Drawing You.
Kunst bringt Menschen zusammen. Die junge Frau an Talias Seite ist der beste Beweis dafür, ebenso wie der Ordner, der in ihrer entfernt liegenden Tasche steckt. Er erhält Zeichnungen von Prinzessinnen, die Ähnlichkeiten mit Ming-Na haben, denn sie scheint in letzter Zeit nichts anderes mehr zeichnen zu können.
Ganz besonders nicht, wenn sie Ming-Na bei ihrem Schwerttraining am Seeufer zuschaut und die Morgensonne sich auf dem Metall ihres Katanas bricht. Talias Stift bewegt sich in solchen Momenten wie von Geisterhand gesteuert über das Papier ihres Skizzenblocks und malt wehendes Haar und stürmische Hiebe, die nicht an Eleganz einbüßen. Es ist nicht schwer sich einzugestehen, dass Talia ein klein wenig verliebt ist.
„Bist du bereit?“ Unsicherheit zeichnet sich in Ming-Nas dunklen Augen ab. Ihre Stimme ist gesenkt, als sie den Eimer am Henkel hochhebt. Eiswürfel treiben an der Wasseroberfläche und bereiten Talia schon beim Hinsehen eine Gänsehaut. Er ist identisch zu dem Eimer, den Talia trägt.
Sie nickt. „Es ist für einen guten Zweck.“ Ein Lächeln zeichnet sich auf ihren Lippen ab. „Jetzt oder nie.“
Die umstehenden Leute auf dem weitläufigen Platz sind vergessen, ebenso wie die Videokamera, welche dieses Event aufzeichnet. Eigentlich sind sie nur auf dem Weg zur Eisdiele gewesen, als sie auf diese Ansammlung gestoßen sind und Talia prompt von einer Klassenkameradin aus ihrem Kunstkurs für die ASL Ice Buckett Challenge nominiert worden ist. Sie macht in den Medien die Runde und auch Storybrooke hat sie eingenommen.
Die halbe Bevölkerung der kleinen Stadt scheint hier zu sein, zu viele bekannte Gesichter, als dass Talia sie alle begrüßen könnte. Ruby und Belle füllen Eimer mit Wasser und Eiswürfeln an einem der Häuser, welches einen Außenanschluss für den Schlauch hat. Viele anderen Eimer stehen verstreut herum, die Mehrzahl davon bereits leer, während die meisten Anwesenden sich mit Handtüchern die Nässe aus dem Gesicht wischen oder sich von der Mittagssonne trocken lassen.
Allgemeines Gelächter liegt in der Luft und nur Regina Mills verweilt am Rande des Geschehens. Ihre Arme sind vor der Brust verschränkt und ihre Missbilligung ist förmlich greifbar. Allerdings ist es schwer sich von Storybrookes Bürgermeisterin einschüchtern zu lassen, wenn Ming-Na ihr Lächeln erwidert und sich solidarisch von Talia Eiswasser über den Kopf schütten lässt.
Nicht nur das Zeichnen ist mit Ming-Na leichter. Talia ist sich sicher, dass sie an Ming-Nas Seite alles schaffen kann, vielleicht sogar irgendwann endlich den Mut aufzubringen und Storybrooke zu verlassen, um eine richtige Kunstschule zu besuchen.
„Drei, zwei, eins“, zählt Talia herunter, bevor sie mit dem Eimer ausholt. Ihre Augen pressen sich zusammen, als der Inhalt von Ming-Nas Eimer sich über sie ergießt und Kälte durch ihre Bluse und ihren Rock sickert. Jedes Haar an ihrem Körper steht aufrecht und ihre Zähne klappern, noch ehe sie ihren leeren Eimer sinken lässt. Er landet mit einem dumpfen Geräusch auf dem Asphalt, gefolgt von Ming-Nas.
Talia öffnet blinzelnd die Augen und schüttelt sich.
Die dunklen Haare von Ming-Na kleben an ihren Schläfen und Wangen. Sie hat etwas an Farbe verloren und ein Beben erschüttert ihren schmalen Körper. Selbst nass sieht Ming-Na noch hübsch aus – und Talia saugt dieses Bild förmlich auf. Sie möchte Ming-Na genau so zeichnen, wie sie im Moment dasteht. Doch ihr Skizzenblock befindet sich mit ihren restlichen Materialien in ihrer Tasche, die sorgsam am Rande des Geschehens liegt. Es ist keine gute Idee, durchnässt wie sie ist, sie holen zu gehen.
Stattdessen gibt Talia dem zweiten Impuls nach. Sie überbrückt den Abstand zu Ming-Na und schlingt die Arme um ihre schmalen Schultern, um ihr Wärme zu spenden.
„Erinnerst du dich, was du gesagt hast?“, wispert Talia in das Ohr ihrer Freundin. Ihrer Stimme unterliegt ein Zittern, während Ming-Nas Hände sich auf ihren Rücken legen.
„Was habe ich gesagt?“
Ein Lächeln huscht über Talias Lippen, aber die Umarmung löst sie nicht. „Dass ich meine Bilder verkaufen könnte? Und wenn nur für ein paar Cents?“
Sie spürt, wie Ming-Na sachte nickte. Ihr selbst kriecht derweil trotz des kalten Wassers die Hitze in das Gesicht und sie presst es in den fremden Nacken, der feucht an ihrer Wange ist. „Das sind fast alle Bilder, die mich beim Zeichnen an dich erinnert haben. Aber wenn sie jemand kauft, könnten wir das Geld ja spenden.“
Anstatt ihre Idee zu belächeln, nickt Ming-Na erneut. Ihre Hände liegen nicht mehr ruhig auf ihrem Rücken, sondern wandern zu ihrer Hüfte herunter. Sie drückt Talia ein wenig von sich, um ihre Wange küssen zu können. „Das klingt gut, Talia.“
„Und... und ich würde dich gern so nass zeichnen, wie du gerade aussiehst“, bricht es bei Ming-Nas Anblick nun doch aus ihr heraus. Ihr Gesicht hat noch etwas mehr an Farbe gewonnen, dessen ist sich Talia sicher.
Ming-Na bestätigten es ihr, als ihre Finger ihr Gesicht berühren und ihr ein paar feuchte Haarsträhnen hinter das Ohr streichen, welches es zu verdecken drohen. „Wollen wir zu dir oder zu mir?“, fragt Ming-Na leise und ihre Mundwinkel heben sich trotz Talias peinlichem Wunsch.
„Ist mir egal. Wir können überall hin.“
