Zerbrechlich
Da saß ich also, auf dem Thron, der mir rechtmäßig zustand. Ich, der berühmte Jean Stath auf dem Thron, der mir die Macht zusprach, das ganze Königreich zu regieren. Auf meinem Haupt die gläserne Krone der Unsterblichkeit. Doch anstatt mich zu freuen, zerbrach ich innerlich. Nie hatte ich dieses Leben gewollt, nicht eine einzige Sekunde in meinem Leben. Und niemand wollte mich hier. Nicht einer meiner Untertanen wollte mich auf ihrem Thron. Ich war kein Herrscher und sie wussten es. Was hatte denn jemand wie ich auf diesem Platz zu suchen? Was sollte jemand wie ich mit all dieser Macht?
Stillschweigend saß ich also da und starrte geradeaus. Mein Blick war steif auf den Thronsaal gerichtet, doch ich sah ihn nicht. Vielmehr hatte ich mich in meinen Gedanken verloren, in meinen wunderbaren Erinnerungen an die Zeit, bevor ich mich entschloss, zurückzukommen und meinen rechtmäßigen Platz an der Spitze einzunehmen. Ich war niemals dafür bestimmt, an einem Ort zu bleiben. Nein, ich war fürs Reisen geboren und nicht um zu regieren.
Meine langen, filzigen, braunen Haare hingen mir die Schultern hinunter. Sie passten genauso wenig an diesen Ort, wie ich. Die gläserne Krone gehörte nicht zu mir. Vielleicht hatte sie zu meinem ehrenwerten Vater gehört, aber zu mir nicht. Ich war ein freier Mann. Ein freier Mann auf der Flucht vor seinem eigenen, königlichen Blut.
Ich senkte meinen Kopf.
»Euerer Hoheit beliebt es nicht nach einem Lächeln?«, sprach mich plötzlich Lotani, der Hofnarr, an, während er mit seiner Glockenmütze vor mir herumtanzte.
»Nein, Lotani. Mir ist nicht nach einem Freudensprung.«
Er verzerrte sein Gesicht zu einer Grimasse, doch ich starrte einfach an ihr vorüber und träumte vor mich hin. »Düngt es Euch nach einem Festmahl, mein König?«
Nein, ich wollte kein Festmahl. Ich konnte diese Verschwendung von Nahrung nicht gut heißen, also wollte ich sie selbst auch nicht begehen.
Lotani verschränkte die Arme vor der Brust und sah mir in die Augen. »Mein Herr, wenn ihr erlaubt?« Ich nickte kurz und er fuhr fort: »Eure Augen sprechen Trauer. Verzeiht, Euer Hoheit, aber ihr wirkt niedergeschlagen.« Da hatte er recht. Das war ich in der Tat. Ich nahm die Krone von meinem Haupt und fuhr mir mit der Hand durch meine filzigen Haare. Ich war neunzehn Jahre und hatte alle Macht der Welt. Doch wie diese gläserne Krone war auch mein Innerstes zu Glas erstarrt.
»Euer Hoheit? Kann ich Euch irgend behilflich sein?«
»Nenn mich nicht so Lotani. Spar dir deine Höflichkeiten für einen richtigen König.«
»Ihr seid doch der König, Herr.«
Ich begann zu lächeln, doch meine Augen blieben trüb. »Nein, Lotani. Ich bin kein König. Vater war einer, vielleicht auch Großvater, aber nicht ich. Ich bin Pirat, aber niemals ein Herrscher.« Ja, ich war nicht nur ein gottloser Pirat, sondern auch noch der Kapitän eines großen Schiffes. Auf meinen Kopf waren schon einige Goldmünzen ausgesetzt und ein Gesuchter, wie ich, war kein König. Und ich wusste, dass ich auch niemals ein König sein würde, egal wie königlich mein Blut auch war. »Weißt du, Lotani?«, besänftigte ich den nun verwirrten Hofnarren, »Ich brauche meine Freiheit. Das hier ist kein Ort für mich.« Sehnsuchtsvoll blickte ich hinauf in den Himmel, der von der Decke des Saals verdeckt wurde. Doch ich hatte das Gefühl, das Blau des unerreichbaren Himmels sehen und spüren zu können. Mir war mehr als nur bewusst, dass jeder weitere Tag auf diesem Thron ein weiterer Tag in meinen Käfig aus Glas war. Die gläserne Krone war der erste Baustein zu diesem Käfig gewesen und auch mein Innerstes war bereits erobert. Doch weiter sollte es nicht kommen.
Schwerfällig richtete ich mich auf. Ich wollte keine Festmähler mehr, keine Narren, keine Bitten der Bauern und keine Macht. Ich wollte nur dieses unendliche Glas loswerden. Noch einmal sah ich die Krone in meiner Hand an. Mein Vater hätte nicht gewollt, dass es so käme.
»Wo wollt Ihr denn hingehen, Euer Majestät?«, fragte Lotani mit gesenktem Kopf.
»Ich gehe nach Hause, mein Freund«, entgegnete ich und ließ die Krone zu Boden fallen. Mit einem lauten Klirren zersprang sie in tausende und abertausende Splitter.
Dann verließ ich den Königssaal und setzte meinen Weg neu. Dieses Mal war ich mir sicher, dass es das war, was ich wollte: Ein Leben als gesetz- und gottloser Pirat.
Das Glas glänzte noch einen Moment lang und versuchte seine Schönheit preiszugeben, doch von der Krone waren nur noch scharfe Splitter geblieben, die nur noch existierten, damit sich jemand daran schnitt. Doch mich, mich sollte sie niemals mehr schneiden und mein innerstes vergiften.
Niemals.