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Die Macht Böses zu tun

von

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Freiheit

Disclaimer: Mir gehört keine der Figuren und ich mache hiermit kein Geld.

Paring: Seto/Joey

Warnings: Dark, angst, lime, humor
 


 

Freiheit
 

„Auf einem Berg stehen und ganz weit über das Land blicken können, das ist Freiheit.“

Teas Gesicht hatte einen schwärmerisch verträumten Ausdruck angenommen, als befände sie sich auf eben jenem Berg, anstatt in unserem kleinen, miefigem Klassezimmer, von dem aus man höchstens den betonierten Schulhof sehen konnte.

Tristan wischte ihre romantische Vorstellung mit einer harschen Geste aus der Luft.

„Blödsinn! Auf dem obersten Rang eines Fußballstadiums zu sitzen und das ganze Spiel überschauen zu können, DAS ist Freiheit. Oder richtig viel Geld.“

Tea runzelte kritisch die Stirn, sah ihn mit abwehrend vor der Brust verschränkten Armen an.

„Aha“, ihr Ton war trocken wie Sandpapier, „Geld mal wieder.“

„Natürlich Geld, wer Geld hat, kann alles machen.“

„So ein Quatsch!“

„Frag Kaiba!“

Sie schnaubte verächtlich.

„Kaiba ist so ziemlich der unfreiste Mensch, den ich kenne. Andauernd sitzt er vor seinem Computer und ist Sklave seiner Firma.“

„Aber er kann eine Insel in die Luft sprengen, wenn ihm danach ist“, ein triumphierendes Glitzern hatte sich in Tristans dunkle Augen geschlichen.

Tea verdrehte die Augen.

„Wow“, machte sie lahm, „das ist eine Leistung.“

Ein eiskalter Blick aus zwei nicht minder frostigen Augen traf sie im Nacken.

„Ich glaube, das hat er gehört“, murmelte Yugi hinter vorgehaltener Hand.

Tea zuckte mit den Schultern.

„Und wenn schon.“

Wir Jungen warfen uns einen raschen, fragenden Blick zu, doch keiner hatte eine Antwort.

Schließlich sprach Yugi aus, was uns alle beschäftigte.

„Ist irgendwas zwischen euch?“

Diese Worte hingen einen Moment lang bedeutungsschwer und hochgradig missverständlich im Raum, bis Tea sie mit einer fahrigen Geste davonwedelte.

„Quatsch!“ sagte sie zum zweiten Mal innerhalb von drei Minuten. „Mir gefällt nur nicht, dass er ihn für so etwas Banales wie Geld bewundert. Viel wichtiger ist, was man im Herzen und nicht auf dem Konto hat.“

Tristan hob spöttisch eine Braue.

„War das der Tagesspruch in deinem Kalender?“

„Nein“, fauchte sie ihn giftig an, „das stand gestern in einem Glückskeks.“

Ein Prusten ging durch die Reihe.

„Aber“, fuhr sie mit erhobener Stimme fort, „es ist auch vollkommen egal, wo es gestanden hat, es stimmt! Joey, sag doch auch mal was dazu!“

Wie immer, wenn mich jemand aus heiterem Himmel auf ein Thema anspricht, das ich lieber großräumig umgangen wäre, schaute ich mich zuerst nach allen Seiten um.

Es war zwar noch nicht vorgekommen, aber ich hoffte immer, dass plötzlich ein fremder Junge, der auch auf den Namen Joey hörte, neben mir stand und für mich antworten konnte.

Doch auch heute sollte das nicht der Fall sein. Also war wohl meine Person gefragt.

„Ich.. was soll ich denn dazu groß sagen?“

Ich versuchte, mich mit einem verlegen spitzbübischen Lächeln aus der Affäre zu winden.

Häufig klappte das und eigentlich wollte ich mich in diesen kleinen Disput zwischen Tea und meinem besten Kumpel auch nicht einmischen.

Selbst, wenn ich es war, der die Frage erst aufgeworfen hatte.

Damit kam nun auch Tea.

„Du hast doch damit angefangen! ,Was ist Freiheit?’ Dann wirst du ja auch eine Meinung dazu haben.“

„Eine Meinung?“ wiederholte ich ungläubig, um ein bisschen Zeit zu gewinnen.

Teas vorwurfsvoller Blick traf mich und wenn meine Freundin eines wie kein Zweiter kann, dann ist es, dir mit einem einzigen Augenaufschlag das Gefühl zu geben, du hättest soeben einem Kind den Lutscher geklaut, du gemeiner Schuft.

Ich seufzte schwer.

„Keine Ahnung. Freiheit ist wohl… na, einfach Spaß haben können.“

Wieder schnaubte es verächtlich, doch dieses Mal kam diese abfällige Lautäußerung aus einer ganz anderen Ecke.

Kaiba stand auf, ließ seinen Laptop klickend zuschnappen und kam auf dem Weg zur Tür in unsere Richtung.

„Spaß“, wiederholte er langsam und mit leicht geblähten Nasenflügeln, als hätte ich etwas Obszönes von mir gegeben, „das sieht einem Köter wie dir ähnlich.“

Inzwischen wusste ich kaum mehr, ob Kaiba den ganzen Ärger wert war, wenn ich mich jedes Mal aufs Neue über seine Beleidigungen aufregte, aber inzwischen war mir der zornige Blick gekoppelt mit einer drohend in die Luft gereckten Faust, die ja doch niemals sein Gesicht erreichen würde, so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich es kaum noch spürte.

„Misch dich nicht in anderer Leute Gespräche ein!“

„Gespräch nennst du das? Ist ja nicht zum Aushalten.“

„Verpiss dich einfach.“

“Die Vielfältigkeit deiner Ausdrucksmöglichkeiten ist einfach atemberaubend.“

Irgendetwas hatte ich an mir, dass es Kaiba so unglaublich anmachte, sich jedes Mal wieder mit mir anzulegen. Ich wusste nur nicht was und wie ich es abstellen konnte.

,Ignorieren’ hatte mir Tea einmal geraten, aber so ein Vorschlag konnte auch nur von jemandem kommen, der sich eben nicht tagtäglich Kaibas Anfeindungen ausgesetzt sah.

„Fuck off, Kaiba!“

„Oha, man wechselt die Sprache. Nur das Niveau bleibt mies wie immer.“

Ich war schwer versucht, etwas nach ihm zu Werfen und mein edles Vorhaben scheiterte schlichtweg an der einfachen Tatsache, dass ich kein geeignetes Wurfgeschoss bei mir trug.

Mister Arrogant trat an uns vorbei, drehte sich in der Tür jedoch noch einmal um.

„Soll ich dir sagen, was die größte aller Freiheiten ist, Köter?“

„Nein, ersticke lieber dran“, knurrte ich wütend zurück.

Er grinste unecht und eindeutig gemein.

„Böses tun zu können, ohne jemals irgendeiner Kreatur Rechenschaft schuldig zu sein, das ist die größte aller Freiheiten. Eure Berge und Stadien sind ein Witz dagegen.“

Auf einmal schien es im Klasseraum um einige Grad kühler zu sein und irgendwie erreichte die Wintersonne uns nicht mehr.

Acht Augen waren durchdringend auf Kaiba gerichtet, der selbstzufrieden und scheinbar gelassen seinen Mantel zuknöpfte.

Schließlich war ich es, der die beklemmende Stille brach.

„Mir machst du keine Angst“, schmetterte ich ihm trotzig entgegen, „scheiß Angeber!“

„Ach nein?“ Er klang ehrlich interessiert.

„Niemals.“

„Darauf“, und das Blitzen in seinen Augen war viel zu berechnend, viel zu sardonisch für einen 17-Jährigen, „würde ich an deiner Stelle nicht wetten, Köterchen.“

„Freak“, statuierte Tristan, als der Mistkerl endlich verschwunden war, und seine Stimme klang merkwürdig belegt.

„Aufschneider“, fügte Tea hinzu und vermochte ihrer Stimme nicht ganz den befreiten, entrüsteten Ton zu verleihen, den sie angestrebt hatte.

Yugi sagte nichts, starrte nur aus großen, besorgten Augen erst mich und dann die Stelle, an der Kaiba eben noch gestanden hatte, an.

„Hast du dem irgendwas getan?“

Nur schwer gelang es mir, mich von Yugis unheilschwangerem Blick zu lösen, um mich meinem besten Kumpel zuzuwenden.

„Nicht mehr als sonst auch“, antwortete ich und fühlte mich, als hätte man mir in einer Achterbahnfahrt einen Liter Sangria eingeflößt… dass das ein scheußliches Gefühl ist, weiß ich deshalb so gut, weil ich es schon einmal probiert habe. Alles dreht sich und man traut dem eigenen Körper nicht mehr.

Von einer Nachahmung kann ich nur abraten, aber wir müssen alle unsere eigenen Erfahrungen machen.

„Er hatte wohl einfach einen schlechten Tag. Hey, wo wir gerade bei Freiheit waren, ich weiß noch eine Freiheit, Winterferien!“

Teas Versuch, die eisige Stimme zwischen uns ein wenig aufzulockern, gelang nur bedingt.

Aber wenigstens konnte ich mir wieder ein schiefes Grinsen abringen.

„Klänge wie ein Traum, wenn ich nicht arbeiten müsste.“

„Marco’s Caféteria?“ fragte Tristan interessiert. „Da gab es diese süße Kellnerin, die…“

„Nein, Toni’s Pizza. Nachtkurier.“

„Klingt zauberhaft“, witzelte er trocken, dann an Tea gewandt: „Bist du da?“

„Ja, aber erst kurz vor Neujahr. Vorher fahren die Freunde vom Tierschutzbund Wieselheim an die Küste.“

Ein neidisches Seufzen entwich mir.

„Du Glückliche.“

„Ja“, bestätigte sie ohne die geringste Vorfreude, „sechs Tage mit einem Haufen fanatischer Tierfreunde zusammengepfercht…“

„Hört sich an, als wärst du in bester Gesellschaft.“

Sie schoss einen giftigen Blick auf Tristan ab, bedachte dann Yugi mit einer wesentlich freundlicheren Variante.

Es war immer wieder erstaunlich, wie schnell dieses Mädchen ihren Gesichtsausdruck ändern konnte.

„Was ist mit dir?“

„Ich bin da. Helfe Großvater im Laden. So vor Weihnachten und Neujahr ist immer viel los.“

„Die ganzen reichen Eltern, die ihre Kids mit neuen Duell Monsters Karten zudecken wollen, hm?“

Er lächelte gutmütig.

„Oder die armen Kids, die ihre paar Kröten, die sie zum Fest geschenkt bekommen haben, in solche investieren.“

„Auf jeden Fall wird’s wieder ein umsatzstarkes Jahr für die Kaiba Corp.“, ich verzog angesäuert das Gesicht.

War schon eine schreiende Ungerechtigkeit, dass dieser misanthropische Dreckskerl im Geld schwamm, während ich Mühe hatte, meine Miete zusammenzukratzen.

Ein Blick in die Runde tröstete mich jedoch.

Immerhin hatte ich Freund und Kaiba zwar einen Haufen Arschkriecher, aber keinen, der ihn mehr mochte, wenn er nicht mehr reich und mächtig war- nicht, dass es irgendwelche Anzeichen dafür gäbe, dass dieser glückliche Fall in nächster Zeit eintreten würde.

Wir umarmten uns zum Abschied… das hieß, eigentlich umarmte uns nur Tea.

Wie immer stellte ich mich ein wenig linkisch an, meine Arme so weit wie möglich um sie zu wickeln, damit ich ihren Brüsten nicht zu nahe kam.

Nichts gegen Tea Brüste, die waren ganz in Ordnung, glaubte ich, im Bikini sahen sie zumindest toll aus, aber sie war mein Kumpel… meine Kumpeline und als solche fiel sie aus jedem Beuteschema.

Tristan schien damit wenige Probleme zu haben, denn er zog sie resolut an sich und gab sie erst wieder frei, als sie ihren Fuß punktgenau auf seinem großen Zeh platzierte.

Zwischen Yugi und ihr entstand wieder dieses peinliche Schweigen, begleitet von einer Menge planlosen Herumgegrinses, bis sie sich schließlich hastig und als hätte man sie dazu genötigt, umarmten und genauso schnell wieder losließen.

„Wir sehen uns mal, nicht? Lasst uns telefonieren“, damit schwebte sie regelrecht aus dem Klassenzimmer.

Zurück blieb der Jungentrupp.

Ich knuffte meinen kleinen Freund in die Seite, lehnte mich über ihn.

„Sieee“, ich zog das Wort dramatisch in die Länge, „mag dich!“

„Ach was“, entgegnete Yugi und lief dezent Ampelrot an.
 

Viel hatte ich von dem Beginn meiner Ferien tatsächlich nicht.

Um genau zu sein, verbrachte ich ihn auf einem altersschwachen, stinkendem Roller, während ich durch die eisige Nacht brauste, um den wenigen Seelen, die zu dieser Stunde noch wach waren und das dringende Bedürfnis nach einer pappigen Pizza Tono verspürten, ihren Wunsch zu erfüllen.

Eigentlich war es gar nicht so schlecht, nachts zu fahren, die Straßen waren leer und ich musste auf keine alten Omas am Fußgängerübergang Rücksicht nehmen.

Wenn es nur nicht so verdammt arschkalt gewesen wäre!

Eine Hand löste sich vom Lenker und fummelte an meinem löchrigen Schal herum, um ihn wenigstens notdürftig um meinen Hals zu wickeln.

Dieses artistische Manöver hätte mich beinah mein Leben gekostet, denn ich raste nur knapp an einem vorstehenden Briefkasten vorbei.

Nach dieser Nahtoderfahrung pumpte mein geschocktes Hirn ohnehin so viel Adrenalin durch meinen eingefrorenen Körper, dass ich keine Kälte mehr spürte.

Die Lieferung ging an eine vornehme Adresse außerhalb des Stadtkerns.

Hoffentlich war das Trinkgeld gut! Leisten konnte man es sich jedenfalls, wenn man hier wohnte, einem armen, durchgefrorenen Pizzajungen ein paar Yen mehr zukommen zu lassen.

Aber wie das mit Geld so war, machte es in der Regel nicht großzügiger, wie man hätte annehmen sollen, sondern geizig.

Ich hatte Kaiba zum Beispiel noch nie etwas verschenken sehen, dabei könnte er in Hunder-Yen-Scheinen baden, wenn ihm danach wäre. Tea hingegen teilte beinahe jede Pause treuherzig ihr Brot mit mir.

Das nannte ich wahre Freundschaft!

Kaiba aß ja nicht mal.

Mein Roller- also eigentlich war es gar nicht meiner sondern der vom Pizzaservice, aber ich war der Einzige, der sich das schreckliche Ding noch antat, die anderen hatten in der Regel ein Auto- kam schließlich vor einer großen Vorzeigevilla zum Stehen.

Wenn man dieses motorisierte Fahrrad zum Halten bringen will, muss man beachten, dass man schon gut zehn Meter vorm Ziel den Schlüssel ziehen muss, damit es ausrollen kann. Bremsen waren nämlich ein Luxus, den sich Toni’s Pizza nicht leisten konnte und wollte.

Dazu hätte ich natürlich das Haus erkennen müssen, tat ich aber nicht, das war hier nämlich nicht unbedingt mein Kiez.

Deshalb fuhr ich gut fünfzehn Meter zu weit und schob den Roller fluchend wieder zurück.

Dann schnallte ich meine von der holprigen Fahrt etwas mitgenommene- aber hey, wen sollte das stören? Es war ja nur Pizza und wer Qualität wollte, bestellte sowieso nicht bei Toni’s- Fracht los und wand mich zum ersten Mal wirklich dem Anwesen zu.

Es kam mir mit seinen wehrhaften Mauern, dem erstaunlich schnörkellosen, klassischem Aufbau und dem hohen Eisentor merkwürdig vertraut vor.

Aber vielleicht spielte mir auch nur mein Gedächtnis einen Streich, die Häuser hier sahen sich ja alle irgendwie ähnlich: groß und mit Zaun drumrum.

Ich besah mir die Gegensprechanlage und war erleichtert, nur einen einzigen Knopf vorzufinden. Damit erübrigte sich jedes Raten.

Ich drückte beherzt.

Zunächst geschah nichts und das für eine ganze Weile.

So lange, dass ich mir schon überlegte, über den Zaun zu klettern, gefährliche Wachhunde hin oder her, die konnte ich ja zur Not mit Pizza Tono füttern, und an der Haustür direkt Terror zu machen. Ganz sicher war ich nicht den weiten Weg hergefahren, um nun vor verschlossenen Toren zu stehen!

Endlich vernahm ich jedoch ein leichtes Knacken und eine computerverzerrte Stimme.

„Wer da?“

Was antwortete man jetzt? Gab es eine geheime Formel in diesen Kreisen?

Das berühmte „Sesam öffne dich“, damit man in Häuser dieser Art gelassen wurde? Obwohl, ich wollte ja gar nicht rein, ich wollte nur bis zur Türschwelle und mir dort ein möglichst saftiges Trinkgeld abholen.

„Pizzaservice. Einmal Pizza Tono, frisch aus dem Ofen“, versuchte ich es schließlich, wobei mir die Zähne vor Kälte aufeinander schlugen.

Anscheinend waren das die richtigen Worte gewesen, denn der Summer ging und ich stolperte den breiten Kiesweg zum Hauseingang hinauf.

Hier musste ich nach mehrmaligem Klopfen noch einmal warten, bis schließlich ein Licht hinter dem schmalen Milchglasfenster anging und sich eine verschwommene, hagere Gestalt der Tür näherte.

Ich wusste es.

Noch bevor er sie ganz geöffnet hatte, wusste ich es einfach.

Das Haus, das Tür, die Gegensprechanlage und seine lange Gestalt mit dem etwas steifen Gang, Sekunden bevor Kaiba mir die Tür aufmachte, stand sein Bild so klar und deutlich vor meinen Augen, als betrachtete ich eine Fotographie.

Die hatte jedoch herzlich wenig mit dem Kaiba gemein, den ich jetzt sah.

Natürlich, seine Augen waren noch immer abweisend, er betrachtete mich noch immer, als hätte er soeben einen Mund voll Sägemehl geschluckt und auch die arrogant gerümpfte Nase war die gleiche, aber er hatte den Mantel weggelassen und auch seine schweren Stiefel fehlten.

Meinen Erzfeind so in Socken und Pulli zu sehen, während ich bis zur Nasenspitze in einen alten Schal gewickelt auf seiner Schwelle stand, hatte etwas Surreales.

Das Merkwürdigste an ihm war jedoch nicht seine legere Aufmachung, sondern das Fehlen jeglicher Überraschung in seinem Gesicht.

Als wunderte es ihn kein bisschen, dass sein Klassenkamerad kurz vor Mitternacht bei ihm Zuhause war.

Er stand einfach in der Tür und sah mich an.

Ich starrte zurück, während warmes Licht ihm über die Schulter und in die eisige Nacht hinausfiel. Ein Hauch Wärme aus dem Haus streifte mein Gesicht und machte mir wieder bewusst, wie saukalt mir eigentlich war.

„Deine Pizza“, brach ich schließlich das Schweigen und schämte mich beinahe ein bisschen, dass ich es mit so etwas Banalem beendet hätte.

Doch ich kannte kein geistreiches Zitat, das in einer Situation wie dieser angemessen gewesen wäre.

„Hm“, machte er einsilbig, während seine Finger sie große, bleiche Spinnen über seine Hosentaschen fuhren, „wie viel bekommst du?“

„1.400 Yen, der Nachtzuschlag, du verstehst.“

Ich rechnete felsenfest damit, dass Kaiba mich auf den Yen genau bezahlen würde. Er war nicht der Typ für Trinkgeld und was interessierte es ihn, dass ich mir für seine dämliche Thunfischpizza den Hintern abgefroren hatte?

Es würde ihn höchsten noch freuen.

Zunächst gab Kaiba mir jedoch weder Trink- noch Pizzageld. Er ließ die Hände sinken, öffnete die Tür ein bisschen weiter.

„Ich muss mein Portemonnaie oben gelassen haben“, Kaiba warf mir einen scharfen Blick zu, dann nickte er, „komm rein. Wenn man dich sieht, kann man kaum glauben, dass die Polkappen schmelzen.“

Er trat zurück und ich ein.

Ein denkwürdiger Augenblick, Joey Wheeler in Seto Kaibas Haus. Im Haus des Feindes, wenn man es genau nehmen wollte, aber im Moment wirkte er so… ganz und gar normal. Ein Teenager, der lange wach blieb und Hunger bekommen hatte.

Auf Pizza.

Warum Kaiba sich die allerdings bestellen musste und nicht einen ganzen Vorrat davon bei sich hatte, war mir schleierhaft. Unsere schmeckten nämlich auch nicht besser, als die aus dem Laden, wir tauten ja auch nur die Tiefgekühlten auf.

Dennoch nahm ich das Angebot dankend an.

In dem langen Flur blieb ich stehen. Nach oben schlang sich eine Wendeltreppen in Bereiche der Villa, die außer Mokuba und Kaiba selbst wohl noch kein Sterblicher zu Gesicht bekommen hatte, neben mir ging ein großer Raum ab, aus dem es bläulich zu mir herüberflimmerte und leise Geräusche zu vernehmen waren.

Anscheinend hatte er gerade ferngesehen.

Wie seltsam, ich hätte ihm unterstellt, dass er jede freie Minute vor seinem Computer verbrachte.

Wir alle hätten das, aber vielleicht täuschten wir uns in Kaiba und er war uns gar nicht so unähnlich.

So in meine Gedanken versunken, bemerkte ich kaum, wie er die Tür hinter mir geschlossen hatte. Erst da leise, aber in der Stille umso verhängnisvollere Klicken ließ mich wieder herumfahren.

Kaiba lehnte an dem Holz und betrachtete mich mit einem Glimmen in den hellen Augen, für das ich keine Worte hatte.

Böse wäre vielleicht noch das Passendste gewesen, obwohl er sich mit keiner Miene verriet. Kein Zusammenziehen der Brauen, kein angriffslustiger Blick, nur Ruhe, beinahe unecht und starr.

Mir schoss das Wort „gefangen“ durch den Kopf, doch da löste sich Kaiba von dem einzigen Ausgang und der Moment verflog.

Jetzt war er wieder ganz der gelangweilte Jugendliche, den ich vorher schon in ihm gesehen hatte.

„Rühr dich nicht von der Stelle und fass bloß nichts an“, befahl er gewohnt barsch, verschwand dann die Treppe hinauf.

Ich sah seine hagere Gestalt im Halbdunkel verschwinden und fühlte mich plötzlich entsetzlich zurückgelassen. So allein in diesem riesigen Haus, das nur die künstlichen Geräusche des Fernsehers erfüllten, die die dröhnende Stille eigentlich noch dichter erscheinen ließen, wurde mir doch sehr anders zumute und ich wünschte mir selbst Kaiba zurück, nur um irgendeine Gesellschaft zu haben.

Ich war sogar schon soweit, ihn mit seinen 1.400 Yen stehen zu lassen und einfach wieder zu gehen, um diese Ruhe nicht mehr aushalten zu müssen, da hörte ich seine Schritte über mir.

Sie waren so ganz ohne seine Stiefel ungewohnt leise, beinahe vorsichtig.

Vielleicht hatte er sich über all die Jahre in diesem großen Haus angewöhnt, die erdrückende Stille nicht zu brechen und sich so leise wie möglich zu bewegen.

Nun tauchte seine weiße Hand wie die eines Geistes auf dem dunklen Treppengeländer auf.

„1.400, sagtest du, ja?“

Ich musste schlucken, bevor ich sprechen konnte und selbst dann fühlte meine Zunge sich seltsam fremd in meinem Mund an.

„Ja.“

„Gut.“

In seiner Linken hielt er etwas Weißes, Stoffenes fest umklammert.

Er erreichte den Treppenabsatz, kam auf mich zu und war mir, als er endlich stehen blieb, viel näher, als nötig gewesen wäre.

Ich wusste nicht recht, was ich davon halten sollte, entschied aber, unter keinen Umständen zurückzuweichen.

So dicht hatte er noch nie vor mir gestanden, ich konnte die kleinen, hellen Flecken in seinen Augen ausmachen, die langen Schatten, die seine Wimpern auf die hohen Wangenknochen warfen. Trotz all dieser Dinge empfand ich Kaiba nicht einen Moment lang als schön, so leblos wirkte sein Gesicht und zu sehr vermisste ich die Anzeichen eines Lachens.

Seine Miene wirkte, als würde er sie zu allen möglichen Arten von Gehässigkeiten verziehen, aber nicht zu einem ehrlichen, aufrechten Lächeln.

Und noch etwas bemerkte ich, das mir zuvor nie an ihm aufgefallen war: ein beißend-chemischer Geruch, den ich nicht recht einordnen konnte.

Noch immer machte Kaiba keine Anstalten, mir mein Geld zu geben und langsam wurde ich ungeduldig.

„Hör mal, die erwarten mich heute noch zurück, also…“

„Weißt du noch, was ich dir über Freiheit gesagt habe?“ unterbrach er mich, als hätte er meine Worte gar nicht gehört.

Missbilligend runzelte ich die Stirn.

Wie könnte ich das vergessen?

Jeder von uns erinnerte sich wohl noch daran und an das maliziöse Glitzern in seinen Augen.

„Natürlich“, antwortete ich langsam, holte tief Luft, um ihm einen langen Vortrag über seine verdrehte Weltansicht und meine fehlende Entlohnung zu halten, da presste er mir mit einem Mal das helle Stück Stoff, das mein Unterbewusstsein keine Sekunde lang wirklich für ein Portemonnaie gehalten hatte, über die Nase.

Es stank schlimmer, als der klapprige Firmenroller es je gekonnt hätte.

Im ersten Augenblick war ich zu überrascht, im nächsten schon zu schwach, um mich noch ehrlich dagegen zur Wehr zu setzen.

„Freiheit“, hörte ich Kaibas Stimme aus weiter Ferne, „ist die Möglichkeit, Böses zu tun, ohne jemals von irgendeiner Kreatur zur Rechenschaft gezogen zu werden.“
 


 

Nachwort: So, das war’s… nein, Scherz. Das ist nur das erste von ich weiß nicht genau wie vielen Kapiteln. Mir war nach all den schlechten Horror FFs und Doushinjis danach, mich selber mal dran auszuprobieren.

Ich hoffe, ihr konntet euch ein bisschen gruseln und es hat euch gefallen.

Mein geheimer Liebling ist ja Tea *rofl*. Aber natürlich liebe ich Joey, sonst würde ich nicht aus seiner Sicht schreiben^^.
 

Nachtrag: Man hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass mein Yen-Euro-Umrechnungskurs falsch war. *drops* Ich hab es jetzt geändert. Ich dachte wirklich, dass 100 ca. acht Euro wären, stimmt aber anscheinend nicht, es sind 1.000.

Vollkommen nebensächliche Info *hüstel*.

Lebenswert

Disclaimer: Mir gehört keine der Figuren und ich mache hiermit kein Geld.

Fandom: YGO!

Paring: Seto/Joey

Warnings: dark, angst, lime
 


 

Ich wachte von und mit den Kopfschmerzen meines Lebens auf.

Der Schädel dröhnte mir wie eine Glocke, die soeben von ein paar Irrsinnigen mit Holzstöcken verprügelt worden war. Im ersten Moment machte mich der Schmerz vollkommen orientierungslos.

Ich drehte den Kopf, sah jedoch nichts, außer dickem, grauem Nebel.

Aber ich war wach, oder?

Wie kann man das wissen, wenn man nichts sieht?

Dafür spürte ich umso besser, allem voran natürlich dieses dröhnende Hämmern hinter meiner Schläfe, doch auch die weiche Unterlage, bei der es sich leider, wie ich sagen muss, keinesfalls um mein Bett handeln konnte. Da war nämlich eine Feder gesprungen, so dass man immer diesen kleinen, fiesen Knubbel im Rückrat hatte, egal, wie man sich hinlegte.

Ergo war ich nicht Zuhause.

Daraus ergab sich die nächste, wesentlich brisantere Frage: Wo war ich dann?

Bevor ich mir jedoch ernsthafte Sorgen um mein Wahrnehmungsvermögen machen konnte, lichtete sich die nebelige Decke ein wenig und ich sah ein Zimmer, von dem ich mir ziemlich sicher war, es im Leben noch nicht betreten zu haben.

Alles machte den Eindruck, sehr teuer und sehr zweckmäßig zu sein. Ein großer Schreibtisch stand vor der Fensterfront, hinter der schwärzeste Nacht herrschte.

Nur langsam tröpfelten die Ereignisse der letzten Stunden in mein berauschtes Hirn. Verrückterweise galt meine erste Sorge nicht mir und meinem Schicksal, sondern dem kleinen, rostigen Roller, der mutterseelenallein auf der Straße stand.

Ich beruhigte mich damit, dass hier sowieso alle eine Limousine und es deshalb wohl nicht nötig hatten, sich meinen fahrbaren Untersatz unter die manikürten Nägel zu reißen.

Auf dem Schreibtisch entdeckte ich einen Laptop, um genauer zu sein, Kaibas Laptop, gut zu erkennen, an dem protzigen KC-Logo. Allerdings war ich überrascht, nicht meinen Klassenkameraden mit verkniffenem Gesicht hinter dem Plasmaschirm zu entdecken.

Seltsam, ich hatte immer geglaubt, die beiden wären eine Art Symbiose eingegangen und könnten nun nicht mehr ohneeinander existieren.

Schwerfällig drehte ich den Kopf. Bei jeder Bewegung tanzten bunte Wirbel vor meinen Augen, während ich mich darum bemühte, die einzelnen Fragmente zu einem logischen Ganzen zu fügen.

Das Gesamtbild, das ich schließlich erhielt, war jedoch bar jeder Logik.

Wenn ich mich recht entsann, dann hatte ich Pizza ausgefahren und war irgendwie bei Kaiba gelandet, der… mich betäubt hatte?

Aber das konnte nicht sein, oder?

Ich meine, das war so absurd, dass es… schon wieder möglich war.

Gut, Kaibas Anblick half nicht unwesentlich dabei, mich zu überzeugen. Mein Blick war auf einen Sessel, ein paar Meter von mir entfernt, gefallen, der den Eindruck machte, als sei er nur deshalb so planlos in den Raum hineingestellt, damit Seto Kaiba sich jetzt so aufdringlich gelassen darin aalen konnte.

Er betrachtete mich, schien es schon die ganze Zeit getan zu haben und ich wusste nicht, was mich mehr beunruhigte: Die Tatsache, dass er mich beobachtete, während ich bewusstlos war oder dass er überhaupt anwesend war?

Ein bis zwei Wimpernschläge starrten wir uns einfach nur an, dann beschloss ich, mich in eine konfrontationswürdigere Position zu begeben. Sollte heißen, ich hatte mindestens vor, mich aufzusetzen, wenn mein benebelter Schädel mir nicht vorher den Stinkefinger zeigte.

Doch selbst diese kleine Bewegung blieb mir versagt.

Als ich meine Arme ranziehen wollte, schepperte es metallisch, gleichzeitig ging ein Ruck durch meine Handgelenke.

Ich fixierte Kaiba wütend.

Etwas Lauerndes war in seine Augen getreten, das mir das Herz in der Brust zusammenschnürte. Die langen, bleichen Finger spielten mit einem Stift herum, dessen metallisches Aufblitzen mir in die Sinne stach.

Er stand so abrupt auf, dass der Sessel kurz schwankte, aussah, als wolle nach hinten kippen. Kaibas hektische Bewegung hatte auch mich erschreckt, doch im nächsten Augenblick stand er schon wieder ganz die Ruhe selbst gegen den Bettpfosten gelehnt.

„Ich wollte eine Spritze nehmen, aber Chloroform erschien mir sicherer. Wusste ja nicht, dass es so einfach sein würde.“

Verständnislos sah ich ihn an, wusste nicht, was ich darauf sagen sollte… was nicht weiter schlimm war, denn Kaiba schien sich nicht an meinem Schweigen zu stören.

„Pizza?“ er deutete auf die Schachtel, die, noch immer ungeöffnet, neben dem Sessel lag.

„Mach mich los!“ verlangte ich fest, versuchte, mich zur Ruhe zu zwingen.

Gern hätte ich ihn angeschrieen.

Was er sich einbildete, wer er glaubte, der er war, welcher Idiot ihm ins Hirn geschissen hatte und dass ich ihn so was von alle hierfür machen würde, doch nichts davon kam über meine Lippen.

Ich brachte ein geradezu rekordverdächtiges Maß an Selbstbeherrschung auf, vor allem, wenn man bedachte, wer hier vor mir stand und wie schlecht es sonst um unsere Sympathien bestellt war.

Kaiba verzog den Mund zu einer hässlichen Fratze, die wohl ein spöttisches Lächeln sein sollte.

„Später.“

„Sofort!“

„Wir haben viel Zeit. Ja~h…“, seine Augen schweiften für eine kurz haltlos durch den Raum, kehrten schließlich zu mir zurück und ein beinahe vernünftiger Ausdruck war in sie getreten. „Sehr viel Zeit, Wheeler.“

Mir missfiel dieser dunkle, erwartungsvolle Unterton in seiner Stimme aufs Heftigste.

„Wenn du mich jetzt losschnallst, gehe ich einfach nach Hause und wir tun so, als wäre das alles nie passiert.“

Er sah mich mitleidig an. Dieser gewisse, nachsichtige Blick, mit dem man sonst nur Kinder oder geistig Minderbemittelte bedachte.

„Aber es ist doch schon passiert.“

„Wir vergessen es einfach“, schlug ich mit einem, wie ich hoffte, möglichst versöhnlichen Lächeln vor.

„Nein“, er schüttelte bedächtig den Kopf, „ich denke nicht.“

Er begann, langsam das Bett zum umrunden.

Das kalte und doch irgendwie hungrige Glitzern in seinen Augen bewog mich dazu, ein zweites Mal an meinen Fesseln zu zerren, jetzt fester.

Die Schellen klapperten geräuschvoll aber harmlos gegen das Bettgitter.

„Hör mit dem Psychoscheiß auf und lass mich frei!“

„Aber das kann ich doch nicht“, ein Ausdruck tiefen, vorgetäuschten Bedauerns legte sich über sein Gesicht, „denn wenn ich dich freilasse, bin ich es doch nicht mehr. Frei.“

Irritiert, vor allem aber hochgradig verärgert blinzelte ich zu ihm hinauf.

„Was?“ schnappte ich ungehalten.

„Schon vergessen, Köter? Du hast doch selbst gesagt, Freiheit ist Spaß. Nun, wenn ich dich gegen lasse, habe ich keinen Spaß mehr.“

Meine Kehle wurde verdächtig trocken. Seine Worte gepaart mit diesem diabolischen Lächeln, das schon seit geraumer Zeit die schmalen Lippen umspielte, zogen mir das Herz zu einem kleinen, heftig klopfendem Klumpen zusammen.

Ich schluckte schwer.

„Das ist glatte Entführung, damit kommst du nicht durch. Nicht einmal du“, flüsterte ich zornig.

„Ach nein?“ er legte den Kopf schief, tat, als müsse er angestrengt nachdenken. „Wer sollte mich denn hindern? Deine Freunde?“

„Zum Beispiel.“

Amüsiert schüttelte er den Kopf.

„Ich denke nicht. Deine Kleine ist mit ihrem zweiten Kindergarten auf diesem Selbstfindungstrip und Yugi hilft dem Herrn Großpapa. Keiner von ihnen hat Zeit, sich um einen verloren gegangenen Welpen zu kümmern.“

„Du hast gelauscht?“

„Ja“, gab er ohne Umschweife zu. „Bleibt noch dieser unterbelichtete Vormensch.“

„Tristan“, knurrte ich übellaunig.

Trotz meiner zugegeben ein wenig unglücklichen Situation fand ich noch Zeit und Kraft, meine Freunde zu verteidigen.

Kaiba machte eine wegwerfende Geste, die klarmachte, dass ihm Tristans Name gleichgültiger nicht hätte sein können.

„Der ist viel zu beschäftigt damit, Mädchen nachzustellen.“

„Ist er nicht! Und Yugi und Tea werden anrufen und wenn da keiner rangeht, dann…“

“Dann was?“ spöttisch hob er die Brauen, „Werden sie denken, dass du gerade arbeitest? Dass du dich in irgendeinem miesen Schuppen herumtreibst? Oder schlichtweg das Telefon nicht hörst?“

„…“

„Nein, Wheeler. Keiner wird die Polizei anrufen, nur weil sie dich für ein, zwei Wochen nicht erreichen.“

„Ein, zwei Wochen?!“ echote ich entsetzt.

Ich hatte nicht vor, auch nur noch eine Stunde hier zu verbringen, geschweige denn eine ganze Woche!

„Ja, solange sind wir ganz unter uns. Keiner wird nach dir suchen.“

„Mein Vater schon!“ schleuderte ich ihm schadenfroh entgegen.

„So? Tut er das?“ Kaiba verzog einen Moment lang den Mund, dann schenkte er mir wieder eines seiner freudlosen, unbeteiligten Lächeln, zuckte gelassen die Schultern. „Und wenn schon. Der Sohn eines notorischen Säufers veranlasst für gewöhnlich keinen Beamten dazu, den Notstand auszurufen. Du wärst nur einer von hundert Jugendlichen, die es daheim nicht mehr ausgehalten haben und fortgelaufen sind. Stell dich hinten an.“

„Wenn sie bei meiner Arbeit nachfragen, werden sie deine Adresse haben.“

„Ich sehe darin kein Problem. Ja, ich habe mir eine Pizza bestellt. Sie ist nicht gekommen, und?“

Mein Mund klappte auf, doch mir fiel nichts ein, was ich darauf noch sagen sollte. Das war eine glatte Lüge. Aber wer könnte ihm das schon nachweisen?

Warum sollte man an seinem Wort zweifeln?

„Selbst wenn“, fuhr Kaiba ungerührt fort, diese Unterhaltung schien ihm sichtlich Freude zu bereiten, so viel hatte ich ihn im ganzen letzten Jahr nicht reden hören- von Beleidigungen einmal abgesehen, „ein Polizist mitten im Zimmer stehen und dich sehen sollte, so wie du jetzt bist, ändert das überhaupt nichts.“

„Natürlich täte es das!“

„So?“, ein Schmunzeln flog über sein Gesicht, „Glaubst du? Auch, wenn ich ihm eine Eins mit schönen vielen Nullen vorm Komma gebe? Wohl kaum. Für kleine, verschwundene Straßenjungen bekommt man nicht viel. Vielleicht stellen sie ein paar Leute vom Außendienst zur Verfügung und selbst das wäre noch ein finanzieller Verlust, denn für Strafzettel bekommen sie wenigstens Geld. Du hingegen hast keine Familie, die sich in irgendeiner Weise bei den lieben Rettern erkenntlich zeigen könnten und von Ruhm allein kann man kein Haus kaufen, kein Auto und keine Reise.“

“Damit kommst du nicht durch!“ wiederholte ich nur fest.

„Ich denke doch. Aber lass uns den Gedanken ruhig zu Ende spinnen. Da ist also dieser Polizist und er findet dich tatsächlich. Da steht er nun und kann zwischen der eher zweifelhaften Ehre, dich gerettet zu haben, und meinem Scheck wählen. Er sieht dich an und das Geld und erinnert sich an seine kleine Tochter, die sich doch so dringend diese ferngesteuerte Puppe gewünscht hat, die er ihr leider nicht kaufen kann, weil sein mageres Gehalt kaum für die Zweizimmerwohnung im Stadtkern reicht.“

„Es muss ja kein Familienvater sein“, fauchte ich giftig.

„Nicht? Fein, ist er eben alleinstehend, jung, frei, unabhängig und leider, leider noch nie auf Mallorca gewesen. Wo sich all diese willigen, heißen Europäer treffen, um wilde Orgien zu veranstalten. Wo selbst ein hoffnungsloser Fall wie er eine Frau abbekäme. Gegen eine scharfe Deutsche siehst du ehrlich gesagt ein bisschen alt aus, Wheeler.“

„Nicht jeder ist so ein triebgesteuertes, selbstsüchtiges Arschloch wie du!“ die Worte waren schneller draußen, als ich über sie nachdenken konnte. Sie taten mir selbst danach nicht wirklich Leid, obwohl mir durchaus bewusst war, dass ich in meiner derzeitigen Position die Klappe nicht zu weit aufreißen sollte.

Aber es war eben doch nur Kaiba und ich weigerte mich, vor ihm Angst zu haben und mir den Mund verbieten zu lassen.

„Gut, nehmen wir mal an, er ist es nicht“, er hob spöttisch die Braue, so als halte er das für ausgesprochen unwahrscheinlich, „tun wir so, als wäre er so ein richtig feiner Kerl, mit Gewissen und Moral. Was glaubst du, welche Zahl müsste ich auf meinen Scheck schreiben, damit er dir wieder den Rücken kehrt?“

Ich schwieg eisig.

„Antworte ruhig. Wie viel ist ein Leben wert? Wie viel“, er hatte das Bett umrundet, starrte nun direkt auf mich hinunter, „ist DEIN Leben wert?“

Ich schaute trotzig zur Seite.

„Du weißt sie nicht? Schon gut, ich auch nicht. Aber glaube mir, Wheeler, es gibt eine Zahl. Jeder Mensch ist käuflich. Moral und Geld vertragen sich nur bis zu einem gewissen Grad miteinander. Im Ernstfall wird immer der Egoismus siegen.“ Und mit dem selben desinteressierten Lächeln, mit dem er wohl auch übers Wetter reden würde, fügte er hinzu: „Das ist ganz natürlich.“

Er seufzte schwer, als hätte er ein entsetzlich ermündendes Meeting hinter sich, dann trat das altbekannte, ewig verachtende Lächeln auf sein Gesicht zurück.

„Genug geredet.“

Nein!

Nein, nein!

Nicht genug geredet!

Nicht, dass mir gefiele, was er mir bisher zu sagen gehabt hatte, aber Kaiba war mir immer noch um Längen lieber, wenn er sich so großkotzig profilieren musste, als wenn er … irgendetwas anderes tat, von dem ich vielleicht gar nicht wissen wollte, was es sein würde.

Fieberhaft suchte nach einem Thema, um ihn am Sprechen zu halten.

Währenddessen ließ er sich neben mich auf die Bettkante sinken.

Die Matratze gab unter seinem Gewicht nach.

Er war mir so nah, dass ich seine Wärme an meiner Seite spüren konnte.

Zu nah!

Viel zu nah!

„Was… was… warum ich?!“ endlich war mir etwas eingefallen.

Er hielt einen Moment inne, lächelte dann.

Beinahe erfreut.

„Ich dachte schon, du fragst nicht mehr. Weil“, Kaiba schoss so plötzlich vor, dass ich die Bewegung mehr erahnte, denn sah und ich befürchtete schon, er würde unsere Schädel aneinanderschmettern, damit meine Migräne sich zu infernalischen Qualen ausweitete, doch er stoppte kurz vor meinem Gesicht, „du immer Widerworte geben musstest.“

Sein warmer, geruchsloser Atem schlug mir ins Gesicht.

Ich drehte den Kopf weg und behielt ihn trotzdem, so gut es ging, im Auge.

„Ist das hier deine kranke Vorstellung von Rache?“

Er schnalzte tadelnd mit der Zunge.

„Wer will sich denn rächen? Ganz im Gegenteil, ich danke dir. Mit deinem Starrsinn, deiner Unfähigkeit, zu Fehlern zu stehen und diesem unverwüstlichen Optimismus hast du erst mein Interesse geweckt und mich sehr amüsiert.“

Fünf lange, unerwartet rohe Finger fuhren in mein Haar, zerrten meinen Kopf zurück. Mein Magen zog sich zu einem harten Bündel Furcht zusammen, die mir langsam durch die Venen den ganzen Körper entlang krabbelte.

Ich versuchte, so teilnahmslos wie nur möglich zu erscheinen.

Einmal gewonnenes Interesse konnte man schließlich auch wieder verlieren, nicht wahr?

Seine Stirn drückte sich hart gegen meine, die hellen, in bösartiger Vorfreude glitzernden Augen schnitten sich in meinen Verstand.

Seine Stimme war nicht mehr, als ein tonloses, raues Flüstern.

„Ich werde dich zerschlagen, Joey Wheeler.“

Meine Augen weiteten sich entsetzt und doch... irgendwie hatte ich es ja geahnt. Er war ein verdammter Psycho, natürlich würde er mich am Ende kalt machen.

Auf meinen vernichtenden Blick reagierte Kaiba allerdings mit einem sanften und irgendwie unechten Lächeln.

„Nicht deinen Körper, deine…“, er zögerte, schien sich an dem Wort die Zunge zu schneiden, „Seele. Deine Person. Dein Lachen, deine wildromantischen Weltvorstellungen, diesen schrecklichen Freundschaftssinn, kurz: alles, was dich ausmacht.“

Jetzt wäre ich gern von ihm abgerutscht. War mir leider gerade nicht möglich.

„Aber“, meine Augen suchten unstet nach einem Anzeichen, dass er nicht ernst meinte, was er da sagte, „was soll dann noch von mir bleiben?“

Er lächelte unterkühlt.

„Das ist die Frage, die es zu beantworten gilt“, ein fanatisches Funkeln hatte sich in seine Augen geschlichen, die mich mit geradezu wissenschaftlichem Interesse musterten, „was ist von dir übrig, wenn man dir all diesen überflüssigen Quatsch nimmt?“

Eine eiskalte Hand schlich sich unter mein Shirt und krallte sich hart um mein rasendes Herz.

Künstler

Warnings: Dark, angst, lime, light torture
 

Vorwort (ja, endlich hab ich was zu sagen ^^°): Kaiba ist ein abgedrehter Psycho? *am Kopf kratzt* Ähm… ja, ist er. I’m sorry, aber mal ehrlich, wir mögen ihn doch ein bisschen… bedrohlicher *schnurrr*.

Und warum ist er nun ein abgedrehter Psycho?

Das kommt im Laufe der Geschichte hoffentlich noch zum Ausdruck ^^.
 


 

Es herrschte die Ruhe nach dem Sturm.

Kaiba schien sich müde geredet zu haben. Die Augen geschlossen und wieder in seine Festung aus Ablehnung und Gleichgültigkeit zurückgezogen, spielte er mit dem silbernen Stift herum, ließ ihn in seinen bleichen Fingern hin und her wirbeln.

Und ich… nun ja, ich war damit beschäftigt, seine Worte in einen für mich logischen Zusammenhang zu bringen. In einen anderen, als den, dass ich an einen komplett Wahnsinnigen geraten war.

Es war ja immer noch Kaiba, nicht wahr?

Mein Klassenkamerad, der mich zwar nie gemocht hatte, aber eigentlich viel zu abgeklärt und gelangweilt war, um sich auf diese Psychospielchen einzulassen.

Er hatte was Besseres zu tun- Millionen scheffeln, zum Beispiel. Oder seine Angestellten zur Schnecke machen.

Verdammt, es wuselten hundert Leute um ihn herum, die er nach Lust und Laune bis auf’s Zahnfleisch ausbluten lassen konnte!

Warum, WARUM, WARUM, WARUM verfickt und zugenäht gerade MICH?!

Scheiße Gott! Das ist nicht witzig!

Abrupt hörte Kaiba auf, seine Finger um den Metallstab zu wickeln. Jetzt sah ich auch, dass es gar kein Stift war sonder…

„Hey, was machst du da?“

„Wie fühlt es sich denn an?“

„Nimm das Messer da weg.“

Er lächelte blasiert.

“Es ist ein Skalpell.“

“Das macht es nicht besser!“ fauchte ich wütend, versuchte nach ihm zu treten. Wenigstens die Füße hatte ich frei- man muss sich auch über die kleinen Dinge freuen.

Doch Kaiba saß zu weit oben und drückte meine Knie herrisch wieder hinunter.

„Nun stell dich doch nicht so an“, er sah genervt aus.

„Ich möchte dich mal sehen, wenn man dir ein Messer an die Kehle hält!“ gab ich schrill zurück.

Ungnädig schüttelte ich seine Hand ab. Die blitzende Klinge an meinem Hals motivierte mich mehr als alle Wut und aller Ärger, mich gegen meine Fesseln zu werfen.

Es gab ein lautes, eisernes Scheppern, als die Handschellen zum zweiten Mal gegen das Gitter knallten. Es wackelte und für einen Moment sah selbst Kaiba mit kritisch verengten Augen zum Kopfende, doch es hielt.

Er lächelte mich freudlos an und ich glaubte, eine gewisse Häme in den hellen Augen wahrzunehmen.

„Gib es auf, du kommst nicht frei.“

„Das werden wir ja sehen“, Saftsack, setzte ich in Gedanken hinterher, bevor ich mich erneut gegen die Eisen stemmte, dass das Bett wackelte.

Cool wäre es jetzt, Superman zu sein. Von mir aus auch Hulk- lieber grün als tot.

Das Klirren von Stahl auf Eisen hallte mir in den Ohren wieder, ein eigener, beständiger Rhythmus, brutal und schmerzhaft, aber hoffnungsvoll.

So lange ich mich wehrte, hatte ich eine Chance, nicht wahr?

So lange ich nicht aufgab, hatte er nicht gewonnen und ich würde nicht schon wieder gegen Kaiba verlieren. Schon gar nicht mich selbst!

Die Titel konnte er haben, DuellMonsterschamp soundso, aber nicht mich!

Er saß neben mir, das silberne, schlanke Messer wieder zwischen den Fingern drehend, und schaute mir interessiert zu.

Während ich mich verausgabte, schien mein Gegenüber gelassen, beinahe entspannt, als genieße er sein ungewöhnliches Abendprogramm.

Meine Handgelenke schmerzten und meine Schultern fühlten sich an, als würden sie brechen. Ich kam mir wie eines dieser armen Viecher vor, die sich in einer Bärenfalle selbst die Pfote abreißen, um zu überleben.

Außerdem hatten die Ringe hatten mir die Haut aufgescheuert. Es brannte fies und tat auch sonst übel weh, aber ich hörte nicht auf.

Lieber fügte ich mir selbst Schmerz zu, als es ihm zu gestatten.

Seine Augen wanderten meine Arme hinauf, blieben an den wunden Gelenken hängen und mit einer dieser ruckartigen, blitzschnellen Bewegungen, die er hin und wieder aus keinem bestimmten Anlass zu machen schien, schoss seine Rechte vor, umklammerte sie hart.

Zischend stieß ich die Luft zwischen den Zähnen aus, funkelte vernichtend in sein blasses Gesicht, das unmittelbar über mir schwebte.

„Das bringt doch nicht“, seine Stimme klang verdächtig weich und mitleidig.

Alles nur gefakt!

Meine Zähne gruben sich in meine Zunge. Seine Finger sandten gleißenden Schmerz meine Arme hinab, doch die Genugtuung, ihn an meinem Leiden teilhaben zu lassen, würde ich ihm nicht gewähren.

Kaiba sah mich an, runzelte die Stirn und ließ mich unvermittelt wieder los.

„Wirst du stillhalten?“

„Einen Dreck werde i-“, seine Faust traf mich unvorbereitet und erschreckend brutal im Gesicht.

Mein Kopf flog zur Seite und Schmerz explodierte in meinem Unterkiefer. Ein dumpfes Pulsieren breitete sich über meiner Wange aus.

Ich blinzelte unfokussiert die Wand an, versuchte meine Sinne wieder zu sammeln.

Ein Gutes hatte die Sache, ich registrierte das Brennen an meinen Händen nicht mehr.

Nur unterschwellig bekam ich mit, wie er das Messerchen wieder ansetze, dann wurde es kühl.

Ich spürte die teuflisch scharfe Klinge über meine Haut kratzen, ohne sie dabei auch nur zu ritzen.

Kaiba musste Übung in so was haben und ich wollte gar nicht wissen, woher.

Mir drehte sich alles.

Finger, so kalt, dass sich mein Körper protestierend zur Seite wand, glitten über meine Brust.

„Ganz ruhig“, hörte ich ihn irgendwo über mir, dann bohrte sich etwas Spitzes in meine Haut.

Ich schrie auf, mehr aus Wut und Verzweiflung, denn wirklicher Qual, und riss erneut so hart an meinen Ketten, dass ich mir sicher war, entweder das Gitter oder meine Knochen müssten bersten.

Kaiba zischte ärgerlich, zog die Waffe rasch wieder zurück.

„Jetzt halt still! Ich will dich nicht verletzten.“

„Nicht verletzen?“ echote ich schrill. „Du bist dabei, ein Messer in meinen Körper zu rammen!“

„Skalpell“, belehrte er mich gewohnheitsmäßig kühl, während seine Augen in fanatisch-fiebrigem Glanz nach der besten Stelle für den ersten Schnitt suchten.

„Das ist mir herzlich egal!“

Ich bog meinen Oberkörper, so gut es ging, weg.

Er drehte mich zurück, seine spinnenartige Hand glitt über meine nackte Haut, wie rasend warf ich meinen Kopf hin und her.

„Tu das nicht! Wenn du das machst, werde ich es dir nie verzeihen.“

Einen Moment lang hielt er inne, lächelte dann blass.

Nie ist eine verdammt lange Zeit, Wheeler.“
 

Anfangs schloss ich die Augen, dann stellte ich fest, dass nur eines schlimmer war, als bei lebendigem Leibe aufgeschlitzt zu werden- es nicht sehen zu können.

Nur zu fühlen, wie die Klinge sich unter meine Haut schob, sie säuberlich in lange, gerade Schnitte zerteilte, machte mich halb wahnsinnig.

Ein seltsames Gemisch aus schierer Panik und gnadenloser Wut brannte sich mindestens ebenso heiß durch meinen Körper, wie die Klinge sich ihren blutigen Weg über ihn hinweg.

Das kalte Metall nicht aus den Augen zu lassen, gab mir wenigstens die Illusion, ich könne irgendetwas an seiner Bahn ändern, durch reine Willenkraft.

Kaiba war die ganze Zeit über beinahe verdächtig still, studierte den Lauf des Skalpells mit höchster Konzentration und doch irgendwie weggetreten, als würde er jemand anderem über die Schulter schauen.

Das Blut, das aus den haarfeinen Rissen quoll und einen geradezu obszönen Kontrast zu seinen leichenblassen Fingern bot, schien ihn unheimlich zu faszinieren.

,Kaiba ist so ziemlich der unfreiste Mensch, den ich kenne’, schossen mir Teas Worte durch den Kopf und während er mich nach allen Regeln der Kunst auseinander nahm, pflichtete ich ihr im Stillen bei.

Vielleicht konnte er nichts dafür, dass er so ein verdammtes Arschloch geworden war.

Das machte es nicht wirklich besser und es half mir auch nicht weiter, aber der Gedanke tröstete mich irgendwie.

Denn wenn Kaiba echt einen an der Scheibe hatte, dann war ich der Klügere, der Vernünftigere von uns beiden.

Unglaublich, dass ich das einmal behaupten können würde.

Allgemein war ich nicht gerade für meine bedachten, wohlüberlegten Reaktionen bekannt, aber mit Geistesgestörten sollte man sich ja nachsichtig zeigen.

Es machte es für mich leichter, von Kaiba als Opfer zu denken, es verdrängte meine Hilflosigkeit.

Abrupt ließ Kaiba das Skalpell sinken, betrachtete sein Werk. Ein scheinbar sinnloses, hochgradig wirres Gespinst aus kleinen und größeren Schnitten spannte sich über meiner Brust und einem Teil des Bauches.

Die meisten waren so schmal, dass sie jetzt schon aufgehört hatten, zu bluten. Die rote Flüssigkeit war an der kühlen Luft getrocknet, hatte den Ton von rostigem Eisen angenommen; es war unwahrscheinlich, dass sie länger als zwei Tage sichtbar blieben.

Ich hatte mir in meinem bewegten Leben genügend Schrammen und Kratzer zugezogen, um zu wissen, welche Narben hinterließen.

Mein Gegenüber legte den Kopf schief, begutachtete das Gebilde kritisch, doch auch mit der grimmigen Zufriedenheit eines Künstlers, der ein langwähriges, kompliziertes Projekt bezwungen hatte.

Er sollte sich nicht zu früh freuen, ich war wesentlich härter als Marmor und zäher als Kleister!

Ganz sicher ließ ich mich von seiner kleinen Vorstellung nicht einschüchtern… nicht zu sehr jedenfalls.

So versuchte ich auch, weitestgehend unbeteiligt auszusehen, als er seinen bleichen Zeigefinger in einen noch blutenden Schnitt drückte, ihn eine Sekunde länger auf meiner Brust liegen ließ, als nötig gewesen wäre.

Es brannte nicht sehr, zumindest nicht mehr, als alles andere, doch ich glaubte seine Berührung noch zu spüren, als längst wieder fort war.

Fasziniert betrachtete er das grelle Rot auf seiner blassen Haut, dann bohrte sich sein glaskalter Blick in meine Augen und er entließ mich auch nicht aus ihm, als er seine Hand langsam an die schmalen Lippen führte.

„Damit wirst du niemals durchkommen.“

Er klang gelangweilt: „Das tue ich doch schon.“

„Man kann sich nicht einfach einen Menschen schnappen, wenn man gerade Lust dazu hat.“

„ ,Man’ nicht, ich schon.“

Er schenkte mir ein beinahe mitleidiges Lächeln, schüttelte den Kopf, als ich widersprechen wollte.

„Du wirst dich schon daran gewöhnen.“

„An deine psychopatische Ader?“ gab ich beißend zurück.

Er lachte, als hätte ich etwas ganz besonders Amüsantes gesagt.

„Daran, dass das Leben nicht so fair ist, wie dein bunter Kindergarten gern glauben möchte. Nein“, wiederholte er langsam und sein Blick glitt ins Leere, „das ist es nicht.“

„Oh“, zischte ich ärgerlich, „glaubst du, du wärst der Einzige mit einer Scheißkindheit? Hör auf, dich so aufzuspielen! Es ist einfach erbärmlich!“

Erstaunlicher Weise schien in meine Beleidigung gar nicht zu erreichen, er zuckte unbeteiligt mit den Schultern.

„Ich will es auch gar nicht auf den frühen Tod meiner Eltern, die wirklich unschöne Zeit im Waisenhaus oder Gozaborus noch grässlichere Erziehung…“

„Ich werde dich jetzt nicht bemitleiden!“

„… schieben“, strafend, weil ich ihm ins Wort gefallen war, sah er mich an, dann bleckte er die Zähne, „ich bin von Natur aus so ein Ekel.“

„Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung“, murmelte ich lahm, während mir dieses gemeine Grinsen den Magen zusammenschnürte.

„Warum Besserung? Mir gefällt mein Leben, für mich läuft doch alles glänzend.“

„Du hast keine Freunde, nur Arbeit und bist ständig allein“, sprach ich die niederschmetternde Wahrheit aus.

Einen Moment lang schien er ernsthaft darüber nachzudenken, dann schlich sich ein feines Lächeln auf Kaibas Lippen.

„Jetzt habe ich ja dich.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (47)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  ChigusaxRakan
2015-05-30T06:41:10+00:00 30.05.2015 08:41
Hallo? Gibts dich noch? ^^
Von:  MarieSoledad
2013-11-14T18:48:01+00:00 14.11.2013 19:48
Hey, ich wollte mal nachfragen, obs hier noch jemals weitergehen soll? Ich steh auf die geschichte...Kaiba gekonnt als Psychophat *schnurr*
Von:  lilac
2013-10-08T21:34:55+00:00 08.10.2013 23:34
Ich würde ja zu gerne w7ssen wie es weiter geht und was Kaiba joey noch alles antut.
Kaiba ist hier ja so krass abgedreht ...absolut süchtig machend.
Schreib. Argh.
Von:  lilac
2013-10-08T21:12:13+00:00 08.10.2013 23:12
Woah ...kaiba dreht ja voll am Rad.
Eine wirlichbintressante Idee ...und unheimlich gut umgesetzt.
Von:  lilac
2013-10-08T20:51:49+00:00 08.10.2013 22:51
Klingt sehr viel versprechend ...
Von:  ChigusaxRakan
2013-07-16T16:58:58+00:00 16.07.2013 18:58
Falls es dich noch gibt - wird die Story irgendwann noch fortgesetzt? Es wäre echt viel zu schade sie abzubrechen...^^° LG
Von:  masa
2012-09-01T00:45:13+00:00 01.09.2012 02:45
hi, deine story ist voll der hammer. ich wollte fragen ob sie noch weiter geht .
Von: abgemeldet
2009-11-29T18:07:56+00:00 29.11.2009 19:07
geht's nicht weiter? ;_; menno, dabei ist die fanfic so spannend...
Von:  Tea_Kaiba
2009-11-15T20:24:18+00:00 15.11.2009 21:24
^^
Wir mögen ihn ein bisschen bedrohlicher?
Und ich dachte schon, du warst nicht so besonders erfreut, als du während unseres RPGs mal spekuliert hast, dass ich Seto wohl gern etwas fieser und sexueller hätte.

Sehr geil wie immer Joeys Einstellung - "lieber grün als tot".
Keine Ahnung, warum mir gerade jetzt der Gedanke kommt, aber wird Mokuba nicht irgendwann merken, dass sein Bruder ein seltsames neues Hobby hat? Und den kann er wohl kaum mit ein paar hübschen Nullen zum Schweigen motivieren...

Schreibt man gefaked nicht mit "ed" am Ende? Ist mir eben auf Seite 3 aufgefallen. Ist natürlich bei dien eingedeutschten englischen Begriffen immer schwer zu sagen, aber das "e" müsste meiner Ansicht nach auf jeden Fall noch rein.

Also, besonders charakteristisch kann ich Setos Darstellung nicht finden, dafür ist sie mir einfach eine Spur zu abgedreht für unseren kühlen Kopf. Dafür ist es umso unterhaltsamer, ihn mal in so einer Rolle zu erleben. Ich würde mich auf jeden Fall freuen, wenns weitergeht!
Von:  Tea_Kaiba
2009-11-15T20:08:50+00:00 15.11.2009 21:08
Joey kennt das Wort Symbiose? Der Kerl überrascht mich immer wieder.
Erst recht, da er offenbar kaum in der Lage ist, klar zu sehen, und sich schon an solche Begriffe erinnert.

Woha.
Psychotrip ist noch gar kein Ausdruck für Setos Spielchen. Als verkappten Sadisten kann ich ihn mir ja noch vorstellen, aber als jemanden, der so viel Zeit und Aufmerksamkeit auf diese Spielchen verwendet?


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