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Tendency

von

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Round 2.

Auf keinen Fall.

"Nein, ich will das nicht", June sträubte sich weiterhin. Sie konnte darauf verzichten, einen weiteren unschuldigen Menschen auf dem Gewissen zu haben.

Tyler rollte mit den Augen. "Was du willst und was du nicht willst interessiert mich nicht", er verschränkte die Arme vor der Brust, "Ich bin dafür zuständig, dass du keinen Scheiß baust und nicht dass deine arme, geschundene Mädchenseele keinen Schaden nimmt. Also hör auf, hier den Pazifisten zu spielen."

"Ich kann nichts dafür, dass das nicht in deine gefühlskalte Birne reingeht. Lass mich einfach in Ruhe!", June wandte sich von ihm ab und wollte die Straßenseite wechseln.

Sie würde sich schon im Griff haben, wenn sie im Club war. Es gab sicher einen Hintereingang. Kein Grund also, diesen armen Mann zu überfallen. Eine kühle Hand packte sie unerwartet fest im Nacken und zog sie zurück auf den Gehweg.

"Hier lang", sagte Tyler nur trocken und schob sie neben sich her.

"Aua! Du tust mir weh!", beschwerte sich June, doch Tyler ließ seinen Griff deswegen nicht lockerer werden.

Es lagen wohl noch hundert Meter zwischen June und dem Fremden, doch auch wenn es noch ein Kilometer gewesen wäre, Tyler würde nichts tun können, um ihre Meinung zu ändern, egal wie viel Zeit ihm dazu blieb. Er schwieg ohnehin eine ganze Weile, während sie dem jungen Mann immer näher kamen.

"Hörst du das?", fragte er, "Hörst du wie das Blut durch seine Adern rauscht?"

"Was soll das werden?", sie warf Tyler einen gelangweilten Blick zu.

"Shh...", er zischte leise und hatte sich ein Stück zu ihr hinunter gebeugt, "Mit jedem Herzschlag pumpt er circa 80 ml Blut durch die Kammern. Seine Herzfrequenz liegt bei 95 Schlägen pro Minute. Etwas nervös wenn du mich fragst", Tyler sprach leise, als würde er flüstern, nur ohne dieses säuselnde Störgeräusch, "Er ist frisch geduscht und trägt ein teures Parfum. Amouage – Ciel: Sandelholz, Patschuli und noch ein Hauch Jasmin und Pfirsich aus der Herznote... ist wohl schon etwas her, dass er das aufgetragen hat", er schmunzelte leicht und fuhr unbeirrt fort, "Ich wüsste nicht, was dagegen sprechen sollte, dass du dich zu ihm gesellst. Du lügst dich doch nur selbst an, wenn du behauptest, dass das leichte Schlagen seiner Halsschlagader durch seine helle Haut hindurch dich nicht fasziniert."

Das tat es. June konnte sehen, wie der Hals des Mannes leise bebte. Sie konnte es hören. Sie hörte sein Blut, sein Herz, den Atem, alles. Selbst das Zusammentreffen seiner Lider, wenn er blinzelte, während er noch immer unverändert eindringlich auf das leuchtende Display seines Handys starrte. Tylers Hand löste sich fast unbemerkt aus ihrem Nacken und June setzte weiterhin ruhig einen Fuß vor den anderen, bis sie direkt neben dem blonden Mann stehen blieb. Er blickte irritiert aus seinen dunklen Augen zu ihr auf.

"Ist was?", fragte er, als June ihn sanft anlächelte.

Sein Gesicht wirkte jung, ein bisschen wie das eines Mitglieds einer umkreischten Boygoup, mit weicher, makelloser Haut, umrahmt von modisch zurechtgemachter Haarpracht. Eigentlich eine Unverschämtheit, diesen Jungen zu versetzen.

June nahm neben ihm Platz: "Wartest du auf jemanden?"

"Sehe ich so aus?", er klang nicht gerade so, als hätte er gerade nur darauf gewartet, dass ihn eine fremde Frau ansprechen würde, "Tut mir Leid, ist nicht deine Schuld, aber ich bin nicht in Stimmung."

Er seufzte leise und senkte den Blick. 95 Schläge pro Minute? Nein, es waren mehr. 120 Vielleicht? Oder noch mehr. June konnte sich nicht mehr darauf konzentrieren. Ihr eigenes Herz klopfte schonungslos gegen die Rippen und ihr Kopf drohte bald von den Schultern zu springen, wenn sie nicht augenblicklich ihre Zähne durch die zarte Hülle seines Halses stoßen würde. Es lag längst nicht mehr in ihrer Macht, diese Begierde abzuschütteln und den Jungen freizugeben. Sei es drum. Er war nur ein Mensch. Schwach, zerbrechlich und sowieso mehr als ersetzbar. Kein großer Verlust. June lehnte sich weiter zu ihm hinüber. Sie legte ihre Hand sanft auf seiner Schulter ab und wanderte mit den anderen Fingern flink über seine Brust zu der ihr abgewandten Seite seines Halses. Noch bevor der junge Mann darauf reagieren konnte, hatte sie ihn sich ruckartig ein Stück herangezogen und durchtrennte mit ihren scharfen Fangzähnen die schützende Schicht zwischen ihren Lippen und dieser pochenden Arterie, die sie so unnachgiebig gelockt hatte.

Warm und köstlich rann das Blut über ihre Zunge hinweg und der anfängliche Widerstand, den der Junge noch geleistet hatte, ebbte zunehmend ab. June wusste nicht woher das kam, am Blutverlust konnte es noch nicht liegen, dass er immer schlapper wurde, aber im Moment spielte das auch überhaupt keine Rolle. Sie konnte sich nehmen, was sie brauchte. Oder wollte. Das traf es besser. Und es war so angenehm ruhig in ihrem Kopf. Ein ausgesprochen wohltuender Nebeneffekt dieses Festmahls. Keine Gedanken an die Zukunft, an ihre Familie und Freunde, keine Sorgen, keine Ängste, einfach nur im Jetzt sein und den Moment so lange festhalten, wie es ging. Sie spürte seinen Puls, der immer schneller wurde, um das fehlende Blut irgendwie zu kompensieren. Rastlos und hektisch kämpfte der Körper ihres Opfers gegen diese Plünderung an, auch wenn er nach außen ganz ruhig war und keiner wohl auch nur ahnen konnte, was hier vor sich ging.

Sein Herz schlug schnell, doch June konnte spüren, wie die Schläge schwächer wurden. Es fühlte sich kraftlos an und irgendwie befriedigend, wie er unter ihren Händen seine Lebenskraft verlor. Eine zugegebenermaßen perverse Fantasie, aus der sie mit einem festen Ruck am Hinterkopf herausgerissen wurde.

Was zum Teufel?! Sie war nicht fertig. Von ihren Lippen tropfte das Blut auf ihr Kinn und sie packte eilig an ihren Hinterkopf, um sich zu befreien. Tyler hatte seine Hand in ihren Haaren vergraben und sie unsanft von ihrem Rendezvous getrennt.

"Ich sagte es reicht", wiederholte er seine Worte, nachdem June nun wieder etwas aufnahmefähiger war.

Sie hatte aufgehört sich aus seinem Griff lösen zu wollen und sah ihn nur noch mit großen Augen an. Was in Gottes Namen war gerade passiert? Hatte ihr das tatsächlich solche Freude und Genugtuung bereitet? Es war schlichtweg unerklärlich. Absolut und unfassbar niederschmetternd.

June musste eine Weile suchen, bis sie ihre Stimme wiedergefunden hatte: "Ist er..?"

Tyler schüttelte den Kopf: "Das solltest du hören." Sie lauschte. Tatsache: Drei schlagende Herzen. Eines, was ruhig und kräftig schlug, eines das schnell und schmerzhaft gegen ihre eigene Brust hämmerte und eines das nur noch ganz leise und schwach zu vernehmen war.

Tyler ließ sie los und stand wieder auf.

"Du solltest ihn von der Straße wegziehen", erklärte er ganz nüchtern und wartete, dass June seinen Worten Folge leistete. Sie tat es ohne Widerworte und zog den Jungen vom Straßenrand weg.

"Wird er das überleben?", fragte sie vorsichtig, als sie wieder neben ihrem 'Retter' stand.

Er nickte: "Wahrscheinlich."

June war erleichtert. Sie hatte ihn nicht umbringen wollen, oder zumindest jetzt im Nachhinein hätte sie es nicht gewollt.

Tyler hatte sich wortlos wieder in Bewegung gesetzt. Er lief gemütlich weiter die Straße entlang, schließlich hatten sie ein Ziel und waren nicht nur zum Essen in die Stadt gekommen.

"Warum hast du mich unterbrochen?", sie sah ihn fragend an, als sie wieder zu ihm aufgeschlossen hatte. Seine Antwort ließ etwas auf sich warten, womöglich wusste er es selbst nicht so genau, oder er wollte es ihr einfach nicht sagen.

"Zum einen, weil ich gar nicht so scheiße bin, wie du immer denkst. Und zum anderen, weil ich keine Lust darauf hatte, dass du mir deswegen für den Rest des Abends so eine 'Wie konnte ich nur? Ich will nicht mehr leben'-Fresse ziehst. Das kann ich nicht gebrauchen, wenn ich bei der Videoanalyse darauf angewiesen bin, dass dein Kopf zu 100 % anwesend ist", erklärte er sein Handeln.

Immerhin war ihm klar, dass es June zusetzen würde, wenn sie diesen Mann umgebracht hätte. Im Grunde war das auch irgendwie verständlich, schließlich war sie vor gerademal zweieinhalb Nächten selbst noch ein Mensch gewesen. Und so schnell schüttelte man diese Verbundenheit nun mal einfach nicht ab. Das brauchte Zeit, oder einen triftigen Grund. In jedem Fall war June noch nicht soweit und Tyler war das durchaus bewusst. Wenn er wollte, dass sie kooperierte, dann musste er wohl oder übel darauf achten, dass sie nichts tat, was ihre Leistungsbereitschaft beeinträchtigte. Und ein Mord zählte wohl definitiv dazu.

"Kann ich dich noch was fragen?", fing sie nach einigen ruhigen Metern wieder an. Das war abzusehen.

"Was?", er hatte seine Antwort mit einem leisen Seufzen untermalt, was deutlich klar machen sollte, dass er jetzt eigentlich keine Lust auf eine weitere Fragerunde hatte.

Seine eigensinnige Begleitung ließ sich davon allerdings nicht abhalten: "Wieso sind bei ihm schon nach so kurzer Zeit die Lichter ausgegangen? Ich hatte doch noch kaum... was getrunken."

"Magic", antwortete er nur.

"Verarsch mich nicht... ich will das wirklich wissen", sie warf ihm einen etwas abfälligen Blick zu.

"Sorry", seine Entschuldigung klang nicht wirklich ernst gemeint, "Es liegt an deinem Speichel. Wenn du jemanden beißt und die Enzyme aus deiner Spucke in den Blutkreislauf des Menschen kommen, dann lähmt ihn das. Wie genau das funktioniert, kann ich dir auch nicht erklären, ich bin schließlich kein Biologe. Aber es funktioniert und das ist gut so", er warf ihr einen kurzen Blick in ihre erwartungsvollen Augen und ihm war klar, dass das Thema hier noch nicht beendet war, "Danach folgt ein Blackout. Filmriss. Er wird sich nur noch daran erinnern, dass du ihn angequatscht hast. Wenn überhaupt", er zuckte leicht mit den Schultern, "Wahrscheinlich nicht mal mehr daran. Jedenfalls ist es sehr von Vorteil, wenn man nicht all zu lange mit ihnen spricht, wenn man sie am Leben lassen möchte und nicht will, dass sie sich an einen erinnern."

June nickte leicht. Es klang unwirklich, was er ihr erzählt hatte. Wie war es möglich, dass sie jemanden mit ihrem Speichel lähmen konnte?

"Fällst du auch um, wenn ich dich beißen würde?", fragte sie weiter.

Tyler sah sie mit leichter Entrüstung an: "Mal ganz abgesehen davon, dass du das gar nicht schaffen würdest, hätte es auch nicht den geringsten Effekt. Vampire sind selbstverständlich immun dagegen. Denk einfach mal kurz darüber nach, wie oft du dir in den letzten zwei Nächten schon aus Versehen die Zunge an deinen Zähnen verletzt hast. Da wäre es wohl ziemlich unpraktisch, wenn dir jedes Mal schwindelig werden würde."

Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Sie hatte sich erst vorhin wieder die Zunge aufgerissen, als der Hunger sie gepackt hatte. Es war neu, dass sie sich nicht mehr einfach so über die Zähne fahren konnte.

"Woher weißt du das?", sie hatte es ihm schließlich nicht gesagt, "Das mit meiner Zunge?"

Er hob leicht die Brauen, als er antwortete: "Zum einen, weil ich es riechen kann und zum anderen, weil es völlig normal ist. Ein junger Vampir ist es nicht gewohnt, dass seine Eckzähne auf einmal so scharfkantig sind. Und sie sind übrigens auch etwas länger, falls dir das noch nicht aufgefallen sein sollte."

"Ich bin nicht blöd. Das hab ich schon gemerkt", verteidigte sie sich auf seine Unterstellung hin.

"Gut", gab Tyler nur kurz zurück, "Wo waren wir stehen geblieben?"

"Woher weiß ich, wann ich aufhören muss?"

"Da waren wir zwar nicht stehen geblieben, aber wenn wir gerade sowieso schon dabei sind: Wenn der Puls schwächer wird, dann solltest du aufhören", fuhr er mit seinen Erklärungen fort.

"Ich habe nicht gemerkt, dass er langsamer geworden ist. Eher schneller", entgegnete sie etwas unschlüssig. Vielleicht hatte sie es in ihrem Wahn einfach nicht mitbekommen.

"Nein, schwächer im Sinne von weniger Druck. Natürlich schlägt das Herz schneller, wenn es weniger Blut zur Verfügung hat, aber die Intensität nimmt ab. Wenn du irgendwann an dem Punkt angekommen bist, dass das Herz langsamer wird, dann kannst du deinen Imbiss auch gleich ganz über den Jordan schicken", führte er seine Erläuterungen weiter aus.

June musste darüber nachdenken. In Anbetracht dieser neuen Erkenntnis, konnte man den gestrigen Tag unter einem ganz anderen Licht betrachten.

"Dann habe ich die Frau gestern gar nicht...", sie kam ins Stocken, doch Tyler wusste worauf sie hinauswollte.

"Technisch gesehen, hast du sie umgebracht", beantwortete er ihre ungestellte Frage, "Aber sie wäre so oder so gestorben, also hast du das Ganze im Grunde nur verkürzt."

"Warum hast du das zugelassen?", ihre Blicke bohrten sich vorwurfvoll in die Seite seines Gesichts.

Tyler schien die Dramatik dieser Angelegenheit allerdings bei Weitem nicht so hoch einzustufen, wie June es tat.

"Brauche ich dafür einen Grund?", stellte er seine Gegenfrage und sah zu ihr hinunter.

"Du hast mich in dem Glauben gelassen, dass ich sie umgebracht hätte, dabei warst du das! Weißt du wie belastend das für mich war?! Du hättest mir das sagen müssen!", eisern hielt sie seinen belustigten Blicken stand, mit denen er sie überschüttete.

"Weißt du, wie belastend du bist?", er wandte seine Augen wieder nach vorne auf ihren Weg, "Und wie kommst du darauf, dass ich dir das hätte sagen müssen? Du hast weder gefragt, noch hast du es in irgendeiner Form verdient, dass ich dir diese Last von den Schultern hätte nehmen sollen. Also heul nicht rum deswegen. Jetzt weißt du ja was Sache ist."

Sie schnaubte missmutig, ging aber nicht weiter darauf ein und stellte stattdessen eine weitere Frage: "Bringst du die Menschen immer um, wenn du ihr Blut trinkst? Oder kennst du einen Trick, wie man sich rechtzeitig löst, ohne deren Leben in Gefahr zu bringen?"

"Nicht immer, weil: Ja, ich kann aufhören, wann ich will", antwortete er.

"Und wie funktioniert der Trick?", sie sah ihn fragend von der Seite an.

"Es ist kein Trick. Man nennt es einfach Selbstbeherrschung und Übung", er blieb stehen und wandte sich wieder June zu, "Aber glaub bloß nicht, dass du das innerhalb der nächsten paar Wochen auf die Reihe bekommst. Wenn du also jemanden beißt und ich bin nicht ganz zufällig in der Nähe, dann kannst du davon ausgehen, dass er es nicht überleben wird. Auch dann nicht, wenn es deine Mutter, dein Vater oder dein Bruder ist."

"Habe verstanden, Captain", June war gleich klar gewesen, auf was sich diese Anspielung bezog und wahrscheinlich hatte er damit noch nicht einmal Unrecht. Dennoch mochte sie es nicht unbedingt gerne leiden, wenn Tyler ihre Familie erwähnte. 

"Bist du dann jetzt fertig? Oder brennt dir noch irgendwas unter den Nägeln?", er zeigte kurz die Straße entlang, "Wir sind nämlich fast da."

June hatte es kaum mitbekommen, aber jetzt, da sie darauf hingewiesen worden war, konnte sie die Musik hören und die vielen Stimmen, die vom Wind durch die Straßen getragen wurden.

"Ja, ich hätte noch Fragen, aber die kannst du mir sowieso nicht beantworten", sagte sie etwas schnippisch.

"Sehr gut", war Tylers Antwort. Wenn er ihre Fragen ohnehin nicht beantworten konnte, dann würde er sich auch gar nicht erst den Kopf darüber zerbrechen müssen. Das konnte sie dann gerne alleine tun. Aber erst nachdem sie im CAIN's CLUB fertig waren und wie lange das dauern mochte, war momentan noch nicht abzuschätzen.

"Dann lass uns mal deine zahlreichen Freier unter die Lupe nehmen", verkündete er mit überschwänglich gespielter Euphorie und steuerte geradeaus auf den Club zu, der schon von Weitem eine äußerst verlockende Wirkung haben konnte, wenn man nicht gerade zum Arbeiten dort hinging.

Die Schlange vor dem Club war noch lang, es war schließlich auch noch weit hin bis Mitternacht. Tyler passierte die wartenden Menschen ganz selbstverständlich und blieb direkt vor dem Eingang nochmal kurz stehen.

"Du entfernst dich nicht von meiner Seite, ist das klar?", er sah June streng an.

Sie nickte, recht unbegeistert von seinem Befehlston.

Tyler wollte lieber nichts riskieren. Für einen jungen Vampir konnten die Reize im Club schon gewisse Problematiken mit sich bringen. All die tanzenden, schwitzenden Köstlichkeiten, deren erhöhter Puls und die unumgängliche Nähe, wenn man sich dazwischen hindurch drängen musste. Tyler hatte Junes Handgelenk gepackt und zog sie hinter sich her durch die Menge – Eine Sicherheitsmaßnahme. Zwar war die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich zum Essen abseilen würde relativ gering, schließlich hatte sie ja bereits etwas im Magen, doch man konnte ja nie wissen.

June kämpfte sich unter den bunten, blendenden Lichtern hindurch. Wahrscheinlich war sie noch nie so froh über den heftigen Bass gewesen wie jetzt, auch wenn Bass ja prinzipiell etwas Gutes war. Er mischte sich unter die vielen Herzschläge und ließ die Grenzen zwischen Mensch und Musik erfolgreich verschwimmen. Der Rhythmus und die Melodie – sofern man das Melodie nennen konnte – erledigte den Rest. Keine Gefahr, dass sie sie sich hier irgendwie zu einem Imbiss hätte hinreißen lassen können. Dafür war sie viel zu sehr damit beschäftigt, den ganzen Lärm in ihrem Kopf irgendwie zu ignorieren. Ein harter Schlag traf sie in den Rücken, ein Ellenbogen.

"Hey!", sie drehte sich wütend um, "Pass doch auf du Sackgesicht!"

Noch ehe besagtes Sackgesicht sich verteidigen konnte, hatte Tyler June schon weitergezogen. Ihre Nerven waren ganz offensichtlich ziemlich angespannt. Verständlich, in dieser reizüberflutenden Situation.

"Da wären wir", verkündete Tyler, nachdem sie endlich aus dem Getümmel entkommen und einen leeren, tristen Gang entlanggegangen waren.

Er klopfte an die dicke, metallene Türe, auf der in großen Buchsstaben 'SECURITY' geschrieben stand. Ein großer, bäriger Kerl öffnete.

"Hey Robert. Wir müssten uns mal ein paar Überwachungsvideos ansehen. Können wir rein?", Tyler kannte den Kerl. Er kannte eigentlich sowieso jeden der hier arbeitete, was in den meisten Fällen ein ausgesprochener Vorteil war. So wie jetzt. Robert ließ die beiden ohne skeptische Fragen zu stellen einfach eintreten. Auf dem Weg durch den Aufenthaltsraum nickte Tyler ein paar weiteren Angestellten seines 'Vaters' zu, die gerade massenweise Energydrinks vernichteten und zog seine Begleitung dabei unbeirrt weiter hinter sich her. Möglicherweise vermittelte das ein falsches Bild, aber immerhin würden sie so in jedem Fall ungestört bleiben. Er ging mit ihr in einen kleinen Nebenraum, in dem das Videomaterial aufbewahrt wurde und schloss die Türe hinter June, nachdem er sie nun endlich losgelassen hatte.

"Nimm Platz", sagte er und zog sich einen zweiten Stuhl vor die Monitore, die im halben Duzend hier aufgebaut waren, "Weißt du noch, um wie viel Uhr du hier warst?"

"Ich denke so gegen 22 Uhr", sie beobachtete, wie Tyler den entsprechenden Tag auf dem Server aufrief und die Videoaufzeichnungen bis zu Junes vermutlicher Ankunftszeit im Club vorspulte.

"Also dann: Deine letzten Stunden als Mensch. Und Action", er ließ die Filme wieder in normalem Tempo ablaufen, als auf der Aufnahme vom Eingangsbereich June um 21:42 Uhr den Club betrat.
 

"Was hast du jetzt vor?", Maya hatte sich fragend zu Scott umgedreht, der auf dem Beifahrersitz ihres Wagens saß, "Willst du weiter beobachten?"

Scott schüttelte den Kopf: "Nein, wir gehen rein."

"Und dann?", sie sah ihn skeptisch an.

"Dann holen wir uns das Mädchen", erklärte er ganz ruhig, "Jacobs ist alleine mit ihr, also haben wir gute Chancen. Und Megan wird auch bald hier sein. Mir fällt kein Grund ein, warum wir es nicht versuchen sollten."

Maya seufzte leise. Es wäre ihr deutlich lieber gewesen, wenn sie die beiden einfach irgendwo auf der Straße aufgegabelt hätten, aber Scott war wohl der festen Überzeugung, dass es unauffälliger wäre, wenn sie sie im Club überraschten. Sie hoffte sehr, dass Scott sich da nicht verschätzte und ihnen noch ein böses Erwachen bevorstand. Immerhin konnten sie zumindest sicher sein, dass Aaron und Cathlyn nicht im CAIN's waren, das hatte Megan überprüft, und so standen ihnen allerhöchstens noch ein paar unbequeme Türsteher im Weg.

Scott hatte die Türe ihres schwarzen Toyota GT86 schon zugeschlagen und war um den Wagen herumgelaufen, als Maya noch immer ihren Gedanken nachhing.

"Kommst du?", fragte ihr Komplize etwas ungeduldig, da sie noch immer keine Anstalten machte, ebenfalls auszusteigen.

"Eh... ja klar!", sie zog den Schlüssel aus dem Schloss und trat zu Scott auf den Asphalt, "Ich wäre dann soweit."

Er nickte und machte sich auf den Weg zum Club. Sie hatten in einiger Entfernung geparkt, sodass sie gerade noch erkennen konnten, wer den Club betrat und wer ihn wieder verließ.

"Willst du einfach geradeaus hinein spazieren?", Maya war noch immer nicht ganz von Scotts Plan überzeugt.

Er hob den Blick von seinem Handy und antwortete: "Nein, wir nehmen den Hintereingang. Ich sag nur eben Meg bescheid, dass wir schon reingehen."

"Ah, okay", sie nickte zustimmend. Immerhin mussten sie sich also nicht schon gleich am Eingang mit den Türstehern herumärgern.

Im Gegensatz zu Tyler und dessen Freunden, wurden sie nämlich nicht einfach so an der wartenden Menge vorbeigelassen. Keine VIPs eben. Zumindest nicht in Alexanders Clubs, weswegen sie sich auch so gut wie nie hierher verirrten. Selbst wenn sie um den Hintereingang gewusst hätte: Maya bevorzugte andere Clubs. Solche, in denen man sich frei bewegen konnte, ohne jeden Moment einen verbalen Kinnhaken zu kassieren. Oder einen physischen.

"Woher weißt du überhaupt, dass es einen Hintereingang gibt?", sie war ihm inzwischen in die dunkle Gasse neben dem Club gefolgt.

"Ein Date", antwortete er, "Dinner for one."

Maya grinste wissend. Eigentlich hatte sie sich das denken können.

"Und wo ist nun der Eingang?", sie hatte sich gründlich umgesehen, konnte hier aber nirgendwo eine Türe entdecken.

Scott zeigte nach oben und Mayas Blicke folgten seinem Fingerzeig. Ein offenes Fenster im zweiten Obergeschoss.

"Ahja...", kam es relativ unbegeistert von ihr, "Also ich hatte jetzt irgendwie etwas anderes erwartet."

"Sorry Kleines, mit was anderem kann ich nicht dienen", entschuldigte er sich und schob einen der herumstehenden Müllcontainer an die Stelle unterhalb des Fensters, "Voilà. Jetzt sollte das wohl kein Problem mehr darstellen, oder?"

"Na ja, das sind immer noch gute fünf Meter und ich kann hier nirgendwo Anlauf nehmen. So groß bin ich auch mit ausgestreckten Armen nicht", sie hatte ihre kurzen Arme vor der Brust verschränkt und sah Scott prüfend an, "Du musst mich hochheben."

Er lachte: "Richtig, ich vergaß: Du bist ein Zwerg. Soll ich dir eine Kiste holen?"

"Haha...", sie bedachte ihn mit einem müden Lächeln und machte eine knappe Handbewegung, dass er nun bitte auf den Container steigen solle.

Scott folgte ihrer Anweisung und reichte ihr die Hand, als er oben stand.

"Danke", erwiderte sie nur knapp und richtete ihre Augen wieder auf die Fassade, "Gut. Aber wenn du spannst, dann setzt es was!"

Sie zeigte kurz auf ihren Rock, der verboten knapp unterhalb ihres Hinterns endete.

"Würde ich doch nie wagen", er schmunzelte und winkte sie zu sich rüber, "Komm, ich werf dich hoch."

Maya hatte noch mahnend den Zeigefinger gehoben, positionierte sich dann aber kommentarlos vor Scott und machte sich bereit. Er packte sie kurzerhand an der Taille, ging leicht in die Knie und beförderte Mayas 48 kg problemlos bis an die Fensterkante.

Das letzte Stück zog sie sich selbst nach oben, verschwand für einen Augenblick im Gebäude und lehnte sich nach wenigen Sekunden wieder aus dem Fenster.

"Hier oben ist alles ruhig, du kannst hochkommen", verkündete sie vergnügt und beugte sich mit ausgestreckter Hand weiter hinunter, damit Scott nicht den ganzen Weg nach oben springen musste.

Er trat einen Schritt zurück, um zumindest ein wenig Anlauf holen zu können, setzte an und stieß sich mit voller Kraft ab. Erfolgreich. Maya konnte seine Hand greifen und verlängerte seinen Sprung um die letzten, fehlenden Zentimeter.

"Besten Dank", sagte er, als seine Füße wieder den Boden berührten.

"Keine Ursache", Maya lächelte zufrieden und wandte sich der Treppe zu, die neben ihnen nach unten führte, "Schätze, wir müssen hier entlang."

"Na dann auf ins Getümmel."


Nachwort zu diesem Kapitel:
Danke für's Lesen :)
Hoffe, Junes kurzer Aussetzer hat euch gefallen^^ Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  noamuth
2014-08-15T18:21:20+00:00 15.08.2014 20:21
So damit sind wir im ersten zweistelligen Kapitel \o/

Mir sind ein paar formale Sachen aufgefallen, die aber via ENS kommen, weil der Kommentar sowieso schon wieder verboten lang werden wird. Irgendwann erreiche ich das Limit!

Inhaltlich finde ich die Sache mit June und ihren Gefühlen beim Blutsaugen sehr gut beschrieben. Da war ich quasi an den Text gefesselt. Genau das macht einen guten Roman aus :) Zumal das bei einem Themengebiet passiert, was mich normal nicht so interessiert. Das Autoren Talent ist definitiv mehr als da^^

Ebenfalls gut ist die Erklärung, warum Opfer sich an nichts erinnern können und in Ohnmacht fallen.
Als alter Naturwissenschaftler springt mein Verstand bei sowas in die Höhe, weil ich merke, dass sich jemand wirklich viele Gedanken über die Funktionsweise gemacht hat <^_^>. Mir egal, ob etwas in echt existieren könnte oder nicht. Wichtig ist nur, dass es Regeln gibt und man nicht aller halber Zeile dagegen verstößt :)
Sowas muss jetzt nicht alles auf PHD Niveau sein, aber die Erklärung war so gewählt, dass es sich der normale Leser erklären kann und der fortgeschrittene Anwender seine Gedanken kreisen lassen kann :)
So bindet man im übrigen viele verschiedene Lesergruppen an sich.

"Toyota GT86"
-->Tja Tyler. VERLOREN! Scotts Gruppe gewinnt bei mir immer mehr an Sympathie. Wenn die jetzt noch einen Nissan Skyline haben, würde ich sofort bei denen im Team einsteigen ;)

Um den Witz zu vervollständigen hätte bei "Richtig, ich vergaß: Du bist ein Zwerg."
"Soll ich dir eine Kiste holen?" kommen müssen. xD Gimli Maya und Legolas Scott ;)

Und da ich anscheinend schon bekannt bin für meine dummen Ideen für die Anwendungen von Vampirfähigkeiten, bleibe ich der Tradition treu: (Du wirst sicher Spaß dran haben und vllt auch die anderen Leser)
Die Sache mit dem Blutdruck und Herzschlag messen ist ungemein praktisch! Man stelle sich vor, das Gegenüber lügt. Vampire müssten das spüren können. Im Grunde grenzt die Sache sogar an Gedankenlesen. Lass einen Menschen einen Vampir lieben. Der Vampir weiß wahrscheinlich sofort, was Phase ist und kann sein "Mahl" entsprechend behandeln ;)
Ich mein speisen auf einer dreckigen Straße ist nicht so toll, als wenn man das im Bett machen könnte :P
Und in den Morgenstunden wäre das "Frühstück am Bett" auf Vampirart.

So Limit an Zeichen zwar nicht erreicht, aber halber Roman ist es trotzdem ;)

Gruß noa


Antwort von:  DieJESSYcA
16.08.2014 00:01
Ou das freut mich sehr, dass dich das gefesselt hat *__* vor allem da das nicht dein Thema ist :)
Danke vielmals für das Kompliment ♥

Was ich ja besonders witzig finde: die Fähigkeit Lügen zu enttarnen, kommt später tatsächlich zum Einsatz xD Kapitel 12 müsste das sein ;)

Ouu ja die Kist xD Richtig, das muss noch rein! ;)

Vielen lieben Dank für deinen schmeichelhaften Kommentar :D

Gute Nacht^^
Von: abgemeldet
2014-08-04T06:21:39+00:00 04.08.2014 08:21
Ein echt tolles Kapitel!
Antwort von:  DieJESSYcA
04.08.2014 09:23
Vielen Dank!^^


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