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Drachenjagd

Die Himmelsgöttin
von

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Izara

"Kent", meldete sich von hinten eine Stimme.

Die Faust hielt schwebend vor Izaras Gesicht inne. Auch Izara regte sich nicht. Auf seltsame Weise war ihr die Stimme des Großmeisters so vertraut, dass in ihrer Brust ein drückender Schmerz entstand. Ein furchtbares Gefühl, bei dem sie sich sofort in ihren Kerker einschließen wollte.

Schritte näherten sich der Zellentür.

"Was habe ich bezüglich der Drachenprinzessin gesagt?", seine Stimme war ruhig und sanft. Trotzdem fühlte sich Izara zunehmend unbehaglicher.

Sie hatte damit gerechnet, den Großmeister bis auf Weiteres nicht mehr zu Gesicht zu bekommen. Nachdem er hinter Dragor allen anderen voraus geflogen war, hatte sie seinen abtrünnigen Blick gut verdrängen können.

"Hm?", der Großmeister stand nun direkt hinter seinen Untergebenen. Der Hühne ließ die Faust sinken.

"Niemand rührt den Drachenmenschen an", antwortete der Paladin brav. 

"Geht doch, Kent", der Großmeister klopfte ihm auf die Schulter, "am besten, Sie alle gehen sich noch einmal ordentlich die Ohren waschen und melden sich dann an der Kommandozentrale zur Wachablösung."

Ein »jawohl« und die Paladine traten der Reihe nach ab. Hühne und Riesenohr wackelten als Letzte aus der Zelle, und obwohl nur noch Izara und der Großmeister übrig geblieben waren, war die Zelle noch immer viel zu eng. Und es wurde noch enger, als der Großmeister einen Schritt auf sie zumachte. Izara wäre gerne zurückgewichen, doch hinter ihr gab es nur noch Wand - und der verrottete Geruch des Stahls.

"Du bist also Izara aus Kandio", sagte der Großmeister, als er direkt vor Izara stand. Seine mordlüsternen Seelenspiegel sahen zu Izara hinab, die kurz vergaß zu atmen.

"Ich habe viel von dir gehört", er legte den Kopf schief, "und noch mehr gelesen", fügte er schmunzelnd hinzu.

"Das »ungeliebte« Drachenmädchen aus Kandio. Deine Mutter hat sich deinetwegen erhängt, richtig?"

Izara schwieg. Also fuhr der Paladin fort: "Eine ungewollte Tochter. Ein Schandfleck der Menschheit. Jeden Tag in das Gesicht des Kindes zu blicken und die schrecklichen Ereignisse jener Herbstnacht immer und immer wieder durchleben zu müssen…"

Izara regte sich nicht, doch in ihrem Inneren fuhr ein brennender Schmerz ihren Brustkorbs hinauf. Der Großmeister hatte Izaras wunden Punkt erwischt. Es fühlte sich so an, als würde jemand mit seinem Daumen in eine frische Fleischwunde pulen.

"Sie muss dich wirklich verabscheut haben, und irgendwann wurde es zu viel. Was ist es gewesen? Ist die Kraft durch deine Augen geflossen? Hast du deiner Mama wehgetan?"

Izara presste die Lippen zusammen. Sie hatte ihrer Mutter wehgetan, ja. Ein fürchterliches Geheimnis, das Mutter und Tochter miteinander geteilt hatten. Levis dachte immer, Alizja wäre wegen Izaras Augen in den Wahnsinn getrieben worden. Aber das stimmte nicht. Izara hatte helfen wollen.

Als ihre Mutter sich das Bein aufgeschürft hatte und Izara weinend auf ihre Mutter zugestürmt war, wollte sie doch bloß, dass sie aufhörte zu bluten. Stattdessen hatten Alizjas Schreie durch die Küche gehallt, nachdem warmes Licht aus Izaras Hand geflossen war. Ihre Mutter hatte sie weggeschlagen, das Licht geriet außer Kontrolle und hatte den Kochtopf vom Herd gerissen. Der Rest bestand nur noch aus verschwommenen Erinnerungen.

"Schuldgefühle sind eine mächtige Waffe, Izara", sagte der Großmeister und träufelte noch mehr Gift auf ihre geschundene Seele, "besonders gegen Drachen. Überleg' doch mal. All die Jahre haben sie dich verachtet - und ich spreche nicht von den Menschen. Ich rede von deinen Leidensgenossen, den Drachen Kandios, die sich für deine Existenz geschämt haben.

Was glaubst du, wie sie reagiert haben, als sie erfahren mussten, dass dieser Schandfleck von Drachenmensch ihre Prinzessin ist? »Das Menschenweib hatte gar nicht gelogen«", er weitete die Augen, "ihr Drachenkönig hat in Medaniens Mitte eine Himmelsgöttin gezeugt und niemandem ist etwas aufgefallen.

Ein grandioser Schachzug, den auch ich nicht vorhergesehen habe - wirklich beachtlich. Jenes Kind, das all die Jahre gemieden und verachtet wurde, ist nun zur heimlichen Retterin der Drachenwelt ernannt worden. Kannst du erahnen, was sie fühlen, Izara? Kannst du ihre Scham und ihren Selbsthass spüren? Wie sie heimlich um Vergebung betteln, um Buße flehen, ja sogar ihren eigenen Tod heraufbeschwören, damit sie nicht länger von der Schuld befallen sind?"

Izara war wie erstarrt. Sie hätte sich gerne widersetzt, hätte seine Hand weggeschlagen, die sich ihr Kinn griff und zu sich heranzog. So dicht beieinander war seine Präsenz noch gewaltiger.

Der Großmeister war etwas kleiner als König Devon, dennoch überragte er Izara um mindestens einen Kopf, dass sie ihren Hals recken musste, um ihm wenigstens ein wenig entgegenzutreten.

Sorgfältig begann er Izara zu mustern.

"Du hattest Glück, dass Flatsch nie König Juras zu Gesicht bekommen hat", im Profil betrachtend, neigte er ein wenig ihren Kopf.

"Die Ähnlichkeit ist wirklich erstaunlich. Diese Augen-"

Izara stieß einen Atemzug aus.

"Habt Ihr ihn auch getötet?"

Der Großmeister schmunzelte.

"Nein. Obwohl ich das sehr bedauere. Der Tod des alten Drachenkönigs ist eine Verstrickung aus Verrat, Zufall und einem unglücklichen Wendepunkt."

Endlich ließ er von ihr. "König Juras war wie alle anderen Himmelsdrachen: man bekam sie nie zu Gesicht. Versteckt in ihren Palästen, in Teilen der Welt, die ein Mensch niemals erreichen kann…wirklich seltene Exemplare, diese Himmelsdrachen. Schade, schade. Oh, und scheu. Es brauchte schon eine Armee, um die Himmelsdrachen aus ihren Verstecken zu locken. Hunderte Blitzdrachen haben sie geopfert, bis sich ein Himmelsdrache dazu bequemt hatte, zur Tat zu schreiten. Ihr Volk bedeutet ihnen wohl nur halb so viel, wie die Himmelsdrachen dem Drachenvolk bedeuten."

Wie weit er doch von der Wahrheit entfernt war! Der Großmeister konnte sonst etwas erzählen - Izara wusste es besser. Sie kannte die Gefühle des alten Drachenkönigs, spürte die Schuld und den Schmerz, die ihm der nahende Tod nicht hatte nehmen können. All diese seelischen Schmerzen…der Großmeister wusste gar nichts.

"Himmelsdrachen mögen stark sein, aber zu kämpfen haben die wenigsten gelernt.", die Stimme des Großmeisters verdunkelte sich, hungrig lächelte er.

"Das hat sich nun geändert. Der jetzige König ist anders. Wusstest du, dass der Drachenkönig der erste Himmelsdrache ist, der Drachen in Leibeigenschaft befreit…? Nein?"

Spielte er überrascht oder war er es wirklich? Izara hatte keine Ahnung.

"Ein wirklich interessanter Genosse, dieser Himmelsdrache", er schaute an Izara vorbei, Gedanken ließen ihn in die Vergangenheit abdriften. "Ich frage mich, wie lange es dauert, bis er wieder vor meinen Toren steht."

Jetzt wandte er sich Izara zu. Er hob eine Augenbraue.

"Du zweifelst, dass er dich retten kommt?"

Der Großmeister kratzte sich an seinem Dreitagebart.

"Du darfst mir ruhig antworten."

"Warum tötet Ihr mich nicht einfach?", mehr hatte Izara nicht zu sagen. Angst und geladene Wut waren eine Mischung, mit der sie wochenlang zu kämpfen gehabt hatte.

Levis' Tod war zu viel - zu viel von allem. Izara spürte, wie ihre Gedärme sich zusammenzogen, wie Schmerzen ihren Oberarm entlang krabbelten und ein Brennen durch ihre Augen schoss. Aber nichts passierte. Tränen gab es keine mehr. Der Drachenschrei im Hain hatte alles genommen, in dem sich ihre menschliche Trauer gesuhlt hatte. Nun resignierte sie und Izara ließ das heraus, was von ihrem Schmerz übrig geblieben war - Frust.

"Denkst du", antwortete der Großmeister lächelnd, "ich werde mir den Spaß nehmen lassen, dem Drachenkönig dabei zuzusehen, wie er sein Leben für dich riskiert?" Er schüttelte den Kopf.

"Ich weiß zwar nicht, warum du noch Jungfrau bist…"

Das Wort ließ Izara zusammenzucken. Nicht einmal Maya oder Sila hatten es bemerkt. Selbstzufrieden schmunzelte ihr Gegenüber in sich hinein. Wenn er nur geraten hatte, dann war er ein verdammt guter Menschen- also Drachenkenner.
 

"Nein, Izara, ich werde dich nicht töten", seine Augen waren unergründlich. Möglich, dass er log - Gier und Mordlust waren stark in den Seelenspiegeln verankert, dass er vielleicht gar nicht mehr anders konnte.
 

"Du hast überhaupt keine Ahnung, wie wertvoll du bist. Nicht nur für deinen Drachenkönig, der alles daran setzen wird, dich zurückzuholen."
 

Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Dann begann er in der Zelle hin und her zu laufen.
 

Im schwachen Licht war an seinem Handgelenk eine dünne Stahlkette zu erkennen. Das leise Klirren war Izara bis dahin noch gar nicht aufgefallen.
 

Folgte man der Kette, gelangte man an die Wand gleich neben der großen Kerkertür. Von den Schatten geschützt, erkannte Izara nur schwach die Statur eines Drachen in Menschengestalt.
 

"Weißt du, wie ein Begabter zum Paladin - und ich meine, einem richtigen Paladin wird, Izara?", wechselte der Großmeister plötzlich das Thema.
 

Izara wandte den Blick von dem Schatten verzerrten Gesicht ab.
 

Sie kannte die Antwort nicht. Natürlich hatten die Paladine von Begabung und Bestimmung geredet, wenn sie einen Drachen in die Knie zwangen. Begabte waren diejenigen, die in der Lage waren Magie zu wirken, und nur ein Begabter erlangte im Laufe seines Lebens den Status eines Drachenreiters.
 

Paladine konnten sich viele nennen, doch die wahren Unterdrücker waren die Erdgebundenen - Krieger, die Magie aus dem Boden zogen und Drachen durch Zaubersprüche an die Leine ketteten. Warum das so war, wusste Izara nicht, und ehrlich gesagt, hatte sie bei all den Unterdrückern und Grobianen nie einen Unterschied bemerkt.

Der Großmeister las in ihrem Gesicht und begann zu erzählen: "Es ist eine Bluttaufe. Man muss in dem Blut des Drachen baden, den man eigenhändig das Herz herausgerissen hat."

Er sprach ruhig, so als erzählte er Izara eine Gutenachtgeschichte. Wäre nicht schon genug Galle aus ihrem Mund gekommen, sie wäre jetzt sicherlich zusammengebrochen. Stattdessen verzog sie die Miene, unterdrückte das Bedürfnis, durch die Nase zu atmen.

Direkt vor ihr blieb er stehen.

"Der Drache muss vollkommen blutleer sein, und das Blut sollte nicht zu lange auf dem Boden schwimmen. Es sollte noch warm und ganz frisch aus der Quelle gezapft werden, damit es von der Haut vollständig aufgenommen werden kann. Und nein, es ist kein Vergnügen, in dieser stinkenden Suppe zu baden. Aber das Ergebnis ist berauschend."

Er steckte die Hände in die Manteltaschen. Die Leine wurde eine Spur straffer, ein Klirren und der Kopf des Drachen ging nach vorne. Vordere Partien seines Gesichtes wurden freigelegt. Der Drache hatte helle, filzige Haare, die ihm über die Schultern fielen. Die Augen waren unter einem Gewirr aus Strähnen und getrocknetem Blut versteckt. Das war nicht der Drache, den der Großmeister geritten hatte. Dieser war ein Wyvern gewesen, die sperrigen Flügel - ein unverkennbares Erkennungsmerkmal seiner Art. Der Gefangene vor der Zelle war definitiv ein Blitzdrache.



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