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Reden ist Silber - Schreiben ist Gold!

Wettbewerbs- und Challengebeiträge
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Bring me to life

Mein Beitrag zum Songfiction-WB von nufan2039.
 

(Zeitwechsel innerhalb des Textes sind beabsichtigt)
 


 

Bring me to life
 

Mit etwas zu viel Kraft stellt sie das Weinglas auf die festlich gedeckte Tafel nachdem sie es in einem Zug geleert hat. Trotz des fragilen Materials, aus dem es besteht, bleibt es heil. Aber die Blicke, die Julia nun treffen, wirken wesentlich vernichtender als jede Kraft der Welt es gekonnt hätte. Schlagartig sind alle Augen auf sie gerichtet. Empörung ist einheitlich in ihnen zu lesen. Ihr Ehemann hebt, seine Wut unterdrückend, nur kritisch eine Augenbraue und fixiert sie. Es kümmert die junge Frau nicht. Ohne Rücksicht zu nehmen wirft sie ihre Serviette auf den noch halb gefüllten Teller. Sie hat sowieso keinen Hunger. Es hat alles keinen Sinn mehr…
 

Rasch verlässt sie den Festsaal des großen Anwesens. Julia braucht dringend etwas frische Luft. Zielsicher steuert sie den großen Balkon an. Während des Essens wird sie hier ungestört bleiben. Ihr Mann wird ihr nicht nachlaufen und die Gäste befinden sich im Festsaal und das wird auch noch weitere drei Gänge lang so bleiben und das ist gut so. Schon lange erträgt die junge Frau diese Menschen nicht mehr. Sie sind ihr verhasst gewesen solange sie sich zurückerinnern kann, aber es wird immer schlimmer. Mit jedem Tag an dem er nicht mehr da ist…
 

How can you see into my eyes like open doors?

Leading you down into my core where I've become so numb

Without a soul, my spirit sleeping somewhere cold

Until you find it there and lead it back home
 

Wake me up

Wake me up inside

I can't wake up

Wake me up inside

Save me

Call my name and save me from the dark
 

Julia war in eine wohlhabende Familie hineingeboren worden. Es hatte nie ein besonders liebevoller Umgang geherrscht, aber dennoch war das Leben wesentlich harmonischer verlaufen, als das ihrer Cousinen und Freundinnen. Der Aufschwung hatte die Meyers in den goldenen Zwanzigerjahren noch wohlhabender gemacht, als sie es schon davor waren. Erst die große Weltwirtschaftskrise hatte alles geändert. Zuerst hatten sie nicht viel gespürt. Die Kinder bekamen den Wandel nicht mit. Das Geschäft, das der Vater betrieben hatte gehörte nicht zu den Branchen, die als erste unter den Auswirkungen litten. Doch bereits ein Jahr später war alles anders. Die Familie, die seit Jahrzehnten zu den Wohlhabendsten der Stadt gehört hatte, musste auf einmal ebenso um ihre Existenz fürchten wie jeder andere Bürger zu dieser Zeit auch. Der Vater trank zu viel. Die Mutter verschloss die Augen vor dem drohenden Verfall.

Julia und ihre ältere Schwester Sarah besuchten nicht mehr die teure Schule im besten Bezirk, sondern eine wesentlich heruntergekommenere. Hier saßen fünfzig Mädchen in einer Klasse, von der Wand bröckelte die Farbe.

Nach und nach verließen die Menschen mit denen Julia aufgewachsen war das Haus. Jede Abreise folgte einer heftigen Schreierei zwischen Vater und Mutter. Ihr großer Bruder Peter verließ die Stadt mit seiner Frau, kurz nach der Hochzeit. Anderswo, so sagte er, hätte er bessere Chancen. Die Kinderfrau, die Julia und Sarah aufgezogen hatte ging, kurz nachdem die zwei Zimmermädchen und die Köchin entlassen worden waren.

Einige Monate später heiratete Sarah den Sohn eines Unternehmers, der als einer der wenigen fast keine Verluste erlitten hatte. Es brachte wieder etwas Geld in die Kasse.

Sie selbst musste kämpfen. Kämpfen um in der zerrütteten Familie nicht unterzugehen, kämpfen um etwas gesellschaftliches Ansehen zu behalten und ein paar Jahre später um einen Platz am Hunter College für Frauen. Sie bekam ihn. Trotz ihres trinkenden Vaters und der hysterischen Mutter, die von ihr verlangte entweder arbeiten zu gehen oder ebenfalls vorteilhaft zu heiraten. Ihre Mutter war in diesen Jahren zu einer unausstehlichen Person geworden. Aus ihrem gewohnten luxuriösen Umfeld entfernt, hatte ihre Psyche einen unheilbaren Schaden genommen.
 

Alexander war der einzige Anker gewesen, der Julia davor bewahrt hatte es der Frau, die sie geboren hatte, gleich zu tun. Der Sohn des Ehepaars, das das Hunter College leitete hielt sie davon ab den Verstand zu verlieren.
 

Wake me up

Bid my blood to run

I can't wake up

Before I come undone

Save me

Save me from the nothing I've become
 

Now that I know what I'm without

You can't just leave me

Breathe into me and make me real

Bring me to life
 

Wake me up

Wake me up inside

I can't wake up

Wake me up inside

Save me

Call my name and save me from the dark
 

Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte er sie aus einem tiefen Loch geholt. Ihre Eltern hatten die Nacht wieder einmal mit Schreien verbracht. Es fiel mittlerweile noch mehr auf. Das große Haus, das sie einst besessen hatten gehörte zu dieser Zeit schon lange jemand anders. Die Wohnung, die sie mit ihren Eltern nun bewohnte, war klein und hatte zu dünne Wände.

An diesem Tag war Julia in der Bibliothek eingeschlafen. Ihr Kopf war einfach auf eines der Bücher, die sie gerade bearbeitet hatte, gefallen. Dies passierte nicht zum ersten Mal. Jedoch war es nie zuvor vorgekommen, dass sie schlief, bis der Raum abgeschlossen werden sollte. Alexander hatte sie aufgeweckt. Wie sie später erfuhr kümmerte er sich, im Auftrag seiner Eltern, um die Bibliothek. Sie erinnerte sich nicht mehr genau an seine Worte, aber er hatte sie mit dem Wenigen, was er gesagt hatte, zum Lächeln gebracht. In dieser Zeit hatte sie dies selten getan.
 

Wake me up

Bid my blood to run

I can't wake up

Before I come undone

Save me

Save me from the nothing I've become
 

Julia war mit einem Gefühl der Zufriedenheit aus der Bibliothek gegangen. Es hatte angehalten.

Von da an hatte sie Alexander öfter gesehen. Anfangs hatte sie es noch so aussehen lassen, als wäre es nicht beabsichtigt, dass sie bis zum Zusperren blieb, nach einiger Zeit machte sie keinen Hehl mehr um ihre Beweggründe. Alex, wie sie ihn schnell nannte, war nicht nur für einen aufmunternden Spruch gut, nein er hörte ihr auch gerne zu, brachte sie zum Lachen und machte ihr Leben wieder lebenswert. Lange Zeit war ihre Ausbildung ihr einziges Ziel gewesen.
 

I've been living a lie

There's nothing inside

Bring me to life
 

Dies änderte sich in diesen Tagen. Sie erkannte, dass nicht nur das Lernen wichtig war. Menschliche Interaktion wurde wieder ein Bestandteil ihres Verhaltensrepertoirs.

Zuhause herrschte immer noch das Chaos. Die Ausbildung kostete Nerven und Zeit. Und doch war nun etwas anders, wenn er da war.
 

Frozen inside without your touch

Without your love, darling

Only you are the life among the dead
 

Es war eine vollkommen unschuldige Beziehung. Trotzdem musste sie geheim bleiben. Keiner hätte zugelassen, dass sich ein Mädchen ihres Alters alleine mit einem Jungen traf. Es ließ die beiden erfinderisch werden. Das College war ihr Platz um Verstecken zu spielen. Mit Alex Generalschlüssel kamen sie überall hin. Nur der Hausmeister stellte eine Gefahr dar. Sie dachten beide nicht darüber nach. Würde man sie erwischen, wenn sie sich abends in einem leeren Klassenzimmer oder der Bibliothek aufhielten, hätte das wohl Julias Rauswurf zur Folge. Das College verlangte keine Gebühren von den Studenten, es war einfach jemanden hinauszuschmeißen. Die Einrichtung war nicht vom Geld der Eltern abhängig.
 

Während ihr Vater seinen Körper immer mehr zerstörte und ihre Mutter immer mehr ihre eigene Seele, durchlebte Julia eine Phase des Glücks. Während ihres gesamten weiteren Studiums und auch danach war er da. Ihr Engel. Ihr leuchtender Streifen am Horizont.
 

Ein weiterer Schicksalsschlag sollte wieder alles ändern. Ein Jahr nach ihrem Abschluss mit “summa cum laude” verstarb Julias Vater. Die Leber des alten Mannes hatte aufgegeben. Nun war die junge Frau dem Terror ihrer Mutter alleine ausgesetzt. Mit dem Tod ihres Gatten nahmen immer mehr Fantasien im Kopf der Witwe Gestalt an. Es schien, als dächte die Frau, nichts stünde mehr ihrem finanziellen und gesellschaftlichen Aufstieg im Weg, nachdem der Trinker verstorben war.

Noch auf seiner Beerdigung begann sie, ihre Pläne in die Tat umzusetzen.

Sie begann die Beziehung zu einem wohlhabenden Schulfreund ihres Mannes zu knüpfen. Einem Mann, der „zufällig“ einen Sohn in Julias Alter hatte. Einen Sohn, der noch eine gute Ehefrau brauchte. Schneller, als Julia „Nein!“ hatte sagen können, war sie verlobt.

Sie hatte die Wahl. Die Wahl zwischen den Optionen einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebte, oder weiterhin mit ihrer Mutter zu leben, die ihren Terror bei einer Absage wohl noch verstärkt hätte. Die zweite Möglichkeit war keine wählbare. Nichts würde sie in der Hölle halten, zu der ihr Heim mutiert war.
 

All this time, I can't believe I couldn't see

Kept in the dark but you were there in front of me

I've been sleeping a thousand years it seems

Got to open my eyes to everything
 

Und wieder war Alex ihr einziger Zufluchtsort. Sie waren Seelenverwandte. Einen Menschen wie ihn würde sie nicht wieder auf der Welt finden. Wie immer war er der Grund, dass sie nicht aufgab.

Während ihre Mutter nur die gelungene Geldbeschaffung im Sinn hatte, ihre Geschwister sich um ihre eigenes Leben kümmern mussten und sonst keiner mehr da war, war Alex der einzige, der sich um sie sorgte.
 

Without thought, without voice, without a soul

Don't let me die here

There must be something more

Bring me to life
 

Auch nach Julias Hochzeit trafen sie sich. Es war jetzt noch schwieriger. Es war kein Spiel mehr, sondern bitterer Ernst. Schlimmere Konsequenzen als ein Rauswurf drohten. Immer noch war es undenkbar. Eine verheiratete Frau hatte sich genauso wenig wie ein junges Mädchen mit einem Mann zu treffen.

Und nun war es nicht mehr unschuldig. Die Verzweiflung, den anderen vielleicht nicht mehr sehen zu können, trieben sie zu dieser Dummheit. Zu stark waren die Gefühle und zu sehr entluden sie sich, wenn sie beieinander waren. Alex war alles. Nie hätte ihr Ehemann Julia das geben können, dass er ihr gab.
 

Ihr Ehemann war ein Kapitel für sich. Nicht besonders klug, nicht besonders ansehnlich. Er wäre ein Zeitgenosse gewesen, mit dem sie gut hätte leben können, wenn nicht sein cholerischer Charakter und seine Oberflächlichkeit dies verhindert hätten. Ihre ganze Bildung, das wofür sie jahrelang ihre Energie und Zeit geopfert hatte, war von einem auf den anderen Tag wertlos. Julia hatte sich immer der Hoffnung hingegeben eines Tages zu den wenigen Frauen zu gehören, die sich nicht nur selbst versorgen konnten, sondern sich mit ihrem Wissen und Können Respekt verschufen.

Ihr Mann duldete dies nicht. Seine Frau hatte gefälligst nicht zu arbeiten wie die Frau eines einfachen Handwerkers. Er war etwas besseres, so dachte er, und das sollte auch die ganze Welt sehen.

Julias Tagesablauf beinhaltete nicht mehr Literatur und Naturwissenschaften, sondern Kaffekränzchen mit hohlen Ziegen und die Überwachung des Personals. Auf Feiern und in der Öffentlichkeit hatte sie gut auszusehen und den Mund zu halten, wenn die Situation nicht gerade danach war, sinnlose Konversation über das Wetter oder Kuchenrezepte zu führen.

Sie starb langsam. Nicht körperlich, seelisch.
 

Alexander war ihr Anker in der Welt der Lebenden.
 

Wake me up

Wake me up inside

I can't wake up

Wake me up inside

Save me

Call my name and save me from the dark
 

Nun ist dieser Anker verschwunden. Julia versucht irgendetwas zu finden, das ihr noch etwas bedeutet. Sie schafft es nicht. Gepackt von einer plötzlichen Unruhe läuft sie in ihr Zimmer. Sie macht sich nicht die Mühe, den Saum des Kleides zu heben, um den teuren Stoff nicht an den Stiegen zu beschädigen.

An ihrem Ziel angekommen reißt sie die Schublade ihres kleinen Tischchens auf. Julia braucht nur wenige Handgriffe um unter den vielen belanglosen Schriftstücken das eine zu finden, das wichtig ist.

Sie nimmt das Blatt an sich. Seit sie das Stück Papier vor einer Woche erhalten hat, versteckt sie es hier und holt es in jedem unbeobachteten Moment hervor. Es kommt ihr vor, als hätte sie die Zeilen tausend Mal gelesen. Wahrscheinlich hat sie es auch. Trotzdem hat sie die ganze Zeit über nicht begreifen können, was da geschrieben steht. Erst heute beim Abendessen ist es ihr bewusst geworden.
 

Alexander ist gefallen. In einem Krieg, der schon länger tobt. In einem Krieg, in dem er niemals kämpfen wollte.

Er war Pazifist. Es hatte ihm widerstrebt eine Waffe in die Hand zu nehmen. Er hatte geweint, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten, weil er andere Menschen töten sollte.
 

Alexander ist tot. Und mit ihm ist auch Julia gestorben.
 

Wake me up

Bid my blood to run

I can't wake up

Before I come undone

Save me

Save me from the nothing I've become
 

I've been living a lie

There's nothing inside

Bring me to life



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  nufan2039
2009-04-20T07:27:17+00:00 20.04.2009 09:27
1. Eindruck

- interessante Ausgangssituation
- faszinierende Zeit, für die du dich entscheiden hast, bestimmt nicht
einfach darüber so zu schreiben, als sei es eine gegenwärtige Zeit, für
jeden nachvollziehbar, aber ist dir gelungen
- du hast einen tollen Stil, machst deine Worte lebendig und arbeitest gut
mit Metaphorik
- schön, wie u die tragischen Umstände zeigst, die Julia durchlebt, deine
Art zu schreiben, macht das ganze gut vorstellbar
- wow, bewegendes Ende

gesamt: Du hast das Lied gut umgesetzt und dein Schreibstil ist faszinierend. Die Geschichte gefällt mir sehr! Echt toll gemacht!



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