Zum Inhalt der Seite

Schillern

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Drum prüfe, wer sich ewig bindet …

Es war noch eine Woche hin, bis Korinth die größte Feier der letzten zehn Jahren erleben sollte. Die Frauen im Dorfe waren so aufgescheucht wie ein Schwarm Bienen, die Männer verbrachten ihre Zeit damit, nach und nach der Adelsfamilie und ihrem Oberhaupt Caspar Schiller Glückwunschbesuche abzustatten.

Karl und August war das alles zu viel geworden, sie hatten sich ein Zelt etwas Abseits aufgestellt, am Rande der beginnenden Felder.

„Das wird die schwärzeste Nacht für meinen Vater werden.“, nuschelte der Jüngere in das Halstuch seines Freundes, als sie frühmorgens noch zusammen auf dem Bett lagen. „Er wird seine Freiheit verlieren. Er wird sein Schillern verlieren, seine Unsterblichkeit. Er wird dem Begriff »todunglücklich« eine neue Bedeutung geben…“

August hätte gerne gesagt: „So schlimm wird es schon nicht werden“, aber ihm fehlte der Mut, den Dunkelhaarigen anzulügen.

„Er hat deinen Vater geliebt. Er liebt ihn immer noch.“, begann Karl so aufs Neue.

„Ich weiß.“, entgegnete der Ältere sanft. „Und Vater weiß es auch. Er hätte meine Mutter nicht heiraten sollen.“

„August, bitte. Es war sein gutes Recht. Wirf ihm das nicht vor.“

August seufzte. „Wir sollten unsere momentane Abgeschiedenheit und die Beschäftigung der anderen anders ausnutzen, als uns solche trüben Gedanken zu machen, Karl, meinst du nicht auch?“

Karl sah, etwas überrumpelt über den Themenwechsel, zu August auf. Der fuhr ihm liebevoll durch die dunklen Locken und lächelte ihn herausfordernd an.

„Beiß mich, oder ich küss dich.“
 

Die blauen Augen sahen der Sonne zu, wie sie sich ins Tal senkte, wie sie ihm noch einmal leuchtete.

Er stellte sich vor, die Landschaft wäre nicht so öde, wäre bepflanzt, hätte Laubbäume zu bieten, Nadelbäume, ein paar ansehnliche Häuser, ein wenig Weimarsche Kultur.

Schwer war es jedoch, sich statt den unruhigen, kitzelnden, schlanken Fingern einen festen Händedruck vorzustellen, der warm war, voller Halt und Vertrauen.

„Wenn morgen die Sonne aufgehen wird, sind wir ein Ehepaar, mein Schatz.“

Obwohl ihre Stimme, so hoch und schrill, keinesfalls angenehm in Schillers Ohren klang, erwiderte er ihr Lächeln.

„In der Tat, das werden wir sein.“

„Ich bin so glücklich, Friedrich.“

Er nahm sie in den Arm und ließ es zu, dass sie ihren Kopf an seine Schulter legte. Sanft fuhr er durch ihre glatten Haare, seidiger als Seide. Sie war eine Schönheit, das konnte er nicht leugnen. Er sollte sich glücklich schätzen, dass sein Vater diese Wahl getroffen hatte.

Noch bevor die Sonne gänzlich vergangen war, mussten sie aufstehen.

Als sie die ersten Hütten wieder erreichten, stand schon Lissi wartend da, um die baldige Braut in Empfang zu nehmen.

„Cornelia“ Sie begrüßten sich mit einem Kuss auf die Wange.

Lissi sah ihren jüngeren Bruder an. Sie lächelte, aber sie verstand bestens.

„Geh zu Vater, er will dich noch einmal fertig eingekleidet sehen, bevor ihr zum Forum aufbrecht.“

Schiller nickte nur.

„Bis nachher.“

Er verabschiedete sich von Cornelia mit einem Handkuss.
 

Es war nicht mehr hell, aber noch nicht dunkel über Korinth. Der Mond war hinter Wolken verschwunden und würde bald an seiner höchsten Stelle stehen, dann, wenn das Brautpaar vor dem Altar stand.

Schiller betrat die Hütte mit einem breiten Lächeln, und sein Vater sprang sofort von seinem Sessel auf.

„Mein Sohn! Da bist du ja!“ Wirklich. Dieser Mann war glücklich.

„Ich konnte mich gar nicht von Cornelia losreißen, tut mir Leid.“

Caspar Schiller lachte. „Das sei dir verziehen, Junge. Nun geh dich umziehen; Nanette hat dir etwas bereitgelegt. Und dann machen wir uns gemeinsam auf den Weg. Ganz Korinth wartet schon auf dich.“

Schiller nickte und warf den Vorhang beiseite, um durch den Gang in sein Zimmer zu gelangen. Dort lag auf seinem Bett ein schwarzer Gehrock, passend dazu eine Hose, eine Weste und ein schneeweißes, mit Rüschen besetztes Hemd.

Wie unter Trance entkleidete er sich, zog die Sachen über. Er schloss den letzten Knopf an seiner Weste, hängte sich den Gehrock um, seine Hände zitterten dabei.

Als er sich im Spiegel betrachtete, konnte er nicht mehr.

Langsam und stumm sank er auf dem Boden zusammen, die Tränen rollten ihm über die Wangen.

Nie mehr!, hatte er sich damals geschworen; nie mehr würde sein Vater über ihn bestimmen. Er war aus dieser Militärschule geflohen mit dem Gedanken an Freiheit. Mit dem Gedanken an diesen Mann, den er treffen musste, kennenlernen, der diese wunderbaren Zeilen geschrieben hatte, die ihn seit dem ersten Lesen gefesselt hatten; mit dem Gedanken an ihn war er aus den Fängen seines Vaters, aus dieser Festung geflohen. Und mit dem Gedanken an Goethe würde er sich heute Nacht auch wieder in die Ketten der Gefangenschaft zurückbegeben.
 

Die Nacht war schwarz, unzählige Fackeln leuchteten ihren Weg; die größte war der Mond. Zusammen mit seinem Vater betrat Schiller das Forum.

Cornelia strahlte. Sie trug weiß, wirkte auf einmal gar nicht mehr so blass. Ihr Kleid hätte ihm den Atem geraubt, ihre Schönheit ihm Flügel verleiht, wäre er mit seinen Gedanken nicht bei Goethe.

Goethe. Wieso hatte er das aufgegeben? War ihm nicht klar gewesen, dass so etwas nicht noch einmal passieren konnte, dass das, was sie beide gehabt, was sie miteinander gelebt hatten, einmalig gewesen war?

Er fühlte sich unvollständig, als er Cornelias Hand nahm, so unvollständig, wie schon die ganze Zeit seit seiner Abreise aus Weimar. Er wusste sehr wohl, dass er unsterblich war, aber doch war er damals ein wenig gestorben. Er hatte eine Hälfte verloren, wohlmöglich noch seine bessere Hälfte. Er hatte denjenigen verloren, der ihn verstand, der ihn ergänzte, der ihm die Fantasie war, der ihm die Liebe war, der von ihm alles verlangen könnte, er hätte es getan, ja, der es sogar geschafft hatte, seine eigentlich von Natur aus kalten Hände zu wärmen.

Cornelias Hand war eiskalt.

Der Mondpriester stand als gebrechlicher alter Mann vor ihnen. Er redete mit harscher Stimme. Schiller hörte nicht zu.

Es roch nach Weihrauch.

Er kämpfte dagegen an, sich auf diesen Geruch einzulassen. Er wollte ihn nicht verlieren, den Duft, der seit Weimar immer schwächer geworden war. Wenn er ihn verlieren würde, wäre das sein Ende.

Cornelia lächelte ihn an. Er konnte sehen, wie erwartungsvoll ihnen sein Vater zusah. Wie erwartungsvoll alle zusahen. Das ganze Dorf war gekommen, wenn jetzt, endlich nach fünf Jahren, doch noch der Sohn der hohen Adelsfamilie diese Schönheit heiraten würde.

Eine Traumhochzeit.

Schiller sah August und Karl, die oben auf einem Hügel unter einem Maulbeerbaum saßen.

Er wollte heulen, lächelte seine Braut stattdessen an.

Der Priester hob seine Hände.

„So wollen wir euch nun also hören, und der nächtliche Mond soll eure Antworten bezeugen.“

Goethe.

„Willst du“

Goethe, hören Sie!

„Cornelia Magdalena Eliza Cordes“

Goethe, ich bitte Sie!

„deinen Blutspartner lieben und achten“

Goethe, ich flehe Sie an!

„und ihm die Treue halten bis in alle Ewigkeit?“

Auf Knien flehe ich Sie an!

„So antworte mit »Ja, ich will«.“

Ich brauche Sie doch!

Er schluckte. Cornelia lächelte ihn an. Ihre Augen schillerten, als die Worte ihre blutroten Lippen verließen.

„Ja, ich will.“

Er schloss die Augen. Sein Herz schlug viel zu schnell

„Willst du, Johann Christoph Friedrich Schiller“

Plötzlich war es ruhig. Die Worte des Priesters waren so weit weg, als stünde er hinter einer Mauer.

Schiller spürte eine einzige Träne auf seiner Wange, wie sie lief. Und lief.

Und lief.

Und rannte.

Etwa…zu ihm? – Konnte das wirklich…?!


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich weiß...böser Cliffhanger, aber das musste sein :P ;3 Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  DasIch
2014-04-08T18:27:42+00:00 08.04.2014 20:27
Oh Man ich hab ja schon das ganze Kapitel über nen Klos im Hals gehabt aber am Schluss habe ich nur noch geheult!! Diese tiefen Gefühle die Friedrich für Goethe hat..... Unglaublich bin geflasht
Antwort von:  KaethchenvHeilbronn
08.04.2014 21:12
OMG du musstest echt heulen?! o.o Sorry!>.<
...aber das seh ich mal als Kompliment XD - und schick dir schnell Nanette mit Keksen vorbei, damit's wieder besser wird :3
Antwort von:  DasIch
08.04.2014 22:14
Danke! Und das ist wirklich ein Kompliment ich heule sonst nur bei jenseits von Afrika und brokeback mountain beim zweiteren sehr heftiger als beim ersten! Das Kapitel ist so berührend weil man seine Verzweiflung greifen kann!


Zurück