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In my Time of Dying

Teil III: Am Ufer des dunklen Wassers
von

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Thirst

„Mein Name ist Gabriel!“
 

Setsuna stockte kurz der Atem als sich eine dicke Kälte auf seinen Brustkorb legte, um dann wie ein schwerer Anker in seinem Geist zu versinken. An sich war es unvorsichtig seinen Geist so offen und einladend zu lassen, anstatt engstirnig auf die eigene Meinung zu beharren, obgleich konnte Setsuna nicht zurückweichen, so wie es unter Umständen klüger gewesen wäre. So sank der Anker weiter durch das tiefe Wasser, an Orte wo kein Mensch je zu gehen gewagt hatte. Zu tief, nicht genug Luft und zu viel Druck, um wirklich richtig dort unten zu recht kommen zu können. Nur ausgewählte Lebewesen konnten am Grund des Meeres überleben, zu wenig Licht als das man sich wahrlich wohlfühlen konnte.
 

Aber trotz dessen wehrte sich Setsuna nicht, weil der Name je tiefer er in seinen Geist sank immer stärker eine Empfindung auslöste, die er nicht kannte.
 

Eine angenehme Empfindung.
 

Der einzige Vergleich, den er ziehen konnte, ohne dass es ihm wie eine Lüge vorkam, brachte ihn zurück zu seinem ersten Treffen mit Adam Kadamon. Müde, ausgelaugt und verwirrt hatte er verletzt auf dem Boden der Fabrik gelegen und im nächsten Moment war er von Licht und Wärme umgeben gewesen. Dieses Gefühl harmonisierte so sehr mit Gabriel, dass es schmerzte, besonders da Setsuna im nächsten Moment sich in Erinnerung rufen musste, dass Adam Kadamon fort war.
 

Aber es ist nicht dasselbe, wisperte eine leise Stimme in ihm enttäuscht. Das ist nicht Seraphita.
 

„Wollen Sie sich vielleicht setzen?“, fragte Setsuna und seine Hände krallten sich in das Handtuch, von dem er sich nicht mal sagen konnte, wann er es geholt hatte. Dennoch kam ihm dieses ausgeblichene Stück Stoff nun als seine einzige Verteidigung vor. Wohl aber mehr als Möglichkeit eine Barriere zu schaffen und weniger als Waffe gegen einen möglichen tätlichen Angriff.
 

„Sie sehen blass aus“, krächzte Setsuna leicht und räusperte sich, um seine Stimme wieder zu finden.
 

Es wäre richtig und höflich gewesen, seinem Gast zu helfen, als dieser zu dem Sofa wankte und sich erschöpft darauf niederließ, aber da Setsuna nicht wusste, wie er dem Engel gegenübertreten sollte, der bloß einen Namen gebraucht hatte, um ihn aus der Fassung zu bringen, würde er solange hier stehen bleiben, wie es möglich war. Jedoch empfand er weniger Angst als Nervosität, stellte Setsuna fest als er sich seine schweißnassen Hände an der Jeans rieb. Da diese nach wie vor feucht war, brachte es nicht viel, außer die Erkenntnis, dass er sich das letzte Mal so gefühlt hatte, als er seinem Großvater hatte gegenübertreten müssen.
 

Die Gegenüberstellung von seinem in der Erinnerung verblassten Großvater und dem sehr realen Gabriel mochte abnorm erscheinen, aber die Mischung aus Erwartung, Hoffnung und möglicher Enttäuschung war exakt dieselbe. Einschließlich der Gefahr mit einem scharfen Blick geprüft und als unzulässig erachtet zu werden.
 

„Möchten Sie etwas?, fragte Setsuna daher, wenn auch ein wenig steif. „Kann ich Ihnen etwas bringen?“
 

„Wasser“, erklärte der erschöpfte Engel auf der Couch. „Wasser wäre wunderbar.“
 

„Sofort“, schoss es aus Setsunas Mund und er verschwand, froh darüber dass er etwas zu tun hatte.
 

-
 

Gabriel sah zu, wie der Junge eilig aus dem Zimmer verschwand. Dem Geräusch nach lief er nur in die anliegende Küche, aber es war ihm derzeit erst einmal Abstand genug. Es gab einen Moment um durchzuatmen und sich zu sammeln. Nicht genug, um die eigenen wirren Gedanken zu ordnen, aber für ein paar tiefe Atemzüge würde ausreichen. Luft füllte seine Lungen und kaum, dass er sie durch seine Nase eingezogen hatte, dankte er den Mächten, dass er sich in einem Haus befand. Das Atmen fiel ihm nicht schwer, aber die kalte beißende Luft von draußen, hätte er jetzt nicht ertragen.
 

Stattdessen begrüßte Gabriel die Wärme, die langsam in seine Glieder kroch. Mit ihr wich ebenfalls eine Spannung aus seinem Körper, deren Verschwinden zur Folge hatte, dass er sich mit einem Seufzen in die weiche Lehne des Sofas fallen ließ. Das Möbelstück mochte nicht mehr das Neueste sein, aber das eingedellte warme Leder suggerierte wenigstens, dass bereits häufig verwendet worden war. Vorsichtig streckte Gabriel seine Beine aus und während er darauf achtete, dass er die Bücher nicht umschmiss, die sich unter dem Wohnzimmertisch stapelten, erinnerte sich wohl ein Teil seines Körpers daran, dass steif und gerade sitzen keine überlebenswichtige Verpflichtung war.
 

Genüsslich lehnte Gabriel den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Es war angenehm, so daliegen zu können und nichts zu tun und wäre nicht der unablässige Durst in seiner Kehle, würde er hier glatt einfach so liegen blieben. Immerhin schien er nicht lange warten zu müssen, denn kaum hatte er den Gedanken zu Ende gebracht, vernahm er das Quietschen des Wasserhahns, als jener zugedreht wurde.
 

Ja, schrie seine brennende Kehle erleichtert, endlich!
 

Seine Augen fixierten die Tür, durch die jetzt der junge Mann schritt, dessen Namen Gabriel – so viel im diesem Moment auf – noch nicht einmal kannte. Trotzdem interessierte er sich gerade mehr für die Gegenstände in dessen Händen, der Tasse und großen Wasserkrug aus Glas, als für Namen des Kindes, das ihn aus dem Wasser gefischt hatte.
 

Wie ein Raubtier verfolgte Gabriel die Bewegungen der beiden Hände, welche langsam die Gegenstände auf dem Tisch vor ihm abstellten. Noch immer hing Gabriel in dem Sofa, als besäße er keinen einzigen Knochen in seinem Körper, aber es lag eine Erwartungshaltung darin. Mehr wirkte er wie ein Haifisch auf der Lauer, bereit vorzuschnellen und nach seiner Beute zu greifen, als ein römischer Senator von vor einigen Augenblicken, der sich auf seinem Diwan ausgestreckt hatte.
 

„Bitte sehr“, sprach der Junge mit dem blonden Haar und ließ sich Gabriel gegenüber auf einem Sessel nieder. „Ich hoffe es stört Sie nicht, dass wir nur Leitungswasser haben.“
 

„Nein, keineswegs“, antwortete Gabriel mit einem Lächeln.
 

Man hätte es für freundlich halten können, hätte er sich in diesem Augenblick lässig aufgerichtet, um nach der Kanne mit dem Wasser darin zu greifen, die Setsuna wohlweislich bereits losgelassen hatte, kaum da sie richtig auf der Holzplatte des Tisches stand. Jetzt lagen die Hände in seinem Schoß, ineinander gefaltet, als hätte er Angst sie zu verlieren, würde er sie nicht dicht bei sich behalten. Vielleicht hatte er sogar Recht, denn als Gabriel mit seinem Arm nach der Wasserkanne griff, erschien es Setsuna als wäre er doppelt so groß wie vorher. Sicher war auf jeden Fall, dass ihm der muskulöse Körperbau ins Auge fiel, der sich unter dem feuchten Stoff abzeichnete. Verglich er diesen in seinen Erinnerungen mit anderen Engeln, die er getroffen hatte, so hielt es Setsuna für klüger seinen Gast trinken zu lassen. Soviel er wollte und solange er wollte, schließlich war dies keiner der schmächtigen Engel, die ihre fehlende Kraft durch ihren Verstand und ihr Geschick wieder wettmachten.
 

Das größte Gegenbeispiel, das Setsuna derzeit in den Sinn kam, war Raziel. Nicht, dass Raziel nicht schlau, durchtrieben und so gerissen sein konnte, dass er Mad Hatter die Stirn bieten konnte, aber dieser Engel hier wirkte eher wie eine unangenehme Mischung aus dem spitzzüngigen Raphael und einem gewaltbereiten Uriel.
 

Es könnte schlimmer sein, dachte Setsuna. Er könnte mich an Rosiel erinnern.
 

Zwar war das Lächeln warnend, wie das des stärksten Tiers im Rudel, das auf die besten Stücke einer gerissenen Beute bestand, aber nicht gewissenlos. Langsam beruhigte sich Setsunas klopfendes Herz und er entspannte sich in seinem Sessel. Damit würde er Leben können. Unter Tieren war es die Dominanz, unter Menschen der Einfluss, bei Dämonen die Kontrolle und bei Engeln die Macht, aber Setsuna war es wichtiger die Bedingungen zu kennen, als das es ihn sorgte, ob er an der Spitze der Rangordnung stand.
 

Mit diesem Wissen lösten sich seine Sorgen und Bedenken bezüglich des fremden Engels. Stattdessen betrachtete er ihn lieber, denn ohne die Bürde sich um Sarahs und seine eigene Sicherheit Gedanken machen zu müssen, konnte er Gabriels Anwesenheit durchaus genießen und interessant finden.
 

-
 

Das Wasser seine Kehle herunter fließen zu spüren, war eine Erlösung. Es tankte ihn mit Kraft, weckte seine Lebensgeister und die Erschöpfung, die ihn erst auf dieses Sofa befördert hatte. Zwei Gläser hatte er bereits in sich hinein geschüttet und selbst bei dem Dritten hatte er noch nicht genug, aber immerhin stellte sich so langsam etwas wie Befriedigung ein. Sein Durst, seine trockene Kehle und sein Wassermangel im Körper legten sich bis er endlich mit einem dankbaren Gesichtsausdruck die Keramiktasse zurückstellen konnte.
 

„Ich bin Euch zu Dank verpflichtet“, sprach Gabriel und richtete zum ersten Mal wirkliche Worte an seinen Gastgeber, der stumm und geduldig gewartet hatte.
 

„Oh, keine Ursache“, nuschelte der Junge und winkte ab. Für einen Moment schien er zu überlegen, was er sagen sollte, dann streckte er ihm über den Tisch die Hand hin. „Ich bin Mudo Setsuna.“
 

„Gabriel“, stellte er sich selbst noch einmal vor und ergriff die Hand seines Gastgebers.
 

Der Griff war fester als er vermutet hatte, aber mehr verwirrte ihn die Astralkraft, die er darunter verspürte. Der Kontakt ihrer Hände währte nicht lange genug, um für Gabriel näheres zu bestimmen, aber die Masse und die Kontrolle darüber waren beträchtlicher, als er es erwartet hatte. Ein Jucken in seinem Hinterkopf ließ ihn sich fragen, ob er den Jungen kennen sollte, aber da war nichts, was eine sofortige Reaktion auslösen würde. Nicht einmal eine Instinktive und eine Lüge hätte er vernommen.
 

„Freut mich“, fügte er noch ehrlich hinzu.
 

Denn solange der Junge selbst glaubte, dass er Mudo Setsuna hieß, wäre es taktlos und unnötig ihm nach seinem Engelsnamen zu fragen. Gegeben dessen, das die Einrichtung menschlich wirkte und er in seiner Umgebung lediglich Menschen wahrnehmen konnte, sollte er besser nicht fragen, was Mudo Setsuna auf die Erde verschlagen hatte.
 

Nicht, dass ich diese Frage beantworten könnte, dachte Gabriel.
 

Verschwommen erinnerte er sich, dass er aus dem Himmel kam, aber das Wie, das Wieso und das Warum entzog sich ihm. Solange er dies nicht beantworten konnte (und wollte), würde er diesen Fragen auch besser ausweichen. Auch wenn dies nicht einfach werden würde, so neugierig wie Setsuna ihn ansah. Das Interesse war ehrlich, aber Gabriel im Moment sehr unangenehm. Zumindest bis er eine passende Antwort darauf gefunden hatte, wieso er so ziellos im Meer getrieben hatte.
 

... Wasser
 

Kraft
 

Luftblasen
 

Oberfläche
 

Druck
 

Dunkelheit ...
 

Innerhalb weniger Sekunden rasten die Eindrücke an Gabriels innerem Auge vorbei. Endlose undeutliche Bilder blitzen auf und verschwanden wieder, doch ein Klacken riss Gabriel aus seinen Gedanken.
 

Es war eine Tür im Flur, die aufgerissen und wieder zugeschlagen wurde. Schritte ließen den Fußboden vibrieren und ein erneutes Schlagen einer Tür, dieses Mal wohl die des Schlafzimmers, ließ den jungen Setsuna zuerst zusammenfahren, dann schuldig aussehen.
 

„Tut mir Leid, dass ist meine...“, sprach er hastig und berichtigte sich dann, als ihm wohl drohte etwas zu entweichen, was er nicht mit Gabriel teilen wollte. „Ich habe Sarah ziemlich überrumpelt und sie hat keine sonderlich guten Erfahrungen mit Engeln gemacht, darf ich kurz...?“
 

„Bitte“, meinte Gabriel und deutete mit seiner offenen Handfläche auf die Tür. „Ich möchte niemanden belästigen. Doch wenn ich womöglich die Nacht auf dem Sofa verbringen dürfte?“
 

Setsuna, der schon aufgesprungen war um nach Sarah zu sehen, blieb in der Tür stehen. Für einen Moment besann er sich wieder auf Gabriel, anstatt auf seine Schwester von der er komplett vergessen hatte, dass sie noch in der Wohnung war.
 

„Natürlich“, versprach er mit einem Nicken. „Im Schrank dort hinten dürften noch Kissen und eine Decke sein. Wenn sie Hunger haben, die Küche steht ihnen zu Verfügung.“
 

Damit drehte sich Setsuna dann weg, um Gabriel allein im Wohnzimmer zurück zu lassen. Als er vorsichtig antestete, ob Sarah die Tür zum Schlafzimmer verschlossen hatte, kam es ihm kurzweilig in den Sinn, dass die Tüte mit dem Einkäufen ja noch am Geländer des Balkons hing, doch es brauchte nicht mehr als das Nachgeben des Schlosses, um es sofort wieder zu vergessen. Ohne die Tür weit zu öffnen, presste sich Setsuna durch den Spalt und betrat das dunkle Schlafzimmer. Besorgt suchten seine Augen nach Sarah, als er die Tür wieder hinter sich schloss.
 

-
 

Das war jetzt unerwartet, dachte Gabriel, als er leeren Türrahmen betrachtete.
 

Jetzt, wo er sich darauf konzentrierte, nahm er in der Tat noch einen weiteren Herzschlag hinter der Wand wahr, doch sofort aufgefallen war es ihm nicht. Es mochte daran liegen, dass er selbst noch nicht ganz wieder auf der Höhe war, aber andererseits schirmte eindeutig Astralkraft die Seelen im Nebenraum ab. Offenbar hatte das Mädchen wohl wirklich keine guten Erfahrungen mit Engel gehabt, wenn der Junge sie praktisch unter seinen Flügeln versteckte.
 

Allerdings ... was haben Engel auf Assiah zu suchen, fragte sich Gabriel, als er nachdenklich nach dem Krug griff, um sich noch einmal Wasser in die Tasse zu gießen. Die Besuche auf dieser Astralebene waren weitaus seltener geworden, seit sich der Mensch von einem haarlosen Affen zu einem halbwegs intelligenten Lebewesen entwickelt hatte. Er musste zugeben, dass diese Entwicklung erneut vorangeschritten war, als er einen Blick auf die Einrichtung warf.
 

Doch selbst das erklärt nicht, warum ich hier bin ... dachte Gabriel angestrengt nach. Oder auf welchem Wege ich herkam.
 

Denn seine Erinnerung begann mit dem Moment, wo er auf die Wasseroberfläche des Meeres aufschlug.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  VonArrcross
2011-10-16T18:40:00+00:00 16.10.2011 20:40
Setzuna fühlt sich in der Nähe des Throns ähnlich wohl wie bei AdamKadamon. Das liegt wohl daran, dass er die Wiedergeburt Alexiels ist. Was wohl passiert, wenn Gabriel das erfährt? Auch interessant wäre es zu erfahren wie er auf Sahra reagieren würde. Immerhin ist sie ja die Wiedergeburt Jibrils, die ja seine Nachfolgerin ist/war.

Ich bin gespannt zu lesen was sich aus diesem Dreier noch entwickeln wird.


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