schon auf ihn. Sie küssten sich zur Begrüßung. Er spürte die sanften und warmen Lippen des Türken auf seinen Lippen. Mit der Hand fuhr er sanft an dessen warmer Wange entlang. Er liebte ihn wirklich, dass wusste er nicht nur in solchen Momenten.

Als sei es erst gestern gewesen, erinnerte er sich an die erste Begegnung mit ihm.Seine erste Begegnung mit Berkan Erdogan. Es war auf einem Hip-Hop-Festival gewesen. Schon während des Konzertes war ihm Berkan aufgefallen. So einen dunklen gutaussehenden Typ übersah man nicht einfach. Als das Konzert zu Ende gewesen war, wollte Andreas nach hause gehen, doch vor dem Gelände sah er ihn wieder. Wie erstarrt sah er ihn an. Er hatte noch einen letzten Blick auf ihn werfen wollen, bevor er ihn vielleicht niemals mehr gesehen hätte. Dann hatten sich ihre Blicke getroffen. Schnell hatte Andreas zur Seite geblickt, doch es war zu spät gewesen. Berkan war zu ihm hingekommen und freundlich „Hi.“ Gesagt.

„Hi.“, hatte er unsicher erwidert gehabt.

„Ich hab gemerkt, dass du mich während des Konzerts beobachtet hast.“

„Hab ich gar nicht.“, hatte er schnell aufgeregt widersprochen.

„Ich weiß schon, was ich gesehen habe.“ Nach einer kurzen Pause hatte er hinzugefügt: „Willst du dich vielleicht mal mit mir treffen?“

„Äh... Was?“

„So ein Date. Ich hoffe ich hab jetzt nichts falsch interpretiert, das wäre mir dann sehr peinlich.“

„Nein, nein. Klar will ich ein Date.“

„Cool, freut mich.“

Und so hatte es angefangen gehabt. Sie haben sich immer besser kennengelernt und irgendwann kam es dann zum ersten Kuss. Dieser war wunderbar zärtlich und liebevoll gewesen. Und später kam auch der erste Sex. Andreas war zu diesem zeitpunkt keine Jungfrau mehr gewesen, er hatte schon mit mehreren Männern geschlafen gehabt, doch das war etwas ganz anderes gewesen. Während die anderen immer nur ihr Ding reingesteckt hatten oder was sonst noch, war das erste Mal mit Berkan wirklich etwas Besonderes gewesen. Es war romantisch, leidenschaftlich und wunderschön. Er hätte nach so vielem Sex, einzig vollzogen worden war, damit er gemacht wurde, nicht mehr daran geglaubt, dass Sex so schön sein könnte. Er hätte sich gewünscht, dass Berkan seine rstes Mal gewesen war, doch was geschehen war, war nicht mehr zu ändern.

„An was denkst du?“ Berkan sah ihn lächelnd an.

„Ach, an nichts.“, antwortete der aus seinen Träumen aufgeschreckte Andreas ihm schnell.

„Ehrlich? Du hast so abwesend gewirkt.“

„Ist egal.“

„Wie gehts eigentlich deiner Schwester? Hast du wieder was von ihr gehört?“

„Nur dass es ihr gut geht. Keine Ahnung. Na, was machen wir jetzt?“

„Ich nehm dich mit zu meinem Cousin, der hat ein Shisha-Lokal. Da können wir uns mal in aller Ruhe entspannen und einfach nur chillen.“

„Das kann ich gut gebrauchen. Ich wünschte, ich hätte endlich mal eine Arbeit.“

„Die wirst du finden, mein Schatz. Aber heute kannst du das alles einmal vergessen.“

„Ja, Gott sei Dank.“ Er küsste ihn erneut leidenschaftlich.

In diesem Augenblick kam Bernhard Klein vorbei. Er blieb stehen und riss ungläubig seine Augen auf. „Andreas?“

Dieser drehte seinen Kopf in die Richtung, aus welcher die Stimme kam. „Hallo, Papa.“

„Wer... Wer ist das?“

„Oh, das ist Berkan, den kennst du ja.“

„Stimmt. Was macht ihr da?“

„Knutschen.“

„Ach so... Dann ist ja gut.“ Nach einer kurzen Weile: „Tschüss, Andreas.“ Schnell ging er weiter.

„Na, das war ja was, jetzt.“, bemerkte Berkan.

„Ich glaube auch.“, entgegnete der Halbgrieche. „Lass uns gehen, ich glaube, jetzt brauche ich die Shisha noch dringender.“
 

„Was wirst du am Wochenende machen?“, fragte Mandy Grace Capristo, als abends zusammen im Aufenthaltsraum saßen.

„Ich hab überhaupt keine Ahnung, was ich machen könnte.“, entgegnete Christina ratlos.

„Wenn du willst, dann komm doch mit mir und den andern Mädels mit. Wir fahren mit dem Bus in die Innenstadt von Hamburg und werden da durch die Clubs ziehen.“

„Gerne. Wer wird denn alles mitgehen?“

„Also außer mir werden Senna, Bahar, Elvira, Kristina, Eliana und vielleicht Lisa und Lulu mitgehen.“

„Gut, abgemacht, ich komme dann mit.“ Christina war zuvor erst sehr selten in Discos oder Clubs ausgegangen, und diese würden nicht mit den riesigen Clubs, welche es vermutlich in Hamburg geben würde, zu vergleichen sein. Sie freute sich schon darauf. Ihr Vater hatte sie auch nicht so gerne ausgehen lassen, da behandelte er sie wirklich wie ein kleines Mädchen. Und jetzt hatte er überhaupt keinen Einfluss mehr darauf. Das war ein ziemlich seltsames Gefühl. Sie konnte machen, was sie wollte. Naja, fast. Doch sie brauchte jemanden, der ihr Halt gab, der sie festhielt. Ihr Papa, ihre Mama, ihr Bruder. Oder ein Freund. Bei Alex hatte nie wirklichen Halr gefunden. Halt mich fest, hatte sie mal zu ihm gesagt, doch er hatte sie einfach losgelassen. Das war ein Gefühl, als würde sie ertinken. Sie hatte kaum atmen können. Doch auch wenn er sie in seinen Armen gehalten hatte, hatte er sie nie wirklich wärmen können. Sie wäre fast dabei emotional erfroren. Irgendwie war es gewesen, als hätte sie sich schon selbst aufgegeben. Alex hatte ihr nicht gut getan, sie hatte sich mit ihm immer nur ihm Kreis gedreht, sie war ihm nie wirklich nah gekommen. Hatte er sich deshalb Janine zugewandt gehabt? War sie Schuld daran gewesen. Oh Gott, sie durfte nicht daran Schuld gewesen sein! Sie hatte die beiden umgebracht, wenn auch nicht vorsätzlich. Wenn sie die zwei in diese Situation erst getrieben hatte, dann...

Christina schüttelte den Kopf. So war es nicht. Sie durfte sich keine weiteren Selbstvorwürfe machen. Was passiert war, war passiert, und jeder ist für sein Tun selbst verantwortlich. Alex hatte sie nicht mit Janine betrogen, weil er Liebe wollte, sondern weil er einfach nur ficken wollte. Er wollte uns beide haben, und ihm waren meine Gefühle egal gewesen, und Janine waren meine Gefühle auch egal gewesen. Sie hatte es ausgenutzt gehabt, dass Alex so notgeil war. Dabei hatte sie ganz genau gewusst, wie wichtig er für mich war, auch wenn er mir nicht wirklich etwas gegeben hatte. Doch er war das Einzige, was ich hatte, und sie hat es mir vorsätzlich weggenommen. Und jetzt? Jetzt habe ich wieder nichts. Ich fühle mich so unvollständig, so verloren, so allein. Doch allein bin ich nicht mehr, und verloren auch nicht. Diese ganzen Leute hier wollen mir nur Gutes, und die da oben, wer auch immer sie sien mögen, ebenfalls. Sie haben sich einen Plan für mich zurechtgelegt, ich muss nur noch herausfinden, welchen. Und das zu mir passende Gegenstück, welches mich komplettiert, werde ich auch noch finden. So viele Menschen finden einen Partner, wieso sollte ausgerechnet ich ewig allein bleiben. Doch einen Partner zu finden, und mit ihm zusammen zu sein, hieß nicht automatisch, den Richtigen gefunden zu haben. Gibt es Liebe für die Ewigkeit, oder gibt es nur temporäre Verliebtheit? Würde sie die Antwort auf diese essenzielle Frage eines Tages erfahren?

Dero Goi riss sie aus ihren Gedanken. „Christina, ich werde zum Einkaufen fahren. Wenn du willst, kannst du mitkommen, dann siehst, wo hier die Geschäfte sind, falls du mal was brauchst.“

„Klar, ich komm gern mit.“, sagte sie schnell.

„Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich nackt fahre.“

„Bitte was?“, fragte die Halbgriechin irritiert nach und fragte sich, ob sie sich verhört habe.

„Das war nur ein Witz. Ich fahre natürlich nicht nackt.“

„Ach so.“

„Ich hab noch nen rosa String-Tanga aus Latex an.“

Christina war so verwirrt, dass sie gar nicht wusste, was sie sagen sollte, als Jasmin, welche in der Nähe gestanden hatte, näher kam uns lächelnd sprach: „Gewöhn dich lieber mal dran. Dero redet immer seltsames Zeug. Ich hab seinen Humor, oder was das sein soll, bis heute nicht verstanden.“

„Hör nicht auf sie.“, redete Dero dazwischen. „Sie ist nur sauer, weil sie auf so etwas steht, ich es aber nicht mit ihr ausprobieren will.“

„Dero, langsam ist es genug.“, sprach Jasmin gespielt ernst. „Also wirklich. Männer.“ Mit einer hilflosen Geste hob die Hände in die Höhe und verdrehte die Augen.

„Wer sagt dir denn, dass ich ein Mann bin, meine Liebe?“

„Das hier, Cheffe.“ Sie rieb ihm schnell über die stachelige Wange.

„Au, nicht so grob! Ich hab nur etwas zu viel Hormone. Hätte ich nur nicht damals dieses muskelaufbauende Zeug in der DDR genommen, dann würde mich nicht jeder für ne Frau halten. Meine Gefühle sind verletzt, mein Blümelein.“

„Jetzt aber im Ernst, Cheffe. Benimm dich anständig in Anwesenheit der jungen Dame. Der erste Eindruck ist der wichtigste.“

„Na gut, dann werde ich ihr schweren Herzens meine neuen Plüschhandschellen nicht vorführen.“

„Gott sei Dank.“

Seltsamer Typ, aber witzig, dachte Christina für sich. „Fahren wir jetzt, oder war da sauch ein Witz?“

„Ich mache nie Witze. Ich hasse Leute, die Witze machen. Lass und fahrn.“
 

Der Einkaufswagen füllte sich zusehends. Christina langte nach einer Packung Geflügel.

„Willst du das wirklich essen?“, fragte Dero ernst.

„Ich kanns auch wieder wegmachen. Was ist denn damit?“, wollte Christina wissen.

„Nichts. Nur, dass es mal ein denkendes und fühlendes Lebewesen war.“

„Bist du vielleicht ein vegetarier?“

„Ja. Schon inzwischen ungefähr mein halbes Leben.“

„Aha. Und wieso? Wiel es gesund ist, oder wegen den Tieren.“

„Das zweite. Du weißt ja, wie wichtig es ist, die Augen aufzumachen, zu sehen, wie es in der Welt aussieht, und nachzudenken. Ich habe irgendwann für mich persönlich entschieden, dass es nicht richtig, ein anderes Individuum gegen seinen Willen umzubringen und es aufzuessen. Jasmin ist auch vegetarier, sie war sogar schon Veganerin, doch inzwischen nur noch Vegetarierin, allerdings nicht mehr so richtig. Sie ist Fleisch sehr selten, und meistens Fisch, da der noch einigermaßen gesund ist, aber sie isst es.“

„So toll finde ich es auch nicht, dass Tiere umgebracht werden, aber ich denke darüber nicht so nach.“

„Es geht ja nicht nur darum, dass sie umgebracht werden, sondern wie sie umgebrahct werden, und wie sie bis dahin gelebt haben. Weißt du unter welchen Bedingungen beispielsweise die meisten Schweine leben? Den Menschen kommt es nur auf ihr Fleisch an, deshalb werden sie so lange und so schnell gemästet, dass ihre Knochen nicht schnell genug mit dem Wachstum nachkommen. Sie haben zu viel Gewicht und ihre Knochen brechen. Das sind unvorstellbare Schmerzen, und das nur, damit man Fleisch essen kann. Doch man braucht es einfach nicht. Für ein kurzes Vergnügen eines Menschen müssen andere Wesen ein Leben lang leiden. Das ist doch nicht mehr normal!“

„Das wusste ich nicht. Aber ich weiß nicht, ob ich wirklich auf alles Fleisch verzichten könnte, einfach so.“

„Versuch es. Du bist ein Mensch mit einem starken Willen. Du kannst es schaffen, wenn du nur willst. Außerdem, wenn sich deine Kräfte so entwickeln, wie ich denke, wirst du bald nicht mehr in der Lage sein, auch nur einen Bissen Fleisch runterzukriegen.“

„Wie meinst du das?“

„Deine Visionen werden stärker. Du wirst, sobald du das Fleisch berührst, spüren und erleben, was das Lebewesen gespürt hat, dessen Leib es war. Später wirst du dich dagegen abschirmen können, doch gerade ind er Anfangszeit, in der sich diese Fähigkeiten entwickeln, wirst du dich nicht dagegen wehren können. Und du wirst dich später auch an diese Momente erinnern und bis dahin wirst du dir das Fleisch essen abgewöhnt haben, glaub mir.“

„Das wird was.“, seufzte Christina skeptisch.

„Es ist sowieso unglaublich, wie wenig ein leben, besonders ein Tierleben, in der heutigen Welt wert ist. Sieh dir nur an, wo alles Gelatine drin ist. Es gibt über zwanzig Alternativen zu Gelatine, doch es wird viel zu selten genutzt. Oder die Tausende von Vögeln, die in Deutschland vor wenigen Jahren umgebracht wurden, aufgrund der Vogelgrippe.“

„Ja, sie mussten die Seuche halt eindämmen, auch wenn ich das für übertrieben hielt.“

„Unsinn. Denk immer daran, hinterfrage alles, was dir seltsam vorkommt, und frage dich, wer einen Vorteil davon hat. Die Vogelgrippe gibt es nicht wirklich. Beziehungsweise, das, was sie heute Vogelgrippe nennen, gab es shcon immer. Ich weiß zum Beispiel aus einer Erzählung meiner Mutter, dass vor fünfzig Jahren in einem Ort diese Krankheit wütete und alle Hühner starben, doch im Nachbarort, der nur einen Kilometer entfernt war, lebten noch alle Hühner. Und denk mal logisch nach. Die Politiker und die Medien haben Panik gemahct vor der Vogelgrippe, doch wer hat vor einer normalen Grippe Angst? Niemand, sie ist alltäglich. Doch pro jahr sterben in Deutschland Tausende an einer Grippe. An der Vogelgrippe ist in Deutschland noch nie eine einzige Person gestorben. Das wurde nur als Ausrede genutzt. Genau wie mit der Tollwut, die die Jäger gerne als Ausrede nutzen, um ihren Blutrausch an wehrlosen Tieren zu stillen. Mal ganz davon abgesehen, dass die Jagd eher noch zur Vebreitung der Tollwut beiträgt, stirbt pro Jahr durchschnittlich höchstens ein einziger Mensch in Deutschland. Und wenn man die Tollwut tatsächlich besiegen will, erreicht man das mit Impfstoffködern. Nicht durch Mord. Und das waren jetzt nur zwei beispiele von sehr sehr vielen, wo Leute irgendetwas erfinden, damit sie etwas Schreckliches tun können, und der Großteil der Bevölkerung nimmt es einfach so hin und glaubt es.“

„Aber warum nur diese ganzen schrecklichen Dinge?“, fragte Christina kopfschüttelnd, die es nun langsam mit der Angst zu tun bekam, als sie die Ausmaße dessen erkannte, wgegen sie kämpfen sollte.

„Christina, ich glaube, du weißt die Antwort schon. Frag dich, wer steckt dahinter?“

Ja, sie wusste die Antwort nur allzugut.

Lass mich frei

Kapitel 12: Lass mich frei
 

Christina träumte. Sie war in einem engen kleinen Raum. Es war ihr Zimmer bei sich zu Hause in Büsbach. Sie sah aus dem Fenster. Es begann die Abenddämmerung. Jugendliche liefen über die Straßen, einige waren noch jünger als Christina selbst. Sie gingen wohl zu einer Party oder in die Disco. Sie lachten miteinander, alberten herum, hatten viel Spaß. Plötzlich erschienen Gitter vor dem Fenster. Schnell lief sie zur Tür und öffnete sie. In der Tür stand ihr Vater, groß, mächtig, unüberwindbar. Er sah sie an, und fragte streng: „Wo willst du hin, Christina?“

„Raus. Ich will einfach nur hier raus.“

„Es ist schon spät, es wird dunkel. Nein, ich lasse dich nicht mehr so spät raus auf die Straße, wer weiß, was da passiert. Es ist besser, du bleibst daheim.“

„Behandel mich nicht wie ein Kind.“

„Dann verhalte dich gefälligst auch nicht so, und hör auf deinen Vater.“

„Ich tue doch schon alles! Ihc kümmere mich oft ums einkaufen, um den Haushalt... Was soll ich denn noch alles tun? Ich bin nicht mehr dein kleines Mädchen. Ich will einfach nicht mehr.“

„Du willst nie, was ich will.“

„Das ist ja schließlich auch mein Leben! Es sind meine Träume, nicht deine, die ich verwirklichen will. Lass mich endlich frei.“, verlangte Christina bestimmend.

„Solange du hier lebst, tust du, was ich sag. Immer dein Generve, Tag für Tag für Tag!“, schrie Bernhard sie an.

Doch Christina konterte lautstark: „Ich halt dein Sprüche schon lang nicht mehr aus! Ich hau einfach ab, ich muss jetzt hier raus.“

Sie wollte an ihm vorbeirennen, doch er versperrte ihr erneut den Weg: „Was glaubst du, wer du bist? Du bleibst hier!“ Christina drehte wütend den Kopf weg. „Hey, ich rede mit dir!“

„Lass mich...“ Sie starrte ihn wütend an. „Lass mich.. frei!“ Das letzte Wort wurde zu einem schrillen Schrei, der alles um sie herum auflöste.

Christina erwachte. Es war nur ein Albtraum. Ein Albtraum, der früher Realität gewesen war. Doch das ist nun vorbei. Sie konnte nun mehr oder weniger tuen, was sie wollte. Sie übernahm selbst für ihr Leben Verantwortung, auch wenn das hieß, für seine Fehler selber zu büßen und Entscheidungen treffen zu müssen, die einem niemand abnehmen kann. Doch diesen Preis war sie gerne bereit zu zahlen.
 

Andreas kam nach Hause. Es war morgen. Er war die ganze nacht mir Berkan unterwegs gewesen. Er schloss die Tür auf, trat ein, und wusste, dass sein Vater wach war. Schnell wollte er zur Treppe, um in sein Zimmer zu schleichen, doch da hatte ihn sein Vater schon entdeckt.

„Andreas, ich will gar nicht wissen, wo du die ganze Nacht warst..“, begann Bernhard Klein. „Doch ich wüsste gerne, ob es ernst mit euch ist.“

„Ja, das ist es.“, erwiderte der junge Halbgrieche sicher.

„Ich will nur nicht, dass du etwas einfach so anfängst, was dir später große Probleme bereiten könnte. Vielleicht solltest du es doch noch mal mit einem Mädchen probieren.“

„Dad, das geht nicht. Das ist keine Sache, die man entscheiden kann. Außerdem liebe ich ihn. Ich will gar nicht jemand anderen.“

„Gut, ich kann es wohl nicht ändern. Aber eins sollst du noch wissen. Seid vorsichtig, sehr vorsichtig. Du weißt ja, dass wir hier in Stolberg ein gewisses Neonazi-Problem. Wenn die euch sehen, werden sie euch zusammenschlagen. Besonders da er ja Türke ist.“

„Ich werde ihn schon verteidigen können.“, meinte junge Erwachsene zuversichtlich.

„Nein, Andreas. Ich meine es ernst. Du hast gegen diese Typen keine Chance. Seid achtsam.“

„Ist in Ordnung.“ Andreas lief die Treppe nach oben in sein Zimmer. Berkan durfte nichts geschehen, nie. Er hat ihm so viel gegeben. Liebe, Verständnis, einen Halt und Hoffnung. Er wüsste nicht, was er nun ohne ihn machen würde, zumal Christina nicht mehr da war.
 

Von außen sah der Club, in den Christina, Kristina, Elvira, Lulu, Liza, Mandy, Senna, Bahar und Eliana gingen nicht sehr auffällig aus. Es war schon dunkel, das künstliche Licht der Straßenlaternen beleuchtete den Eingang. Als sie im Gebäude waren, mussten sie einem leuchtenden Neonpfeil folgend eine Treppe hinuntersteigen. Die Musik wurde lauter und schließlich, als sie angekommen waren, dröhnte sie in Christinas Ohren. Lichter in verschiedenen Farben blitzten durch den ganzen Raum. Im hinteren Bereich ließ flackerndes Licht, das auf künstlichen Nebel fiel, die Bewegungen der Tänzer abgehackt und unvollständig aussehen. Es lief gerade der Song „Yeahr!“ von Usher.

„Kommt, wir setzen uns an die Bar.“, forderte Elvira ihre Kolleginnen auf. „Es ist gerade Happy Hour.“

„Na, das lass ich mir nicht zweimal sagen.“, meinte Senna und setzte sich auf einen der mit rotem Leder bezogenen Barhocker. „Einen ‚Sex on the beach’, bitte.“, sprach sie zum Barkeeper gewandt.

„Kommt sofort, hübsche Lady.“

„Wollen wir nicht ein bisschen tanzen?“, fragte Christina Senna.

„Nachher machen wir das.“

„Na gut.“ Sie setzte sich neben Senna und Lulu.

„Hey, Christina.“, sprach Senna plötzlich. „Dieser Typ, der da hinten sitzt, den kenne ich. Ich find ihn schon längere Zeit süß, aber es ist bis jetzt noch nichts draus geworden. Leider.“

Der Mann, von dem sie sprach, war offensichtlich arabischer Abstammung. Er hatte ein längliches Gesicht und ein markantes Kinn, welches durch einige Bartstriche besonders betont wurde. Seine stechenden dunklen Augen wurden durch pechschwarze Augenbrauen hervorgehoben. Seine Stirn wirkte sehr groß durch den sehr kurzen und fantasielos geraden Haarschnitt. Auf einer Seite seines Halses hatte er ein großes Tattoo, welches ein verziertes „b“ darstellte. Über einem sehr weißen T-Shirt trug er eine in kräftigen Tarnfarben gehaltene Jacke. Eine gewöhnliche BlueJeans saß ihm etwas tief. Er musste Mitte oder Ende zwanzig sein.

Neben ihm saß ein stämmiger Mann in ungefähr dem selben Alter, doch er war trotz seiner ebenfalls dunklen Hautfarbe ziemlich mondgesichtig. Alle seine Kleider, von der ziemlich dicken Lederjacke bis hin zur Basecap waren einfallslos schwarz, wobei auf seinem T-Shirt ein unübersehbares goldenes Symbol prankte. Man konnte ihn wirklich nicht als hübsch bezeichnen, und man sah sah schon an seiner Haltung gegenüber dem anderen Mann, dass jener derjenige war, welcher von beiden eher der Boss war.

„Ja, der ist ganz süß.“, stimmte Christina Senna zu. „Wie heißt er denn?“

„Er heißt Anis.“

„Anis? So wie das Gewürz?“, schmunzelte die hübsche Halbgriechin.

„Richtig, wie das Gewürz.“ Senna leckte sich über die Lippen.

Anis Mohamed Youssef Ferchichi hatte nun Senna entdeckt und kam, zusammen mit seinem Kollegen, auf sie zu. „Hey, Senna! Wie geil ist das denn? Endlich sieht man sich mal wieder, Bunny.“

Senna ließ sich auf beide Wangen küssen und entgegnete auch nichts, als er seine Hand wie zufällig auf ihrem Hintern ruhen ließ. „Hi, Anis.“

„Wer ist denn die kleine Lady hier? Ich kenn kenn dich ja noch gar nicht.“

„Ich bin Christina.“, stellte sie sich vor.

„Oh, habibi. Ein schöner Name, für eine schone Frau wie dich.“

„Du machst wohl jede Frau so an, oder?“, fragte die blonde Halbgriechin augenrollend.

„Ne, Alda. Nur die Ladys, die mir wirklich gefallen. Nicht die ganzen anderen bitches, die hier so rumlaufen.“

„Ach so. Und wer ist ne Lady und wer ist ne bitch?“

„Habibi, du bist ganz sicher keine. Vor den realen Ladys hab ich voll den respekt, Alda.“

Christina sah ihn skeptisch an. Lustiges Kerlchen, aber bestimmt voll der Macho. Doch Christina wollte keinen Milchbubi, ein bisschen amchomäßig muss ja schon drin sein, wenn er ein harter Mann sein will.

„Und wer ist da dein Kunpel?“, fragte sie Anis.

„Darf ich vorstellen? Mein bester Kollege, vol der Atze, das ist der Peter Pangerl.“

Christina konnte nicht, und musste laut lachen. „Wirklich, ein Name ist hier lustiger als der andere.“ Sie bekam einen ganz roten Kopf, so peinlich war ihr der plötzliche Lachanfall.

Auch jemand anders bekam einen roten Kopf. Peter Pangerl trat auf sie zu. „Pass du nur auf, Kleine! Sonst hast du ganz schnell einen in der Fresse, Mädel. Ich komm aus Österreich, Alder!“

„Nun aber mal langsam, Peter.“, beschwichtigte Anis. „Wo bleibt denn dein Sinn für Humor? Und so behandelt man keine Lady. Eine Lady verdient Respekt.“ Und zu Christina gewandt sagte er: „Ich geb dir nen Drink aus. Was willst du?“

„Ich... Ich weiß nicht. Ich hab noch nicht viel...“

Senna stupste sie von der Seite an. „Na komm schon, Christina.“

„Dann eben... Einen Kamikaze.“

„Einen Kamikaze für die Lady dort.“, rief er dem Barkeeper zu und deutete auf sie.

„Dankeschön.“ Chrisina begann an ihrem Drink zu nippen.

„Und, was krieg ich jetzt dafür?“, grinste Anis anzüglich.

Lulu stieß Christina von hinten in die Seite. Diese drehte sich um. „Was ist los?“

„Du wolltest doch tanzen. Komm, wir gehen jetzt.“

„Klar, gerne.“ Und zu Anis gewandt sprach sie: „Bis gleich.“

Christina war wie berauscht, doch das lag nicht an den paar Tropfen Alkohol, welche sie konsumiert hatte. Sie war irgendwie nicht mehr sie selbst, oder vielleicht mehr, als jemals zuvor. Hier in Hamburg war sie nicht mehr das kleine unbeliebte Mädchen, sie war eine junge Frau. Es hatte sich alles verändert, sie selbst hatte sich verändert. Sie wiegte sich in den Takt der Musik, ließ die dumpfen Bässe auf ihren Körper prasseln. Sie vergaß alles um sich herum, während sie ihre Hüften verführerisch kreisen ließ und schließlich ihr To für wenige Zentimeter nach oben schob. Sie zeigte einen perfekten Bauchtanz. Sie schloss die Augen und genoss die Blicke der Umstehenden. Sie wusste, dass auch Anis sie in diesem Moment anstarrte. Und es gefiel ihr.

An der Bar sprach Elvira zu Senna: „Wie macht sie das nur? Ich hätte nie geglaubt, dass so etwas in ihr steckt, und jetzt ist Anis ganz hin und weg von ihr. Wie er sie die ganze Zeit anstarrt.“

„Lass sie doch, Elvira. Ich freue mich für sie, dass sie endlich ein bisschen mehr aus sich rauskommen kann. Und Anis liebt es, mit den Mädchen zu spielen. Es hat nichts zu bedeuten. Ich denke, er wird eines Tages erkennen, dass ich inzwischen zu einer richtigen Frau gereift bin. Doch heute ist es Christinas Abend.“

„Das wollen wir doch mal sehen.“, flüsterte Elvira, leerte ihren Cocktail in einem Zug, und stieg auf die Bar.

„Was hast du vor.“, lachte Eliana verwirrt.

„Das wirst du schon sehen. Was die neue kann, kann ich schon lange.“ Sie ging langsam dne Tresen entlang, bis sie wusste, dass sie die Aufmerksamkeit von Anis gekriegt hatte. Dann begann auch sie zu tanzen. Sie kam zu einer Stange und wand sich vielversprechend um sie herum, anschließend bewegte sie sich aufreizend zurück über die Bar und zog ihre Bluse aus, sodass ihr BH zum Vorschein kam. Sie befeuchtete ihren Zeiegfinger mit der Zunge und ließ ihn zwischen ihren Brüsten zu ihrem Bauchnabel gleiten. Dabei sah sie auffordernd zu dem heißblütigen Halbtunesier hin.

Doch Anis murmelte lediglich „Bitch.“, und drehte sich desinteressiert von Elvira weg.

Entsetzt hielt diese inne, während sie beobachtete, wie Anis auf Christina zu ging. Von unten hörte sie eine Stimme: „Hey, würdest du bitte wieder da runter kommen?“ Es war der Barkeeper.

Währenddessen war Anis bei Christina angelangt und begann sie anzutanzen. Sie roch seinen Körpergeruch ein, so nah war er bei ihr. Sie tanzten noch eine ganze Weil weiter. Lulu, welche inzwischen wieder auf ihrem Platz war, sah ihnen zu. Peter sprach sie an: „hey, Kleine. Willste auch ein bisschen mit mir da vorne auf dem dancefloor abgeehen.“

„Nein.“, entgegnete sie kühl und beendete damit das Gespräch.

„Aber ich!“, mischte sich Elvira ein.

„Na, dann komm, Bunny.“, entgegnete Peter zufrieden, wenigstens ein einziges Mädchen abgekriegt zu haben. Im flackernden Licht drängte sie sich an den Österreicher. Ihre Körper tanzten wie ein einziger, doch wie ein ziemlich unbeholfener. Elvira beobachtete aus dem Augenwinkel heraus, wie sich Anis und Christina zum Beat bewegten, dann steckte sie Peter die Zunge n den Mund. Dieser ging freudig darauf ein und strich über Elviras Hintern. Einige Minuten später gingen beide unbemerkt von den Anderen aus der Disko heraus in einen dunklen Nebengang. Peter küsste sie immer fordernder, dann drehte sie zur Wand hin um, öffnete ihre Hose und zog diese ein Stück herunter. Anschließend öffnete er seine eigene Hose, umfasste ihre Brüste und drang von hinten in Elvira ein. Sie stöhnte lustvoll und auch ein wenig vor Schmerzen, denn er war nicht gerade zärtlich oder geschickt vorgegangen. Er stiieß immer wilder zu, er brauchte ihr Gesicht nicht zu sehen. Dann war er fertig. Er zog seine Hose wieder zu und sagte: „Das war geil gewesen, bitch.“, bevor er sie verließ.

Elvira sah ihm nach, dann setzte sie sich einfach auf den Boden, ohne ihre Hose wieder hochzuziehen. Sie kam sich ohnehin so schmutzig vor.
 

Ein paar Stunden später im Club, nach mehreren Drinks und einigen Tänzen, meinte Senna: „So, Mädels, dann wollen wir mal wieder gehen. Ich bin ehrlich gesagt schon völlig fertig.“

„Ja, lass und die Fliege machen.“, stimmte Liza ihr zu. „Kommst du, Christina?“

„Schon?“, fragte sie etwas enttäuscht. Sie war zwar auch shcon total müde, doch es hatte ihr so viel Spaß gemacht, dass sie gerne noch etwas geblieben wäre.

„Du kannst ja noch bleiben.“; meinte Anis. „Du brauchst aj nicht mit denen mitzugehen, du bist schließlich kein kleines Kind mehr.“

„Stimmt, das bin ich wirklich nicht mehr.“

„Oder du kannst auch mit zu mir kommen.“

„Ach, es wirklich spät geworden und ich bin auch etwas müde. Ich geh mal lieber mit, bevor ich noch irgendwo umfalle und einschlafe. Wir werden uns bestimmt bald wiedersehen.“

„Krieg ich deine Nummer, habibi?“

„Klar, einen Moment.“ Sie tauschten ihre Nummern aus, dann sagte sie: „Ciau, Anis.“

„See you, habibi.“ Anis küsste erst sie links und rechts zum Abschied, danach Senna.

„Wo ist denn eigentlich Elvira hin?“, wollte Eliana wissen.

„Keine Ahnung. Ist mir aber auch egal. Ich finds unmöglich, wie sie sich benommen hat. Voll peinlich, ey. Benehme ich mich etwa so? Ich dachte, sie hätte wenigstens ein bisschen gelernt, aber nein. Sie ist alt genug. Sie wird schon irgendwann zurück kommen. Ich gehe jetzt auf jeden Fall.“

Auf dem Rückweg durch die Nacht sprachen sie die acht Mädchen lautstark miteinander. „mann, Christina. Wie du abgegangen bist! Wow.“, lobte Kristina sie.

„Ach, ich hab doch nur ein bisschen getanzt.“

„Aber wie! Dem Anis ist ja schon der Sabber aus dem Maul gelaufen!“

„Wie alt der wohl ist?“

„Zu alt für dich, Christina. Denk nicht mal dran.“, antwortete Lulu.

„Ach Quatsch. Sieht doch noch süß aus.“

„Hab ich auch nichts anderes behauptet. Aber sei vorsichtig, besonders bei diesem Typen. Dass der auf seiner Schleimspur nicht ausgerutscht ist!“

„Naja, besser so, als anders, oder, Lulu?“

„Da bin ich mir nicht so sicher.“

Und plötzlich spürte Christina etwas. Eine große Energie des Hasses. Im nächsten Augenblick explodierte der Boden unter ihnen und die acht Mädchen nun in absoluter Alarmbereitschaft.

„Was soll das?“, rief Senna in die Nacht hinein. „Wer ist da? Zeig dich, du erbärmlicher Feigling!“

„Da oben ist er!“, rief Bahar und zeigte auf das dach eines sehr niedrigen Hauses, auf dem sich nun etwas bewegte.

Der Schatten sprang herunter, ohne dass ihm etwas geschehen wäre und rief: „Ihr dämlichen bitches. Ich werde euch kalt machen. Ihr steht uns nicht mehr im Weg!“ Der junge Mann hatte einen italienischen Akzent.

„Ach ja, du Großmaul?“, rief Mandy und schleuderte ihm eine Energiewoge entgegen. Dieser wich aus und schoss mehrere grell leuchtende Energiekugeln nach ihr. Der Angriff konnte durch ein unter großen Anstrengungen errichtetes Schutzschild abgewehrt werden. Kristina und Eliana liefen zu ihm hin, lenkten zwei Energiestrahlen ab und traten ihm in den magen. Der Mann krümmte sich kurz vor Schmerzen, bervor er eine erneute Explosion auslöste, welche die beiden Mädchen mit voller Wucht traf. Angesengt und ein wenig blutend lagen sie nun auf dem Boden.

„Wieso seid ihr so nah an ihn heran?“, rief Senna, während sie ihre Energie konzentrierte. „ihr wisst doch, dassihr im Nahkampf noch nicht gut genug seid!“ Dann schoss sie einen Feuerball ab, welchen den Mann an der Seite traf, doch die Verletzung war nicht schlimm. Er wollte eine weitere Energiewelle entsenden, doch Christinas Energie verhinderte dies, indem sie die Macht einfach zurücksendete. Der dunkelhaarige Mann prallte gegen steinerne Wand. Er wirkte etwas benommen. Senna erzeugte eine Explosion, den mann sehr hart traf. Diese Zeit, welche er brauchte, um sich wieder aufzurappeln wurde von Bahar genutzt. Die junge Türkin hatte zwischen ihren Händen sehr viel elektrische Energie gesammelt, Mandy tat es ihr gleich. Gemeinsam schossen sie blaugleißende Blitze auf den Feind ab, welcher davon durchlöchert wurde. Der Mann sank auf den Boden und feine Rinnsale dunklen Blutes flossen von ihm weg über den schwarzen Asphalt der Straße. Senna streckte ihre Hände aus und ließ mit ihren pyromantischen Kräften die Leiche verbrennen.

„Woahr.“, meinte Mandy, völlig außer Atem. „Wir habens geschafft. Wir haben gesiegt. Der Feind... ist tot.“

„Unser erster Kampf.“, stimmte Bahar zu.

Lulu und Liza, welche Kraftfelder zum Schutz aufgebaut hatten, stießen einen gemeinsamen erleichterten Seufzer aus.

„Wir waren in der Überzahl, und er war nicht besonders mächtig. Er war allein.“, analysierte Senna das Kampfgeschehen. „Und trotzdem sind wir schon fast an unseren Grenzen. Wir müssen unbedingt ernsthafter trainieren.“

„Noch ernsthafter?“, meinte Eliana. „Wir tun schon, was wir können. Wir waren nur etwas müde und angetrunken. Das ist sonst nicht so.“

„Und woher willst du wissen, dass der Feind nicht auf genau solche Gelegenheiten wartet?“, fragte Senna.

„Es ist jetzt vorbei.“, meinte Christina. „Wir brauchen uns nicht mehr zu streiten. Wir habne gesiegt“ Hey, freut euch!“

„Du hast recht.“, gab Senna zu. „Lasst uns nach Hause gehen.“

Sterben für dich

Kapitel 13: Sterben für dich
 

„Das kann einfach nicht sein! Diese Mistfotzen!“, schrie Aldo Ferzan Cataldi aufgebracht, während er in das Quartier seiner Mitstreiter in Berlin stürmte.

Sein jüngerer Bruder Fabio Ferzan Cataldi war sich sofort bewusst, dass etwas sehr Schlechtes passiert sein musste, denn wegen Kleinigkeiten würde Aldo sich nicht in solch einer Art und Weise aufregen. „Was ist denn los?“

„Unser kleiner Bruder...“, stieß der Halbitaliener mit wie unter Schock geweiteten Augen mühsam hervor. „Er ist tot, ey. Sie haben ihn umgebracht.“

„Was?“ Fabio war sofort hellwach. „Wie ist das denn passiert?“

„Diese verdammten Schlampen, ey! Er wollte sie sich allein schnappen, er hat gedacht, er könnte sie alle kalt machen, alleine. Warum hat er es denn nicht mit uns gemeinsam gemacht? Die waren zu viele. Er ist tot.“

„Nein, so ein Scheißdreck!“ Fabio brauchte Zeit, um die neue Situation zu realisieren. Das ganze Leben waren sie zusammen gewesen, sie waren zusammen aufgewachsen, haben zusammen gestohlen und gedealt, haben zusammen Bunnies aufgerissen. Sie waren das Cataldi-Trio, doch jetzt war es endgültig vorbei. Sie waren nur noch zu zweit. EiTeil fehlte plötzlich, sie waren unvollständig. Tränen des Zorns stiegen in ihm auf, und er drehte sich schnell zur Seite, damit seine Kollegen nicht bemerkten, wie sie aus seinen Augen traten. Er wollte nicht als Weichei dastehen.

„Fabio, Alter.“ Fabios großer Bruder näherte sich ihm und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. „Wir machen diese bitches fertig, wir rächen den Tod unseres Bruders. Sie haben unsere Familienehre beschmutzt, deshalb haben wir keine andere Wahl, ald die die Vendetta durchzuführen. Blutrache, Alter. Blut für Blut. Das Blut dieser Straßenschlampen für das Blut unseres kleinen Bruders! Die wissen gar nicht, worauf sie sich da eingelassen haben, wir machen sie fertig, bis zum letzten Tropfen Blut.“

Fabio wischte sich schnell die Tränen weg, und sah seinen großen Bruder an. „Korrekt, Alter. So machen wirs.“

Aldo sah ihn ernst und durchdringend an. „Doch wir müssen unsere Aktionen richtig planen, sonst bleiben wir auch auf der Strecke, Alter. Ich will nicht so enden, wie unser Bruder, ey. Verstehst du?“

„Auf jeden.“

Danny Bockelmann hatte diese Szene beobachtet. Auf der einen Seite war es natürlich schlecht, dass einer der Mitstreiter gestorben ist, auf der anderen Seite war es allerdings auch ein Rivale weniger. Die Cataldi-Brüder waren sehr mächtig, als sie alle zusammen waren. Nun hat sich ihre Kraft mindestens um ein Drittel reduziert. Einer von ihnen hatte versagt. Danny war zwar ein Mitläufer, doch er wollte nicht mit den Cataldi-Brüdern zusammenarbeiten. Er würde auf den richtigen Moment warten, und wenn sich die Gelegenheit ergab, eine der Schlampen allein zu erwischen, würde er sie kalt machen, und dafür würde sich sein Ansehen erhöhen. Er hielt sich momentan zwar sehr an Manuel Romeike, doch im Endeffekt wäre er gern selbst der Boss. Doch solange es ging, würde er Manuel, wenn es sein musste, in den Arsch kriechen, um weiter an Einfluss zu gewinnen und in der Hierarchie aufzusteigen. Eine Trophäe, nämlich ein getötete Feind, würde ihm dabei sehr von Vorteil sein. Er grinste bei dem Gedanken an seine Pläne kalt.
 

Mit höchster Konzentration, soweit es möglich war, versuchte Christina der Dose ihren Willen aufzuwzingen. Undtatsächlich schwebte sie für mehrere Sekunden lang ziemlich und nur mit geringem Wackeln in der Luft. Zufrieden ließ sie das Blechgefäß wieder scheppernd auf den Boden knallen.

„Sehr gut, Christina.“, lobte sie Jasmin Wagner stolz. „Du hast dich innerhalb der letzten Tage sehr gesteigert. Ich bin positiv überrascht. Es zeigt mir, dass in dir noch sehr viel mehr Kraft stecken muss, als wir alle bislang ahnen.“

„Schön, das höre ich natürlich gern.“, stimmte die Halbgriechin der Halbkroatin zu. „Das gibt mir noch mehr Ansporn, noch mehr zu trainieren und noch besser zu werden.“

Etwas weiter weg zischte Elvira zu Eliana: „Jetzt ist dir hier auch noch besser! Scheint, als würde sie sich überall zum allgemeinen Liebling hochschleimen.“

„Du hast Recht.“, stimmte Eliana ihr zu. „Erst dachte ich, das wäre ein ganz normales Mädchen wie wir alle heier, soweit man und als normal bezeichnen kann natürlich, doch nun glaube ich, dass mit ihr irgendetwas nicht stimmt. Sie scheint mir richtig eingebildet und hochnäsig zu sein. Sie hält sich für etwas Besseres, nur weil ihre Kräfte manchmal stärker sind, als Unsere. Und wie sie Jasmin und Dero vollschleimt! Ich könnte kotzen, wenn ich sehe, dass die darauf auch noch reinfallen.“

„Eines Tages wird die blöde Kuh schon noch merken, wie es in der richtigen Welt zugeht, dann wird sie vielleicht endlich aufwachen.“

Senna hatte einen Teil des Gespräches mitangehört. „Ihr seid doch auch nicht mehr alle ganz dicht, oder? Was sollen denn diese dummen Gespräche? Wir sind ein Team, und deshalb sollten wir uns auch über Fortschritte der Anderen freuen, und sie nicht durch solche Gespräche abwerten. Ich habs mit euch langsam satt. Jasmin und Dero versuchen ständig, euch alles beizubringen, und unterstützen euch, wo sie nur können, ich helfe euch, so gut es geht,...“

„Danke, auf deine Hilfe können wir verzichten.“, erwiderte Elvira trotzig. „Spiel dich mal nicht so auf. Du befindest dich genauso wie wir auch in der Ausbildung, du bist weder unsere Mutter, noch selbst ein Ausbilder.“

„Bitte, was?“, wurde Senna nun wütend. „Ist das der Dank, dass ich euch geholfen habe, wenn ihr Hilfe brauchtet? Das ist ja wohl total unverschämt von euch.“

Seit dem Diskobesuch war das Verhältnis innerhalb von Christinas Ausbildsgruppe verändert. Eliana, Elvira und Kristina verhielten sich Christina gegenüber ziemlich kühl, und auch Lulu, Mandy und Bahar gegenüber waren sie sehr reserviert, welche nämlich immer, wenn es nötig war, Partei für Christina ergriffen. Und da Elvira total unzuverlässig war und sich auch weigerte, zu sagen, wieso sie plötzlich an jenem Tage verschwunden war, ohne Bescheid zu sagen, war Senna ziemlich sauer auf sie, und Elvira war sauer auf Senna, da diese Christina immer in Schutz nahm und sich überhaupt aufspielte wie sonstwer.

Senna verstand einfach nicht diesen ganzen Neid. Wie oft hatten Dero und Jasmin ihnen schon eingebleut, dass sie alle ein Team seien, und trotzdem schienen sie es nicht kapiert zu haben. Außerdem hätte eher Senna einen Grund, auf Christina eifersüchtig zu sein, da sie selbst in Anis verliebt war. Doch da sie eine faire Verliererin war und Christina mochte, gönnte sie der jungen Halbrgriechin ihren Erfolg.

Christina hatte sich während der letzten Zeit des Öfteren mit Anis Ferchichi verabredet, und trotz des Altersunterschiedes war sie dabei, sich total in ihn zu verlieben. Sie dachte oft an ihn. Seine dunklen Augen, seine Pseudo-Ghetto-Sprache, die so niedlich unbeholfen klang, seine ganze irgendwe schon so erwachsene Art. Sie brauchte jemanden, bei dem sie Halt fand, und vielleicht war Anis ja derjenige, der sie schützen würde.

Es war wieder Kampftraining an der Reihe. Dero Goi hatte ihnen schon viele gute Selbstverteidigungtechniken beigebracht, und nun sollten sie sie gegeneinander einsetzen. Als Trainingspartnerin hatte sie dieses Mal Liza Wilke. Liza war in solchen Sachen, da es ihr großen Spaß machte. Christina stand ihr gegenüber und sah Liza direkt in die Augen.

„Bist du bereit, Christina?“, fragte sie und stand schon in Position.

„Ja, ich bn soweit.“, meinte sie sicher.

„Dann kanns jetzt losgehen.“

Liza griff mit einem Kinnhaken an, vernachlässigte dabei jedoch nicht ihre eigenen Deckung. Christina wehrte diesen Schlag ab und zog ihr Knie hoch, um es ihr in den Magen zu rammen, doch auch dieses Manöver wurde abgewehrt. Dann trat sie ihr gegen die Seite. Liza nutzte diese Gelegenheit udn hielt das Bein fest, doch damit hatte die junge Blondine gerechnet. Sie nutzte, dass ihr eines Bein festgehalten wurde, um sich mit dem anderen Bein vom Boden abzustoßen und kam dadurch hoch genug, um mit dem Sprungbein Liza am Kopf zu treffen. Die schwarzhaarige junge Frau wurde zu Boden geschleudert, doch rollte sich elegant ab. Sofort stand sie auf und nutzte den Überraschungsmoment, um Christina mit einer schnellen Abfolge von Boxschlägen in Bedrängnis zu bringen. Diese wich immer weiter zurück, doch gelang es ihr, sich nach vorne zur Seite zu werfen, sich abzurollen, aufzustehen und in der selben Bewegung Liza mit einem Tritt hart in den Rücken zu treffen. Liza verlor das Gleichgewicht, legte sich ab und ehe sie reagieren konnte, kniete Christina auf ihr drauf, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnte.

„Ich gebe auf.“, sagte sie laut und deutlich. „Du hast sehr gut gekämpft.“

„Dankeschön. Du aber auch.“, antwortete Christina lächelnd.

Nachdem sie von ihr wieder runtergestiegen war, sah sie sich um. Matt Mockridge hatte seinen Kampf gegen einen anderen Jungen ebenfalls gewonnen. Er konnte gut kämpfen, denn Christina hatte ihn schon mehrmals dabei beobachtet, wie er mit spektakulären Rückwartssaltos allen Angriffen ausgewichen war, nur um ihm nächsten Augenblick selbst zurückzuschlagen.

Als der Kampfunterricht für den Tag zu Ende war, sah Christina auf ihr Nokia N90. Anis hatte eine SMS geschrieben. Er wollte sich heute wieder mit ihr treffen. Aufgeregt machte sie sich für ihn fertig. Es war nun schon ihr viertes Date mit ihm.
 

Anis erwartete die hübsche Halbgriechin schon. Der Treffpunkt war am zweithöchsten Bauwerk Hamburgs, dem Heinrich-Hertz-Turm. Dieser Fernsehturm in Hamburg-Mitte erstreckt sich majestätisch und weithin sichtbar mit einer beachtlichen Größe von 279,2 Meter über Grund Richtung Himmel.

Christina dachte bei sich, wie schnell dieser Halbtunesier doch sehr wichtig für sie geworden war. Irgendwie gab er ihr Sicherheit. Er war groß, breitschultrig und muskulös. Christina war sich nicht darüber bewusst, dass dieses Aussehen so ziemlich alle Frauen aufgrund eines uralten Instinktes anzog. Schon in der Steinzeit suchten sich die Frauen ihre Partner nach solchen äußerlichen Kriterien aus, da es ihnen Sicherheit gab. Ein muskulöser großer Mann war in der Lage, genügend Nahrung zu erjagen und konnte somit für sie und eine gemeinsame Familie sorgen. Doch nicht nur die Frauen waren unbewusst auf diese Art und Weise Sklavin ihrer Urtriebe.

Anis sah Christina an. Auch ihm gefiel, was er sah. Er wusste nicht, dass die wohlgeformten Hüften Christinas ihm unterbewusst die Information gaben, dass sie ein gebärfreudiges Becken habe, welches viele Kinder in die Welt setzen könnte, wodurch seine Art gesichert sein würde. Er schielte wie nebenbei auf die festen Brüste der jungen Frau. Die Größe des Busens sagte seinem Instinkt, dass sie in der Lage war, seine Kinder zu stillen.

Doch auch wenn das gegenseitige Wohlgefallen auf diesen Dingen lag, war das Letzte, woran die Beiden momentan dachten, der Erhalt ihrer Erblinie.

„Hi, Habibi.“, begrüßte er sie. „Was geht? Alles fit?“

„Klar.“

„Du, Süße, ich muss was mit dir bereden.“, sprach Anis langsam. „Mit uns beiden kann das so nicht weitergehen, weißt du? Ich weiß gar nicht, wo ich bei dir dran bin. Meinst du es ernst? Weil, wenn du es nicht ernst meinst, dann ist das nix. Du bist so viel jünger als ich, Babe. Ich hab keinen Bock wegen nem Flirt in den Knast zu gehen, verstehst du? Die deutsche Gesetzgebung verbietet das. Verführung Minderjähriger nennen diese Wichser das. Die Penner da oben wissen doch gar nicht was hier mit uns abgeht. Das sind doch selber alles Kinderficker, wenn du mich fragst! Aber dann machen sie einen auf weiße Weste. Wenn du nicht weißt, was du willst, und einen auf Zicke machst, sollten wir das Ganze jetzt besser hier beenden.“

Christina erschrak bei diesen Worten. Nein, sie wollte ihn nicht verlieren. Anis wendete sich gerade zum Gehen, als sie aufgeregt rief: „Nein, bleib hier! Ich... Ich mein es wirklich ernst, glaube ich.“

Ein kurzes befriedigtes Lächeln, welches einem Grinsen ähnelte, spielte über das Gesicht des dunkelhäutigen Mannes, bevor er sich zu Christina umdrehte. „Du glaubst es?“

„Nein, ich bin mir sicher!“, sagte Christina ernst, doch gleichzeitig fast flehend. „Ich bin mir ganz sicher, ich weiß es. Bitte verlass mich nicht.“

„Ich weiß nicht.“, sprach Anis langsam. „Uns Ausländer haben die Bullen doch eh auf dem Kicker. Die warten doch nur auf ne Gelegenheit, um uns zu ficken. Kann ich mich wirklich hundertprozentig auf dich verlassen?“

„Ja. Ja, das kannst du, ich würde alles für dich tun. Ich würde auch sterben für dich, wenn es sein müsste.“

Anis sah ihr in die grünen Augen und stellte zufrieden fest, dass sie es ernst meinte. „Bist du dir sicher? Bin ich nicht zu alt für dich?“

„Nein, man ist so jung, wie man sich fühlt. Und ich selbst bin auch sehr reif, körperlich und geistig. Man kann das Alter doch nicht an irgendeinem Datum festmachen! Jeder Mensch ist doch vershieden! Und ich persönlich fühle mich alt und reif genug, um selbst entscheiden zu können, mit wem ich zusammen sein will, und mit wem nicht.“

„Einverstanden.“ Anis trat auf die hübsche Blundine zu. „Dann lass uns unseren Entschluss besiegeln, Habibi.“

Anis legte seine großen Hände um Christinas Hüften und zog sie zu sich heran. Dann küsste er sie. Seine Zunge drang zwischen Christinas weichen Lippen hindurch und fand ihre Zunge. Die junge Frau genoss diesen Moment, welcher ihr ein Gefühl von sexueller Lust gab. Gleichzeitig hatte sie das Gefühl in ihm zu ertrinken. Sie verlor sich ganz in ihm, doch als sie die Augen öffnete, bemerkte sie, dass seine Augen weg sahen. Sah er sie nicht? Schnell schob sie diesen Gedanken beiseite. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, wie ein Ertrinkender sich an ein Stück Treibholz krallt.
 

Senna Guemmour befand sich in einer sehr angesagten Disko, welche an diesem Abend vorwiegend RnB spielte. Sie hatte wie wild getanzt, und es hatte ihr sehr viel Spaß gemacht, doch nun merkte sie erst, wie verschwitzt sie war. Sie suchte den Weg zur Toilette, um sich etwas frisch zu machen. Als sie die Frauentoilette gefunden hatte, öffnete sie die Tür und trat ein. Erfreut bemerkte die dunkelhäutige Frau, dass sich niemand drinnen befand, sodass sie für einige Minuten ihre Ruhe hatte. Sie stellte ihre Tasche neben das Waschbecken und suchte hektisch ihren Lippenstift. Verärgert stellet sie fest, dass es nicht besonders hell war, da nur zwei Röhren der Hallogenbeleuchtung funktionierten, die restlichen schienen kaputt zu sein. Diese beiden funktionierenden flackerten zu allem Überfluss auch noch. Senna atmete einmal tief durch, befor sie sich das Gesicht mit kaltem Wasser erfrischte. Dann sah sie in den großen Spiegel über dem Waschbecken, welcher mit einem filigranen Riss am Rande durchdrungen war.

Irgendwie die schwarzhaariger junge Frau kalt, doch sie wusste nicht wieso. Sie nahm ihren karmesinroten Lippenstift zwischen die Finger der rechten Hand und wollte beginnen, sich die Lippen zu schminken, als sie im Spiegel hinter sich eine Gestalt wahrnahm. Erschrocken wollte sie sich umdrehen, doch da packten sie schon starke Hände am Kopf und schlugen ihn gegen den Spiegel. Diese bekam eine ganze Anzahl neuerlicher Risse und ein roter Fleck an der Aufprallstelle kündete von einer Platzwunde auf Sennas Stirn.

„Verdammt!“ Sie rieb sich die schmerzende Stelle an ihrem Kopf und sah sich um, doch da war niemand mehr. „Zeig dich, du Dreckskerl!“, schrie sie wütend. Doch als keine Antwort kam, lief sie, während sie sich vorsichtig umsah, zur Tür. Als sie daran zog, wurde ihr bewusst, dass sie sich nicht öffnen ließ. Sie war gefangen! „Verdammt, du feiges Arschloch! Zeig dich endlich.“ Sie ärgerte sich über den verzweifelten Ton in ihrer Stimme.

Eine Gestalt trat aus einer der Tilettenkabinen. Es war ein Mann, welcher zwischen zwanzig und dreißig Jahren alt sein musste. Er trug einen einfachen und etwas schäbig wirkenden grauen Pullover, untr welchem er vermutlich ein schwarzes Shirt trug. Seine pechschwarzen Haare waren sehr kurz geschnitten und setzten sich, wie auch der in kantigen Formen rasierte Bart, überhaupt nicht zu den teerschwarzen Augen ab. Doch seine Lippen wirkten ungewöhnlich rosig. „Was hast du es denn so eilig zu sterben, Senna?“, sprach er in höhnischem und kaltem Ton.

Da sie ihrem Feind nun endlich Auge in Auge gegenüberstand, begab sich die geübte Kämpferin in Angriffsposition. „Das gleiche könnte ich dich fragen.“, entgegnete sie kühl. „Wer bist du?“

„Ich bin Danny Bockelmann, doch diese Information wird dir nichts mehr nützen, da du sie niemandem mehr erzählen kannst. Du bist die Erste von euch, welche ich töten werde, doch nicht die Einzige. Ihr werdet alle sterben.“

„Du gehörst zum Feind.“, sprach Senna anklagend. „Ich werde dich genauso vernichten, wie wir diesen Arsch letzte Woche vernbichtet haben.“

„Halt deine Fresse, Schlampe.“, meinte Danny, nun etwas unbeherrschter, und schleuderte eine schwarze Energie auf Senna. Doch diese wich mit einem Sprung geschickt aus. Danny schoss weiter und immer weiter. Senna sprang n alle möglichen Richtungen. Die Kabinen explodierten und der Geruch der Kanalisation breitete sich schnell aus. Senna errichtete ein unsichtbares Schutzschild, von welchem die dunkle Macht abprallte. Schnell rannte der Mann auf sie zu und sein Körper zerschlug die Energiewand. Seine Hände schlossen sich um Sennas Hals und pressten die Frau gegen die kalten Wandfließend. Senna zog ihre Knie an und rammte sie ihrem Angreifer in die Magengegend, sodass dieser sie losließ. Diese Gelegenheit nutzte sie, um ihrerseits eine starke Welle mentaler Energie ihrem Gegener entgegenzuschleudern. Danny flog auf die andere Seite des Raumes und er spürte, dass bei der Wucht des Aufpralles einige Rippen angebrochen sein mussten. Er kümmerte sich nicht um die Schmerzen, sonderne rschuf mit seiner Wut eine finstere Energiekugel, welche zwischen seinen Händen immer weiter wuchs. Senna wusste, dass sie nicht ausweichen würde können, und diese Kraft sie zerfetzen würde, also konzentrierte sie sich ebenfalls auf die Kugel und ließ sie auf diese weise vorzeitig explodieren. Da sie noch nicht das volle Ausmaß erreicht hatte, überlebte Danny Bockelmann diese Explosion, doch er gab noch nicht auf. Er attackierte Senna nun mit seinen Fäusten, doch er verließ sich nur auf seine Kraft. Senna wendete die Dinge, welche sie von Dero Goi gelernt hatte, an, und konnte sich so ohne große Probleme unter den Schlägen wegducken und selbst austeilen.

Noch während er zuschlug benutzte Danny überaschend wieder seine dunklen Kräfte. Da Senna nicht damit gerechnet hatte, wurde sie gegen die Wand geschleudert. Der Spiegel, welcher wie durch ein Wunder noch an der Wand hing, fiel dabei herunter und zerbrach in viele kleine Teile. Senna spürte, dass ihr Knöchel verstaucht war. Mit schmerzverzerrtem Gesicht fuhr sie darüber. Danny verstand, dass sie nicht mehr entkommen konnte. Langsam, um ihr die letzten Momente mit Angst zu erfüllen, trat er auf sie zu und in seinen Fäusten pulsierte schon die schwarze Energie, welche den tod bringen sollte. Doch Senna wartete nicht einfach auf ihr Ende, sondern nutzte ihre telekinetischen Fähigkeiten. Um die Energie zu unterstützen, machte sie eine Armbewegung nach vorne. Die Glasscherben des Spiegels flogen auf den unvorbereiteten Angreifer zu. Senna schloss die Augen, und sah somit nicht, wie die scharfen Geschosse Danny Bockelmann regelrecht zerfetzten. Arterien, Sehnen, Adern und Nerven wurden überall durchtrennt, Splitter drangen durch den Schädel ins Gehirn ein und die blutige Leiche fiel mit einem flatschenden Geräusch auf die Fliesen. Blutgestank mischte sich zu dem Fäkal- und Uringeruch.

Senna stand unter Schmerzen auf und humpelte zur hinteren Wand. Dabei vermied sie den Blick auf den zerfetzten toten Körper. Sie sprengte mit letzter Kraft ein Loch in die Wand und ging hinaus. Sie wollte jetzt nur noch zurück zur Basis. Sie hatte keine Kraft und keine Möglichkeit, dieses Mal die Spuren des Kampfes zu beseitigen.

Du liebst mich nicht

Kapitel 14: Du liebst mich nicht
 

Jasmin Wagner saß entspannt auf dem großen weichen Sofa, mit dem Rücken an die Brust Dero Gois gelehnt. Seine starken Arme hielten sie umfangen. Gemeinsam sahen sie sich eine DVD im Fernsehen an. Doch Jasmin konnte sich nur schlecht auf die Handlung des Films konzentrieren, sie genoss vielmehr die angenehme Gegenwart Deros, wie sie beide da so Herz an Herz saßen. Doch leider waren sie nur gute Kollegen und inzwischen enge Freunde, dachte die Halbkroatin mit Widerwillen. Es wird sich nie mehr daraus entwickeln, da Dero verheiratet war. Nicht nur das, er hatte auch noch zwei Kinder, eins davon ein Kleinkind. Doch eins schien Jasmin merkwürdig. In all den Jahren, in denen Jasmin und Dero zusammen arbeiteten, hatte sie niemals Deros Frau und Kinder kennengelernt oder auch nur Fotos von ihnen gesehen. Wenn Dero Urlaub hatte, oder mal übers Wochenende wegfuhr, sagte er oft, er führe zu seiner Familie. Doch das war leicht dahingesagt. Die hübsche Frau mit kastanienbraunen Haaren hatte schon seit Längerem den Verdacht, dass Dero seine Familie nur erfunden hatte, doch aus welchem Grund sollte er so etwas tun?

Jasmin sah in Deros hübsches Gesicht und versuchte darin etwas abzulesen, was ihr vielleicht eine Antwort auf ihre unausgesprochenen Fragen geben könnte. Doch sie musste sich mit Vermutungen begnügen. Die Vermutung, welche ihr als die wahrscheinlichste Variante vorkam war, dass er dieses Verhalten an den Tag legte, um sich emotional abzuschirmen. Er wollte vielleicht keine Beziehung an sich heranlassen, weil er eventuell in der Vergangenheit zu stark verletzt worden war. Doch von wem, und womit? So offen und witzig sich Dero nach außen hin gab, umso verschlossener und ernster war er in Wirklichkeit. Natürlich war es seine Privatsache, die Jasmin nichts anging, aber sie wollte ihm helfen und sie würde gerne eine Beziehung zu ihm aufbauen. Trotz dass er zehn Jahre älter Als Jasmin war, war er extrem hübsch und knuffig, sodass sie sich eine Partnerschaft sehr gut vorstellen könnte, doch dazu müsste Dero seine Maskerade aufgeben und sich öffnen. Außerdem gab es einen weiteren grund, weshalb es wichtig war, dass Dero mit sich selbst ins Reine kommen würde. Wenn ein Mensch nicht eins mit sich ist und unehrlich zu sich selbst, dann ist dies immer eine große Angriffsfläche für die dunklen Mächte. Dies sagt Dero auch oft zu den Neuankömmlingen, doch wenn er dies sagt, und es nicht selbst tut, wird er unglaubwürdig. Jasmin fiel in diesem Zusammenhang ein Sprichwort ein, welches in etwa lautete, dass man sich erst selbst heilen soll, bevor man Andere heilt.

Dero blickte Jasmin mit zusammengezogenen Brauen an. „Langweilt dich der Film? Du scheinst so abwesend.“

„Nein, der Film ist cool.“, antwortete Jasmin schnell. „Ich bin nur ein bisschen müde.“

„Du wirst alt, mein Mädchen.“

„Haha, das musst du gerade sagen.“, entgegnete Jasmin augenrollend.

In diesem Augenblick humpelte Senna herein. Sie hielt sich am Türrahmen fest und schaute die Beiden völlig fertig an. Sie war von oben bis mit Blut gespritzt.

Jasmin stand schnell auf und lief zu ihr hin. „Um Himmels Willen, Senna! Was ist denn passiert?“

„Es... Es gab einen Kampf.“, sagte sie langsam. „ich wurde von so einem Typen angegriffen. Danny hieß der, und ich konnte ihn nur knapp besiegen. Fast hätte er mich umgebracht.“

„Lebt er noch?“

„Nein, er ist tot.“

„Bist du verletzt worden?“, fragte Jasmin ehrlich besorgt.

„Ja, mein Fuß. Ich kann nicht mehr richtig auftreten. Es tut so verdammt weh.“

„Leg dich hier auf die Couch.“, sagte Dero ernst.

Senna humpelte zur Couch hin und legte sich vorsichtig darauf. Jasmin nahm sanft den Knöchel zwischen ihre Hände und ließ Energie hinein fließen. Diese warme Kraft wirkte heilend auf die Verletzung. Dero kam dazu. „Du hast auch viele Prellungen.“, stellet er fest. „Und deine Energie ist stark gesunken. Ich kann deine Schwäche fühlen.“ Er trat ans Sofa heran und legte seine Hände auf Senna Gesicht. „Schließ die Augen.“

Senna spürte, wie die Schmerzen in ihrem Körper nach und nach weniger wurden und sich eine wohltuende Wärme in ihr ausbreitete. Und kurz darauf war sie eingeschlafen.

„Der heilende Schlaf wird sie stärken.“, meinte der schwarzhaarige Mann zu Jasmin.

„Richtig.“, stimmte sie ihm zu. „Ich denke, wir sollten sie jetzt alleine lassen, damit sie sich erholen kann.“

Sie gingen vor die Tür und schlossen diese leise. „Der Feind meint es ernst.“, äußerte Dero seine Sorge. „Im Moment scheint er wieder sehr aktiv zu sein. Wir leben in einer sehr kritischen Zeit.“

„Ich weiß.“, meinte Jasmin. „Aquarian Age. Das Zeitalter des Wassermanns. Nicht sehr gut. Und eigentlich sollte es doch ein goldenes Zeitalter sein, nachdem wir den Übergang aus dem Zeitalter der Fische geschafft haben.“

„Richtig. Die Menschen beginnen mehr und mehr sich vieler Dinge bewusst oder wieder bewusst zu werden. Mit Hilfe mystischer Methoden der Selbsterkennung kann es ihnen gelingen, im Einklang mit sich selbst zu kommen, und genau das wollen diese negativen Wesen verhindern. Deshalb kommt nun die geballte Ladung Finsternis auf uns zu. Das, was gekommen war, das war erst der Anfang. Wir gehen heißen Zeiten entgegen.“

„Ja, das ist klar. Es hat ja gerade erst angefangen. Das Zeitalter der Fische begann ungefähr mit Jesu Geburt. Das Zeitalter des Wassermanns wird auch um die zweitausend Jahre andauern, und das ist verdammt lange, jetzt, wo sich alles so rasend schnell verändert.“

„Außerdem ist der Übergang noch nicht vollständig vollzogen. Wir befinden usn ja noch an dem Frühlingspunkt zwischen den beiden Sternbildern. Es hat in den 1960er Jahren begonnen und wird erst nach ein paar jahrzehnten des 21. Jahrhunderts vollendet sein. Das heißt, es liegt an unserer Generation, dafür zu sorgen, dass sich dieses Zeitalter tatsächlich zum goldenen Zeitalter entwickelt, in welchem Toleranz, Offenheit und Weltbürgertum als Werte tatsächlich verinnerlicht sind.“

„Davon sind wir noch weit entfernt.“, seufzte Jasmin.

„Sei mal nicht so negativ. Wir kriegen das schon hin. Jeder muss auch an sich selbst arbeiten. Es geht nicht, dass man denkt, jetzt kommt das und das Zeitalter, jetzt ist alles toll. Es kommt alles auf einen selbst an.“

„Stimmt, das solltest du deshalb selbst auch mal befolgen.“

„Was meinst du damit, Jasmin“, fragte Dero irritiert.

„Nun, ja. Drücken wir es mal so aus. Du erzählst sehr wenig von deinem Leben, besonders von deiner Vergangenheit.“

„Das ist eben meine eigene private Sache, und da muss ich mich selbst darum kümmern. Ich werde mit mir selbst ins Reine kommen, ohne andere Leute.“

„Aber geht es nicht gerade darum, Dero? Dass du dich auch Anderen anvertrauen kannst, die dir dann auch helfen können.“

„Ich muss das selbst regeln, und nur wenn ich es selbst schaffe, damit klarzukommen, dann ist es ein Erfolg.“

„Ich bin da anderer Meinung.“, widersprach Jasmin ernst. „Ich denke, es ist erst dann ein Erfolg, wenn du auch mit anderen Menschen offen über deine Probleme sprechen kannst.“

Dero schwieg eine Weile. Dann sagte er ernst: „Ich glaube, du könntest Recht haben, aber ich bin noch nicht dazu bereit, und ich weiß auch nicht, ob ich es jemals sein werde, doch wenn ich es eines Tages schaffen werde, dann weiß ich, dass ich jemanden habe, dem ich vertrauen kann.“

Jasmin fiel Deros weicher Blick bei diesen Worten auf, und dass sich ganz kurz, ein friedliches Lächeln auf seinen Lippen abspielte. Sie wollte ihm helfen, und sie würde ihm helfen, sie würde nicht locker lassen, doch sie durfte nicht aufdringlich sein. Wie ein Bumerang, der seine Umlaufbahn erreicht hatte, würde sie immer näher an ihn ran kommen.
 

Mandy und Bahar saßen am nächsten Tag bei Senna auf ihrem Bett. Nachdem sie morgens noch immer auf der Couch tief und fest schlief, hatte Dero sie in ihr Bett gebracht. Der regenerative Schlaf hatte funktioniert und Senna spürte, nachdem sie aufgewacht war, dass sie langsam wieder zu Kräften kam. Sie blinzelte wegen des hellen Lichtes im Raum und öffnete leicht die Augen. Sie war froh, ihre beiden besten Freundinnen an ihrer Seite zu sehen.

„Wir haben gehört, was passiert ist.“, sprach Bahar leise. Sie kämpfte mit den Tränen. „Ich darf gar nicht daran denken, dass wir dich beinahe verloren hätten...“

„Bahar...“, flüsterte Senna ergriffen. „Es ist alles in Ordnung. Mir gehts wieder gut, mir ist nichts Ernsthaftes passiert.“

„Wie leicht hätte es aber passieren können!“

„bahar.“, sprach Mandy nun langsam. „Ich weiß, es klingt hart, aber bitte reiß dich zusammen. Wir haben alle eine Aufgabe, und wir wissen um die Gefahr, der wir aus diesem grund ständig ausgesetzt sind. Jederzeit kann jemand von uns ernsthaft verletzt werden oder sogar sterben. Doch dann müssen wir auch weitermachen, der Kampf darf deshalb nicht aufgegeben werden.“

„Nein, Mandy.“, sprach Bahar, während sie den Kopf schüttelte und eine Hand an ihre Schläfe legte. „Bitte hör auf damit. Ich will über so etwas gar nicht nachdenken.“

„Aber du musst, damit du nicht wie gelähmt vor Schmerz bist, falls es eintrifft.“

„Hör bitte auf damit.“

Mandy schwieg und sah Bahar mitleidig an. Dann wandte sie sich an Senna. „Ich bin auch froh, dass dir nichts passiert ist.“

„Danke.“ Die hübsche Marokkanerin lächelte. „Danke, dass ihr für mich da seid.“ Sie ergriff Mandys Hand und Bahar ergriff wiederum diese beiden Hände.

Es klopfte an der Tür. „Kommt nur herein!“, rief Senna. Es waren Christina, Lulu und Liza.

„Wir haben gehört, was passiert ist.“, sprach Christina. „gehts dir wieder besser?“

„Ja, mir gehts wieder gut.“

„Das... Das Training geht in einer halben Stunde los.“, informierte Liza Wilke. „Ich sollte euch nur Bescheid sagen. Senna muss sich natürlich noch erholen.“

„Wie?“, fragte Bahar verwundert. „Dero und Jasmin wollen einfach so zur Tagesordnung übergehen?“

„Ja, natürlich.“, antwortete Liza. „Das Training ist sehr wichtig. Hätte Senna nicht dieses physische und mentale Training erfahren, wäre sie jetzt wahrscheinlich tot.“

„Liza!“, zischte Lulu mit weit aufgerissenen Augen.

„Was ist? Es ist doch so, oder nicht.“

„Ja, du hast Recht.“, bestätigte Mandy. „Also, auf, Leute!“

Senna sah Mandy mit bewunderndem Blick an. Wann hatte Mandy sich so entwickelt? Sie ist richtig... erwachsen gewordne. Sie ist tatsächlich nicht mehr das kleine Küken, als das die Gruppe sie gesehen hatte. Oder lag es an den umständen? Senna dachte daran zurück, wie schnell sie erwachsen werden gemusst hatte, als ihr Vater starb, uns sie gerade mal zwölf Jahre alt gewesen war. Plötzlich hatte sie die Verantwortung für die Familie gehabt. Irgendwie hatte sie wenig Kindheit gehabt, dachte sie wehmütig.
 

Am darauffolgenden Tag ging es Senna wieder gut genug, dass sie beim Training mitmachen konnte.

Christina ließ gerade eine Blechdose hochschweben, drückte dann ihre Hand zusammen, um im gleichen Augenblick wurde die Dose zusammengepresste.

„Sehr gut, Christina.“, lobte sie Dero Goi, welcher sie bei der Übung beobachtet hat. „Du beherrschst langsam deine Kräfte. Selbstkontrolle ist das Wichtigste überhaupt im Umgang mit solchen Energien. Lass dich nicht von deinen Gefühlen beherrschen, sondern beherrche deine Gefühle. Wut oder Hass kann deine Kräfte aktivieren und unglaublich stark machen, das hast du ja bereits des Öfteren selbst erfahren. Doch wenn du deine Wut kontrollierst, dann kannst du deine Macht gezielt einsetzen. Wenn du deine Kräfte in Zeiten des Zorns einsetzt, wirst du nicht das erreichen, was du wirklich wolltest und wirst dich darüber hinaus so verausgaben, dass du nach dem einsatz deiner Kräfte total erschöpft bist. Und falls du deinen Gegner nicht bei diesem ersten Angriff besiegt hast, bist du ein leichtes Opfer für ihn.“

„Ich weiß.“, antwortete die junge Halbgriechin freundlich. „Das hast du mir schon oft gesagt.“

„Das ist mir bewusst, doch man kann es nicht oft genug sagen. Du musst es wirklich verinnerlichen. Es ist so schwer, sich nicht in einem Augenblick der Rage hinreißen zu lassen, das zu tun, was nicht richtig ist. Ich kann dir nur empfehlen, täglich deinen Geist mit Meditation und In-Sich-Versenken zu stärken, denn auch wenn deine Vorsätze noch so gut sind, wenn die Wut dich packt, kannst du dich nicht mehr kontrollieren, es sei denn, du übst es vorher, bis du es wirklich kannst.“

„Ich werds versuchen. Auf jeden Fall.“

„Ihr sagt heutzutage alle immer ‚Auf jeden Fall.’ Das ist leicht dahin gesagt, doch ist das was du sagst, auch wirklich das, was du meinst?“

„Auf... Äh, ich meine, ja. Ja, das ist es. Ich habe ganz fest vor, meinen Geist zu stärken.“

„Und das wirst du auch, Christina, das wirst du noch sehr oft tun.“

„Na toll.“, seufzte die Jugendliche, nachdem Dero nun zu Elvira gegangen war.

„Der hat dich ja ganz schön in der Mangel, der gute Dero.“, meinte Lulu, welche neben Christina stand und alles mitangehört hatte.

„Ja. Ich weiß, es ist alles richtig, was er sagt, aber langsam nervt er mich etwas. Ich weiß die ganzen Sachen doch schon. Das sagt er fast täglich.“

„Ich denke, er sieht das große Potenzial in dir.“

„Wie meinst du das, Lulu?“

„Du hast eine so große Kraft in dir, ich glaube, größer als die meisten Anderen hier. Und ich glaube, Dero hat Angst, dass diese Kraft zu groß für dich ist. Zu viel Verantwortung. Und deshalb kommt er immer wieder und erklärt dir ständig was. Er wird bestimmt bald sehr streng zu dir sein, weil er will, dass aus dir die Beste wird.“

„Besser hätte ich es auch nicht sagen können.“, bestätigte Jasmin. „Das was man liebt, zu dem ist man besonders streng.“

„Liebt?“, fragte Christina verwundert.

„Im Sinne von ‚mögen’, natürlich. Aber wir wollen natürlich, dass jeder von uns ein starker Kämpfer oder Kämpferin wird. Schließlich sind wir nicht nur eure Lehrmeister, ihr werdet eines Tages unsere Gefährten sein. Eigentlich seid ihr es jetzt schon.“

Nachdem Jasmin zu Matt Mockridge gegangen war, klingelte Christinas Nokia N90.

„Ja, hallo?“, meldete sie sich.

„Ich bins.“, entgegnete die wohlvertraute Stimme von Anis.

„Hi, mein Süßer.“, sagte Christina lächelnd.

„Ich will dich sehen. Jetzt.“

„Jetzt? Du, das geht jetzt im Moment leider überhaupt nicht. Ich kann heute nach...“

„Nein.“, schnitt Anis ihr das Wort ab. „Du hast gesagt, du würdest alles für mich tun. Ich verlange doch nur, dass du bei mich kommst, habibi. Ist dir das schon zuviel verlangt? Waren deine Versprechen nur leere Worte?“

„Nein... Nein, ich komme. Wo bist du?“

Anis nannte ihr eine bestimmte Adresse und beschrieb schnell den Weg dorthin. „See you.“

„Bye, Anis.“ Christina drückte das Handy aus.

„Du willst doch wohl jetzt nicht wirklich zu ihm gehen?“, wandte Lulu ein, die ales mitbekommen hatte.

„Natürlich. Ich geh sofort los.“

„Du spinnst doch. Du lässt das Training sausen, um dich mit einem Typen zu treffen.“

„Das ist nicht nur irgendein Typ, das ist mein Freund.“, antwortete die Halbgriechin schnippisch.

„Ja, verstehst du denn nicht, wie wichtig das hier alles ist? Hast du denn nichts aus dem gelernt, was Senna passiert ist?“

„Auf einen Tag mehr oder weniger Training kommt es nun wirklich nicht an, oder? Du hast doch eben Dero und Jasmin gehört. Ich bin schon so gut, da kann ich mir den einen freien Tag wirklich leisten, oder etwa nicht.“

„Mach doch, was du willst.“ Lulu drehte sich wütend um.

„Das werde ich auch, darauf kannst du dich verlassen.“ Ohne ein Wort des Abschieds verließ Christina die Gruppe.
 

Christina betrat das verlassen aussehende Haus und ging die steinerne Treppe hinauf bis sie im dritten Stock war. Sie öffnete die modrige Holztür. Dahinter befand sich ein relativ großer Raum, welche leer und staubbedeckt war. Ein sehr großes Fenster ohne Glasscheibe tauchte den Raum in eine zwielichtige Atmosphäre. Das dunkelblonde Mädchen zögerte erst, einzutreten, doch Anis, welcher im Raum stand, deutete ihr mit einer jovialen Handbewegung an, näherzutreten.

„Hallo, mein Süßer.“, begrüßte sie ihn, und trat ein. Dann sah sie einen weiteren Mann im Raum stehen. Sie hatte ihn schon mal in der Disco gesehen, diesen seltsamen Österreicher mit dem witzigen Namen. Peter Pangerl. Er war ihr unsymphatisch. Abrupt blieb sie stehen und schaute irritiert.

„Was hast du, habibi?“, fragte Anis sie.

„Dieser Typ da.“ Sie deutete auf Peter. „Was macht er hier.“

„Er begleitet mich nur. Du brauchst dich nicht um ihn zu kümmern.“ Anis trat an sie heran. Er fuhr über ihren Hintern und an ihrer Taille entlang. „Du bist echt ein geiles Bunny, Habibi.“

„Wieso redest du so? Ich bin kein Bunny.“

„Ich weiß, du bist meine Lady. Aber da wo ich herkomme, da redet man nun mal so. Im Ghetto.“

„Von was redest du?“ , fragte Christina irritiert. „Ghetto? Es gibt kein Ghetto in Deutschland.“

„Ich komme aus dem Ghetto, und da bin ich der King. Und du wirst meine Prinzessin sein. Meine süße Lady, die Queen der Straße.“

Anis küsste sie auf den Mund und der Kuss entwickelte sich in einen Zungenkuss. Seine Händen fuhren an christinas wohlgeformten Körper hoch und runter und über ihre festen Brüste. „Anis...“

„Was ist los, Babe?“

„Was willst du?“

„Ich will dich.“

„Willst du Sex?“

„Natürlich. Lass uns endlich miteinander schlafen.“

Christina versuchte ihm in die Augen blicken, doch es war schwer, da Anis ihrne Blick nicht erwiderte. „Anis, hör mir bitte zu. Ich will noch keinen Sex. Wir kennen usn noch gar nicht so lange. Ich will noch warten.“

„Willst du mich verarschen?“, fragte der Halbtunesier schroff. „Hast du deine Tage, oder was? Was geht denn plötzlich mit dir ab?“

„Ich will noch nicht, akzeptier das doch einfach.“

„Nein, du hast gesagt, du würdest alles für mich tun, hast du schon wieder vergessen?“

„Und außerdem... Hier, an diesem Ort. Ich könnte mir wirklich etwas Anderes für mein erstes Mal vorstellen. Und überhaupt... Dieser seltsame Österreicher glotzt uns die ganze Zeit an.“

„Lass ihm doch den Spaß. Er will doch nur ein bisschen zuschauen. Und nachher kann er vielleicht ein wenig mitmachen.“

„Äh... Bitte was?“ Christina sah ihn entgeistert an. „Sonst noch was? Du bist doch nicht mehr ganz dicht? Ich bin doch nichtd as Lustobjekt bei einem Gangbang für dich und deine Kumpels!“

„Ich teile den Spaß gerne mit meinen Homies.“

„Das ist doch nicht dein Ernst! Oh mein Gott! Das ist krank!“

„Ich weiß.“ Anis grinste. „Ich bin nun mal sexsüchtig, was soll man machen?“

Christina sah dem dunkelhäutigen Mann erneut in die tiefbraunen Augen. Diesmal erwiderte er ihren Blick. Und in diesem Augenblick sah sie zum ersten Mal klar. Sie blickte direkt durch seine Augen in sein wahres Ich. Die Augen scheinen tatsächlich ein Spiegel der Seele zu sein. Wie konnte sie ihm nur so hörig sein, er hatte sie manipuliert! Doch damit war nun endgültig Schluss! Dieser Wichser hatte ihr Herz entzweigerissen, deshalb ging er ihr jetzt am Arsch vorbei. Es war dieselbe Kacke, wie mit Alex gewesen. Es war, als ob sich ihr Leben in einem Scheiß-Kreis gedreht hätte. Wie hatte sie nur so blind sein können? Sie wusste schließlich doch, dass die Welt groß und schlecht sein konnte, doch sie hatte es wieder vergessen, das war ihr Problem. Was dachte Anis sich bloß? War sie denn aus Holz? Sie war doch ein Mensch mit Gefühlen! Die Scheiß-Tage im Bann von diesem beschissenen Mann waren nun endgültig vorbei. Sie hatte sich tatsächlich abt, nur aus kindischer Verliebtheit. Sie hatte gedacht, sie wäre reif genug, doch sie war auf Blumen reingefallen. Die würde er jetzt seinen Schlampen schenken können, sie war jedenfalls keine von denen.

„Ich verabscheue dich, Anis.“, stieß sie wütend hervor. „Du liebst mich nicht. Das ist die simple, aber harte Wahrheit. Du liebst mich einfach nicht. Du hast die ganze Zeit nur so getan, hohle Sprüche, und nichts dahinter. Als ob du wüsstest, was überhaupt Liebe ist!“

„Aber, habibi. Was ist denn los mit dir?“ Er streichelte über ihre Wange. Sie schlug die hand weg.

„Fass mich ja nie wieder an. Wage es nie mehr! Fick dich doch, mit deiner ganz beschissenen Show!“

„Das ist keine Show, du bist meine Lady. Nur du ganz allein.“

Christina stieß Anis Ferchichi von sich fort. „Doch, es ist alles nur Show, du kannst gar keine gefühle empfinden, das hab ich nun erkannt. Du bist kalt. Dir gehts nur um Sex, ganz egal mit wem, Hauptsache Sex. Du bist so erbärmlich.“

„Habibi, es tut mir so Leid. Bitte, glaub mir. Ich kann nichts dagegen tun, doch ich werde dagegen ankämpfen. Bitte, Habibi, bitte! Gib mir nur noch diese eine Chance.“

Christina sah ihn verwundert an. Seine Augen waren ja ganz nass! Er weinte! Er weinte tatsächlich. Der Super-Duper-Macho weinte. Meinte er es also ehrlich? Schließlich zeigte er nun richtig Gefühle. Christina war ratlos.

Heul doch

Kapitel 15: Heul doch
 

Christina Klein dachte genau nach. Wie groß war die Chance, dass er die Wahrheit sprach? Was, wenn es wirklich so war? Dann tat sie ihm Unrecht, falls er seine Fehler eingesehen hätte, und sie hätte ihm nicht verziehen. Sie konnte es mit rationalem Denken nicht hundertprozentig herausfinden. Sie musste ihrer intuition vertrauen.

Sie sah ihm erneut ganz tief in die Augen, welche vor Tränenwasser nur so trieften. Doch die Augen waren leer. Er meinte es nicht ehrlich, er weinte sich nur selbst zu, um Mitleid zu erregen. Sie hatte lange genug seinen Lügen geglaubt. Liebe hatte sie doof und blind gemacht, doch nun konnte sie wieder sehen.

„Wenn ich deine Fresse sehe, dann brennt mein Herz wie Feuer, und mein Magen kocht sowas von über, dass ich kotzen könnte!“, schrie sie ihm ins Gesicht. „Verschwinde, ich will dich nie wieder sehen! Es hat keinen zweck, du lügst, sobald du den mund aufmachst. Am Liebsten würde ich dir den Hals umdrehen. Sei bloß froh, dass ich kein messer bei mir trage, sonst hätte ich dich jetzt so richtig rasiert.“

„Aber, Habibi... Du bist doch meine Lady...“, schluchzte Anis weiterhin.

„Habibi, Schätzchen, Lady, Babe! Kannst du mich nicht einmal bei meinem Namen nennen?“, wollte die blonde Halbgriechin wissen. „Was... Was willst du denn noch? Hau endlich ab.“

„Hab doch Mitleid mit mir! Es tut mir ja alles so leid, Hab... Christina.“, flehte Anis, während er vor ihr auf die Knie fiel.

„Ach, weißt du was? Heul doch!“, rief die junge Frau ihm zu. „Ja, heul doch! Und wenn du damit fertig bist, verpiss dich.“

Anis stand auf. „Hast du mir sonst wirklich nichts mehr zu sagen?“

„Doch, noch eins.“, entgegnete sie. „Arschloch!“

Der Halbtunesier wischte sich die Tränen weg. Sein Gesichtsausdruck hatte sich von einem auf den anderen Moment radikal verändert. „Ich habs auf die freundliche Art versucht, doch wenn du nicht gehorchen willst, du kleine Bitch, dann eben auf die harte Tour!“

Christina wich keinen Schritt zurück. „Was willst du damit sagen?“

„Dass ich mir nehmen werde, was ich brauche. Oder hast du etwas schon vergessen, dass ich sexsüchtig bin?“ Mit einem irren Ausdruck in den Augen fasste er Christina grob an den Oberarmen und drückte sie fest an die Wand. Peter kam schnell dazu.

„Ich werde dir dabei helfen, Anis.“, lachte er voll Vorfreude. Hasserfüllt sah er Christina an. Diese billige Schlampe würde es noch bereuen, dass sie sich über ihn lustig gemacht hatte!

Christina selbst wurde immer wütender.Sie spürte die Energie in sich aufkommen, sodass sie am ganzen Leib erzitterte. Die Kraft war stark, sehr stark, doch Christina versuchte gar nicht erst, sie zu bändigen. Sie wollte, dass die Energie diese beiden Typen angreift und sie vernichtet, ganz egal, welche Folgen daraus entstehen könnten. Sie wollte den Tod dieser Männer. Ja, vernichte sie, bring sie um. Hörte sie eine Stimme tief in sich, und sie wusste, dass es das dunkle Elemental in ihr war. Warum sollte sie nicht auf es hören? Es hatte schließlich immer nur ihren Feinden geschadet. Also ließ Christina den Energien freien Lauf. Ihre Augen färbten sich schwarz, ihre Fingernägel wuchsen zu krallen. Lass den hass dich nicht kontrollieren, erinnerte sie sich an Deros Mahnung. Zu spät, dachte sie sich, und es war ihr in diesem Augenblick vollkommen egal. Ihre Haare wuchsen bis fast auf den Boden und ihre Kleidung transformierte ebenfalls. Sie wurde zu einer langen Robe, welche die Farbe getrockneten Blutes besaß.

Ein Urschrei, ähnlich der einer Banshee, einer Todesfee, schoss aus ihrem Mund und im selben Augenblick riss sie ihre Arme auseinander und eine gewaltige Woge psychokinetischer Energie traf auf Anis und Peter. Beide wurden auf die andere Seite des Raumes geschleudert und prallten mit einem Geräusch, welches verhieß, dass die Wand Risse bekommen hatte, gegen die Steinmauer. Christina schritt energisch auf Anis zu, um ihm den rest zu geben. Doch er war nicht bewusstlos oder betäubt, sondern stand wieder auf. Ohne jede Gefühlregung sah Anis sie an. „Habibi, du weißt ja nicht, worauf du dich da eingelassen hast. Spiel niemals mit den Feuer, sonst verbrennt es dich.“

Dann streckte er beide Arme aus und eine kalte Energie traf Christina unvorbereitet und schleuderte sie zu Boden. Wütend stand sie auf. „Du... Du gehörst zum Feind! Mich zu verarschen, gehörte zu deinem Plan, die gute Seite auszuschalten!“

„Die gute Seite?“, lachte Anis höhnisch. „Sieh dich doch mal an. Du gehörst nicht zur guten Seite. Du bist ein Monster.“

Christina spürte die langen Eckzähne in ihrem Mund (oder Maul?) und betrachtete ihre langen Krallen. Anis hatte tatsächlich Recht. Die dunkle Energie veränderte sie. Es war wie eine Droge, als ob sie Methamphetamine genommen hätte, so hatte sich ihr Körper verändert. Sie schloss die Augen, aus welcher schwarze Flüssigkeit lief. Ihr Geist war stark, sagte sie sich immer wieder. Es war ihr Körper, nicht der des Elementals. Ihr Geist konnte das Elemental kontrollieren, wenn er nur wollte. Und das wollte sie jetzt unbedingt. In diesem Augenblick der höchsten Konzentration traf sie erneut eine Energiewoge des Halbtunesiers. Schutzlos prallte sie gegen die Wand. Ihr Oberarm schmerzte. Das würde schlimme Blutergüsse geben.

„Habibi, jetzt ist wirklich nicht der Zeitpunkt, in dich zu kehren. Jetzt wird gekämpft.“

„Halts Maul.“, schrie sie, doch war wirklich sie es, die da schrie? War es nicht ihr Elemental? Lass mich. Nein, wieso denn? Er hat es verdient, er muss vernichtet werden. Aber nicht mit diesem Hass. Der Hass gibt dir Kraft, Christina. Nein, er gibt nur dir Kraft, du Energie-Vampir! Er nährt nur dich und deinen gierigen Astralkörper! Was denkst du von mir? Ich will dir helfen? Verschwinde! Gib mir die Knotrolle zurück, sonst werde ich dich mit meinem überlegenen Geist auflösen. Du weißt, dass ich das kann. Dann würdest du einen Großteil deiner Kraft verlieren. Dieses Risiko bin ich bereit einzugehen, und außerdem ist die Kraft tief in mir drin, sie kommt nicht nur von dir. Na gut, ich werde mich zurückhalten.

Christinas Metamorphose wurde rückgängig gemacht, sie sah wieder aus, wie die Christina, die sie eigentlich auch war. Ihre grünen Augen blickten Anis entschlossen an.

„Hat dich die Kraft verlassen, mein Schätzchen?“, lachte Anis. „Ach, das tut mir aber Leid für dich, Habibi.“

„Nein, sie hat mich nicht verlassen.“, antwortete sie ruhig. „Ganz im Gegenteil.“

„Halt die Fresse.“, entgegnete Anis unwirsch und schickte seine Energie. Doch die junge Halbgriechin erwiderte den Angriff und die Kräfte prallten zusammen. Christinas Energie war stärker. „Das... Das gibts doch nicht!“, rief Anis mit weit aufgerissenen Augen, bevor ihn die starke Energie traf und zu Boden drückte.

Peter lief schnell zu Anis hin. „Ist alles in Ordnung, Alter?“

Anis schmeckt Blut in seinem mund uns spuckte in seine Hand. Dort lagen nun zwei Zähne von ihm. „Halt die Fresse, Atze. Kümmer dich lieber um die kleine Schlampe.“

„Geht klar.“, erwiderte der Österreicher und konzentrierte dunkle Energie in seinen Händen, während er auf Christina zulief.

Diese sagte jedoch nur: „Du kommst später dran.“ Und schleuderte ihn wie mit einer beiläufigen Handbewegung zur Seite.

Anis schickte mehrere starke Energiebälle in Christinas Richtung, doch diese wich geschickt aus, indem sie über sie hinweg sprang. Anschließend schleuderte sie ihm als Antwort ebenfalls mehrere Attacken, bestehend aus mentaler Materie, entgegen. Nur knapp konnte er ausweichen, indem er sich zur Seite rollte, und neben ihm der Boden kleine Krater bildete. Er bemerkte, dass er schwitzte. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, und ließ eine ganze Energiesalve auf die junge Halbgriechin herniederprasseln, doch sie wehrte dies mit Leichtigkeit ab, indem sie ein temporäres Energieschild errichtete.

Christina blieb ungerührt stehen. „Bleib ruhig sitzen, während ich dich endgültig besiege.“, riet sie ihm. Sie hielt ihre Hand vor sich hin mit der Handfläche nach oben. Sie konzentrierte sich und es prickelte in ihren Fingern. Schließlich sammelte sie eine gewaltige Energie an, die nur so zischte und bratzelte.

Anis’ Augen weiteten sich vor Entsetzen und alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Er stand auf. Er wollte fliehen. Direkt hinter ihm war das große Fenster. Er überlegte. Würde er es erreichen, bevor die Energiemasse ihn erreichen würde? Er kam zu dem Entschluss, dass er sowieso keine andere Wahl hatte, da er den Angriff nicht abwehren konnte. Schnell drehte er sich um und lief los.

Christina sah, was er vorhatte. Sie durfte ihn nicht entkommen lassen. Sie streckte ihre Hand aus, und die lethale Energie strömte gewaltig heraus und auf den tunesischstämmigen Mann zu, welcher gerade zum Sprung aus dem Fenster ansetzte.

Von der Seite kam Peter gelaufen. Der Österreicher warf sich zwischen die Energiewoge und Anis Ferchichi. Die starke Kraft ergriff Peter Pangerl und zerfetzte ihn in einer gewaltigen Explosion, sodass nichts mehr von ihm überblieb, bis auf ein paar blutige Hautfetzen.

Diese Aktion seines Homies hatte dem Nymphomanen genug Zeit eingeräumt, dass er aus dem Fenster springen konnte. Christina lief schnell hin und sah hinaus. Sie konnte Anis nirgends sehen. „Verdammt.“, flüsterte sie. Er war ihr entkommen. Aber wenigstens hatte es seinen Freund erwischt. Die hübsche Halbgriechin schüttelte den Kopf. Sie hätte nie erwartet, dass Peter sich für Anis opfern würde. Doch dann hielt sie sich vor Augen, dass Peter es unmöglich aus Freundschaft getan hatte, sondern aus gehorsam. Er musste gewusst haben, dass dieses Opfer von ihm verlangt wurde.

Geschwind machte Christina Klein auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum.
 

Christinas Herz schlug schmerzvoll in ihrer Brust, als sie durch den wohlbekannten Flur ihres Ausbildungszetrums ging. Wie hatte sie nur so blöd sein können, auf diesen Idioten reinzufallen? Und dafür hatte sie ihre Kollegen im Stich gelassen. Sie war so gemein zu Lulu gewesen. Was würden die anderen jetzt nur über sie denken? Ihre große Angst war, dass Dero und Jasmin sie aus der Gruppe ausschlossen, weil sie von ihrem Verhalten enttäuscht waren und ihr nicht mehr vertrauen konnten. Sie spürte, wie ihr das blut heiß in den Kopf stieg und sich warme Tränen in ihren Augen bildeten. Sie atmete noch einmal tief durch, dann öffnete sie die Tür zum Trainingsraum.

Alle Blicke richteten sich auf sie, als sie das sehr große Zimmer betrat. Sie kam den Anderen näher, bis sie mitten unter ihnen stand.

„Hallo, Christina!“, durchbrach Dero Goi die Stille. „Schön, dass du wieder da bist.“

Lulu lief zu Christina hin, und nahm sie in den Arm, ohne ein Wort zu sagen. Christina konnte die Tränen nun nicht mehr zurückhalten. „Es tut mir so Leid, Lulu. Ich hab mich so scheiße benommen. Bitte verzeih mir.“

„Schon gut, Christina.“, flüsterte diese in beruhigendem Ton. „Es ist gut, ich bin dir nicht böse.“

Als sie sich voneinander lösten, sprach Christina. „Anis... Er hat mich nur benutzt, er gehört zum Feind. Wie konnte ich nur so blöd sein...?“

„Was?“, rief Senna erschrocken. „Anis ist einer von der dunklen Seite? Habe ich das richtig verstanden?“

„Ja.“, meinte Christina nickend. „Ich will mich bei euch allen für mein Verhalten entschuldigen.“

Jasmin Wagner trat an sie heran und legte ihr die Hände auf die Schultern. „Christina, sieh mich an.“ Sie tat es. „Es ist alles in Ordnung. Jeder macht mal Fehler, niemand ist perfekt. Wichtig ist nur, dass man aus den Fehlern lernt. Es ist dir niemand böse. Vergeben und vergessen, einverstanden?“

Die junge Halbgriechin weinte nun noch mehr. „Ihr seid alle so lieb zu mir... Wieso seid ihr so nett? Ich habe das vorher noch nie erlebt, dass so viele Leute so nett zu mir waren.“

„Christina, du bist Bestandteil unserer Gruppe.“, sagte Dero ruhig. „Du gehörst fest zu uns, egal, was du tust. Wir sind ein Team und unterstützen uns gegenseitig. Das ist der Grund, warum wir am Ende auch gewinnen werden. Wir sind hier eine soziale Gemeinschaft.“

Der jungen Frau wurde wieder bewusst, dass sie hier wirklich glücklich sein konnte. Außerdem erinnerte sie diese Situation an die Geschichte vom verlorenen Sohn aus dem Neuen Testament. So schlimm hatte sie sich natürlich nicht benommen, wie der junge Mann aus dem Gleichnis, aber es kam in etwa auf das Gleiche heraus.

„Aber was ist denn jetzt eigentlich genau passiert?“, wollte Senna wissen. „Was hat Anis getan?“

„Er wollte Sex, ich aber nicht, da wollte er mich vergewaltigen.“

„Dieses Dreckschwein!“, rief Liza empört aus. „Hoffentlich hast du ihn fertig gemacht!“

„Ich habe gegen ihn gekämpft, doch er hatte ebenfalls starke Kräfte, nämlich die Mächte der Finsternis. Dennoch war ich ihm in diesem Kampf überlegen. Gerade als ich ihm den Rest geben wollte, warf sich dieser Peter Pangerl zwischen uns beide, sodass Anis entkommen konnte, aber Peter vernichtet worden. Er gehörte ebenfalls zum Feind.“

„Das ist scheiße, dass dieser Drecksack entkommen ist.“, meinte Senna verstimmt. „Er wird sich bestimmt für seine Schande, gegen dich verloren zu haben, rächen wollen. Wir müssen in Zukunft noch vorsichtiger sein, als wir es sowieso sein müssen.“

„Du hast Recht, Senna.“, bestätigte Jasmin. „Vor allem bei unseren Gefühlen. Anis hatte sich in Christinas Herz geschlichen und versucht, sie von innen zu vergiften. Nicht immer sind die Gefahren sichtbar oder klar erkennbar. Wenn unsere Gefühle negativ beeinflusst werden, dann besitzen wir keine Macht mehr. Wir müssen uns stets sicher sein, dass wir diejenigen sind, die entscheiden, was wir tun.“

Mandy und Bahar umarmten nun ebenfalls Christina. „Du Arme.“, sagte Mandy Capristo leise. „Wir werden alles tun, was wir können, um deine seelischen Schmerzen zu lindern.“

Auch Matt war wütend geworden, dass jemand Christinas Gefühle so benutzt hatte. Am Liebsten wäre er jetzt auch zu ihr hingegangen und hätte sie in den Arm genommen, doch leider hatten sie noch nicht viel miteinander zu tun gehabt, und deshalb hätte Christina es vielleicht als etwas seltsam empfunden. Er spürte durch Emphatie eine große Traurigkeit tief in sich drinnen. Er hätte sie wirklich gerne getröstet.

Auch jemand anders sah lediglich zu. Es waren Eliana, Elvira und Kristina. Eliana flüsterte ihren beiden Freundinnen zu: „Ich finde das einfach nur lächerlich. Jetzt wird hier einer auf Friede, Freude, Eierkuchen gemacht, und ach, was haben wir uns alle so lieb. Richtig idiotisch, dieses Verhalten.“

„Stimmt.“, meinte Elvira . „Wir sind hier, um unsere Kräfte richtig auszubilden, und nicht, um mit irgendwelchen anderen Leuten, die zufällig das Gleiche machen, großartig Freundschaften zu knüpfen. In einpaar Jahren sehen wir uns vielleicht sowieso nie wieder. Und gerade diese blöde Kuh da, selbst Schuld, wenn sie sich erst so an ihn ranschmeißt, und sich anschließend wundert, dass er sauer wird, wnen sie rumzickt. Ich hab wirklich Besseres zu tun, als mich um so eine dämliche Ziege zu kümmern.“

„Ich weiß sowieso nicht, was Anis an der gefunden hatte.“

Elvira spürte eine große Zufriedenheit in sich drinnen, eine Art Genugtuung. Sie hatte Anis nicht gekriegt, und nun sah Christina mal, was sie davon hatte, dass sie ihn sich gekrallt hatte. Und Peter war tot, der sie auch nur benutzt hatte. Elvira grinste.

Später, als Christina und Lulu auf ihrem zimmer waren, hörten sie ein wenig Radio. Es liefen gerade Nachrichten. „Hamburg. Die Polizei hat noch keine weiteren Anhaltspunkte zu dem Anschlag auf eine Hamburger Disko gefunden. Die Explosion, welche vor zwei Tagen innerhalb der Toillettenräume erfolgte, hatte einen Mann getötet gehabt. Ein terroristischer Hintergrund wird jedoch ausgeschlossen.“

Christina drehte das Radio ab. Dann sagte sie leise: „Ich glaube, ich werde mich nie mehr verlieben.“

„Nein, sag sowas nicht.“, entgegnete Lulu mitfühlend.

„Wieso? Ich fall sowieso immer auf die Idioten rein. Mein Ex, der Alex, war schon ein Drecksack, und Anis erst recht. Es ist jetzt endgültig Schluss mit Beziehungen. Ich brauche das jetzt sowieso nicht. Ich werde mich jetzt nur auf die Kampfausbildung konzentrieren, dass ich Anis nächstes Mal direkt fertig machen kann, wenn ich ihn treffe.“

„Du weißt, Rache ist nicht sehr gut, als Antrieb.“

„Ich weiß.“

„Du solltest wegen dieser beiden schlechten Erfahrungen nicht den Mut verlieren. Du wirst bestimmt auch noch den Mann treffen, der dich wirklich liebt, den du liebst, und ihr werdet gemeinsam glücklich sein.“

„Ich bin da wirklich nicht so sicher, aber vielleicht wird es eines Tages tatsächlich so sein, wie du sagst. Doch momentan kann ich in dieser Sache kein Licht sehen. Nein, mit Jungs hab ich fürs Erste abgeschlossen. Schluss damit.“
 

Anis betrat den großen dunklen Raum, welcher zum Gebäude gehörte, welches als Basis für seine Verbündeten diente. Da saßen sie, seine Mitstreiter. Aldo und Fabio Cataldi, Manuel Romeike und noch einige Andere.

„Wir wissen schon, was du gemacht hast, Alter.“, meinte Aldo geringschätzig.

„Dass ich was gemacht hab? Mach dein Maul auf!“, entgegnte Anis wütend.

„Dass du voll abgeloost hast, du Opfer.“, kam eine Stimme von oben.

Anis schaute dorthin, wo die Stimme herkam. Auf einem dunlen Thron, behängt mit vielen goldenen Ketten, saß ein mann mit einer Totenkopfmaske aus Metall. Es war der größte Rivale von Anis. Sein Name war Paul Würdig. „Woher weißt du das, du Fotzenknecht?“

„Als ob ich dir das sagen würde, du Schwuchtel.“

„Ach, halts Maul, Paul“, entgegnete Anis gereizt.

„Ich schlag dir gleich deine hässliche Kanacken-Visage ein, wenn du nicht deine Fresse hältst.“

„Ich weiß sowieso schon, wer dein Spitzel ist.“ Er blickte einen Mann an, der direkt neben Paul stand. Er hatte eine dunkle Hautfarbe, trug eine Sonnenbrille, ein schwarzes T-Shirt und silberne Ketten. „Patrick Losensky, du Assi. Du Scheiß-Verräter! Ich schlag dir die fresse zu Brei!“ Anis ging wütend auf ihn zu.

„Das würde ich nicht tun.“ Ein Mann mit Glatze, Tatoo am Arm und afroamerikanischen Aussehen stellte sich dazwischen.

„Willst du auch eins auf die Fresse, du Spast?“, antwortete Anis wütend.

„Denkst du, du kleine Schwuchtel könntest es mit uns allen aufnehmen?“, fragte Robert Edward Davis grinsend und knackte mit seinen Fingerknöcheln.

„Ach, halts Maul, du Nigger.“

Paul würdig sah auf seinen Konkurrenten herab. Er war sehr erfreut darüber, dass Anis versagt hatte. Damit würden seine eigenen Chancen, aufzusteigen, sehr steigen. Die Bosse würden mehrmaliges Versagen nicht tolerieren. Anis stand nun unter Leistungsdruck. Wenn er es nicht schnell schaffen würde, seine beschmutzte Ehre zu reinigen, war er weg vom fenster. Dass Robert Davis und Patrick Losensky zu ihm übergelaufen waren, war das erste Anzeichen für den baldigen Fall von Anis. Paul fasste sich an seine Maske und rückte sie zurecht. Es juckte ihn sehr darunter. Verdammte Schuppenflechte!

Anis ballte die Fäuste vor Wut. Wir werden sehen, wer den längeren Atem hat. Ich, Paul, Manuel, oder wer auch immer. Er würde nicht aufgeben, er würde es vom Bordstein zur Skyline schaffen.

Du bist schön

Kapitel 16: Du bist schön
 

Liza Wilke öffnete die Verpackung eines weiteren Mars-Schokoriegels und biss lustlos hinein. Nachdem auch dieser verspeist war, sah sie auf die vielen aufgerissenen und leeren Verpackungen. Langsam stand sie auf und begab sich ins Badezimmer. Sie schloss hinter sich die Tür ab. Dann stand sie am Waschbecken und schaute in den Spiegel. Sie betachtete ihr Gesicht. Ihr Gesicht kam ihr vor wie aufgequollen. Ihre Augenpartie erinnerte sie an eine groteske Maske aus einem Film über Drogenabhängige. Ihr kleines hellbraunes Muttermal über ihrer Oberlippe schien sie mit seiner Anwesenheit verhöhnen zu wollen. Sie mochte wirklich nichts an sich, weder die Haare von der Farbe nasser Fäkalien, noch die bäuerliche Bräunung ihrer Haut, noch die knöcherne Nase, noch die deplatziert wirkenden grünen Augen.

„Mein Gott, siehst du fürchterlich aus!“, flüsterte sie leise vor sich hin. „An dir ist wirklich nichts, was man auch nur im Entferntesten als hübsch bezeichnen könnte. Kein Wunder, dass du noch immer keinen Freund hast, wer will schon so eine Hackfresse zur Freundin haben? Deine Eltern haben sich zu Recht deiner geschämt.“

Liza sah an ihrem ihrem Körper hinunter. Sie war so groß, viel zu groß für ein Mädchen. Und dieses Fett an ihrem Körper, überall, sie konnte es nicht mehr sehen. Schlurfend ging sie zur Toilette und kniete sich vor sie hin. Sie klappte die Klobrille nach oben und sah in die Kloschüssel hinein. Dann steckte sie sich mit Gewalt den Finger tief in den Hals. Der gefürchtete und gleichzeitig gewünschte Würgreiz brachte sie schließlich dazu, sich zu übergeben. Ihr Hals brannte von der Magensäure. Schließlich betätigte sie die Toilettenspülung und sah zu, wie die hellbraune matschige Flüssigkeit vom Wasser hinweggespült wurde. Als sie sich sicher war, dass keine Überreste geblieben waren, klappte sie die Klobrille und den Klodeckel hinunter. Dann begab sie sich wieder zum Waschbecken und wusch sich das Gesicht sauber. Sie putzte sich die Zähne und nahm ein Bonbon für frischen Atem.

Kurz darauf kam sie in den Trainingsraum ihrer Gruppe. Sie fühlte sich so, als würde jeder sie anstarren, als ob jemand ihr auf die Stirn ‚schmutzig’ geschrieben hätte. Sie wagte es nicht, in die Nähe der Anderen zu kommen. Sie befürchtete, dass sie nach Erbrochenem riechen würde, was die Abneigung der Anderen noch verstärken würde. Am Besten wäre es, sie würde gar nicht auffallen, dann könnte sie nicht im peinlichen Mittelpunkt stehen. Sie fühlte sich so allein, es gab hier niemanden, der es genauso erging, wie ihr, deshalb würde niemand sie verstehen können.

„Liza, bist du auch schon aufgeregt?“, hörte sie plötzlich Mandy Capristo.

„Was?“, fragte Liza abwesend. Mandy war so unglaublich schön.

„Na, wegen der Prüfungen. Es ist ja nicht mehr lange, nur noch ein paar Wochen. Wenn wir diese Prüfung bestehen, dann kommen wir in eine Gruppe zweiten Grades. Ich bin wirklich sehr gespannt, was wir dort Neues lernen werden, wie sich die Kräfte jeder einzelnen entwickeln. Ich finde das so faszinierend.“

„Ja, ich auch.“, stimmte Liza automatisch zu. Als Mandy wieder zurück zu Senna ging, folgte Liza ihr mit den Augen. Diese wohlproportionierten Partien ihres Körpers... Ganz anders, als ihr eigener es war.
 

Dero Goi saß alleine in seinem Zimmer. Er hatte die Augen geschlossen. Er befand sich in einer merkwürdigen Stimmung, und versuchte diese durch Meditation zu modulieren, doch irgendwie funktionierte es dieses Mal nicht so Recht. Seine Konzentration ließ nach und er fiel in einen unruhigen Schlaf. Sein Unterbewusstsein entführte ihn entgegen seinem Willen in seine eigene Vergangenheit, in den Albtraum seiner Kindheit.

Er war ungefähr sieben oder acht Jahre alt. Sein Vater hatte einen Auftritt als Musiker, er sang auf kleinen Veranstaltungen Lieder von Elvis Presley. Die Leute saßen an ihren Tischen und unterhielten sich miteinander. Niemand achtete auf die Musik, welche so leidenschaftlich interpretiert wurde. Dero sah seinen Vater an. Der Ausdruck in dessen Gesicht war ein sehr wütender. Seine Finger verkrampften sich beim Spielen der Heimorgel.

Dann war Dero plötzlich zu Hause. Er spielte an der Heimorgel seines Vaters. Seine Mutter kam und schrie den Vater an: „Was bringst du ihm denn so einen nutzlosen Scheißdreck bei? Er soll lieber für die Schuel lernen, das ist wichtiger.“

„Was hat denn das eine mit dme Anderen zu tun?“; schrie der Vater zurück. „Wenn er das Musikalische, so liebt, wie ich, dann sollten wir das fördern.“

„Ja, klar. Damit er genauso wenig Geld mit nahc Hause bringt, wie du heute. Man sieht ja, wieviel, deine Musikalität uns gebracht hat!“

Der Vater drehte sich zu Dero um, welcher die ganze Zeit weiter gepielt hatte. „Hör auf zu spielen! Du hast ja gehört, deiner Mutter passt es nicht.“

„Jetzt schieb nicht mir den schwarzen Peter zu!“, rief sie dazwischen. „Ich will schließlich, dass was aus ihm wird, nicht so wie aus...“

„Jetzt halt endlich mal deine Klappe!“, unterbach der Vater sie. „Ich kann dein ewiges leidiges Gemeckere nicht mehr ertragen! Wirklich, ich werde mich noch von dir scheiden lassen, wirklich!“

„Nur zu, reiß doch deine Familie auseinander! Aber Dero nehme ich!“

„Das werde ich niemals zulassen, du verrücktes Weibsstück!“

Deros Mutter wandte sich zu ihrem Sohn hin: „Dero, wenn Mama und Papa einmal auseinander gehen sollten, dann wirst du dich doch für deine Mama entscheiden, oder?“

Mit klopfendem Herzen und schweißgebadet erwachte Dero. Wieder diese Erinnerung! Sie kam immer und immer wieder hoch. Diese ganzen Erinnerungen! Erst in späterem Alter war ihm bewusst geworden, wie sehr seine Eltern ihn emotional missbraucht hatten, für ihre eigenen niederen Ziele, nur um zu zeigen, wer von ihnen beiden der Sieger sein würde.

Langsam stand er auf. In seinem Kopf drehte sich alles. Er versuchte nicht mehr daran zu denken. Es war ja alles schon lange vorbei, dieser Teil seines Lebens war vorrüber. Er ging in den Nebenraum seines Zimmer, welcher geräuscheisoliert war. Er schloss die Tür und ging zu seinem Schlagzeug. Wie wild hämmerte er auf es mit den Sticks ein, sodass einer von ihnen zerbrach. Dabei schrie er so laut er konnte, bis seine Stimme heiser war, doch irgendwie fühlte er dabei nichts mehr.
 

Jasmin ging durch den Flur, als Liza ihr entgegenkam. Sie spürte eine sehr negative Strahlung, die von Liza ausging. Jasmin blieb vor ihr stehen.

„Liza, was ist denn los mit dir?“, wollte sie wissen.

„Nichts. Was soll denn los sein?“

„Ich spüre, dass dich irgendetwas sehr stark belastet.“ Als Liza nicht entgegnete, meinte Jasmin Wagner: „Manchmal hilft es, wenn man die Dinge aussprcht, die einen belasten.“

„Ich will nicht darüber reden.“

„Ich kann dich nicht zwingen, und das würde auch nichts bringen, aber du sollst wissen, dass ich immer ein offenes Ohr für deine Probleme habe, wenn du jemanden zum reden brauchst.“

„Danke, aber ich brauche niemanden.“, entgegnete sie und wandte sich um. Während sie so weiter ging, hörte sie Worte in ihrem Kopf hallen: Wie will die dir denn helfen können? Jasmin ist wunderschön, sie wird niemals verstehen können, was du durchmachst, auch wenn sie denkt, sie könnte es. Sie will dir nur helfen, weil sie sich damit als etwas Besseres vorkommt.

Jasmin war inzwischen in Deros Zimmer angekommen. Seit einigen Tagen hatte sie ein ganz seltsames Gefühl. Als ob etwas Fremdes, Bösartiges, das nicht hierhergehören würde, eingedrungen wäre. Eben bei Liza hatte sie auch ganz kurz etwas davon gespürt. Sie wollte mit Dero darüber reden. Sie sah ihn auf der Couch liegen. Bei ihrem Eintreten schrak er auf. Sein gesicht hatte einen gehetzten Ausdruck, als ob er gerade aus einem schrecklichen Albtraum erwacht wäre. Seine Augen glitzerten vor Nässe. Er rieb sie sich trocken. „Was ist los, Jasmin?“

„Es gibt etwas, was mich seit einigen tagen sehr beunruhigt, und zwar...“ Sie stockte, denn in diesem Augenblick fühlte sie wieder eine tiefe Traurigkeit, die von dem Mann ihr gegenüber ausging, aber auch etwas anderes. Nur ganz kurz, was sie auch zuvor bei Liza wahrgenommen hatte. „Kann es sein, dass... Dass die Negativen hier sind?“

„Was meinst du damit? Du wießt doch, dass sie durch dne Schutzwall aus Licht, der durch Gebete errichtet wurde, nicht durchkommen können.“

„Ich meine nur, dass du vielleicht angegriffen worden sien könntest. Deine psychische Verfassung ist im Moment alles Andere als gut. Du bist ein Lehrmeister, es wäre nicht so abwegig, dass sie es nun auf dich abgesehen...“

„Jasmin, ich hab dir schon einmal gesagt, es gibt Dinge, die nur mich selbst etwas angehen.“

„Ich weiß.“

„Bitte lass mich jetzt allein. Ich brauche etwas Ruhe.“

„In Ordnung.“ Mit einem unguten Gefühl schloss Jasmin die Tür.

Dero Goi legte sich wieder hin. Warum ließ sie ihn nicht in Ruhe? Warum kümmerte sie sich nicht um ihre Dinge? Sie hatte niemals die tiefen Verletzungen der Seele erfahren, die Eltern bei ihren Kindern anrichten können. Wie würde sie ihm helfen können?
 

Christinas Herz wurde schwer. Sie hatte die Enttäuschung durch Anis noch nicht wirklich verarbeitet. Hoffentlch hatte sie nun ihre Kräfte wirklich unter Kontrolle, wenn es zu einem erneuten Kampf kommen würde. Ihr fehlte ihre Mutter. Ihr fehlte ihr Vater und ihr Burder. Außerdem dachte sie auch an Katharina und Tuba. Wie es den beidne wohl ging? Besonders um Katharina machte sie sich weiterhin Sorgen. Die junge Halbgriechin ließ die letzten Monate Revue passieren. Sie hatte nun viele neue Freunde gefunden, denen sie vertrauen konnte, doch sie hatte ihre alten Bezugspersonen verloren. Nie mehr würde ihr altes Leben zurückkehren, führte sie sich zum wiederholten Male vor Augen.

Langsam stand sie auf, verließ ihr Zimmer und ging zu Lizas Raum.Es war alles so seltsam im Moment. Sie klopfte leise an, doch niemand reagierte. Hatte sie sie nicht gehört, oder war sie nicht da. Christina öffnete die Tür und hörte nun Würggeräusche aus dem badezimmer. Was war los? Brauchte Liza Hilfe? Schnell rannte sie ins Bad und sah, wie Liza ihren von Erbrochenem verschmierten Finger aus dem mund nahm. Die blonde Jugendliche sah die schwarzhaarige junge Frau verwirrt an. „Wieso hast du das getan?“

„Weißt du das wirklich nicht?“, entgegnete sie, während sie den Finger abwusch.

„Nein.“, antwortete Christina Klein, während sie eine Gänsehaut bekam. Sie hatte das Gefühl, dass sie nicht allein waren. Jemand war bei Liza.

„Ich bin so hässlich und fett.“, sprach sie tonlos.

„Nein, das ist nicht wahr. Wie kommst du auf soetwas?“

„Siehst du denn nicht, wie alle auf mich reagieren? Sie lehnen mich ab. Mich und meinen hässlichen Körper. Genauso wie meine Eltern es taten. Sie haben mich nie geliebt.“

„Das ist schrecklich, dass es dir so ergangen ist.“

„Ich lese in der Zeitung oft von Eltern, die ihre Babys verhungern ließen oder umgebracht haben. Die anderen sagen immer, wie schrecklich dies ist, doch ich denke nur, wäre ich es nur gewesen, der damals getötet worden wär, dann müsste ich heute nicht immer noch so leiden.“

„Liza...“, entgegnete Christina fassungslos, während sie bei diesen grauenvollen Worten erschauderte. Sie hätte niemals gedacht, dass es Liza so schlecht ging. „Es tut mir so Leid für dich.“

„Hör auf. Deine leeren Phrasen. Wie kann dir etwas Leid tun, was einem anderen widerfahren ist, und von dem du nicht die leiseste Ahnung hast.“

„Ich weiß nicht. Doch es ist so.“

„Du bist so schön...“

„Du bist auch schön. Wieso willst du noch schöner sein? Du hasst dich doch trotzdem. Und völlig ohne Grund!“

„Ach ja? Sie dir doch meinen unförmigen, aufgedunsenen Körper an!“, rief Liza aufgewühlt und zog ihr T-Shirt hoch, sodass man ihre Haut sah.

Christina starrte sie einige Sekunden lang stumm an, dann sagte sie: „Ich... Ich weiß nicht, was du meinst. Doch, das was ich sehe, beunruhigt mich sehr. Ich sehe nur Haut und Knochen.“

„Fett, alles Fett! Du willst doch nicht sagen, dass ich schön wär.“

„Weißt du was? Weißt du, wann du nicht mehr shcön bist? Du bist nur nicht mehr schön, wenn du zusammenbrichst. Wach endlich auf! Ich weiß nicht, wie ich so blind sein konnte, dass du es so lange vor mir verstecken konntest, doch jetzt sehe ich es. Siehst du dnen nicht auch, dass du am Abgrund stehst? Wenn du so weiter machst, wirst du sterben.“

„Wenn kümmert es schon?“

„Mich kümmert es! Und jeden, der hier ist.“

„Weißt du, es gibt nur eine einzige Person, der ich je wirklich etwas bedeutet habe. Als ich damals mit vierzehn Jahren von zu Hause auszog, wohnte ich ja bei meinem Freund. Das war bis kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag. Dann wurde er von einem BMW angefahren. Der Mann begang Fahrerflucht. Mein Freund fiel ins Koma, und ist nie mehr erwacht. Er ist es, zu dme ich jedes Wochenende in die Stadt fahre und besuche. Kurz nachdem dies passierte, entdeckte ich endgültig meine Kräfte. Sie waren schon seit längerer Zeit da gewesen, doch ich hatte es nie so richtig realisiert. In meiner Trauer entzog ich unbewusst allen Personen und Wesen in meinem Umfeld ihre Energie. Ich wurde zum reinsten Energie-Vampir. Pflanzen starben, Menschne verließen den Raum, wenn ich kam, weil sie ihnen plötzlich schlecht wurde. Dann kam Jasmin. Sie hat mich gefunden, da ich eine starke Kraft aussandte. Sie war so freundlich und nett zu mir, obwohl ich sie doch gar nicht kannte. Dies gab mir iweder Kraft, um nach vorn zu blicken. Ich begann meine Kampfausbildung hier und iwdmete mein Leben dem Kampf gegen die dunklen Mächte. Endlich hatte mein Leben einen Sinn bekommen.“

„Aber was ist denn jetzt geschehen?“

„Ich weiß nicht. Ich habe erkannt, dass das nur eine Trugwelt war. Die Leute hier mochten mich nicht wirklich. Sie waren nur freundlich zu mir, weil sie es zu jedem waren und es höflich war. Ich bedeute ihnen nichts. Gar nichts.“

„Das ist einfach nicht wahr. Irgendetwas versucht dir da snur einzureden. Wenn ich eins in letzter Zeit gelernt habe, dann dass alles seinen Sinn hat. Es hat schon seinen Grund, dass Gott uns alle zusammengeführt hat.“

„Gott? Wo ist er denn? Ich sehe ihn nicht. Wir machen hier seine Arbeit, aber ich hab nichts von ihm gesehen oder gehört. Allmählich zweifle ich daran, dass es ihn überhaupt gibt. Siehst du, was ich für eine bin? Selbst Gott ist mir egal.“

„Ja, ich sehe, was du für eine bist. Jemand, der sehr viel Liebe und Verständnis braucht. Liebe dich selbst endlich wieder, dann haben auch andere eine Chance, dich zu lieben. Auch Mutter Teresa zweifelte an Gott, und das ständig. Die gesamte zweite Lebenshälfte über. Das ist erst rund zehn Jahre nach ihrem Tod ans Licht gekommen. Aber sie hat weitergemacht, das getan, was Gottes Werk sein soll. Auch wenn sie selbst nicht mehr daran geglaubt hat, so bin ich doch sicher, dass sie nun ganz nah bei Gott ist. Also, nimm nicht alles so schwer, und vor allem, vergib dir selbst. Wenn deine Eltern dir keine Liebe geben konnten, dann ist das nicht deine Schuld.“

„Vielleicht hast du recht, doch auch wenn es mein Kopf weiß, so kann es mein Herz nicht umsetzen. Es ist immer noch wie ein hohles Loch.“

Christina spürte plötzlich tiefe Wärme und ein starkes Licht in sich selbst. Sie umarmte Liza. Christina wusste, dass ihr zweites Elemental, das lichte Elemental der Liebe, die Verkörperung des Guten, wieder die Kontrolle über ihren Körper übernommen hatte. Es war erst das zweite Mal überhaupt. Das letzte Mal war es bei Katharina gewesen. Doch Christina spürte, dass die wärmende Liebe nicht zu Liza vordrang. Als ob ein dunkles unsichtbares Schild um ihre Seele gespannt wär, was die Liebe nicht durchließ.

„Danke Christina, jetzt geht es mir schon etwas besser.“

„Spürst du die Wärme? Spürst du, dass du geborgen bist, dass du geliebt wirst.“

„Nein, ich spüre es nicht Christina. Oder nur ein ganz klein wenig, verschwindend wenig.“

Die Wärme wich aus Christina wieder hinaus, und sie übernahm wieder vollständige Kontrolle über ihren Körper. Doch sie hatte kein Gefühl innerer Ruhe, sondern ein ungutes Gefühl des Unberuhigtseins. Wieso war sie nicht zu Lizas Herz durchgedrungen? Hatten ihre Kräfte nachgelassen? Nein, unmöglich, sie waren eher stärker geworden. Wieder hatte sie ganz kurz das Gefühl, dass sie nicht allein waren. Da war noch jemand, oder etwas, der Liza irgendwie im Griff zu haben schien.

„Christina, ich glaube dir, dass du es ehrlich mit mir meinst, oder zumindest, dass du es selbst denkst. Wenn d möchtest, kannst du mich am Sonntag begleiten, wenn ich meinen Freund besuche. Er wird uns nicht antworten können, doch ich bin sicher, Kevin kann alles hören, was wir ihm sagen.“

„Danke, dass du ich mitkommen darf.“, erwiderte sie aufrichtig. „Und bitte... Iss richtig, und behalte alles bei dir.“

„ich weiß nicht, ob ich dir das versprechen kann, aber ich werde versuchen, mein bestes gegeben. Weißt du, manchmal habe ich das Gefühl, ich bin es gar nicht wert, von irgendjemandem geliebt zu werden.“

„Doch, das bist du.“

„Und das ist auch der Grund, warum ich mich auf Partys oft volllaufen lasse. Das betäubt diesen unsäglichen Schmerz, den ich tief in mir trage. Doch meistens macht der Alkohol es im Endeffekt nur noch schlimmer.“

Christina sagte nichts mehr. Sie blieb noch eine zeitlang bei Liza und hielt sie nur in den Armen.
 

In Stolberg lag Andreas wach im Bett. Der schlanke und leicht muskulöse dunkelhäutige Körper, der neben ihm lag, drehte sich zu ihm um. Dieser streichelte sanft über seinen Brustkorb und kuschelte sich in seinen Armen.

„Was ist los, Andreas? Woran denkst du?“, fragte Berkan leise.

„An meine kleine Schwester. Ich spüre, dass sie im Moment sehr traurig ist. Ich wäre im Moment gerne bei ihr.“

„Wenn du ganz fest an sie denkst, dann spürt sie auch, dass du mit deinen Gedanken bei ihr bist. Das wird ihr helfen und sie trösten.“

„Ich weiß. Es bleibt mir auch sonst nichts weiter übrig.“

„Ruf sie doch auf dem Handy an.“

„Nur im Notfall. Es ist zu gefährlich, falls die Polizei unsere Telefone abhört.“

„Dürfen die das denn überhaupt?“

„Ich glaube, in Deutschland dürfen die bald alles.“

„Weißt du was, mein Süßer?“, fragte der hübsche Türke fuhr sanft an Andreas’ Wange entlang. „Wenn hier gar nichts mehr geht, dann ziehen wir nach Sidney in Australien. Dort ist es warm, und wir werden dort mehr akzeptiert, als in Europa.“

„Hoffen wir, dass es niemals soweit kommen wird.“

Der Regen fällt

Kapitel 17: Der Regen fällt
 

Christina Klein und Liza Wilke betraten den weißen Gang, der von kaltem Licht erhellt wurde. Die junge Halbgriechin nahm den unangenehmen Geruch von Desinfektionsmitteln wahr. Es wirkte alles zu steril. Krankenhäuser waren ihr schon immer unangenehm gewesen. Sie erinnerte sich daran, wann sie das letzte Mal in einem Krankenhaus war, das war vor inzwischen schon so vielen Jahren, dass es Christina wie eine Ewigkeit vorkam, doch sie erinnerte sich noch genau an die unangenehmen Eindrücke, die sie damals erfuhr, und an das bedrückende Gefühl, das ihr wie ein schwerer Fels auf ihrer Brust die Atmung erschwerte. Sie, ihr Bruder Andreas und ihr Vater Bernhard waren damals zu Besuch bei Tante Karlotta. Niemals mehr konnte Christina das Bild vergessen, wie sie an ihrem Krankenbett saßen. Sie hatte ihre Tante kaum wiedererkannt, so sehr hatte sie sich verändert. Ihre Augen sahen kraftlos aus einem gräulichen Gesicht heraus. Die Haare waren ausgedünnt und die Haut hing schlaff an ihrem einst so schönen Gesicht. Leise hatte sie zu ihnen gesprochen, und es war als wusste sie schon damals, dass sie niemals mehr aus diesem Krankenhaus zurückkehren würde. Jetzt, da sie wusste, dass die Krankheit und der Tod ihrer Tante kein schreckliches Unglück gewesen waren, gesellte sich Wut zu der Trauer.

Seit dieser Zeit war ihre Abneigung Krankenhäusern gegenüber immer weiter gewachsen. Sie erinnerte sich an ein Sprichwort, welches ihre Oma väterlicherseits öfters zu pflegen sagte: „In einem Krankenhaus kommt man gesünder rein als raus.“ Hoffentlich würde sie selbst niemals hilflos in einem Krankenzimmer liegen, der Willkür der Mitarbeiter des Hauses ausgesetzt. Es mag stimmen, dass viele Leute Ärzte werden, um den Menschen zu helfen, aber viele werden es einfach nur des Ansehens und des Geldes wegen. Für diese Leute waren die Patienten einfach nur eine Nummer, eine Nummer, die Geld hereinbrachte.

Inzwischen waren sie vor einer Tür stehen geblieben. Christina sah anhand eines Schildchens, welches neben der Tür befestigt war, dass es das Zimmer 214 war. Liza legte ihre Hand auf die Klinke. Im ersten Moment wunderte Christina sich, warum Liza nicht anklopfte, doch im gleichen Augenblick fiel ihr ein, dass ein komatöser Patient wohl kaum ‚Herein’ rufen kann. Liza hatte die Tür nun geöffnet. Christinas Blick fiel in ein Zimmer, dessen Wände ebenfalls so kalt und weiß waren, wie die auf dem Gang, doch das Licht, welches durch große Fenster und eine Glastür fiel, war nicht so kühl. Links im Raum, mit dem Kopfende zur Wand hin, stand ein metallenes Bett. Ein junger Mann lag darin, über ihm eine blendend weiße Bettdecke. Leise traten Christina und Liza ins Zimmer, Liza schloss die Tür, dann trat sie ans Bett heran. Der junge Mann war bis auf die sehr fahle Hautfarbe sehr hübsch. Er hatte sanfte filigrane Gesichtszüge und hellbraunes Haar. Wenn er nicht an eine Beatmungsmaschine und an einen Tropf angeschlossen wäre, hätte man meinen können, er würde nur schlafen. Seine Brust hob und senkte sich mit den Atemzügen gleichmäßig im Takt der Maschine.

„Kevin...“, flüsterte Liza leise und strich sanft über seine zarte Haut. „Schau mal, Kevin, wen ich mitgebracht habe. Das ist Christina Klein. Ich hab dir doch schon von ihr erzählt. Sie war so nett, und ist mit mir mitgekommen. Siehst du sie?“ Liza schaute zu Christina. „Es ist sehr gut möglich, dass Menschen, die ins Koma gefallen sind, alles mitkriegen, was um sie herum geschieht. Sag ihm doch hallo.“

Die hübsche Halbgriechin tart näher ans Bett heran. „Hallo, Kevin. Schön, dich mal kennenzulernen.“

„Ich glaube, er freut sich.“, meinte Liza leise. „Schau mal, es sieht doch fast so aus, als würde er lächeln. Es sieht doch fast so aus... Oder sieht es...?“ Liza spürte, wie ihre Augen plötzlich feucht wurden. „Warum kannst du nicht endlich aufwachen, Kevin? Dir fehlt doch nichts... Du musst nur... Nur endlich aufwachen...“ Sie ergriff vorsichtig seine Hand und spürte seine Wärme in ihrer Hand. Deutlich nahm sie den Schlag seines Pulses wahr.

Christina kam näher zu ihrer Freundin heran. Sie wusste keine Worte zu sagen, die nicht in ihren eigenen Ohren hohl und sinnlos geklungen hätten.

„Christina... Warum?“ Lizas Blick verschleierte sich. „Warum nur? Warum wacht er nicht endlich auf?“

„Ich weiß es nicht.“, entgegnete Christina wahrheitsgemäß. Sie spürte die starken Wellen der Trauer, die von Liza ausgingen.

Liza setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand, Christina setzte sich auf einen anderen Stuhl dazu. Sie saßen ungefähr eine halbe Stunde so da, in der Liza nur Kevins Hand hielt und ihm hin und wieder einige Dinge erzählte. Dann sagte Liza plötzlich: „Ich muss mal auf die Toilette. Kommst du mit mir mit?“

„Ja.“

Die beiden Mädchen verließen gemeinsam das Krankenzimmer.
 

Manuel Romeike hatte im Gang des Krankenhauses gewrtet. Als die beiden Mädchen das Zimmer verließen, bemerkten sie ihn nicht. Er hatte seine Aura geschlossen und damit abgeschirmt. Als die beiden Mädchen um die Ecke am Ende des Ganges verschwunden waren, stand er langsam auf und betrat das Zimmer von Kevin. Er schloss hinter sich die Tür. Niemand war da, nur er und dieser junge Mann. Manuel trat ans Krankenbett heran. Da schläft er also, und er merkt nichts. Umso besser für ihn. Er streckte seine Hand aus und hielt sie in kurzem Abstand über den Kopf von Kevin. Negative Energie floss aus seinen Fingern, direkt in Kevins Kopf. Sie verbreitete sich durch das Blut in seinem ganzen Körper. Sein Herz schlug. Dann schlug es noch ein paar Mal. Dann niemals mehr.

Nachdem sich Manuel sicher war, dass er Kevins Leben ein Ende bereitet hatte, streckte er seine Hände zu den Maschinen hin aus. Er legte sie alle gleichzeitig lahm, sodass keine Schwester und kein Arzt im gesamten Krankenhaus Kevins Tod gewahr wurde. Er schirmte seine Aura wieder ab und trat in eine Ecke des Raumes hinter einen Vorhang und wartete. Er freute sich schon darauf. Nur Christina war noch ein Problem. Warum musste sie auch ausgerechnet heute mitkommen? Wie auch immer, das dürfte nicht wirklich ein Problem darstellen.

Manuel bemerkte, wie es im Raum dunkler wurde. Es waren Wolken aufgezogen, die den Himmel immer mehr bedeckten. Dunkle Wolken, die nichts Gutes verheißen konnten.
 

„Weißt du, Christina, Kevin war der einzige Mensch, der mich jemals so geliebt hat, wie ich wirklich bin. Er hat mir gezeigt, dass es tatsächlich so etwas wie Liebe gibt, und dass auch ich würdig bin, Liebe zu empfangen. Er gab mir die Kraft, mit bereits vierzehn Jahren aus dem Gefängnis auszubrechen, das mein Zuhause war. Niemals hätte ich mich allein meinen Eltern widersetzen können. Doch ich wusste, dass er auf mich warten würde, dass er mich aufnehmen würde, und dass er mich unterstützen und für mich sorgen würde. Es war bei ihm die schönste Zeit meines Lebens gewesen. Bis hin zu dem Tag, an dem sich dieser Unfall ereignete. Weißt du, ihr alle seid zwar alle furchtbar lieb zu mir, und ich fühle mich schon mehr angenommen, als es bei anderen Menschen der Fall ist, doch das was Kevin mir gegeben hat, das kann mir niemand geben.“

„Und trotzdem musst du auch nach vorne sehen, Liza.“, meinte Christina. „Es ist wichtig, dass du all die schönen Erlebnisse, die mit ihm hattest, und die positiven Erfahrungen, seine Liebe, tief in deinem Herzen bewahrst, doch du solltest dich auch für den Fall vorbereiten, dass er nie mehr aufwacht. Weißt du, was ich meine?“

„Ja, aber ich will darüber gar nicht nachdenken,. Allein der Gedanke daran wäre so schrecklich... Nein, ich kann da nicht drüber nachdenken.“

„Kevin liebt dich. Er will bestimmt doch auch, dass du dein Leben auch ohne ihn auf die Reihe kriegst, dass du wieder glücklich wirst.“

„Das mag sein, aber es ist nur eine schöne Wunschvorstellung. Er ist derjenige, der mir Halt gegeben hat, ohne ihn ein glückliches Leben zu führen... Das ist etwas, was sich für mich total widerspricht. Glücklich sein ohne ihn ist unmöglich.“

Sie betraten den Raum. Sofort wusste Liza, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie stüzte sofort an das Bett ihres Geliebten. Dann schrie sie panisch auf: „Er atmet nicht. Oh mein gott, er atmet nicht.“ Ihre Hand fühlte den an seinem handgelenk entlang. „Sein Herz schlägt nicht mehr!“ Sie streckte ihre Arme und drückte auf seine Herzgegend. „Das Bett ist zu weich. Ich kann keine Herzmassage machen. Warum kommt denn niemand von den Schwestern?“

Christina ging zu ihr hin. Leise und teilnahmsvoll sagte sie: „Lass ihn. Es ist nun vorbei.“

„Nein!“ Sie warf sich auf seinen reglosen Körper und weinte so heftig, dass ihr Körper davon erzitterte. „Er ist tot... Tot.“ Wie ein Schock ergriff sie dieses kurze Wort. „Es kann nicht sein. Tot... Tot...“ Sie flüsterte es immer wieder ungläubig vor sich hin. „Kevin ist tot...“

„Ich suche einen Arzt.“, sagte Christina kurz und verließ das Zimmer. Als sie die Tür hinter sich zuzog, verschloss sie sich, ohne dass sie es bemerkte.

Draußen begann es zu regnen. Der Wind peitschte die Tropfen an das Fensterglas.

Liza lag bei ihrem toten Freund auf dem Bett und kuschelte sich an seinen abkühlenden Körper. Sie wimmerte leise. Sie war allein, so allein. Nun war niemand mehr da, der ihr etwas bedeutete, dem sie wirklich etwas bedeutete. Das Leben mit Kevin war ihr großes Glück gewesen, doch das Glück war verbrannt. Niemand hatte sie wirklich gekannt, außer ihm. Doch nun war alles vorbei. Alles vorbei, alles tot und gestorben.

Langsam erhob sie sich, ihr langes dunkles Haar fiel ihr ins Gesicht. Sie hatte doch nur glücklich sein wollen, war das denn zuviel verlangt? Ihr wurde plötzlich ganz kalt. Sie suchte in sich das Mädchen, was sie war, was sie gewesen war, als sie glücklich war, doch es war nichts mehr davon übrig. Sie ging zur gläsernen Tür und öffnete sie. Der Wind peitschte ihr ins Gesicht. Die langen Vorhänge begannen sich wellenartig zu bewegen. Liza trat auf den Balkon hinaus. Innerhalb weniger Sekunden war sie durchnässt. Sie sah nach oben. Der Regen fällt. Sie sah nach unten. Und genauso würde sie gleich auch fallen. Wie lange es wohl dauern würde, bis sie unten angekommen sein würde? Sie konnte es sehr schlecht abschätzen. Wie würde es sich anfühlen, wenn sie aufschlug? Wäre es ein kurzer Schmerz, und alles war vorbei, oder würde sie es überhaupt nicht mehr wahrnehmen? Im Grunde war es ihr egal.

Während sie den Wind kalt an ihrem Körper fühlte, hörte sie durch das Lied des Windes kaum die Stimme, die von hinten ihren Namen rief: „Liza! Liza, mach die Tür auf!“
 

Wie in Panik hämmerte Christina gegen die Tür. „Mach auf!“

„Ich hole den Generalschlüssel.“, sagte der Arzt, der mit ihr mitgekommen war. „Ich bin in wenigen Minuten zurück.“ Dann lief der Arzt los.

Sobald der Arzt verschwunden war, sammelte Christina ihre Energie kurz und entlud diese innerhalb eines Sekundenbruchteils. Die Tür flog aus den Angeln und ins Zimmer hinein. Sie sah Liza auf dem Balkon im Regen stehen. Sofort wusste sie, was sie vorhatte. Sie wollte sich umbringen! „Nein!“, schrie Christina und lief in den Raum hinein. „Komm da weg!“ Aus den Augenwinkeln heraus nahm sie plötzlich irgendetwas wahr, was sie beunruhigte. Sie drehte sich und sah eine Hand, die nach ihr griff. Sie wich einen Schritt zurück. Die Hand gehörte einem Mann. Von diesem mann ging eine sehr starke bedrohliche Energie aus. Er hatte kurze schwarze Haare und eine Sonnenbrille auf. Er griff sie erneut an, indem er einen Strahl schwarzer Energie abschoss. Christina warf sich zur Seite. Die Attacke explodierte an der Wand und hinterließ Verwüstung.

Die junge Halbgriechin warf kurz einen Blick auf Liza. Diese machte einen Schritt nach vorne und begann nun auf das Geländer zu klettern. Dies nutzte der Mann aus und griff mit einer besonders starken Attacke an. Christina reagierte instinktiv und konnte die Energie durch die eigene Energie abwehren. Dann schleuderte sie den Angreifer gegen die Wand und rannte zu Liza. Sie umfing ihren Oberkörper und zog sie vom Rand weg.

„Lass mich los! Alles hat seinen Sinn verloren! Lass mich!“ Liza hörte Stimmen in ihrem Kopf. Tu es endlich. Bring dich um. Dein Leben ist jetzt sowieso nichts mehr wert. Schau dich nur an, wie jämmerlich und lächerlich du bist. Eine echte Witzfigur. Komm schon, mach alldem ein Ende, oder bist du dafür auch zu feige und blöd?

„Nein, ich lasse dich nicht! Kevin würde nicht wollen, dass du dein Leben wegwirfst.“

„Er will mit mir vereint sein. Ich will zu ihm. Lass mich endlich zu Kevin!“ Liza schlug Christina isn Gesicht und biss ihr in den Arm, doch sie ließ nicht los.

„Nein, tus nicht!“ schrie Christina weiterhin. Dann sah sie sich um. Der Feind stand wieder auf. „Liza, schau! Dieser Mann da! Er will mich töten. Er ist ein Feind. Ich glaube kaum, dass es ein Zufall ist, dass er hier ist. Vielleicht hat er Kevin getötet.“

Liza erschlaffte. „Er hat... Was?“ Dann wurde sie von Zorn erfasst. Sie sah ihn an. „Du hast Kevin getötet? Du Wichser! Du blödes verficktes Arschloch!“ Lizas Gesichtsausdruck verzerrte sich. Der Raum erbebte. Eine starke Kraft entlud sich bei ihr und traf den Mann, der erfolglos versuchte, die Attacke abzuwehren. Er schrie vor Schmerzen auf, als die haut an seinen Armen und im Gesicht aufriss. Blut lief herunter.

„Wer bist du?“, fragte Christina laut.

„Ich bin Manuel Romeike, du Miststück.“, erwiderte er wütend. „Wenn du nicht aufgetaucht wärst, dann wäre alles so einfach gewesen. Dann wär diese labile Tussi gesprungen, und wir wären sie los gewesen. Aber du blöde Schlampe hast den Plan versaut!“

„Du hast Kevin umgebracht, damit Liza sich umbringt?“, fragte Christina entsetzt.

„Und wenn schon. Der war doch eh shcon so gut wie abgekratzt.“, grinste Manuel. Der wütenden Attacke von Liza wich er aus und schleuderte kleine Ballen schwarzer Energie in Richtung der beiden Mädchen. Christina lenkte sie durch ihre Kraft weg. Dann ließ sie die zerstörerische Kraft ihres Elementals wirken, doch ohne dass sie die Kontrolle über sich verlor. Manuel lief zur Tür raus, und so wurde lediglich die Wand vernichtet. Liza und Christina liefen hinterher, doch sie sahen ihn nicht mehr.

„Er ist weg!“, rief Christina. „Verdammt!“

Liza zitterte vor Wut und Trauer. „Ich werde nicht ruhen, bis Kevins Mörder vernichtet ist.“

„Lass uns auch verschwinden, bevor wir jemandem erklären müssen, was hier passiert ist.“
 

„Er sagte, er hieß Manuel Romeike?“, fragte Dero nach.

„Ja.“, bestätigte Christina. „Kennst du ihn?“

„Er ist ein Feind, und zwar ein ziemlich mächtiger. Wir müssen sehr vorsichtig sein, wenn wir ihm wieder begegnen. Er ist vermutlich nur geflüchtet, weil ihn Lizas Angriff geschwächt hatte. Er ist sehr gefährlich.“

„Was mich sehr schockiert, ist die Kaltblütigkeit des Plans.“, meinte Jasmin Wagner besorgt. „Er hat es darauf angelegt, Liza in den Selbstmord zu treiben.“

„Der Feind ist böse und niederträchtig, er tut alles, wenn es seinen Zwecken nutzt und uns schadet.“

„Wie geht es Liza jetzt?“, wollte Lulu wissen.

„Sie schläft immer noch.“, antwortete Mandy Capristo. „Ich habe sie eben auf der Krankenstation besucht.“

„Sie wird da wohl noch eine Weile bleiben.“, meinte Dero. „Der Schmerz über den Verlust dieses geliebten Menschen, die Verzweiflung, die Wut und die übermäßige Kraftanstrengung durch die durch Hass hervorgerufene Attacke auf Manuel haben sie sehr mitgenommen. Es liegt in unser aller Verantwortung, und in nächster Zeit um sie zu kümmern. Sie braucht sehr viel Liebe und dass sie weiß, dass wir für sie da sind.“

„Keine Sorge, wir machen das, Dero.“, bestätigte Senna. „Ich werde mich besonders gut um sie kümmern, sobald sie wieder wach ist. Ich weiß noch, wie dankbar ich war über die ehrlich gemeinte Anteilnahme, als ich verletzt worden war und mich erholen musste.“

„Ja, nur leider können seelische Wunden nicht so einfach geheilt werden, wie körperliche.“ Und ich weiß, wovon ich spreche, fügte Dero in Gedanken dazu.

Zusammen

Kapitel 18: Zusammen
 

Senna Guemmour saß am Bett von Liza Wilke. Lizas Augenlieder zitterten, dann öffneten sie sich langsam.

„Wie gehts dir, Liza?“, fragte Senna ehrlich besorgt.

Liza blieb stumm, dann setzte sie sich auf. Ihr Gesichtsausdruck wirkte entschlossen. „Ich werde seinen Tod rächen. Ich werde Manuel vernichten.“, sagte sie ernst.

„Du warst mehrere Tage am Schlafen. Du musst erst einmal zu Kräften kommen.“

Liza stand auf. „Ich bin bei Kräften.“ Sie ging ein paar Schritte in Richtung, dann blieb sie stehen und drehte sich zu dunkelhäutigen Frau um. „Wo sind Dero und Jasmin?“

„Sie trainieren die Anderen.“

„Gut. Ich muss unbedingt stärker werden.“

„Wo willst du hin?“

„Zu ihnen. Ich muss trainieren.“

Senna wusste, dass es keinen Sinn hatte, sie umzustimmen. „Okay, ich begleite dich.“

Kurz darauf betraten sie den Trainingsraum. Dero Goi, der gerade Matt trainierte, sah zu ihnen auf. „Oh, hallo Liza. Wie gehts dir?“

„An welcher Übung seid ihr gerade dran?“, ignorierte Liza Deros Frage.

Dero ging zu ihr hin und erklärte es: „Dieser Backstein, der da hinten liegt, soll durch Telekinese zehn Meter weit bis hinten an die Wand befördert werden.“

„Ich verstehe.“ Liza machte eine herrische Handbewegung, woraufhin der Backstein durch die Luft flog und gegen die Wand knallte, welche daraufhin Risse bekam. „So, geschafft. Nun die nächste Übung.“

„Nein, du hast es nicht geschafft. Du solltest ihn zwar bis zur Wand befördern, ihn aber nicht dagegen knallen, sodass auch noch die Wand beschädigt wird. Es geht darum, dass du differenzierter mit deinen Kräften umgehen kannst, und sie nicht einfach explodieren lässt.“

„ Und was soll das bitteschön bringen? Durch Behutsamkeit können wir keinen Feind vernichten. Unsere Kräfte müssen wachsen, damit wir den Feind mit einem Schlag auslöschen können.“

„Und was bringt dir die größte Kraft, wenn du sie unkontrolliert einsetzt? Stell dir mal vor, Liza, du kämpst mit deinem Gegner. Du setzt deine ganze Macht gegen ihn ein, sodass ein einziger Angriff ihn auslöschen kann, doch du triffst ihn nicht richtig, sondern die Attacke geht zehn Zentimeter vorbei? Das bringt ja dann wohl auch nichts, oder?“

„Dann mach ich meinen Angriff noch größer, sodass er gar nicht mehr ausweichen kann.“

„Wenn wir unsere Taktik nach diesen Vorstellungen verändern, werden wir verlieren. Ich werde dir alles beibringen, was du benötigst, aber du musst auch genau auf meine Anweisungen hören, hast du das verstanden.“

„Na gut.“, grummelte Liza vor sich hin. Wenn es so sein sollte, dann musste es wohl so sein. Die Hauptsache war, dass sie mächtiger werden würde. Mächtig genug, um Manuel Romeike zu vernichten. Sie würde ihre ganze Energie nur in die Ausbildung stecken, sonst gar nichts. Sie würde mehr trainieren, als jemals zuvor, und dann würden sich schnell gute Ergebnisse erzielen lassen.

Am nächsten Tag traf sie Christina. „Oh, eine neue Haarfarbe!“, sagte die junge Halbgriechin verwundert.

„Ja, es war mal Zeit.“, entgegnete Liza, während sie sich durch ihre blonden Haare fuhr.

„Sieht ungwohnt aus.“ Christina erinnerte sich, dass sie schon oft gehört hatte, dass eine neue Haarfrisur oder Haarfarbe einen neuen Abschnitt im Leben markiert. Liza wollte vermutlich zeigen, dass sie sich nun verändert hatte, dass sie eine Kämpfernatur entwickelt hatte.

In den nächsten Wochen trainierte Liza immer härter und härter. Sie gab nun nicht mehr der Bullimie nach, aber das was sie aß, waren gezielt Nahrungsmittel, die den Muskelaufbau förderten, beispielsweise Proteine. Senna und Christina warteten einen Moment ab, bis Liza alleine war, dann gingen sie zu ihr. „Hast du Lust, heute abend mal wieder mit usn wegzugehen?“, fragte Senna.

„Nein, danke. Keine Lust.“

„Sollen wir vielleicht mal irgend etwas anderes unternehmen?“, versuchte es Christina.

„Nein, gar nichts. Ich bin froh, wenn ich meine Ruhe habe.“ Durch ihre Energie ließ sie zwei Dutzend Backsteine durch den Raum fliegen, die sich zu einer Mauer zusammensetzten.

„Ach, Liza...“, sprach die hübsche Halbgriechin und setzte sich neben sie auf den Boden. „Du solltest wirklich mal wieder etwas unternehmen, etwas, das dich auf andere Gedanken bringt. Es ist sehr gut und wichtig, dass du unsere Aufgabe ernst nimmst, aber es ist nicht gut, dass du überhaupt nichts anderes mehr machst. Du kannst doch nicht 24 Stunden am Tag deine Kräfte vergrößern.“

„Christina, bitte.“, zischte Liza wütend. „Es ist wichtig, dass ich stark genug bin. Ich muss Kevins Tod rächen, das ist das, was im Moment für mich am Wichtigsten ist, verstehst du nicht? Ich werde seinen Mörder vernichten.“ In sich drin hörte sie eine hämische Stimme. ‚Du willst Manuel vernichten? Du bist noch immer zu schwach. Viel zu schwach. Du konntest Kevin nicht beschützen. Du kannst niemanden beschützen. Du wirst erneut versagen.’

„Nein, werde ich nicht!“, flüsterte sie leise zu sich selbst.

„Was?“, fragte Christina nach.

„Nichts.“; entgegnete die junge Frau. „Lasst mich jetzt bitte in Ruhe. Ich muss mich konzentrieren, sonst kann ich das Training gleich ganz vergessen.

Senna und Christina entfernten sich wieder. Senna sprach zu Christina: „Wir sollten etwas unternehmen.“

„Ja, aber nur was? Wie können wir ihr helfen?“

„Lass uns zu Jasmin gehen? Vielleicht weiß sie einen Rat.“, vermutete die Marokkanerin.
 

Jasmin Wagner hatte für sich und Dero vegetarisches Essen gekocht. Der Geruch des Gemüseauflaufs erfüllte den ganzen Raum. Voller Stolz nahm sie die volle Auflaufform in ihre behandschuhten Hände und trug sie an den Tisch, an welchem Dero Goi saß, und dem das Wasser schon im Munde zusammen lief.

„Yeahr, was für ein geiler Fraß!“, grinste er und trommelte ungeduldig auf der Tischplatte herum.

„Also, wirklich.“, meinte Jasmin. „Das ist ein vorzügliches Essen, und kein Fraß.“ Sie stellte ihn in die Mitte des Tisches.

„Ich weiß, mein Blümchen, ich weiß.“

Die schöne Halbkroatin zündete mit einem Streichholz eine rote Kerze an. Das Licht war bereits zuvor gedämmt würden. „Möchtest du Rotwein oder Weißwein?“

„Ich trinke keinen Alkohol.“, beschwerte sich der Mann Ende dreißig.

„Ach ja, das vergesse ich immer. Also ich genehmige mir ein Glas trockenen Rotwein und dir schenke ich einen Jasmintee ein, okay?“

„Ja, Jasmin ist gut.“, bestätigte Dero augenzwinkernd.

Als Jasmin einen Teebeutel in einer Tasse mit kochendem Wasser übergoss, machte ihr Herz vor Freude einen kleinen Sprung. Sehr schön, er flirtet schon mit mir! Als sie ihm die Tasse hinstellte, fragte sie ihn eindringlich: „Stimmts, du hast gar keine Frau und Kinder?“

„Ich... Doch, doch.“, stotterte er. „Natürlich, weißt du doch.“

Warum nur, fragte sich Jasmin, warum erzählt er diese Lüge? Ich werde seine Mauer schon noch aufbrechen. Wenn er erst einmal wirklich erkannt hat, dass er mir vertrauen kann... „Wie schmeckt es dir, Dero?“

Der Mann schwarzhaarige Mann kaute schnell und schluckte dann hinunter. „Das schmeckt so geil, so verdammt orgasmusgeil!“

„Das freut mich. Wenn es eines gibt, was ich kann, dann ist es kochen.“

„Und zum Glück vegetarisch kochen. Wenn ich daran denke, dass Milliarden Menschen diese toten Tiere in sich reinstopfen, und davon auch noch immer fetter werden, dann könnte ich kotzen. Außerdem ist Tiere zu essen, wie man seit Neuestem weiß, auch Mitschuld am Klimawandel.“

„Aha.“ So sehr sie seine Meinung auch teilte, und so sehr sie es wichtig fand, wollte sie doch mit ihm über andere Dinge reden. „Dero, sag mal... Deine Frau, wie ist sie denn so?“

Dero räusperte sich, als ihm ein Stück Brockoli im Hals stecken blieb. Schnell griff er nach dem Zee, um ihn runterzuspülen, doch der war noch so heiß, dass er sich fast verbrannt hätte. Nachdem er irgendwie das Gemüse doch noch runtergekriegt hatte, antwortete er: „Also, sie ist sehr hübsch und sehr warmherzig. Sie hat lange Haare und einen schönen Körper. Wenn jemand Probleme hat, dann kümmert sie sich darum und bietet ihre Hilfe an, die auch wirklich hilfreich ist. Sie hat einen verträumten Blick, der manchmal in einen ziemlich skeptischen wechseln kann. Sie hat einen Sinn für schöne Dinge, und ist für viele Dinge sehr offen. Sie ist kulturell interessiert und sieht die Welt klarer als andere Menschen.“

„Wie schön. Das freut mich total.“

„Was?“

„Äh... Ich meinte, dass du so eine tolle Frau hast.“ Als Dero erzählte hatte sie aus irgendeinem Grund das Gefühl gehabt, er würde nicht von einer anderen Frau, sondern von ihr, Jasmin, reden. War das nur ein Wunschtraum, oder war es tatsächlich so?

„Ja, ich bin auch froh, dass ich sie kennengelernt habe. Lass uns auf sie anstoßen!“ Dero hob seine Teetasse und Jasmin ihr Weinglas. Sie stießen an. „Jasmin, du musst dem Gegenüber immer beim Anstoßen der Gläser in die Augen schauen, sonst gibt es sieben Jahre schlechten Sex.“

„Oh, das wusste ich nicht. Können wir es wiederholen?“

„Na gut, aber nur weil du es bist, Jasmin.“

Dieses Mal sah Jasmin Dero ganz tief in seine geheimnissvollen dunkelbraunen Augen.

Nach zwanzig Minuten sagte Dero: „Jetzt bin ich aber wirklich satt! Hat aber gut geschmeckt.“

„Wehe, du hättest jetzt auch etwas Anderes behauptet.“, scherzte Jasmin in gespielt drohendem Ton.

Es klopfte an der Tür. „Wer stört?“, fragte der noch gutaussehende Mann.

„Wir sind es.“, sagte die attraktive junge Halbgriechin. „Christina und Senna.“

„Hallo, ihr Beiden.“, begrüßte sie Jasmin freundlich. „Gibt es einen besonderen Grund für euren Besuch?“

„Ja.“, ergriff Senna das Wort. „Es geht um Liza. Wir machen uns große Sorgen um sie. Sie hat sich seit dem Tod ihres Freundes sehr verändert. Sie trainiert und trainiert, und macht sonst überhaupt nichts Anderes mehr. Mir kommt es so vor, dals wäre sie regelrecht besessen von dem Gedanken an Rache. Sie lebt qzasi nur noch dafür, den Mörder ihres Freundes zu bestrafen.“

„Das ist uns auch schon aufgefallen.“, bestätigte Jasmin die geäußerten Befürchtungen. „ich glaube, es ist höchste Zeit, dass wir mal mit ihr reden, oder Dero?“

„Ja, lass uns gehen. Jetzt, wo ich satt bin, bin ich dafür gerüstet. Ist sie im Trainingsraum?“

„Ja, die ganze Zeit schon.“

„Dann kommt, wir gehen zu ihr.“
 

Liza Wilke konzentrierte sich angespannt auf einen Backstein, der mit blauen kleinen Fliesen ummantelt ist. Sie ließ ihn in der Luft schweben, und versuchte nacheinander die Fließen, die mit Mörtel befestigt waren, von dem Stein zu entfernen, ohne dass eine Fliese beschädigt wird. Da bemerkte sie, dass Leute kamen. Ihre Konzentration lies nach und eine Fliese bekam einen haarfeinen Sprung.

„Verdammt!“, stieß sie wütend aus. Der Stein krachte mit einem lauten Knall auf den Boden. „Wieso stört ihr mich bei meinen Übungen?“

„Weil wir finden, dass du es sehr übertreibst.“, entgegnete Dero Goi ruhig.

„Ich übertreibe? Du denkst, ich übertreibe, nur weil ich Kevin nicht einfach vergessen werde, weil er gestorben ist, und seinen Tod rächen will? Manuel Romeike wird dafür bezahlen, was er ihm angetan hat.“

Christina und Senna blieben zwei Meter weit entfernt, als Dero und jasmin sich liza näherten. Mit beruhigender Stimme antwortete der schwarthaarige Mann: „Ich nehme deinen Kummer und deine Trauer wahr. Ich nehme auch deine Wut und deinen Zorn zur Kenntnis und verstehe sie vollkommen. Doch du darfst niemals zulassen, dass der Hass dich auffrisst, denn sonst kann es passieren, dass er nichts mehr von der ursprünglichen Liza übriglässt, die irgendwo noch ganz tief in dir drinnen ist, und mit sich und der Welt gebrochen hat.“

„Das braucht dich nicht zu kümmern, Dero. Du solltest dich lieber mal um deine eigenen Probleme kümmern, dann hast du genug zu tun.“

„Du hast Recht, aber du bist mir nicht egal, deshalb will ich dir auch helfen, deine Probleme zu lösen. Es wäre schön, wenn du das Leben wieder genießen könntest und die Schönheit in der Welt sehen könntest.Dazu musst du deine Trauer verarbeiten, und zwar nicht durch Rache. Bis du dies geschafft hast, solltest du im Interesse der Gruppe versuchen, damit umzugehen und deine Wut zu regulieren.“

„Das einzige, was ich will, ist Kevins Mörder zur Strecke zu bringen, ist das denn so schwer zu kapieren. Ich denke nicht!“

„Meinst du, es wäre in Kevins Sinne, dass dein Leben der Rache seines Todes gewidmet wird? Denkst du, er würde das wollen?“

„Dero, bei aller Liebe... Du kanntest ihn nicht, also versuche mir nicht einzureden, was er gewollt hätte, und was nicht.“

Dero blickte zu Jasmin. Diese nickte ihm kurz zu, und sagte daraufhin zu Liza gewandt: „Wir werden jetzt etwas tun, was dir hoffentlich helfen wird. Es wird uns viel Kraft kosten, deshalb bitte ich dich, dich nicht zu verschließen, sondern zu öffnen.“

Als Liza sie fragend ansah, sagte Dero: „Vertrau uns Liza. Du weißt, dass wir dir oder jemandem aus der Gruppe niemals schaden würden.“

Nein, das würden sie tatsächlich nicht tun, dachte Liza, und entspannte sich.

„Schließ deine Augen.“, sprach Jasmin. Liza tat es. Dann griff Dero Jasmin am linken Arm. Jasmin fühlte, wie die Stelle ganz warm wurde, als Deros Energie in sie hineinfloss. Dann streckte sie ihre rechte Hand aus und hielt sie bis ganz kurz vor Lizas Stirn. Sie fühlte das Energiefeld von Lizas Körper, suchte das Stirnchakra und ließ ihre Energie fließen.

Liza fühlte plötzlich, dass es auf ihrer Stirn, direkt zwischen ihren Augen, ganz warm wurde. Als sie hörte, wie Jasmin sagte, dass sie ihre Augen öffnen solle, sah sie die Welr ganz verändert. Sie sah, dass Dero, Jasmin, Christina und Senna von einer Farbschicht umhüllt waren, doch es waren verschiedene Farben. Dero beispielsweise leuchtete in rot. Liza realisierte, dass das, was sie da gerade sah, die Auren sein mussten.

„Was habt ihr gemacht?“, fragte Liza verwirrt.

„Wir haben deinem Stirnchakra Energie zugeführt, sodass sich dein drittes Auge geöffnet hat, allerdings wird es nur kurze Zeit offen bleiben.“

Christina erinnerte sich. Es war das Gleiche, was das Medium, diese Dilara Shakur, bei ihr vor vielen Monaten gemacht hatte. Damals war es ihr möglich gewesen, mit ihrer verstorbenen Tante Karlotta zu reden.

Lizas Blick wanderte umher, als sie plötzlich regelrecht erstarrte. Vor ihr stand Kevin. Sie spürte seine Anwesenheit nun ganz deutlich und Tränen der Freude füllten ihre Augen. Sie wollte nach ihm greifen, doch sie griff durch ihn hindurch. Da erkannte sie, dass es lediglich der Geist ihres Freundes war.

„Liza, meine Süße.“, sprach er zu ihr. „Du sollst wissen, dass ich immer bei dir bin. Ich werde dich begleiten und beschützen, wo du acuh bist. Ich liebe dich.“

„Ich dich auch. Wie gehts dir?“

„Mit gehts eigentlich ganz gut. Die ganze Zeit war ich Gefangener in meinem eigenen Körper. Ich hab alles wahrgenommen, was um mich herum geschah, doch ich konnte selbst nichts unternehmen. Nun, da ich meinen irdischen Körper verlassen habe, fühle ich mich zum ersten Mal seit langer Zeit frei.“

„Ich will bei dir sein, Kevin. Ich will, dass wir zusammen sind. Weiß du noch, als wir uns versprochen haben, wir werden immer zusammen sein, egal was auch passiert? Zusammen im Leben, zusammen bis in den Tod.“

„Ja, ich weiß es noch, aber ich will nicht, dass wir auf diese Weise zusammen sein werden, die du dir vergestellt hast. Noch nicht. Ich will, dass du dein Leben lebst, und nicht durch meinen Tod darin eingeschränkt wirst. Ich liebe dich, deshalb will ich, dass du glücklich wirst.“

„Wie kann ich das ohne dich werden?“

„Indem du es versuchst. Dann wist du auch glücklich werden. Liza, wir sind zusammen, auch wenn du mich nicht siehst. Ich dachte, du würdest mich wenigstens spüren, aber ich kam nicht zu dir durch. Du hast nur noch an rache gedacht. Irgendetwas Schlechtes ist bei dir, ich weiß nicht was. Aber es gibt dir diese Gedanken ein. Höre nicht auf diese Dinge, die in deinem Kopf sind, höre nur auf dein Herz.“

„Aber ich kann nicht froh sein, wenn ich weiß, dass du tot bist, und dein Mörder am Leben ist. Auch wenn es dir nun besser geht, als im Koma, so hat er dich doch ermordet. Soll ich ihm dafür auch noch dankbar sein?“

„Natürlich nicht.“, antwortete Kevin ruhig. „Aber töte ihn nicht meinetwegen. Wenn es sein muss, da es deine Aufgabe ist, dann töte ihn, um andere zu retten, aber nicht aus Rache. Bereite dich darauf ernst vor, denn dieser Tag wird kommen. Doch tue es nicht mit einem Gefühl des Hasses. Wenn es so sein soll, dann wird er zu dir kommen, aber du sollst nicht nach ihm suchen, sonst wirst du vielleicht auch noch umkommen. Es ist wichtig, die Gefahr, die vom Bösen ausgeht, nicht zu unterschätzen, aber sie sollte nicht dein Leben bestimmen, denn wenn du ein Leben in Angst oder in Hass führst, dann haben die dunklen Mächte gesiegt. Das wollen sie doch nur. Negative Gefühle ziehen Negatives an. Nichts vertreibt diese Negativen so sehr, wie ein ehrliches herzliches Lachen, denn diese positiven Gefühle können sie nicht ertragen. Bewahre mich in deinem herzen. Wenn du an mich denkst, denke nicht daran, wie ich gestorben bin, sondern wie ich gelebt habe. Erinnere dich an die schönen Momente, denn diese werden dir Kraft geben.“

Liza spürte, wie es in ihrer Herzgegend warm wurde. Durch ihren tiefen Schleier der Trauer und des Hasses drang die Liebe ihres Freundes und gab ihr neue Kraft. Seit sehr langer Zeit, vielleicht zum ersten mal in ihrem Leben, spürte sie, dass sie niemals wirklich allein gewesen war. Ihr Blick wanderte zu Dero, Jasmin, Christina und Senna, dann wieder zurück zu Kevin.

„Diese da sind deine Freunde.“, sprach er freudig. „Du kämpst für eine gute Sache. Und damit auch für Gott. Er würde dich niemals schutzlos und allein zurücklassen. Deshalb hat er mich damals zu dir geschickt, als du mich am Nötigsten gebraucht hattest. Und deshalb bist du nun auch in dieser Gruppe voller Menschen, die dich so akzeptieren und lieben, wie du bist. Du brauchst es dir nur bewusst zu machen. Du kannst es wirklich glauben, diese Leute sind echt. Sie sind deine wahre Familie, nicht deine leibliche, aber das weißt du wohl sehr gut selbst.“

„Ja.“ Lizas Tränen rannen ihr nun die Wangen hinunter.

„Ich spüre, dein Auge schließt sich langsam wieder. Ich will nur, dass du weißt, dass meine Liebe dich stets begleiten wird und dass ich auf dich warten werde. Und ich will nicht, dass du zu mir kommst, bevor du mindestens achtzig oder hundert Jahre bist, ist das klar?“

Liza nickte. „Ja, ich hab es jetzt verstanden.“

„Bis bald, meine Süße.“ Langsam verblasste er, doch Liza spürte noch immer seine Anwesenheit.

Christina sah sie an. „Alles in Ordnung?“, fragte die Halbgriechin besorgt.

„Ja, jetzt ist alles wieder in Ordnung.“, meinte sie lächelnd. Dann stand sie auf. „Ich habe jetzt große Lust, einen Spaziergang durch den Park zu machen, die Sonne auf meiner Haut zu spüren, und den kühlen erfrischen Wind durch mein gesicht wehen zu lassen.“

Liza Wilke fühlte wieder Leben in sich. Sie war voller Energie und Lebensfreude, wie sie sie noch nie gespürt hatte. Sie wollte Manuel immer noch töten, doch es war ihr nicht mehr so wichtig. Sie wusste, dass es irgendwann geschehen würde, weil es so sein sollte, und dieses Gefühl beruhigte sie sehr.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2007-04-29T17:25:45+00:00 29.04.2007 19:25
Hey thx dass de endlich weitergemacht hast *_*
Is so geil...das neue Lied Heul doch is der ober hammer und ich freu mich schon aufs album...
thx thx
Von: abgemeldet
2007-04-19T05:53:02+00:00 19.04.2007 07:53
Och geil das wie die anderen Sterben *_*
pls mach weiter...wàr echt schade um diese Geschichte
Von: abgemeldet
2007-04-19T05:51:59+00:00 19.04.2007 07:51
Total geil diese Geschiche *_*


Zurück