Zum Inhalt der Seite

Tendency

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Sorry wegen dem Schluss~
Ich hoffe - wer auch immer das liest - ist nicht all zu empfindlich xD
Aber ich finde, dass es recht dezent angedeutet ist ;) Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

004

Zurück auf Anfang.

Ein nervtötendes Piepen riss Tyler unsanft aus dem Schlaf. Die Waschmaschine war fertig.

"Stell das ab!", maulte er laut und zog sich die Bettdecke über den Kopf, in der Hoffnung, dass dieser Ton dadurch leiser werden würde.

Er seufzte genervt, als nichts passierte. Es konnte ja wohl nicht sein, dass dieses Mädchen so tief schlief, dass sie das nicht hörte. Tyler schlug die Decke zurück und stand auf, irgendetwas musste er schließlich unternehmen.

"Sag mal, bist du...?!", fluchte er los, wurde dann aber leiser, "June?"

Das Sofa war leer. Es sah auch nicht so aus, als hätte dort jemand geschlafen. Er ging nach unten. Shit... Die Türe war offen. Wie auch immer sie das gemacht hatte, er hatte es nicht mitbekommen.

"Das kann ja wohl nicht wahr sein...", schimpfte er mit sich selbst und ging durch die Küche, um in einer kleinen Kammer dahinter die Waschmaschine abzuschalten.

Er hatte eigentlich auch überhaupt keine Lust sich jetzt damit abzugeben, dass er dieses Gör zurückholen sollte. Vielleicht würde er heute Abend darüber nachdenken, aber wahrscheinlich war sie ohnehin längst tot, oder jemand hatte sie entdeckt, oder... Tylers Blick fiel auf eine dunkelblaue Geldbörse, die nicht seine eigene war. June musste sie wohl aus ihrer Hose genommen haben, bevor sie diese in die Maschine gesteckt hatte. Sowas Dummes... Er grinste schelmisch.

"June Garcia", las er sich den Namen vor, der auf sämtlichen Mitglieds- und Bonuskarten geschrieben stand. Er zog auch ihren Ausweis hervor und schmunzelte über ihr junges Alter. Die Adresse, die darauf stand, war nicht all zu weit weg. Er warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Das wäre noch machbar. Sollte sie tatsächlich dort sein, dann würde er sie noch rechtzeitig zurückbringen können.

Andererseits war sie den ganzen Stress überhaupt nicht wert und wenn sie nicht dort war, dann hätte er sowieso keine Zeit mehr, um noch irgendwo anders nach ihr zu suchen. Er hatte das Ganze gedanklich schon auf später verschoben, als ihm noch etwas auffiel.

"Oha...", mit leicht angehobenen Brauen las er eine ihrer Visitenkarten durch. Journalistin in Ausbildung... Nicht unbedingt die optimale Berufswahl, um ein Geheimnis zu bewahren. Tyler steckte das Kärtchen ein, ging sich schnell eine andere Hose anziehen und verschwand mit dem Autoschlüssel zur Tür hinaus.

Zwar wäre er zu Fuß wohl schneller gewesen, nur bot der Wagen ihm immerhin ein wenig Schutz vor der Sonne, für den Fall, dass er nicht rechtzeitig wieder zu Hause sein sollte.

Glücklicherweise war der Verkehr um diese Uhrzeit noch halbwegs überschaubar und Tyler kam zügig in einer recht übersichtlichen Wohnsiedlung an, wo er mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit bis zu Junes Haus fuhr. Er hatte nicht viel Zeit, sich die Gegend hier genauer anzusehen, aber dass er hier nicht wohnen wollen würde, war ihm auf den ersten Blick klar. Viel zu dicht besiedelt. Er bevorzugte da doch eher die Weitläufigkeit seines Grundstücks weiter außerhalb.

Das Haus war nicht allzu groß, drei Stockwerke, inklusive Dachbodenwohnung vielleicht. Tyler klingelte an der Haustüre. Auf dem Klingelschild standen vier Namen. Manuel, Evelyn, June und Dave Garcia. Noch zu Hause also. Von drinnen kam keine Reaktion. Er nahm die Visitenkarte und wählte Junes Handynummer. Wenige Sekunden später fing er an zu grinsen. Drinnen hörte er ein Handy klingeln. Volltreffer.

Es dauerte einen Augenblick, bis tatsächlich jemand am anderen Ende antwortete: "Garcia."

Tyler antwortete nicht.

"Hallo?", fragte die Frauenstimme nochmal.

Jetzt war Tyler sich sicher: Es war June.

"Rate mal, wer gerade vor deiner Haustüre steht", fing er an und konnte deutlich hören, dass sie scharf die Luft einzog, "Also ich weiß ja nicht wie's dir geht, aber ich habe eigentlich keine große Lust auf Streitereien", er betrachtete die Türe, während er mit ihr sprach, "Ich könnte jetzt einfach deine Türe eintreten und dich holen, allerdings muss ich dir sagen, dass ich dann nicht mehr so freundlich sein werde", June antwortete nicht, "Oder – und diese Variante wäre mir deutlich lieber – du kommst einfach freiwillig raus und wir gehen ganz entspannt zurück zu meiner Wohnung... Was sagst du?"

Er wartete, doch June blieb still.

Heilige Scheiße! June stand oben in ihrem Zimmer. Sie war im Moment unfähig sich zu rühren. Überlegte eilig hin und her, doch ihr kam gerade keine zündende Idee, die die Situation hätte retten können. Sie legte auf.

Tyler musterte skeptisch sein Handy, als June das Gespräch wortlos beendet hatte. Er hob den Blick zur Türe. Sah so aus, als müsste er sie nun doch holen. Er seufzte innerlich. Doch dann öffnete sich die Tür von ganz allein. Zumindest fast. June stand dahinter und sah ihn nicht gerade begeistert an.

"Komm rein und halt die Klappe", sagte sie leise und ließ ihn eintreten, "Damit das klar ist: Ich bleibe hier. Ich komme nicht mit."

"Du bleibst ganz sicher nicht hier", sein anfängliches Erstaunen, als sie die Türe geöffnet hatte, war verschwunden. Er hatte die Arme verschränkt und sah sie streng an, "Glaub mir, du willst gar nicht hier bleiben."

June wich allerdings nicht von ihrer Meinung ab: "Von wegen!", entgegnete sie ihm stur, "Was soll ich denn bei dir? Ich habe einen Job. Freunde und Familie. Das lasse ich nicht einfach so zurück."

Tyler schnaubte: "Sobald du Hunger bekommst, wirst du deiner geliebten Familie an die Gurgel springen", er hob abwehrend die Hände, "Nicht, dass mich das interessieren würde. Ich will damit nur sagen, dass du ohne meine Hilfe nicht klarkommen wirst."

June schluckte schwer, bei dem Gedanken daran, ihrer Familie etwas anzutun.

Tyler fuhr fort: "Und deinen Job wirst du kündigen können. Du kannst tagsüber nicht raus."

"Meinen Job werde ich ganz bestimmt nicht kündigen! Ich MUSS Geld verdienen!", entgegnete sie ihm wütend, "Ich wohne nicht ohne Grund hier über meinen Eltern!", sie atmete tief durch, "Außerdem kann ich nicht einfach so verschwinden. Sie würden mich suchen."

Er musterte sie nachdenklich. "Gut", sagte er schließlich, "dann schreib ihnen einen Abschiedsbrief."

"Was?!"

"Damit sie dich nicht suchen. Schreib ihnen, dass du von mir aus spontan beschlossen hast eine Weltreise zu unternehmen", dieses Zugeständnis musste er ihr wohl machen, "Und ansonsten kannst du all deine Argumente in die Tonne klopfen. Es gibt keinen Grund warum du hier bleiben solltest."

Sie funkelte ihn sauer an. Er ließ sich einfach nicht umstimmen, und sie wusste, dass er sie im Notfall auch einfach so wieder mitnehmen konnte.

"Okay. Ich komme mit. Aber nur, wenn wir gemeinsam einen akzeptablen Kompromiss finden. Ansonsten bewege ich mich keinen Millimeter vom Fleck", erklärte sie. Vielleicht konnte sie so noch irgendwas dabei für sich rausschlagen.

Tyler sah sie zunächst nur ruhig an, dann lachte er: "Ach was? Du willst einen Kompromiss?", er grinste sie an, als wäre sie gerade kläglich daran gescheitert einen Witz zu erzählen, "Pass auf, ich schlage dir einen vor", sein Gesicht wurde plötzlich ganz kühl, "In Anbetracht der Tatsache, dass du mich um mein Abendessen gebracht hast, könnte ich mich ja mal in der Wohnung deiner Eltern nach was Essbarem umsehen", er ließ das einen Augenblick lang so im Raum stehen und June sah alles andere als begeistert aus.

"Sieh sie auch nur einmal schief an und ich schwöre dir, ich reiße dich in Stücke!", sie knurrte finster und hatte ihn blitzschnell am Kragen gepackt. Zwar war ihre Mutter um diese Uhrzeit schon längst zur Arbeit gegangen und auch ihr Vater war nicht zu Hause, doch oben lag Dave in seinem Zimmer und schlief seelenruhig. Tyler räusperte sich kurz und ignorierte ihre Hand an seinem Shirt.

"Entgegenkommenderweise würde ich aber davon absehen, deine Eltern zu überfallen, wenn du im Gegenzug mit mir mitkommst", er sah sie emotionslos an, "Du solltest dich schnell entscheiden", er warf einen kurzen Blick auf die Uhr, "Ich werde nämlich langsam unruhig."

"Dieser Kompromiss ist scheiße!", fluchte sie, ließ ihn aber los und gab sich geschlagen. Sie wollte ihren Bruder nicht unnötig in Gefahr bringen und sie konnte nicht einschätzen, wie stark dieser Kerl war.

"Also ich finde den Kompromiss klasse", entgegnete er ihr und wieder zeichnete sich ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen ab. Er wusste, dass er sie damit geknackt hatte.

"Ich will einige meiner Sachen mitnehmen... Kleidung und so", sagte sie resigniert und Tyler nickte.

"Klar, mach nur. Aber beeil dich", meinte er ruhig und lehnte sich entspannt gegen die Wand im Flur. Er sah ihr hinterher, als sie die Treppen wieder hinaufstieg. Sie würde nicht abhauen. Zumindest ging Tyler schwer davon aus, denn sie würde ihn wohl kaum alleine im Haus ihrer Eltern zurücklassen. Also musste er lediglich die Uhr im Auge behalten.

Er wartete einige Minuten, bis er der Meinung war, dass sie nun lange genug gebraucht hatte. Es war nicht schwer die richtige Zimmertüre zu finden, da man dahinter deutlich hören konnte, dass jemand Schubladen öffnete und wieder schloss. Tyler klopfte nicht, er trat in ihr Zimmer.

"Hast du's bald?", fragte er ungeduldig und tippte leicht auf seine Armbanduhr, "Wird Zeit, dass wir loskommen."

June hatte ihn schon kommen hören, daher war sie auch nicht groß überrascht, als er plötzlich bei ihr im Zimmer stand. "Ja doch!", brummte sie genervt und zog den Reißverschluss ihres Reisekoffers zu, "Gib mir noch 10 Minuten, damit ich einen Brief schreiben kann."

Er verdrehte kurz die Augen. "Schön. 10 Minuten", wiederholte er.

"Alleine!", fügte June noch hinzu, als Tyler keine Anstalten machte sich wieder zu verziehen. Er sah nicht wirklich begeistert aus, doch er gewährte ihr diesen Wunsch, ging zurück ins Treppenhaus und schloss die Türe hinter sich.

June wartete bis sie wieder allein war, bevor sie sich daran machte, ein paar letzte Zeilen an ihre Familie niederzuschreiben.

Die Worte brannten wie Zwiebeln in ihren Augen. Je länger sie schrieb, desto schlimmer wurde es. Nie hätte sie gedacht, dass sie ihren Eltern jemals solche Zeilen schreiben müsste. Alles voller Lügen, bis auf die Tatsache, dass sie sie liebte. Aber welche andere Wahl hatte sie? June wollte nicht, dass ihre Familie sich all zu große Sorgen machen musste, auch wenn sie das sicher trotzdem tun würden. Also schrieb sie nicht, dass sie verzweifelt oder traurig war. Das hätte es nur noch schlimmer gemacht. Sie atmete tief durch, als sie den Stift beiseite legte. Das aller Wichtigste war, dass sie die Nerven behielt. Sie würde Miranda kontaktieren. Jemand musste ihrer Mutter unter die Arme greifen und da June das im Moment nicht selbst tun konnte, musste Miranda das übernehmen, schließlich war sie ihre beste Freundin. Dieser Gedanke erleichterte sie irgendwie. Es war nicht viel, aber zumindest würde sie sich so nicht ständig um ihre Eltern sorgen müssen. Sie schrieb ihrer Freundin eine Nachricht, dann stand sie auf und blickte kurz durch ihr Zimmer. Sie hörte ihren Bruder nebenan, wie er sich in seinem Bett umdrehte. Verrückt eigentlich, dass sie das durch die Wand hörte, nur konnte sie das gerade nicht unbedingt aufmuntern. June griff ihren Koffer und verließ das Zimmer.

Sie verharrte einen Augenblick am oberen Ende der Treppe. Nur zwei Meter weiter den Flur entlang, Tyler würde das gar nicht merken, war Daves Zimmer. Sie ging die paar Schritte, legte ihre Hand auf die Klinke und drückte sie leise hinunter. Durch den Türspalt konnte sie ihn sehen. Friedlich lag er in seinem Bett und schlief. Sein bombensicherer Schlaf war beeindruckend. Dennoch wollte sie es nicht wagen, das Zimmer zu betreten. Tyler war ungeduldig und wahrscheinlich würde sie es nicht übers Herz bringen, sich von ihrem Bruder zu lösen, wenn sie erst neben ihm stand. Ihr kleiner Bruder, der im Grunde eigentlich gar nicht mehr so klein war, immerhin größer als sie selbst, und trotzdem hatte sie noch immer das schwesterliche Bedürfnis, ihn zu schützen. Doch gerade im Moment war sie es wohl selbst, vor der man ihn schützen musste.

Einen flüchtigen Moment hatte sie ihre Blicke noch auf Daves schlafendes Gesicht gerichtet, dann schloss sie die Türe, rieb sich die Augen und ging die Stufen hinunter.

"Fertig...", sagte sie leise, als sie unten im Flur auf Tyler traf.

"Wurde ja Zeit", war seine Antwort und er setzte sich in Bewegung. Er war zügig unterwegs, nicht übermenschlich, eben einfach nur schneller als sonst und June trottete ihm gemütlich hinterher. "Beeil dich gefälligst ein bisschen!", trieb er sie an, während er schon am Wagen stand und die Fahrertüre geöffnet hatte. Eine schwarz glänzende Türe, passend zum Rest des Zweisitzers.

"Mecker nicht!", entgegnete sie ihm und hob den Blick, "... Du willst mich doch jetzt verarschen, oder? Ich muss in diese Proletenschaukel einsteigen?"

"Ich kann dich auch auf die Motorhaube binden", erwiderte er trocken und nahm kopfschüttelnd hinter dem Lenkrad Platz. Zugegebenermaßen war ein nagelneuer Porsche 911 Turbo nicht gerade unauffällig, allerdings auch kein Grund sich aufzuregen. Immerhin war er schwarz. Sportlich und edel.

June packte ihre Sachen in den Kofferraum und setzte sich schließlich auf den Beifahrersitz.

"Ich kann auch mit dem Teil über dich drüber fahren, wenn du noch mehr solche Scheiße redest!", knurrte sie ihn an, während er den Motor startete und aufs Gaspedal trat.

"Glaub ich kaum. Und wenn du nicht gleich die Klappe hältst, dann sag ich Alexander, dass es ein Unfall war", entgegnete er inzwischen doch etwas angespannt.

June haderte einige Zeit mit sich, ob sie noch weiter mit ihm diskutieren sollte. Es würde sowieso zu nichts führen, doch sie konnte nicht anders.

"Das glaubt er dir sowieso nicht!", schnaubte June verächtlich und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Ach, meinst du?", entgegnete er, "Wir können das gerne testen."

Dann hielt er per Vollbremsung am Straßenrand und beugte sich kurz über sie, als der Wagen stand, um die Beifahrertüre zu öffnen. Er löste ihren Gurt.

"Ich will sehen wie du nach Hause kommst, ohne meine 'Proletenschaukel'", sagte er mit todernster Miene.

June musste sich noch einen Augenblick von seiner unerwarteten Vollbremsung erholen, bevor sie antworten konnte: "Kein Problem!" Sie erwiderte seinen finstern Blick einen Moment lang und dreht sich dann zum Aussteigen um. June hatte bereits beide Füße auf den Asphalt gestellt und wollte aufstehen, als Tyler sie grob am Arm packte und zurück zog.

"Du bist auch total bescheuert, oder?", lachte er dreckig und zeigte mit dem Finger auf den Rückspiegel, "Augen auf im Straßenverkehr."

Leicht perplex wandte June sich dem Spiegel zu. Nichts Verdächtiges zu erkennen.

"Ich glaube, dass du der Einzige bist, der hier bescheuert ist!", schimpfte sie, "Soll ich nun aussteigen, oder nicht?"

Tyler sah sie gelangweilt an. "Ist das jetzt dein Ernst?", fragte er trocken und verstellte den Rückspiegel, sodass man nichts mehr sehen konnte, "Mach die Türe zu, dann wirst du schon sehen was ich meine."

June fixierte ihn mit ihren Augen, in der Hoffnung, dass sie so verstehen würde, was dieser Kerl wollte, nur half das nicht. Sie drehte sich zur Türe und wollte diese schließen, als es ihr auffiel.

Die ersten Strahlen der Morgensonne breiteten sich langsam über New York aus und auch Tylers Wagen hatten sie bereits erreicht.

"... Ich kann nicht", erkannte June nun die Problematik.

Tyler schmunzelte leicht: "Doch. Aber du musst schnell sein."

June war unsicher. Sie wusste nicht was passieren würde und vor allem traute sie diesem Typen nicht. Sie nahm die Türe fest ins Visier, versuchte sich darauf zu konzentrieren möglichst schnell den Griff zu erreichen und packte schließlich zu. Die Tür schloss mit einem lauten Knall.

"Ey", beschwerte sich Tyler, "Du sollst es ganz lassen."

"Ja doch", gab sie ihm genervt zur Antwort. Sie atmete tief durch und musterte dann ihren Arm. Fühlte sich ganz normal an. Tyler hatte sie nicht angelogen. "Sind wir hier drinnen sicher?", fragte sie dann ganz ruhig, als Tyler weiterfuhr.

"Geht so", antwortete er, "Es ist besser als nichts, aber für längere Spritztouren am Tag absolut ungeeignet. Also komm nicht auf dumme Gedanken", fügte er noch hinzu.

Die Scheiben seines Wagens waren komplett abgedunkelt und ließen nicht viel Licht herein, trotzdem konnte die dunkle Tönung die Sonnenstrahlen nicht ganz aussperren, schließlich musste Tyler noch hinaussehen können. June sagte nichts mehr dazu. Sie sah den Rest der Fahrt schweigend aus dem Fenster und auch Tyler blieb still.

Zu Hause angekommen, parkte er den Porsche in der Garage. Er atmete erleichtert aus und verließ den Wagen. June folgte ihm nach oben und stellte ihre Tasche im Wohnzimmer ab.

"Und wo soll ich schlafen? Auf dem Sofa?", fragte sie und dabei hatte sich wieder ein leicht gereizter Unterton eingeschlichen.

"Du bist so scharfsinnig, ich bin begeistert", gab Tyler überschwänglich von sich und ging, ohne weitere Worte zu verlieren, hoch in sein Schlafzimmer.

"Eine Decke wäre aber nicht schlecht!", rief June ihm hinterher.

"Nerv nicht!", war seine Antwort, "Schau bei der Waschmaschine nach!"

"Zick hier nicht rum!", June konnte es sich einfach nicht verkneifen.

Sie war genervt und wütend auf diesen Kerl. Blödes Arschloch! Sie ging in die kleine Kammer hinter der Küche, in der die Waschmaschine stand, wühlte ein wenig und fand schließlich wonach sie gesucht hatte. Die Decke roch, als wäre sie frisch gewaschen, nur konnte June sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieser Kerl seine Wäsche selbst wusch. Sicher hatte er eine Haushälterin oder etwas in der Art.

Auf dem Rückweg ins Wohnzimmer fiel ihr ein Stapel Briefe auf, der auf einer Kommode neben der Türe lag. June überlegte einen Augenblick. Ihr wurde gerade klar, dass sie noch überhaupt nicht wusste, wie er überhaupt hieß. Sie hatte ihn nicht gefragt. Und bis eben hatte es sie auch nicht interessiert, aber da des Rätsels Lösung nun so nah war, riskierte sie einen Blick.

Mr. Lindfield... Sie blätterte weiter. Edward?! June konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Das hatte sie nun wirklich nicht erwartet. Doch auf den Briefen stand definitiv 'Edward Lindfield', und zwar auf allen. Sie versuchte sich so leise wie möglich darüber zu amüsieren und legte die Briefe wieder zurück.

Die Ironie des Ganzen erheiterte sie ungemein und so klammerte sie sich auch noch an diesen Gedanken, als sie schon umgezogen auf dem Sofa lag. Es war leichter, als sich den Kopf zu zerbrechen und vielleicht würde sie so einschlafen können. Mit dieser belanglosen Information.

Doch es war zwecklos. June war nicht müde, obwohl eine turbulente Nacht hinter ihr lag, oder wohl eher genau deswegen. Sie ließ die Augen durch das Zimmer wandern. Sie konzentrierte sich auf Nebensächlichkeiten, nichts was sie womöglich hätte beunruhigen können. Das ist ja fast eine Kinoleinwand. Sie überlegte, ob sie den Fernseher einschalten sollte, um sich abzulenken, aber wahrscheinlich würde ihr dann der Kopf abgerissen. Ein schweres Seufzen kam über ihre Lippen.

"Eddy...", fing sie an, "Ich kann nicht schlafen." Von oben kam keine Antwort, nur ein leises Brummen.

Tyler war – im Gegensatz zu June – ziemlich müde und auch schon fast wieder eingeschlafen. Er wollte endlich seine Ruhe, doch die gönnte June ihm nicht und Tyler wurde gerade nur allzu deutlich bewusst, warum er keine Freundin wollte.

"Hast du gehört? Ich kann nicht schlafen!", wiederholte June ihre Worte.

Tyler knurrte leise, dann antwortete er: "Man kann auch nicht schlafen, wenn man die ganze Zeit labert!"

"Ich labere nicht die ganze Zeit!", erwiderte sie leicht entrüstet, sprang vom Sofa und eilte nach oben, "Sag mal... wie viele Frauen haben dich eigentlich schon mit diesem Waschlappen verwechselt?"

Tyler verstand nicht worauf sie hinaus wollte. Er drehte sich zu ihr um und warf ihr einen finsteren Blick zu: "Wieso zum Teufel bist du so hyperaktiv?! Es kann ja wohl nicht dein Ernst sein, dass du dich jetzt mit mir unterhalten willst! Muss ich dir erst den Hals umdrehen, dass du still bist?!"

"Ach Edward...", sie musste lachen.

Mit diesem Namen konnte sie ihn nicht mehr ernst nehmen.

Tylers Gesicht wurde fragender, er zog die Brauen irritiert zusammen: "Wieso Edward? Willst du mich aufziehen?", er sah sie streng an, "Ist keine gute Idee."

"Nein, gar nicht!", entgegnete sie, auch wenn das nicht unbedingt zu 100 % der Wahrheit entsprach, "Das ist doch dein Name, oder nicht?"

"Mein Name ist Tyler. Nicht Edward", klärte er das Ganze auf.

Nun war June diejenige, die verdutzt aus der Wäsche schaute. "Aber auf den Briefen stand Edward Lindfield...", erklärte sie ihre Annahme, dass sein Name Edward war.

"Edward Lindfield ist der Vorbesitzer dieses Hauses", klärte er June auf und legte sich wieder auf die Seite, "Aber wie du unschwer erkennen kannst, ist er nicht mehr hier. Jetzt schwirr ab."

"Hast du den Kerl umgelegt?"

"Und wenn?!"

"Ich frag ja nur. Reg dich nicht gleich so auf", sie zuckte mit den Schultern.

"Wenn ich mich aufrege, dann sieht das anders aus", gab er angespannt zurück.

"Na dann kannst du mir die Frage ja beantworten", schlussfolgerte sie aus seiner Aussage.

Nur kam es nicht soweit, denn gerademal zwei Sekunden später fand sie sich – mit Tylers Händen, fest um ihre beiden Arme gespannt – an der Wand seines Schlafzimmers wieder. Er stand dicht vor ihr und knurrte leise: "Weißt du was, June? Ich bin ziemlich hungrig, weil ich seit Tagen nichts gegessen habe. Und ich bin verflucht müde, weil ich dich vor Dummheiten bewahren musste. Das ist eine äußerst schlechte Ausgangssituation, um mir auf die Nerven zu gehen. Zumal du das schon die ganze Zeit ununterbrochen tust."

"Ich habe keine Angst vor dir!", warf sie ihm entgegen und sah ihm fest in die Augen. Sie würde nicht klein beigeben, nicht bei so einem geschmierten Lackaffen.

Tyler schnaubte amüsiert, als sie das sagte. "Klar", er ließ sie wieder los und trat ein Stück zurück, "Du hast auch keinen Grund", er hob die Hände, als würde er sich ergeben, "Schließlich kennst du mich nicht."

June musterte ihn skeptisch, sie hatte eine andere Reaktion erwartet. Ihr war nicht ganz klar, was sie darauf sagen sollte. Oder ob sie einfach besser den Mund halten sollte. Unmöglich: "Aha. Tja dann bin ich ja mal gespannt."

Wow... Tyler konnte nicht glauben, dass sie noch immer nicht den Rückzug antreten wollte. Er sagte nichts. Er konnte auch gar nichts sagen. Diese unbändige Dummheit hatte ihm schlichtweg die Sprache verschlagen. In seinem Kopf kämpften zwei Stimmen darum, erhört zu werden. Die eine wollte June auf der Stelle das Genick brechen und für Ruhe sorgen, die andere war zu stolz, um sich von diesem kleinen Mädchen provozieren zu lassen. Er ballte die Hände zu Fäusten, blieb im Gesicht aber ganz ruhig.

"Geh jetzt", sagte er schließlich.

Junes Gesicht dagegen war wütend, sie wollte sich sowas nicht gefallen lassen: "Tu sowas nie wieder!"

"Ich hab..!", fing er laut an, ermahnte sich dann aber selbst zur Ruhe, "Ich habe noch überhaupt nichts getan."

Die Frau machte ihn wahnsinnig und das schon am ersten Tag. Trotzdem: Tyler behielt die Fassung. Er kochte innerlich und hätte seiner Wut nur all zu gerne Luft gemacht, doch er ließ es bleiben. Für den Fall, dass Alexander es tatsächlich ernst meinte, und er sich die nächsten Jahre um sie kümmern musste, sollte er es sich wohl lieber nicht gleich ganz mit ihr verscherzen.

Tyler wandte sich ab und ging zurück in sein Bett. Er war bedient. Er musste sein Hirn wieder abkühlen, sonst würde er nicht schlafen können, und auch June hatte wohl glücklicherweise endlich genug und zog ab. Selige Ruhe.

Unten im Wohnzimmer hatte June sich wieder aufs Sofa begeben. Sie war noch immer angespannt von der Auseinandersetzung mit Tyler, doch je ruhiger sie wurde, desto drückender kamen die Gedanken an die letzten paar Stunden zurück. Ihre ersten Stunden als Vampir und ihr wurde kotzübel, je länger sie darüber nachdachte. Ihr Magen rebellierte. Sie erinnerte sich an den Geruch des Blutes, das an ihren Händen geklebt hatte, nur war es diesmal nicht so verlockend. Sie schaffte es gerade noch so ins Badezimmer, bevor auch der Geschmack sich wieder gnadenlos in ihre Erinnerung drängte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Mageninhalt noch drin? Gut :D

An dieser Stelle eine kurze Frage:
Zu bildlich, oder darfs noch etwas mehr sein? (selbiges gilt übrigens auch für eventuelle Kampf- oder Sexszenen) Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  noamuth
2014-08-03T15:47:24+00:00 03.08.2014 17:47
"Porsche 911 Turbo"
-->Jap Tyler hat keinen Geschmack. June hat Recht xD
Die einzig schlimmere Sünde wäre ein 3er BMW gewesen ^_^

Wie immer habe ich nicht viel an der Umsetzung auszusetzen.
Hätte nur noch erwartet, dass sie sich zumindest von ihrem Bruder verabschiedet. Zwar vielleicht nicht mit Worten, ihn aber zumindest ansehen, etc.

Und um die 2. Frage aus dem Nachwort zu beantworten: Ich persönlich habe mit härteren Szenen keine Probleme. Im Gegenteil: So hart fande ich das jetzt nicht^^ Zugegeben meine Schwelle ist da etwas höher.

Junes erste Reaktion auf ihre Situation am Ende finde ich recht passend. Sie war den Großteil ihres Lebens Mensch. Natürlich überspringt man diese Hürde die Menschen als Essen zu sehen nicht von jetzt auf gleich, zumal sie ja durch ihre Familie noch
Freunde unter den Menschen hat. Am Ende ist das vielleicht wie mit einem Liebgewonnenen Tier:
Man isst auch ungerne z.B. den Hasen, den man selber besitzt und sich um ihm gekümmert hat.
Vielleicht gibts unter Vampiren ja auch "Verweigerer" die niemals Blut trinken und dann, wahrscheinlich, dem Wahnsinn anheim fallen. Wäre interessant zu wissen, was die Ober-Vamps mit solchen Leute machen.
Antwort von:  DieJESSYcA
03.08.2014 21:11
XD ich mag den Wagen ;P

Das mit Junes Bruder find ich eine klasse Idee! Das werd ich definitiv noch einbauen! Herzlichen Dank :D

Ja das mit dem Menschenblut ist so eine Sache^^ Witzigerweise habe ich ungefähr genau den gleichen Satz heute in meinem 10. Kapitel fallen lassen (dass sie ja vor kurzem selbst noch Mensch war) geiler Zufall xD

Was die Verweigerer betrifft: grundsätzlich gibt es keine Regel die besagt, dass man Menschenblut trinken muss, aber wenn einer durch sein unvorsichtiges Verhalten das Geheimnis der Vampirexistenz gefährdet, dann gibts Probleme u.u


Zurück