Zum Inhalt der Seite

Drachenjagd

Die Himmelsgöttin
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Izara

Irgendwann - Izara konnte es selbst kaum glauben - fand sie eine Höhle. Zwischen Felsen und Gesteinsbrocken war der Eingang kaum zu erkennen gewesen, aber Izara war ein Drache und als Drache war es ein natürlicher Instinkt, jeden noch so versteckten Unterschlupf zu finden. Die Höhle war so verlockend und Izara war zu erschöpft, um das Angebot des Waldes abzulehnen. Zusammen mit dem König wagte sie sich ins Innere. Es tropfte feuchtes, warmes Wasser von der Decke, ein modriger Gestank zog sich durch das Innere. Izara hatte schon Schlimmeres gerochen und so lief sie noch ein Stück weiter hinein. Licht gab es keines, weshalb sie immer wieder stolperte oder sich die Knie an spitzen, herausragenden Steinen aufschürfte. Erst das unheimliche Grollen ließ sie innehalten. Weil es in der Höhle schallte, konnte sie zunächst nicht lokalisieren, woher das Geräusch kam und wie weit sie davon entfernt war. Noch hatten sich ihre Augen nur spärlich an die Umgebung gewöhnt, dass sie das Tier erst bemerkte, als es seinen modrigen Atem in ihre Haare blies. Ein tiefes Knurren und Izara war sich sicher, einem Bären gegenüber zu stehen.

"Bitte", hauchte Izara, "ich weiß sonst nicht, wohin." Vermutlich verstand sie der Bär nicht, aber vielleicht spürte er ihre Verzweiflung.

Der Bär knurrte weiter. Sie sah seine gewaltige Statur, die sie um das doppelte überragte. Das Tier hatte sich auf seine zwei Beine gestellt, sein Oberkörper beugte sich nach vorne, dass die Nase ihr Gesicht beschnupperte. Izara hielt den Atem an. Dann drehte der Bär seinen Kopf zu dem Drachenkönig, er schnaubte, wandte sich langsam ab und kehrte ihnen den Rücken zu.

"Danke", rief sie dem Bären hinterher, der wieder in den Tiefen der Höhle abgetaucht war.  

Stöhnend sank sie auf den Boden. Devon hielt sie dabei an den Schultern fest. Ihre Hände zitterten und ihr Atem hörte sich wie die Dampflok an, mit welcher sie vor drei Monden gereist waren.

Es dauerte ewig, bis sie dem Drachenkönig seinen Mantel ausgezogen hatte und noch länger, um ihn sicher auf ihren Schoß zu befördern. Sie drehte ihn leicht auf die Seite, obwohl leicht eine Untertreibung war. Der Drachenmann war schwerer als er aussah.

Als sie fertig war, fühlte sich ihr Körper schweißnass an. Aber nicht nur Izara. Auch König Devons Stirn war heiß und feucht geworden. Womöglich hatte er Fieber bekommen. Ein weiteres Übel, denn Izara hatte nichts, womit sie seine Beschwerden hätte lindern können. Ganz zu schweigen von den Verletzungen, die sie noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatte. Izara kannte sich einfach überhaupt nicht aus. Sie hatte nie gelernt, jemanden zu verarzten. Niemand hatte ihr gezeigt, was sie zu tun hatte, wenn ein Drachenkönig im… Sterben? lag. Vor Schreck drückte sie die Hand vor dem Mund, als könnte sie ihre Gedanken vom Tod zurücknehmen.

"Was mach' ich denn nur?", jammerte sie, die Unterlippe halb zerbeißend. Behutsam schob sie Devons Hemd hoch. Es klebte und leistete mehr Widerstand als sie erwartet hatte. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte Izara etwas zu erkennen, aber die Höhle war unerbittlich. Kein Licht drang irgendwo zwischen Felsspalten hervor, es gab keine Löcher, rein gar nichts, in das Strahlen hätten hinein kriechen können.NWimmernd legte sie den Kopf in den Nacken. Ein unnützes Drachenweib war sie - genau. Das sich in ihrem Selbstmitleid verlor, während ihr Retter auf sie angewiesen war. Sie tat einen tiefen, kräftigen Atemzug.

Ich darf nicht weinen, sagte sie sich, schniefte und atmete dreimal tief ein. Ihr Herzschlag wummerte gegen ihre Brust, sie versuchte, sich nur noch auf das Atmen zu konzentrieren. Eine weinerliche Himmelsgöttin würde den Drachenkönig nicht retten können.

Allmählich spürte sie, wie Wärme durch ihren Körper schoss, Izara versuchte, diese Wärme in ihre Augen fließen zu lassen - genauso wie sie es immer tat, wenn sie ihren Willen durchzusetzen versuchte -, und tatsächlich: zum ersten Mal gehorchte das Drachenblut. Womöglich spürte es die Dringlichkeit.

Leuchtend hell glühten ihre Augen, und das Leuchten wurde noch intensiver. Zunächst brannte es, als hätte sie Seifenschaum in die Augen bekommen, doch allmählich klarte sich die Umgebung auf. Die Höhle war geräumiger als sie erwartet hatte. Kein so ungemütlicher Abstellraum wie in Kandio. Auch das Brennen wurde weniger, es juckte lediglich ein wenig, dass sie sich ganz auf Devon konzentrieren konnte. Den nächsten Schreckensschrei unterdrückend, starrte sie auf den blutigen Rücken. Die Schnittwunde sah auf seinem menschlichen Körper noch zerstörerischer aus. Etwas hielt die Wunde zusammen, ein dünner Faden, der elastisch genug schien, den Rücken nicht auseinander zu reißen und das Fleisch nicht wie zwei labberige Reste raushängen zu lassen. Izara schüttelte sich, die Panik übermannte sie von Neuem und mit pfeifenden Atemzügen und schwitzigen Fingern machte sie weiter.

Sachte berührte sie die Stellen, die nur von Blutflecken überzogen waren. Weitere Verletzungen schien er zumindest nicht zu haben. Das war beruhigend - ein klein wenig. Die Blutung war auch nicht mehr so schlimm, aber was hieß das schon? Würde der Drachenkönig in ihren Armen sterben? Ein blutleerer Menschenkörper und eine nutzlose Drachenprinzessin in den Tiefen des Feindgebiets?

"Nein!", ihre Handinnenfläche schnellte über ihre linke Wange. Die Haut prickelte, doch es erfüllte seinen Zweck. Nur nicht die Nerven verlieren! Ihre Unwissenheit würde sie nicht vor die Hunde gehen lassen! Sie sah zu ihren viel zu weiten Ärmeln - das einzige Stück Stoff, das nicht von Dreck und Schlamm überzogen war. Sie riss sich ein großes Stück von jeder Seite ab. Wenn sie die Wunde wenigstens ein wenig abbinden könnte, würde das dem Drachenkönig vielleicht schon helfen. Sie überlegte nicht lange, zog an den Ärmeln und machte daraus zwei lange, dicke Bänder. Unweigerlich dachte Izara an die Verbände, die Levis für sie gemacht hatte, als Izara am Kochtopf herumgespielt und sich die Hand vebrannt hatte. Ihr Ziehvater hatte behutsam die Hand ergriffen, das Blut abgewischt und-

"Ach, Levis…"

Fest zog sie die beiden Enden zusammen. Es dauerte nicht lang, da wurden die Stoffe in rote, dicke Farbe getunkt. Also löste sie den Knoten und wickelte ihn von Neuem. Diesmal noch fester.

Erschöpft rieb sie sich die Augen. Das Jucken war unerträglich geworden, noch dazu fingen sie auch noch an zu tränen und das führte dazu, dass sie wieder fürchterlich brannten.

Mit tränenden, rot-blau-weißen Augen tastete sie sich weiter voran. Sie dachte an Kyia. Der Bergdrache hätte sicher gewusst, was zu tun gewesen wäre. Sie war es auch immer, die ein, zwei Fläschchen Betäubungs- und Heilmittel parat hatte.Und wenn der König auch-, sie dachte ihren Satz nicht zu Ende, sondern packte sich den Mantel und durchsuchte ihn. Bis auf ein paar Papiere fand sie nichts. Darum versuchte sie es mit seinen Hosentaschen und, siehe da, ein Fläschchen mit einer dicken Flüssigkeit! Mit den Zähnen entkorkte sie das Fläschchen. Egal, was es war, es musste helfen! Sie schob ihre Hand unter Devons Kopf und träufelte die stinkende Flüssigkeit in seinen Mund. Der Geruch kam ihr vage bekannt vor. Ihre zitternden Hände machten es schwierig, sie wollte so wenig wie möglich verschütten. Wenn jeder Tropfen nötig war, würde sie das flüssige Heilmittel nicht verschwenden.

Sie hob den Kopf noch ein Stück mehr an, ließ die Flüssigkeit zwischen seine Lippen fließen. Bis auf ein paar Tropfen blieb der Inhalt in seinem Mund, sie hatte nicht gesehen wann, aber Devon musste sie herunter geschluckt haben. Izara legte seinen Kopf zurück auf ihren Schoß. Der Herzschlag war unter dem Hemd, das sie wieder heruntergeschoben hatte, kaum zu spüren. Der König atmete ungleichmäßig und leise. Zumindest schien das Fieber nicht weiter anzusteigen (oder Izara war bereits so durchgeschwitzt, dass sie es gar nicht mehr bemerkte). Mit den Fingerspitzen strich sie über seine schwarzen Haare. Die Strähnen hatten sich auf ihren ganzen Schoß verteilt, der Pony hing ihm wirr ins Gesicht, ein paar Haare klebte ihm an der Stirn. Die strenge Gelassenheit, die ihn bei ihrer ersten Begegnung ausgemacht hatte, war völlig verblasst. Izara strich ihm die Haare aus der Stirn, dass seine Augen wieder frei lagen.

"Alles wird gut", flüsterte Izara. Sie berührte seine Wange. Ein langer, gerader Schnitt zog sich bis zu seinem Kinn. Die Wunde war verdreckt, und wenn sie nicht aufpasste, würde er noch eine Blutvergiftung bekommen.

Izara fasste sich an die Lippen. Sie kannte die Fähigkeiten ihres Speichels. Richtig eingesetzt, hatte er eine reinigende Wirkung. Mayabes Mutter hatte ihnen einmal gezeigt wie es ging. Zusammen hatten die beiden jungen Drachen am Tisch gesessen, während Mayabes Mutter ihnen alles Wichtige vermittelt hatte. Als Weibchen war es unablässig, die antiseptische Wirkung seiner Spucke zu kennen. Wenn sie eines Tages Kinder zur Welt brachte und einen männlichen Erben großzog, dann musste sie ihm während seiner Verwandlung zur Seite stehen.

Männchen wurden früh erwachsen. Mit fünfzehn war der Körper für seine Erweckung bereit. Im Gegensatz zu den Weibchen lag es an der Mutter, den Sohn während seiner ersten Verwandlung zu begleiten und seine Wunden zu pflegen.

Die jungen, männlichen Drachen waren meist wilder als ihre weiblichen Artgenossen. Ihre Verwandlung verlief rauer und zügelloser. Der junge Drache war wild und kaum zu zähmen, dass er gerne einmal um sich schlug - für einen frisch entpuppten Drachenkörper unvorteilhaft.

Damals hatte Izara nicht viel dafür übrig gehabt. Sie war sich wie ein Hund vorgekommen, der seine Kinder über das Gesicht lecken sollte. Mittlerweile wusste sie, dass ihre Abneigung ein Resultat aus Erniedrigung und Vorurteilen war. Erziehung und Knechtschaft hatten sie blind für das gemacht, was einen Drachen wirklich ausmachte und langsam begann sie sich für ihre Gedanken zu schämen. Vielleicht waren sie wie Tiere. Das machte sie aber noch lange nicht zu Wesen niederer Art. Schamlos, denn Scham hatte hier keinen Platz, beugte sie sich nach vorne und begann in langsamen Bewegungen ihre Zunge über das Gesicht zu rollen. Gleichmäßig von oben nach unten - so, wie Maya und sie es spaßeshalber an einer aufgeplatzten Tomate geübt hatten. Ob die Technik richtig war, würde sich noch zeigen. Und wenn das nicht half, dann hatte der Speichel wenigstens Devons Temperatur gesenkt. Wie viel seines Zustandes der Fürsorge geschuldet war, wusste sie nicht und es war ihr egal. Hauptsache sie kam sich nicht so nutzlos vor. Noch war Devon nicht über den Berg, sie musste warten und hoffen, dass der König stark genug war, den Kampf gegen den Tod zu überstehen. Tief atmete sie ein. Das Blut war warm und gar nicht so widerlich, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Wenn man das Metallische außer Acht ließ, schmeckte sie eine nussige Note heraus - vielleicht Mandeln? Drachenblut bestand aus mehr als nur Blutkörperchen und -plasma. Eine dritte Eigenschaft, die sie zu den langlebigen, magischen Geschöpfen machte, ruhte irgendwo dazwischen, doch Izara hatte nie erfahren, was. Die Lippen geschlossen ließ sie von ihm ab. Zwar drang keine Drachenmagie durch ihre Augen, aber Devons Gesicht hatte sie sich so gut eingeprägt, dass sie seine Gesichtszüge sehr genau vor sich sah. Da oben waren die breiten, geschwungenen Brauen, das markante Kinn, die schmeichelhaften Lippen... Ein friedlicher Anblick, wenn sie nicht gerade um sein Leben bangen müsste.

Summend richtete sie ihren Oberkörper auf. Die Melodie beruhigte sie. Izara meinte, das Lied vor langer Zeit von ihrer Mutter gehört zu haben. Eine leise, gebrechliche Stimme, die in der Nacht ein Schlaflied summte.

Izara hatte ganz verdrängt, wie schön die Stimme ihrer Mutter gewesen war. Alizja, sie hatte so viel geweint, dass die Erinnerungen fast verloren gegangen waren. Izaras eigene Stimme war nicht so lieblich, ganz leise hauchte sie ihm die Melodie eines alten, volkstümlichen Schlafliedes vor, weil ihr Gesang immer noch besser war als die Stille ertragen zu müssen. Das Lied handelte von einem Rehkitz, wie es im Schnee durch den Wald spazierte und Futter für seine kranke Mutter sammelte. Wie das Lied ausging, hatte Izara nie erfahren, sie summte einfach die ersten beiden Strophen und fing dann wieder von vorne an. Das wiederholte sie einige Male, während sie sich auf ihren Duft konzentrierte.

Der Himmelsdrache hatte an jenem Abend friedlich geschlafen, als Izara ihren ganz besonderen Geruch verströmt hatte. Sie konzentrierte sich darauf, so wie sie es beim letzten Mal getan hatte. Nach und nach spürte Izara, wie etwas Warmes von ihrem Körper losging. Kurz fürchtete sie sich. Es kam so überraschend, dass ihre Augen wieder zu leuchten begonnen hatten. Der Duft trat schubweise ein und jeder Schub wurde heftiger. Izara wurde mutiger. Das Drachenblut in ihr lockte sie, ermutigte Izara geradezu, weiterzumachen. Also machte sie weiter. Ein heftiger Druck entstand in ihrer Brust, sie erschreckte. Ohne Vorwarnung stieß sich die Magie von ihr ab. Ihr Herz flatterte.

Der gesamte Körper begann zu leuchten. Ein warmes, helles Leuchten. Fasziniert sah sie zu sich hinab. Das war also ihre Kraft, ihr Himmelsblut. Die Freude währte nur kurz. Mit einem weiteren Stoß drängte sich die Magie nach außen. Ein Kribbeln setzte ein, dann sah sie ihre Hände, die rau und rissig wurden. Noch einmal schreckte sie zurück, als Äderchen platzten und dunkles, frisches Blut über die Fingerkuppen wanderte. Izara kniff die Augen zu und beförderte die Magie zurück an ihren Platz. Außer Atem, öffnete sie die Augen. Das Leuchten war noch nicht ganz verblasst, und zu allem Übel schien Devon etwas davon abbekommen zu haben. Weiße, leuchtende Flecken bedeckten sein Gesicht - genau dort, wo sie ihn mit der Hand festgehalten hatte. Aus Angst, den Drachenkönig zu verletzen, hatte sie die Hände von ihm genommen. Doch ihre Magie schien etwas anderes vor zu haben.

Ein Stück herunter gebeugt, sah sie in den Flecken kleine leuchtende Kügelchen, die Izara an einen Schwarm Glühwürmchen erinnerten. Die Kügelchen streiften einen Teil des Schnitts, den König Devon an der Wange erlitten hatte, schob sich zwischen die offene Stelle und floss in die Haut des Drachenkönigs ein. Devon stieß einen tiefen Atemzug aus. Es kam so plötzlich, dass ihr das Herz stehen blieb.

Wie erstarrt schaute sie auf den Drachenkönig herunter. Aber Devon blieb ganz ruhig. Auch Izara beruhigte sich langsam. Sie fasste einen Entschluss. Den Duft zurück nach außen getragen, sammelte sie von Neuem ihre Energie. Diesmal gab sie dem Drachenblut nicht nach, holte tief Luft und begann sich allein auf ihre Atmung zu konzentrieren. Ein- und ausatmen. Ein-... und wieder ausatmen.

Gleißendes Licht drang aus ihrem Körper, folgte ihrem leisen Atem, der seinen Rhythmus gefunden hatte. Schließlich harmonierten beide so perfekt miteinander, dass ihr gesamter Körper vibrierte. Das Licht umhüllte die beiden Himmelsdrachen, färbte Izaras Haut fast durchsichtig. Izara selbst konzentrierte sich nur auf den Drachenkönig - wie das Licht durch seinen Körper floss, wohlwollend von ihm aufgesogen wurde, als hätte er nur auf Izara gewartet. Das Licht war so entspannend, dass Izara die Augen schloss und irgendwann von ihrer eigenen Stimme in den Schlaf gesungen wurde.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück