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Zeitlos -♠-

100 Storys -1-
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Zerbrechlich

Da saß ich also, auf dem Thron, der mir rechtmäßig zustand. Ich, der berühmte Jean Stath auf dem Thron, der mir die Macht zusprach, das ganze Königreich zu regieren. Auf meinem Haupt die gläserne Krone der Unsterblichkeit. Doch anstatt mich zu freuen, zerbrach ich innerlich. Nie hatte ich dieses Leben gewollt, nicht eine einzige Sekunde in meinem Leben. Und niemand wollte mich hier. Nicht einer meiner Untertanen wollte mich auf ihrem Thron. Ich war kein Herrscher und sie wussten es. Was hatte denn jemand wie ich auf diesem Platz zu suchen? Was sollte jemand wie ich mit all dieser Macht?

Stillschweigend saß ich also da und starrte geradeaus. Mein Blick war steif auf den Thronsaal gerichtet, doch ich sah ihn nicht. Vielmehr hatte ich mich in meinen Gedanken verloren, in meinen wunderbaren Erinnerungen an die Zeit, bevor ich mich entschloss, zurückzukommen und meinen rechtmäßigen Platz an der Spitze einzunehmen. Ich war niemals dafür bestimmt, an einem Ort zu bleiben. Nein, ich war fürs Reisen geboren und nicht um zu regieren.

Meine langen, filzigen, braunen Haare hingen mir die Schultern hinunter. Sie passten genauso wenig an diesen Ort, wie ich. Die gläserne Krone gehörte nicht zu mir. Vielleicht hatte sie zu meinem ehrenwerten Vater gehört, aber zu mir nicht. Ich war ein freier Mann. Ein freier Mann auf der Flucht vor seinem eigenen, königlichen Blut.

Ich senkte meinen Kopf.

»Euerer Hoheit beliebt es nicht nach einem Lächeln?«, sprach mich plötzlich Lotani, der Hofnarr, an, während er mit seiner Glockenmütze vor mir herumtanzte.

»Nein, Lotani. Mir ist nicht nach einem Freudensprung.«

Er verzerrte sein Gesicht zu einer Grimasse, doch ich starrte einfach an ihr vorüber und träumte vor mich hin. »Düngt es Euch nach einem Festmahl, mein König?«

Nein, ich wollte kein Festmahl. Ich konnte diese Verschwendung von Nahrung nicht gut heißen, also wollte ich sie selbst auch nicht begehen.

Lotani verschränkte die Arme vor der Brust und sah mir in die Augen. »Mein Herr, wenn ihr erlaubt?« Ich nickte kurz und er fuhr fort: »Eure Augen sprechen Trauer. Verzeiht, Euer Hoheit, aber ihr wirkt niedergeschlagen.« Da hatte er recht. Das war ich in der Tat. Ich nahm die Krone von meinem Haupt und fuhr mir mit der Hand durch meine filzigen Haare. Ich war neunzehn Jahre und hatte alle Macht der Welt. Doch wie diese gläserne Krone war auch mein Innerstes zu Glas erstarrt.

»Euer Hoheit? Kann ich Euch irgend behilflich sein?«

»Nenn mich nicht so Lotani. Spar dir deine Höflichkeiten für einen richtigen König.«

»Ihr seid doch der König, Herr.«

Ich begann zu lächeln, doch meine Augen blieben trüb. »Nein, Lotani. Ich bin kein König. Vater war einer, vielleicht auch Großvater, aber nicht ich. Ich bin Pirat, aber niemals ein Herrscher.« Ja, ich war nicht nur ein gottloser Pirat, sondern auch noch der Kapitän eines großen Schiffes. Auf meinen Kopf waren schon einige Goldmünzen ausgesetzt und ein Gesuchter, wie ich, war kein König. Und ich wusste, dass ich auch niemals ein König sein würde, egal wie königlich mein Blut auch war. »Weißt du, Lotani?«, besänftigte ich den nun verwirrten Hofnarren, »Ich brauche meine Freiheit. Das hier ist kein Ort für mich.« Sehnsuchtsvoll blickte ich hinauf in den Himmel, der von der Decke des Saals verdeckt wurde. Doch ich hatte das Gefühl, das Blau des unerreichbaren Himmels sehen und spüren zu können. Mir war mehr als nur bewusst, dass jeder weitere Tag auf diesem Thron ein weiterer Tag in meinen Käfig aus Glas war. Die gläserne Krone war der erste Baustein zu diesem Käfig gewesen und auch mein Innerstes war bereits erobert. Doch weiter sollte es nicht kommen.

Schwerfällig richtete ich mich auf. Ich wollte keine Festmähler mehr, keine Narren, keine Bitten der Bauern und keine Macht. Ich wollte nur dieses unendliche Glas loswerden. Noch einmal sah ich die Krone in meiner Hand an. Mein Vater hätte nicht gewollt, dass es so käme.

»Wo wollt Ihr denn hingehen, Euer Majestät?«, fragte Lotani mit gesenktem Kopf.

»Ich gehe nach Hause, mein Freund«, entgegnete ich und ließ die Krone zu Boden fallen. Mit einem lauten Klirren zersprang sie in tausende und abertausende Splitter.

Dann verließ ich den Königssaal und setzte meinen Weg neu. Dieses Mal war ich mir sicher, dass es das war, was ich wollte: Ein Leben als gesetz- und gottloser Pirat.

Das Glas glänzte noch einen Moment lang und versuchte seine Schönheit preiszugeben, doch von der Krone waren nur noch scharfe Splitter geblieben, die nur noch existierten, damit sich jemand daran schnitt. Doch mich, mich sollte sie niemals mehr schneiden und mein innerstes vergiften.

Niemals.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  _-THE_JOKER-_
2012-08-07T15:50:41+00:00 07.08.2012 17:50
Oh ich mag ihn,
der ist schon ein echt cooler Pirat.
Wie ich mich eben totlachen musste, als die anfingen mit: Mich düngt..
Da bin ich fast vom Stuhl gefallen.
Das er die Krone kaputt macht finde ich übrigens schade, es ist zwar ein tolles Sinnbild, aber wenn er Pirat ist hätte er sie auch stehlen und behalten können, er hätte ja auch noch mal in die Schatzkammer gehen können, aber ich versteh schon, das wär einfach, zu einfach für ihn. Ich wette er kommt nochmal vorbei wenn alles bewacht ist.
Du hast seine Trauer und Sehnsucht nach der Freiheit und dem Piratsein wirklich gut beschrieben und ich finde es auch toll, dass du ihn hier als gefangenen bezeichnest. Obwohl er der Herrscher hat er keinen freien Willen, da wo er ist und deshalb folgt er seinem Herzen, das ist ja fast schon romantisch.
Übrigens, dass er filzige Haare hat war ja so klar XD ich weiß schon wo du das weg hast.
Alles in allem gelungene Story.
Weiter so.
lg joker

Von:  DemonhounD
2012-05-02T16:11:02+00:00 02.05.2012 18:11
Interessante Geschichte. Könnte glatt irgendwo nach dem Höhepunkt einer längeren Fantasygeschichte stehen. - Als Kurzgeschichte allerdings ist mir das Ende etwas zu vorhersehbar. Da fehlt irgendwie das "Peng!", wenn du verstehst, was ich meine.
Vom Schreibstil her finde ich dies hier allerdings unglaublich gut und der Name "Lotani" für den Narren hat es mir extrem angetan.

Ein paar unbedeutende Schreibfehler:

nicht eine einzige Sekunde in meinem Leben. Und niemand wollte mich hier.
(...in meinem Leben und niemand...)

»Euer Hoheit? Kann ich Euch irgend behilflich sein?«
(Meintes du "irgendwie"?)

»Nenn mich nicht so Lotani.
(Nenn mich nicht so, Lotani.)

Doch mich, mich sollte sie niemals mehr schneiden und mein innerstes vergiften.
(...mein Innerstes...)
Von:  w-shine
2011-05-18T17:48:01+00:00 18.05.2011 19:48
Hey ^_^

Vorne weg: Ich mag deinen Schreibstil – er sagt mir wirklich zu.
Du hast das Gefühl des Gefangenseins von Jean wirklich gut eingefangen. Die Kleinigkeiten, wie die Ablehnung von Festmählern etc. waren gut gewählt und unterstreichen das transportierte Gefühl.
Der Satz „Ein freier Mann auf der Flucht vor seinem eigenen, königlichen Blut.“ hat mir besonders gut gefallen, eben weil man seiner Herkunft nur schwer entfliehen kann. Und die Zerstörung der Krone, als Befreiung von seinem Schicksal – toll!
Ich weiß nicht, ob die Aussage „gläserne Krone der Unsterblichkeit“ noch in der Hauptgeschichte genauer erläutert wird (vielleicht schau ich da mal irgendwann vorbei ;)), weil ich ansonsten den Zusammenhang nicht ganz verstehe. Auch das „unendliche Glas“ fand ich etwas merkwürdig. Außerdem hätte es für mich ohne den vorletzten Abschnitt – glaube ich – besser gewirkt. Mich stört der Satz irgendwie (ist nur so ein Gefühl…^^).
Aber das nur ganz kleine Kleinigkeiten und insgesamt hat mir die Story wirklich gut gefallen: Sie liest sich gut und die Stimmung bringst du wirklich toll rüber.

Liebe Grüße,
Shine
Von: abgemeldet
2011-04-23T13:27:54+00:00 23.04.2011 15:27
Oh das ist eine sehr schöne Geschichte.
Ich könnte mich jetzt in psychoanalysen ergehen, aber dazu fehlt mir heute leider etwas die Zeit und innere Ruhe.
Ich hoffe, du verzeihst mir das!
Ich finde das Thema allgemein sehr gut und interessant umgesetzt und ich werde ganz bestimmt die geschichte dazu suchen gehen :) um mehr von dem jungen Mann zu erfahren.

Eine gläserne Krone ist etwas, was ich bisher noch nicht kannte ( bekommt er keinen Ärger, wenn er dieses wertvolle Teil zerbricht? Sein Nachfolger wird nicht glücklich sein, was hatte es mit der Unsterblichkeit auf sich?)
aber die zerstörung der verhassten Krone als Akt der Befreiung, ist ein schönes Element und passt sehr gut in die Geschichte.
Mehr davon

Von:  Trollfrau
2011-02-24T09:01:01+00:00 24.02.2011 10:01
Gleich zu allererst möchte ich loswerden, dass du das genannte Thema auf eine sehr interessante Art und Weiße in die Geschichte hast einfließen lassen. Finde ich sehr gelungen.
Einen Teil einer anderen Geschichte von dir hier einfließen zu lassen, hat mich wohl auf diese nun hungrig gemacht. Dein Schreibstil trägt seinen Teil dazu bei.
Ziel erreicht, würde ich meinen. ^^
Wenn ich ehrlich sein soll, tut mir dieser Piratenkönig schon fast ein bisschen leid. In dieser wichtigen und doch gefangenen Position zu sitzen, würde wohl an so einiger Leute Nerven zehren. Ich würde diesen Posten wohl auch nicht wollen, wobei ich ja nicht weiß, weshalb er den Thron bereits in so jungen Jahren erhalten hat. Wie gesagt, kenne ich die Fanfic ja noch nicht.
Eine Sache hätte ich jedoch zu bemängeln. Die Krone zerbricht? War diese auch aus Glas? Wenn nicht, können von dieser lediglich ein paar Teile abgebrochen sein. Diese Dinger waren aus Metall und logischerweise geschmiedet. Das war damals noch Wertarbeit. So ein Teil sollte schon ein bisschen mehr aushalten, zumal sie der König bei den Schlachten ja hin und wieder sogar trug.

LG Trollfrau
[FCY]


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