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Philosopher's Game

Wichtelgeschichte für Kekune
von

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page. 2 | New Game

Die Sommer in Winchester, Südengland zählten zu den wärmsten in Großbritannien. Zu dieser Jahreszeit konnten die Kinder in Wammy’s House in ihren Pausen getrost in den großen Garten gehen, um dort zu spielen. Die Sonne kitzelte angenehm auf ihrer Haut, ebenso das hohe Gras. Zwischen all den ausgelassenen Schreien und dem lauten Kinderlachen konnte man die Blätter der Laubbäume rings um den Garten im Wind rauschen hören, vermischt mit gelegentlichem Vogelgezwitscher und dem Summen und Zirpen einiger Insekten.

Momentan spielten die meisten Kinder Baseball. Seit einigen Tagen nahmen sie im Unterricht amerikanische Kultur durch, also hatten die Betreuer auch die Freizeitaktivitäten darauf anpassen wollen. Als eines der Kinder mit dem Schläger traf, folgte Matt interessiert der hohen Kurve, die der Ball durch die Luft flog.

»Komm vom Fenster weg, Matt.«

Der Angesprochene horchte auf, wandte den Blick aber zunächst nicht von den Kindern im Garten ab. Zu gebannt war er von dem, was draußen vor sich ging.

»Du weißt doch, wie schlecht die anderen zielen. Nachher trifft dich ein Foul Ball am Kopf.«

Dieses Mal nickte er. Mit Sport konnte er ohnehin nicht viel anfangen, solange es dafür kein Videospiel gab. Schnell waren die spielenden Kinder vergessen, als er sich umdrehte, auf den von Büchern umringten Mello zuging und sich neben ihn auf den Holzboden setzte.

»Was liest du gerade?«, fragte er neugierig.

»Shakespeares Hamlet.«

»War das ›Sein oder Nichtsein‹?«

Matt war etwas näher gerückt, hatte den Kopf auf Mellos Schulter gelegt und linste durch seinen Pony auf die Buchseiten. Shakespeare hatte ihn nie interessiert, auch wenn er seinem Freund gerne zuhörte, wenn er ihm aus den Dramen vorlas.

»Genau.« Mello nickte knapp, ehe er mit dem Daumen seine aktuelle Seite markierte und zurückblätterte. »Wobei ich die Stelle hier viel schöner finde: ›Das eigentliche Wesen des Ehrgeizes ist nur der Schatten eines Traumes‹«, zitierte er stolz, nachdem er die Seite gefunden hatte.

Als Mello auch nach einigen Augenblicken des Wartens nur mit Schweigen bedacht wurde, drehte er seinen Kopf ein wenig, um zu sehen, warum Matt nichts sagte. Der ernste Blick, den der andere ihm schenkte, überraschte Mello ein wenig.

»Was?« Er schluckte, wartete auf eine Antwort.

»Und was ist dein Traum?«

Zunächst wusste er nicht, was er darauf erwidern sollte, obwohl die Antwort offensichtlich schien. Er straffte die Schultern (Matt hatte sich mittlerweile vor ihn gesetzt) und räusperte sich.

»Eines Tages Ls Erbe anzutreten! Was denn sonst?!«

Matt zuckte gelassen mit den Schultern. »Das wird aber nicht passieren, wenn du nur hier sitzt und Shakespeare liest.«

»Deswegen werde ich ja auch bald von hier verschwinden!«

Mellos Stimme klang gereizt, harscher als von ihm beabsichtigt. Zwar wusste er, dass Matt ihn nicht verspotten wollte, aber er konnte sein Temperament nur schwer kontrollieren. Außerdem war der andere nicht empfindlich, war es noch nie gewesen.

»...du gehst?«, murmelte er geschockt, doch Mello störte sich nicht daran und blätterte seelenruhig die nächste Seite um, nachdem er sich ein paar Notizen gemacht hatte.

»Irgendwann bestimmt.«

»Wann ist ›irgendwann‹?«

»Irgendwann halt! Und jetzt nerv nicht, ich muss das hier fertig kriegen.«

Danach waren sie lange still. Matt sah sich desinteressiert im Raum um, verfluchte dabei innerlich den kleinen Near, der gestern seine Ladekabel versteckt und bisher noch nicht rausgerückt hatte. Wären nicht die Akkus all seiner Spielkonsolen leer, hätte er gezockt, während Mello arbeitete, aber so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu langweilen.

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis Mello Drama, Notizblock und Stift beiseite legte und sich ausgiebig streckte. Jetzt konnte Matt die Frage stellen, die ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge lag.

»Nimmst du mich dann mit?«

»Hä?« Mello hatte ganz vergessen, worüber sie gesprochen hatten, also wiederholte Matt die Frage noch mal ausführlicher.

»Nimmst du mich mit, wenn du gehst?«

Beiläufig mit den Schultern zuckend griff Mello nach dem nächsten Buch. »Schätze schon. Hast ja hier ohne mich eh nichts zu tun.«

»Versprochen?« Ehe er eine eindeutige Antwort bekam, wollte Matt nicht locker lassen. Nicht, dass Mello sich nicht über diese Hartnäckigkeit freute. Ein schwaches Lächeln stahl sich auf seine Lippen, denn gebraucht zu werden war ein schönes Gefühl.

»Ja, versprochen.«
 

Lügner.

Seit seiner ersten Nacht in Mellos temporärem Hauptquartier schlief er schlecht, und jeden Morgen erwachte er mit diesem Gedanken aus einer Kindheitserinnerung. Er musste keinen Psychologen fragen um zu wissen, was ihm diese Träume sagen wollten. Das wusste er schon lange, und so konnte er sie wenigstens leichter ignorieren.

Träge setzte er sich im Bett auf, rieb sich die Augen und versuchte das beklemmende Gefühl abzuschütteln, das diese nutzlosen Erinnerungen immer auslösten. Noch ehe er das Licht anschaltete, tastete er nach den mehr oder minder verheilten Wunden an seinem Körper. Sehr zu seinem Erstaunen hatte man ihm nicht mal eine Stunde, nachdem Mello davon gestampft war, einen Verbandskasten und ein paar Schmerzmitteln vorbeigebracht.

Vielleicht sollte er sich dafür bei Mello bedanken. Vielleicht sollte er überhaupt mal wieder mit ihm reden. Auch, wenn er schon fast zwei Wochen hier war, hatte er insgesamt mehr mit den Kriminellen gesprochen, die sein soziopathischer Freund angeheuert hatte, als mit diesem selbst. Da Mello sich allerdings auch nicht um ihn bemüht hatte, hielt sich Matts schlechtes Gewissen in Grenzen.

Was ihn hingegen minimal störte war, dass er nicht wusste, was um ihn herum geschah. Davon abgesehen, dass er Assassin’s Creed schon fünfmal durchgespielt hatte, konnte er hier weder Nachrichten schauen noch Zeitung lesen. Normalerweise tat er das auch nicht jeden Tag, aber gerade weil Mello ihn nicht in seine Pläne einweihte, wäre ein bisschen Abwechslung angenehm gewesen.

Matt musste schmunzeln. Abwechslung. Dafür würde er jetzt selbst sorgen.
 

Mello ausfindig zu machen war keine Herausforderung. Wie so oft saß er in dem Teil des Gebäudes, der wohl als Aufenthaltsraum dienen sollte (das war der Raum, in dem man ihm aus dem Sack geworfen hatte), aß munter Schokolade und ließ sich von seinen Schergen beweihräuchern. Der Anblick hatte etwas Vertrautes, denn so ähnlich hatte es damals in Wammy’s House auch ausgesehen.

Nur, dass es damals andere Genies waren, die um Mello herumstanden, und keine Kriminellen.

Als Matt leise den Raum betrat, war Mello gerade dabei, lautstark von seinem grandiosen Plan zu erzählen, zumindest vermutete er das. Etwas, das er sagte, jagte Matt jedoch einen Schauer über den Rücken.

»...dann entführen wir das dumme Gör und locken ihn aus der Reserve.«

Er wusste nicht, um welches Mädchen es ging oder wen er mit diesem Plan austricksen wollte. Alles, was ihm in diesem Moment durch den Kopf ging war die Tatsache, dass Mello eine unschuldige Person, noch dazu ein Kind in etwas hineinziehen wollte, dem nicht einmal Erwachsene ausgesetzt sein sollten.

»Du willst ein Kind entführen?«

Er war nähergekommen, stand nun direkt vor der Couch, auf der Mello sich beinahe schon räkelte. Niemand hatte ihn bis jetzt bemerkt, manche kannten ihn gar nicht, und so griffen einige der Schergen automatisch nach ihren Waffen.

Mit einer Handbewegung bedeutete Mello ihnen, dass sie gehen sollten, und obwohl die meisten Matt wohl lieber verprügelt hätten anstatt den Raum zu verlassen, leisteten sie seinem Befehl ohne zu murren Folge.

In einer anderen Situation, mit einer anderen Vorgeschichte hätten ihn das tief beeindruckt. Nun wusste Matt nicht so recht, ob er Mello angewidert oder verächtlich ansehen sollte für das, was er ganz offensichtlich vorhatte.

»Unwichtige Details. Damit musst du dich nicht belasten«, winkte Mello ab, wollte die Angelegenheit entweder runterspielen, um ihn nicht unnötig aufzuregen, oder er empfand das Ganze wirklich als nichtig. Er wartete, bis sein Gegenüber sich aufrecht hingesetzt hatte und ihn ansah, ehe er fragte: »Und wenn ich will?«

Für einen Augenblick sah Mello ihn stumm an. »Dann will ich es anders sagen«, seine Hand wanderte zu der Pistole, die an seiner Hüfte ruhte, »damit hast du dich nicht zu beschäftigen.«

Matt blieb davon unbeeindruckt. Bereits in ihrer gemeinsamen Vergangenheit hatte Mello ihn bedroht, es aber niemals ernst gemeint.

»Du willst ein unschuldiges Kind mit in die Sache ziehen?«, fragte er skeptisch und fixierte sein Gegenüber mit einem unnachgiebigen Blick. Mello grummelte, biss ein großes Stück Schokolade ab und antwortete, nachdem er gekaut und geschluckt hatte: »Im Kampf um die Gerechtigkeit sind Opfer von Nöten, Matt. Das weißt du genauso gut wie ich.« Darum ging es ihm?

»Gerechtigkeit...?« Matt legte die Stirn in Falten, konnte und wollte nicht glauben, was der andere ihm verständlich zu machen versuchte.

»Ja, Gerechtigkeit. Kira muss aufgehalten werden, also—«

»Nichts ist naiver als der Glaube an die sogenannte Gerechtigkeit.«

»Was?«

Damit hatte Mello nicht gerechnet. Für jemanden, der wie sie in Wammy’s House aufgewachsen war, war es fast schon ein Tabu, die Existenz von Gerechtigkeit und daraus folgend auch die Existenz einer gerechten Strafe anzuzweifeln.

»Es gibt keine Gerechtigkeit. Allein der Wunsch nach ihr ist albern«, wiederholte Matt ruhig, was Mello jedoch nur ein tiefes Knurren entlockte, ehe er antwortete. Zumindest die Möglichkeit sich zu erklären wollte er seinem Freund lassen.

Als Matt diese Chance jedoch nicht nutzte, schüttelte Mello kurz den Kopf und fragte höhnisch: »Es soll also keine Gerechtigkeit auf dieser Welt geben?«

Sein Gegenüber ignorierte den provozierenden Unterton. Er wollte sich nicht darüber streiten, nicht über ein Thema, zu dem sie beide so unterschiedliche Ansichten hatten. Sie wussten, dass keiner die Meinung des jeweils andere als richtig erachten würde, egal wie gut ihre Argumente waren. Darüber zu diskutieren würde zu nichts führen.

Also gab Matt nach, wie so oft. »Wenn du daran glauben magst, steht dir das selbstredend frei. Ich für meinen Teil kann das nicht glauben.« Nicht mehr.

»Ich würde zu gerne sehen, wie du das Opfern von Verbrechen ins Gesicht sagst.« Jetzt wurde er sarkastisch. Das tat Mello immer, wenn er nicht wusste, wie er antworten sollte und stattdessen versuchte, Zeit zu schinden.

»Gehen wir mal davon aus, dass du recht hast und diese Welt gerecht ist«, wollte Matt ihm einen kleinen Denkanstoß geben, »Ist Gnade dann nicht besser als Gerechtigkeit?«

Doch Mello stöhnte nur genervt auf. »Von welchem schlauen Philosophen hast du das denn jetzt schon wieder?«, maulte er, während er sich die Schläfen rieb. »Jetzt überleg doch mal. Kira ist ein manischer Serienkiller mit Gottkomplex. Individuen wie er müssen gestoppt werden.«

Nicht im Geringsten überzeugt hob Matt eine Augenbraue. »Indem du zu ebenso niederen Methoden greifst wie er?«

»Herr Gott noch mal, du benimmst dich so, als ob ich das Rotzbalg sofort abknallen würde!«

»Würdest du?«

»Was?!«

Beinahe vor Wut schäumend sah Mello ihn entgeistert an. So sehr Matt auch versuchte sich einzureden, dass der andere ihm keine Angst einjagte, wenn er wie ein in die Ecke gedrängtes Tier vor ihm saß und dazu bereit war, sich jederzeit auf ihn zu stürzen oder seine Waffe zu ziehen, wusste er nur zu gut, dass das eine Lüge war. Dennoch hielt er seine ruhige Fassade aufrecht.

»Würdest du das Kind töten, wenn es dich deinem Ziel näher bringen würde?«

Anfangs sah Mello ihn weiterhin misstrauisch an, dann beruhigte er sich etwas und schwieg. Der gehetzte Ausdruck verschwand aus seinem Blick, als er zu einer Erklärung ansetzte: »Matt, hör zu, es geht darum, dass ich das, was L begonnen hat, beenden kann. Kira muss gestoppt werden.«

»Koste es, was es wolle.« Es war viel mehr eine Feststellung als eine Frage, die Mello mit einem knappen Nicken quittierte. Für gewöhnlich hätten sie sich jetzt so lange ein Blickduell geliefert, bis einer von ihnen nachgegeben hätte, aber darauf war Matt jegliche Lust vergangen. Er seufzte lautlos, drehte sich um und wollte wieder zurück zu seinem Zimmer gehen, doch Mellos Stimme ließ ihn kurz innehalten.

»Heißt das, wir verfolgen nicht das gleiche Ziel?«

»Es heißt, dass der Zweck für mich nicht die Mittel heiligt.«

Ohne seinem Freund noch einen weiteren Blick zuzuwerfen, straffte Matt die Schultern und setzte sich wieder in Bewegung. »Viel Erfolg, Mello. Pass nur auf, dass du dich nicht umbringen lässt.«
 

Zu gerne hätte er das Gesicht des anderen gesehen, hätte gerne gewusst, ob für Mello seine sogenannte Gerechtigkeit mehr wert war als sein eigenes Leben. Nicht, dass es etwas ändern würde, zumindest für ihn nicht.

Es schmerzte ihn, seinen Freund einfach so zurückzulassen, besonders nachdem sie sich gestritten haben. Dachte er an ihre Kindheit zurück, war nie etwas Gutes dabei rausgekommen, wenn einer von ihnen den anderen nach einer Meinungsverschiedenheit mit sich allein gelassen hatte. Derjenige, den der Streit mehr verletzt hatte, hatte am Ende immer etwas Dummes angestellt.

Fast hätte er gelacht. Sie waren mittlerweile alt genug um zu wissen, was sie sich zutrauen konnten und was nicht. Und selbst wenn nicht, würde es Matt nicht so aufwühlen wie früher, wenn Mello die Konsequenzen für sein Handeln tragen musste.

Redete er sich ein. Weil Matt es nicht hatte ertragen können, damals von Mello allein gelassen zu werden. Er gab es ungern zu, aber für ihn war Mello immer eine Lichtgestalt gewesen. Jemand, der heller und stärker leuchtete als er selbst und jede Finsternis verscheuchen konnte. Jemand, der ambitionierter war als er, der mehr erreichen konnte, weil er zu Höherem berufen war, und Matt war ihm gerne gefolgt.

Heute hatte er feststellen müssen, dass Mello in besagter Finsternis ebenso heimisch war wie ein gewöhnlicher Krimineller.

Und ohne seine Lichtgestalt, die ihn selbst im Licht gehalten hatte, blieb Matt nichts anderes übrig, als genauso hinab in die Dunkelheit zu fallen wie sein Freund.

Ironischerweise fand er noch Gefallen an dem Gedanken, dass sie wenigstens gemeinsam im Dunkeln verrotten konnten.



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