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Das Ende ist so nah

Autor:  cooking_butty
Seit Tagen schrecke ich bei jedem neuen Klingeln unseres Telefons zusammen, weil ich Angst habe, dass es eine Nachricht zu verkünden hat, die ich niemals hören will und doch bald hören werde. Ich will nicht, dass du gehst und doch ist dein Ende nah.
Hier sitze ich nun in deiner Wohnung. Unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Ich war kurz bei dir, habe dich gesehen, mit deinen spindeldürren Beinen, deinen steif abgewinkelten Armen, deinem Röcheln. Du warst zu schwach, um etwas zu sagen, um überhaupt zu reagieren. Ich wagte es nicht, dich anzugreifen, hatte Angst, dir weh zu tun. Ich sitze in deinem Wohnzimmer bei deiner Frau, deinem Sohn, deiner Schwiegertochter und einer deiner Enkelinnen, zu denen auch ich mich zählen darf. Ich höre zu, wie deine Frau erzählt, bewundere ihre Stärke. Wie schafft sie es bloß, bei dir zu sein, dich zu pflegen…ich könnte das nicht. Auch deine Tochter, dein Sohn, ja auch deine Enkel haben diese Stärke. Ich schäme mich, weil ich sie nicht habe. Ich sitze hier und lausche bloß. Wie deine Schwiegertochter meint, wie hilflos du doch aussiehst. Ich nicke, was ist dem schon hinzuzufügen. Ich wage es nicht, deine Frau anzusehen, deren Anblick, mit den rotgeweinten Augen und dem traurigen Blick, mir die Tränen in die Augen drängt.
Ich bewundere euren Arzt, der auch heute, einem Sonntag, morgens und abends nach dir gesehen hat, der auch erklärt, bis Mitternacht erreichbar zu sein.
Ich verabschiede mich von dir, gebe deiner Frau, die neben deinem Bett wacht, einen Kuss, traue mich aber wieder einmal nicht, dich anzufassen. Ich brauche all die Kraft, um die Tränen, die sich in mir aufstauen, zu unterdrücken. Nur im Stillen sage ich auch dir „Auf Wiedersehen!“


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