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Philosopher's Game

Wichtelgeschichte für Kekune
von

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page. 3 | Critical Hit

Nachdem Mello gestern Abend gegangen war, um seinen Plan in die Tat umzusetzen, hatte Matt ihn nicht mehr gesehen. Zugegeben, er hatte seitdem sein Zimmer nur zum Essen verlassen, aber der andere hätte sich ruhig von ihm verabschieden können.

So konnte er nicht viel mehr tun als auf seinem Bett zu liegen und nachzudenken. Dummerweise endete das immer darin, dass er sich (wenn auch schweren Herzens) dazu entschied, sich bei Mello zu entschuldigen, selbst wenn es eigentlich nicht seine Schuld war. Dabei hatte er nicht einmal was dagegen, sich mit anderen zu streiten, ganz im Gegenteil. Ein angeregter Streit war für ihn manchmal etwas ziemlich Angenehmes. Er wollte sich nur nicht mit Mello streiten, das war alles.

Seufzend schloss er die Augen für einen Moment, ehe er aufstand und sich auf den Weg machte. Am klügsten wäre es wohl, direkt vorm Eingang zu warten, dann würde er Mello nicht verpassen. Dann wiederum würde ihn das wie einen Hund wirken lassen, der auf die Heimkehr seines Herrchens wartete, und mit diesem Bild konnte Matt sich nicht im Geringsten anfreunden.

Also entschied er sich letzten Endes dafür, im improvisierten Aufenthaltsraum zu warten, bis Mello entweder triumphal hineingestürmt kam oder schmollend an ihm vorbeizog, weil sein Plan nach hinten losgegangen und er so weit wie vorher war.

Welcher Anblick ihn schließlich erwarten würde, wäre Matt im Traum nicht eingefallen.
 

Es dauerte ungefähr zwei Stunden und siebenundvierzig Minuten, bis etwas geschah. Beinahe gleichzeitig krachte die Eingangstür auf, ein halbes Dutzend Männerstimmen schrie auf mindestens drei verschiedenen Sprachen wild durcheinander, Gegenstände fielen laut zu Boden und über dieser Geräuschkulisse hörte man dennoch Mello, der mit gebrüllten Befehlen versuchte, seine Schergen zur Ruhe zu bringen.

Matt, der zuvor ein wenig gedöst hatte, war mit einem Mal hellwach, sprang aus dem zerschlissenen Sessel und blieb erst einmal unschlüssig stehen. Anscheinend wusste bis auf Mello niemand, was gerade vor sich ging, und er wollte sich ungern zwischen all die Kriminellen mit ihren Waffen begeben um mit eigenen Augen zu sehen, was geschehen war.

Also wartete er angespannt, den Blick starr auf den Gang gerichtet, der diesen Raum mit dem Eingang verband. Die Stimmen kamen näher, obwohl sie mittlerweile schon um Einiges leiser waren.

Dann setzte Mello den ersten Schritt in den Raum, und Matts Atem stockte. Fast das gesamte Gesicht ebenso wie die Haare des anderen waren blutverschmiert, die Kleidung an den meisten Stellen zerrissen und dreckig. Obwohl er sein Möglichstes tat, aufrecht zu gehen, konnte Matt sehen, wie schwer es seinem Freund fiel, nicht vor seinem Gefolge ohnmächtig zu werden.

Schwäche war nicht gestattet. Selbst wenn man sie das nicht in Wammy’s House gelehrt hätte, würde Mello sich danach richten.

Als Mello ihn endlich wahrnahm, blieb er abrupt stehen, die Augen vor Schock geweitet (soweit er das unter all dem Blut richtig erkannte). Beiden kam es so vor, als würde die Zeit langsamer verstreichen als üblich; die Geräusche klangen nur noch dumpf an ihre Ohren, die anderen Männer bewegten sich langsamer und träge.

Nach ungezählten Augenblicken fand Matt seine Stimme wieder. »Was ist passiert?«

Darauf schnalzte Mello mit der Zunge, sah zur Seite und machte den anderen Männern im Raum mit einem bedrohlichen ›Verschwindet!‹ klar, dass er sie in nächster Zeit nicht mehr sehen wollte.

Sobald sie allein waren, wankte er auf die Couch zu und sagte an Matt gewand: »Nichts.«

Dieser konnte nicht fassen, was der andere ihn glauben machen wollte. »Nichts?! Du siehst aus, als o—«

»Es ist nicht so gelaufen wie geplant, okay? Herr Gott, was muss ich...«

Seine Stimme wurde immer leiser, die Worte immer unklarer, bis schließlich seine Augenlider flatterten und er bewusstlos zur Seite kippte. Sofort war Matt bei ihm, drehte ihn mit zitternden Händen auf den Rücken und wollte gerade mit Erste-Hilfe-Maßnahmen anfangen – bis ihm einfiel, dass er gar nicht wusste, was zu tun war.

»Sei mir nicht böse, wenn’s am Ende nur unzureichend behandelt ist, Kumpel«, murmelte er mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen, als er sich Mellos Arm um die Schulter schlang und sich auf den Weg zu dessen Zimmer machte.
 

Leise stöhnend erwachte Mello, nur um sich wenig professionell in Bandagen eingewickelt zu finden. Sein Kopf dröhnte, hinter seinem linken Auge pochte es unangenehm und seine rechte Körperhälfte lag tiefer als die andere, weil irgendein Gewicht auf seine Matratze drückte.

»Endlich bist du wach!« Der Druck zu seiner Rechten ließ nach, dafür schrie ihm nun jemand ins Ohr. Wenigstens musste er sich jetzt nicht mehr fragen, wo Matt war.

Träge öffnete Mello die Augen, blickte in das besorgte Gesicht seines Freundes, der sich über ihn gebeugt hatte und ziemlich hilflos aussah.

»...Scheiße. Hast du etwa geheult?«

»Q-quatsch!«

Hastig rieb Matt sich über die Augen und sah zur Seite, doch Mello wusste genau, was er gesehen hatte. Er gab es nicht gern zu, aber ein Teil von ihm – der Teil, der damals Wammy’s House nicht hatte verlassen wollen – war glücklich zu wissen, dass der andere sich immer noch um ihn sorgte. Nicht, dass er ihm das sagen würde. Matt war ein schlaues Köpfchen, er würde schon von selbst darauf kommen.

»Wie hast du mich eigentlich bandagiert, du Schwachkopf?«, murrte Mello, als er sich aufsetzte und seinen Körper abzutasten versuchte. Matt schnaubte nur abfällig.

»Oh entschuldige, dass ich mich niemals mit Erster Hilfe beschäftigt habe.« Der Sarkasmus in seiner Stimme war kaum zu überhören, aber Mello würde da gar nicht drauf eingehen.

»Wie lange sind wir schon befreundet?« Anklagend zeigte er mit dem Finger auf Matt, ignorierte dabei geflissentlich, dass er auf dem linken Ohr kaum hörte. »Du hättest wissen müssen, dass ich irgendwann mal deine Hilfe brauche, was das angeht.«

Entgegen seiner Erwartungen lächelte Matt darauf. »Hätte ich wohl.«

Nur mit größter Mühe konnte er sich davon abhalten, ebenfalls zu lächeln. Stattdessen schloss er die Augen, verschränkte die Arme vor der Brust und nickte.

»Schön, dass du das einsiehst.«
 

Dieser Zwischenfall hatte etwas verändert.

Etwas an der Art, wie sie miteinander umgingen war anders, war wieder mehr wie damals, als sie noch ihre Kindheit miteinander verbracht hatten. Sie lachten gemeinsam, nicht nur über den anderen, und verbrachten fast den ganzen Tag zusammen, was vielleicht auch daran lag, dass Mello bei einigen Tätigkeiten noch Unterstützung brauchte.

Es war wie früher. Und das war es, was Matt ängstigte.

Trotzdem riss er sich zusammen, als er die Tür zu Mellos Zimmer hinter sich schloss und seinem Freund zur Begrüßung kurz zunickte. Heute würden sie ihm den Verband vom Gesicht nehmen und schauen, wie gut die Verletzung nach den letzten Wochen verheilt war.

Mello wartete schon ungeduldig auf seinem Bett und bedeutete Matt mit einem Blick, der keine Widerworte zuließ, dass er endlich seinen Arsch zu ihm schieben und an die Arbeit gehen sollte.

Seufzend leistete Matt der stummen Aufforderung Folge, ging auf den anderen zu und wickelte langsam die Bandagen ab. Als er die Narbe sah, die fast die gesamte linke Seite von Mellos Gesicht einnahm, sog er scharf die Luft ein.

»Sieht schlimm aus, was?« Mello lächelte, doch Matt wusste, dass ihn seine Reaktion verletzt hatte. Er wollte sich entschuldigen, doch der andere fuhr fort: »Du hast eh immer gesagt, ich wäre ein Kinderschreck.«

Sofern ihn diese Erkenntnis traf, zeigte er es nicht. Mello hatte schon immer großen Wert darauf gelegt, dass er der Einzige war, der über seine Gefühle bescheid wusste. Seiner Meinung nach gingen diese andere Menschen nichts an.

Matt war nie so gewesen. Er hatte weder das Durchhaltevermögen, seine Emotionen immer unter Kontrolle zu halten, noch das Verlangen, seine Freunde im Dunkeln darüber tappen zu lassen, wie es ihm ging.

Deswegen setzte er sich neben Mello aufs Bett und fuhr sanft mit den Fingern seiner rechten Hand über die unebene Haut im Gesicht seines Freundes.

»Ich finde deine Narbe schön.«

Sie war ein Zeichen dafür, dass der andere gelernt hatte. Dass er eine Herausforderung angenommen hatte und gescheitert war. Für ihn waren Menschen am schönsten, wenn sie von Narben gezeichnet waren, in denen er lesen konnte, was derjenige in seinem Leben hatte erfahren müssen.

Erst zuckte Mello zurück, doch er entspannte sich schnell. Schließlich wusste er, dass Matt nicht log. Das war einer der Gründe, aus denen sie immer noch befreundet waren.

Als Matt seine Hand wieder zurückzog, begann Mello zu lachen. »Eigentlich musst du das doch ziemlich lustig finden.« Fast schon amüsiert schaute er den anderen an. »Das habe ich nun davon, dass ich Gerechtigkeit wollte.«

Sie hielten den Blickkontakt lange aufrecht, bis Matt den Kopf senkte. »Gerechtigkeit kann auch töten.«

›Sei froh, dass du noch lebst‹ war der Nachsatz, der ungesagt zwischen ihnen stand.

Eine Weile saßen sie nur stumm nebeneinander. Irgendwann fing Mello an, mit dem Rosenkranz zu spielen, der um seinen Hals hing. Es war der Gleiche, den er auch in Wammy’s House immer versteckt unter seinem Shirt getragen hatte.

»Warum trägst du das Ding immer noch?« Matt war aufrichtig erstaunt darüber. Nach allem, was Mello in den Jahren seiner Abwesenheit getan haben musste, erschien es ihm furchtbar ironisch, dass er diesen Rosenkranz so öffentlich trug.

»Modeschmuck«, war die einsilbige Antwort.

Doch Matt wusste es besser. Sie hatten auch früher nicht viel über ihre individuellen Vergangenheiten gesprochen, aber ein Tag ist ihm im Gedächtnis geblieben. Es war im Dezember gewesen, kurz vor Mellos Geburtstag. Er hatte schon den ganzen Tag auf ihrem gemeinsamen Zimmer verbracht, und auch wenn das nichts Ungewöhnliches war, hatte Matt sich Sorgen gemacht. Also hatte er nach ihm gesehen.

Anfangs wollte Mello ihm nicht erzählen, warum er leise schluchzend auf dem Bett saß, während der Rosenkranz am anderen Ende des Raumes am Boden lag, weil er ihn wütend gegen die Wand geworfen hatte. Nachdem Matt ihm jedoch einige Minuten still Gesellschaft geleistet hatte, erzählte er ihm, was ihn beschäftigte.

Er erzählte von seiner Familie, vor allem von seiner Mutter, die ein sehr gläubiger Mensch gewesen war. Als er noch jünger gewesen war, hatte Mello auch an Gott geglaubt, doch als er sehr früh seine Eltern verloren hatte, konnte und wollte er das nicht mehr.

In seinen Augen hatte dieser ominöse Gott ihn enttäuscht, obwohl er ihn verzweifelt um Hilfe gebeten hatte. Den Rosenkranz, so hatte er damals zugegeben, trug er nur noch, weil er die einzige Erinnerung an seine Mutter war und ihm Halt gab.

»Ich kann nicht gläubig sein.«

Fast hätte Matt überhört, dass Mello mit ihm sprach. »Warum nicht?« Interessiert beobachtete er, wie sein Gegenüber von dem Rosenkranz abließ, den Kopf in den Nacken legte und an die Decke starrte, so als schwebten dort oben die Antworten auf all seine Fragen.

»Um für den Glauben Platz zu schaffen, müsste ich erst mein Wissen aufgeben.«

Das ließ ihn aufhorchen. Seit wann beschäftigte sein Freund sich denn so intensiv mit Immanuel Kant, dass er ihn zitieren konnte? »Das könnte ich nicht.« Denn es war sein Intellekt, der Mello zu dem Menschen machte, der er war. Zumindest glaubte er das. Matt konnte darüber nur den Kopf schütteln.

»Wovor hast du Angst?« Davor, einsam zu sein. Matt wusste das, weil sie sich diese Angst teilten. Jeder, der seine Kindheit in Wammy’s House verbracht hatte, tat das. Mello machte sich nicht die Mühe darauf zu antworten, hielt er es doch für eine rhetorische Frage.

»Einsamkeit ist das Los aller hervorragenden Geister«, meinte Matt nach einiger Zeit. Das war von Arthur Schopenhauer, aber er ging nicht davon aus, dass sein Freund das wusste. Wie erwartet lachte er nur traurig darauf, ließ den Kopf wieder hängen. Während Matt diese Unaufmerksamkeit nutzte, um ein wenig näher zu rutschen, fuhr Mello so lange mit seiner linken Hand über die Bettdecke, bis sie Matts berührte.

»Ironischerweise kommt all unser Leid jedoch daher, dass wir nicht allein sein können«, erklärte er weiter und beobachtete Mellos Reaktion. Dieser schnaubte kurz, schüttelte den Kopf und legte seine Hand auf Matts.

»Bist du wieder schlau heute.« Aber da war nichts Anklagendes in seiner Stimme. Stattdessen seufzte er laut, drückte die Hand seines Freundes und warf ihm einen wehmütigen Blick zu.

»Zusammengefasst heißt das für uns beide also, dass wir einen Heidenschiss davor haben, allein zu sein. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass Genies nichts anderes können, als allein zu sein.«

Darauf nickte Matt, war zunächst zu abgelenkt von dem warmen Gefühl von Mellos Hand auf seiner. Zögerlich biss er sich auf die Unterlippe, überlegte fieberhaft, ob er seinen nächsten Gedanken aussprechen sollte oder nicht. Er redete sich ein, dass er nichts zu verlieren hatte (eine schamlose Lüge) und atmete einmal tief durch.

»Was wäre, wenn zwei Genies sich zusammentäten, um nicht allein zu sein?« Dabei warf er Mello einen vielsagenden Blick zu, von dem er hoffte, dass sein Freund ihn richtig zu deuten wusste. Als er den Ausdruck in den dunklen Augen sah, wusste er allerdings, dass er sich keine Sorgen machen musste, falsch verstanden zu werden.

Grinsend legte Mello ihm einen Arm um die Schulter und zog ihn näher, bis sich ihre Nasenspitzen fast berührten. »Manchmal hast du ja doch ganz gute Ideen«, murmelte er gegen Matts Lippen, ehe er den letzten Abstand zwischen ihnen überwand und ihn gierig küsste.

Unfähig zu reagieren saß Matt erst einmal nur da, bis endlich seine Instinkte die Zügel in die Hand nahmen, er seine Hand in Mellos Nacken legte und den Kuss eifrig erwiderte.

Ihre Problembewältigung würden sie wohl auf ein anderes Mal verschieben müssen.



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