Kimi yo tobi tatsu no ka
Kimi yo tobi tatsu no ka
Die Beine überschlagen, die schwarzen Stiefel hingen in der Luft, der gepflegte Teppich-Boden zu weit entfernt, um von ihnen berührt zu werden. Der Oberkörper war ein wenig seitlich gewendet und die linke Schulter an die Fensterfront hinter dem stattlichen General gelehnt. Wie ein Fluss aus Silber glänzten die Haare in dem Morgenschein der Sonne, der durch die Fenster drang.
Sephiroth saß auf er Fensterbank seines Büros und sah hinaus - besser gesagt hinab, beobachtete den Weg, der zum Haupteingang führte, während er ab und an von einem Schokoladenstäbchen mit Minze abbiss.
Es wirkte ein wenig, als sähe er sich einen interessanten Film an, der ihn fesselte und zum nachdenken brachte. Und die Hauptrollen spielten ein Rothaariger, der mit eiligem Schritt den Weg entlang schritt, und ein Schwarzhaariger, der mit etwas Abstand aber nicht weniger Geschwindigkeit hinterher kam. Genau genommen war Angeal sogar deutlich schneller zu Fuß als Genesis gerade. Kaum hatte er den Älteren eingeholt, fasste er diesen am Arm und drehte ihn zu sich um. Die nächste Aktion passte in eine richtige Schnulze, denn Angeal drückte seinem Liebhaber einen fordernden Kuss auf. Rasch, wie dieser gekommen war, kam auch direkt eine Abfuhr, welche Sephiroth ein wenig überraschte, als er das beobachtete. Stirnrunzelnd sah der General zu, wie Genesis Angeal von sich weg drückte, ein wenig zu diskutieren schien und dann glitt der Blick des Rothaarigen am Gebäude hinauf, direkt zum Fenster herüber, aus welchem Sephiroth jetzt blickte.
Der Silberhaarige blieb völlig ruhig, verzog keine Miene. Alle Fenster spiegelten von außen, man konnte ohnehin nicht erkennen, ob sich drinnen nun jemand dahinter befand oder nicht. Genesis konnte also nicht wissen, dass Sephiroth sie beide beobachtete, aber zumindest schien er es doch zu ahnen. Lag dort irgendwo der Grund, warum der Rotschopf so abweisend zu Angeal war?
Seufzend schüttelte Sephiroth den Kopf, ließ sich von seinem provisorischen Sitz gleiten und schritt seelenruhig zu seinem Computer herüber, der auf seinem Schreibtisch platziert war. Eine Gelassenheit, die recht trügerisch war. Mit ansehen zu müssen, wie die beiden Menschen, die er so liebte, zueinander gefunden hatten und ihn nun gewisser Maßen ausschlossen schmerzte. Aber genauso plagte Sephiroth auch der Gedanke daran, dass er nun der Grund dafür war, dass diese beiden Menschen trotz allem nicht glücklich wurden, einfach weil er immernoch im Weg stand. Er... und scheinbar das Gewissen von Genesis. Herr je...
Das Klicken der Maus durchbrach die Stille im Raum. Sephiroth wühlte sich über den Desktop ins Intranet der Shinra Corp. und öffnete seinen eigenen Terminkalender. Heute früh würde er einige Infanteristen begrüßen müssen. Und vorher sollte alles mit Lazard besprochen werden. Zwar hatte der General noch gute zehn Minuten Zeit, allerdings war das Gebäude auch nicht klein und der Weg zu Lazards Büro würde dann doch einiges an Zeit beanspruchen. Trotzdem... Ein wenig konnte er sich noch sammeln. Mit einer fahrigen Bewegung fuhr er sich mit einer Hand durch die langen Haare und ließ sich zeitgleich in seinen ledernen Bürosessel gleiten. Direkt lehnte er sich zurück und starrte auf den flimmernden Bildschirm seines Rechners, als würde er dadurch Ruhe finden oder in eine Art Trance gelangen können.
Es war schon verrückt... GENESIS war verrückt, wenn er sein Glück so verstreichen ließ. Für Sephiroth hatte es nur kurze Momente gegeben und das Glück dort war auch nur trügerisch gewesen. Dennoch hatte er sie genutzt, er hatte sie genossen. Vor allem die Minuten, in welchen er gleich allen beiden nahe gewesen war. Es war nur ein schäbiges Bad in einem guten Hotel Midgars gewesen. Und nicht ein Funken Liebe hatte er erwarten können, lediglich Freundschaft – bei aller Intimität. Und selbst die war am schwanken gewesen. Und dennoch... war er davon gelaufen, weil er Angst gehabt hatte, vor was auch immer? Nein, er hatte die Chance gegriffen, als sie sich ergeben hatte. Er hatte Genesis 'Einladung' angenommen und selbst Angeal in das perverse Spiel mit eingebunden, sodass selbst dieser freiwillig daran teilgenommen hatte. Mit allen beiden hatte er interessante Augenblicke erlebt, auch, wenn er nur am Rande wahrgenommen wurde. Auch, wenn man sich gar nicht wirklich auf ihn konzentriert hatte – er war nichts davongelaufen.
Und was tat Genesis nun da? Er hatte gar MEHR als das. Weitaus mehr und nur, weil er sich unsicher war, ob Sephiroth damit klar kam, ließ er sein eigenes Glück verstreichen? Der Silberhaarige erinnerte sich an das Glänzen in Angeals Augen, der trotz aller Vorsicht in seinen Worten die Freude nicht hatte verstecken können, als er Sephiroth vor zwei Tagen hatte beibringen wollen, dass er nun mit Genesis zusammen gekommen war. Sicher... Sicher hatte es geschmerzt, trotz dass Sephiroth sich für die beiden freute und dass sie endlich zueinander gefunden hatten. Nur es war ja nicht so, als hätte der General nicht schon weit schlimmeres erlebt. Und solange sie wenigstens die Freundschaft aufrecht erhielten...
Verstand Genesis denn nicht, dass es so nur noch mehr Probleme geben würde? Sollte er doch endlich offen zu seinen Gefühlen stehen und sich Liebe von Angeal holen, so viel wie er wollte. Das hieß doch noch lange nicht, dass er Sephiroth deswegen fortan im Stich lassen oder ignorieren musste. Man konnte noch immer dreckige Witze reißen, darüber diskutieren, ob Loveless nun langweilig war oder tatsächlich ergreifend und das gemeinsame Training fiel auch nicht weg. Trotz allem konnte man sich als gute Freunde gegenseitig unterstützen.
Auch, wenn der Rotschopf noch nicht zu verstehen schien; Sephiroth vertraute den beiden, wusste, dass sie für ihn da waren, wenn er sie je brauchen würde. Der General würde schon mit der neuen Situation klar kommen und auf den Rückenhalt seiner beiden besten Freunde hoffen. Und ebenso würde er auch zu ihnen stehen, jederzeit und komme, was wolle. Immerhin hatte er zudem ja auch noch einiges wieder gut zu machen.
Ein sachtes Lächeln spielte sich auf die Lippen des Generals, der nun wieder langsam aufstand. Es war nur eine kurze Erinnerung, auf die er sich jetzt fixierte, aber sie gab ihm ein gutes Gefühl für die Zukunft. Seine beiden Freunde hatten ihm anscheinend vergeben, was geschehen war. Natürlich würden sie wohl kaum vergessen können, aber verzeihen schon eher. Auch, wenn Angeal seit dem ein wenig mehr Abstand hielt als sonst. Ab hier würde alles schon wieder werden. Was konnte denn noch schief gehen? Das Krieg ausbrach und einer sterben oder verloren gehen würde. Das. Oder höchstens, dass einer wie in einem schlechten SciFi-Film zu einem gen-manipulierten Monster mutierte. Und sonst nichts. Sonst konnte unmöglich etwas ihre Freundschaft zerbrechen oder das Glück, dass sie sich gerade alle aufbauten und erarbeiteten.
Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte Sephiroth, dass die Zeit inzwischen um war und er sich lieber ein wenig beeilen sollte. Mit strammen, selbstbewussten Schritten verließ er seinen Raum, schloss die Tür hinter sich und steuerte Lazards Büro an. Auf dem Weg hielt ihn nichts auf und so kam er rasch an seinem Ziel an. Die Türen öffneten sich vollkommen automatisch, gaben Sephiroth den Weg frei und er trat ein.
Höflich begrüßte er de blonden Mann einige Meter entfernt, welcher hinter seinem Schreibtisch saß und ein ebenso höfliches Lächeln auf dem Gesicht liegen hatte. Die letzten Meter überwand Sephiroth nun auch noch und stand nun in gestraffter Haltung vor dem Tisch, wie bestellt.
Ein wenig lockerer hingegen war die Geste von Lazard, der sich in seinem Stuhl zurück lehnte und mit einer Hand auf eine Kanne deutete, die auf seinem Tisch platziert war. „Kaffee?“, richtete er seine Frage an den Silberhaarigen. Letzterer schüttelte dankend den Kopf.
Das leise surrende Geräusch der Tür ertönte wieder und Sephiroth blickte über seine Schulter zu Angeal zurück. Ein ernster Blick war die begrüßende Antwort darauf. Stumm und distanziert. Jenes war der Abstand, den Sephiroth schon seit einer Weile bemerkt hatte. Angeal würde noch ein wenig brauchen, bis er alles verarbeitet hatte und vollständig verziehen. Und der General konnte es ihm auch nicht übel nehmen. Nein, nicht wirklich...
„Angeal!“, schmunzelte Lazard. „Auch recht pünktlich. Kaffee?“
Auch der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. „Danke, nein, kein Bedarf.“ Lazard verzog ein wenig das Gesicht. Anscheinend hatte er damit gerechnet, dass sein Kaffee angenommen werden würde. Die Kanne sah zumindest so voll aus, dass eine Person alleine den Inhalt lieber nicht ganz alleine an einem Tag trinken sollte.
Wieder öffnete sich die Tür und Sephiroth beobachtete, wie Lazard dieses Mal sogar aufstand und die Kaffeekanne demonstrativ anhob. „Genesiiii~s!“, begrüßte er den Rothaarigen, welcher perplex stehen blieb und recht fragend drein blickte. „Kaffeeeeee~?“, fragte Lazard mit leicht aufforderndem Ton.
„Ehm, im Moment nicht“, kam es zögernd von dem Rothaarigen und Lazard schmollte leise vor sich hin, während er sich selbst seine Tasse wieder auffüllte.
Dieser schon recht amüsante Gesichtsausdruck des Kommandeurs war nur einen Moment lang interessant für Sephiroth, aber letzterer musterte kurz darauf lieber den frisch Eingetretenen. Sein Blick traf direkt auf den von Genesis. Dieser schaute aber eilig wieder weg, wirkte für den Bruchteil einer Sekunde scheu und unsicher, ehe er seine Haltung allerdings ebenfalls ein wenig straffte. Trotz allem, trotz seiner Mühe und seiner aktuellen Strenge zu sich selbst vor Lazard, sah man ihm seine Gewissensbisse nur allzu deutlich an.
Stumm beobachtete Sephiroth, dass auch Angeal den Soldier in Rot scharf betrachtete. Was wohl gerade im Kopf der beiden vor sich ging?
Die beißende Stille wurde von einer sachlichen und doch freundlichen Stimme unterbrochen. Sephiroth sah zu Lazard, der sich anscheinend wieder gefangen hatte und die drei First Class Soldaten jetzt eingehend musterte. „Ist schlechte Laune im Anflug?“
Genesis war es überraschender Weise, der ohne zu Zögern und kopfschüttelnd eine Antwort gab: „Nein, Sir. Nur ein wenig Morgenmüdigkeit, denke ich.“
„So?“, schmunzelte Lazard ein klein wenig sarkastisch. „Aber den Kaffee lehnt ihr trotzdem alle ab, nicht?“
Für einen Moment herrschte Stille, ehe Sephiroth sich äußerte und dann ansetzte: „Ich würde gerne geklärt haben, wie die Begrüßung der Gruppe der neuen Infanteristen heute verlaufen soll, Sir.“
Man sah Lazard allzu genau an, dass er sich bemühte, sich wieder zu schmollen, weil keiner auf seine Stichelei eingegangen war, aber es kam kein Kommentar mehr zu diesem Thema. Immerhin waren sie ja nicht zum Spaß hier. Also räusperte sich auch der Blonde „Natürlich“ und nickte. „Im Grunde ist es nur das Übliche, Sephiroth. Am Anfang müssen alle allgemein begrüßt werden und du kannst eine kurze Ansprache halten. Dies ist ja nicht dein erstes Mal, nicht wahr?“ Lazard beugte sich ein wenig vor und reichte den drei First Class jedem einen Bogen mit jeweils unterschiedlichen Namenslisten. „Drei Gruppen, einfach per Alphabet aufgeteilt. Sucht sie zusammen und hakt ab. Es sollte keiner fehlen. Überprüft die Daten der Personen, die auf den Zetteln stehen. Nicht, dass falsche Angaben gemacht wurden oder falsche Personen hier herein geschmuggelt werden, also fragt auch die Identifikations-Nummer ab, verstanden?“
„Ja, Sir“, kam es von jedem der drei First Class, die nebeneinander vor dem Schreibtisch standen und die Listen jeder für sich gut verstauten.
Lazard lehnte sich wieder zurück und rückte mit einer Hand seine Brille auf der Nase ein Stück zurecht. „Wenn das gemacht ist, übergebt ihr die Infanteristen und die Listen euren Second Class Jungs für die Zimmer-Einteilung. Zack, Uso und Gensou wissen bereits Bescheid. Das war's...“
Die schlechteste Laune von allen hier im Raum hatte definitiv Angeal, der sich, ohne sich weiter zu verabschieden, sofort umdrehte, als dieses Stichwort gefallen war, und beinahe fluchtartig den Raum verließ.
Innerlich seufzte Sephiroth auf, aber dann nickte er Lazard zu und wandte sich zeitgleich mit Genesis um, als die Stimme des Blonden noch einmal ertönte: „Ach, Moment...“, setzte er an. „Sephiroth, Genesis...“ Die beiden Angesprochenen blickte zu dem Command zurück und der Silberhaarige gab ein fragendes „Hm?“ von sich.
Die Hände gefaltet auf den Tisch gestützt und ein verlegenes Grinsen auf den Lippen begann Lazard mit dem, was er loszuwerden hatte: „Also, auch, wenn es unrealistisch klingt, hat dieser hyperaktive Schüler von Angeal euren beiden Schülern einiges voraus, was das Können betrifft. Zwar sind Uso und Gensou ein wenig unkomplizierter und gar verlässlicher, aber Zack ist dafür total unterfordert, deswegen hat sich folgende Situation ergeben: Während Zack andere Second Class auf einer speziellen Mission anleitet, bekommen eure beiden Schüler extra Trainingsmissionen, auf die sie übermorgen geschickt werden sollen. Ihr solltet ihnen diese Nachricht offen und ehrlich und mit den entsprechenden Gründen überbringen.“
Kühl und sachlich nickte Sephiroth dadrauf, gab ein „Natürlich“, von sich und schmunzelte innerlich, als Genesis sich lieber für ein „Pah“, entschied, das ganz danach klang, als würde er nicht einsehen wollen, dass sein Schüler nicht der beste war.
Da hiernach nun wirklich nichts mehr von Lazard zu kommen schien, verließen die beiden First Class nun gemeinsam den Raum. Genesis schien völlig in Gedanken zu sein, starrte den Boden vor seinen Füßen an, während er lief. Umso besser, denn umso leichter war er aufzuhalten. Kaum war die Tür hinter Sephiroth geschlossen, packte letzterer den Rothaarigen an der Schulter und drehte ihn um. „Nicht gerade schlau, was du da tust, Genesis“, eröffnete das Gespräch, zu welchem der andere Mann mehr gezwungen als gefragt wurde.
Kühl, wie Sephiroth die Worte betont hatte, konterte jetzt auch Genesis: „Was ich tue ist meine Sache und was davon dumm ist, liegt in MEINER Sicht.“
Aber Sephiroth schüttelte den Kopf, ließ seine Hand sinken und seufzte leise. „Baka na... Du solltest mehr an Angeal und dich denken, hörst du?“
Der Angesprochene presste seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und wandte den Blick ab. Aber er schwieg.
„Ich sehe deine Zurückhaltung längst, Genesis“, sprach der General also weiter und klang zunehmend ernster.
„Tja, aber das-“
„Kein 'Aber'!“, fiel Sephiroth dem Rothaarigen augenblicklich ins Wort. „Ich kenne deinen bescheuerten Grund und er verärgert mich mehr, als dass er mir schmeichelt. Du weiß, dass ich dir und Angeal das beste Wünsche und ICH weiß, dass wegen eurer Beziehung die Freundschaft zu mir wohl kaum kaputt gehen wird. Und was ist das für eine Freundschaft, wenn du dein Glück dafür einbüßen musst? Ich komme klar, verstehst du? Präg es dir ein, verdammt! Wie du Angeal abblockst, obwohl ihr beiden Deppen euch ENDLICH gefunden habt ist ja kaum noch mit anzusehen!“ Ein Schnaufen betonte den Ärger in den Worten noch, den die Stimme ohnehin schon preis gegeben hatte. Aber es schien Sephiroth einfach notwendig gewesen zu sein. Noch immer schwieg Genesis, aber der trotzige Blick hatte sich inzwischen in einen nachdenklichen und sehnsüchtigen verwandelt und der Silberhaarige wusste, wem diese Sehnsucht gerade gebührte.
Zügig, bevor doch noch ein Widerspruch fallen konnte, wandte sich Sephiroth ab und schritt den Gang entlang, ließ einen grübelnden und gedanklich durchgerüttelten Genesis zurück. Hoffentlich hatte das jetzt auch etwas gebracht.
