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Ein Licht in dieser dunklen Welt

Wichtel-Fanfiction für Shizana
von

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I.


 

Ein Licht in dieser dunklen Welt

Ich höre Orleans bedroht, ich fliege

Herbei aus der entlegnen Normandie,

Den König denk ich kriegerisch gerüstet

An seines Heeres Spitze schon zu finden,

Und find ihn hier! Umringt von Gaukelspielern

Und Troubadours, spitzfindge Rätsel lösend

Und der Sorel galante Feste gebend,

Als waltete im Reich der tiefste Friede!

Schiller, Die Jungfrau von Orleans


 

I.

Ein ums andere Mal führten seine Hände die weiche Bürste durch das Fell des Rappen. Das große Tier stupste seinen Herren an und schnaubte zufrieden. Weder dieser Laut noch das bereits glänzende Fell drangen wirklich an das Bewusstsein des jungen Ritters. Er war zu tief in Gedanken versunken.

Noyn Claude glaubte nicht an Prophezeiungen oder göttliche Eingebungen, und schon gar nicht glaubt er daran, dass ein Bauernmädchen die Franzosen zum Sieg führen würde. Doch der Adelige wusste, dass jemand gegen die Engländer vorgehen musste, wenn Frieden in Frankreich herrschen sollte.

Der König geschwächt, von seiner eigenen Mutter verleugnet, das Volk entmutigt, zermürbt vom Feind der das Land schon so lange tyrannisierte. Wie die Heuschrecken vielen die feindlichen Truppen ein und ließen das Land verwüstet und leer gefressen zurück, nur um sich andernorts auf gleiche Art und Weise breit zu machen.

Wenn der einzige erfolgversprechende Versuch darin bestand ein Weibsbild mit ominösen Visionen als Symbolfigur zu nutzen um die Moral zu heben, dann würde er sich fügen und seine Rolle in diesem Theaterstück spielen.

Das Pferd stieß in erneut an. Diesmal heftiger, offensichtlich in Erwartung eines Apfels, so wie jeden Abend. Erst jetzt bemerkte Noyn, dass er eine andere Beschäftigung für seine Hände suchen konnte. Er säuberte die Bürste und klopfte den Striegel aus.

Nicht, dass er eine andere Wahl gehabt hätte als sich diesem Unternehmen anzuschließen. Als einziger Sohn eines unbedeutenden Adeligen, dessen bescheidene Ländereien dem Schlachtfeld viel zu nahe lagen, bestand seine einzige Chance auf ein normales Leben darin, die Engländer aufzuhalten. Allein, denn sein Vater konnte keinen anderen Mann entbehren - selbst der Page mit seinen elf Jahren war zurückgeblieben, obwohl er nicht viel mehr tun konnte als dem Feind eine Mistgabel entgegenzurecken – war er nach Vaucouleurs gekommen um sich dem Widerstand gegen die Engländer anzuschließen. Keine Woche nach seiner Ankunft war dieses Mädchen aufgetaucht und hatte es geschafft den Stadthauptmann um den Finger zu wickeln. Beinahe hätte er angefangen an Hexerei zu glauben. Eine andere Erklärung wie sie es geschafft haben sollte den sturen Hauptmann zu überzeugen gab es nicht. Der Mann der noch tags zuvor keinen einzigen Soldaten vor die Tore der Stadt schicken wollte, aus Angst, sie könne am helllichten Tag erstürmt werden, hatte sie mit Waffen, einer Rüstung und einer Eskorte von zehn Mann ausgestattet.

Der junge Ritter hatte kaum Gelegenheiten gehabt, sich ein Bild von Jeanne Darc zu machen bevor er sich ihr anschließen musste. Und auch jetzt, nach den drei Tagen die er als Teil ihres Trupps nach Chinon verbracht hatte, vermisste er ein Zeichen der Besonderheit an dem Mädchen. Gekleidet in eine Rüstung, wirkte sie zwischen den Männern so fehl am Platz, wie jede beliebige Bauerntochter, die man in dieses eiserne Kostüm gezwängt hätte.

Über den Rücken seines Hengstes hinweg beobachtete er sie auch nun, als sie sich wie alle anderen, um das Wohlergehen ihres Reittieres kümmerte. Er hatte schon befürchtet, sich im Trupp ein anstrengendes verzogenes Weibsstück zu befinden, doch sie packte da wo sie konnte genauso an wie die Männer, die ihr unterstellt waren. Im Sattel hielt sie sich wacker, auch nach einem anstrengenden Tagesritt, doch obgleich sie sich sonst geschickt zeigt viel sie über ihre eigenen Füße, sobald sie die schwere Rüstung trug die man ihr in Vaucouleurs angefertigt hatte. Das kurze Schwert, das sie seit der Abreise an ihrer Seite trug, wirkte wie ein Fremdkörper. Keinem der Männer war dies entgangen.

Es wurde viel geredet. Abends am Lagerfeuer, untertags wenn sie nicht in der Nähe war.

Noyn hielt sich zurück, wenn die anderen wild zu spekulieren begannen. Bevor er hier Bande knüpfte wollte er Gewissheit haben, womit er es zu tun hatte.

Nur Schwachsinnige hören Stimmen! Dies hatte ihn sein Vater gelehrt. Doch das Mädchen wirkte keineswegs schwachsinnig. War sie nur ein Bauernopfer? Eine Schachfigur, von anderer Hand geführt?

„Ich biete Euch einen Handel an“, wurden seine Gedanken unterbrochen. „Ihr stellt die Fragen, die Euch auf der Zunge liegen und Euren Geist beschäftigen, dafür tut Ihr mir einen Gefallen.“ Sie lächelte ihn entwaffnend an. „Und Ihr starrt mich nicht mehr so an.“

Der junge Ritter hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht bemerkt, wie wenig unauffällig seine Bemühungen mehr über sie zu erfahren, waren. Noyns Augenbrauen wanderten unwillkürlich in die Höhe.

„Gewiss verlangt Ihr nicht von mir, dass ich mich auf solch einen Handel einlasse, bevor ich die genauen Bedingungen kenne? Also - an welche Art Gefallen denkt Ihr?“

„Zu allererst müsst Ihr mich nicht ansprechen als wäre ich eine Adelige wie Ihr. Mein Name ist Jeanne. Einfach nur Jeanne. Und der Gefallen ist nichts, was ein Problem für einen Ritter wie Euch darstellen sollte. Ihr sollt mich das Kämpfen lehren!“
 

*

Noyn Claude war verärgert. Doch er würde es nicht zeigen. Dieses Mädchen hatte die Befehlsgewalt und er war nur ein einfacher Ritter. Sich nun unwillig zu zeigen war die Probleme, die sich daraus ergaben, nicht wert. Eine offene Zurschaustellung seiner Gefühle wäre nur ein kurzer Triumph für sein angeschlagenes Selbstbewusstsein.

Nachdem sie am gestrigen Tag diesen Handel vorgeschlagen hatte, hatte er sich Klarheit erhofft. Doch sie hatte ihm nur ein abstruses Märchen von Dämonen, die sie mit Hilfe einer kleinen Nadel zu bannen im Stande sein sollte, aufgetischt. Noyn würde vorerst schweigen.

Er hatte einen besseren Plan.

Sie hatten die Nacht im Sattel verbracht und waren bis zum ersten Morgenlicht geritten. Das neue Jahr hatte erst vor kurzem begonnen. Die Tage waren kurz. Genauso die Rast, die der Trupp eingelegt hatte. Das düstere Winterlicht kündigte bereits an, dass es bald wieder verlöschen würde, als Jeannes Unterricht auf einer Lichtung, etwas abseits der Gruppe, begann.

„Bevor wir mit der Ausbildung beginnen, sagt mir noch eins. Warum richtet Ihr diese Bitte an mich? Jean d’Aulon siegte im letzten Jahr auf allen Turnieren und Étienne de Vignolles gilt als bester Schwertkämpfer diesseits der Charente. Sicherlich findet Ihr einen besseren Lehrmeister unter Euren Männern!“

Es war eine ehrliche Frage. Seine Fähigkeiten im Kampf waren gut, doch reichten sie lange nicht an die der erfahrenen Kämpfer. Außerdem hatte er noch nie jemanden im Umgang mit Waffen unterwiesen. Seine Lehrerfahrung bestand darin vor den Stalljungen zu prahlen.

Die Frage warum sie solch weltlichen Schutz benötigte, wo sie doch einem göttlichen Aufruf folgen sollte, behielt er für sich.

„Ich habe Euch ausgewählt weil Ihr mich nicht mit Mitleid betrachtet wie die anderen. Ihr seht mich fragend an und zweifelnd, aber nicht mitleidig oder gar wie ein Stück Fleisch. Und ich sagte Euch bereits, dass ihr mich nicht ansprechen müsst wie Euresgleichen.“

„Nun gut, Jeanne, um dich zu unterrichten muss ich wissen, was du kannst und welche Voraussetzungen du mitbringst.“

Er reichte ihr ein altes, stumpfes Schwert und behielt selbst nur die verrostete Scheide in der Hand. Die Art wie sie die Waffe hielt, verriet ihm viel.

„Hast du so eine Waffe in der Vergangenheit schon in der Hand gehabt?“

„Nur das Schwert, das ich seit unserer Abreise trage. Aber ich habe es noch nie benutzt.“

Sie wirkte unsicher mit dem schweren Gegenstand. Es war ein Einhänder, doch sie musste ihn mit beiden Händen halten. Zwar war sie kräftig, kräftig, wie es eine arbeitende Frau war, doch nicht kräftig wie ein Ritter, der Jahre darauf verwandte Kraft und Geschick im Umgang mit dieser Waffe zu schulen.

„Versuch‘ mich anzugreifen!“

„Ich greife keinen Unbewaffneten an.“

„Dann eben anders.“ Noch bevor er seinen Satz beendet hatte sprang er auf sie zu und hob die massive Hülle des Schwerts. Instinktiv riss sie das Schwert in die Höhe und brachte es vor ihr Gesicht. Eine berechenbare Reaktion.

Es kostete ihn nur eine Drehung des Handgelenks um ihre Deckung zu durchdringen. Er bremste das Metall bevor es größeren Schaden anrichten konnte. Anstatt sie mit voller Kraft zu schlagen klopfte die Scheide nun gegen ihre Schläfe und ihr rechtes Handgelenk. Ihr griff verlor an Stärke und sie musste das Schwert sinken lassen.

Noyn betrachtete sie prüfend.

„Mit solch einem Schwert wirst du dich nicht verteidigen können. Nicht in dieser kurzen Zeit. Auch das, dass sie dir gegeben haben wirst du nicht benutzen können, es ist fast so schwer wie dieses“, stellte er fest und fügte hinzu, als er sah, wie sich ihr Blick verdunkelte „es wird sich eine geeignetere Waffe finden lassen.“

Innerlich war er nicht so gefasst wie er nach außen hin vorgab. Sie konnten jeden Augenblick von Feinden überrascht werden. Doch es war wichtig, dass sie vertrauen zu ihm fasste. Er konnte sie nicht vollkommen demoralisieren.

„Dann beginnen wir mit dem Kampf ohne Waffen.“ Er warf das Stück Metall beiseite.

„Es gilt das gleiche wie vorhin. Greif‘ mich an!“

„Aber…“

Hatte er zuvor noch geglaubt die Waffe wäre das größte Problem, musste er jetzt feststellen, dass es ihr Zögern war. Vor seinem inneren Auge sah er die Mission bereits scheitern. Das durfte nicht geschehen! Sein Leben und das seiner Familie hing davon ab!

Er konnte sie verstehen. Er selbst verspürte ein enormes Unbehagen dabei sie anzugreifen. Doch er wusste, dass er sie aus der Reserve locken musste.

Mit den Gedanken sie durch einen leichten Schlag auf die Schulter abzulenken um ihr dann mit einem Tritt die Beine unter dem Körper wegzuziehen, näherte er sich ihr erneut.

Ein scharfer Schmerz, der plötzlich in seiner Lendengegend aufflammte, vereitelte sein Vorhaben. Keuchend sank er auf die Knie. Er wandte den Blick von der Stelle ab, die ihr Fuß gerade so gezielt getroffen hatte und starrte sie an. Für den Moment waren alle seine Pläne vergessen. Jeder Gedanke daran, für sie so wichtig zu werden, dass sie ihm ihre wahren Beweggründe verriet, trat in den Hintergrund. Es gab nur Schmerz. Und Erstaunen.

Jeanne wirkte nicht minder erschrocken als er selbst, fing sich aber schnell wieder.

„Kein… ehrenhafter… Mann… würde so… so etwas tun.“

„Ich bin kein Mann.“
 

*

Noyn durchsuchte sein Gepäck, nachdem er zur Gruppe zurückgehumpelt war, dankbar dafür, dass seine Mitstreiter mit anderem beschäftigt waren, als auf ihn zu achten.

Vielleicht gab es eine Lösung für Jeannes Waffenproblem.

Vorsichtig zog er den gesuchten Gegenstand aus der Tasche. Vergraben unter seiner Kleidung hatte er gefunden wonach er gesucht hatte. Das leichte Schwert, das er in den ersten Jahren seiner Ausbildung geführt hatte. Es war leichter und kürzer. Für einen Jungen geschmiedet. Doch es würde seinen Zweck auch in den Händen einer Frau erfüllen. Keinesfalls wollte er ihr noch einmal im Nahkampf ohne Waffen gegenüberstehen. Sie war schnell und gerissen.

Viele schöne Erinnerungen waren mit dem Schwert verbunden. Seine Sentimentalität hatte ihn dazu bewegt dieses eigentlich nutzlose Relikt der Vergangenheit mitzunehmen.

Noch am Morgen hätte er nie daran gedacht es einer anderen Person anzuvertrauen.

Doch neben den Schmerzen im Gemächt hatte der Tritt vor allem eins in ihm ausgelöst: Hoffnung.

Vielleicht war es doch nicht unmöglich dieses Bauernmädchen sicher zum König zu bringen. Vielleicht gab es doch eine Chance die Engländer zu vertreiben.

Schon etwas weniger auffällig humpelte er zu Jeanne hinüber und reichte ihr wortlos sein altes Schwert.

II.

II.
 

Umsonst! Die ganze Reise, elf entbehrungsreiche und gefährliche Tage waren umsonst gewesen! Sie hatten trainiert, sie hatten gegen Feinde gekämpft, sie hatten überlebt. Und das alles nur dafür um in Chinon festzusitzen.

Vor zweieinhalb Tagen waren sie angekommen, doch der König wollte Jeanne Darc nicht einmal empfangen. Ihr Erscheinen würde nicht mit rechten Dingen vonstattengehen – so wurden sie von einem Lakaien abgewiesen. Man müsse erst ausschließen, dass sie mit dem Teufel im Bunde sei! Ein Medicus müsse ihren Geist prüfen, ein Priester ihre Seele und Nonnen ihre Jungfräulichkeit. Und ein Richter würde sie dazu befragen, ob sie nicht doch von den Engländern oder anderen suspekten Personen geschickt worden war. Solange würde man sie im nahegelegenen Kloster unterbringen.

Wenn dies alles geschehen war, dann würde der König entscheiden ob er sie vorsprechen lassen würde. Das hatte er über den fetten Pfaffen ausrichten lassen. Sie mögen doch derweil im Gasthaus warten bis auch zu ihnen ein Beichtvater käme um zu erfahren ob sie gute Christen gewesen seien.

Noyns Blut schien zu kochen. Unruhig lief er in dem kleinen Raum, den man ihm zugeteilt hatte, auf und ab. Er hatte Skepsis erwartet. Doch das waren nicht nur nachvollziehbare Zweifel. Voller Wut trat er nach dem erstbesten Gegenstand, der ihm vor die Füße kam. Der einfache Holzschemel flog in weitem Bogen durch das Zimmer und landete klappernd in der gegenüberliegenden Ecke. Der König sollte lieber seinen eigenen Geist untersuchen lassen!

Selbst wenn Jeanne sich als vollkommen nutzlos für den Monarchen ohne Macht erweisen sollte, so war doch ersichtlich, dass sie kein feuerspeiender Drache war, der ihm den Kopf abbeißen würde.

Er würde hier nicht tatenlos sitzen. Dafür hatte er zu viel Kraft und Zeit investiert.

Während die Obrigkeit sich hier versteckte und dieses Theater mit Jeanne veranstaltete konnten die Engländer weiter wüten.

Er würde vorsprechen und das Mädchen darum bitten nachhause gehen zu dürfen.

Lieber starb er Seite an Seite mit seinem Vater, den zwei Knechten und dem Pagen, bei dem sinnlosen Versuch sein Land zu verteidigen, als tatenlos in Chinon zu sitzen und zu warten bis der Feind hierher kam!
 

*

Noyn war schockiert über den Zustand des Mädchens. Er konnte nicht glauben, dass sich ein Mensch in so wenigen Stunden so verändern konnte. Noch vor zwei Tagen war sie gesund gewesen. Ein paar Kratzer. Wunde Stellen und schmerzende Muskeln vom Reiten. Aber sonst gesund.

Nun war sie blass, ihre Haut wirkte eingesunken und dunkle Augenringe verunstalteten ihr Gesicht. Zwei Nonnen mussten Jeanne stützten als man sie hereinbrachte.

Auch wenn er nicht das unbenutzte Bett in der winzigen Zelle gesehen hätte - es war offensichtlich, dass sie in den letzten Tagen kaum geschlafen haben konnte.

Jeanne sank auf den einfachen Strohsack nieder, der als Matratze diente. Ihre Augen fielen immer wieder zu. Mit Mühe kämpfte sie ein ums andere Mal um ihre Lider wieder zu heben. Dass sie sich noch im Sitzen halten konnte grenzte an ein Wunder.

Einen Moment schien es, als wollten die Nonnen bleiben, egal wie unheimlich ihnen der fremde Mann war. Noyn warf ihnen einen finsteren Blick zu, der seine Wirkung nicht verfehlte.

„Um Himmels Willen!“, rief er aus, nachdem die Ordensschwestern den Raum verlassen hatten. „Jeanne, was haben sie dir angetan.“ Er zügelte seine Stimme. Nach all dem Wahnsinn hielt der junge Ritter es nicht für unwahrscheinlich, dass sie belauscht wurden.

„Sie haben mich untersucht, mit Weihwasser bespritzt, mit Reliquien berührt und mich beten lassen.“ Sie gähnte. „Und dann haben sie mich wieder mit Weihwasser bespritzt und so weiter... Es tut gut jemand anderen als diese Priester zu sehen.“

„Hast du überhaupt geschlafen seit du hier bist? Gegessen?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Haben sie gesagt wie lange…?“

„Nein.“

Es fühlte sich falsch an, die Frage zu stellen, wegen der er gekommen war.

„Jeanne, ich kann nicht tatenlos in Chinon bleiben und darauf warten, ob unser König sich dazu entschließt einen Gegenschlag zu organisieren.“

Jeanne ergriff seine rechte Hand.

„Ihr seid frei zu gehen. Ich habe nur noch eine kleine Bitte. Bleibt… Bleibt noch ein wenig hier. Dann warten sie noch, bis sie mich wieder holen. Ich will nur ku… kurz meine Augen ausruh…“ Jeanne beendete den Satz nicht. Noch bevor sie zu Ende gesprochen hatte, sank ihr Kopf gegen Noyns Schulter. Vorsichtig legte er einen Arm um sie, aus Angst, ihr erschlaffter Körper würde vorne überkippen und zu Boden stürzen.

Sie hatte ihn entlassen. Er durfte gehen. Doch er verspürte keine Erleichterung.

Er musste gehen, auch wenn alles in ihm darauf drängte hier zu bleiben und dafür zu sorgen, dass man Jeanne nicht weiter traktierte. Je länger er in dieser Zelle blieb desto wahrscheinlicher war es, dass man sie beschuldigen würde hier mit ihm Unzucht getrieben zu haben. Ein Mann alleine mit einer Frau in einer Zelle. Er hatte gesehen wie das auf die Nonnen gewirkt hatte, als sie noch im Raum gewesen waren. Man würde sie nur noch mehr quälen oder ihr gar Schlimmeres antun.

Sein Blick fiel auf ihr Gesicht. Immer noch blass und von den Spuren der Müdigkeit verunstaltet, wirkte es nun zumindest entspannt.

So behutsam wie möglich legte er sie auf das Bett. Als er sich erheben wollte, bemerkte er, dass ihre Hand die Seine immer noch fest im Griff hatte. Ein kleiner Zettel fiel aus ihrer Rechten als er sie löste. Darauf stand nur ein Satz geschrieben: „Der König ist von einem Dämon besessen“

Was hatte es nur mit dieser Frau auf sich?

III.

III.
 

„Das ist Wahnsinn!“, zischte er in die Dunkelheit. „Sie werden uns entdecken und wenn sie uns nicht gleich töten, dann hängen unsere Leichen spätestens morgen an der Stadtmauer.“

„Gewiss, wenn Ihr weiter so viel Lärm macht“, flüsterte Jeanne zurück.

„Verdammt…“, fluchte er, als sein Fuß im Dunkeln gegen einen großen Stein stieß.

„Ihr wollt es wirklich darauf anlegen, oder?“

Noyn schwieg und fragte sich, wie er es geschafft hatte in diese Situation zu kommen.

Wegen Entführung einer Frau aus dem Kloster würde der Richter Anklage gegen ihn erheben und als ob das nicht schon genügte, kam nun auch noch Einbruch in den Regierungssitz und ein versuchtes Attentat auf den König hinzu.

Zudem misstraute er der Wegbeschreibung die Jeanne aufgetrieben hatte. Der Verkäufer hatte keinen vertrauenserweckenden Eindruck gemacht. Dass sie mithilfe der Karte den Eingang zum Fluchtweg gefunden hatten, beruhigte ihn nicht.

„Stop!“

Gerade noch rechtzeitig hatte er sie zurückhalten können, bevor der Wächter am Ende des Ganges sie entdecken konnte.

„Wie sollen wir an diesem Mann vorbeikommen?“

Jeanne schob seine Hand von ihrer Schulter.

„Wir gehen vorbei.“ Sie deutete auf den Mann. „Er schläft.“

Sie hatte mehr Glück als Verstand.

Laute Musik drang ihnen entgegen als sie sich aus dem Keller ins Erdgeschoss des großen Anwesens vorarbeiteten. Die Gerüchte über den König schienen zu stimmen. Während sein Land zugrunde ging hatte er nichts Besseres zu tun als zu feiern.
 

Ihr Plan sah vor, sich in die Räumlichkeiten Seiner Majestät zu schleichen und dort auszuharren, bis er zurückkam um zu ruhen. Sie fanden das Gemach fast unbewacht vor. Wie auch im Fluchttunnel war hier nur eine Wache positioniert. Dieser Mann war wach.

„Ich lenke ihn ab und Ihr schleicht Euch von hinten an ihn heran und schlagt ihn bewusstlos.“

Als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan nahm sie die demütige Haltung einer Dienerin ein und näherte sich dem Wachmann noch bevor er protestieren konnte. Noyn hielt den Atem an als der Mann den Kopf hob und das Mädchen musterte. Für einen Moment wanderte die Hand des Wachmanns an das Schwert an seinem Gürtel, bevor er sich wieder entspannte. Er sah in einer einfachen Dienerin keine Gefahr.

„Seine Majestät benötigt neue Handschuhe. Der Koch hat sie beschmutzt als er persönlich Seiner Majestät die Suppe servierte. Man hat mich geschickt um ein neues Paar zu holen.“

„Ich darf niemanden außer Seine Majestät in dieses Zimmer lassen“, brummte der Wächter „Ich habe eindeutige Befehle.“

„Oh ich bitte Euch, lasst mich durch“, begann sie in flehendem Tonfall. „Ich kann es mir nicht leisten einen Fehler zu machen. Der König wird mich bestrafen lassen. Und Euch womöglich auch!“

Der letzte Satz verfehlte seine Wirkung nicht.

Der Wachmann streckte kurz die müden Glieder und drehte sich zu Tür um, einen großen Schlüsselbund in der Hand.

Noyn begann sich an ihn heranzuschleichen. Er hob das Schwert.

„Einen Moment…“ Der Wachmann hielt inne „Hier gibt es doch gar keinen Koch, nur eine Köchi…“ Bevor er zu Ende sprechen konnte, traf ihn der Knauf des Schwerts. Sein schwerer Körper fiel zu Boden. Noyn betete, dass die Musik den Aufprall übertönen würde.

Während Jeanne den Schlüsselbund nach dem passenden Schlüssel durchsuchte, entwaffnete er den Wachmann und knebelte ihn mit einem Fetzen Stoff, dass er aus dem Hemd des Mannes gerissen hatte.

Ein Klicken verriet ihm, dass seine Partnerin erfolgreich war. Gemeinsam schleppten sie ihr Opfer in das Zimmer.
 

*

Das Warten war die schlimmste Prüfung. Noyn wusste nicht wie lange er vor den Gemächern des Monarchen stand. Sein Herz raste. Er schwitzte, obwohl es nicht warm war. Das Wams des Wachmanns war ihm etwas zu groß. Der Gedanke, dass dies im Halbdunkel des von Fackeln erleuchteten Gangs, ungesehen bleiben konnte, half ihm nicht. Alle Männer des Königs trugen diese Art von Kleidung. Ohne sie würde er mit Sicherheit enttarnt werden.

Nach einer gefühlten Ewigkeit näherten sich Schritte.

Zwei Männer bogen um die Ecke. Der König und einer seiner Soldaten.

Karl VII. rauschte an ihm vorbei ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Doch sein Leibwächter war aufmerksamer.

„Hey du! Was machst du hier? Wo ist Pierre?“

„Ist krank geworden. Hat die Scheißerei.“ Oft war die einfachste Lüge die glaubhafteste.

Der Mann beäugte ihn kritisch. War seine Ausdrucksweise doch zu derb gewesen?

„Richte ihm aus, dass ich seinen Sold kürze wenn er einfach so verschwindet. Und wenn er muss, dann soll er gefälligst jemanden herholen, dessen Gesicht ich kenne!“

„Clément! Ich warte!“, mischte sich der König ein.

„Sehr wohl Eure Majestät“, erwiderte der Angesprochene. „Du hast Seine Majestät gehört! Öffne diese Tür!“

Noyn beeilte sich dem Befehl nachzukommen. Zu seiner Erleichterung wurde der Soldat gerade weggeschickt. Er ließ sich Zeit damit den richtigen Schlüssel zu finden, bis Clément verschwunden war. Möglichst geräuschvoll schob er das Stück Metall in das Schloss, das in das massive Holz vor ihm eingelassen war. Selbst wenn Jeanne das Gespräch nicht gehört haben sollte, nun war sie vorbereitet.

Sich tief verbeugend gab er den Eingang frei. Noch einmal versicherte er sich mit einem Seitenblick ob sie alleine waren. Dann schlüpfte er hinter Karl VII. in das Zimmer, verriegelte die Tür und versperrte ihm so den Fluchtweg.

„Zu Hilfe! Ein Überfall!“, schrie der Monarch als er die Falle bemerkte.

Blitzschnell war Noyn an seiner Seite und erstickte die Schreie mit seiner Hand. Mit der anderen hielt er ihm sein Schwert an die Kehle.

„Wenn Ihr Euch beruhigt habet, Eure Majestät, werde ich meine Hand wegnehmen. Dann werden wir über unser Anliegen sprechen.“

Der Ritter spürte wie sich der Körper des Königs unter seinem Griff verspannte. Karl VII. wollte nicht kooperieren. Seine Gesichtszüge verzerrten sich zu einer widernatürlichen Maske.

„Passt auf Noyn! Der Dämon tritt an die Oberfläche!“

Ein Lachen wollte ihm entfliehen, doch es blieb ihm im Halse stecken, als der König ihn von sich schleuderte. Ehe er sich versehen konnte landete er auf den harten Holzdielen. Sein Schwert einige Meter entfernt. Eine grässliche Fratze starrte ihn an, eine Hand deren Finger mehr an Klauen erinnerte, als an menschliche Glieder, schoss auf ihn zu.

Noyn warf sich zur Seite. Der Schlag verfehlte ihn nur knapp. Dann blendete ihn ein helles Strahlen. Auch die Sicht des Besessenen wurde durch das Licht gestört.

Seine Augen begannen sich an die veränderten Verhältnisse zu gewöhnen. Im Zentrum des Strahlens konnte er Jeannes Silhouette ausmachen.

"Im Namen des Herrn, fange ich die Ausgeburten der Finsternis und mache sie unschädlich!“

Etwas traf den Dämon. Er stürzte zu Boden.

Und dann war alles vorbei.

„Wo bin ich? Was ist passiert?“

Karl VII. stemmte sich in die Höhe. Alles Unmenschliche war von seinen Zügen gewichen. Zurück blieb ein verwirrter Mann in zerstörter Kleidung. Hektisch sah er sich um.

„Ihr seid in Euren Gemächern, Eure Majestät“, sprach Jeanne.

„Dieser Ort, er ist mir unbekannt.“

Nach und nach wurde Noyn die Bedeutung dieser Worte bewusst. Der König war tatsächlich besessen gewesen! Und das schon eine lange Zeit! Auf einmal ergab alles Sinn – auch die Untätigkeit im Krieg gegen die Engländer.

„Wer seid ihr?“

„Mein Name ist Jeanne Darc. Ich bin gesandt worden um Euch zu helfen die Engländer aus Frankreich zu vertreiben und Eure Krone zu sicher.“

Jeanne wirkte sehr zufrieden mit sich selbst. Sie sprach mit dem König, doch dabei sah sie Noyn an.

Epilog

Epilog
 

Jedes Mal wenn die Frage wer schlimmere Dinge tat - die Dämonen oder die Menschen - sein Gemüt trübte, jedes Mal wenn er an die Abscheulichkeiten denken musste, die auf dieser Welt geschahen, dann musste er nur Jeanne ansehen und wusste, dass er nicht umsonst kämpfte.
 

Es war ein warmer Frühlingstag als es ihn überkam.

Mit einer Kompanie des Königs als Verstärkung waren sie auf dem Weg nach Orleans. Ihre Reise verlief besser als erwartet und so hatten sie Gelegenheit einen Tag zu pausieren. Weitere Männer würden hier zu ihnen stoßen, doch das würde noch dauern.

Auf der Suche nach seiner Schülerin fand er Jeanne abseits der Gruppe, auf einem umgestürzten Baum sitzend, den Blick war auf einen kleinen See gerichtet. Sie schenkte ihm ein Lächeln, als sie sein Kommen bemerkte. Er setzte sich neben sie auf den Stamm. Ihre Hände berührten einander als er sich an der Rinde abstützte. Während er sie aus dem Augenwinkel beobachtete war ihm, als würde ein roter Schimmer ihre Wangen zieren. Ohne darüber nachzudenken legte er seine Hand über Jeannes. Ihre Blicke trafen sich. Jeder Gedanke an Schwertkampfübungen war wie ausgelöscht.

Dann beugte er sich zu ihr hinab und küsste sie.

Einige Herzschläge lang verharrten sie in dieser Position. Dann spürte er, wie sich Jeannes Hände auf seine Wangen legten. Zuerst nur zögerlich, dann bestimmt, schob sie ihn von sich. Ihre Antwort stand ihr ins Gesicht geschrieben.

Eines Tages würden sie zusammen sein können.

Er würde auf diesen Tag warten, wie lange es auch dauern würde.

Sie war schließlich sein Licht in dieser dunklen Welt.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Kruemelteemonster
2018-07-11T14:11:24+00:00 11.07.2018 16:11
Wenn man bedenkt, was Jeanne in dem einen Jahr nach ihrer Festnahme bis zu ihrem späteren Tod in Rouen alles Entsetzliches angetan worden sein muss und natürlich ihr grausames Ende, kann einem Noyn, der arme Kerl, in seiner hoffnungslosen Liebe zu ihr nur furchtbar Leid tun. Er und Jeanne natürlich. :<
Dennoch ist es bisher die beste Fanfiction in diesem Fandom und mit diesem Pairing, die ich bisher lesen durfte. Ich bleibe bei meiner Behauptung, dass die beiden Charaktere bis zum Schluss absolut realistisch und glaubhaft dargestellt sind.
Ein traurig, schönes Ende, wäre man den beiden doch gerne als Leser weiter gefolgt. Auch, wenn man durch die Historie genau weiß, wie es enden wird.
Vielen Dank für deine Geschichte hier. Es war mir eine Freude sie zu lesen. :)
Von:  Kruemelteemonster
2018-07-11T11:07:35+00:00 11.07.2018 13:07
Ich verstehe nicht, warum diese Fanfiction bisher niemand kommentiert hat in all den Jahren.
Es ist wirklich wunderschön geschrieben und die paar kleinen Fehler, die man finden kann, verzeiht man dir sofort. :)
Die Charaktere sind auch sehr glaubwürdig dargestellt. Nichts übertrieben oder unpassend an ihnen.
Und es ist bis hierher schon mal genau der Erzählstil, den ich so mag: alles ist in einem ruhigen Fluss, aber nicht uninteressant oder gar langweilig.
Danke dafür! :)


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