Geburtstagsüberraschung
Um zu erfahren, wie es zu diesem schicksalhaften Duell kam, drehen wir das Rad der Zeit zurück, zurück zu dem Tag, der alles veränderte.
Den Morgen ihres 25. Geburtstages hatte sich Oriana Caulfield vollkommen anders vorgestellt.
Die Sonne schien, die vereinzelten Wolken wirkten wie kleine Wattebäuschen, die jemand an den azurblauen Himmel geklebt hatte.
Oriana hatte mit Regen gerechnet, so wie an ihren sechs letzten Geburtstagen. Sie hatte sich sogar darauf gefreut, von Regentropfen geweckt zu werden, die an ihr Fenster klopften. Dass sie von einem vorwitzigen Sonnenstrahl, der sich in ihr Schlafzimmer verirrt hatte, aus dem Schlaf gerissen wurde, ließ ihre Stimmung bereits sinken, bevor sie richtig wach war.
Der Blick in den Spiegel sorgte für eine weitere Senkung derselben.
Ihr schwarzes Haar fiel stumpf und kraftlos, ihr Gesicht wirkte besonders wegen der dunklen Schatten unter ihren Augen um einiges älter als 25.
Ihre einstmals leuchtenden Augen hatten jeden Glanz von früher verloren, nur noch selten kam es vor, dass ein Lächeln auch ihre Augen erreichten.
Seitdem sie den - wie ihre Freunde es nannten - größten Fehler ihres Lebens gemacht hatte, war es ihr aber auch egal.
Es war eine Entscheidung, zu der sie stand. Bis vor fünf Jahren schien auch alles richtig zu sein, aber an diesem einen Tag war eine Veränderung eingetreten, die sie selbst manchmal zweifeln ließ.
Inzwischen gab es nur noch zwei Gründe, wegen denen sich das Weiterkämpfen lohnte. Zum Einen war da die Hoffnung auf bessere Zeiten und zum anderen -
Die Tür ihres Schlafzimmers öffnete sich und der hauptsächliche Grund, warum sie noch lebte, kam herein. „Mama!“
Ein fünfjähriges Mädchen mit schwarzem Haar kam herein und schlang ihre dünnen Ärmchen um Orianas Körper. „Alles Gute zum Geburtstag, Mama!“
Oriana lächelte, eines ihrer seltenen echten Lächeln, das nur ihrer Tochter galt. „Danke, Milly.“
Im Gegensatz zu ihrer Mutter war Milly ein lebenslustiges kleines Mädchen, das am liebsten die ganzen Welt umarmen wollte und das von quasi jedem gemocht wurde. Sie trug viel von dem vergangenen Ich ihrer Mutter in sich.
Oriana war froh über diese Tatsache, besonders da sie ihren größten Halt in dieser Welt darstellte. Auch wenn sie sich im Klaren darüber war, dass es egoistisch von ihr war, sich an ein kleines Mädchen zu klammern und sich auf sie zu lehnen, wenn sie nicht mehr konnte.
Milly dagegen schien es nichts auszumachen, wenn sie denn überhaupt verstand, was ihre Mutter mit ihr tat.
Das Mädchen sah sich suchend um. „Wo ist Papa?“
Orianas Augen wurden wieder leblos. Seit der Geburt seiner Tochter zeigte Frediano kein großes Interesse mehr an seiner Frau.
Es war bekannt, dass er sich einen Sohn gewünscht hatte, der seinen Familiennamen weitertragen würde. Dass Oriana ihm nur eine Tochter geboren hatte, schien er ihr immer noch nicht verzeihen zu können.
Gerüchten zufolge hatte er mehrere Geliebten, die ihm nun einen Sohn verschaffen sollten. Aber auch das seit fünf Jahren vergeblich, wenn das Gerede richtig war.
Oriana kümmerte es nicht wirklich. Egal, was die anderen redete oder wie kalt Frediano sich ihr gegenüber verhielt, in gewisser Weise vertraute sie ihm immer noch. Doch vielleicht wollte sie nur nicht wahrhaben, dass die Liebe vorbei war und Frediano sie nur wegen seines Rufs bei sich behielt, bis er einen Sohn bekommen würde.
„Wahrscheinlich ist er schon bei der Arbeit“, antwortete Oriana auf die Frage ihrer Tochter.
Milly runzelte ihre Stirn. „Warum ist Papa nie da an deinem Geburtstag?“
„Dein Papa ist eben ein vielbeschäftigter Mensch", verteidigte Oriana ihn automatisch, da sie es als ihre Pflicht ansah.
Was immer dieser Mann ihr antat, Milly musste nichts davon wissen, es hätte nur das Bild ihres Vaters zerstört.
Eigentlich war Oriana sogar froh, dass er nicht da war. Zwar hegte sie immer noch Gefühle für ihn, aber in seiner Gegenwart... wurde ihr kalt.
„Du darfst ihm nicht böse sein.“
„Ich bin ihm aber böse. Für mich hat er auch nie Zeit.“
Wann immer Frediano hier war, ignorierte er seine Tochter weitgehend und mit seiner Frau tat er dasselbe. Während Milly sichtlich darunter litt, kümmerte es Oriana nicht wirklich. Sie fühlte sich nicht auf Frediano angewiesen und das wollte sie ihm auch zeigen. Niemals würde sie wegen ihm oder einem anderen Mann zerbrechen, das hatte sie sich geschworen. Aber es tat ihr Leid um ihre Tochter.
Doch Milly zeigte stets, wie einfallsreich sie war, sogar bei ihrer Suche nach einer Vaterfigur.
Da aber Orianas Eltern nicht in der Stadt wohnten und Fredianos Eltern kurz nach ihrer Geburt verstorben waren und Milly so nicht auf ihre Großväter zurückgreifen konnte, hatte sie sich kurzerhand einen alten Mann in der Nachbarschaft ausgesucht. Es war ein netter Mann und Oriana vertraute ihm blind – immerhin war es der Vater eines früheren Freundes und beinahe wäre er ihr Schwiegervater geworden. Wenn sie nicht diesen Fehler begangen hätte.
Sie verwarf ihre trübseligen Gedanken wieder. „Ach, Milly. Sei ihm nicht böse, ja? Er ist immerhin dein Vater. Lass uns lieber runtergehen. Bestimmt kommen bald die ersten Gäste.“
Jedes Jahr an ihrem Geburtstag dasselbe Lied: Kurz nach dem Aufstehen standen ihre Freunde in ihrem Haus, um zu feiern, selbst wenn Oriana davor gebeten hatte, das im aktuellen Jahr nicht zu wiederholen.
Inzwischen war es keine Überraschung mehr und bislang hatte es Oriana nichts ausgemacht, auch wenn ihre Bitten, die Überraschungsfeiern einzustellen, wieder einmal ignoriert worden waren. Immerhin waren es ihre Freunde und wollten ihr nur Gutes tun, selbst wenn sie ihr auf die Nerven gingen.
An diesem Tag allerdings war sie trübsinnig genug, dass allein der Gedanke an Besuch ihr schlimm erschien. Sie war sich nicht sicher, ob sie die betont gute Laune ihrer Freunde ertragen könnte.
Milly nickte und lief hinaus.
Oriana warf sich ein paar Kleidungsstücke über, ohne sich darum zu kümmern, ob etwas davon zusammenpasste oder nicht, was sie ohnehin nie getan hatte.
Schließlich folgte sie Milly, die bereits in der Küche stand und Gläser auf ein Tablett stellte.
Erneut überkamen ihre Mutter Gewissensbisse. Sie bürdete ihrer Tochter so viel auf, wann hatte das Mädchen etwas von seiner Kindheit?
Es klopfte laut an der Haustür und der Gedanke verflog.
„Milly, kannst du mal aufmachen? Ich kümmere mich hier um alles.“
Das Mädchen nickte und lief hastig davon, um die Tür zu öffnen.
Oriana füllte die Gläser inzwischen.
Noch bevor sie fertig war, kam ein kräftiger schwarzhaariger Mann herein. Er trug Milly auf dem Arm, beide grinsten glücklich, so wie üblich. Oriana hatte es noch nie erlebt, dass er zu Beginn eines Besuchs schlecht gelaunt gewesen war. Meistens kam das erst im Laufe eines Gesprächs.
„Mama, Onkel Nolan ist da!“, verkündete Milly juchzend.
Oriana lächelte die beiden an. „Das sehe ich.“
Nolan warf neugierig einen Blick auf die gefüllten Gläser und pickte sich gedanklich bereits ein bestimmtes heraus. „Ah, Ria, hast du schon alles vorbereitet? Ken kann übrigens nicht kommen.“
„Warum nicht?“, fragte Milly schmollend.
„Er muss leider arbeiten.“
Ein leiser Vorwurf schwang in Nolans Stimme mit. Nolan und Kenton waren seit Kindertagen mit Oriana befreundet. Inzwischen war Kenton Berater der Königin von Király und Nolan ein Kavallerist unter Führung von Frediano.
Das traditionsreiche Königreich rühmte sich seit Jahrhunderten seiner berittenen Kavallerie, die in Kriegszeiten stets den Boden unter den Hufen ihrer Pferde erzittern ließ und die Feinde allein damit schon einschüchtern konnte.
Seit über fünfzig Jahren war die Kavallerie aber nicht mehr im Krieg gewesen. Die Königsfamilie von Király bemühte sich um ein freundschaftliches oder zumindest neutrales Verhältnis zu ihren Nachbarländern. Bislang war das Unterfangen erfolgreich und selbst jeglicher Putschversuch konnte mittels gezielt eingesetzter Spione vereitelt werden.
Königin Juno, die seit dem Tod ihres Ehemanns das Reich allein führte, bis ihr Sohn übernehmen könnte, wirkte auf das Volk vorausschauend und weise, wenngleich sie meist nur die Vorschläge ihres Beraters absegnete oder ablehnte. Da immer noch Frieden in Király herrschte, schien für ihre Untergebenen jede ihrer Entscheidungen richtig zu sein.
Frediano entstammte einer treuen Familie, die allesamt aus Kavalleristen bestand, so dass es fast schon selbstverständlich gewesen war, als er nach dem Tod seines Vaters, der Kommandant der Kavallerie gewesen war und der Absetzung seines Nachfolgers, ebenfalls Kommdant geworden war.
Sehr zum Verdruss seiner ehemaligen Mitauszubildenden - und besonders Nolan.
Nolan neigte dazu, alle möglichen Namen abzukürzen - sofern er den Träger des Namens mochte. Er sagte dazu immer, dass das Leben zu kurz wäre, um alle Namen jederzeit voll auszusprechen. Auch wenn niemanden diese Ausrede überzeugt hatte.
„Ist denn irgend etwas passiert?“, fragte Oriana besorgt.
Es kam selten vor, dass Kenton wirklich dermaßen eingespannt war, dass er nicht zumindest für wenige Stunden freimachen konnte. Und die Zeit hätte gereicht, um sie zu besuchen. Da Kenton nicht sehr gesellig war, blieb er ohnehin nie mehr als ein paar Stunden.
Nolan ließ Milly wieder herunter. „Mil, kannst du deinem Onkel Nolan mal das Bilderbuch vom letzten Mal holen?“
Sie sah ihn gespielt beleidigt an. „Wenn du allein mit Mama reden willst, musst du das nur sagen. Ich bin nicht dumm.“
Er lachte nervös. „Okay, ich will mal allein mit deiner Mama sprechen.“
„Na bitte, geht doch“, sagte sie zufrieden lächelnd.
Milly verließ die Küche und ließ die beiden Erwachsenen damit allein.
„Also, was ist los?“
Oriana ahnte es bereits, aber sie wollte es erst hören, bevor sie es wirklich glaubte.
„Sicarius Vita hat in Cherrygrove zugeschlagen.“
Die Stimmung in der Küche schlug sofort um. Oriana runzelte nachdenklich ihre Stirn.
In Cherrygrove waren Oriana, Nolan und Kenton aufgewachsen. Es war die nächste Stadt von New Kinging, der Hauptstadt des Königreichs Király, aus.
Sicarius Vita war eine Organisation, die seit knapp zwei Jahren in unregelmäßigen Abständen in verschiedenen Städten von Király Leute tötete. Scheinbar ohne Grund und wahllos. Zumindest hatte noch niemand das Motiv dahinter entdeckt.
Ein einziges Mal hatte man einen von ihnen erwischt, aber es war nur eine Art Marionette gewesen, die in ihre Einzelteile zerfallen war.
Niemand wusste, wer sich hinter der Gruppe verbarg, wo ihr Hauptquartier war, wie sie ihre Opfer aussuchten und wo sie als Nächstes zuschlagen würden.
Deswegen waren sie gefürchtet.
Der einzige Fakt war, dass jedes ihrer Opfer auf grausame Art und Weise getötet und die Leiche danach zur Schau gestellt worden war.
Ein stummes Mahnmal... fragte sich nur für wen oder was.
„Die Königin hat also ein Treffen einberufen?“, vermutete Oriana.
Nolan nickte. „Genau. Sie will die Stadt schützen, immerhin weiß niemand, wer als nächstes angegriffen wird...“
„Wer wurde in Cherrygrove getötet?“, fragte Oriana schließlich.
Bislang hatte sie die Frage vermeiden wollen, aus Furcht, dass es jemand sein könnte, der ihr etwas bedeutete. Aber früher oder später musste sie es erfahren.
„Der Bürgermeister.“
Oriana hätte lügen müssen, wenn sie gesagt hätte, dass sie darüber traurig war. Cherrygrove war eine wundervolle Stadt und die Erinnerungen daran stimmten sie immer wieder fröhlich, aber der Bürgermeister war kein guter Mensch gewesen. Ganz und gar nicht.
Nolan grinste, als er ihre Gedanken erahnte. „Jeder gönnt es dem Bürgermeister von Herzen, dass er endlich weg ist, auch wenn es so brutal geschehen musste. Aber wie gesagt, der Königin bereitet es mehr Sorgen, wen es als Nächstes treffen könnte.“
Oriana nickte. „Ich verstehe. Das ist schon in Ordnung.“
„Du hast heute ohnehin keinen Sinn zum Feiern, nicht?“
Nolan sah sie besorgt an.
„Woher weißt du das nur?“, fragte sie seufzend.
Sie meinte die Frage nicht ernst, immerhin hatte sie erst gestern erneut darum gebeten, nicht zu feiern. Doch Nolan antwortete trotzdem: „Ach, ich hab einen sechsten Sinn für so etwas.“
Er grinste darauf, um zu zeigen, dass er es ebenfalls nicht ernst meinte.
Sie lächelte sanft, um weiter auf das Spiel einzugehen. „Du kennst mich einfach zu gut.“
Er tätschelte ihren Kopf, so wie er es früher immer getan hatte und lächelte dabei. „Hast du eigentlich mal wieder was von Landis gehört?“
Während Nolan und Oriana sich unterhielten, ging ein junger Mann gerade die Treppe im Gasthaus hinunter. Am unteren Absatz blieb er stehen und streckte sich noch einmal.
Er war erst in der Nacht davor sehr spät in der Stadt angekommen, hatte für diesen Tag aber bereits einen festen Plan. Seine Freunde würden bestimmt Augen machen - lediglich auf eine Person konnte er dabei verzichten. Aber wie er von dem Besitzer des Gasthauses gehört hatte, war die Wahrscheinlichkeit diese Person zu treffen an diesem Tag äußerst gering.
Doch selbst wenn er den Kommandanten hätte sehen müssen, wäre er hingegangen. Die Sehnsucht, die er in den letzten sieben Jahren erfolgreich verdrängt hatte, war inzwischen mit aller Macht über ihn hereingebrochen. Er wollte - nein, er musste - seine Freunde wiedersehen.
Dementsprechend aufgeregt und ungeduldig war er auch, als er auf die Person wartete, die er mitnehmen wollte.
Das kleine Mädchen schien noch müde zu sein, als es die Treppe herunterkam, aber darauf konnte er im Moment keine Rücksicht nehmen. Sie würde es verstehen, da war er sich sicher.
Lächelnd sah er sie an. „Na, bist du bereit?“
Verschlafen sah sie ihn an, als sie nickte. Schweigend fuhr sie sich noch einmal über die Augen.
„Soll ich dich tragen?“, fragte er lachend.
Hastig schüttelte sie ihren Kopf und ging bereits an ihm vorbei, um zu zeigen, dass sie selbst laufen konnte.
Lächelnd folgte er ihr, um das Gasthaus zu verlassen. Vergnügt summend machte er sich mit dem Mädchen auf den Weg.
In wenigen Minuten würde er der Liebe seines Lebens wieder gegenüberstehen... hoffentlich würde sie ihn noch erkennen.
Der plötzliche Themenwechsel warf Oriana aus der Bahn. Besonders weil sie just am Tag zuvor noch darüber nachgedacht hatte, wo er wohl gerade war.
Landis stammte ebenfalls aus Cherrygrove. Nolan war sein bester Freund gewesen und Oriana diejenige, die er hatte heiraten wollen – bis sie sich für seinen Konkurrenten Frediano entschieden hatte. Der größte Fehler ihres Lebens, wie Nolan immer wieder betonte. Oriana sah es nur insofern als Fehler als dass sie Landis dadurch verloren hatte, ansonsten stand sie zu ihrer Entscheidung.
Noch in der Hochzeitsnacht hatte Landis die Stadt verlassen und war quasi vom Erdboden verschwunden, obwohl er sich Gerüchten zufolge immer noch im Königreich aufhielt.
Sie schüttelte mit dem Kopf. „Nein, habe ich nicht...“
Allein der Gedanke an Landis und das Loch, das er in ihrem Freundeskreis hinterlassen hatte, ließ ihre Stimmung noch weiter sinken. Aber in sieben Jahren war er nicht zurückgekommen - vielleicht vermisste er seine Freunde nicht so sehr, wie diese ihn missten. Möglicherweise erlebte er spannende Abenteuer oder aber er war bereits ebenfalls verheiratet und dachte deswegen nicht mehr an früher.
Nolan seufzte. „Ich auch nicht. Mann, er fehlt mir. Kenton ist einfach kein richtiger Ersatz.“
„Du darfst ihn nicht als Ersatz sehen“, tadelte Oriana ihn sofort. „Kenton ist auch ein Mensch.“
„Ja, ich weiß. Aber du weißt auch, wie ich das meine.“
Sie nickte. Landis war besonders für Nolan und Oriana etwas Besonderes gewesen. Etwas, das, wenn es erst einmal weg war, nicht einfach ersetzt werden konnte. Und hätte sie gewusst, dass er gehen würde, hätte sie nie geheiratet.
„Wenn du willst, dass ich auch gehe, weil du nicht feiern willst, musst du das nur sagen, Ria.“
Diesmal schüttelte sie ihren Kopf. „Schon in Ordnung. Milly freut sich auch, wenn du da bist.“
„Kaum zu glauben, dass die Kleine die Tochter unseres Kommandanten ist.“
„Rede nicht so über Frediano...“, erwiderte sie leise.
„Warum nimmst du den Kerl noch in Schutz?“
„Weil er mein Ehemann ist.“
Ihre bestimmenden Worte, die wie ein Todesurteil klangen, ließen Nolan seufzend aufgeben. Diese Unterhaltung hatten sie schon so oft geführt und sie hatte immer so geendet.
„Aber mal im Ernst, mit Lan wirst du um Längen besser dran. Der würde dich nicht betrügen.“
Diesmal war es an Oriana zu seufzen. „Woher willst du das wissen? Vielleicht würde er.“
Sie glaubte auch nicht daran. Zumindest der Landis von damals hätte das niemals getan. Wie er heute so war, wenn er überhaupt noch am Leben war, das wusste sie nicht.
Und sie wollte auch nicht darüber nachdenken. Sie war mit Frediano verheiratet, Landis war fort und mit alldem hatte sie sich arrangiert. Was brachte es auch, über verschüttete Milch zu weinen?
Nolan rollte mit den Augen. „Ja, bestimmt. Lan war ja auch immer total fies.“
„Nolan, bitte. Ich will nicht über Landis reden.“
„Ja, schon verstanden.“
Genervt griff er nach einem Glas (Oriana wusste genau, dass es das war, das er zuvor herausgepickt hatte) und trank es in wenigen Zügen leer.
Milly kam wieder herein und sah beide nacheinander an. Schließlich seufzte sie. „Jedes Jahr dasselbe. Immer wieder streitet ihr euch wegen diesem Landis.“
„Hast du etwa gelauscht?“, fragte Nolan, mit einem stillen Tadel in seiner Stimme.
„Dafür musste ich gar nicht lauschen.“
Die beiden Erwachsenen sahen sich schuldbewusst an, fast wie ein Ehepaar, das nach einem Streit vor dem gemeinsamen weinenden Kind stand und sich bewusst wurde, wie laut es gewesen war.
„Vertragt ihr euch jetzt wieder?“
Ohne zu zögern umarmte Nolan Oriana sofort. „Tut mir Leid, Ria.“
Sie erwiderte die Umarmung nicht. „Mir auch.“
Milly lächelte. „So gefällt mir das. Sehr schön, ihr beiden.“
Die beiden lösten sich wieder voneinander.
Das Mädchen nahm das Tablett mit den Gläsern an sich. „Gehen wir doch lieber ins Wohnzimmer, da redet es sich leichter.“
Manchmal war Oriana das erwachsene Verhalten ihrer Tochter unheimlich. Aber manchmal war sie auch einfach nur dankbar, so wie in diesem Moment.
Die Erwachsenen folgten ihr und ließen sich auf dem Sofa nieder.
„Kommt Onkel Rich eigentlich auch noch rüber?“, fragte Nolan.
„Opa Richard hat gesagt, er kommt noch“, antwortete Milly.
Richard war Landis' Vater und Millys Ersatzopa.
Nach dem Tod seiner Frau war er aus Cherrygrove nach New Kinging gezogen. Er hatte in seinem Leben zwei schwere Verluste erlitten, da wollte er nicht durch sein leeres Haus, in dem er mit jeder Erinnerungen verband, immer daran erinnert werden.
„Er bringt dann wieder einen Kuchen mit“, ergänzte das Mädchen.
Oriana seufzte. Toll, ich werde nicht nur alt, sondern auch fett.
Ihr wurde bewusst, wie übertrieben dieser Gedanke war, besonders weil sie sich früher nie sonderlich für ihre Figur interessiert hatte. Oh Mann, ich werde zu einer Frau, wie die, die ich nicht leiden kann...
Zumindest hatte Richard das Backen gelernt und so schmeckten seine Kuchen jedes Jahr aufs Neue gut.
Wieder klopfte es an der Tür. Nolan stand sofort auf. „Bleib nur sitzen, Ria, ich mache schon auf.“
Er ging in den Flur hinaus und öffnete die Tür.
Oriana lauschte. Sie konnte nicht genau hören, was geredet wurde und wer überhaupt an der Tür war. Zumindest kam ihr die fremde Stimme nicht wirklich bekannt vor.
Sie hoffte, dass Nolan den Fremden gleich wieder wegschickte, wahrscheinlich wollte er ohnehin nur zum Kommandanten der Kavallerie.
Die Tür wurde wieder geschlossen, aufgeregt kam Nolan zurück ins Wohnzimmer. „Ria! Ria, rate mal, wer da ist! Das wirst du nicht glauben!“
„Ich habe keine Lust zu raten.“
Vielleicht hatte man Frediano tot aufgefunden - das wäre zumindest mal eine gute Nachricht für ihren Geburtstag gewesen.
Schritte erklangen und im nächsten Moment stand ein fremder Mann in der Tür. Er hatte sich stark verändert, aber Oriana erkannte ihn dennoch sofort. Schlagartig blieb ihr die Luft weg.
Als er lächelte, verkrampfte sich das Herz in ihrer Brust. „L-landis...“