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Tot und Leben, 2.2.05, 21.58 - Gedanken

Autor:  Schreiberliene
Tage wie diesen sollte es nicht geben.
Tage, die die gesamte Welt aus ihren Angeln heben, meiner Welt abrupt ein sichtbares Ende setzen, obwohl sie doch weitergeht.
Tage, an denen die schlechten Nachichten kein Ende nehmen wollen, an denen man nicht zur Ruhe kommt, unablässig weinen kann- und es doch nicht tut, weil die Realität entrückt scheint, verschoben.
Tage, an denen zwei Menschen, Mutter und Tochter in der Küche stehen und lachen, Tränen in den Augen und doch genau wissen, dass sie nicht bemerken dürfen, wie dem Anderen das salzige Wasser über die Wangen läuft, soll die Realität bestand haben- eine Realität, die längst korrigiert worden ist.
Tage, die mit einem Paar Handschellen beginnen und mit der Gewissheit des baldigen, immer anwesenden Todes enden.
Eben Tage wie dieser, die mehr bringen, als ein Mensch fassen kann.
Vielleicht stirbt mein Vater nicht.
Vielleicht überlebt er diese Nacht und diejenigen, die folgen müssen, bevor entwarnung gegeben werden kann, vielleicht kommt kein Rückfall, der alles wieder über den Haufen wirft.
Trotzdem weiß ich nun mit schmerzlicher klarheit, dass er nicht endlos lebt, und dass das Ende bedrohlich nah ist.
ich weiß, dass er jetzt, in diesem Moment im Klinikum liegt, umgeben von den vielen piependen Maschinen, die unablässig verkünden, dass sein Herz noch schlägt, dass es noch nicht zu spät ist- jeden Moment aber soweit sein kann.
Ich höre die Stimme meiner Mutter, die mit ihrem Vater spricht, über den Herzinfarkt meines Erzeugers und über den unverhofft festgestellten, nicht heilbaren Krebs ihrer Mutter, höre ihr Lachen, dass zeitgleich mit einigen Tränen hervorqillt.
Und ich selbst weiß nicht, wer festgelegt hat, dass meine Großmutter in spätestend fünf Jahren sterben wird, langsam, schleichend, während ihre Knochen langsam aber sicher zerstört werden, weiß nicht, womit die rüstige, bissige alte Dame, die bestimmt noch eine halbe Ewigkeit gelebt hätte, das verdient hat.
Ich spüre nur, wie hilflos wir alle sind, wie nah der Tot uns allen doch in jeder Sekunde unseres lebens steht und das auch ich irgendwann sterben werde.
Ich kenne Leute, die sagen, sie fürchten sich nicht vor dem Tod.
Ich tue es, und ich bange für die Menschen, die ihm scheinbar näher sind als ich, und die irgendwann eine nicht zu füllende Lücke in meinem leben hinterlassen werden- Egal ob heute, morgen oder in ein paar Jahren.
Und doch versuche ich immernoch, die Realität zu verdrängen, zu vergessen, wie vergänglich der Menschliche Körper ist, wie ungewiss der Verbleib der Seele oder deren existens und noch während meine Finger, auch nur um mich abzulenken, über die schwarze Tastatur gleiten, versuche ich verzweifelt, nicht zu verzweifeln und mich auf etwas zu konzentrieren, dass für mich eigendlich unwichtig ist:
Dieser Text.
ich muss immer daran denken, dass mein Vater, wäre er da gewesen, wo er sein wollte, wäre er in sein Heimatland gefahren, diesen infarkt mit sicherheit nicht überlebt hätte- und es macht mir Angst.
Es macht mir Angst, dass dieser kauzige alte mann, der immer Recht haben will, der nie nachgibt und mit dem ich unzählige Male debattiert habe, nun hilflos und krank ist,und, obwohl es sich seltsam anhört, am Rande des Abgrundes schwebt.
Es macht mir Angst, dass eine Frau, die gesundheitsbewusst, sportlich und entspannt lebt, bald sterben muss, weil ein paar dumme Abwehrzellen ihre Arbeit nicht wirklich machen wollten- kann das denn bei jedem so sein?
Ich will nicht wissen, wie sterblich ich bin, und ich will nicht, das die Leute um mich herum sterben, mich alleine lassen- aber was kann ich tun?
Ich stehe alleine, unendlich klein, winzig, kaum vorhanden vor einem riesigen Wunderwerk, dass sich Leben nennt und weiß, dass ein kleiner Windstoß es zerstören kann.


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