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Konstruktive Kritik Klugscheißen, konstruktive Kritik, Kritik, verbessern

Autor:  Nellas

Bei jeder Kommentierungsmöglichkeit erinnert mexx höflich:
>> Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Wenn das so einfach wäre, dann hätten wir den Weltfrieden.

Also zuerst einmal ist Kritik nicht zwangsläufig negativ. Laut Duden bedeutet "kritisieren" erst in zweiter Bedeutung "bemängeln" oder "beanstanden", die erste Bedeutung ist immer noch:
>>[fachmännisch] prüfende Beurteilung und deren Äußerung in entsprechenden Worten

"Finde ich gut": Keine Kritik.
"Finde ich schlecht": Keine Kritik.
"Finde ich gut, weil...": Positive Kritik.
"Finde ich schlecht, weil...": Negative Kritik.
"Finde ich gut/schlecht, weil... aber...": Konstruktive Kritik.

Wir sollen ein Werk also prüfend beurteilen und unsere Ergebnisse und Gründe fein säuberlich aufschreiben. Schön und gut, gerne doch. Wir sind ja alle kooperativ und hilfsbereit. Man sieht sich ein Bild eingehend an, entdeckt hier ein neues Detail, da eine schräge Perspektive, dort eine anatomisch perfekte Komposition... Aber grundsätzlich lassen sich die Farben und Formen, an denen der Künstler Stunden, Tage oder Wochen gesessen hat, auf einen Blick erfassen. Dieser eine Blick entscheidet bei mir, ob ich ein Bild gut finde oder nicht. Alles was sonst passiert ist die Suche nach Gründen. Egal über wie viele Fehler ich dabei stolpere, es ist noch nie passiert dass sich meine Meinung über das Bild geändert hätte. Im Großen und Ganzen ist für mich das entscheidend, was man beim "einfach draufsehen" erkennen kann.

Und genau deswegen versage ich, wenn es um die Kritik an Geschichten geht.

Ein Epos, das sich hin und wieder als Fanfiction verkleidet, kann gut und gerne 10 000 Wörter lang sein. Da gibt es keinen Gesamteindruck, den man von Anfang an erkennen kann. Es gibt das erste Lesen. Erst danach kann man auf die Suche nach technischen Details gehen - sonst würde man sich ja die Geschichte verderben. Den Flow verlieren. Aber wer liest schon 10 000 Wörter ein zweites Mal? Da kann die Geschichte noch so gut sein, meine Zeit ist zu kostbar um Stunden über Stunden Kapitel für Kapitel durchzugehen, nur um eine konstruktive Kritik zu schreiben. Probeleser zu sein ist harte Arbeit.

Wie kritisiert man also eine Geschichte, ohne sie a) komplett zweimal zu lesen und sich b) den Gesamteindruck durch technische Details kaputt zu machen?

Wer darauf eine Antwort hat sagt sie mir bitte. Ich habe eine Reihe Tipps, die für mich funktioniert haben. Aber es ist mir immer noch nicht möglich, eine Geschichte unvoreingenommen einfach zu lesen und danach einen Kommentar dazu zu schreiben, der über "Finde ich gut" oder "Finde ich schlecht" hinausgeht. Ich muss immer während des Lesens "arbeiten". Aber inzwischen sind die Störungen deutlich kleiner geworden.
Hier also meiner Weisheit letzter Schluss, für alle die etwas darauf geben:

  1. Beim Lesen eine Textdatei geöffnet haben, wo man Notizen und Anmerkungen reinschreiben und speichern kann, ohne gleich etwas posten zu müssen. Oder Angst haben zu müssen, sie aus Versehen kommentarlos zu posten oder beim Klicken auf den erstbesten Link zu verlieren. Vor Allem bei längeren Geschichten sehr zu empfehlen.
  2. Rechtschreibfehler (samt Seitenzahl und Kapitel) rauskopieren. Zeile muss nun wirklich nicht sein, so viel Arbeit darf man dem Autor schon noch zutrauen. Dauert nicht lang und verbessert die Geschichte immer.
    In direkter Rede können Versprecher zwar auch Absicht sein. Aber wenn man es als Leser für einen Rechtschreibfehler hält, dann hat das Stilmittel seine Wirkung verfehlt.
  3. Sätze mit merkwürdige Satzzeichen rauskopieren. Etwas weniger eindeutig als Rechtschreibfehler, aber wenn ein Satzzeichen stört oder fehlt dann ist das ein Kritikpunkt.
  4. Sätze rauskopieren, die man zwei- oder dreimal lesen musste um sie zu verstehen. Als Autor verliert man schnell das Gefühl dafür, über welche Wortwände man beim ersten Drüberlesen stolpern kann. Ein entsprechender Hinweis ist sehr hilfreich. Geht schnell und muss man nur machen, wenn man eh aus dem Flow draußen ist.
  5. Abschnitte (Seitenzahl + evtl. "erste Hälfte", "dritter Absatz" o.Ä.) notieren, wenn man sich dachte "GEIL." Unterbricht den Flow geringfügig, aber genau das sind die Stellen die man nachher kritisieren kann.
  6. Notiz zum Wiederfinden eines Abschnittes machen, bei dem man sich dachte "...aha." Siehe 5.

5 und 6 sind genau die Stellen, die man nach dem ersten Lesen ein zweites Mal durchsehen kann, um genau herauszufinden warum die Stelle so gut oder eher schlecht war. Das lässt sich deutlich schneller erledigen als die ganze Geschichte komplett nochmal zu lesen.
Es ist wirklich nicht zu viel Verlangt, sich eine Seitenzahl und einen Kommentar wie "super" oder "öde" aufzuschreiben, damit man die Stelle später wieder findet.

Dinge, die ein Autor beim Schreiben zum Beispiel schlecht machen kann:

  • Infodump. Unwichtige Details über Gott und die Welt werden haarklein erzählt. Als Autor hält man sich für unglaublich schlau und kreativ, weil die Welt so unglaublich tief und detailiert ist. Als Leser denkt man sich nur "Wann hört das auf?!"
  • Gekünstelte Satzkonstrukte. Wortwahl und Satzstellung, die in der Form niemand benutzen würde. Die aber grundsätzlich grammatikalisch korrekt sind. Kleiner Tipp: Wenn drei Verben direkt hintereinander stehen, dann wirkt das meistens merkwürdig. Was wenn ich es hätte besser machen können?
    Ich selbst bin ein großer Fan dieser Satzkonstrukte. Aber objektiv betrachtet sind sie nun mal ganz einfach schlechter Stil, da gibts keinen Radi.
  • Unbekannte Redewendungen. Als Dialektsprecher ertappe ich mich häufig dabei, diverse Wendungen in Texte einzubauen, bei denen sich nicht-Bayern denken "...HÄ??" Es ist wirklich schade um die vielen treffenden Ausdrucksweisen, die man nie zu Papier bringen können wird.

Dinge, die ein Autor beim Schreiben zum Beispiel gut machen kann:

  • Anschauliche Beschreibungen. Wenn man beim Lesen ein deutliches Bild vor Augen hat und sich das Kopfkino selbstständig macht, dann hat der Autor etwas richtig gemacht. Gilt leider nicht für das Lesen eigener Texte.
  • Kurze, prägnante Erklärungen. Egal wie umfangreich und ausgeklügelt die Welt ist, in der die Geschichte spielt: Es geht immer noch um die Geschichte, nicht um Geschichte. Diplomatische Handelsbeziehungen in allen Ehren, aber ein Autor muss es schaffen sein Ego in den Hintergrund zu drängen und wirklich nur relevante Infos in die Geschichte aufzunehmen. In der Kürze liegt die Würze.
  • Nachvollziehbarkeit. Die Handlungen und Aktionen der Charaktere können mal mehr und mal weniger glaubwürdig sein. Das Ziel der meisten Autoren ist, dass sich ein Leser nie gefragt hat "Warum zum Geier sollte der das überhaupt machen?!" Plotlöcher sind manchmal ganz lustig, aber das Fehlen von Plotlöchern ist definitiv gut.

Natürlich geht die Liste noch lang lang weiter. STÄNDIGE GROSSSCHREIBUNG IST AUF DAUER WIRKLICH ANSTRENGEND, genAusO wiE mErkwürd1ge ANw4nd1ung3n \/0n 13375|°e4|<. !!1einself. Aber wer über solche Grobheiten stolpert, wird die Geschichte vermutlich nicht einmal ein einziges mal lesen... *hochnäsig weggeht*



Abschließender Tipp:
Wenn ich ums Verrecken nichts Positives beim Namen nennen kann, dann zähle ich die Fehler auf, die ich nicht gefunden habe. Wichtig ist nur, von beiden Seiten etwas zu finden und die Meinung zu begründen.

Niemand macht alles richtig und nichts falsch, genauso wenig wie niemand alles falsch und nichts richtig macht. Aber das brauche ich ja wohl niemandem zu erzählen.



UPDATE 05.12.2013:

Ein sehr schöner Blogpost von abgemeldet beschäftigt sich ebenfalls mit dem Verfassen von konstruktiver Kritik. Hauptaugenmerk liegt (anfangs) auf dem Kommentieren von Bildern, aber etwa in der Mitte ist eine Liste aller Arten von Werk-Typen, die man kommentieren kann, zusammen mit einer Erklärung auf welche Gesichtspunkte man achten kann. Gut geschrieben, informativ und hilfreich, gefolgt von wahnsinns Beispielen: Konstruktive Kritik formulieren



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