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Dark Circle

von
Koautor:  Caracola

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67. Kapitel

Nachdem sie etwas gegessen hatten, war Zimt aufgestanden und hatte aus einem Fach an der Wand ein Spielbrett mit bunten Steinen hervor geholt.

'Fairy' würfelte und zog ein paar der Steine über das Brett. Sie war noch nicht gut in dem Spiel, aber die Regeln waren leicht. Wenn sie noch eine Weile Zeit hatten, bis es ganz dunkel wurde, konnte sie es bestimmt bald.

Sugarplum war an der Reihe und machte einen geschickten Zug, der eine von Zimts Figuren vom Brett beförderte. 'Fairy' machte sich schon auf ein kleines Gezeter gefasst. Zimt war keine besonders gute Verliererin. Soviel hatte sie in der kurzen Zeit zumindest verstanden.

Doch statt sich laut und mit Schmollmund darüber auszulassen, dass Sugarplum zu viel Glück hatte, schenkte Zimt dem Spiel überhaupt keine Aufmerksamkeit mehr. Sie starrte verklärt an 'Fairy's Schulter vorbei auf einen Punkt hinter ihrem Rücken. Der Blick der Anderen folgte ihrem, als sie darauf aufmerksam wurden.

„Was ist denn los?“

Als auch 'Fairy' ihren Kopf wandte, konnte sie ihre Frage selbst beantworten. Der Beschützer kam auf sie zu. In goldene und silberne Stoffe gewandet, schwebte er nahezu zu ihnen herüber und lächelte so großzügig, dass einem warm ums Herz werden musste. Die drei Mädchen um sie herum, wurden sogar ein wenig rot, als er sich auf ein Knie herunter ließ, um auf ihrer Augenhöhe zu sein.

Umso überraschter war 'Fairy', als er nicht eine der Anderen sondern sie ansprach.

„Meine Schöne, würdest du mir einen Wunsch erfüllen?“

Aber natürlich würde sie das tun. Sie nickte stumm mit vor Erstaunen geöffneten Lippen und legte ihre Hand in seine, um sich aufhelfen zu lassen. Als sie vor ihm stand, strich er ihre Tunika glatt und sah sie warm an.

„Ich möchte, dass du mit mir kommst. Wir gehen zu meiner Chefin.“

„Deiner Chefin?“

Er wirkte etwas gequält und ungeduldig, weswegen sich 'Fairy' ihrer Frage wegen sofort schämte.

„Ja. Sie ist eine böse alte Hexe. Aber sie hat leider im Moment noch das Sagen. Also müssen wir zu ihr gehen, weil sie es so haben möchte. Verstehst du, Kleines?“

Sie nickte und hörte das Kichern der anderen Mädchen hinter ihrem Rücken, als er von seiner Chefin als böse Hexe sprach.

„Was soll ich tun, wenn ich mit dir komme?“

Diesmal streichelte er sogar ihre Wange, bevor er antwortete.

„Nur das, was dir gesagt wird. Entweder von mir oder der bösen Hexe. Von niemandem sonst, verstanden?“

Wieder nickte sie nur. Doch diesmal schien das nicht zu genügen. Der Griff um ihr Kinn wurde auf einmal fest und schmerzhaft, sodass sie erschrocken zusammenzuckte. Die Augen des Beschützers waren auf einmal kalt und hart. Als wäre er wütend auf 'Fairy'.

„Du hörst auf niemanden sonst! Ob du das verstanden hast, habe ich gefragt!“

„Ja.“

Er ließ sie los und 'Fairy' raffte ihre Tunika ein wenig nach oben, um ihm über die verstreuten Kissen schnell genug folgen zu können. Warum seine Chefin sie wohl sehen wollte? Und wer würde noch da sein?

'Fairy' machte sich ziemliche Sorgen darüber, dass sie keinen guten Eindruck hinterlassen könnte.
 

Während er vollkommen benebelt da hing und Boudicca es sich wieder auf der Chaiselongue gemütlich machte, wurden die Fesseln an seinen Händen durch metallenen Ketten ausgetauscht, die er nicht nach einiger Zeit durchgewetzt haben würde, wenn er nur geduldig genug an ihnen zerrte.

Das Ganze ging trotz seines geschwächten Zustands nicht ganz reibungslos über die Bühne und auch wenn es Boudicca nur noch mehr Spaß machte, wie er sich wehrte, würde er doch nicht so einfach nachgeben. Weshalb er erneut Prügel bezog und das von einem Werwolf!

Selbst wenn die Chancen ausgeglichen gewesen wären. Gegen einen so jungen und starken Werwolf würde selbst sein Tiger alles an Kräfte aufbieten müssen, um zu gewinnen. Bei zwei auf einmal sah er hingegen keinen Hoffnungsfunken. Sie würden ihn einfach zerfetzen. Und das mit D und J im Augenblick überhaupt nicht zu Spaßen war, konnte er an seiner pochenden Seite nur zu deutlich spüren. Dennoch würde es nichts gegen den Schmerz in seiner Brust sein. Er hatte Paige verraten und keiner konnte sagen, was passieren würde, wenn sie bei ihnen eintraf.

Eine Seite in ihm wollte einfach nur sicher gehen, ob es ihr gut ging und freute sich somit auf die Zusammenkunft, doch der größere, vernünftigere Teil verfluchte seine Unachtsamkeit. Er hatte sie förmlich ans Messer geliefert und wenn er wollte, dass die Katastrophe nicht gar so schlimm ausfiel, würde er schon bald all seine Selbstbeherrschung zusammen nehmen müssen, um ihr nicht noch mehr Leid zu bringen.

Er durfte sich auf keinen Fall zu seiner wahren Gefährtin bekennen. Das wäre ihr Tod.
 

Als Delila zurück kam und verkündete, dass Paige und der Duftspender gleich da sein würden, schaffte man Ryon aus der Mitte des Raumes auf die Seite, damit er nicht im Weg herum stand. Der Fleck, auf den er bisher gehockt hatte, war von Blutspritzern verziert und irgendwie erklärte das, die alten Flecken und den Geruch in den Holzdielen. Er war sicherlich nicht der erste, der dort vor der Hexe gekauert hatte, aber wenn er es zu verhindern wusste, würde er der Letzte gewesen sein.

Dean nahm ihn wieder in dem altbewährten Klammergriff, während sich James halb vor Boudicca auf den Boden legte und ganz in Wachhundmanier wachsam die Ohren spitzte.

Auch Ryon konnte sie kommen hören.

Voller Panik wusste er nicht, was er tun sollte. So weit hatte sein Plan nie gereicht. Dafür war einfach nicht die Zeit geblieben.
 

'Fairy' war dem Beschützer wortlos und so schnell wie es ihr möglich war gefolgt. In dem großen Haus kannte sie sich nicht aus und sie wusste auch, nachdem sie mit dem Aufzug gefahren waren, nicht, zu welcher Tür sie gehen würden. Hier sah alles ganz anders aus, als unten im Reich des Beschützers. Es war alles viel weniger farbenfroh und freundlich.

Sie kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum und fragte sich, ob die Chefin wohl wirklich eine böse Hexe sein konnte. Und wenn ja, was würde sie mit ihr machen, wenn sie doch aus Versehen etwas Falsches sagte oder tat?

Als der Beschützer schließlich vor einer Tür stehen blieb und klopfte, waren 'Fairy's Hände vor Nervosität ganz feucht. Sie strich sie noch einmal an ihrer Tunika ab, gerade bevor sich die Tür öffnete und sie einen Raum dahinter sehen konnte. Ein Raum, der ihr nicht nur wegen der düsteren Einrichtung nicht gefiel.

Als sie eingetreten waren, sah 'Fairy' sich verstohlen um. Es waren ein paar Personen in dem Zimmer: Eine junge Frau, ein Mann, der einen Anderen festhielt und ein furchteinflößender Hund, der zu Füßen einer Frau vor einem Sofa lag. 'Fairy' kannte keinen von ihnen und fühlte sich in der ganzen Situation sehr unwohl. Sie hatte das Gefühl, von jedem angeglotzt zu werden. Und das in dieser dünnen Tunika.

„Ah, sehr schön, da seid ihr ja.“

Die Frau in dem schwarzen Kleid hatte sich von dem Sofa erhoben und den Hund, der vor ihr gesessen hatte, einfach mit dem Fuß zur Seite geschoben. Ob sie die böse Hexe war? Es schien so, denn der Beschützer verbeugte sich leicht vor ihr und 'Fairy' beeilte sich, das Gleiche zu tun.

Irgendetwas kam irgendwo hinter ihr in Aufruhr und 'Fairy' wollte sich danach umdrehen, doch die Hexe war schnell bei ihr und legte ihre kalten Finger auf ihre Wangen. 'Fairy' runzelte die Stirn, versuchte aber das zu tun, was man ihr aufgetragen hatte. Sie würde nur etwas tun oder sagen, wenn die Chefin oder der Beschützer sie dazu aufforderten. Selbst wenn der Tumult hinter ihr noch lauter werden sollte.

„Du bist also Paige.“

Gerade wollte sie selbst widersprechen, als der Beschützer ein Hüsteln vernehmen ließ und die Chefin sich mit einem unpassend genervten Blick zu ihm wandte.

„Was?!“, fuhr sie ihn an. Sie schien wirklich nicht besonders nett zu sein.

„Sie kennt diesen Namen nicht. Gar nichts mehr, das passiert ist, bevor sie hierher kam. Sie heißt Fairy.“

Er schenkte 'Fairy' ein Lächeln, aber als sie wieder die Chefin ansah, bemerkte sie, dass deren Augen vor Wut zu schäumen begannen, bevor der Eindruck wieder verschwand und etwas Anderem wich. Etwas, das 'Fairy' noch nie bei jemandem gesehen hatte. Es machte ihr Angst.

„So? Du kannst dich also an nichts mehr erinnern?“

Die kalten Finger schlossen sich nun um 'Fairy's Handgelenk und wirbelten sie herum, sodass sie die beiden Männer ansehen musste, die neben der jungen Frau an der Wand standen. Derjenige, der festgehalten wurde, war verletzt. Er blutete und sah aus, als hätte er große Schmerzen. Er tat 'Fairy' ziemlich leid.

„Kennst du den Mann mit dem Amulett?“

Halb drehte sie sich herum, um im Gesicht der Chefin erkennen zu können, ob es eine ernst gemeinte Frage war. Erst dann betrachtete sie den Mann genauer. Er hatte bunte Haare und war ziemlich breit gebaut. 'Fairy' war sich ziemlich sicher, dass er auch einer von denen war, die Sugarplum „besonders“ genannt hatte. Aber was hatte er bloß falsch gemacht, dass die Chefin ihn so bestrafen musste?

Langsam schüttelte sie den Kopf.

„Nein. Ich habe ihn noch nie gesehen.“
 

Bei Paiges Anblick warf sich der Tiger nicht nur gegen Ryons mentale Ketten, sondern auch noch gegen den Griff des Werwolfs. Doch nur für einen kurzen Moment, bis Ryon sich wieder im Zaum hatte. Zumindest vorerst, doch innerlich kochte er vor tödlicher Wut, selbst wenn eine leise Stimme ihm zuflüsterte, dass es ihr wenigstens den Umständen entsprechend gut ging. Sie hätte auch tot sein können.

Zu hören, dass sie sich offenbar nicht mehr an ihren Namen erinnern konnte, war etwas völlig anderes, als aus ihrem Mund zu hören, dass sie sich nicht mehr an ihn erinnerte, während sie es ihm direkt ins Gesicht sagte.

Ihr Anblick war es, der ihn zugleich quälte und doch aufrecht hielt, um nicht verzweifelt den Kopf sinken zu lassen.

In ihren Augen lag kein Erkennen. Nicht der geringste Funke von Hoffnung für ihn. ‚Paige…‘

„Ich mache dir einen Vorschlag.“

Seine Augen richteten sich nur langsam wieder auf Boudicca. Er konnte seinen Blick einfach kaum von Paige nehmen. Er begriff das alles noch nicht in seiner vollen Tragweite.

„Du bekommst Paige in ihrer Vollkommenheit zurück, dafür bekomme ich das Amulett und deine Dienste auf Lebenszeit.“

Fast schien es so, als wollten Ryon und der Duftspender gleichzeitig protestieren, doch letzten Endes hielten sie beide den Mund. Jeder aus seinen eigenen Gründen heraus.

„Nein.“ Es klang kalt und abweisend. Doch innerlich zerriss es ihn, auch wenn er wusste, dass er Paige dadurch retten konnte. Zumindest hoffte er es.

„Was sollte ich mit dieser Frau tun? Sie interessiert mich nicht. Wie du schon so treffend sagtest.“ Seine Stimme senkte sich zu einem Knurren herab. „Meine Gefährtin ist tot. Keine andere Frau könnte je wieder mein Interesse wecken.“

Boudiccas Lippen verzogen sich zu einem verächtlichen Lächeln, während sie ihn gründlich musterte.

„Vielleicht sagst du die Wahrheit, aber vielleicht auch nicht. Ich werde schon noch heraus bekommen, was das hier auf sich hat. Ich warte schon so lange auf das Amulett, da macht es mir nichts aus, noch etwas länger zu warten. Bis jetzt habe ich noch jeden Widerstand gebrochen. Selbst diese läufige Hündin dort, tut was ich ihr sage, obwohl sie das sturste Drecksstück war, das mir je begegnet ist.“

Sie nickte herablassend auf Delila, die schweigend zu Boden starrte und sich unbemerkt näher an Dean heran geschoben hatte. Ihre Finger zuckten, als wollte sie ihn berühren, doch dass sie es nicht wagen würde, war ebenso offensichtlich, wie das Zittern ihres Körpers. Es war entsetzlich, mit anzusehen, dass eine einfache Berührung so viel Schmerz bringen konnte, obwohl es doch eigentlich das Gegenteil sein sollte. Doch im Augenblick hatte jeder mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen und Ryons brüllte so laut, dass ihm fast der Schädel berstete. Sein Tiger akzeptierte es absolut nicht, dass er seine Gefährtin verleugnete und auch der Mann stimmte ihn mit jeder Faser seines Herzens zu. Doch manchmal musste Vernunft über jedes Gefühl gehen.

Boudicca wartete einen Moment, ob Ryon noch etwas dazu zu sagen hatte, als er jedoch schwieg, wandte sie sich an den Duftspender.

„Falls du dein neuestes Spielzeug noch nicht ausprobiert hast, solltest du das so bald wie möglich nachholen. Ich kann dir nicht versprechen, dass du noch lange deine Freude an ihr haben wirst. Hängt ganz von dem Kater dort ab.“

Ryons Krallen fuhren in ihrer vollen Länge aus, während er wütend die Kiefer aufeinander biss, um keine Reaktion seinerseits preis zu geben. Darauf wartete diese Schlampe doch nur. Aber allein die Vorstellung, Paige in den Händen des Duftspenders…

Beinahe erstickte er an seinem unterdrückten Zorn und der Energie, die er für einen Angriff immer weiter ansammelte und doch nicht hinaus ließ, stattdessen starrte er einfach nur an die Decke und versuchte diesen Alptraum auszuschließen. Er ertrug es einfach nicht!

„Ihr könnt gehen. Lassen wir ihn ein bisschen schmoren, vielleicht ist er morgen kooperativer.“

Boudicca winkte den Duftspender und Paige hinaus, während sie sich wieder gemütlich hinsetzte und J nachdenklich durch die Haare strich, als wäre er ein zahmes Hündchen.

Der Scheißkerl benahm sich allerdings auch nicht anders. Ganz im Gegensatz zu seinem Bruder, der Ryon beinahe die Arme auskugelte.

Nein, Paige durfte nicht mit diesem perversen Arschloch mitgehen!
 

'Fairy' hatte zwischen den Sprechern verwirrt und erstaunt hin und her geblickt. Sie verstand nicht, um was es ging, auch wenn es offensichtlich etwas mit ihr zu tun hatte. Warum sollte sie den Mann denn kennen? Und was hieß, dass er diese Paige wiederhaben konnte?

Hilfe und Erklärung suchend, sah sie zum Beschützer hinüber, der allerdings mit seinen Augen giftige Pfeile auf den Fremden abschoss, als hätte der ihm etwas getan. Wieder verstand sie nicht.

Aber als die Chefin davon sprach, dass der Beschützer sein Spielzeug ausprobieren sollte, regte sich etwas in 'Fairy'. Es war nur schwach und so schnell wieder verschwunden, wie es gekommen war. Aber es war da gewesen. Als wäre er vielleicht dafür verantwortlich, sah sie noch einmal zu dem Mann mit dem Amulett hinüber. Er sah an die Decke und erst als er die böse Hexe fixierte, konnte 'Fairy' ihm kurz in die Augen sehen. Darin war nichts, was sie interessiert hätte.

„Komm.“

Der Beschützer packte sie unerwartet fest am Oberarm und zerrte sie förmlich aus dem Raum, so dass sie nicht einmal mehr einen Blick auf seine Chefin werfen konnte.

„Hätten wir uns nicht verabschieden sollen?“, fragte sie noch auf dem Weg zum Fahrstuhl, der anscheinend nicht schnell genug kam, denn der Beschützer hämmerte mit seinem Zeigefinger regelrecht auf den Knopf ein.
 

„Ich mag aber nicht...“

Zimt zupfte an ihr herum, rückte das Tablett in ihrer Hand gerade und versuchte sie davon zu überzeugen, dass ihre Aufgabe gar nicht so schlimm sei.

„Ach Fairy. Du sollst ihm nur sein Essen und etwas Wasser bringen. Sonst musst du nichts tun. Nichtmal mit ihm reden.“

Endlich schien sie ihrer Vorstellung zu entsprechen, denn Zimt schob Fairy weiter auf die Metalltür zu, hinter der sich der Käfig des Gefangenen befand.

„Kannst du nicht für mich gehen?“, versuchte sie es noch einmal mit Quängeln. Was ihr aber auch nichts nutzte.

„Nein. Es ist deine Aufgabe. Denk einfach dran, dass der Beschützer dir eine besondere Belohnung versprochen hat.“

Eine besondere Belohnung. Ja, daran erinnerte sie sich. Und die Augen des Mannes hatten fast so geglitzert, wie sein Schmuck. Deshalb war es bestimmt eine ziemlich große, schöne Belohnung.

„Oookaay.“

Immer noch vollkommen lustlos und auch ziemlich ängstlich zog sie die Metalltür auf, warf noch einen Blick auf Zimts ermutigendes Lächeln und tastete dann mit der freien Hand nach dem Lichtschalter.

Die Tür schloss sich hinter ihr, als das Licht aufflammte und sie den Fremden vom vorherigen Abend sehen konnte. Der Käfig, in dem er saß, war nicht so groß, wie der, in dem sie aufgewacht war. Auch war er nicht golden. Statt des Sofas, war nur eine Art Liege darin und sonst nichts.

Nur, weil man es ihr befohlen hatte, tat sie die paar Schritte auf die Gitterstäbe zu und blieb bei der kleinen Klappe stehen, durch die sie das Tablett mit dem Essen und dem Wasser schieben sollte. Da sie nicht genau wusste, ob der Mann sie angreifen würde, ließ sie ihn nicht aus den Augen.
 

Als grelles Licht seine goldenen Augen blendete, hatte er gerade mal eine Stunde geschlafen, während er die restliche Zeit davor wie wild an der Kette um seinen Fuß gerissen hatte. Selbst eine Verwandlung hatte nichts gebracht, seine angeschwollene Pranken war einfach zu groß, um hindurch zu schlüpfen und selbst wenn er sich von der Kette hätte befreien können, die Gitterstäbe konnte er nicht einfach so überwinden. Dafür waren sie eindeutig zu massiv.

Zudem hatte er sich noch einmal gründlich mit Dean angelegt, als der ihn von den Handfesseln befreit hatte.

Ryon hatte zwar nicht gewonnen, aber durch die Schlägerei einen Großteil seiner aufgestauten Wut los werden können. Zumindest für eine Weile, bis ihn die Gedanken an Paige und den Duftmagier erneut in den Wahnsinn getrieben hatten.

Vielleicht rechnete er deshalb als letztes mit ihrem Anblick, als sie den Raum ganz alleine und nur mit einem Tablett voller Essen bewaffnet den großen Raum betrat.

Sofort war Ryon auf den Beinen und wollte erleichtert an die Gitterstäbe stürmen, doch ein Blick in die angsterfüllten Augen seiner Gefährtin und seine Schritte wurden langsamer, bis er ganz zum Stehen.

Paige konnte sich nicht an ihn erinnern. Eine Tatsache, die er weder glauben konnte, noch wollte.

„Paige? Was hat-“ Ryon musste sich stark zusammen reißen, um ruhig zu bleiben. Es fiel ihm unglaublich schwer.

„Was hat er mit dir gemacht, Paige?“

Langsam humpelte er noch einen Schritt näher, die Kette klirrend hinter sich her schleifend.
 

Sie verschüttete etwas Wasser aus dem Becher, als sie erschrocken zusammen fuhr. Der Mann war so schnell von der Liege aufgesprungen. Er hätte genauso schnell an den Gitterstäben sein und sie verletzen können. Sie zitterte immer noch, als er nun sehr viel langsamer auf sie zukam.

Allein die Tatsache, dass man ihr gesagt hatte, sie müsse ihm sein Essen bringen, sorgte dafür, dass sie nicht davon rannte.

"Mein... Mein Name ist nicht Paige."

Er kam immer noch näher, aber je besser sie dadurch sein Gesicht sehen konnte, desto mehr begann sie zu zweifeln, dass er ihr etwas tun wollte. Er sah nicht wirklich böse aus. Eher ... traurig.

"Ich soll Ihnen nur was zu Essen bringen. Und Wasser."

Als müsse sie die Wahrheit ihrer Aussage unterstreichen, hielt sie ihm das Tablett etwas näher hin.
 

„Ich will nichts essen, Paige. Ich will, dass wir gemeinsam von hier verschwinden.“

Ryon trat langsam ganz dicht ans Gitter und umfasste mit seinen Händen die massiven Metallstangen, während er seine Gefährtin keine Sekunde lang aus den Augen ließ.

Es schmerzte ihn, dass kein Erkennen, sondern nur Angst in ihrem Blick lag. Würde er sich nicht mit den Händen an dem Metall festhalten, er wäre versucht, seine Hand nach ihr auszustrecken. Aber so wie sie aussah, wäre das ein Fehler.

„Es tut mir leid. Ich hätte dich nicht alleine fahren lassen dürfen.“

Leicht zitternd legte er seine heiße Stirn an die kalte Gitterstange und schloss die Augen, während sich seine Fäuste noch fester um das Metall bogen. Er würde sich das nie verzeihen können.

Gequält sah er wieder hoch. Sah Paige an, die in einem anderen halb durchsichtigen Kleid steckte, als würde sie zur Schau gestellt werden. Für ihr Schlafzimmer hätte er es passend gefunden, aber er war nicht der Einzige der sie … so sehen konnte.

Aber schlimmer noch als ihr Anblick, war ihr Geruch.

Ihr Duft, der sich so einmalig mit seinem vermischen konnte, war nur noch ein Hauch und wurde vom Gestank des Duftspenders übertüncht, als hätte sie darin gebadet.

Dass Paige nach einem anderen Mann roch, ließ ihn förmlich rot sehen. Dass sie es auch noch zuließ, machte alles nur noch schlimmer.

Um den Zorn in seinen Augen zu verbergen, wandte er sich schließlich wieder von den Gitterstäben ab und schlurfte mehr, als das er ging, durch den Käfig.

Er war ein Tiger. Eine Raubkatze die nur die Freiheit kannte. Umso schlimmer, dass er hier eingesperrt war und nichts tun konnte. Vor allem nicht für seine Gefährtin.

Abrupt blieb er stehen, schwer atmend vor Wut und Aggression, die gegen ihre Feinde gerichtet waren, ohne, dass er sie hätte in etwas Nützlichem umwandeln können.

„Ich schwöre dir, Paige. Wenn er dich auch nur einmal anfasst, kastriere ich ihn mit meinen bloßen Händen!“
 

Sie legte den Kopf schief, wie ein kleines Kind, das die Welt um es herum zu verstehen versuchte. Das Tablett immer noch in der Hand, versuchte sie in dem Verhalten des Mannes zu lesen, was mit ihm los war. Ob er eine Krankheit hatte? Oder ob er sie einfach nur mit dieser Paige verwechselte?

Auf seinen ersten Satz hin, schüttelte sie sehr abweisend den Kopf.

„Nein, ich kann nicht weg gehen. Bloß in unseren Saal und hierher. Aber hierher auch nur in Zimts Begleitung. Damit ich nicht verloren gehe.“

Wenn das überhaupt möglich war, sah sie ihn noch fragender an, als zuvor.

„Sie müssen sich keine Gedanken machen. Ich bin nirgendwo hin...“

Ein Bild blitzte vor ihrem inneren Auge auf und verschwand sofort wieder. Ähnlich dem Gefühl, als man sie als Spielzeug bezeichnet hatte, konnte Fairy den Eindruck nicht festhalten. Aber dass er da gewesen war, hallte leicht in ihr nach.

Was der Fremde mit seiner vehementen Ausdrucksweise aber sofort wegwischte, als hätte er ihr das Tablett entrissen und laut gegen die Wand geworfen.

Ganz so war es zwar nicht, aber die Dinge schepperten trotzdem, als sie erneut erschrocken zusammen zuckte. Ihre Augen wurden weit und ihr Mund blieb zitternd für eine Weile offen stehen, bevor sie ihre Sprache wieder fand.

„Sie... Sie sind...“

Vollkommen entsetzt stellte sie das Essen vor der kleinen Klappe ab, hielt sich so weit davon entfernt, wie sie konnte und es gleichzeitig möglich war, das Tablett ins Innere des Käfigs zu schieben.

Als sie aufstand, zitterte sie am ganzen Körper. Der Mann war vielleicht besonders. Auf jeden Fall besonders gefährlich, wenn er auch nur ansatzweise Taten auf Worte folgen ließ.

„Essen Sie was. Sonst heilen Ihre Wunden nicht.“

Woher sie wusste, dass es wichtig war, dass er aß, um seine Kräfte beizubehalten und seine Wunden schneller heilen zu lassen ... diese Frage stellte sie sich gar nicht. Als sie die Zelle verließ und die Metalltür hinter sich schloss, wartete auch schon Zimt auf sie, um sie abzuholen.
 

Noch ehe er seinen Zorn zügeln konnte, lief Paige auch schon davon und die schwere Tür schloss sich unerbittlich hinter ihr.

„Paige!“

Ryon lief zu den Gitterstäben und schlug verzweifelt dagegen, während er immer wieder ihren Namen rief. Doch der Wiederhall seiner eigenen Worte blieb lange die einzige Antwort, auf sein flehentliches Rufen.

Heiser und mit aufgeschlagenen Knöcheln, ließ Ryon sich schließlich kraftlos am Rande seines Gefängnisses zu Boden gleiten und vergrub das Gesicht in seinen pochenden Händen.

Der Verlust seiner Gefährtin riss tiefe Wunden in sein Herz und in seine Seele, war er doch ohne sie nicht mehr ein Ganzes, sondern fehlerhaft und unvollkommen.

Boudiccas Angebot, Paige wieder zu bekommen, wenn er sich fügte, wurde von Minute zu Minute verlockender, doch zugleich roch er nur zu genau die Falle, die sich dahinter verbarg.

Mit der Macht beider Amulette konnte diese Hexe sie alle vernichten und selbst wenn sie es nicht täte, er wäre niemals frei und Paige somit auch nicht, denn wenn sie auch nur annähernd so für ihn empfand wie er für sie, würde sie ihn nie verlassen. Selbst wenn es zu ihrem Besten wäre.

Andererseits, er ertrug diese Folter nicht. Der fremde Geruch an ihr machte ihn wahnsinnig und allem voran, die Angst vor ihm in ihren Augen, quälte ihn. Dabei könnte er ihr niemals etwas antun!

Nein, er musste sich etwas einfallen lassen. Einen Plan, wie er hier heraus kam und zwar bevor man Paige etwas antun konnte. Ihr eigener Vater hatte sie schon einmal gequält, er wollte sie nicht erneut leiden sehen. Sie verdiente das einfach nicht!

Allerdings war es schwer nachzudenken, wenn man ein wildes Raubtier im Nacken hatte, dass sich wie wild gebärdete und nach seiner Gefährtin verlangte. Alles was Ryon momentan tun konnte, war sich zu beruhigen und darauf zu hoffen, dass er erneut Gelegenheit bekam, mit Paige zu sprechen. Ihre Erinnerungen konnten schließlich nicht ganz verschwunden sein. Es lag wohl alles nur an diesem Gestank, der hier überall in der Luft hing und ihn beständig verhöhnte.

Das Essen nicht anrührend, griff Ryon schließlich nur nach dem Wasserglas und stellte es neben sich ab. Danach riss er sich einen schmalen Stoffstreifen von einem seiner Hosenbeine und tauchte ihn ins Wasser, um seine Wunden etwas zu säubern, um sich einen besseren Überblick über seine Lage verschaffen zu können.

Delilas Stichwunde war immer noch die schwerste Verletzung und auch wenn sie inzwischen mehr Zeit gehabt hatte, innerlich zu heilen, so waren doch die Wundrändern wieder aufgerissen worden.

Es würde eine unsaubere Narbe bleiben, doch daran dachte er im Moment nicht. Stattdessen wusch er sich langsam das Blut ab, während er sich überlegte, was er bei einer weiteren Gelegenheit tun und sagen würde, wenn er Paige zu Gesicht bekam.

Falls er sie wieder zu Gesicht bekam.



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