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Scatters

Tief im Innern
von

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Lebe

Lebe
 

„Okay, also wir sehen uns übermorgen?“ „Klar doch! Wehe du bist nicht pünktlich, dann bin ich beleidigt!“ „Ich? Nicht pünktlich? Ist dir überhaupt bewusst mit wem du redest?“ Cassady zog ein empörtes Gesicht. „Ich hab’s nicht böse gemeint, sei nicht gleich beleidigt!“ Nun brachte auch Tom seinen Schmollmund zu Tage. Und gleichzeitig lachten beide los. „Also, bis um vier, ja?“ „Bingo, bis dann!“ Das Mädchen stieg grinsend in den Zug ein und winkte noch, bis ihr Freund aus dem Sichtfeld verschwunden war.
 

Der Wind peitschte ihr ins Gesicht. An diesen warmen Sommertagen war das Gefühl doppelt so angenehm wie sonst. Gleichmäßig, in einem lockeren Rhythmus setzte Cassady einen Fuss vor den anderen. Die schweren Inlineskates die daran befestigt waren fühlten sich leicht an, fast wie Federn. Das war genau das, was das Mädchen jetzt brauchte! Sie würde ihren Freund erst morgen wiedersehen, und sie hasste die Tage ohne ihn. An diesen Tagen musste sich die Schwarzhaarige irgendwie abreagieren, sonst drehte sie durch. Und Sport war dafür genau das Richtige. Dass sie ein Sportmuffel war, hielt Cassady nicht davon ab, für ihr Leben gerne mit den Skates durch die Stadt zu brausen. Doch heute war es nicht so wie sonst. Es hatte mehr Verkehr, doch das Mädchen ließ sich nicht ablenken. Trotzdem übersah sie an der einen Kreuzung das rote Auto, das viel zu schnell von links kam. Mit einem dumpfen Aufprall rammte das Heck des Wagens ihre Hüfte. Cassady spürte bloß noch wie sie durch die Luft flog. Dann kam ein extrem harter Aufprall, viel härter als der des Wagens und alles wurde schwarz.
 

Weiß, so viel weiß. Wie wenn jemand ein Seidentuch über die Welt gespannt hätte. Ein sanftes weiß. Und keine Menschenseele. „Wo bin ich hier?“
 

„Wo ist sie?! Lasst mich zu ihr!“ „Junger Mann, Sie können hier nicht rein!“ „Ich bin ihr Freund!“ Der Schwarzhaarige schien völlig außer Kontrolle. Die Schwestern hatten schon Angst, sie müssen den Sicherheitsdienst benachrichtigen. „Sie können hier nicht rein, wenn sie nicht zur engen Verwandschaft gehören.“ Der Arzt blieb ruhig, obwohl die Situation hektisch war. „Aber sie braucht mich!“
 

Eine Person erschien vor Cassady. Ein Mädchen in einem wunderschönen weißen Kleid. Ihr braunes Haar war lange und seidig, wie der ganze Ort hier. „Wer bist du?“ „Das ist nicht wichtig…“ „Aber-!“ „Du bist tot.“
 

„Cassady! Cassady, kannst du mich hören?!“ Gegen die Anweisung der Ärzte hatte Tom das Zimmer betreten und stand nun neben dem Bett seiner Freundin. Sie war leichenblass, noch blasser als sonst. „Cassady, sag doch bitte etwas!“
 

„Ich bin… tot…?“ Die Augen des Mädchens wurden leer. Die Erscheinung nickte nur. Dann lächelte Cassady. Und eine Träne floss über ihre Wange. „Das ist gut so. Das ist Schicksal. So ist es richtig. Nun bin ich frei. Ich muss keine Schmerzen mehr spüren. Ich bin endlich frei.“
 

Die Ärzte hasteten hektisch um das Bett, mit allen möglichen Spritzen und Geräten in der Hand. „Sie atmet nicht! So tun Sie doch etwas! Können Sie nicht sehen, dass sie nicht atmet?!“ Tom raufte sich die Haare, seine Stimme war verzweifelt. „Junger Mann, bitte, wir geben unser Bestes…!“
 

„Du bist nicht traurig?“ Cassady schüttelte den Kopf. Der sonst so milde Ausdruck auf dem Gesicht der Erscheinung wurde urplötzlich von Zorn verzerrt. „Lügnerin! Du belügst dich selbst! Du willst überhaupt nicht tot sein! Es ist dir nicht egal! Du denkst oberflächlich und achtest nicht auf deine Seele! Was ist mit Tom?! Was ist mit ihm wenn du tot bist? Was ist mit deinen Freunden? Willst du sie alle einfach im Stich lassen?!“
 

„Aufladen auf 300! Alle weg!“ Die Sanitäter traten vom Bett zurück, als die elektrischen Wellen Cassadys Körper zucken ließen. Keine Reaktion. Immer noch keinen Herzschlag. Das endlos gleichbleibende Piepsen der Herzlungenmaschine schien Tom den Verstand zu rauben.
 

Augenblicklich wurden die Augen des Mädchens wieder klar. Besorgnis spiegelte sich darin. „Ich will sie nicht alleine lassen…“ „Ja! Hör auf zu lügen! Sie in diesen Spiegel!“ Die Erscheinung wies auf einen Spiegel, der aus dem Nichts aufgetaucht war. Cassady sah hinein. „Was siehst du?“ „Ich… Ich sehe mich… Mit ihnen…!“ Die Schwarzhaarige zitterte unter Tränen.
 

Der leitende Arzt ließ resigniert die Hände sinken. „Zeitpunkt des Todes: 14:30 Uhr.“ Seine Stimme war klar, aber traurig. „Was?! Sie ist tot?! Sie ist nicht tot! Sagen Sie mir, dass sie nicht tot ist!“ Tom packte den Arzt am Kittel und begann ihn wild zu schütteln.
 

„Ich will noch nicht gehen! Bitte! Ich habe mich anders entschieden! Ich will sie nicht alleine lassen! Ich will nicht ohne sie sein! Niemals!“ Es war schwierig das Mädchen zu verstehen. Heftige Schluchzer unterbrachen ihr Flehen. Sie lag auf Knien vor der Erscheinung und hatte ihre Hände fest in ihr Kleid geschlungen. Nun lächelte die Erscheinung wieder. „Du hast es erkannt. Deine Zeit ist noch nicht gekommen. Also lebe.“ Ihre Hand berührte sanft Cassadys Stirn.
 

Der plötzliche Atemzug der für tot erklärten erschütterte den Raum. Ein paar Sekunden herrschte Totenstille. Dann begann die Herzlungenmaschine den Puls anzuzeigen. Er stieg und das Piepsen wurde schneller. Verblüfft ließ Tom den Arzt los. Dieser reagierte sofort. „Sie ist nicht tot! Gebt ihr zehn Milligramm Epi und holt mehr Wärmedecken!“ Sofort begannen die anderen wieder herumzuhasten. Tom hatte Tränen der Erleichterung in den Augen, als er neben seiner Freundin auf dem Boden kniete und ihre Hand hielt. Langsam öffnete diese ihre Augen. Sie konnte noch nichts klar erkennen, doch eines wusste sie auch so: Sie würde nicht gehen. Nicht, bevor alle anderen nicht auch gingen. Sie würde bleiben. Für immer.



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