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Nightdancer

- Past Sequenzen -
von

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Autumn of the age of 7 - new life

Willkommen zu einer weiteren Past Sequenz! ^-^
 

Ich will gar nicht lange um den heißen Brei herum reden und nur noch sagen, dass ich mir mit diesem Ausschnitt sehr viel Mühe gegeben habe und hoffe, dass dieser kleine Erinnerungsfetzen genauso gut bei euch ankommt wie die Idee in meinem Kopf dazu.
 

Viel Spaß beim lesen, eure Mihikoru
 

PS: Die Länge des Kapitels ist mir wieder etwas entglitten ^^’
 

Story 2: Autumn of the age of 7 - new life
 

„Suzu! Suzu!! Wo bist du?“

Schon von weitem hörte ich das laute Rufen meines Freundes doch ich machte mir keine Mühe dieses zu beantworten.

Stumm und ohne Regung konzentrierte ich mich ganz auf den letzten Absatz meines Kapitels und ließ mich nicht mal davon irritieren, dass ein lautes Rumpeln unterhalb der Treppe ertönte.

„Autsch! Blödes Ding…!“ Ein weiterer kurzer Schmerzenschrei ließ mich unterdrückt kichern als mein Kumpel wohl gegen einen weiteren Gegenstand gestoßen war.

„Verdammt! Das ist nicht lustig, Suzu! Wenn du hier bist dann…“ Seinen Satz ließ er offen aber ich konnte unterdrückte Flüche hören gefolgt vom Knarren der alten Holzwendeltreppe die unter seinem Gewicht ächzte.

Keine 5 Sekunden später erschien ein schwarzer, ziemlich verwuschelter Haarschopf an der Öffnung des Dachbodens und Augen aus klaren Smaragden sahen mich vorwurfsvoll an.

„Warum meldest du dich nicht?“

Wortlos zuckte ich die Schultern und klappte mein Buch - mit der Aufschrift Sherlock Holmes - Das Zeichen der Vier - zu.

Kyusuke robbte durch den kleinen Durchgang und lief dann in geduckter Haltung zu meinem Sitzplatz zwischen alten Einrichtungsgegenständen und Büchern am staubigen Fenster.

„Du weißt genau, dass Kamigawa-sensei dir verboten hat auf den Dachboden zu gehen.“ Murmelte er nun und strich sich mit missmutigem Gesichtsausdruck über den Hinterkopf wo er sich wohl gerade eben gestoßen hatte.

„Mir doch egal, diese olle Schreckschraube hat mir gar nichts zu sagen.“ Stieß ich nun spöttisch hervor und ärgerte mich darüber, dass er mich in letzter Zeit behandelte wie ein Kleinkind. - Dabei war er selbst gerade mal ein Jahr älter als ich!

Kamigawa-sensei war einer der Erzieherinnen im Waisenhaus. Eine etwas ältere, rüstige Dame mit strengen Gesichtszügen, spitzem Kinn und langen schwarzen Haaren die sie immer zu einem strengen Knoten nach hinten gekämmt hatte.

Sie war eine alte Furie und verstand keinen Spaß, jede Woche predigte sie mir neue Verbote vor und die Liste wurde immer länger, sodass ich mich wunderte, dass ich überhaupt noch atmen durfte!

„Ich weiß, dass sie streng zu uns allen ist - besonders zu dir - aber sie meint es nur gut.“ Versuchte mich nun Kyusuke zu beschwichtigen der - wie so häufig - alle Erzieherinnen in Schutz nahm.

Zu meinem eigenen Wohlbefinden erwiderte ich nichts darauf sondern beugte mich nur sorgenvoll zu ihm heran als er keine Anstalten machte, seine Hand am Kopf sinken zu lassen.

„Hast du dir wehgetan?“

„Hm…“ Murrte er leise und kniff ein Auge zusammen. „Ich habe den Lichtschalter auf dem untersten Boden nicht gefunden und bin wohl unterhalb der Treppe gegen einen alten Lampenschirm gekommen… das ist alles deine Schuld!“

Kurz kniff ich mir die Lippen zusammen um das Argument herunterzuschlucken, dass keiner gebeten hatte, dass er mich suchen sollte.

Aber er machte sich immer und überall zu viele Sorgen um mich.

Erst letzte Woche hatte er mir eine saftige Standpauke darüber gehalten, dass ich nicht auf die große Eiche neben dem Mädchenschlafsaal klettern sollte.

So gesehen, war Kyusuke auch ein Spielverderber.

„Lass mich mal sehen…“ Bot ich nun an und stand auf um mich etwas auf die Zehenspitzen zu stellen - vor einigen Monaten hatte mein Spielkamerad angefangen mich um einige Zentimeter zu überragen - und vorsichtig mit den Fingern durch seine schwarzen Strähnen zu gleiten.

Abrupt versteifte sich Kyusuke zu meinem Erstaunen und hielt ungewöhnlich still während ich die rote Stelle ausfindig gemacht hatte und als Wiedergutmachung mit sachten Lippenbewegungen einige Male über die Rötung pustete.

„Besser?“ Erkundigte ich mich neutral sodass er mich - seltsamerweise - aus etwas geröteten Wangen nervös ansah und heftig nickte.

„J-Ja… Geht schon, danke.“

„Bitte.“ Erwiderte ich mit einem leichten Lächeln und fragte mich im Stillen, warum er in letzter Zeit öfters gerötete Wangen in meiner Gegenwart bekam.

Besonders, wenn ich ihm zu nahe kam.

Hatte er mich nicht mehr gern?

War ihm meine Nähe unangenehm?

Ich traute mich nicht, ihn zu fragen aus Angst, dass er genau dies sagen und nicht mehr mein Freund sein wollte also, schwieg ich lieber.

„Warum hast du mich gesucht?“ Lenkte ich nun ein anderes Thema ein, da ein seltsames Schweigen um uns herrschte. „Du wirst doch wohl nicht nur gekommen sein, um mich vom Dachboden zu holen?“

„Was? Nein…“ Er schüttelte kurz den Kopf, da er ja besser als jeder Andere wusste, dass ich Verbote absichtlich nicht beachtete und mir einen feuchten Kehricht darauf schwor, dass ich alle drei Tage böse Schimpfe bekam.

„Ich wollte dich nach unten holen, weil gerade die ersten Eltern angekommen sind. Hast du das vergessen? - Heute ist doch Besuchstag.“

Meine Iriden trübten sich kurz jedoch nickte ich leicht.

„Ja. Das weiß ich doch.“

Wie hätte ich die Besuchstage vergessen können?

Es war immer dasselbe, jeden Montag-, Mittwoch-, und Freitagnachmittag wurden die Toren des Waisenhauses extra für mehrere Stunden geöffnet um interessierte Alleinerziehende oder Ehepaare - die sich in aller Ruhe umsehen und erkundigen konnten - hereinzulassen.

Genau deswegen saß ich doch hier…

Diese Nachmittage waren ätzender als jede Mathematikstunde, ich hasste sie.

Wie man begafft wurde, wie ein Tier - ein seltenes Exemplar.

Besonders ich… ich mit meinen blauen Augen und blonden Haaren, so untypisch japanisch und anstatt mich selber auf meine Herkunft anzusprechen hörte ich nur immer bruchstückweise, wie sich die Erwachsenen an eine der Erzieherinnen wandten und sie über mich ausfragten.

Als ob ich zu dumm, zu jung wäre um darauf selbst eine Antwort zu geben.

Ansehen taten sie mich alle, aber keiner sprach mich an.

Keiner würde mich mitnehmen… Wer wollte schon so ein Kind wie mich haben?

Das gab nur negatives Gerede.

Sie taten weh diese Gedanken, sie hatten einen mehr als giftigen Stachel und ich schaffte es nicht - nach all diesen Jahren hier im Waisenhaus - sie mir alle selbst aus eigener Kraft zu entfernen.

Nur eines hatte ich bisher geschafft: Mich mit dem Gedanken abzufinden wohl solange hier bleiben zu müssen, bis ich meine Volljährigkeit erreicht hätte.

Was für ein armseliges Leben…

„Sieh doch das Ganze nicht so negativ.“ Riss mich Kyusuke auf einmal aus meinen Gedanken und ich registrierte, das er mich mit gemischten Gefühlen ansah.

Besorgnis, Angst und Aufmunterung lag in seinen Iriden.

„Irgendwann, werden wir beide bestimmt Eltern finden. Ganz sicher!“

Ein kleines Lächeln erhellte meine finsteren Gesichtszüge und ich musste trotz all meinen Ängsten und Vorahnungen leicht schmunzeln.

Wenn ich er wäre, hätte ich mir darüber auch keine Gedanken gemacht.

Kyusuke war ein lieber Junge, für sein Alter schon weit voraus und unheimlich gewissenhaft, lernbegierig und hilfsbereit.

Er würde sicherlich kein Problem damit haben, passende Adoptiveltern zu finden.

Immerhin hatte er eine normale Haarfarbe und seine hellgrünen Augen gaben ihm ein mehr als liebes Aussehen.

Ich wusste genau, dass er mich eines Tages alleine zurücklassen würde um ein neues Leben zu beginnen.

Ich würde alleine zurückbleiben.

Wie auch damals… wie mich meine Eltern auch allein gelassen hatten.

Schon oft hatte ich darüber nachgedacht, ihn zu bitten, dann bei mir zu bleiben aber so egoistisch war selbst ich nicht.

Ich mochte ihn.

Ich mochte den schwarzhaarigen etwas älteren Jungen der sich seit dem ersten Tag für mich interessiert und stark gemacht hatte.

Und ich wollte, dass er glücklich wurde.

Das hatte er sich verdient.

Immerhin wusste ich nur zu gut, dass auch er kein leichtes Schicksal gehabt hatte.

Kyusukes Mutter war bei seiner Geburt und einige Monate später sein Vater bei einem Flugzeugunglück gestorben.

Er war bis zu seinem fünften Lebensjahr von seinem Großvater aufgezogen worden, bis dieser auch gestorben war.

In wenigen Jahren wurde ihm seine ganze Familie interessieren und er war so allein gewesen wie ich, als er damals ins Waisenhaus gekommen war.

Seitdem - schon 3 Jahre - waren wir unzertrennlich gewesen und hatten uns gegenseitig gestützt.

Ich konnte mir ehrlich gesagt, nur schlecht vorstellen ihn nicht mehr neben mir zu wissen.

Ein schrecklich bedrückender Gedanke.

„Woran denkst du?“ Wollte er nun zu gerne wissen und legte nachdenklich den Kopf schief sodass ich nur leicht den Kopf schüttelte.

„Ach, an gar nichts.“

Natürlich glaubte er mir nicht, natürlich wollte er am liebsten nachfragen.

Jedoch tat er es nicht…

Und genau das mochte ich so sehr an ihm.

„Lass uns doch nach unten gehen.“ Bat er nun inständig und sah mich mit einem so ernsten Gesichtsausdruck an, dass man es niemals für möglich hielt, dass ein Achtjähriger vor einem stand. „Setz dich wenigstens in den Hof zum lesen. Zeig dich wenigstens, wenn auch nur für eine Stunde, ja? Bitte, bitte.“

Wie sollte ich diesem lieben Blick bloß widerstehen können?

Manchmal kam er mir wirklich vor wie ein kleines Hündchen.

„Na gut.“ Stimmte ich seufzend zu obwohl ich gar keine Lust hatte und sich alles in mir dagegen sträubte.

Schon jetzt konnte ich mir die gaffenden Blicke der Erwachsenen vorstellen.

Ätzend!

Stumm nahm ich mein Buch von der Fensterbank und verließ mit ihm den staubigen Dachboden.
 

Der Spätherbst war in Japan eingebrochen und zu dieser Jahreszeit fegte eine kühle Brise durch die Straßen der riesigen Metropole.

In unserem Viertel hatte sich das strahlende grün der Bäume in gelbe, rote und teilweise braune Herbstfarben verwandelt.

Die abgestorbenen Blätter raschelten sanft mit jedem Schritt als ich quer über den Hof lief und mich demonstrativ unter meinem Lieblingsbaum niederließ.

Der große Platz vor dem Haupteingang war heute besonders überfüllt mit allerlei Erwachsenen, jungen Pärchen und alten Ehepaaren.

Kyusuke war schon in der ersten Etage von einer unserer Erzieherinnen aufgehalten worden die ihn zu einem interessierten Ehepaar mitgenommen hatte.

Mein Freund hatte mich mitnehmen wollen, doch eher hatte reagieren konnte war ich umgedreht und gen Hof geflitzt.

Ich wollte ihn nicht stören und ich wollte auf keinen Fall, dass das interessierte Paar einen falschen Eindruck von ihm bekam wenn sie sahen, dass er eine ausländische Freundin hatte.

Ja, fast jeder hier hielt mich immer für eine Ausländerin.

Dabei hatte ich größtenteils japanische Gene in mir.

Ich kannte meine Eltern nicht, wusste nichts von ihnen bis auf die geringen Daten in meiner Akte.

Normalerweise durfte ich diese nicht einsehen, doch schon im ersten Jahr hier hatte ich mich ins Rektorat geschlichen und sie kurz durchgeblättert.

Meine Mutter war anscheinend eine geborene Engländerin gewesen, dass erklärte meine ungewöhnliche Haar und Augenfarbe.

Deswegen war ich immer und überall eine Außenseiterin.

Deswegen wollte mich keiner haben.

Niemand wollte mich haben…

Heftig schüttelte ich den Kopf um meine eigenen - sehr deprimierenden - Gedanken zu vertreiben und klappte mein Buch wieder auf um weiter darin zu schmökern.

Ich hatte Kyusuke versprochen, dass ich mich zeigen würde aber mehr als eine Stunde würde ich mich nicht den verblüfften, teilweise angewiderten Blicken der fremden Leute aussetzen.

Diese Prozedur ertrug ich sowieso nur, da ich mich in einen meiner Romane vertiefte und so meist gar nicht mitbekam was um mich herum geschah.

So tauchte ich ein in die Welt des berühmten Sherlock Holmes und sah noch nicht mal auf, als unmittelbare Schritte neben mir zu hören waren.

„Ach herrje, wo ist er denn nur hin?“

Hörte ich eine Frauenstimme leise murmeln sodass ich - entgegen meiner sonstigen Verhaltensmuster - aufsah.

Keine fünf Meter neben meinem Sitzplatz entfernt stand eine schwarzhaarige Frau auf dem gepflasterten Weg und sah sich suchend nach allen Seiten um.

Sie trug ein dunkelblaues Kostüm mit heller Bluse und hatte ein Teil ihrer langen Haare mit einer Spange fixiert.

Ihr seitliches Profil ließ weiche Gesichtskonturen erahnen und die tiefbraunen Augen strahlten schon von weitem eine nie gekannte Ruhe und Sanftheit auf mich aus.

Mit etwas nervösen Bewegungen schritt sie mit ihren hochhackigen Schuhen einige Male den Pfad hoch und runter und ließ ihre Iriden über verschiedene Grüppchen von Besuchern wandern die mit einigen Kindern redeten.

Komischerweise fiel mir sofort ein goldener Ehering auf, der an ihrem linken Ringfinger steckte dessen Hand sie um ihre schwarze Handtasche gelegt hatte.

„Entschuldigung. Suchen Sie ihren Mann?“ Rief ich ihr nun interessiert zu, sodass sie sich etwas erschrocken zu mir umdrehte.

Sicherlich hatte sie nicht damit gerechnet, beobachtet zu werden.

Und ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich sie ansprechen würde.

Warum hatte ich sie angesprochen?

Ich hatte noch nie einen der Erwachsenen angesprochen… warum dann sie?!

„Was? Oh ja… das tue ich.“ Aus ihrem kurzen Erstaunen wurde ein liebes Lächeln und sie trat einige Schritte näher an mich heran. „Ich habe ihn in dem Gedränge hier verloren. Woher hast du das gewusst?“

„Wegen ihrem Ehering.“ Neutral sah ich sie an, konnte jedoch nichts dafür, dass meine Tonlage eher unhöflich klang und auch mein Blick sehr wachsam war.

Komischerweise hatte sie mich nicht solange angestarrt wie die anderen Erwachsenen es immer taten.

Ihre Pupillen hatten sich nicht geweitet aufgrund meiner blauen Augen und blonden Haare, im Gegenteil: Ihr Gesichtszüge waren freundlich und friedvoll auf mich gerichtet.

Auch sah ich keinerlei Neugierde wegen meines Aussehens… oder irrte ich mich?

„Oh, nur deswegen… sehr clever!“ Ihr Lob klang ehrlich und obwohl ich es nicht wollte, erwiderte ich das Lächeln, dass sie mir schenkte.

Was für eine nette Frau…

Normalerweise hätte ich mich jetzt wieder meinem Buch zugewandt, sie höchstenfalls vorher zu einer der Erzieherinnen geschickt, doch stattdessen verschloss ich meinen Roman und fragte: „Sie sind zum ersten Mal hier, oder?“

„Oh ja.“ Sie nickte zustimmend. „Mein Mann hat sich heute extra freigekommen damit wir uns in Ruhe umsehen können. - Diese Einrichtung ist sehr hübsch.“

„Finden Sie?“ Ich konnte ihre Meinung nicht teilen aber wahrscheinlich hatte man einen anderen Standpunkt zu diesem Gebäude, wenn man frei durch das Tor gehen und auf die Straße konnte.

Ich fühlte mich hier eher wie in einem Gefängnis auch, wenn die Räume noch so sauber und die Einrichtung noch so warm gehalten war.

„Ich mag das Gebäude nicht. Es ist kalt und vollkommen leblos.“

Warum sagte ich so etwas?

Warum war ich so gesprächig?

Bestimmt hielt sie mich jetzt für ein kleines, naives Ding.

Immerhin konnte von leblos keine Rede sein, wenn jedes Zimmer ausgefüllt mit herumspringen Kindern aller Altersgruppen waren.

„Vielleicht hast du Recht. Von diesem Standpunkt habe ich das noch nie gesehen.“ Erwiderte sie nun zu meinem Erstaunen und noch mehr wunderte es mich, dass ich in ihrer klaren Stimme keinerlei Lügen oder Heuchelei heraushörte.

Irgendwas an dieser Frau machte mich ruhig und langsam fiel die Nervosität und Wachsamkeit von mir ab.

„Na ja, egal…“ Murmelnd erhob ich mich und sah auffordernd zu ihr nach oben.

„Wir sollten Ihren Mann suchen gehen, der wird sich bestimmt Sorgen um Sie machen.“

„Wahrscheinlich.“ Stimmte sie mir zu und beugte sich etwas zu mir nach unten.

„Mein Name ist Yakamura. Eri Yakamura.“

„Freut mich.“ Erwiderte ich höflich und ganz automatisch und tat absichtlich so, als würde ich ihre Aufforderung nicht verstehen ihr auch meinen Namen zu nennen.

Was hätte das für einen Sinn gehabt?

„Warten Sie einfach hier. - Ich werde ihn schon finden.“ Mit diesen Worten klemmte ich mir mein Buch unter den Arm und sauste in Windeseile über den Hof zurück ins Gebäude.

Sicherlich hatte ihr Mann - wie die meisten hier - einer der Erzieherinnen aufgesucht um sich bei der Suche helfen zu lassen, das war meistens der Fall.

Mit raschen Schritten bahnte ich mir einen Weg durch die halbwegs begehbaren Gänge und blickte suchend nach allen Seiten über die Dutzenden Erwachsenen die sich im ganzen Gebäude aufhielten.

Wie unheimlich voll es heute war, schrecklich!

Vielleicht hatte ich vor der Frau den Mund etwas zu voll genommen.

Es war gar nicht so leicht hier herauszufinden, welcher Mann verheiratet und alleine unterwegs war.

Schnell huschte ich um die nächste Ecke als ich Kamigawa-sensei entdeckte die mit verkniffener Miene einige Meter hinter mir stand und mit stechenden Augen noch irgendetwas suchte.

Bestimmt mich… Danke, aber nein Danke!

Hastig nahm ich die Beine in die Hand und verschwand aus ihrem Blickfeld doch ich sah fahrlässigerweise nicht nach vorne und prallte gegen einen weichen Widerstand.

Ein kleiner überraschender Laut löste sich aus meiner Kehle als ich mit einem Fuß umknickte und das Gleichgewicht verlor.

Innerlich stellte ich mich schon damit ein, unerwünschte Bekanntschaft mit dem harten Boden zu machen als mich zwei große Hände unter den Armen auffingen und mir halfen wieder in eine aufrechte Position zurück halfen.

„Oh, Entschuldigung.“ Eine leicht raue, sonorere Männerstimme erklang an meinem rechten Ohr. „Ich habe dich gar nicht gesehen.“

„Schon gut.“

Ich hielt mich an einem starken Arm fest da der leichte Schock mir noch immer in den Gliedern steckte.

Das nannte man wohl gemeinhin, Zusammenprall! Noch mal Glück gehabt.

„Ich hoffe, ich habe dir nicht wehgetan.“

Der fremde Mann im Anzug kniete sich zu mir nach unten und ich blinzelte ihn einige Sekunden stumm an als ich in pechschwarze Augen sah.

Wow!

Solche ausdrucksstarken Iriden hatte ich noch nie gesehen.

„Nein. Mir geht’s gut.“ Antwortete ich nun kopfschüttelnd mit einiger Verspätung.

„Sie waren ja nicht Schuld, ich habe nicht genug aufgepasst.“

„Na ja, zu einem Unglück gehören immer zwei, oder?“ Erwiderte er nun und verzog amüsiert die Lippen sodass ich ebenso lächelnd zustimmte.

„Ja, da haben Sie Recht.“

Einige Sekunden sahen wir uns stumm in die Augen bevor ich die Hand von seinem erhobenen Arm zurückzog und mich darunter hinweg duckte.

„Dankeschön. Ich muss weiter.“

Er nickte schweigsam und erhob sich wieder um wohl auch seinen Weg fortsetzen als mein Blick - ganz automatisch - auf seine linke Hand fiel und ich einen goldenen Ehering ausmachte.

Meine Augen weiteten sich.

„Herr Yakamura?“ Rief ich ihm hastig nach sodass er sich mit überraschtem Gesicht zu mir umdrehte.

„Sie sind doch Herr Yakamura, oder?“

Ein stummes Nicken, mehr als interessiert sah mich der Mann an.

Das Herz rutschte mir in die Hose.

Schon wieder… schon wieder diese Musterung meines Äußeren.

Oh, ich hasste es!

„Ihre Frau hat nach Ihnen gesucht… sie wartet draußen auf dem Hof vor der Eiche.“ Informierte ich nun mit dumpf klingender Stimme und wollte nur noch weg.

Warum konnte mich kein Erwachsener direkt fragen und mich so nehmen wie ich war?

„Meine Frau sagst du?“ Aufmerksam blickte er zu mir nach unten. „Woher hast du gewusst, dass sie meine Frau ist??“

„Na, wegen ihrem Ehering.“ Ohne Scheu deutete ich auf das Schmuckstück an seinem linken Ringfinger. „Normalerweise ist der japanische Ehering weitgehend Silber. Es gibt nicht viele Paare die ihr Bündnis in Gold anfertigen lassen. Zum einen, da Silber im Westen höher geschätzt wird als Gold und zum anderen, da die meisten sich diesen Standart nicht leisten können. - Außerdem denke ich, dass sie Geschäftsmann sind. Ihr Anzug ist sehr edel, der Stoff sehr weich und ihre Frau hat auch ein sehr teuer aussehendes Kostüm an.“

Herr Yakamura öffnete aufgrund meiner Erläuterung den Mund - er wollte wohl was sagen - doch sogleich klappte er ihn wieder zu.

Unwohl sah ich ihn an.

War er sprachlos?

Ich war frech geworden, nicht wahr?

Oh… ich und meine große Klappe.

„Du hast ein ausgesprochen gutes Beobachtungsvermögen, junges Fräulein.“ Sprach er nun entgegen meiner Erwartungen freundlich und schenkte mir ein weiteres Lächeln. „Verrätst du mir deinen Namen?“

Unbewusst hielt ich den Atem an und meine Pupillen weiteten sich.

Noch nie hatte sich Jemand nach meinem Namen erkundigt.

„Suzuna…“ Wisperte ich nun und spürte zu meinem Verdruss wie ich rot wurde.

„Mein Name ist Suzuna Mihikoru.“

„Es freut mich sehr, Suzuna.“ Das ehrlich gemeinte Lächeln von ihm erreichte mich nicht richtig, stattdessen stieg eine ungeahnte Panik in mir auf.

War es Hoffnung? - Was für ein Blödsinn!

„Sie… Sie sollten zu Ihrer Frau gehen.“ Erwiderte ich nun in einer ungewohnt pampigen Tonlage und drehte ihm den Rücken zu um mit etwas ungelenkten Schritten das Weite zu suchen.

Ich sah nicht den Blick aus Besorgnis und Verwunderung der mir hinterher geworfen wurde…
 

Ich verkroch mich in einem der alten Räume, die als Abstelllager dienten und setzte mich dort mit tiefen Grübeleien auf eine Kiste voller Putzmittel und verdrückte einige Tränen.

Zu dämlich, dass ich mich kurz gefreut hatte als er mich nach meinem Namen gefragt hatte.

Dabei waren die beiden bestimmt nicht gekommen um so etwas wie mich zu adoptieren.

Das Ehepaar sah noch sehr jung aus und hatte sicherlich mehr Interesse an einem jüngeren Kind hier im Haus und nicht an einem siebenjährigen Mädchen das zwar Japanerin war aber wie eine Engländerin aussah.

Stumm seufzend starrte ich an die gegenüberliegende Wand und ließ die verschiedenartigen Geräusche aus Kindergebrabbel, fröhlichem Lachen und Fragen der Erwachsenen von außen an mir vorbeiziehen.

Erst als schon eine beträchtliche Zeit vergangen war und ich immer mehr Erwachsene durch das Tor auf die Straße gehen sah, rutschte ich von meinem Sitzplatz und verließ mit traurigem Gesichtsausdruck das dämmrige Zimmer.

„Aha! Da bist du also!!“

Heftig fuhr ich zusammen als mir eine vertraute, hohe Stimme entgegenhallte, kaum das ich die Tür hinter mir geschlossen hatte.

Innerlich laut seufzend sah ich entnervt auf, direkt in das Gesicht meines persönlichen Alptraums.

Kamigawa-sensei hatte die Hände in die Hüften gestemmt und klackerte verdrießlich mit dem Absatz ihres rechten Schuhs auf dem Boden.

„Das war das allerletzte Mal, dass du dich einfach so in Luft ausgelöst hast, kleines Fräulein!“ Wetterte sie nun gleich los und das in einer Tonlage als hätte ich Knallfrösche im Aufenthaltsraum losgelassen.

„Ich renne schon stundenlang durch das ganze Gebäude und suche dich! Kyusuke und alle anderen Erzieherinnen machen sich auch Sorgen - wann wirst du nur endlich erwachsen?!“

Ich schickte ihr einen vernichtenden Blick aus kühlen Saphiren und dachte im Stillen, dass ich genug erwachsen war.

Auf jeden Fall erwachsen genug um zu wissen, dass keiner mich wollte.

„Sieh mich nicht so an!“ Rügte sie nun sodass ich schwer den Drang unterdrückte und nicht die Augen verdrehte.

Dieser alte Besen…

Ehe ich es mich versah hatte sie mich etwas unsanft am Oberarm gepackt und schleifte mich den Gang nach unten.

„Zur Strafe gehst du ohne Abendessen ins Bett!“

Sie konnte sich ihre Strafe sonst wohin stecken, ich hatte sowieso keinen Hunger.
 

So geschah es also, dass ich Dank Kamigawa-sensei die Essenszeit in unserem Schlafsaal absitzen und auch danach gleich ins Bett gehen musste.

Es war mir gleich.

Beim essen würde mich sowieso keiner vermissen, außer vielleicht Kyusuke der jedoch schon erahnen konnte warum ich fehlte und sich deswegen sicherlich keine Sorgen machte.

Nachdem die Erzieherinnen ihren letzten Rundgang um halb zehn Abends beendet hatten schlich ich mich leise aus unserem Schlafsaal und in Kyusukes Zimmer hinüber.

Praktischerweise hatte er sein zugeteiltes Bett direkt am offenen Fenster, sodass ich es mir schon oft zunutzte gemacht hatte, dass das Fenster in einem der Abstellkammern immer geöffnet war und ich ins Freie und an die Scheibe des Jungenschlafsaals ankam.

Äußerst bedächtig pochte ich gegen die Scheibe, sodass mein Kumpel - der immer schon einen leichten Schlaf gehabt hatte - sofort die Augen aufschlug und mich entdeckte.

Komischerweise kam kein gewohntes Grinsen zurück sondern eine mehr als verkniffene Miene aber da er mir trotzdem das Fenster öffnete, tat ich dieser keine Bedeutung bei.

„Hey…“ Flüsterte ich leise und sprang bedächtig auf seine weiche Matratze während er sich aufsetzte und einen wachsamen Blick über die anderen Jungs in ihren Betten schweifen ließ.

Entweder sie hatten alle einen tiefen Schlaf oder sie machten sich nichts aus meinen nächtlichen Besuchen, denn bis jetzt hatte uns noch keiner bei irgendeiner der Erzieherinnen verpetzt.

„Was machst du hier?“ Erkundigte sich mein Freund nun ungewohnt kühl sodass ich kurz blinzelte.

„Ich wollte nur nach dir sehen und noch ‚Gute Nacht‘ sagen. Diese alte Schreckschraube hat mich vorhin verdonnert da ich es mir in einer der alten Abstellräume bequem gemacht habe… die spinnt doch!“

Kyusuke brummte nur leise und sah mich undefinierbar an.

Schweigsam begegnete ich seinem Blick der weder gewohnt freundlich noch sanft war.

War das Traurigkeit in seinen Augen und wenn ja, warum?

„Du solltest in dein Bett gehen.“ Riet er nun und ließ sich wieder in sein Kissen sinken.

„Was ist denn los?“ Diese Frage konnte ich mir einfach nicht verkneifen, denn normalerweise wenn ich zu ihm kam, lüftete er immer einladend seine Decke sodass ich zu ihm ins Warme schlüpfen und wir uns noch eine Weile tuschelnd unterhalten konnten.

Es war sogar schon einmal passiert, dass wir beide eingeschlafen waren und nur Kyusukes Frühaufsteherrhythmus hatte mich gerettet von einer der Erzieherinnen entdeckt zu werden.

„Gar nichts und jetzt geh.“

Seine Tonlage war mehr als schroff ich spürte, dass ich verletzter darauf reagierte als notwendig; vor allem jedoch wütend.

„Hey, was immer dir auch über die Leber gelaufen ist: Ich hab dir nichts getan!“ Zischte ich nun bitterböse sodass er sich - beinahe gelangweilt - auf die andere Seite drehte und mir den Rücken zuwandte.

„Oh Mann… du gehst mir so was von auf die Nerven. Verschwinde endlich!“

So kannte ich ihn gar nicht.

Das war nicht der Kyu den ich getroffen hatte.

Dieser hier war verletzend und böse, keinesfalls fürsorglich und lieb.

Obwohl ich niemals gedacht hätte, so zu reagieren wurden meine Augen leicht feucht und ich spürte, wie sich mein Herz zusammenkrampfte.

Ich ging ihm auf die Nerven?

Ich sollte verschwinden??

Warum taten diese Worte so schrecklich weh… Warum bloß??

„Ich… Entschuldige.“ Wisperte ich nun leise, entgegen meines sonst so aufbrausenden Wesens und zog leise die Nase nach oben.

Nur nicht weinen… nur nicht weinen!

Mochte er mich denn nicht mehr?

Was hatte ich ihm denn getan?

Gemeinheit!

Stumm - ohne einen Abschiedsgruß - schwang ich mich wieder durch das Fenster und schritt mit geknickter Miene zurück zu der Öffnung meines Schlupflochs.

Kein Wort kam mehr von ihm dafür jedoch vergrub mein Freund mit einer schmerzlichen Grimasse das Gesicht im Kissenbezug und biss sich auf die Unterlippe.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

So eine schreckliche Nacht wie diese hatte ich noch nie erlebt.

Ich konnte beim besten Willen nicht einschlafen und versuchte zwanghaft - stundenlang - meine aufkommenden Tränen zu unterdrücken.

Als uns die Erzieherinnen am nächsten Morgen weckte zog ich mich zwar um und ging in den Waschsaal wie alle, jedoch ging ich danach nicht in den Speisesaal zum frühstücken sondern zurück ins Bett wo ich mich einfach hinlegte und rechts aus dem Fenster sah, dass drei Betten von mir entfernt lag.

Woran ich dachte? - Wahrscheinlich an nichts. Das einzige was ich wahrnahm, war meine regelmäßigen Atemgeräusche und der Schmerz in meiner Brust.

Wie konnten solch einfachen Worte so unglaublich wehtun?

Regungslos lag ich auf meiner Matratze und blinzelte noch nicht mal als die Saaltür aufging und Jemand hineinkam.

„Suzuna Mihikoru… nun reicht es aber wirklich!“

Kamigawa-sensei war mit drei großen Schritten an meiner Schlafstätte und ihre Blicke erdolchten mich regelrecht.

„Warum bist du nicht beim Frühstück wie alle anderen? Immer dasselbe mit dir! Das Essensverbot galt nur für gestern!“

„Ich habe aber keinen Hunger…“ Flüsterte ich nun mehr als schüchtern und wollte einfach nur meine Ruhe haben.

„Sicherlich hast du Hunger.“ Erwiderte die Frau nun vehement: „Kinder in deinem Alter müssen regelmäßig essen. Nun komm schon.“

„Ich will nicht.“

Sie sollte mich - verdammt noch mal - in Ruhe lassen!

Ich wollte niemanden sehen, keinen um mich haben.

Ein tiefes Seufzen von ihr erklang und überraschenderweise zeterte sie nicht sondern ließ sich langsam auf die Kante meines Bettes nieder.

„Was ist denn los?“ Aus ihren sonst so abweisenden Augen sah sie mich beinahe besorgt an. „So kenne ich dich freche Range ja gar nicht. Du guckst wie sieben Tage Regenwetter.“

Stumm wandte ich den Blick von ihr ab und schluckte schwer.

Ein ekelhafter, schleimiger Kloß bildete sich in meiner Kehle und ehe ich es mich versah, entwisch mir ein trockenes Schluchzen.

„Kyusuke ist böse auf mich… keiner hat mich mehr lieb!“ Salzige Tränen liefen aus meinen Augen und quer über mein Gesicht.

„E-Er hat mich gestern Abend weggeschickt… und gesagt, dass ich ihm auf die Nerven gehe… u-und dass ich verschwinden soll!“ Presste ich nun schluchzend heraus und legte mir schamvoll den Arm über mein verheultes Gesicht.

Ich hasste es zu weinen!

Noch mehr hasste ich es, vor Jemandem zu weinen!

Ich sah es nicht doch Kamigawa-sensei schüttelte energisch den Kopf.

„Rede doch keinen Unsinn, Suzuna! Kyusuke hat dich wahnsinnig gern… er ist kaum von dir wegzubekommen. Bestimmt hat er das nicht so gemeint.“

Heulend schüttelte ich den Kopf, drehte mich auf die Seite und zog meine Knie bis zur Brust.

„Keiner will mich haben… keiner hat mich lieb! Ich werde niemals eine Familie finden, da ich so hässlich aussehe! Und jetzt hasst mich Kyu auch noch… Sie können mich ja auch überhaupt nicht leiden!!“ Presste ich nun heulend heraus und wollte am liebsten auf der Stelle sterben.

Ich fühlte mich so erbärmlich, so klein und so dermaßen nutzlos.

„Um Himmels Willen, was redest du denn da nur für einen Unsinn?!“ Erschallte die aufgebrachte Stimme der Erzieherin und ehe ich es mich versah, hatte sie meinen Arm gepackt und von meinen roten Augen entfernt.

„Jetzt sieh mich einmal an, Suzuna und hör mir: Das ist vollkommen Unsinn was du das redest! Es gibt eine Menge Menschen die dich lieb haben und es würde sich jedes Ehepaar wünschen dich zu adoptieren… du bist ein sehr liebes, aufgewecktes Mädchen und du bist unheimlich süß! Wie kommst du nur auf die Idee hässlich zu sein? Was hast du dir da bloß eingeredet? Kyusuke mag dich, er hat dich furchtbar lieb und er hat schon mehrere Angebote ausgeschlagen… nur deinetwegen! - Und ich… ich habe dich auch gern. Vielleicht bin ich manches Mal etwas zu streng mit dir aber ich will doch nur, dass du vorsichtiger bist. Du hast die Eigenart so schrecklich unbedacht zu sein und dich dadurch zu verletzen.“

Heftig atmend sah ich sie auf diese Erklärung fassungslos an und konnte nicht glauben, was sie gerade eben gesagt hatte.

„Sie haben mich tatsächlich gerne…?“

Kamigawa-sensei nickte schlicht und ein noch nie gesehenes Lächeln legte sich auf ihre schmalen Lippen.

„Ich habe dich sogar so gerne, dass ich ungewöhnlich streng zu dir war, damit du nicht merkst, dass du mein Liebling bist.“

„Da haben Sie aber wirklich gut geschauspielert.“ Gab ich nun fassungslos zu sodass sie kurz schmunzelte.

„Du hast noch eine Menge zu lernen, kleine Suzuna.“

Das glaubte ich allerdings auch und zum ersten Mal - seit unserer ersten Begegnung - widersprach ich ihr nicht.

Langsam setzte ich mich auf und strich mir die Tränenspuren von den Wangen.

„Was haben Sie damit gemeint, dass Kyu schon viele Angebote nur meinetwegen ausgeschlagen hat?“

Mehr als interessiert sah ich sie an und ihre Mimik ließ schließen, dass sie sich ungewollt verplappert hatte.

Für einen Moment sah es so aus, als wollte sie meine Frage mit einer leichtfertigen Antwort abtun - sowie das Erwachsene immer gern taten, wenn sie keine Diskussion anfangen wollten.

„Versuchen Sie bloß nicht, mich zu bescheißen. Ich bin nicht so blond wie ich aussehe.“ Stellte ich nun trocken klar sodass ihre Mundwinkel tatsächlich amüsiert zuckten.

„Nein… Nein, dass bist du wirklich nicht.“ Gab sie mir nun Recht und neigte den Kopf. „Also, die Sache ist die. Kyusuke wurde in den letzten Monaten schon oft verschiedenen Familien vorgestellt und da er ein so lieber und netter Junge ist, hatten schon etliche Paare vor ihn in den nächsten Tagen mitzunehmen doch bis jetzt, hat er sich immer geweigert. Entgegen seinem sonst so sanften Charakter ist er richtig stur und bockig geworden und dauernd meinte er, er würde nicht gehen, wir müssten ihn schon zwingen… ohne dich würde er das Waisenhaus auf keinen Fall verlassen!“

Meine Augen wurden immer größer und ich konnte das Gesagte nicht Recht verarbeiten, schon gar nicht glauben.

Das hatte Kyusuke tatsächlich getan?

Das hatte er gesagt?

Er hätte schon längst eine neue Familie haben können?

Davon hatte er mir kein Sterbenswörtchen erzählt.

Oh Gott. Jetzt fühlte ich mich noch schuldiger als ohnehin schon.

„Aber warum… warum ist er dann so fies gestern geworden?“ Wisperte ich nun unverständlich sodass Kamigawa-sensei leise seufzte.

„Weil er morgen das Waisenhaus verlassen muss, Suzuna… Ein Ehepaar hat sich gestern nach ihm erkundigt und nach einem Gespräch wollten die beiden ihn adoptieren. Kyusuke hat sich wieder geweigert doch unsere Leiterin hat sich dieses Mal gegen seinen Willen entschieden. Er wird weggehen, zu seiner neuen Familie und muss dich zurücklassen… so wütend habe ich ihn noch nie gesehen, er hat regelrecht getobt. Wahrscheinlich hat er das deswegen gestern zu dir gesagt. Vielleicht war er ja der Ansicht, wenn er dich verletzt und du ihn nicht mehr magst, würde es dir egal sein ob er geht.“

„So ein Idiot…“ Murmelte ich nun mit leicht feuchten Iriden zurück. „Ich könnte ihn niemals hassen und natürlich ist es mir nicht egal, dass er geht. Das macht mich furchtbar traurig aber ich freue mich auch für ihn. Er soll nicht meinetwegen leiden müssen.“

Zwei Gefühle stoben in mir auf.

Einerseits, furchtbare Verzweiflung wegen seines Abschieds.

Andererseits, wahnsinnige Freude.

Er hatte - schon seit seiner ersten Woche hier - davon geredet, dass er wieder eine neue Familie wollte und jetzt wurde sein Traum war.

Er würde mich zurücklassen müssen… ich würde wieder alleine sein.

„Was ist das für ein Ehepaar?“ Erkundigte ich mich nun ehrlich interessiert sodass die Erzieherin mich besorgt musterte.

„Ein sehr nettes Paar, um die Ende Dreißig. Das Ehepaar Fuma. Frau Fuma kann selbst keine Kinder bekommen und sie haben sich schon immer einen kleinen Sohn gewünscht. Sie wohnen in einem hübschen japanischen Haus inmitten des Viertels Akihabara. Kennst du das? Das liegt östlich am großen Bahnnetz. Er wird es dort gut haben, die beiden sind sehr liebe Menschen.“

„Das ist schön…“ Abermals liefen mir Tränen über die Wangen.

Kyusuke, mein bester Freund würde mich verlassen und ich würde ihn wahrscheinlich nie wieder sehen.

„Du glaubst mir bestimmt nicht, wie sehr mich das mitnimmt.“ Wisperte sie nun und strich mir mitfühlend übers Haar.

Das hatte sie noch nie getan und ich schmiegte mich wie ein ausgehungerter Welpe an diesen kostbaren Streicheleinheiten.

„Es ist grausam, dass das Schicksal euch beide trennt. Ihr seit mehr als putzig anzusehen.“

„Tz! Ich bin nicht putzig.“ Widersprach ich nun schnaubend sodass sie befreit kicherte und ich ebenfalls kurz glucksen musste.

Kaum zu glauben, dass Kamigawa-sensei so freundlich sein konnte!

„So und jetzt wischt du dir die Tränen ab und wir gehen zusammen in den Speisesaal. Du musst wenigstens etwas Kleines essen.“

Ich nickte leicht, obwohl ich keinen Hunger verspürte und erstrecht nicht unter die vielen anderen Kindern wollte.

Aber die Erzieherin machte sich solche Sorgen um mich - ich hörte es aus ihrer Tonlage - dass ich ihr einen Gefallen tun wollte.
 

Wenige Augenblicke später verließen wir beide den Mädchenschlafsaal und bogen den Gang nach rechts ein.

„Wir werden Kyusuke natürlich nicht verbieten dich zu besuchen. Er kann sooft kommen wie er will solange die Fumas damit einverstanden sind.“ Sprach Kamigawa-sensei nun sodass ich ehrlich freudig nickte.

Na ja, das war wenigstens ein positiver Aspekt.

Die Frage war nur, ob Kyusuke mich auch nicht aus den Augen verlieren wollte und ab und zu kam um mich zu besuchen.

Nach der gestrigen Nacht und seinen harten Worten war ich mir da nicht mehr so sicher.

Ich wurde aus meinen Gedanken katapultiert als eine jüngere Erzieherin mit eiligen Schritten auf uns zukam.

Da sie Kamigawa-sensei ansprach und ich nicht lauschen wollte, lief ich schon vor um wie versprochen in den Speisesaal zu gehen doch ich war kaum zehn Schritte gekommen da hielt mich die Stimme von ihr auf.

„Suzuna, warte mal!“

Fragend sah ich sie über die Schulter an und sah wie sie mit überaus ernstem Gesichtsausdruck nacheilte.

„Du sollst sofort ins Büro der Rektorin kommen.“

Meine Augen weiteten sich in Unglauben und leichter Angst.

M-Momentchen mal!

Hatte ich irgendetwas falsch gemacht?

„Ich habe nichts angestellt!“ Schoss ich nun gleich wie aus der Pistole hervor und erst einige Sekunden später kam mir der Einfall, dass mich diese Bekennung erstrecht schuldig machte.

Kamigawa-sensei zuckte mehr als ratlos mit den Schultern.

„Ich weiß nicht, was das soll. Man wollte mir nichts sagen, jedoch soll ich dich begleiten.“

Das klang nicht gut, gar nicht gut.
 

Noch nie in meinem ganzen Leben war ich so nervös gewesen, dessen war ich mir sicher als ich mit Kamigawa-sensei im 3. Stockwerk ankam und sie kurz an der Tür mit der Aufschrift Rektorat klopfte und kurz darauf die Zustimmung zum eintreten kam.

Am liebsten hätte ich mich auf den Absatz umgedreht und wäre weggerannt.

Oh… was war ich doch feige!

Äußerst widerwillig ging ich voran als Kamigawa-sensei mir ein eindeutiges Handzeichen gab und sah die Rektorin des Waisenhauses von ihrem Stehplatz neben ihrem Schreibpult mehr als scheu an.

„Ich habe nichts getan.“ Nuschelte ich nun gleich darauf sodass sie die Züge der alten Leiterin amüsiert erhellten.

„Da muss sich wohl Jemand gleich verteidigen, obwohl sie gar nicht weiß warum sie hier ist, nicht wahr?“

Erstaunt blinzelte ich auf, da sie weder wütend noch erbost wirkte.

Beinahe freudig und zufrieden war ihr Gesichtsausdruck zu nennen.

„Seien Sie doch so lieb und holen Sie mir den Jungen dazu, Kamigawa.“ Wandte sie sich nun an die Erzieherin die hinter mir stand sodass diese nickte und den Raum verließ.

Am liebsten wäre ich ihr nachgerannt… jetzt stand ich hier ganz allein.

Welchen Jungen sollte sie denn holen? Etwa Kyusuke??

„Warum bin ich denn hier?“ Anstrengend versuchte ich meiner Stimme einen ruhigen Klang zu geben doch es gelang mir nicht.

Sie vibrierte nervös.

„Ich möchte dir Jemanden vorstellen, Suzuna.“ Die alte Frau deutete verbindlich nach rechts und als ich ihrem Zeichen folgte registrierte ich jetzt erst, dass vier Personen auf der Besuchercouch in diesem Zimmer saßen.

Meine Augen weiteten sich in Unglauben.

„Darf ich dir vorstellen? Einmal das Ehepaar Fuma; Matiyko und Tatahiko…“

„Frau und Herr Yakamura?!“ Rief ich mehr als erstaunt und unterbrach dadurch unhöflicher weise die Leiterin sodass diese mir einen mahnenden Seitenblick schenkte und ich den Anstand hatte rot zu werden.

„Entschuldigung…“ Murmelte ich neckisch und streckte ihr versöhnlich die Zunge heraus sodass ich ein unterdrücktes Kichern von den vier Besuchern hörte.

„Nun ja, dass ist unsere Suzuna.“ Die Leiterin seufzte kurz bevor sie die beiden Ehepaare anlächelte. „Sie ist eines unserer ganz besonders Mädchen. - Frech, abenteuerlustig und hört nie auf das, was ihr gesagt wird. Sie hat uns schon oft in den Wahnsinn getrieben.

„Stets zu Diensten.“ Rutschte es mir nun abermals ungewollt heraus sodass die beiden Frauen sich geziemt die Hand vor den Mund hielten während die Männern mit leicht zuckenden Mundwinkel kicherten.

„Suzuna, bitte…!“ Die Leiterin schickte mir mehr als einen verzweifelten Blick sodass ich die Lippen zusammen presste und geziemt gen Boden sah.

Ich und meine große Klappe…!

„Es freut uns sehr, dich kennen zulernen, Suzuna.“ Sprach nun Frau Fuma - Matiyko - sie hatte ein überaus liebes Lächeln und halblange braune Haare.

Ihre Iriden waren ebenso braun wie die von Eri Yakamura.

„Gleichfalls, Frau Fuma.“ Gab ich nun höflich und wohlerzogen zurück sodass sie abwinkend grinste.

„Nicht so förmlich, nenn mich bitte Matiyko. - Kyusuke hat uns gestern viel über dich erzählt.“

„Wirklich?“ Das konnte ich gar nicht so Recht glauben doch die junge Frau nickte.

„Oh ja. Er meinte viele male, dass er uns gern habe und das er einen Versuch starten wollen damit wir eine Familie werden aber wollte dich unter keinen Umständen zurücklassen.“

„Ach das…“ Ein zaghaftes Lächeln huschte über meine Lippen. „Das ist schon in Ordnung, solange er glücklich ist, bin ich es auch.“

Ihr Mann - Tatahiko - lächelte gerührt.

„Du bist ein sehr liebes Mädchen.“

„Nur wenn ich will.“ Gab ich frech wie eh und je zurück sodass er mich einige Sekunden baff ansah bevor er gluckste.

„Und ungemein schlagfertig.“

Abermals lief ich purpurrot an während unsere Leiterin ebenso abermals seufzte.

In diesem Moment rettete mich Kamigawa-sensei, die wieder ins Zimmer trat… wie schon erwartet Kyusuke direkt hinter ihr.

Die Smaragde meines Freundes weiteten sich und er ließ einige Sekunden die kleine Versammlung auf sich wirken bevor er mich mehr als böse ansah.

„Was hast du wieder angestellt?“

„Ich?!“ Fassungslos schnappte ich nach Luft: „Gar nichts! Daran bist wohl du ganz alleine Schuld… du Lügner!“

„Was war daran gelogen? Du gehst mir wirklich auf die Nerven!“

„Das war fies und gemein… du wolltest mich bloß vertreiben!“

„Ich kann auch nichts für das Ganze, das hätte dir nur wehgetan!“

Ein höhnischer Laut entwich mir.

„Und so tut es mir nicht weh?“

Getroffen sah er mich an.

„Ich dachte…“

„Ach, du kannst denken?“

„Werde bloß nicht frech!“

„Was? Was sonst?“

„Suzu…!!“

„Du bist so blöd…!“

„Selber!“

„AUFHÖREN!!!“ Der donnernde Schrei von Kamigawa-sensei ließ uns beide zusammenfahren und verstummen.

Stumm sandten wir uns tödliche Blicke sodass uns die alte Leiterin und mehr als erbost ansah.

„Herrgott noch mal! Ihr seid doch beide Kindsköpfe! Das hier ist ein äußerst wichtiges Ereignis und wenn ihr so weiter macht, wird keiner von euch adoptiert.“

„Pf! Sollen die Fumas doch sehen, was für ein Idiot er ist.“ Gab ich frech zurück und überhörte die Bedeutung in ihrem Satz.

„Sicherlich und die Yakamuras sehen, was für ein ungezogenes Gör sie sich mit dir aufhalsen.“

„Ungezogen? Nur weil ich meinen Standpunkt vertrete? Immerhin hat Kyusuke mich angelogen, er…“ Abrupt hielt ich in meiner hoch lodernden Wut inne und stutzte.

Langsam aber sicher sickerte die wahre Bedeutung der letzten Sätze in mein Hirn.

„M-Mich? Adoptieren?!“ Stammelte ich mehr als überrollt sodass selbst Kyusuke die Augen aufriss.

„Wie jetzt?!“

Vollkommen ratlos tauschten wir beide stumme Blicke sodass die Leiterin mehr als vergnügt schmunzelte.

„Na endlich haben wir euch beide Mal ruhig bekommen.“

Unisono bekam sie einen mehr als identischen Blick aus zwei empörten Augenpaaren von uns.

„Am besten, wir erklären euch das Ganze.“ Bot in diesem Moment Herr Yakamura mit schlichtender Stimme an, sodass Kyusuke und ich ihm unsere ungeteilte Aufmerksamkeit schenkten.

„Meine Frau und ich sind - überraschenderweise - mit den Fumas befreundet. Wir sind alte Schulkameraden.“

„Ja, wir waren in derselben Tennis-AG.“ Stimmte nun Tatahiko mit amüsierter Miene zu sodass Herr Yakamura zustimmend nickte.

„So ist es und ein ebensolcher Zufall ist es, dass wir alle keine Kinder haben.“

„Ich habe mir schon immer einen kleinen Sohn gewünscht…“ Sprach nun Matiyko und sah Kyusuke dabei mehr als liebevoll an. „… und Eri wollte immer eine Tochter.“

„Das ist zwar alles schön und gut aber es ändert trotzdem nichts an meinem Standpunkt.“ Drängte sich auf einmal mein Freund - ganz untypisch für ihn - mit entschlossener Stimme in das aufklärende Gespräch der Erwachsenen.

„Ich habe dir schon gestern gesagt, dass ich mir immer eine Familie gewünscht habe. Ich mag euch beide sehr und wenn wir die ersten Probemonate halbwegs gut über die Bühne bekommen, dann würde ich mich glücklich schätzen euren Namen anzunehmen… aber ich werde mich nicht zwanghaft wegschleifen lassen! Nicht ohne Suzu!!“

„Hör auf damit, sei nicht blöd!“ Ermahnte ich ihn nun mehr als sauer darüber, dass er sich so eine Chance entgehen lassen wollte.

Ich hatte ein mehr als gutes Menschengespür und solch warmherzige Menschen wie die Fumas würde er vielleicht nie wieder treffen.

„Ich bin nicht blöde… aber ich lasse dich nicht zurück!“ Mehr als trotzig sah er mich an und seine hellen Iriden wurden merklich dunkler. „Ich habe dir damals ein Versprechen gegeben… ich lass dich nicht alleine!“

„Vergiss dieses blöde Versprechen, deine Zukunft ist viel wichtiger!“

„Nicht so wichtig wie du! Ich will mit dir zusammen bleiben!“

Sprachlos sah ich ihn an und spürte, wie mir leichte röte in die Wangen schoss.

Auch Kyusuke wurde leicht verlegen und senkte scheu seinen Blick gen Boden.

„Egal was du sagst oder tust, ich lasse dich nicht allein. Ich hab dich lieb.“ Wisperte er nun ganz leise - kaum verständlich - doch ich hatte es ganz genau gehört.

„Oh… Oh, Kyu…“ Heiße Tränen schossen mir in die Augen und ich presste mich unterdrückt schluchzend in seine Arme.

„Oh… du bist so niedlich!“

„Ist ja schon gut.“ Murrte er nun hochrot wie eine Tomate und versuchte sich von mir wegzudrücken während ich nur albern kicherte.

Das laute Schnalzen von Kamigawa-sensei ließ uns beide aus unserer kleinen, eigenen Welt wieder zurückkehren und wir registrierten erst jetzt wieder, dass sechs andere Erwachsene mit uns im Raum waren.

„Wir wissen alle, dass ihr beide unzertrennlich seid.“ Sprach nun die Leiterin und bedachte uns mit einem warmen Blick. „Genau dasselbe, haben wir den beiden Ehepaaren erzählt die hier vor euch sitzen und bevor ihr euch unnötig aufregt oder euch um den Hals fallt solltet ihr endlich richtig zuhören. - Bitte, Herr Yakamura, fahren Sie doch fort.“ Wandte sie sich nun an den jungen Mann sodass dieser nickend weiter sprach:

„Wie gesagt, Matiyko wünschte sich immer einen Sohn und meine liebe Frau eine Tochter. - Der Zufall will es weiterhin, dass wir nur ein knappes Viertel weiter ein Haus bewohnen - in Ueno - und ihr könntet zusammen in die benachbarte Grund-, Mittel-, und Oberstufe gehen. Wäre das nicht was?“

Meine Augen weiteten sich in Unglauben und auch Kyusuke musste erst einmal das Gesagte verdauen.

Zählte man eins und ein zusammen, dann hieße das…

„Sie wollen mich wirklich adoptieren?“ Keuchte ich nun fassungslos, sodass Herr Yakamura lächelnd nickte und auch seine Frau mich warm ansah.

„Warum so überrascht, Suzuna? Du hast uns gestern beide sehr beeindruckt.“

„I-Ich habe ihn doch nur einen kleinen Gefallen getan.“ Wandte ich nun ausweichend ein sodass Eri leicht den Kopf schüttelte.

„Oh nein, viel mehr als das… Wir haben gestern dieses Waisenhaus aufgesucht, da wir Matiyko und Tatahiko helfen wollten einen geeigneten Sohn für sie zu finden doch stattdessen, haben wir ein wunderbares Mädchen für uns gefunden.“

Mehr als sprachlos sah ich die beiden an und wusste nicht ob ich mich freuen oder heulen sollte.

Ich konnte es nicht glauben. Ein Hacken… da musst es doch einen Hacken geben!

Kein vernünftiges Ehepaar würde so etwas wie mich adoptieren.

„Ist das nicht toll, Suzu?!“ Rief Kyusuke begeistert und ich war mir sicher, dass ich seine Smaragde noch nie so strahlend gesehen hatte. „Jetzt können wir immer zusammen bleiben!“

„Ich will nicht.“ Wisperte ich nun biestig sodass er erschrocken stutzte.

„Was…?“

„Ich will das nicht!“ Meine rechte Hand ballte sich zu einer zitternden Faust und aus blitzenden Saphiren da ich hoch zu den Yakamuras.

„Ich will nicht, dass sie mich aus Mitleid adoptieren… nein! Sie tun das doch nur, um den Fumas einen Gefallen zu tun, da Kyusuke ohne mich niemals das Waisenhaus verlassen würde! In Wahrheit, wollen Sie mich doch gar nicht haben!“

„Suzuna… hüte einmal deine freche Zunge!“ Herrschte mich die Leiterin mehr als unhöflich an, doch ich dachte gar nicht daran.

Zu sehr hatte ich mich schon in Rage geredet.

„Sie wollen mich doch gar nicht als Tochter haben aber das kann ich schon verstehen. Wer will schon so etwas wie mich als Kind haben? - Das gibt böses Gerede in der Nachbarschaft und Sie würden sich nur für mich schämen. - Sie müssen mich nicht nehmen, wenn Sie mich nicht wollen…“ Meine aufgebrachte Stimme war zum Ende her immer leiser geworden, beinahe lautlos und ich konnte nicht verhindern, dass mir nun stumme Tränen die Wangen hinunterliefen.

Schamvoll senkte ich den Blick gen Boden.

Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so wertlos gefüllt wie in diesem Moment.

Aus den Augenwinkeln sah ich den mehr als erschütterten Gesichtsausdruck von Kyusuke während ich mich schon darauf einstellte von Herrn Yakamura für meine Frechheit ausgeschimpft zu werden.

Stattdessen jedoch vernahm ich nur, wie der junge Mann sich von seinem Sitzplatz erhob und mit festen Schritten auf mich zukam.

Scheu hob ich den Blick als er sich zu mir nach hinten kniete und sacht seine Hand unter mein Kinn drückte sodass ich ihn ansehen musste.

Kein böses oder mitleidvolles Gesicht sah mir entgegen sondern eine Mimik voller Wärme und Verständnis.

„Tränen passen gar nicht zu dir.“ Murmelte er nun lächelnd und zog aus seiner Hosentasche ein Stofftaschentuch mit dem er mir behutsam die salzigen Spuren von den Wangen wischte.

Klar und wahrheitsgemäß blickte er mir ins Gesicht.

„Woher hast du nur solch erstaunliche Augen?“

„M-Meine Mutter hat sie mir gegeben.“ Gab ich nun leise schniefend zurück sodass er amüsiert die Lippen verzog.

„Wie großzügig von ihr. - Und was mag dir armes Ding nur alles Schreckliches zugestoßen sein, dass du wirklich der Annahme bist, dass Niemand dich haben will. Dabei bist du doch so ein süßes, liebenswertes Mädchen.“

Fassungslos sah ich ihn an und wusste nichts darauf zu sagen.

Nur eines hörte ich aus seinen gesagten Worten: Die reine Wahrheit.

„Suzuna… wir wollen dich natürlich zu nichts drängen.“ Sprach nun Eri die mittlerweile neben ihren Mann getreten war. „Aber wir würden dich wirklich gerne mit uns nehmen. Wir sind nämlich der festen Überzeugung, dass du die Tochter bist die wir uns immer gewünscht haben und das hat nichts mit Mitleid zu tun, sondern mit wahrer Zuneigung. - Schon als du mich das erste Mal ansprachst wusste ich, dass ich hier einen ganz besonderen Menschen vor mir habe.“

Schwer schluckte ich um aufkommende Tränen zu unterdrücken.

Jedoch diesmal vor Freude.

Ich war die Tochter die sich die beiden immer gewünscht hatten?

Ich war etwas Besonderes?

Das konnte ich kaum glauben, nur schwer verstehen aber die Worte fühlten sich gut an.

Warm, geborgen, beschützt…

Und genauso war die Umarmung in die Eri mich zog, als sie sich einfach zu mir nach unten kniete und in ihre Arme schloss.

Reflexartig versteifte ich mich kurz, da ich an solch eine Nähe nicht gewohnt war, doch dann atmete ich ihren lieblichen Duft - es war irgendeine Blume - ein und krallte mich in den Stoff ihrer Arme.

„Meine Kleine… komm mit uns nach hause.“ Flüsterte sie sodass ich stumm nickte und wieder anfing zu weinen.

Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich Freudentränen vergoss.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Am nächsten Morgen war es dann soweit und mein Freund und ich standen mit unserem wenigen gepackten Habseligkeiten vor dem geöffneten Tor des Waisenhauses während die Leiterin und Kamigawa-sensei sich von unseren neuen Eltern verabschiedeten.

„Viel Glück Ihnen beiden.“ Kam es herzlich von der alten Rektorin sodass Matiyko positiv nickte und Eri ehrlich zurückgab: „Wir werden das schon hinbekommen.“

„Suzuna… gehe bitte nicht soweit auf die Straße!“ Rief mir Kamigawa-sensei nach als ich mich sichtbar vom offenen Tor entfernte und die Nebenstraße neugierig in Augenschein nahm.

„Ich schnuppe nur Freiluft nach 4 endlosen Jahren der Gefangenschaft.“ Stichelte ich frech wie eh und je zurück, sodass die Erzieherin halb erbost, halb amüsiert die Augen verdrehte.

„Ich hoffe Sie wissen, was Sie sich mit unserer Suzuna aufhalsen?“ Wandte sie sich nun eher scherzend als ernst an Shinji - Herrn Yakamura - sodass dieser ebenso gespielt ernst nickte.

„Wir werden es schon überstehen.“

„Hey, das hab ich gehört!“ Empört blitzte ich die beiden Lästermäuler an sodass diese sich lachende Blicke zuwarfen und ich ebenso lächeln musste.

Tat das gut!

Ich war frei… ich hatte eine Familie und Kyusuke war bei mir!

Fröhlich hopsend lief ich zurück zu meinem Freund der artig auf seinem verschlossenen Koffer saß und darauf wartete, dass die Erwachsenen fertig geplaudert hatten.

„Jetzt wird alles viel, viel besser.“ Summte ich fröhlich und ließ mich einfach neben ihn fallen, sodass er etwas rückte um Platz zu machen.

Zustimmend nickte er und warf mir einen sanften Seitenblick zu.

„Freust du dich, dass wir zusammen bleiben?“

„Was? Natürlich!“ Ich musste lachen aufgrund seiner kleinen Angst in der Tonlage.

Ich wüsste doch gar nicht, wie ich ohne ihn sein konnte aber das würde ich ihm nicht auf die Nase binden, sonst würde er noch eingebildet werden.

„Ich hab dich auch lieb.“ Sprach ich nun ganz frei, da er diese Tatsache ja auch gestern erst zugegeben hatte und lehnte mich mit dem Kopf an seine Schulter sodass er wieder leicht rote Wangen bekam, jedoch diesmal nicht zurückwich.

Stattdessen griff er mit leicht zitternder Hand nach meiner die auf seinem Knie lag.

„Ich will immer bei dir bleiben, Suzu.“

„Ich auch bei dir, Kyu.“

Mehr als entspannt schloss ich die Augen und ließ mir die herbstliche Brise um die Nase wehen während ich zum ersten Mal seit über 4 Jahren daran glaubte, dass alles wieder gut werden würde…



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Yuuka_Ayana
2008-05-28T17:46:33+00:00 28.05.2008 19:46
Muss ich mich anschließen ich hab auch nich viel zeit lust etc und vor allem tut es mir leid dass ich es jetzt erst schaffe zu schreiben aber prüfungen und diese Büffele mein Kopf raucht sowieso schon!
Da tut es mir leid dass ich kaum etwas sagen kann außer das es wieder mal sehr schön war (wenn auch sehr lang)allerdings ist mir der Satz hier aufgefallen:
Stumm - ohne einen Abschiedsbrief - schwang ich mich wieder durch das Fenster und schritt mit geknickter Miene zurück zu der Öffnung meines Schlupflochs.
Abschiedsbrief? XD soll sie noch extra ein Brief schrieben mitten in der Nacht wenn sie aus dem Jungenschlafsaal verschwindet?
Hab mich irgendwie gewundert
Ansonsten kann man sagen wieder typisches Suzu/Kyo verhalten mit ihren Zankereien XD immer wieder lustig
Bis zum nächsten
lg
Yuuka
Von: abgemeldet
2008-05-26T17:45:35+00:00 26.05.2008 19:45
Heho erstmal^^,
So also zu dem Kapitel kann ich nur sagen, es ist echt schön geworden, und richtig "romantisch" xD.... Das es etwas länger geworden ist ist nicht schlimm (Deine GB Einträge sind es ja auch xDDD *knuff*). Es tut richtig gut mal wieder was von dir zu lesen, nachdem ich jetzt 4 Tage, nur englische U-Bahn Schilder gelesen habe xD... also Schatz mach weiter so...
Hab dich ganz dolle lieb *küsschen und Knuddel* dein Tori =)
~<Subway>~

Von:  Nochnoi
2008-05-26T11:36:20+00:00 26.05.2008 13:36
*auf karmas kommi schiel*
Was soll ich da noch großartig sagen?

Na ja, ich sitze hier krank zu Hause und wollte eigentlich nur mal kurz reingucken, aber als ich erstmal mit dem Lesen angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören :)
Sie sind wirklich putzig zusammen! Wie Kyu immer rot wurde, wenn Suzu ihm zu nahe kam, war echt goldig! ^.^ Und auch das Gespräch mit der Erzieherin hat mir sehr gut gefallen.
Nun kann man meiner Meinung nach noch viel besser diese innige Beziehung zwischen Suzuna und Kyusuke verstehen. Schon damals waren sie ein Herz und eine Seele, wirklich süß >.< Kyu hat sein persönliches Glück zurückgestellt, um für Suzu da sein zu können, und das ändert sich in all den Jahren ja kein bisschen.

Auf jeden Fall wirklich sehr schön, es hat mich zumindest für kurze Zeit von dieser dämlichen Erkältung abgelenkt!
Ich hoffe noch auf viel mehr ^.^

Liebe Grüße
Nochnoi
Von: Karma
2008-05-23T13:17:18+00:00 23.05.2008 15:17
Juchu, Erste!
*freu*

*in Tränen ausbrech*
*flenn*
*gar nicht mehr aufhören kann*
Das war ja sooooooooo süß!!!
Echt, der Spoiler hat mich wirklich nicht auf DAS vorbereitet.
*immer noch heul*
*mich gar nicht mehr einkrieg*
*schluchz*
*schnief*
*plärr*
Sorry, hatte ne beschissene Nacht und bin heute noch näher am Wasser gebaut als sonst. Aber egal. Auch, wenn es nicht so wäre, hätte ich garantiert bei dem Kapitel geheult. Konnte teilweise die Worte vor Tränen kaum lesen. Das war sooooooo niedlich!! Und ich kann dem nur zustimmen, Kyu und Suzu sind zusammen wirklich putzig.
*__*

*schniefend von dannen schleich*
*großen Lobkeks holen geh*
*hinleg*
*heulend und tropfend von dannen zuckel*

Bis zum nächsten Mal!

Karma


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