Entdeckt
Der Prinz hatte Landis sofort beauftragt, zwei Pferde zu satteln, um gemeinsam mit der Kavallerie die Verfolgung seiner Schwester aufzunehmen.
Der Page hatte ein sehr ungutes Gefühl und wartete auf eine Gelegenheit, um sich von der Gruppe abzusetzen und nach Old Kinging zu reiten. Allerdings schien Frediano ihn immerzu im Auge zu behalten, weswegen er sich nicht traute.
Aber er musste irgendeinen Weg finden. Was würde nur aus den anderen werden, wenn die Kavallerie sie in Old Kinging entdeckte?
Immer wieder ließ er seinen Blick schweifen und hoffte, dass es bald irgend etwas gab, was die anderen genug ablenkte, damit er wegkommen konnte.
Und tatsächlich -
„Kommandant, dort!“
Ein Kavallerist deutete in eine Richtung, weg von Old Kinging. In einiger Entfernung war tatsächlich eine Gestalt zu sehen, die eilig vor den Kavalleristen zu fliehen versuchte.
Frediano lächelte zufrieden und gab den Befehl zur Verfolgung.
Svarog preschte als erstes vor, ohne auf seinen Pagen zu achten.
Landis nutzte den Moment und lenkte sein Pferd in eine andere Richtung. Er donnerte über das Feld, innerlich betend, dass das alles nur ein weiterer Komplott war.
Warum muss ausgerechnet hier in New Kinging alles schief laufen? Sind Frediano und Kenton wirklich zu schlau für uns? Bisher hatten wir doch keine Probleme...
Frediano bemerkte aus dem Augenwinkel, wie eines der Pferde aus der Gruppe in eine andere Richtung galoppierte. Er befahl seiner Kavallerie anzuhalten. Fragend sahen alle ihn an. „Was ist los, Kommandant?“
„Wer ist gerade weggeritten?“
Die Kavalleristen sahen sich um, aber es folgte nur Schweigen. Doch schließlich meldete Svarog sich zu Wort: „Landis fehlt.“
Das dachte ich mir doch.
Frediano überlegte einen Moment, wie es nun weitergehen sollte. Er konnte Landis nicht einfach wegreiten lassen, aber die Gestalt schien zu wollen, dass man sie weiter verfolgte, denn sie war stehengeblieben und schien auf sie zu warten.
Also musste man sich trennen.
„Gut. Nolan, Oriana, Kenton, ... ihr beiden“ - er deutete auf zwei andere Kavalleristen - „und ich folgen Landis – der Rest der Kavallerie folgt der Person in die andere Richtung.“
Die Kavalleristen nickten und taten wie ihnen aufgetragen. Frediano, Svarog und die anderen verbliebenen Personen wendeten die Pferde und jagten hinter Landis her.
Ich bin gespannt, wo er uns hinführen wird. Aber ich bin sicher, dass ich es schon weiß. Zum Glück sind alle Personen dabei, die dabei sein sollten. Lasst die Spiele beginnen.
Die Hufe schlugen laut auf dem steinernen Boden der alten Hauptstadt, während das Pferd über die Straßen galoppierte.
Hoffentlich hat Yarah die Fallen wieder entfernt, sonst...
Sein Gedanke kam zu spät.
Im vollen Lauf stolperte sein Pferd über die Fäden. Aus dem Sattel geschleudert schlug Landis hart auf dem Boden auf.
Verdammt, Yarah!
Sein Kiefer schmerzte, genau wie sein linker Arm, seine Hände waren aufgeschürft. Aber er musste unbedingt zu den anderen. Mit viel Mühe richtete er sich auf.
Das Pferd tat dasselbe, hatte jedoch einiges an Problemen dabei.
Landis ließ das Pferd stehen und lief weiter. Die Marionette lag nutzlos auf dem Boden, der Faden war gerissen.
Er betrat den Palast, doch neben Yarah und Kureha fand er zwei weitere Personen, die er absolut nicht erwartet hatte: „Aidan? Prinzessin?“
Die junge Frau mit dem goldblonden Haar hob den Blick und musterte ihn interessiert, bevor sie lächelte. „Oh, du musst Landis sein, der Page von meinem Bruder.“
Er nickte verwirrt. „Was ist hier los? Was tut sie hier?“
Aidan wollte darauf antworten, doch Prinzessin Selene nahm es ihm direkt ab: „Diese dumme Soldaten haben mich entführt und mich schon aus der Stadt geschleift, als plötzlich Aidan kam und mich gerettet hat.“
Wow, das hätte ich ihm gar nicht zugetraut.
„Aber warum hat er Euch hierher gebracht?“
Diesmal war es Aidan, der antwortete: „Ich hab mich dummerweise verraten, als ich mich den Rebellen entgegengestellt habe.“
„Ich hätte zwar nichts gesagt,“, meinte Selene, „aber da war noch ein Soldat...“
„Und der war echt“, vollendete Landis den Gedanken.
Er war es, der uns informiert hat.
Selene und Aidan nickten zustimmend.
„Also habe ich sie hierher gebracht“, fügte Aidan hinzu. „Ich dachte, hier würden sie nicht nach uns suchen. Oder uns zumindest nicht finden, selbst wenn sie suchen würden.“
„Gar nicht schlecht“, sagte Landis nachdenklich.
Plötzlich erklangen Schritte und im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet. Landis fuhr herum und erstarrte. Frediano lächelte überheblich. „Nun, sieh einer an. Die Prinzessin, inmitten von Sicarius Vita. Und habe ich es nicht gesagt, Oriana?“
Kenton erschien gemeinsam mit Oriana neben Frediano. Der Blick der jungen Frau ging verwirrt umher. „Was...?“
Selene stand auf, als auch Svarog in der Tür erschien. „Bruder!“
Sie stürzte in seine Arme. Behutsam schob er sie hinter seinen Rücken. „Landis, was hat das alles zu bedeuten? Was tust du hier?“
„Das hier ist der Stützpunkt von Sicarius Vita“, verkündete Frediano. „Was soll er hier schon tun? Er wird wohl kaum durch Zufall hierher gefunden haben. Er ist einer von ihnen.“
„Ist das wirklich wahr, Lan?“
In Orianas Frage lag die unüberhörbare Bitte nach einem Widerspruch.
Landis hatte den Blick gesenkt.
„Ich habe es von Anfang an gesagt“, merkte Kenton an.
Schweigend sahen die Versammelten auf Landis.
In seinem Inneren tobte ein Kampf, das merkte jeder der Anwesenden, weswegen sie alle abwarteten, was er zu sagen hatten.
Frediano genoss diesen Augenblick sichtlich und in vollen Zügen.
Oriana und Nolan wiederum hofften inständig, dass Landis es verneinte.
Selene zupfte ihrem Bruder am Ärmel. „Svarog, bitte, seid nicht so böse. Sie haben mir nichts getan, bitte Svarog.“
„Das ist nicht meine Entscheidung“, erwiderte der Prinz, ohne seinen Blick von dem Pagen zu wenden.
Yarah und Aidan wichen leicht zurück. Auf Befehl von Frediano huschten zwei Kavalleristen hinüber und hielten sie fest.
Da Landis immer noch keine Anstalten machte, etwas zu sagen, wandte sich der Kommandant an die beiden: „Na, ihr beiden? Wie viele Mitglieder hat eure Gruppe? Seid ruhig ehrlich.“
Yarah lachte. „Erwartest du wirklich eine Antwort? Vollidiot!“
Eine heftige Ohrfeige folgte auf ihre Worte. Als Reaktion lachte sie noch einmal. „Ist das deine einzige Antwort? Erbärmlich! Erbärmlich ist das!“
Noch eine Ohrfeige.
„Yarah!“
Aidans Stimme klang geschockt und bestürzt. Doch die blonde Frau schüttelte nur ihren Kopf und lachte erneut. „Erbärmlicher Vollidiot!“
Frediano knurrte, wandte sich dann aber an Aidan. „Dann sag du es mir, Küchenjunge!“
Der Braunhaarige schüttelte hastig seinen Kopf. „Ich werde auch nichts sagen!“
Der Kommandant wollte auch ihn ohrfeigen, aber Landis fuhr dazwischen: „Das reicht!“
Die Versammelten wandten sich ihm wieder zu. Frediano grinste siegessicher. „Nur keine falsche Bescheidenheit, Landis. Erzähl uns, was wir wissen wollen.“
Der Page hob den Kopf und atmete tief durch. „Ich bin kein Mitglied von Sicarius Vita...“
Oriana und Nolan atmeten auf, nur Kenton behielt seine Anspannung und bemerkte als einziger, dass der Satz noch weitergehen sollte: „Aber?“
Landis machte wieder eine Pause.
Ein Knacken ertönte, gefolgt von hohlen Geräuschen als etwas auf den Boden fiel. Die Wächter, die Yarah und Aidan festgehalten hatten, hielten nun nur noch künstliche Armstümpfe in der Hand.
„Marionetten“, schnarrte Frediano. „Was Neues fällt denen auch nicht mehr ein, hm?“
Landis lachte leise. Die Versammelten sahen wieder ihn an.
„Dann sag uns, was du uns mitteilen wolltest“, forderte Frediano ihn auf.
„Ich bin kein Mitglied von Sicarius Vita – ich bin ihr Kommandant.“
Yarah kicherte leise, während sie mit einer ihrer Marionetten tanzte. „Ich liebe meine Puppen einfach. Sie helfen mir so oft aus der Misere.“
Noch bevor Landis Old Kinging betreten hatte, hatte Yarah sich und Aidan durch Marionetten ausgetauscht und waren gemeinsam mit Kureha nach Cherrygrove gegangen, wo Nadia bereits auf sie gewartet hatten. Nach New Kinging hatten sie nicht mehr gehen können, es war klar gewesen, dass man sie dort als Erstes suchen würde. Und hier konnten sie auch nicht lange bleiben, aber für eine Einsatzbesprechung reichte es allemal.
Nadia und Aidan sahen sich besorgt an, aber es war Kureha, die schließlich die Frage stellte, die ihnen auf der Zunge brannte: „Was wird aus Landis?“
„Keine Sorge, keine Sorge“, sprach Yarah sofort. „Es ist für alles gesorgt. Denkt ihr wirklich, Landis ist so dumm, sich erwischen zu lassen und keinen Plan zu haben?“
„Dann hat er also einen?“, fragte Nadia.
Yarah nickte, worauf die anderen erleichtert aufatmeten.
„Überlasst alles Weitere nur mir“, sagte die Puppenspielerin. „Ich kümmere mich um alles.“
Richard stand auf dem Friedhof in der Nähe von New Kinging und seufzte leise. „Asterea, was würdest du zu alldem sagen? Was denkst du über Landis?“
Stille antwortete ihm auf seine Fragen.
Niemals würde sie ihm darauf antworten können. Er erinnerte sich lebhaft daran, wie er sie gefunden hatte. Sie war nicht an ihrer Krankheit gestorben, wie er Landis erzählt hatte – oder vielleicht doch. Landis' Verschwinden hatte sie krank gemacht und im Zuge dieser Krankheit hatte sie sich einen Strick genommen.
Richard schauderte. Noch immer fragte er sich, weswegen sie das getan hatte, anstatt mit ihm zu reden.
Wollte sie ihn nicht belasten?
Oder glaubte sie, er würde sie ohnehin nicht verstehen?
Und warum hatte er nichts bemerkt? Er hatte gewusst, dass sie krank gewesen war, aber nie war ihm aufgefallen, wie schlecht es ihr gegangen war.
In ihrem Abschiedsbrief hatte sie ihn gebeten, ihr nicht böse zu sein, aber er hatte mehr das Gefühl, dass sie ihm böse sein müsste.
Er hatte sie immerhin vernachlässigt.
Eine laute Stimme riss ihn aus seinen Gedanken: „Richard! Sir Richard!“
Hat man nicht einmal hier seine Ruhe?
Genervt fuhr er herum. „Was ist denn?“
Der junge Soldat blieb stehen und salutierte. „Sir Richard, eine wichtige Nachricht für Euch!“
„Sprich“, forderte er ihn ungeduldig auf.
„Ich habe Nachricht aus New Kinging erhalten! Euer Sohn, Landis, wurde festgenommen!“
Richard runzelte seine Stirn. „Weswegen?“
Der Soldat schluckte leicht, bevor er antwortete: „Er hat sich selbst zu erkennen gegeben – als Kommandant von Sicarius Vita.“