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Sengoku-Jidai Chronicles

von

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Schatten der Vergangenheit

"Das war ja wieder mal was... Ich würde es sehr begrüßen, wenn es zur Abwechslung mal etwas ruhiger zugehen würde."

Kimie plapperte eigentlich schon die ganze Zeit über die jüngsten Ereignisse, insbesondere eben über die Begegnung mit Kohaku und Sesshoumarus Kampf gegen Renhou. Der einzige, der ihr jedoch zuhörte, war eben genau Sesshoumaru, mit dem sie sich in seinem Zimmer befand und in Kagomes Arzneikoffer herumwühlte. Als Kimie endlich das zusammengesammelt hatte, was sie brauchte, streckte sie ihm auffordernd die Hand entgegen.

Sesshoumaru jedoch schaute sie eher unschlüssig an. "Was willst du?"

"Gib mir deine rechte Hand."

"Wozu?"

"Damit ich sie dir schütteln kann. Aber Spaß beiseite. Wozu wohl? Damit ich sie verbinden kann."

Sesshoumaru wirkte zwar ein wenig überrumpelt, behielt aber seine Fassung. "Ich brauche keine derartige Hilfe."

"Ja, ja!" Kimie machte eine abwinkende Handbewegung. "Und die Erde ist rund und der Mond besteht nicht aus grünem Käse. Alles Fakten, ich weiß! Trotzdem, stell dich nicht an wie ein Baby! Oder wie ein Welpe, in deinem Fall... Nun gib endlich Pfötchen!" Allerdings schaute Sesshoumaru jetzt erst recht ziemlich merkwürdig drein. Kimie zuckte mit den Schultern. "Was denn? Wenn Kagome zu Inu Yasha 'Osuwari' sagt, gehorcht er ihr schließlich auch. Wenn auch nicht ganz freiwillig..."

Auch, wenn Sesshoumaru ihrer Aufforderung letztendlich nachkam, ganz freiwillig tat er es doch nicht. Während sie ihn mit ein paar netten Worten ein wenig abzulenken versuchte, besah sich Kimie gleichzeitig seine Hand. Bei der Wunde hatte der Heilungsprozess zwar schon sichtbar eingesetzt, aber trotzdem wollte sie auf Nummer sicher gehen, denn allein der Anblick des Schnittes, der sich über seine Handfläche zog, verursachte bei ihr ein komisches Gefühl.

Während Kimie sich um die Wunde kümmerte, fiel ihr irgendwann auf, dass Sesshoumaru die ganze Zeit über merkwürdig still war. Nicht, dass er sonst ein überaus gesprächiger Typ gewesen wäre, aber diesmal war es anders. "Du wirkst irgendwie so nachdenklich, Sesshoumaru. Stimmt etwas nicht?"

"Renhou... Er steht in der Rangfolge der Ryû-Youkai bezüglich seiner kämpferischen Fähigkeiten praktisch direkt hinter Akuma. Aber ich glaube, beide sind in etwa gleich stark."

Kimie schaute ein wenig irritiert drein. Zuerst wusste sie gar nicht so recht, worauf Sesshoumaru damit eigentlich hinaus wollte, aber da überkam sie ein Verdacht. "Du meinst... du könntest Akuma zum jetzigen Zeitpunkt in einem Zweikampf nicht besiegen?"

Aber zu dieser Frage schwieg er. Kimie wollte ihn auch nicht zu einer Antwort nötigen, weshalb sie dieses Thema zunächst auch erst mal wieder auf sich beruhen ließ. Stattdessen fragte sie nach einem Moment: "Sag mal, was hast du eigentlich mit Toukijin gemacht?"

"Ich habe es Toutousai zur Reparatur überlassen", antwortete Sesshoumaru. "Er soll mir Bescheid geben, wenn er erfolgreich war."

"Wenn? Könnte es denn Probleme geben?"

"Er hat etwas diesbezüglich angedeutet, aber dazu habe ich ihn nicht näher ausgefragt, und es ist mir auch egal."

"Hmm..." Kimie widmete sich wieder seiner Hand. Bis sie mit der Verarztung so weit fertig gewesen war, herrschte Schweigen. Aber dann hielt Kimie diese Stille nicht mehr aus und kam wieder auf das vorangegangene Thema zurück: "Wenn du meine Meinung hören willst, ich denke, du hast keinen Grund, dir etwa allzu große Sorgen zu machen. Zugegeben, Renhou ist ein guter Kämpfer, aber ich bin mir sicher, wenn du dich richtig reinhängst, könntest du so wohl ihn als auch Akuma besiegen."

Sesshoumaru schaute sie skeptisch an. "Reinhängen?"

"Ich meine damit, dass du alles geben sollst."

"Was glaubst du, was ich getan habe?"

Diesmal blieb Kimie zunächst stumm. Wie sollte sie diese Frage verstehen? "Dann... dann sind sie also wirklich stärker als du?"

Aber Sesshoumaru stand nur wortlos auf und trat auf die Veranda hinaus. Nach kurzem Zögern folgte ihm Kimie, blieb aber erst mal an der Tür stehen. Die Sonne war bereits hinter dem westlichen Horizont verschwunden. Nur ein schwaches rötliches Licht war noch zu sehen gewesen. Die ersten Sterne funkelten bereits am Himmel.

Es war nicht nur die Bemerkung von Sesshoumaru gewesen, die Kimie nun doch sehr nachdenklich gestimmt hatte. Auch die Geschichte mit Sango und Kohaku beschäftigte sie. Als die Gruppe sie und Miroku im Anschluss an die Konfrontation mit Renhou nach kurzer Suche wieder gefunden hatte, war Sango völlig aufgelöst und kaum ansprechbar gewesen. Kimie, die Sango stets nur als die starke Dämonenjägerin gekannt hatte, war sehr erschrocken darüber gewesen, wie verletzlich sie auf einer anderen Seite wiederum gewesen war. Doch wer konnte Sango in der Hinsicht nicht verstehen? Schließlich bangte sie schon seit so langer Zeit um das Leben ihres jüngeren Bruders.
 

Wie es momentan um Kohaku stand, vermochte keiner zu sagen, aber Sango ging es wirklich sehr schlecht. Bereits nach der Rückkehr ins Schloss hatte sie sich in ihrem Zimmer verschanzt und keinem den Zutritt gewährt. Nur Kirara war bei ihr gewesen, konnte ihrer Herrin allerdings auch nicht den nötigen Trost spenden.

Sango saß mit eng angezogenen Beinen an der Wand und hatte ihr Gesicht in ihren Armen verborgen. Auch auf das leise Maunzen ihrer Dämonenkatze reagierte sie nicht. Sogar, als es schließlich zaghaft an der Tür klopfte, blieb Sango stumm.

"Sango?", erklang von draußen die Stimme von Miroku. "Darf ich reinkommen?"

Da sie ihm nicht antwortete, betrat der junge Mönch irgendwann von sich aus das Zimmer. Aber noch immer rührte sich Sango in keinster Weise. Im ersten Augenblick überlegte Miroku sogar, ob es nicht besser wäre, wenn er wieder gehen würde, aber Sangos Anblick veranlasste ihn letztendlich doch dazu zu bleiben. Er wartete noch kurz, ehe er sich neben sie setzte.

"Sango..."

"Ich habe allmählich keine Hoffnung mehr, Miroku...", sagte Sango plötzlich, jedoch ohne ihren Blick zu heben. "Ich weiß einfach nicht mehr, was ich tun kann, um Kohaku zu helfen. Es scheint immer nur auf das selbe hinauszulaufen. Als gäbe es keinen Weg..." Als sie nun doch aufschaute, konnte Miroku die noch deutlich sichtbaren Spuren ihrer Tränen erkennen. Und die noch immer leicht geröteten Augen zeugten von dem, wie leise sich Sango in ihrem Zimmer ihrem Kummer hingegeben hatte.

Miroku tat dieser Anblick sehr weh. So gerne hätte er Sangos Schmerz gelindert, aber wie sollte er das anstellen? Ihm waren die Hände gebunden, denn es stand nicht in seiner Macht, Kohaku aus Narakus Bann zu befreien. Und wer konnte schon sagen, wie lange Naraku noch sein Unwesen treiben würde? Trotzdem, Miroku konnte Sango nicht einfach so ihrer Trauer überlassen. Er musste wenigstens versuchen, ihr in irgendeiner Form beizustehen. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter.

"Sango, ganz egal, was auch passieren wird, ich stehe dir auf jeden Fall zur Seite. Und so gut ich kann, werde ich versuche dir zu helfen." Mit der anderen Hand wischte er ihr eine einzelne Träne aus dem Gesicht. "Auch, wenn es im Moment nicht so aussehen mag, irgendwann ist der ganze Albtraum vorbei. Und wenn es endlich so weit sein wird, dann freue ich mich schon jetzt darauf, ein friedliches Leben mit der Frau führen zu können, die ich mehr als alles andere liebe."

Sango war sichtlich gerührt und hielt Mirokus Hand fest, die nach wie vor auf ihrer Wange ruhte. "Danke..."

Es war ein kleiner Hoffnungsschimmer zurückgekehrt. Sie durfte nicht so einfach aufgeben! Das war sie Kohaku, ihrem Vater und überhaupt ihrem ganzen Dorf schuldig. Allein schon der ermutigende Ausdruck in Mirokus Augen vermochte ihr nun neue Kraft zu geben.

Als ob sie es von sich heraus irgendwie geahnt hätte, kehrte Kirara den beiden nun den Rücken zu, wagte aber trotzdem noch einen flüchtigen Blick über ihre Schulter zu riskieren, als Sango und Miroku in einen zärtlichen Kuss versanken.
 

Die Nacht kam den meisten irgendwie mehr als kurz vor. Und als der nächste Morgen angebrochen war, war es für Kouga und seine Kameraden Zeit, das Schloss der Inu-Youkai wieder zu verlassen. Die Wölfe aus Kougas Rudel schienen noch einen eifrigen letzten Plausch mit Inuki zu halten, als wollten sie noch auf die Schnelle alles los werden, was es zu bereden gab. Inu Yasha, der sich inzwischen so weit wieder erholt hatte, dass er nicht mehr länger das Bett hüten musste, beobachtete wiederum insbesondere Kougas Abschiedsrede an Kagome mit äußerst viel Argwohn.

"Hab keine Angst, Kagome. Ich werde Naraku finden und besiegen, verlass dich darauf!", versicherte der Wolfsdämon dem Mädchen und schaute ihr derart tief in die Augen, dass es ihr schon beinahe wieder unangenehm war.

Für Inu Yasha gab es kein Halten mehr und er schubste Kouga von Kagome weg. "Verflucht! Jetzt mach endlich, dass du wegkommst, du Mondanheuler, oder ich prügel‘ dich eigenhändig vom Hof!"

"Du kannst es ja gerne versuchen, Hundefresse!", konterte Kouga kämpferisch.

"Genug davon!", mischte sich Sesshoumaru, der an den Eingangstüren des Schlosses stand, ein. "Ich habe es dir und deinen Begleitern gestattet, das Schloss ohne weiteres wieder zu verlassen. Wenn ihr hier jedoch für Unruhe sorgen wollt, dann ändere ich meine Meinung auch ganz schnell wieder."

Ginta und Hakkaku zerrten Kouga sofort an den Armen. "Jetzt komm schon, Kouga! Gehen wir!", bat Ginta, und Hakkaku pflichtete ihm bei: "Ja. Seien wir doch dankbar, dass sie uns gehen lassen. Wir haben hier doch außerdem eh nichts verloren."

Kouga verdrehte genervt die Augen. "Oh Mann, ihr seid wirklich ein paar Jammerlappen..."

"Jetzt sei nicht so gemein, Kouga!", warf Ayame ein. "Außerdem haben die beiden Recht, und ich muss auch rasch wieder zurück zu meinem Großvater. Bestimmt wundert er sich schon, wo ich bleibe, schließlich habe ich ihm gegenüber nur gemeint, ich wollte nur kurz bei dir vorbeischauen. Also komm, lass uns gehen!"

"Ja, ja, ich hab's kapiert", winkte er ab.

Doch gerade, als er sich nach einem letzten Abschiedsgruß an Kagome mit seinen Kameraden und den Wölfen auf den Weg machen wollte, hielt eben genau Kagome ihn noch einmal kurz zurück: "Kouga-kun, warte! Ich möchte dich gerne noch um etwas bitten."

"Alles, was du willst, Kagome!", entgegnete Kouga sofort und rechnete insgeheim wohl schon damit, dass sie ihn darum bitten würde zu bleiben.

In der Hinsicht wurde er jedoch enttäuscht, als sie weiter sprach: "Die nördlichen Gebirge... Geh bitte nicht dorthin, ja? Die Ryû-Youkai sind wirklich sehr gefährlich, das hast du gestern selbst miterlebt. Also... bitte meide eine erneute Konfrontation mit ihnen."

In gewisser Hinsicht kam sich Kouga nun ein wenig ertappt vor. Zwar hatte er mit keinem Wort erwähnt, dass er sich bezüglich der Ryû-Youkai etwas schlauer hatte machen wollen, aber Kagome musste so etwas wohl schon geahnt haben. Ihre Bitte abschlagen konnte er allerdings nicht, also stimmte er, wenn auch ein wenig widerwillig zu: "Nun gut. Aber nur, weil du es bist, Kagome. Obwohl, im Übrigen ist es mir ja sowieso egal, mit wem die ganzen Köter hier ihre Differenzen haben." Er wandte sich erneut zum Gehen um. "Also, bis bald!" Und in Begleitung seiner Kameraden und dem Wolfsrudel verließ Kouga das Schloss der Inu-Youkai nun wieder.

"Was sollte denn das gerade?", fragte Inu Yasha mit einem leichten Schmollblick an Kagome gewandt.

Sie hob eine Augenbraue. "Was denn?"

"Ich meine diese 'Bitte geh nicht in den Norden'-Nummer", äffte der Hanyou das Mädchen nach. "Soll der Typ doch machen, was er will! Und wenn er sich unbedingt von diesen Fledermausabklatschen die Fresse polieren lassen will, ist das doch seine Sache! Du musst ihn nicht so bemuttern!"

Kagome entwich ein Seufzen, aber sah sie Inu Yashas Eifersucht diesmal erstaunlich gelassen. Sie lächelte sogar. "Ich wollte nur nicht, dass sich Kouga-kun und die anderen eventuell in Schwierigkeiten bringen. Und was dich angeht, reg dich lieber nicht so auf. Noch bis du nämlich nicht wieder ganz gesund." Sie tätschelte seinen Kopf, ungeachtet seiner Proteste.

"Versuch nicht schon wieder abzulenken!", meckerte Inu Yasha. "Glaubst du etwa, ich habe nicht gemerkt, wie du ihm schöne Augen gemacht hast?"

"Du siehst Gespenster, Inu Yasha! Ich habe ihm doch überhaupt nicht schöne Augen gemacht!", versuchte Kagome sich zu erklären, aber der Hanyou schien taub für ihre Worte gewesen zu sein. Nachdem er sich auch nach zwei weiteren Erklärungsversuchen noch immer nicht einsichtig zeigte, griff Kagome auf ihr altbewährtes Mittel zurück: "Inu Yasha! O-su-wa-ri!" Und schon lag Inu Yasha wie so oft im Dreck, zur Belustigung der anwesenden Zaungäste.

"Trottel...", stöhnte Shippou kopfschüttelnd auf.
 

Jeder verbrachte die nachfolgenden Stunden bis hin zum Abend auf seine ganz eigene Art und Weise. So sah sich Kagome gezwungen, ihre kleine Diskussion mit Inu Yasha bezüglich Kouga noch ein wenig weiterzuführen, während Miroku weiterhin bei Sango verblieb. Die Inu-Youkai kamen indes ihren gängigen Pflichten nach, und weil Sesshoumaru noch immer voll und ganz damit beschäftigt war, sich eine Strategie für den Kampf zu überlegen, hatte Kimie ihn dabei nicht stören wollen. Stattdessen hatte sie das Gespräch mit Toutousai gesucht, der damit beschäftigt gewesen war, Toukijin wieder zu reparieren. Er saß im Freien vor dem Unterstand von Ah-Un und Mou-Mou auf dem Boden und hämmerte in regelmäßigen Abständen mit seinem Hammer auf das Schwert ein. Dabei spie er hin und wieder eine Flamme aus seinem Mund, um die Klinge zu erhitzen. Kimie stand an den Unterstand gelehnt daneben und schaute ihm äußerst fasziniert zu. Sie hatte sich schon öfters gefragt, wie der alte Schmied wohl bei seiner Arbeit vorging. Nach einer Weile hörte sie Toutousai plötzlich aufseufzen. "Herrje... Ich habe das Gefühl, ich kann machen, was ich will, dieser Riss will einfach nicht wieder verschwinden. So ein störrisches Schwert!"

"Wo liegt denn das Problem?", fragte Kimie neugierig.

"Die Klinge ist fast durchgebrochen. Da müssen wirklich ungeheure Kräfte am Werk gewesen sein. Es ist schon fast ein Wunder, dass sie nicht in ihre Einzelteile zersprungen ist. Mit ein wenig Material für die Reparatur hätte ich vielleicht bessere Chancen, das Schwert wieder hinzubekommen."

"Warum besorgst du dir dieses Material dann nicht einfach?" Kimie erkannte das eigentliche Problem nicht so wirklich. Es konnte doch schließlich nicht so schwer gewesen sein.

Toutousai jedoch entglitten auf diesen Vorschlag hin sämtliche Gesichtszüge. "Bist du verrückt? Sesshoumaru macht mich doch auf der Stelle kalt, wenn ich ihn danach fragen würde! Hast du nämlich auch nur die leiseste Ahnung davon, WAS ich für ein Material bräuchte?"

Ungeachtet des rauen Tons in seiner Stimme dachte Kimie kurz nach. Da fiel es ihr wieder ein. Inu Yasha hatte ihr gegenüber mal erwähnt, dass Toutousai Tessaiga mit der Hilfe eines Fangzahns des Hanyou reparierte hatte, als das Schwert zerbrochen war (siehe "Abenteuer im Mittelalter, Kapitel 26). Stimmt, wenn der Schmied Sesshoumaru nach einem Fangzahn fragen würde, konnte er sich die Arbeit im Grunde gleich sparen und sich stattdessen sein eigenes Grab schaufeln. "Kannst du... denn nicht jemand anders fragen, der dir helfen könnte?"

Toutousai schaute das Mädchen prüfend an. "Wieso? Willst DU dich etwa freiwillig melden?"

Sofort hielt Kimie ihre Zeigefinger vor sich gekreuzt, als versuchte sie einen laienhaften exorzistischen Zauber anzuwenden. "Oh nein! Das vergiss mal ganz schnell wieder! Ich habe nicht vor, in meinem Alter schon mit falschen Zähnen rumlaufen zu müssen!"

"Nur keine Panik! Das war doch nur so dahergesagt", meinte der alte Schmied. "Menschliche Zähne eignen sich für so etwas ohnehin nicht. Es wäre also ein unnützes Opfer, das du bringen würdest."

"Hä? Und warum hast du mich erst so komisch gefragt?"

"Ich wollte nur deine Reaktion austesten. Zerbrich dir mal nicht zu sehr deinen Kopf, ich kriege das Schwert auch so wieder hin, es wird halt nur ein wenig dauern." Damit wandte sich Toutousai wieder seiner Arbeit zu.

Kimie seufzte auf. Das war ja mal wieder so was von typisch für ihn gewesen! Als sie ihren Blick jedoch einmal über Toukijin huschen ließ, fiel ihr wieder etwas ein. "Sag mal, du bist es doch nicht gewesen, der Toukijin geschmiedet hat, oder?"

Toutousai nickte. "Richtig, ein ehemaliger Lehrling von mir hat es in Sesshoumarus Auftrag angefertigt. Er hieß übrigens Kaijinbou. Ich habe den Kerl damals rausgeschmissen, weil er nur finstere Schwerter mit böser Kraft geschmiedet hat. Er war eine Schande für das ganze Handwerk des Waffenschmiedens!" Die abfällige Art und Weise wie er über seinen ehemaligen Schüler gesprochen hat, war unüberhörbar gewesen, aber irgendwie konnte Kimie das nachvollziehen.

Während er noch ein paar Mal auf die Klinge Toukijin einhämmerte, wandte sich Toutousai erneut an das Mädchen: "Wenn du möchtest, dann kann ich mir auch dein Schwert mal genauer ansehen und es ein wenig schärfen, sobald ich mit meiner Arbeit an Toukijin fertig bin. Bring Raidon einfach bei mir vorbei, wenn du das Angebot annehmen willst."

Da Kimie kein Grund einfiel, weshalb sie ablehnen sollte, hatte sie kein Problem damit, das Angebot anzunehmen. Sie würde ihm Raidon dann später vorbeibringen. Mit einem Mal machte sie jedoch einen ziemlich nachdenklichen Eindruck, als wäre ihr plötzlich etwas in den Sinn gekommen. Toutousai unterbrach seine Arbeit abermals und schaute in ihre Richtung. "Stimmt etwas nicht mit dir? So wirkst ein wenig abwesend."

Kimie schüttelte leicht den Kopf. "Ich mache mir nur Gedanken um Sesshoumaru. Er war vorhin irgendwie so komisch."

"Komisch? Inwiefern?"

"Ich weiß auch nicht so genau, aber auf jeden Fall war es seltsam..." Sie berichtete Toutousai knapp von den wichtigsten Einzelheiten des Gesprächs, welches sie mit Sesshoumaru geführt hatte. "So habe ich ihn noch nie erlebt. Ich meine, er zweifelt ja praktisch an sich selbst."

Ehe der alte Schmied etwas darauf erwidern konnte, erklang eine weitere Stimme: "Nun ja, das ist auch nicht weiter verwunderlich. Das heißt, sofern ich mit meiner Vermutung richtig liege."

Als Kimie und Toutousai aufschauten, sahen sie Kakeru auf sich zukommen. Er schien ihr vorangegangenes Gespräch mitverfolgt zu haben. Ohne jedoch darauf einzugehen, wie viel genau er gehört hatte, fragte Kimie ihn ganz direkt: "Was meint Ihr damit? Was ist denn Eure Vermutung?"

Kakeru antwortete mit gewohnt ruhiger Stimme: "Die Sache ist die: Bisher gab es nie wirklich einen Gegner, der Sesshoumaru-sama ernsthaft in die Enge hatte treiben können, doch diesmal war das anders. Die Stärke der Ryû-Youkai beruht auch auf der Tatsache, dass sie auch ohne Handwaffen dazu in der Lage sind, bewaffneten Gegnern zu widerstehen, und sie auch zu besiegen. Das ist etwas, was unserem Clan fehlt. Zwar brauchen auch wir nicht zwangsläufig immer Waffen, aber einem Gegner, der die waffenlose Kampfkunst perfekt beherrscht, können wir so gesehen nur schwer die Stirn bieten."

"Also ist allen Ernstes Sesshoumarus Selbstbewusstsein angeknackst, oder wie?" Kimie konnte es irgendwie nicht glauben. Dass jemand wie Sesshoumaru sich wirklich von so etwas aus der Bahn werfen lassen könnte, kam ihr so derart absurd vor, dass allein die Vorstellung schon fast wieder lächerlich gewesen war.

Kakeru jedoch schien in genau diese Richtung zu denken. "Dem mag durchaus so sein, aber hauptsächlich ist es sein Stolz. Und wenn der bei ihm in Mitleidenschaft gerät, dann sollte man ihn besser ein wenig in Ruhe lassen."

Kimies Blick wechselte von Kakeru zu Toutousai, der jedoch schwieg, und wieder zurück. "Sagt mal, Kakeru, wie habt ihr denn damals gewonnen? Es muss doch irgendetwas geben, womit man den Ryû-Youkai Einhalt gebieten kann. Also, wie habt ihr damals gesiegt?"

"Gesiegt..." Auf einmal wirkte Kakeru merkwürdig bedrückt. Es dauerte einen Augenblick, ehe er weiter sprach: "Es war kein wirklicher Sieg, und sogar unser Oyakata-sama war dieser Ansicht gewesen. Wir haben die Ryû-Youkai zwar vertreiben können, aber so viele von uns sind im Kampf gefallen. Und manche sind so schwer verletzt worden, dass sie nie wieder dazu in der Lage waren, zu kämpfen, und einige starben auch an den Folgen dieser Auseinandersetzung. Von denen, die damals dabei waren, sind nur noch wenige hier. Und nun müssen die entstandenen Lücken von anderen gefüllt werden. Wie etwa von Ashitaka-dono, Tôya oder auch Subaru. Und es ist nicht mal gewiss, ob sie überleben werden..."

"Aber Kakeru..." In Kimies Augen sah man die Unsicherheit, die auch aus ihrer Stimme herauszuhören gewesen war.

Kakeru schüttelte bedauernd den Kopf. "Entschuldigt. Ich weiß, es klingt nicht gerade schön, was ich eben gesagt habe."

"Es klang eher grausig..."

"Tut mir Leid. Es ist nur... die Vorstellung, dass so junges Leben durch Kämpfe wie diese zerstört wird..." Er sprach nicht weiter. Es war klar, was er hatte sagen wollen.

Sogar Toutousai sah man nun in gewisser Hinsicht das Bedauern an. "Ich habe schon viel von solchen Kriegen und Kämpfen mitbekommen. Sie alle sind in jeder Hinsicht grausam, egal wie man es auch dreht und wendet. Und trotzdem wird es wohl immer wieder zu so etwas kommen... Egal, wie alt ich bereits sein mag, man kann sich an Derartiges nicht wirklich gewöhnen, auch, wenn man vielleicht ein wenig abzustumpfen scheint."

"Und Sesshoumaru-sama trägt die schwerste Last", ergriff Kakeru wieder das Wort. "Als Erbe unseres ehemaligen Herrn trägt er die Verantwortung für alle hier und auch die Verantwortung für den Verlauf des Kampfes und dessen Ausgang. Auch, wenn er es wohl niemals zugeben würde, er braucht Unterstützung an seiner Seite."

"Aber die hat er doch!", warf Kimie betont ein. "Euch zum Beispiel und seine Leute stehen doch auch hinter ihm."

"Das mag stimmen, aber er braucht auch eine andere Form der Unterstützung. Jemanden, der ihm den Rücken stärkt."

"Aber was die anderen anbelangt...", mischte sich Toutousai ein. "Es mag vielleicht nur ein Hirngespinst sein, aber ich habe ein ungutes Gefühl in den Knochen."

Kimie traute sich diesmal gar nicht, genauer nachzufragen. Sollte das etwa heißen, innerhalb der eigenen Reihen drohte Unruhe? Würden Sesshoumarus Leute ihm etwa das Vertrauen entziehen? Aber wieso? Sie war eigentlich der Meinung gewesen, die anfänglichen Probleme wären inzwischen vergessen gewesen. War dies etwa nur ein Trugschluss gewesen?
 

Wie schon so manche Nacht zuvor, so war auch diese Nacht für Inu Yasha eine etwas unruhige gewesen. Schon wieder hatte er diesen merkwürdigen Traum. Alles war in ein rötliches Licht getaucht. Da war Feuer! Ein Haus brannte. Inu Yasha hatte das Gefühl, als stünde er wie eine Art Geist mitten im Geschehen. Er konnte die Hitze der Flammen förmlich spüren, doch schadeten sie ihm nicht, auch, wenn er sie berührte.

>Was hat das zu bedeuten? Wo bin ich?< Inu Yasha schaute sich um. Plötzlich hörte er etwas. Es war das Schreien eines Kindes, eines neugeborenen Säuglings! Allerdings kam es nicht aus diesem Raum. Er wollte dem Ursprung der Schreie auf den Grund gehen und den Raum verlassen. Aber als er mit der Hand die Schiebetür berühren wollte, glitt er einfach durch sie hindurch. Zunächst sichtlich erschrocken, zog Inu Yasha die Hand wieder zurück, fasste sich dann aber ein Herz und trat einfach so durch die geschlossene Tür. Auf dem Flur stehend erkannte er nun, dass er sich in einer Art Schloss aufhalten musste. Und noch immer hörte er diese Schreie. Ohne zu zögern lief er los und hatte schon bald den entsprechenden Raum erreicht. So wie er schon zuvor das eine Zimmer verlassen hatte, betrat er nun dieses und fand nur wenige Meter vor sich, inmitten der Flammen und eines heillosen Durcheinanders, ein Schlaflager vor, welches durch einen Vorhang die Sicht auf denjenigen, der dort ruhte, verbarg. Aber genau von dort kamen die Schreie des Babys. Und da war noch etwas... Inu Yasha bildete sich ein, Blut zu riechen. Aber konnte man in einem Traum überhaupt etwas riechen? Oder war all das mehr als bloß ein Traum gewesen? Ging seine Fantasie langsam aber sicher mit ihm durch? In Inu Yashas Kopf ging alles drunter und drüber. >Was passiert hier? Warum habe ich das Gefühl, als wäre ich schon einmal hier gewesen? Was ist das für ein Ort?<

Gerade wollte er näher an das Lager herantreten, als jemand durch die geschlossene Tür gestürmt kam. Inu Yasha fuhr herum und erschrak. Da stand ein Mann mit langem, silberweißen Haar, welches er zu einem Zopf zusammengebunden hatte, und einer Rüstung. Sein Gesicht lag jedoch auf eine völlig unerklärliche Art und Weise im Schatten. So sehr Inu Yasha sich auch bemühte, ihm in die Augen zu schauen, es gelang ihm einfach nicht. Der Mann lief indes direkt auf das Lager zu und entfernte den Vorhang. "Izayoi!"

Wieder schreckte Inu Yasha hoch. Izayoi... Das war doch der Name seiner Mutter gewesen! Er eilte an das Lager und musste mit Schrecken feststellen, dass da wirklich seine Mutter lag, aber... sie war tot! Da entdeckte Inu Yasha etwas, was sie in den Armen hielt, er musste aber einmal um sie herum gehen, um es genauer sehen zu können. Da lag ein Baby!

>Aber das ist doch...!<

In diesem Moment zog der Mann eines seiner Schwerter. "Ich bitte dich, Tenseiga." Als er seine Klinge auf Izayoi niedersausen ließ, verstand Inu Yasha zuerst gar nicht, wonach er eigentlich geschlagen hatte, aber die Überraschung des Hanyou war groß gewesen, als seine Mutter nur wenige Sekunden später ihre Augen öffnete und sich kurz darauf sogar aufsetzen konnte. Sie lebte!

Der Mann holte nun einen roten Umhang hervor, welchen er ihr umlegte, als Schutz vor den Flammen. Sein Blick ruhte auf dem Baby, welches Izayoi liebevoll in den Armen hielt. Es schrie nach wie vor, aber es schien ihm gut zu gehen. Allerdings hatten die beiden keine Zeit, irgendwelche Worte miteinander zu wechseln, denn eine weitere Person erschien nun auf der Bildfläche. Es musste sich dabei um einen Samurai gehandelt haben, wenn man von der Erscheinung der Rüstung ausging. Inu Yasha fiel gleich auf, dass ihm der linke Arm fehlte. Aus der frischen Wunde tropfte stetig Blut auf den Boden hinab. In der rechten Hand hielt der Krieger sein Schwert. Obwohl sein Zustand ziemlich angeschlagen gewesen war, kam er mit bedrohlich sicheren Schritten immer näher. "Ich bereue nichts. Ich werde mit dir zusammen in die Unterwelt eingehen."

Der Mann bei Izayoi hatte Tenseiga indes gegen ein Schwert eingetauscht, welches er auf dem Rücken mit sich getragen hatte, und sich schützend vor die junge Frau gestellt. "Du musst leben!"

"Und du, Liebster?" In Izayois Blick sah man Unsicherheit und Angst. Inmitten dieser verwirrenden Atmosphäre brachen die ersten Deckenbalken, die dem Feuer hatten nachgeben müssen, und fielen brennend zu Boden.

"Inu Yasha."

Der Samurai wirkte ein wenig verwirrt. "Was?"

"Der Name des Kindes...", sprach sein Gegenüber weiter. "Sein Name ist Inu Yasha."

Izayoi schaute auf das Baby in ihren Armen. "Inu Yasha."

"Nun geh!"

Sie zögerte noch einen Augenblick, doch dann fügte sie sich. "Ja." In ihrer Stimme hatte man die Trauer gehört, aber sie hatte keine andere Wahl, wollte sie ihr Leben und das Leben ihres Kindes retten. Währenddessen blieb ihr Geliebter zusammen mit dem Samurai zurück und stellte sich ihm zum Kampf.

Inu Yasha war irritiert, doch entschloss er sich schließlich dazu, seiner Mutter zu folgen. Er durchschritt wie schon zuvor Türen und Wände, bis er sich im Freien befand. Überall lag Schnee und der Himmel war dunkel. Eine Mondfinsternis herrschte in dieser Nacht. Dann entdeckte er seine Mutter und lief wieder los. Bei einigen Bäumen etwas abseits des brennenden Schlosses blieb sie schließlich stehen und blickte zurück. Als auch Inu Yasha sich umdrehte, sah er gerade, wie das Gebäude in einem Meer von Flammen in sich zusammenfiel. Und geisterhaft hörte er wieder die Stimme des Mannes, der Izayoi gerettet hatte, wie vom Wind getragen in der Luft widerhallen: "Izayoi, lebe! Was auch immer passiert, du musst leben! Zusammen mit Inu Yasha!"
 

Erschrocken fuhr Inu Yasha aus dem Schlaf hoch. Dabei fiel Tessaiga, welches er beim Schlafen stets festhielt, zu Boden. Im ersten Moment wusste er überhaupt nicht, wo er sich eigentlich befand. Fast schon panisch schaute er sich um. Sein Atem ging schnell und in seinen Augen stand noch ein Rest des Schreckens.

Es dauerte ein wenig, ehe sich der Hanyou wieder einigermaßen beruhigt hatte und sich wieder gegen die Wand lehnte. Diesmal war der Traum anders gewesen. So real hatte er diese Bilder zuvor noch nie gesehen, alles schien so echt gewesen zu sein. Aber das war mehr als nur ein Traum gewesen. Es war eine Erinnerung...

"Vater...?" Inu Yasha hatte im Grunde keinerlei Zweifel daran gehabt, dass er in seinem Traum wirklich seinen Vater gesehen hatte. Schließlich hatte er ihn schon einmal für einen kurzen Augenblick gesehen, wenn auch eher undeutlich und ohne die Chance, mit ihm sprechen zu können. Damals nach dem Kampf gegen Sou'unga...

Das musste die Nacht seiner Geburt gewesen sein. Die Nacht, in der sein Vater gestorben war...

Inu Yasha verblieb zunächst noch in seinem Zimmer, aber seine Gedanken fuhren Achterbahn. Er brauchte die Gewissheit, aber mit wem sollte er sprechen? Und das auch noch um diese Zeit, schließlich war es mitten in der Nacht. Es schien jedoch einen zu geben, der bereit gewesen wäre, ihm seine Fragen zu beantworten, und auf dessen wahrheitsgetreue Aussagen er sich auch verlassen konnte. Also stand Inu Yasha auf und verließ sein Zimmer.

Er steuerte geradewegs die Privaträume von Kakeru an, doch zögerte er mit dem Anklopfen. Zweifel überkamen ihn. Sollte er wirklich in der Vergangenheit herumstochern? Nur wegen eines Traumes? Schließlich hatte Inu Yasha immer wieder betont, alles, was seinen Vater anging, wäre ihm egal. Er hatte ihn immerhin nie kennen gelernt, er hatte ihn nie gesehen, geschweige denn ein Wort mit ihm gewechselt. Wie auch, wenn er bereits so kurz nach Inu Yashas Geburt gestorben war?

Inu Yasha stand noch eine ganze Weile so unschlüssig in dem dunklen Gang. Er war schon drauf und dran gewesen, unverrichteter Dinge wieder abzuziehen, als sie jedoch die Schiebetür des Zimmers überraschend öffnete und Kakeru ihm gegenüberstand. "Inu Yasha-sama. Es ist mitten in der Nacht. Was führt Euch zu mir?"

Inu Yasha blickte unentschlossen zu Boden. Dem Anschein nach hatte sich Kakeru noch gar nicht zur Nachtruhe begeben, ansonsten wäre es dem Hanyou ein Rätsel gewesen, wie er ihn bemerkt haben konnte. Oder waren Kakerus Sinne derartig geschärft, dass er die Anwesenheit anderer spürte, auch ohne, dass sie etwa eine sehr ausgeprägte, starke Aura besaßen?

Es bedurfte erst einer erneuten Nachfrage Kakerus, ehe Inu Yasha endlich seine Sprache wieder fand: "Ich habe... eigentlich nur eine Frage an dich. Vielleicht mag sich das merkwürdig anhören, dass ich ausgerechnet jetzt und zu so einer Zeit damit ankomme aber... ich muss es einfach wissen."

"Was beschäftigt Euch?"

Inu Yasha holte einmal tief Luft. "Wie... wie ist mein Vater gestorben? Was ist damals passiert?"

In Kakerus Gesicht spiegelte sich ein Ausdruck von Überraschung wieder. Damit hatte er in der Tat nicht gerechnet. Trotzdem wollte er Inu Yasha die Antwort natürlich nicht verwehren, dazu hatte er nicht das Recht. Also begann er schließlich zu erzählen, wenn auch mit einem leichten Unterton von Trauer in der Stimme: "Es geschah in der Nacht, in der Ihr geboren wurdet. Kurz nachdem Euer Vater den Daiyoukai Ryuukotsusei in einen tiefen Schlaf versetzt hatte und in diesem Kampf schwer verwundet worden war, traf er sich ein letztes Mal mit Sesshoumaru-sama. Euer Vater teilte Eurem Bruder mit, dass er noch eine letzte Sache erledigen musste und diese war, Eure Mutter zu retten. Zu diesem Zeitpunkt stand sie kurz vor der Entbindung. Das Schloss, in welchem sie sich mit Euch befand, wurde schwer bewacht. Man rechnete mit dem Eintreffen Eures Vaters, trotzdem schlug er sich gegen seine Widersacher bis zu Eurer Mutter durch. Der Anführer der Krieger des Schlosses befahl, alles niederzubrennen, um Euren Vater auf diese Weise aufzuhalten. Es dauerte nicht lange, dann stand alles in Flammen. In diesen Flammen kämpfte Euer Vater seinen letzten Kampf gegen den Samurai, der Eure Mutter zuvor getötet und den Befehl gegeben hatte, das Schloss niederzubrennen. Nachdem Euer Vater Eure Mutter mit Tenseiga wiederbelebt hatte, stellte er sich anschließend seinem Gegner. Beide kamen in den Flammen ums Leben. Eure Mutter jedoch entkam zusammen mit Euch."

Inu Yasha stand da wie angewurzelt. Diese ganzen Details... Wie konnte es sein, dass Kakeru ihm alles so genau hatte schildern können? Zögerlich wagte er zu fragen: "Woher weißt du das alles? Warst du dabei? Hast du es gesehen?"

Kakeru schüttelte den Kopf. "Nicht mit eigenen Augen, aber ich sah alles in meinen Gedanken. Bilder, die mir im Traum erschienen. Ich gebe zu, ich habe von diesem Tag an versucht, ab und zu herauszufinden, wie es Euch geht. Nur einmal gelang mir das. Ich sah Euch als kleines Kind bei Eurer Mutter... und sie hat geweint."

Inu Yasha senkte den Blick. Ja, diese Erinnerung verfolgte auch ihn noch heute. Und sie würde ab jetzt wohl nicht mehr die einzige sein. "Dann ist... mein Vater also gestorben, um meine Mutter und mich zu retten..."

Der bedrückte Unterton in Inu Yashas Stimme war Kakeru natürlich nicht entgangen. Besorgnis lag in seinem Gesicht. "Inu Yasha-sama?"

"Keh! Und dabei habe ich immer behauptet, ich wollte nie etwas mit meinem Vater zu tun haben..."

Obwohl man in dieser Aussage an sich vermutlich etwas versteckt Abfälliges zu entdecken glaubte, hatte Kakeru jedoch den wahren Sinn erkannt. Inu Yasha hätte es ihm gegenüber und vermutlich auch in Gegenwart von keinem sonst zugegeben, aber Kakeru hatte die Trauer wahrgenommen. Die späte Trauer...

"Danke, Kakeru. Das war alles, was ich wissen wollte." Und ohne noch etwas zu sagen, machte Inu Yasha kehrt und schritt langsam durch den Gang zurück.

Nachdem er aus seiner Sicht verschwunden war, kehrte Kakeru in sein Gemach zurück. Er ging zu einem der Fenster und schob es auf. Deutlich spürte er das Licht des Mondes auf sich herab scheinen und seufzte leise. "Ihr seid wahrlich zu früh gegangen, Oyakata-sama. Eure Söhne brauchen Euren Rat."
 

* ~ * ~ * ~ * ~ *
 

Inu Yasha erzählte niemandem von seinem Traum oder dem Gespräch mit Kakeru. Nur die Tatsache, dass er den ganzen folgenden Tag über merkwürdig nachdenklich und still war, was für ihn schon mehr als untypisch gewesen war, brachte seine Freunde ins Grübeln. Etwaige Nachfragen bezüglich seines Befindens ließ der Hanyou aber entweder unbeantwortet oder er verzog sich einfach. Besonders Kagome beschäftigte das alles sehr, auch bis zum Nachmittag, als sie sich mit Subaru für eine kleine Übungsstunde im Bogenschießen verabredet hatte. Sie schlug sich ganz gut, auch mit seinem Langbogen, aber ihm entging nicht, dass sie irgendwie abwesend wirkte. Schließlich unterbrach er das Training. "Wenn ich mir eine Frage erlauben dürfte, gibt es etwas, was dich beschäftigt? Du konzentrierst dich nicht richtig, das ist mir schon die ganze Zeit über aufgefallen. Hast du vielleicht ein Problem?"

Mit einem Seufzen ließ Kagome ihren Bogen sinken. "Eigentlich... geht es um Inu Yasha. Er ist schon den ganzen Tag so komisch, aber sogar mit mir will er nicht darüber sprechen."

"Ist das alles?", fragte Subaru, was Kagome ein wenig irritiert aufschauen ließ.

"Ich mache nun mal Sorgen um ihn!", entgegnete sie betont.

Subaru hob beschwichtigend die linke Hand. "Ich wollte damit auch nicht sagen, dass es dir egal sein sollte, was ihn beschäftigt, aber er ist auch kein kleines Kind mehr. Wenn er irgendwelche Probleme hat, dann muss er dazu in der Lage sein, diese auch allein zu bewältigen, wenn er keine Hilfe annehmen will. Wenn er sich jedoch in seine Sorgen vergräbt, muss er sich nicht wundern, wenn er über kurz oder lang wirklich in ernsthafte Schwierigkeiten gerät."

Kagome wurde unsicher. "Welche Schwierigkeiten denn?"

"So genau kann ich dir das auch wieder nicht sagen, schließlich bin ich kein Hellseher." Subaru schulterte seinen Bogen. "Mag auch sein, dass ich mich irre. Ich kenne ihn schließlich nicht gut genug, um ihn entsprechend einschätzen zu können."

Kagome senkte nachdenklich den Blick. Gerade, als sie wieder aufschaute, wehte gleichzeitig ein leichter Wind auf und blies ihr etwas ins rechte Auge. "Au!"

"Was ist?"

"Nichts, ich habe eben nur etwas ins Auge bekommen." Sie versuchte zunächst selbst, es irgendwie wieder rauszukriegen, aber es wollte ihr nicht gelingen.

"Lass mich mal sehen", schlug Subaru ihr letztendlich vor und warf einen Blick auf ihr Auge. Dabei kam er ihr mit seinem Gesicht derartig nahe, dass Kagome seinen Atem wahrnehmen konnte. Ein wenig komisch war ihr dabei schon zumute gewesen. Es dauerte allerdings nicht lange, dann hatte Subaru sie wieder von ihrem Leid befreit.

Kagome wirkte ein wenig verlegen. "Mh... Danke."

"Moment. Lass mich mal nachsehen, ob noch etwas zurückgeblieben ist." Erneut legte er seine Hände an ihr Gesicht und schaute sie an, es schien jedoch nicht so gewesen zu sein, als hätte er etwas übersehen.

"Hey! Hände weg von Kagome!"

Kagome schreckte hoch, als sie Inu Yashas erboste Stimme vernommen hatte. Sie schaltete schnell und ahnte, wie die Situation auf ihn gewirkt haben musste. Hastig drehte sie sich ins eine Richtung um und versuchte zu schlichten, ehe er mit Subaru in eine mögliche handfeste Auseinandersetzung geraten würde. "Hör auf, Inu Yasha! Das ist alles nur ein Missverständnis! Subaru-san hat nichts Unrechtes getan!"

"Ach! Und deshalb betatscht er dich auch, wie?!", konterte Inu Yasha zynisch.

Bevor Kagome dazu etwas sagen konnte, mischte sich Subaru ein: "Hör mal, Hanyou, wenn du Probleme mit deinem Selbstwertgefühl hast, dann lass deine Wut darüber nicht an mir aus."

Für Inu Yasha war dies der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. "Wie war das eben?! Dir reiß ich sämtliche Gedärme raus, du eingebildeter...!"

"Nicht, Inu Yasha!", rief Kagome und stellte sich zwischen die Streithähne. "Hör auf und brech‘ nicht schon wieder einen Streit vom Zaun!"

"Wie bitte?! Ich höre wohl nicht recht!?" Inu Yasha war entrüstet. Wie konnte Kagome ihm nur so dermaßen in den Rücken fallen? Fassungslos wechselte sein Blick von ihr zu Subaru und wieder zurück. Doch letztendlich machte er mit einer abwertenden Handbewegung kehrt. "Ach! Macht ihr beide doch was ihr wollt! Das ist mir ab jetzt echt so was von egal! Viel Spaß noch!" Und damit stapfte er fast überkochend vor Wut wieder von dannen.

"Willst du ihm nicht folgen und die Sache aufklären?", fragte Subaru, nachdem Inu Yasha wieder gegangen war.

"Das hätte jetzt keinen Sinn", meinte Kagome jedoch nur kopfschüttelnd. "Er würde mir ohnehin nicht zuhören. Aber... warum habt Ihr ihn eben so provoziert?"

"Ich habe nur meine Meinung geäußert", antwortete Subaru. "Im übrigen sollte der Hanyou ein wenig vorsichtiger sein. So manch anderer könnte seine aufbrausende Art in den falschen Hals bekommen und dann könnte es unter Umständen übel werden."

"So was in der Art habt Ihr bereits zu Anfang erwähnt. Aber warum? Wir haben doch keinem hier etwas getan!"

"Das mag schon sein. Aber der Grund liegt in der Vergangenheit." Es entstand eine kurze Pause, ehe er weiter sprach: "Du hast doch sicherlich schon von Inu no Taishou gehört."

"Ihr meint den Vater von Inu Yasha und Sesshoumaru?", fragte Kagome.

Subaru nickte. "Er starb um eine Menschenfrau zu beschützen, Inu Yashas Mutter. Das ist zwar schon etwas mehr als 200 Jahre her, aber einigen hier stößt das noch immer sauer auf. Und jetzt scheint Sesshoumaru-sama den selben Weg zu gehen, wie einst sein Vater."

Kagome war gleich klar gewesen, dass der Youkai indirekt auf Kimie zu sprechen gekommen war. "Aber das muss doch nichts Schlimmes bedeuten...", meinte sie kleinlaut.

"Vielleicht nicht", stimmte Subaru dem Mädchen zu. "Aber das wird die Zeit wohl zeigen."

Schweigend ließ sich Kagome das eben Gesagte noch einmal durch den Kopf gehen. Plötzlich schreckte sie lautes Geschimpfe auf, das vom großen Hof her kam. "Was ist da los?"

Während Subaru dem offenbaren Streit scheinbar nicht näher auf den Grund gehen wollte, lief Kagome ihrerseits nun genau in die Richtung, aus der der Lärm kam. Am Hof angekommen, bot sich ihr ein seltsamer Anblick. Inu Yasha stand einer Gruppe von Inu-Youkai gegenüber und schien insbesondere mit einem von ihnen in eine heftige Auseinandersetzung geraten zu sein, die sich noch lediglich auf Worte aufbaute. Nahe der Eingangstüren des Schlosses entdeckte Kagome ihre Freunde und auch Kimie. Eiligst lief sie auf sie zu: "Leute! Was ist denn passiert?"

"So genau wissen wir das auch nicht, wir sind auch eben erst dazugekommen", antwortete Miroku unsicher. "Aber aus irgendwelchen Gründen scheint Inu Yasha mit einigen der Inu-Youkai in Streit geraten zu sein."

Kagome ahnte schon in etwa, was passiert war. Bestimmt hatte der kleinste Anlass genügt und Inu Yasha hatte seine von eben aufgestaute Wut an der nächst besten Person ausgelassen, die seinen Weg gekreuzt hatte. Eine unglückliche Aneinanderreihung von Missverständnissen eben...

Inu Yashas aufgebrachte Stimme hallte über das Gelände: "Ihr eingebildeten Großmäuler! Das ist das typische Gehabe von Youkai, dass ihr euch für was viel Besseres haltet! Da kommt einem ja das Kotzen! War mein Vater etwa auch so ein selbstverliebter Idiot?!" Diese Aussage war eher aus einem Impuls heraus zustande gekommen und eigentlich nicht so gemeint gewesen, aber dennoch reichte sie aus, um die Stimmung um ein Vielfaches anzuheizen.

Einer der Inu-Youkai trat nach vorne. "Schäbige Promenadenmischung! Du wagst es eine derartige Beleidigung zu äußern?!" Ein heftiger Schlag warf Inu Yasha zu Boden. Im ersten Augenblick war er sogar so benebelt, dass er sich nicht mal mehr aufsetzen konnte. Der Youkai, der ihn niedergeschlagen hatte, schaute abfällig auf ihn herab. "Hanyou! Du und deine sterbliche Mutter, ihr beide seid verantwortlich für den Tod von unserem Oyakata-sama! Und trotzdem wagst du es auch noch, dich hier hinzustellen und so große Töne zu spucken!? Dabei weißt du überhaupt nichts von ihm!"

"Du weißt nichts von ihm...", wiederholte Inu Yasha wie zu sich selbst und wischte sich mit dem rechten Handrücken ein wenig Blut von seinem Mundwinkel. "Ihr habt gut reden. Aber soll ich dir mal was verraten? Soll ich euch allen mal etwas verraten? Eure Meinung interessiert mich einen Scheißdreck!"

Sein Gegenüber erhob die Klauen seiner rechten Hand. "Du legst es wohl wirklich darauf an, von mir auseinander genommen zu werden. Gut, den Wunsch erfülle ich dir gerne!"

Gerade wollte er dem noch auf dem Boden liegenden Inu Yasha seine Klauen in den Oberkörper rammen, da schritt Ashitaka ein und ergriff die Hand seines Kameraden. "Schluss damit! Bist du verrückt geworden?!"

Zuerst wollte der andere Inu-Youkai sich zur Wehr setzen, ließ es dann aber dennoch bleiben. Stattdessen fragte er gereizt: "Warum nehmt ihr diesen Hanyou-Abschaum in Schutz, Ashitaka-sama? Er ist die Mühe doch überhaupt nicht wert!"

Nicht nur Ashitaka, auch Tôya versuchte die aufgeheizte Stimmung wieder ein wenig unter Kontrolle zu bringen. Allerdings hatten die beiden eher mäßigen Erfolg. Stattdessen sah es gar so aus, als würden sie selbst als nächstes ins Visier ihrer eigenen Kameraden geraten. Alles schien so langsam aber sicher vollends außer Kontrolle zu geraten.

"Hört doch endlich damit auf!", rief Kagome mit einem Mal und stellte sich zusätzlich zu Ashitaka und Tôya schützend vor Inu Yasha. "Hört endlich auf, Inu Yasha anzugreifen! Oder glaubt ihr etwa, dass Euer Herr das so gewollt hätte? Dass ihr so auf seinen Sohn losgeht und ihn beschimpft?" Obwohl sie gehofft hatte, mit diesen Worten die Anwesenden zum Nachdenken zu bewegen, erzielte sie bei einigen eher das Gegenteil. Die Entrüstung schien sogar noch zu wachsen, weil sich ein Menschenmädchen traute, eine derartige Aussage verlauten zu lassen.

Auch Kimie kam nun hinzu und versuchte ihrerseits einen Beitrag zu leisten: "Jetzt hört doch endlich auf damit! Was soll das alles überhaupt auf einmal? Warum greift ihr Inu Yasha plötzlich alle wegen seiner Herkunft an?"

"Es geht nicht allein darum. Oder wusstet ihr das etwa nicht?", drang die Stimme von Seshiru plötzlich zu allen vor. Er trat aus der Gruppe der Inu-Youkai hervor, dass sämtliche Blicke nun auf ihn ruhten. "Inu no Taishou gab einst sein Leben für eine Menschenfrau und ihren Halbblutsohn. Das ist so gut wie jedem hier bekannt. Ihr werdet wohl verstehen, wenn sich euer Freund dort dementsprechend nicht gerade viele Freunde macht. Und da kann es auch schon mal vorkommen, dass die Fantasie ihre ganz eigenen Wege geht. Hast du vielleicht vor, Sesshoumaru-sama auf die gleiche Weise ins Verderben zu stürzen?" Mit dieser Frage hatte er sein Augenmerk genau auf Kimie gerichtet.

Im ersten Moment war sie aufgrund dieses abrupten Themenwechsels nur wie vor den Kopf gestoßen, ließ diesen Vorwurf aber keinesfalls so auf sich sitzen. "Das muss ich mir wirklich nicht vorwerfen lassen, und schon gar nicht von einem wie dir! Sein Wohl ist mir sehr wichtig!"

"Ach, wirklich?", fragte Seshiru herablassend. "Wärst du auch dazu bereit, es zu beweisen?"

Kimie war irritiert. "Beweisen? Was soll das? Wie meinst du das?"

"Es ist eigentlich ganz einfach. Löse dich von ihm! Lass ihn los und kehre an den Ort zurück, wo du hergekommen bist!"

Ein Raunen machte die Runde.

Kimie jedoch stand einfach nur da, wie vom Donner gerührt. Sie sagte auch dann nichts, als der Youkai erneut das Wort ergriff: "Warum reagiert ihr alle so? Es ist doch schließlich die Wahrheit. Du bist hier nur eine Fremde, du solltest eigentlich gar nicht hier sein! Du und deine Freunde, ihr gehört hier nicht her, und besonders nicht du und deine Cousine. Wenn man den Erzählungen Glauben schenken darf, dann befindet ihr beide euch in einem ganz anderen Zeitstrom als wir alle hier. Was also habt ihr hier verloren?"

Kagome schaute spürbar verunsichert zu Kimie, die ihren Blick erwiderte. So dermaßen hatten sie sich noch nie ihre Gedanken über dieses Thema gemacht. Es stimmte, sie gehörten eigentlich nicht in diese Zeit, aber sollte es ihnen deshalb auch verboten sein, sich hier aufzuhalten, obwohl ihnen doch die Möglichkeit geboten worden war, zwischen dieser und ihrer Zeit hin- und herzureisen? Oder machten sie beide einen Fehler, indem sie diese Chance nutzten?

Es war schließlich Kimie, die als erste wieder das Wort an Seshiru richtete, wenn auch bei weitem nicht mehr so entschieden wie zuvor: "Da hat Sesshoumaru aber sicher noch ein Wörtchen mitzureden." Kaum, dass sie das gesagt hatte, erschrak Kimie leicht über den Ton ihrer eigenen Stimme. Ja, Seshiru hatte es geschafft, sie einzuschüchtern, und die prüfenden Blicke der anderen verbesserten die Lage nicht unbedingt. Ihr war wirklich unwohl in ihrer Haut gewesen, als hätte man sie hierher bestellt, um sie vor allen anderen bloßzustellen und regelrecht ins Kreuzverhör zu nehmen.

"Auch wenn er dich zu seiner Gefährtin bestimmt hat, das muss nicht so bleiben", sprach Seshiru indes weiter. "Irgendwann wäre das mit euch sowieso vorbei gewesen. Denn im Gegensatz zu ihm wirst du irgendwann genau den gleichen Tod sterben wie viele andere Sterbliche es bereits vor dir getan haben und es noch tun werden. Ein Menschenleben dauert nicht lange, und es seid auch hauptsächlich ihr Menschen, die denken, die Zeit sei etwas kostbares. Eben weil eure Zeit stark begrenzt ist." Ein heimtückisches Lächeln huschte über seine Lippen. "Du solltest mal darüber nachdenken. Bisher hast du das ja scheinbar nicht getan. Das Gleiche gilt übrigens auch für deine werte Cousine. Bei ihr scheint die Sachlage ja immerhin eine ähnliche zu sein, nicht wahr?"

"Hey! Mach Kagome gefälligst nicht so blöde an, du Dreckstyp!", knurrte Inu Yasha erbost. Bisher hatte er sich das alles kommentarlos mit angehört, aber nun war bei ihm endgültig Feierabend gewesen. Was bildete sich dieser aufgeblasene, arrogante Wichtigtuer von einem Youkai überhaupt ein?

Bevor Seshiru jedoch etwas auf die Worte des Hanyou erwidern oder überhaupt erneut jemand etwas sagen konnte, betrat Sesshoumaru, der von seinen Privaträumen aus den Konflikt mitbekommen hatte, den Schauplatz, und seine ernste Stimme durchdrang wie ein Donnern die gespannte Atmosphäre: "Schluss mit diesem Gerede! Wenn irgendjemand hier den Wunsch verspürt, Kritik bezüglich meiner Person zu äußern, kann er das jetzt gerne tun. Aber wenn ich etwas hasse, dann ist es das feige Gehabe, sich über Umwege das Maul zu zerreißen. Also, wer hat diesen ganzen Streit angezettelt?"

Sesshoumaru ließ seinen Blick schweifen. Keiner sagte etwas, aber schon beinahe wie von selbst blieb sein Augenmerk bereits nach kurzer Zeit an Seshiru hängen.

Ungeachtet der Tatsache, dass bereits vor seiner Einmischung ein Streit vorausgegangen war, schien Seshiru jedoch keine Probleme damit zu haben, die Rolle der treibenden Kraft anzunehmen und wandte sich direkt an seinen Herrn: "Das mag nun in der Tat der beste Moment zu sein, um lange Totgeschwiegenes endlich auf den Tisch zu legen. Sagt mir eins, Sesshoumaru-sama. Wie kommt es, dass ihr ausgerechnet ein sterbliches Menschenmädchen zu Eurer Gefährtin bestimmt habt? Hegt Ihr vielleicht den Wunsch, auf die selbe Art und Weise unterzugehen, wie schon einst Euer Vater?"

Sesshoumarus Augen blitzten bedrohlich auf. "Seshiru, jetzt gehst du zu weit!"

"Warum denn? Es ist doch schließlich die Wahrheit!", gab Seshiru frech zur Antwort. "Bei dem Versuch, seine sterbliche Gemahlin und seinen Halbblutsohn zu schützen starb Inu no Taishou einen unehrenhaften Tod. Und scheinbar habt Ihr doch mehr von ihm geerbt, als es bisher den Anschein gehabt hat, Sesshoumaru-sama. Ist das der Grund, weshalb Ihr plötzlich doch noch Eure positive Einstellung Menschen gegenüber entdeckt habt? Ich dachte eigentlich stets, dass Ihr im Bezug auf Menschen keine solche Schwächen erkennen lassen würdet. Anscheinend legt Ihr aber doch die gleichen Schwächen an den Tag wie schon einst Inu no Taishou. Und genau diese haben in letztendlich ins Verderben gestürzt. Offenbar war er in dieser Hinsicht doch zu schwach. Euch scheint unter den gegebenen Umständen das gleiche Schicksal vergönnt zu sein. Ich sehe es schon praktisch vor mir." Er deutete auf Kimie. "Ich verwette meine Schwerter darauf, dass sie Euch genauso ins Verderben stürzen wird, wie einst die Mutter dieses Hanyou es mit Eurem Vater gemacht hat! Euch wird genau ein gleiches elendes Ende widerfahren! Ein wahrer Anführer müsste die Tragweite seiner Handlungsweisen eigentlich abschätzen können. Euch und Eurem Vater scheint diese Fähigkeit jedoch durch den zu engen Kontakt mit diesen Menschen mit der Zeit abhanden gekommen zu sein. Ist das nicht im Grunde ein Zeichen von Schwäche?"

Ein erbostes Knurren drang aus Sesshoumarus Kehle. "Du wagst es allen Ernstes, den Namen meines Vaters in den Dreck zu ziehen und obendrein erneut seine Autorität in Frage zu stellen und meine noch dazu?!"

Während so manch anderer durch Sesshoumarus Wut nun doch spürbar eingeschüchtert wirkte, deutete Seshiru hingegen nur äußerst provokativ mit dem Finger auf seinen Gegenüber. "Nun denn, Sesshoumaru-sama, dann beweist uns doch, dass Ihr noch immer würdig seid, unseren Clan anzuführen. Kämpft gegen mich! Nur Ihr und ich!"

Sesshoumaru antwortete nicht sofort auf diese Herausforderung. Stattdessen schritt er zunächst nur mit bestimmten Schritten die Treppe vor dem Eingang des Schlosses hinab. "Bist du nur deshalb hierher zurückgekommen, weil du von Anfang an vorgehabt hast, mich herauszufordern, wie schon einst meinen Vater?"

Seshiru ließ seine Hand wieder sinken. "Unser Clan braucht einen Anführer, auf den er sich verlassen kann und der keine Schwächen zeigt. Wenn Ihr mich besiegt, bin ich gerne bereit, Eure Position als Clan-Oberhaupt anzuerkennen. Aber wenn ich Euch besiege..."

"Das hoffst du wohl", unterbrach ihn Sesshoumaru mit kalter und herablassender Stimme. "Aber den Gefallen werde ich dir garantiert nicht tun. Und wenn ich dich erst mal besiegt haben werde, werde ich gleichzeitig dafür sorgen, dass du mir in Zukunft garantiert nicht mehr in die Quere kommen wirst!"

Es schien unumgänglich gewesen zu sein, dass Sesshoumaru wie bereits einst sein Vater seine Führungsposition in einem Zweikampf verteidigen musste. Derartiges hatte jedoch gar nicht in der Absicht der anderen gelegen. Seshiru hatte die aufgeheizte Stimmung schlichtweg für sein eigenes Vorhaben genutzt. Auch schien es niemanden zu geben, der diesen Kampf noch hätte verhindern können. Zumindest dachten das alle, als jedoch ein Zischen die Luft zerschnitt und Sesshoumaru und Seshiru abrupt auf ihren jeweiligen Standorten verharren ließ. Direkt zwischen den beiden Kontrahenten hatte sich ein Pfeil in den Boden gebohrt.

"Seshiru! Das reicht! Ich lasse es nicht zu, dass du schon wieder die gleiche Nummer abziehst, wie du es schon vor 200 Jahren getan hast! Also", Subaru legte einen neuen Pfeil auf die Sehne seines Bogens, "komm erst gar nicht auf die Idee, Sesshoumaru-sama anzugreifen! Ich habe keine Hemmungen, diesen Pfeil abzuschießen!"

Seshirus Blick wanderte zu seinem Bruder, der sich etwas abseits der anderen aufgestellt hatte. Eingeschüchtert von dessen Drohung wirkte der Ältere jedoch nicht wirklich. "Hm! Du würdest es also wirklich wagen, deine Waffe gegen dein eigen Fleisch und Blut zu richten, mein kleiner Bruder?"

Genau so wenig wie er schien sich allerdings auch Subaru einschüchtern lassen zu wollen. "Komm mir nicht mit diesem Brudergefasel! Ich habe schon lange keinen Bruder mehr! Genau genommen, habe ich nie einen gehabt!"

Im ersten Moment blieb Seshiru stumm, zuckte dann aber wie gleichgültig mit den Achseln. "Na gut, wenn das so ist, brauche ich ja keine Rücksicht auf dich zu nehmen, nicht wahr? Vielleicht magst du in den letzten 200 Jahren etwas aus dir gemacht zu haben, aber dir fehlt die Erfahrung, Brüderchen. Das werde ich dir gleich beweisen."

Seine rechte Hand wanderte bereits an eines seiner beiden Schwerter, als völlig unerwartet jedoch Kimies Stimme dem ganzen Einhalt gebot: "Wartet! Hört bitte auf! Kämpft nicht gegeneinander!"

Alle verharrten. Sämtliche Blicke ruhten im Moment auf Kimie, die, ohne jemandem in die Augen zu schauen, an Sesshoumaru gerichtet weiter sprach: "Es tut mir Leid, Sesshoumaru... Ich wollte eigentlich nicht, dass du wegen mir Probleme bekommst." Dann hob sie den Blick und sprach zu den anderen: "Ich... ich möchte euch inständig bitten, Sesshoumaru nicht eurer Vertrauen zu entziehen! Zugegeben, ich kenne euren ehemaligen Herrn nicht und weiß im Grunde gar nichts über ihn, aber was ich weiß, ist, dass Sesshoumaru als sein Sohn eure Erwartungen garantiert nicht enttäuschen wird. Also... vertraut ihm bitte weiterhin, so wie bisher auch." Verunsichert ließ sie ihren Blick schweifen. Was in den Köpfen der anderen vorging, konnte sie nicht erahnen, aber dieses unbehagliche Gefühl wurde nun schier unerträglich. Sie musste weg von hier. "Entschuldigt mich bitte." Und ohne noch einmal mit jemanden in Augenkontakt zu treten, verschwand sie im Schloss.

"Kimie...?" Kagome hatte ihrer Cousine unschlüssig nachgeblickt, doch der einzige, der ihr nach einem Augenblick folgte, war Sesshoumaru gewesen. Alle anderen ließ er einfach so stehen und hatte Kimie recht schnell eingeholt. Er ergriff sie am Handgelenk und zwang sie auf diese Weise zum stehen bleiben.

"Warum läufst du davon?", fragte Sesshoumaru ernst. "Du hast keinen Grund, dich etwa vor jemanden hier zu fürchten."

"Darum geht es nicht", entgegnete Kimie, ohne sich dabei jedoch zu ihm umzudrehen. "Es ist nur, weil..."

"Weil was?"

Nur zögerlich wagte sie es, ihn anzuschauen. Aber sie konnte seinem Blick nicht lange standhalten und musste wieder zu Boden blicken. Man sah ihr dennoch an, dass sie innerlich mit sich kämpfte. Sie wollte etwas sagen, schien aber nicht zu wissen, wie genau sie es anfangen sollte. "Sesshoumaru... vielleicht ist es besser, wenn ich wieder nach Hause gehe und... nicht wieder hierher zurückkomme. Sonst könnte es sein, dass ich dich irgendwann wirklich in ernste Schwierigkeiten bringe, und das will ich nicht." Kimie hatte Mühe, ihre Stimme nicht allzu erstickt klingen zu lassen, trotzdem hatte man heraushören können, wie schwer ihr die Aussprache dieser Worte gefallen war.

Sesshoumaru beäugte sie mit prüfendem Blick. "Du lässt dich also von Seshiru einschüchtern. Sehe ich das richtig?" Es klang schon beinahe vorwurfsvoll.

Kimie jedoch schüttelte nur zaghaft den Kopf. "Frag mich bitte nicht... Versteh mich nicht falsch, aber ich kann nicht länger hier bleiben! Es geht einfach nicht!" Und ehe er ihre ersten Tränen hatte sehen können, hatte sie sich wieder von ihm losgerissen und war zu ihrem Zimmer gelaufen. Kaum war sie dort angekommen, konnte sie sich nicht mehr zurückhalten und fing an zu weinen. Doch sogar jetzt war sie darum bemüht, dass sie nach Möglichkeit keiner hörte. Sie versuchte, ihr Schluchzen zu unterdrücken, doch irgendwie schien alles dadurch nur noch schlimmer zu werden.

Ein Klopfen an ihrer Zimmertür schreckte Kimie auf. Wenn das Sesshoumaru war, wollte sie ihm so jetzt nicht unter die Augen treten. Sie wollte den Besucher gerade abwimmeln, als sie die Stimme von Sakura vorsichtig fragen hörte: "Kimie-dono? Darf ich eintreten?"

Kimie antwortete nicht sofort. Zuerst versuchte sie irgendwie hastig sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Und obwohl sie wusste, dass sie noch immer recht verweint ausgesehen haben dürfte, öffnete sie schließlich die Tür. "Sakura-sama..."

"Nur Sakura reicht vollkommen", meinte die Frau sanft lächelnd. "Störe ich? Wollt Ihr lieber allein sein."

"Schon in Ordnung. Kommt rein." Kimie sprach sehr leise, ehe sie wieder von der Tür wegging und sich ohne weiteres einfach so hinsetzte.

Sakura trat an ihre Seite und tat es ihr gleich. "Ich habe den Streit eben mitbekommen. Tut mir Leid, dass Ihr und eure Freunde da hineingezogen wurdet."

"Macht nichts. Es ist ja nicht Eure Schuld..."

Es trat ein kurzer Moment der Stille ein.

Vorsichtig sprach Sakura schließlich weiter: "Kimie-dono. Der Grund, weshalb ich Euch aufsuche... Versteht mich jetzt bitte nicht falsch, aber ich hörte, was Ihr zu Sesshoumaru-sama gesagt habt. Ich wollte nicht etwa lauschen, sondern befand mich gerade am anderen Ende des Ganges."

Zwar wirkte Kimie kurzzeitig ein wenig erschrocken, doch verschwand dieses Gefühl rasch wieder. Was sollte jetzt schon noch groß passieren? Schlimmer konnte es schließlich kaum noch kommen.

Als Kimie ihr nicht antwortete, fügte Sakura hinzu: "Habt Ihr wirklich vor, wieder zu Euch nach Hause zu gehen? Sesshoumaru-sama machte auf mich nicht den Eindruck, als würde er das begrüßen."

"Sonderlich zu jucken schien ihn das aber auch nicht...", gab Kimie dieses Mal mit einem leichten Unterton von Sarkasmus zurück.

"Nun, in der Beziehung war er schon immer etwas schwierig", versuchte Sakura zu erklären. "Seht mal, Sesshoumaru-sama ist so ein Charakter, der seine Emotionen lieber versteckt, als dass er sie nach außen hin zeigt. Wenn Ihr wirklich gehen würdet, ich könnte mir vorstellen, dass Ihr ihm fehlen würdet." Sie wartete auf die Reaktion des Mädchens. Aber als Kimie nach einem Moment ihren Blick hob und Sakura ansah, hatte sie nur diesen unschlüssigen Ausdruck in den Augen. "Was ist mit Euch?"

"Das ist es ja gerade, ich weiß es nicht genau", antwortete Kimie mit einem kaum merklichen Schulterzucken. "Ich meine, je länger ich darüber nachdenke, umso weniger habe ich das Gefühl, als würde ich noch klar durchblicken. Sesshoumaru... Er hat mir nie gesagt, wie er zu mir steht. Ich meine, er..."

"Er hat Euch nie direkt gesagt, was er für Euch fühlt, nicht wahr?"

Kimie nickte stumm.

Sakura lächelte leicht. "Ja, das passt zu ihm. Aber das muss nichts heißen. Schließlich merkt Ihr doch auf eine andere Art und Weise, dass Ihr ihm wichtig seid."

"Ja, schon... Aber es ist eben nicht das Gleiche..." Kimie fuhr sich mit der Hand durch die Haare und seufzte. "Bisher habe ich kaum einen Gedanken daran verschwendet, aber jetzt... Kagome und ich... Eigentlich sind wir noch sehr jung, aber... im Grunde haben wir doch nur wenig Zeit... So ist das aber mit den Menschen. Sie sterben früh..." Eine kurze Pause entstand, ehe sie scheinbar gleichgültig mit den Schultern zuckte. "Na ja, was soll's! So muss ich Sesshoumaru wenigstens nicht bis in alle Ewigkeit ertragen, und er hat dieses Problem dann auch nicht."

Sakura wusste, dass Kimie das nur gesagt hatte, um eigentlich zu verbergen, wie schlecht es ihr wegen dieser Sache ging.

"Ich kann nicht von ihm verlangen, dass er mir ewig hinterher trauert, wenn ich mal den Löffel abgebe. Das wäre ihm gegenüber nicht fair. Die anderen haben vermutlich Recht. Vielleicht ist es wirklich besser, wenn ich..." Kimie verstummte abrupt, als sie Sakuras Hand auf ihrem Rücken wahrnahm.

"Gebt nicht zu viel auf die Worte von Seshiru. Inu no Taishou hat ihn damals nicht ohne Grund von hier verbannt. Er war schon immer ein Unruhestifter gewesen und knüpft jetzt einfach an das an, was er damals angefangen hat."

"Wenn es nur das wäre...", seufzte Kimie.

Nichts desto trotz schenkte Sakura dem Mädchen ein warmes Lächeln. "Hört mal, schlaft am besten noch einmal eine Nacht über all das, in Ordnung? Vielleicht seht ihr die Dinge morgen wieder ein wenig anders."

Zuerst überlegte Kimie, ob sie etwas darauf erwidern sollte, entschied sich dann aber dagegen. Stattdessen nickte sie nur stumm. Trotz dieses Gesprächs hatte sie nicht das Gefühl gehabt, als wüsste sie nun besser, was sie tun sollte.
 

* ~ * ~ * ~ * ~ *
 

Zwar war es nicht so gewesen, als wären die letzten Nächte für ihn eine große Erholung gewesen, aber in dieser Nacht raubte etwas anderes Sesshoumaru jegliche Ruhe, und das war das, was Kimie zu ihm gesagt hatte. Obwohl er schon mit so mancher ihrer Launen vertraut gewesen war, einen derartigen Ausbruch hatte er nicht erwartet. Wenn er ihrem genauen Wortlaut glauben schenken durfte, dann hatte sie praktisch einen Schlussstrich gezogen. Eigentlich hatte er bisher vermutet, dass sie aufgrund des Vorfalls am Nachmittag lediglich ein wenig verwirrt gewesen war und dass sie sich rasch wieder beruhigen würde, aber hatte sie seither keinen Fuß mehr vor ihre Tür gesetzt. Allerdings hatte ihm Sakura von ihrem Gespräch mit dem Mädchen erzählt, ihm allerdings dazu geraten, Kimie erst mal ein wenig für sich allein zu lassen. Das war der eigentliche Grund gewesen, weshalb Sesshoumaru sich dazu entschieden hatte, Kimie nicht aufzusuchen. Vielleicht würde sie sich bis zum nächsten Tag wieder beruhigt haben. Trotzdem stimmten ihn ihre Worte noch immer nachdenklich.

Während Sesshoumaru das zuletzt Geschehene noch einmal Revue passieren ließ, nahm er nach einer Weile die Anwesenheit einer Person vor seiner Tür war. Im ersten Augenblick vermutete er, es wäre Kimie gewesen, doch rasch erkannte er, dass dem nicht so gewesen war. Und als er zur Tür geschritten war und sie geöffnet hatte, bevor der Besucher überhaupt hatte anklopfen können, sah er sich sofort in seiner Vermutung bestätigt, als er Touran gegenüberstand.

"Ich hoffe doch, ich habe dich nicht bei deiner nächtlichen Ruhe gestört?", fragte sie mit einem leichten Lächeln.

Sesshoumaru machte einen reichlich desinteressierten Eindruck, als er ihr antwortete: "Nein, aber ich nehme nicht an, dass du nur deshalb zu mir gekommen bist."

"Damit liegst du richtig. Ich würde nämlich gerne mit dir sprechen, wenn du damit einverstanden wärst. Würdest du mich begleiten?"

Da er im Augenblick ohnehin nichts besseres zu tun gehabt hatte, erklärte sich Sesshoumaru einverstanden, Touran Gesellschaft zu leisten und verließ sein Zimmer. Anschließend begleitete er sie den Gang entlang.
 

Kimie schlief nicht. Stattdessen lag sie noch komplett bekleidet auf dem Boden und starrte an die Decke. Inuki machte einen schon beinahe hilflosen Eindruck, während er sie so beobachtete. In Kimies Kopf überkreuzten sich die Gedanken. Sie vermochte nicht zu sagen, was sie tun sollte. Machte sie es sich vielleicht unnötig noch komplizierter? Aber wie sollte man eine einfache Lösung für diesen ganzen Schlamassel finden? Unter den Inu-Youkai herrschte eine extrem angespannte Stimmung, wie Inu Yasha es heute spürbar erfahren musste. Und Seshiru würde sicherlich auch so schnell keine Ruhe geben. Das Schlimme an dieser ganzen Sache war jedoch, dass er im Grunde Recht gehabt hatte. Die Tatsache, dass Inu no Taishou sein Leben für eine menschliche Frau und seinen Sohn Inu Yasha gegeben hatte, stieß vielen hier sauer auf und hatte sich heute in ausgeübte Aggressionen entladen. Wenn die ganze Sache gänzlich außer Kontrolle geraten wäre, Kimie wollte lieber nicht daran denken, wie alles geendet wäre. Sie konnte sogar verstehen, dass viele hier das Schicksal von Inu no Taishou nun auf dessen älteren Sohn übertrugen. Die Parallelen, die existierten, waren einfach zu ersichtlich gewesen. Auch, wenn sie die genaue Geschichte nicht kannte, Kimie fühlte sich trotzdem wie der Überbringer eines Unheils. Zumindest hatte sie es schon mal so weit gebracht, dass Sesshoumarus Leute mehr oder weniger offen ihren Unmut geäußert hatten. Auf die Dauer konnte das doch gar nicht gut gehen, wenn sie hier bleiben würde!

>Für mich ist hier kein Platz... Ich kann nicht von Sesshoumarus Leuten erwarten, dass sie mich einfach so akzeptieren. Darum wäre es wohl wirklich besser, wenn ich wieder gehen würde. Aber andererseits... Ich will nicht weg von hier! Nicht weg von ihm... Aber was soll ich nur tun...?<

Kimie seufzte auf und drehte sich auf die Seite, sodass sie zur Tür schauen konnte. Genau in diesem Augenblick sah sie durch das über die Tür gespannte Papier die Silhouette einer Person den Flur entlanggehen. >Wer...?< Sie stand auf und trat zur Tür. Vorsichtig öffnete sie diese und spähte hinaus. Kimie sah gerade noch, wie Sesshoumaru die etwas entfernte Treppe hinunterging, doch er schien nicht allein gewesen zu sein, wie sie es an den Schritten heraushören konnte. Schließlich siegte Kimies Neugier. "Warte hier, Inuki." Sie verließ ihr Zimmer und schritt leise den Gang entlang. Dabei achtete sie genauestens darauf, einen ausreichenden Abstand zu Sesshoumaru und dieser zweiten Person einzuhalten, um zu verhindern, dass sie eventuell bemerkt werden würde. Kimie verbarg sich stets hinter irgendwelchen Biegungen, und erst, wenn sie Sesshoumaru und dessen Begleitung nicht mehr sehen konnte, setzte sie ihre Verfolgung fort. Ein Ende fand all dies erst dann, als Kimie nach einer schier endlosen Zeit an jener kleinen Tür ankam, die in den Garten hinaus führte, aber die Tür war zu. Kimie holte einmal tief Luft. Danach ging sie derart vorsichtig beim Öffnen der Tür vor, dass ihre Bewegungen einem schon übertriebenen Zeitlupentempo glichen. Millimeter für Millimeter schob sie die Tür auf, bis ein ausreichend großer Spalt entstanden war, durch welchen sie hindurchspähen konnte. Obwohl es dunkel war, reichte das Licht des Mondes aus, dass sie sich einen Überblick über die Lage verschaffen konnte, und so sah sie nun Sesshoumaru und Touran sich im Garten gegenüberstehen. Sie schienen über irgendetwas zu reden.

>Was soll denn das? Was haben die beiden um diese Zeit denn miteinander zu bereden?< Kimie blieb mucksmäuschenstill, damit sie verstehen konnte, worum es in dem Gespräch ging.

Touran war die erste, die das Wort ergriff: "Ich lasse mal das beiläufige Gerede und komme gleich zur Sache. Es ist mir nicht entgangen, dass es heute Nachmittag einen kleinen Vorfall gegeben hat, auch bezüglich des Mädchens, welches du zu deiner Gefährtin bestimmt hast."

"Und?", fragte Sesshoumaru prüfend. "Was genau willst du mir jetzt damit sagen? Du hast den Vorfall also mitbekommen. Na gut, aber was hat er dich zu interessieren?"

Trotz des kühlen Tons seiner Stimme blieb Touran ruhig und seriös in ihrer Aussprache. "Nun, in gewisser Weise hat mein Anliegen durchaus etwas damit zu tun." Sie trat etwas näher an ihn heran. "Zugegeben, wir hatten durchaus unsere Differenzen, Sesshoumaru, doch unser alter Streit liegt immerhin schon eine ganze Weile zurück. Ich weiß ja nicht, ob es dir schon aufgefallen ist, aber ich jedenfalls sehe dich inzwischen mit anderen Augen."

>Also doch!?< Für Kimie war dies Beweis genug gewesen, dass Touran in der Tat etwas von Sesshoumaru wollte. Anstatt sich aber vielleicht einzumischen, blieb sie weiter unbemerkt im Hintergrund, und wartete seine Antwort auf ihre Aussage ab. Die folgte auch prompt: "Ich könnte dich jetzt zwar dazu auffordern, dich etwas genauer auszudrücken, aber ich lasse es bleiben. Ich denke, ich weiß auch so, was du meinst. Es war deutlich genug."

"Dann muss ich dazu ja nichts weiter sagen." Auf Tourans Gesicht stahl sich ein leichtes Lächeln. Das war typisch für Sesshoumaru gewesen, so zu antworten. Es entstand eine kurze Pause, ehe sie erneut zu sprechen begann: "Ich bin bestimmt nicht die erste, die sich deine Gunst erhofft. In der Vergangenheit gab es sicherlich viele Frauen, die gerne an deiner Seite gewesen wären. Wer hätte jedoch gedacht, dass ausgerechnet ein Menschenmädchen am Ende diejenige sein würde, die sich diesen Platz bei dir ergattert? Doch was machst du später? Über das kurze Leben eines Menschen muss ich dir schließlich nicht viel erzählen." Wieder trat sie etwas näher an ihn heran. "Was sind schon wenige Jahrzehnte für einen Youkai? Was willst du tun, wenn diese Zeit vorüber ist? Du weißt es selbst am besten, Sesshoumaru. Sie ist nur ein Mensch und du dämonischen Bluts. Eine solche Bindung kann nicht lange bestehen. Es ist nur eine Illusion, nichts weiter."

Sesshoumaru schwieg. Er wusste es ja selbst, Touran hatte in dem, was sie gesagt hatte, durchaus Recht gehabt. Was waren schon diese verhältnismäßig wenigen Jahre, die ein Mensch zur Verfügung hatte, wenn man diese mit dem Leben eines Youkai verglich? Wenn ein Mensch irgendwann starb, befanden sich die meisten Youkai in diesem Alter hingegen noch praktisch im Kindesalter.

"Du musst natürlich selbst wissen, was du tun willst, Sesshoumaru", sprach Touran weiter. "Aber dennoch solltest du all diese Dinge bedenken. Schließlich willst du doch sicherlich auch mal Nachkommen haben, oder? Willst du es deinen Kindern etwa zumuten, dass sie ihre Mutter bereits im Kindesalter verlieren werden? Und willst du ihr es wirklich antun, eure Kinder nicht erwachsen werden zu sehen? Egal, von welcher Seite man es auch betrachtet, es kann nichts Gutes dabei herauskommen. Für keine Seite." Weil Sesshoumaru den Blick ein wenig von ihr abgewendet hatte, legte Touran ihm eine Hand auf die Wange und drehte sein Gesicht wieder zu sich. Sie sah ihm deutlich an, dass er sehr intensiv über ihre Worte nachdachte, aber ansonsten... "Wie so oft gibst du nur einen bedingten Einblick in deine Seele preis. Du hast aber keinen Grund, dich eventuell schlecht zu fühlen, Sesshoumaru. Sie selbst hat sich schließlich dazu bereit erklärt, dich loszulassen. Ist es nicht so?"

Nach wie vor blieb Sesshoumaru stumm. Es schien, als wüsste er gar nicht, was er am besten darauf hätte antworten können. Auch versuchte er dieses Mal gar nicht, sich Touran zu entziehen. Als übte sie eine Art Magie auf ihn aus, die ihn daran hinderte. Aber Sesshoumaru war durchaus bewusst, dass dem nicht so gewesen war, zumindest nicht, wie man es vielleicht denken mochte. Es war etwas anderes, womit sie ihn in ihren Bann zog. War es vielleicht der wahre Kern ihrer Worte gewesen, der angesichts des Vorfalls vom Nachmittag noch schwerwiegender wirkte? Hatte er sich bisher etwa wirklich nur einer Illusion hingegeben? Einer Laune von seiner Seite?

Er war mit seinen Gedanken ganz abwesend gewesen. Was war richtig und was war falsch? Konnte man überhaupt in derartigen Kategorien denken? Sesshoumaru musste sich eingestehen, er vermochte nicht zu sagen, was er denken sollte. Niemals hätte er es mal für möglich gehalten, dass ihm das mal passieren würde, aber er war verwirrt. Er wusste wirklich nicht, was er machen sollte. Touran schien ihm diese Entscheidung nun jedoch abnehmen zu wollen, als sie ihre Finger so dicht über seine Lippen gleiten ließ, dass ihre Berührung kaum mehr als ein Hauch gewesen war. Trotzdem war sie spürbar gewesen. Und bevor Sesshoumaru eventuell einen Gedanken daran verschwenden konnte, sich nun doch wieder von ihr abzuwenden, legte Touran ihre Lippen auf seine.
 

Kimie traf regelrecht der Schlag. Die ganze Zeit über hatte sie angestrengt dem Gespräch gelauscht, hatte Tourans Worten mit aufwühlenden Gefühlen zugehört, und jetzt auch noch das! Das war zu viel gewesen, sie konnte sich das nicht mehr mit ansehen. Stattdessen sank sie nur noch mit dem Rücken zur Wand zu Boden. Die Geräusche, die sie dabei verursachte, richteten nun jedoch die Aufmerksamkeit von Sesshoumaru und Touran auf sie. Das musste Kimie erschrocken feststellen, als sie ihn fragen hörte: "Wer ist da?"

Zuerst reagierte sie überhaupt nicht und blieb einfach nur sitzen. Als er abermals nachfragte, raffte sie sich doch dazu auf, wieder aufzustehen, und schob langsam die Schiebetür weiter auf. Als sie aufschaute, schaute sie genau in Sesshoumarus Augen. Nach wie vor stand er mit Touran zusammen, aber in seinem Gesicht war nun eine Spur von Irritation zu sehen gewesen.

>Wieso sagt er nichts?<, fragte sich Kimie. >Er steht einfach nur da und schaut mich an. Dieser Blick... Was bedeutet dieser Blick?<

Es schienen schier endlose Sekunden zu vergehen, die einem wie Minuten vorkamen, ehe Kimie schließlich die erste gewesen war, die etwas sagen konnte, wenn auch nur stockend: "Ah... Also, ich..." Aber ihr wollten nicht die passenden Worte einfallen. Was wären überhaupt die passenden Worte gewesen? Nachdem sie noch zwei-, dreimal versucht hatte, etwas zu sagen, es aber nicht schaffte, trat sie von der Tür zurück. "Entschuldigt..." Dann machte sie kehrt und verschwand im dunklen Flur. Ohne es anfangs selbst überhaupt so wirklich zu merken, begann sie mit jedem Schritt schneller zu laufen. Sie achtete zwar in keinerlei Hinsicht auf ihren Weg, aber auf eine für sie selbst völlig unerklärliche Art und Weise fand sie sich am Ende völlig außer Atem vor ihrer Zimmertür wieder. Als fürchtete sie, jemand könnte sie sehen, huschte sie in den Raum und schloss direkt danach wieder die Tür hinter sich. Krampfhaft hielt sie diese am Griff fest, als wollte sie um jeden Preis verhindern, dass ihr jemand folgte. Dass Inuki sie völlig verdattert anstarrte, bekam sie überhaupt nicht mit.

Nachdem sie noch eine Weile so an der Tür gestanden hatte, sank Kimie abermals zu Boden. In diesem Moment kam ihr wieder das in den Sinn, was sie zu ihm gesagt hatte. Dass sie es als besser empfinden würde, würde sie wieder nach Hause gehen... Wut packte sie.

>Schön! Das habe ich gesagt, aber muss er sich gleich so schnell mit einer Anderen trösten? Hätte er nicht warten können, bis ich weg gewesen wäre?!< Sie musste ein aufsteigendes Schluchzen unterdrücken. >Ich blöde Kuh! Ich weiß doch selbst, dass ich nur ein Mensch bin! Hätte ich dann von Sesshoumaru erwarten können, dass er mir immer nachgetrauert hätte, wenn ich später mal den Löffel abgegeben hätte? Wohl kaum! Wer würde so was schon verlangen? Das wäre absolut lächerlich!< In diesem Moment ertappte sich Kimie dabei, wie sie ihr eigenes Leben verfluchte. Sie verfluchte ihr Schicksal als bloßer sterblicher Mensch, und diese Erkenntnis erschreckte sie sehr. Verkrampft ballte sie die Hände zu Fäusten. >Ist es also schon so weit mit mir gekommen...?<

Leise winselnde Laute von Inuki ließen Kimie endlich wieder ihren Blick heben. Fragend beäugte er sie mit seinen dunklen Augen, und in diesem Moment spürte sie eine erste Träne aus ihrem Augenwinkel über ihre Wange laufen.
 

Insgeheim hatte Kimie eigentlich gehofft, dass Sesshoumaru sie aufsuchen würde, um etwa mit ihr zu sprechen. Aber nachdem sie bereits eine Stunde gewartet hatte, war er noch immer nicht gekommen. Traute er sich etwa nicht? Oder hatte er gar etwas besseres zu tun gehabt?

Mit angezogenen Knien saß Kimie an der Wand und dachte nach. Die ganze Zeit über hatte sie sich über diese Geschichte den Kopf zerbrochen, wusste bisher aber nicht, was sie am besten hätte tun können. Aber da Sesshoumaru es offensichtlich gar nicht darauf anlegte, mit ihr zu sprechen, schien sie hier nicht mehr viel verloren zu haben, denn dass er wirklich die Konfrontation mit ihr scheute, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. So schien ihre Entscheidung letztendlich klar gewesen zu sein. Sobald es hell werden würde, wollte Kimie wieder nach Hause gehen. Den anderen wollte sie vorher natürlich noch Bescheid geben, damit sie sich keine Sorgen machten. Doch gewisse Zweifel blieben. Klar, sie liebte Sesshoumaru, aber wenn es wirklich das beste war, sie beide würden getrennte Wege gehen, dann würde sie dieses Opfer unter diesen Umständen bringen, auch wenn es ihr schwer fiel. Denn auch das war eine Art zu lieben...

>Und er scheint mich ja außerdem doch nicht so sehr zu brauchen. Wie naiv von mir zu glauben, es wäre anders...< Kimie verbarg ihr Gesicht in ihren Armen. Die ganze Zeit über hatte Inuki neben ihr gesessen und sie aus treuen Augen angeschaut. Er spürte die innere Aufgewühltheit des Mädchens, aber was konnte er schon tun?

Plötzlich hörte Inuki etwas. Es klang wie ein entferntes Pfeifen, aber in einem ganz merkwürdigen Ton. Ebenso merkwürdig war auch, dass er sich auf einmal so müde fühlte. Durch mehrmaliges Kopfschütteln versuchte Inuki zwar, sich irgendwie wach zu halten, aber es brachte alles nichts. Irgendwann musste er diesem merkwürdigen Ton nachgeben und sank schlafend zu Boden.

Verwirrt schaute Kimie auf. "Inuki? Was ist denn plötzlich mit dir los?" In diesem Moment drang dieses Pfeifen auch an ihre eigenen Ohren. >Was ist das? Dieses... Geräusch...<

Auch Kimie spürte nun dieses Gefühl von Müdigkeit in sich aufsteigen, wenn auch auf eine andere Art und Weise. Ihr war, als würde ihr Geist langsam aber sicher wegdämmern, sie jedoch nicht wirklich einschlafen. Irgendwann verlor sie die Gewalt über sich und versank in einen tiefen Zustand der Bewusstlosigkeit.
 

So eigenartig das auch war, Kimie spürte, wie sie sich bewegte. Dass sie einen bestimmten Weg ging, als würde sie schlafwandeln. Trotzdem vermochte sie nicht zu sagen, ob sie lediglich träumte oder sich wirklich von einem Punkt zum anderen bewegte. Auch konnte sie nicht abschätzen, wo genau sie sich im Augenblick überhaupt befand, geschweige denn, wohin sie ging. Und noch immer war da dieser pfeifende Ton in der Luft; wie ein auf sie ausgerichteter Lockruf.

Schließlich verstummte das Pfeifen und Kimie blieb stehen. Schlagartig öffnete sie ihre Augen und erschrak. "Ha!? Wo bin ich? Und wie bin ich überhaupt hierher gekommen?!"

Um sie herum war nur der dunkle Wald. Die Kronen der Bäume waren so dicht aneinandergereiht, dass sie gar nicht abschätzen konnte, in welcher Richtung das Schloss lag, und wie weit sie sich überhaupt von diesem entfernt hatte. Ein Rascheln im nahen Gebüsch ließ das Mädchen erschrocken hochfahren, doch da schien nicht gewesen zu sein.

>Die Fantasie... Das ist alles nur Einbildung.<

Zudem wirkte im Dunkeln ohnehin vieles weitaus bedrohlicher, als es im Normalfall überhaupt gewesen war. Von daher schenkte Kimie weiteren Geräuschen eher beiläufige Beachtung, auch, um sich nicht unnötig verrückt zu machen. Allerdings hätte sie lieber auf ihre Vorsicht bauen sollen, aber als sie einen festen Griff um ihre Handgelenke bemerkte, war es schon zu spät gewesen.

"Was zum...?! Aaah!" Kimie wurde nach hinten gerissen. Kaum, dass sie mit dem Rücken gegen einen Baum gestoßen war, schlangen sich mehrere Schlingpflanze um ihren Körper und hielten sie an den Stamm gefesselt. Es schien, als lebten diese Teile wirklich. Als wären sie Schlangen, die ihre Beute nach und nach zu Tode würgen wollten. Bis Kimie sicher verschnürt war, regten sich die Schlingpflanzen. Sämtliche Versuche sich zu befreien, schlugen fehl.

"Das ging leichter als ich gedacht hatte", hörte Kimie plötzlich eine männliche Stimme sagen. Angestrengt spähte sie in die Reihen der Bäume hinein. Kurz darauf tauchte direkt vor ihr Yu aus der Dunkelheit des Waldes auf. Und er war nicht allein; seine vier Kampfgefährten waren auch da gewesen.

"Zugegeben, Yu, das war nicht schlecht", meinte Jin, wenngleich es ein wenig gelangweilt klang. Indes ließ Yu ein einzelnes Blatt, welches er bis eben zwischen rechtem Zeige- und Mittelfinger festgehalten hatte, zu Boden fallen.

Kimie war sich nicht sicher, aber offenbar war der merkwürdige Pfeifton von Yu mit Hilfe dieses Blattes verursacht worden. Unsicher, aber mit dem Versuch, sich nichts von ihrer Angst anmerken zu lassen, schaute sie einmal von einem Ryû-Youkai zum nächsten.

"Warum habt ihr mich angegriffen? Was wollt ihr von mir?", fragte sie möglichst selbstbewusst, obwohl in ihrer Frage doch ein gewisser ängstlicher Unterton gelegen hatte.

Yu trat als Erster auf Kimie zu. "Dafür, dass du gefangen bist, traust du dich ganz schön was, Mädchen. Oder versuchst du nur, deine Angst zu überspielen?"

Kimie antwortete nicht. Aber als er so ganz genau vor ihr stand, fielen ihr zu allererst seine Augen auf. Sie waren komplett eisblau und außer dem typischen Glanz fand sich ansonsten nichts in ihnen. Dennoch erschienen sie keinesfalls leblos oder dergleichen, aber sie waren irgendwie eigenartig. Dazu kam noch dieser hypnotische Blick, der einen förmlich in seinen Bann zog. Yu machte eigentlich keinen gefährlichen Eindruck, aber auf seine ganz eigene Art und Weise jagte er Kimie doch einen Schauer über den Rücken.

"Wie sieht es aus?", fragte Renhou plötzlich an Rokou gewandt. "Hat jemand etwas bemerkt?"

"Sieht nicht so aus", antwortete Rokou, der sich ein wenig von seinen Kameraden abgesondert hatte und sich umsah. "Jedenfalls kann ich keinerlei Gegenwart von einem dieser Hunde wahrnehmen. Es ist demnach alles glatt gegangen."

"Na, das klingt doch schon mal ganz gut", meinte Toba nun und gesellte sich an Kimies Seite. "Nett, dich wieder zu sehen, Kleine. Sicherlich weißt du noch, wer ich bin, oder?" Mit einem amüsierten Lächeln drehte er ihr Gesicht in seine Richtung.

Von Kimie fing sich Toba aber nur einen giftigen Blick aller erster Güte ein. Natürlich konnte sie sich an ihn erinnern! Wie sollte sie ihn vergessen haben? "Du Triebtäter! Dich hau ich weg!" Da sie im Moment allerdings gefesselt war, gestaltete sich dieses Vorhaben als etwas unmöglich, also griff Kimie zur nächst besten Ausweichmöglichkeit und versuchte Toba in die Hand zu beißen. Er hatte sie jedoch noch rasch genug wieder weggezogen.

"Oho! Wir sind gerade wohl nicht sonderlich gut drauf, was?"

"Blitzmerker!", fauchte Kimie grimmig.

"Jetzt hört endlich mit diesem Hickhack auf!", mischte sich Jin ein. "Sacken wir sie ein und machen die Fliege."

Nachdem er die Ranken, die Kimie fesselten, mit seinen Klauen durchtrennt hatte und sie am rechten Arm ergriff, wehrte sie sich jedoch hartnäckig. "Finger weg! Lass mich los!"

"Meine Güte!" Jin hatte wirklich keinen Nerv für ein derartiges Theater. Ein Schlag mit der Handkante reichte aus und die wehrhafte Beute war ausgeknockt. "So was Bockiges ist mir bisher auch noch nicht untergekommen. Ich hoffe mal, der ganze Aufwand lohnt sich überhaupt."

"Trotzdem hättest du ruhig etwas behutsamer vorgehen können", meinte Toba trocken. "Dass du nicht gerade der geborene Frauenversteher bist, ist uns allen zwar klar, aber Akuma-sama will sie schließlich unversehrt haben. Pack sie also besser nicht so grob an."

"Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd! Es ist ja schließlich nicht so, als hätte ich ihr das Genick gebrochen." Jin klemmte sich Kimie unter den rechten Arm. "Hey, Renhou! Willst du hier übernachten oder können wir endlich wieder gehen?"

Renhou, der sich während der gesamten Aktion eher im Hintergrund gehalten hatte, wandte sich zu seinen Kameraden um. Ungeachtet der provokanten Art und Weise, in der Jin ihn eben angesprochen hatte, gab er nun das Zeichen zum Aufbruch. Schließlich gab es für sie jetzt keinen Grund mehr, noch länger zu bleiben.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So! Dieses Mal gebe ich meinen Senf zum Schluss dazu. *g*
Wow, kaum haben wir mal ein Kapitel, in dem sich die Charas nicht hauptsächlich wahllos rumkloppen, komme ich mit einer Masse an anderweitigen Problemen um die Ecke. Ich hab's halt gerne kompliziert und verfahren. XD
Wie dem auch sei, ich hoffe ihr hattet trotz der vielleicht einen oder anderen Kleinigkeit euren Spaß beim Lesen. ;)
Bis zum nächsten Kapitel!
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Kommentare zu diesem Kapitel (27)
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Von:  Schalmali
2007-04-07T22:09:03+00:00 08.04.2007 00:09
Schon sehr interessant aber auch recht traurig. Dass Inuyasha von den Ereignissen bei seiner Geburt träumt ist schon seltsam aber angesichts seinen ersten Besuches im Inu-Youkai Schloss auch nicht unpassend. Jedenfalls werden die Gefühle der Leuts ganz schön durchgerüttelt und Kimie machte das auch nicht gerade besser. Wenn Touran bei ihren Annäherungen Sesshoumaru gegenüber nicht noch so freundlich wäre könnte ich ihr schon den Hals umdrehen... xD Naja egal aber das ist natürlich schon ein Rassenproblemchen, aber gewinnt die wahre Liebe oder nicht? ;) Naja ich glaub das find ich heut nicht mehr heraus *gähn*
Von: abgemeldet
2007-03-21T12:36:21+00:00 21.03.2007 13:36
Man, warum müssen sich die denn streiten? Also jetzt Sessy und Kime.
Und die anderen sollten sich vielleicht mal in Inus Lage versetzen, bevor sie vorschnell urteilen.
Naja, das war wieder ein super Kappi.
SLG,

Shalyn
Von: abgemeldet
2007-02-18T14:07:50+00:00 18.02.2007 15:07
Ja, Hallo^^ Schönen Sonntag wünsch ich.

Also: as mit dem Verarzten war ja irgendwie wieder typisch und dennoch hat sich Sesshoumaru ganz klar anders verhalten als sonst. Das ast du sehr gut hinbekommen.
Die Geschichte mit Toukijin ist schon irgendwie beunruhigend und wenn Sesshoumaru schon seblst daran zweifelt Renhou bzw. Akuma zu besiegen, dann ist das schon ein hartes Ding. Deshalb gut nachzuvollziehen, dass sich Kimie dementsprechend Sorgen macht.

Inu Yashas Traum war sehr gut erzählt, wie aus der Geisterperspektive. Ebenso war er dann gut verwoben mit dem späteren Konflikt mit den Inu-Youkai, der ja letztlich alles auslöste.
Ich finde es sehr gut, dass du diese alteingesessenen Probleme und Vorurteile wieder einmal aufgreifst und diesmal in ein richtiges Disaster laufen lässt. Denn Kimes Zweifel waren echt hart aber durchaus verständlich und wohl teilweise auch richtig, as wiederum sehr traurig und bitter ist. Du hast mal wieder bewiesen, dass du jegliche Gefühlswelten miteinander verweben kannst. Das Drama nimmt seinen Lauf und es ist deutlich, dass es eben mache Dinge gibt, die sich nicht aus der Welt schaffen lassen.
Touran ist ja richtig rangegangen, hätte ich ihr zumindest in diesem Umfang nicht zugetraut. Und dabei kann ich ihr nicht mal böse sein, denn eigentlich hat sie schon Recht. Ihre Argumente waren gut, aber ich vertraue mal auf Sesshoumaru, dass der noch das richtige macht.^^
Zum Schluss war mal wieder alles sehr aufgewühlt und spannend, ganz typisch für dich, wie ich finde.
Ansonsten bin ich echt gespannt, wie es weitergeht und du hast wirklich ein sauberes Kapitel präsentiert, was sich auch mal mit tieferen Problemen befasst hat, auch auf Sango bezogen ganz am Anfang. Das freut mich sehr und hat mir gut gefallen.

Liebe Grüße

sunses_morning
Von:  kagome-san
2007-01-28T10:15:53+00:00 28.01.2007 11:15
super kapi
bin gespannt wie es weiter geht

kagome-san
Von: abgemeldet
2007-01-27T10:45:54+00:00 27.01.2007 11:45
hallo^^
bin gerade über deine ff gestolpert und konnte einfach nicht mehr aufhören zu lesen..
ich liebe deinen Schreibstil... und wie du dir Charaktäre rüberbringst...
ich hoffe du schreibst schnell wieder weiter
kanns kaum erwarten weiter zu lesen...du hast in so nem spannenden moent aufgehört...was passiert mit Kimie??...ich denke schon das sesshoumaru sie retten wird..aber ich mein sie ist ja keine Dämonin..was sie jetzt wohl machen wird?? ich hoff aber sie bleibt bei sesshoumaru...!!^^
Lg
Kleines
Von:  feuerregen
2007-01-26T13:24:43+00:00 26.01.2007 14:24
endlich schaff ich es, dir nen kommi zu schreiben! -.-

das is diesmal ja voll das psycho-kappi! xD
was bildet sich diese doofe Toran eigentlich ein? sich einfach so an sesshoumaru ranzuschmeißen! aber wenn der das mit sich machen lässt, is er auch (ausnahmsweise mal) echt blöd...

und arme kimie, hat eh schon total stress und wird dann auch noch entführt...

sag mal, wie wärs, wenn du sessi mal in normale klamotten (anzug und krawatte *schnurr*) stecken würdest, wenn sie wieder in der neuzeit sind!
mal davon doch n pic, sähe mit den langen beinen bestimmt irre aus! *phantasie sprengt ihre fesseln* >.<

aber wieder ein klasse kappi geschrieben, das einen richtig in seinen bann zieht!
(obwohl ich die spontanen zärtlichkeiten von sesshoumaru gegenüber kimie ja immer noch am besten finde! *g* sie könnte aber auch mal anfangen, oder? ;D )
Von: lunalinn
2007-01-25T17:03:55+00:00 25.01.2007 18:03
kimie, inu-yasha und sesshomaru habens ja nicht leicht
probleme und noch mehr probleme und als gäbs nich genug wird auch noch kimie entführt!!
und toran diese...grrr!!
jez aba hinterher!!!
*sess in den arsch tritt*
ich freu mich schon total aufs nächste kapi ^^
bay bay
Von: abgemeldet
2007-01-25T16:29:12+00:00 25.01.2007 17:29
hi^^

das war ja mal wieder was!diese tussi macht sich einfach an sesshoumaru ran, nutzt seine verwirrtheit auhc noch aus!so eine.....
und jetzt auch noch ne entführung, da haben die anderen ihr voruteile ja auch noch bewiesen, naja fast. sesshoumaru ist ja noch nicht tot.(wird er auch nicht, oder?)
auf jedenfall ein tolles kapi!!!!!!
lg.
p.s.kannst du mir bitte beshceid sagen wenns weiter geht??danke
Von: firelady
2007-01-25T10:29:18+00:00 25.01.2007 11:29
Ertsmal muss ich dich korrigieren lina24! Nicht ER HAT SIE GEKÜSST, SONDERN SIE HAT IHN GEKÜSST!!! Meine Güte!

Und was ist jetzt mit Inuki? Schläft der etwa im Zimmer oder ist er mit Schlafgewandelt?

Das war ja mal wieder spannend und reichlich... voll mit Konflikten. Das ist doch nicht wahr! Bloß weil Sesshomaru anfängt auch auf Menschen zu stehen wie sein Vater, vertrauen einige von den Inuyokai ihm nicht mehr?! BOA!!!

Seshiru ist so wie Toran- hinterhälig, böse und (wenn auch nicht richtig) hinter Sesshhomaru her- zumindest hinter seiner Position, als König. Glaube ich!

Ansonsten... Das Kapi ist wieder einmal erste Sahne gewesen und ich mag Sahne! Außer... Eine Sache find ich nicht so toll. Wenn du, Jenny-san, das nächste Mal einen Kuss zwischen Kimie und Sesshomaru zulässt, was hoffentlich bald wieder sein wird, dann könntest du vielleicht mehr beschreiben wie sich beide (oder wenigstens einer von beiden) dabei fühlen. Das würde echt gut ankommen. Ehrlich.

Und was das Gespräch mit Sesshomaru und Toran angeht...
Wie war das? Woher will die olle blöde Kuh denn wissen, dass Sesshomaru schon mal was mit Frauen hatte? Ich meine... Gut. In meiner Fantasie ist es so, aber... *knallrot anlauf* Hey Jenny- san! Hattest du dir dabei auch was gedacht, weil Kimie es zu hören kriegt? Diese Frage will ich unbedingt beantwortet haben! Schließlich hatte Kimie vor einem Jahr mal Ashitaka gefragt, ob er wüsste, ob Sesshomaru schon mal...

Wie dem auch sei, man kann nichts schlechtes über deine Story sagen. Ehrlich!Übersetzte es auf Japanisch, schick es Rumiko Takahashi und lass es von ihr veröffnetlichen!!!
Von:  wolfgangjulia
2007-01-25T07:38:45+00:00 25.01.2007 08:38
halli hallo, ja auch ich meld mich mal wieder, und muss sdagen, das das kap mir sehr gut gefällt ,jedoch frag ich mich was k. gemeint hat, meinte er das sess untzerstüptzung von inu yasha gebrauchen könnte, so abwegig wär das ja gar nicht,.... hm... mal sehen, schreib bitte schnell weiter . hdl
juli


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