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Feuervogel

Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt
von

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Zukunftspläne und Rettungsabsichten

Der Priester hatte sich sowohl die Sicht des stiernackigen Mannes als auch des Schreibers angehört und wusste inzwischen auch, was es mit der Anwesenheit Seths auf sich hatte. Er sorgte dafür dass der Schreiber seine gerechte Strafe erhielt und der stiernackige Mann beruhigt nach Hause gehen konnte, in dem Wissen, dass seine Bitte bezüglich seines Sohnes erfüllt werden würde. Sobald die anderen beiden Männer verschwunden waren, wandte sich der Priester, der sich Seth als Sechemib vorgestellt hatte, an den Jungen und erkundigte sich freundlich wie Seth an so etwas Seltenes wie einen Benu gelangt sei und ihn gezähmt habe. Doch Seth gab nur eine sehr ausweichende Antwort, besorgt der Priester könnte ihm Merenseth wegnehmen wollen. Sechemib war ein kluger Mann, der die Vorbehalte des Jungen erahnte und daraufhin das Thema wechselte.
 

„Es ist äußerst ungewöhnlich, dass ein Junge in deinem Alter bereits so bewandert in der Schrift ist. Für gewöhnlich fangen die meisten in dieser Zeit erst an, sich mit ihr überhaupt vertraut zu machen. - Hast du schon darüber nachgedacht, was für eine Ausbildung du machen möchtest oder wirst du das Handwerk deines Vaters übernehmen?“ Seth schüttelte den Kopf, „darüber habe ich noch nicht nachgedacht, ich bin noch dabei mich umzusehen“, erwiderte er ruhig und entlockte dem Priester damit ein Lächeln. „Falls du dich entscheiden solltest, ein Priester zu werden, komm zu mir. Ich werde dir helfen dein Ziel zu erreichen.“
 

„Warum solltet du so etwas tun wollen?“, erkundigte sich Seth mit neugieriger Skepsis und erhielt die Antwort: „Du scheinst außergewöhnlich klug zu sein und hast in deiner Begleitung einen Benu, das Ba des Osiris, den Gefährten des Re und Boten der Götter. Es wäre sicher nicht klug von mir einem Jungen, der auf diese Weise von den Göttern auserwählt wurde, meine Hilfe zu verweigern. Amun muss Großes mit dir vorhaben.“ Seths Augen hatten sich bei diesem unerwarteten Lobpreis seiner Person leicht verengt, während er den Priester misstrauisch betrachtete. Er kam jedoch nicht dahinter, warum dieser ihm dermaßen schmeichelte und erwiderte deshalb lediglich zurückhaltend: „Ich werde es mir merken.“ Dann erhob er sich und erklärte, dass er seine Reise fortsetzen wolle. Sechemib nickte daraufhin verstehend, erhob sich ebenfalls und fragte: „Brauchst du noch irgendetwas bevor du aufbrichst?“
 

Seth hatte bereits angesetzt diese Frage zu verneinen, als er sich anders besann und erwiderte, dass er noch Proviant benötigte und auch bereit sei dafür zu arbeiten. Doch der Priester wehrte ab, das sei nicht nötig, Seth solle sich nur einen Augenblick gedulden, er würde ihm alles Nötige besorgen. Der Junge nickte dankend und setzte sich wieder, während der Priester zurück in das Werwaltungsgebäude ging. Kaum war er verschwunden und Seth sicher mit seinem Benu allein zu sein, wandte er sich an den Vogel und wollte wissen: „Was hältst du von seinem Angebot, Meren?“ Sobald sich der Vogel in seine menschliche Gestalt verwandelt hatte, erwiderte das Mädchen ruhig: „Er weiß mehr, als er zugibt. Aber wenn du sein Angebot annehmen willst, solltest du es tun. Ich glaube nicht, dass er dir schaden will.“ „Aber sicher weißt du es nicht“, stellte Seth fest und Merenseth schüttelte den Kopf. „Hm“, brummte Seth daraufhin und schwieg einen winzigen Augenblick, bevor er sich erkundigte: „Was, glaubst du, verbirgt er vor uns?“ Wieder schüttelte das Vogelmädchen den Kopf und erwiderte: „Ich weiß es wirklich nicht. Aber es lässt sich herausfinden, wenn du willst.“ Seth jedoch winkte ab, so wichtig war ihm die Sache nicht, zumal er nicht glaubte, den Priester je wiederzusehen.
 

Als sie Schritte hörten, die ankündigten dass Sechemib anscheinend zurückkehrte, verwandelte sich Merenseth wieder in ihre Vogelgestalt, damit der Priester nichts erfuhr, was er nicht zu wissen brauchte.
 

Nachdem Sechemib den Jungen großzügig mit Proviant und Wasser versorgt hatte, verabschiedete sich Seth von ihm und flog auf seinem Benu davon.

Nachdenklich sah der Priester den Beiden nach. Es gab unter den Hohepriestern des Amun einen Mann, der nicht nur der Bruder des Herrn der zwei Länder und dessen engster Berater war, sondern der ebenfalls Tjt war, das Oberhaupt der Priesterschaft. Dieser Mann hatte sich durch die Erhebung Amuns zum Staatsgott wachsenden Einfluss verschafft, war ein strenger Mann und ein mit allen Wassern gewaschener Politiker. Es gab Gerüchte, die besagten dass der Tjt Frau und Kind für seine Karriere verlassen hatte, allein in die Pharaonenstadt zu seinem Bruder geeilt war, als dieser von Feinden umzingelt schien und sich ganz dem Dienst an seinem Bruder verschrieben hatte.
 

Sechemib hatte durch Zufall herausgefunden, dass zumindest ein Teil dieser Gerüchte der Wahrheit entsprechen musste. Er war vor einiger Zeit Zeuge geworden, wie der Tjt durch einen Boten das Bild eines schmalen, braunhaarigen Jungen mit wachen, blauen Augen erhalten hatte, das er mit unverkennbarem Stolz im Blick immer wieder betrachtet hatte. Erst als Sechemib sich mit höflicher Neugier erkundigte, wer der Junge auf dem Bild sei, hatte der Tjt unwillig aufgesehen und das Bild von einem Diener in seine Räume bringen lassen, während er auf die Frage lediglich kurz angebunden „niemand“ erwidert hatte.
 

Dieses Bild nun hatte erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Jungen, der heute mit seinem Benu bei Sechemib gewesen war. Vielleicht hätte er klug daran getan, den Jungen aufzuhalten und ihn unter irgendeinem Vorwand dem Tjt vorzustellen. Aber ein Instinkt hatte ihm geraten, sich noch zurückzuhalten, zu warten bis sich eine bessere Gelegenheit bot, auch wenn Sechemib nicht wusste, wann sich diese Gelegenheit bieten und wie sie aussehen würde. Er vertraute jedoch auf sein angeborenes Glück, wie der Tjt auf seinen Verstand und Seth auf seinen Benu. Mit einem Lächeln und auf dem Rücken verschränkten Händen, wandte sich der Priester ab und verließ den Garten. Seine Zeit würde kommen, bis dahin hieß es warten, sich vorbereiten und mit dem zufrieden sein, was er hatte.
 

Seth ahnte nichts von den Gedankengängen des Priesters, während er auf dem Rücken seines Benus weiter Richtung Hatti flog. Auf ihrem Weg legten sie keine weiteren, nennenswerten Pausen ein, Seth aß und schlief auf dem Vogelrücken, während Merenseth mit stetem Flügelschlag beständig die Entfernung zwischen ihnen und ihrem Ziel verkürzte.
 

Als sie schließlich die Hauptstadt Hattis erreichten, ging gerade die Sonne über der Stadt auf. Von dem langen, kräftezehrenden Flug ermüdet, landete Merenseth kurzerhand in dem ersten Baum bestandenen Garten, der ihr ins Auge fiel. Kaum war Seth von ihrem Rücken geklettert, schrumpfte der Vogel auf seine normale Größe zusammen und rollte sich unter dem nächsten Baum zum Schlafen zusammen, den Kopf unter einem Flügel verbergend und keinen Gedanken an mögliche Gefahren oder die Schönheit der Umgebung verschwendend. Seth hingegen war hellwach und ausgeruht und machte sich neugierig daran herauszufinden, wo genau sie gelandet waren, indem er begann durch den Garten zu streifen.
 

Nach dessen Größe und Schönheit zu schließen, musste er jemandem gehören, der sehr wohlhabend war, denn soviel Üppigkeit, Farbenpracht und Weite gab es in Kemet wohl nur in den Gärten des königlichen Palastes. Auf seinem Streifzug durch dieses Wunderwerk eines Gartens, gelangte Seth schließlich zu einem Pavillon in dem neben Tisch und Sitzgelegenheiten auch ein großer Käfig stand. In diesem hockte auf einer Stange ein unglücklich wirkender, fröhlich bunter Vogel, der heiser krächzte als Seth sich dem Käfig neugierig näherte und den Jungen aus trüben, schwarzen Augen betrachtete. Eine Weile sah Seth sich den unbekannten Vogel in seinem Gefängnis nur still an, dann trat er plötzlich entschlossen an die Käfigtür heran und öffnete die einfache Verriegelung. Anschließend hielt er dem Vogel auffordernd seinen Arm hin, so wie er sonst bei Merenseth zu tun pflegte, und wartete geduldig darauf, dass der schillernd bunte Vogel es dem Benu gleichtat und sich auf seinen Arm setzen würde. Als der Vogel jedoch keinerlei Anstalten machte sich auf Seths Arm zu setzen, schob der Junge entschlossen seine Finger unter die Zehen des Vogels, bis diese sich im Reflex darum schlossen und hob das Tier anschließend aus seinem Gefängnis heraus. Den Vogel an den Füßen festhaltend, während der auf den Fingern seines Retters hockte, lief Seth durch den Garten auf der Suche nach einer passenden Stelle, von der aus er den Vogel in die Freiheit entlassen konnte. Doch auch als er eine Stelle gefunden hatte, von der er glaubte, dass sie geeignet sei, weil das Blau und die Weite des Himmels einfach jeden Vogel zum Fliegen verlocken mussten, blieb das Tier mit dumpfer Ruhe auf seiner Hand sitzen und rührte sich nicht. Selbst als Seth auffordernd mit der Hand, auf der der Vogel saß, in die Höhe ruckte, machte dieser keine Anstalten davon zu fliegen. Stattdessen sah er Seth lediglich leicht verwundert an, als hätte er keine Ahnung was dieser von ihm wollte. Ungehalten runzelte Seth die Stirn und erklärte dem Vogel: „Fliegen sollst du! Dafür bist du schließlich gemacht. Schau mich nicht so an, sondern versuch es gefälligst, sonst bring ich dich zurück in deinen Käfig!“ Doch bei dem Vogel auf seiner Hand handelte es sich nun einmal nicht um seinen klugen Benu, sondern um ein in Gefangenschaft aufgewachsenes Tier, dass nichts anderes als die kleine Welt seines Käfigs, umgeben von Gitterstäben kannte. Frustriert wollte Seth schließlich aufgeben und den Vogel zurück in seinen Käfig bringen, als dieser versuchsweise mit den Flügeln schlug. Mit neuerwachter Hoffnung blieb Seth stehen und wartete darauf, ob das Tier vielleicht doch noch losfliegen würde. Aber weitgefehlt, offenbar hatte es nur einmal kurz seine Flügel auslüften wollen, denn nun saß er wieder still auf der Hand und starrte stumpf ins Leere.
 

Plötzlich waren entfernt aufgeregte Frauenstimmen zu vernehmen, denen sich bald zwei tiefere Männerstimmen zugesellten, während sich im Garten begann nervöse Unruhe zu verbreiten. Offenbar hatte jemand entdeckt, dass der Vogel nicht mehr da war, wo er hin gehörte und man hatte eine gründliche Suche sowohl nach dem Tier als auch nach dessen Dieb angesetzt. Seth fluchte leise, das hatte ihm noch gefehlt, was sollte er jetzt nur tun? Den Vogel einfach zurückbringen ging nicht, wie hätte er seine Anwesenheit in dem von einer hohen Mauer umgebenen Garten erklären sollen, wie eine vernünftige Begründung dafür angeben sollen, warum er den Vogel aus seinem Käfig genommen hatte? Für einen Moment ratlos, was er tun sollte, sah Seth sich nach einem Baum um, auf dessen Zweig er den Vogel absetzen und sich anschließend aus dem Staub machen konnte. Doch schon im nächsten Moment kam ihm das vollkommen falsch vor, obwohl die Idee mit einem Baum gar nicht so schlecht war. Nach kurzem suchen, fand er was er brauchte: einen Baum, der auch mit nur einer Hand für ihn zu erklettern war. Eilig machte Seth sich an den Aufstieg, durch den noch immer auf seiner Hand sitzenden Vogel etwas ungeschickter als im Normalfall. Als er schließlich im Wipfel des Baumes angekommen war, streckte er erneut den Arm aus, auf dem der Vogel saß, um ihn so aufzufordern endlich loszufliegen. Dieser sah sich zunächst einmal in aller Gemütsruhe die Aussicht an, ohne einen Sinn dafür zu haben, dass im Garten selbst die Häscher nach ihnen auf der Suche waren.
 

Seth würde nie erfahren, warum der Vogel sich plötzlich eines Besseren besonnen und die Flügel ausgebreitet hatte, im nächsten Moment mit elegantem Schwung in den Himmel hinauf und davon geflogen war. Es war auch nicht wichtig. Wichtig war einzig, dass er sich getraut hatte zu fliegen und weder er noch Seth von den ausgesandten Häschern erwischt wurden. Dass hieß, noch war Seth den im Garten befindlichen Fängern nicht in die Hände geraten und er sollte zusehen, dass das so blieb. Auf dem Rückweg zu Merenseth, wollte er nicht mehr unbekannte Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen, als unbedingt nötig.
 

Es war schwierig, den Häschern immer wieder rechtzeitig auszuweichen, bevor sie ihn bemerken konnten, denn es schienen immer mehr zu werden, die den Garten absuchten. Nachdem Seth unzählige Haken geschlagen, mehrmals im letzten Moment hinter Büschen oder auf Bäumen verschwunden war, sich einige Male verirrt hatte und nur durch unglaubliches Glück den Händen seiner Fänger entgangen war, gelangte er schließlich zu dem Baum, von dem er glaubte, Merenseth unter diesem zurückgelassen zu haben. Nur, da war keine Merenseth. Auch nicht die kleinste, orangefarbene Feder verriet, ob er tatsächlich den richtigen Baum gefunden oder ob er sich nur neuerlich verirrt hatte.
 

Seth hätte in diesem Moment gern vor Frustration gegen einen Baumstamm getreten, aber dazu blieb ihm keine Zeit, denn hinter ihm ertönte plötzlich eine dröhnende Stimme, die erklärte: „Hab ich dich endlich, du Dieb! Was fällt dir ein, in den Garten der Tawananna einzudringen? Darauf steht der Tod, weißt du das nicht?“

Seths Gedanken in diesem Moment ließen sich wohl am ehesten so zusammenfassen: Verdammte Eselskacke! Er hielt sich jedoch nicht lange mit solchen Überlegungen auf, sondern beeilte sich seinem Verfolger irgendwie zu entkommen und floh flink wie der Hase vor dem Fuchs in die grünen Schatten des Gartens, während er hoffte doch noch Merenseth zu finden.
 

Seine Hoffnung erwies sich jedoch als vergeblich, stattdessen wurde er immer mehr von der großen Zahl der Häscher umringt und in die Enge getrieben. Auf seiner wilden Flucht gelangte er schließlich an die hohe Mauer des Gartens und war davon überzeugt, dass es nun mit ihm vorbei wäre. Vor ihm die Mauer, hinter ihm die Häscher, die ihn aufs Schafott bringen wollten und kein Benu weit und breit, der ihn unbeschadet aus dem Garten hinaustragen würde.
 

Plötzlich traf ihn etwas Kleines, Hartes am Kopf, während gleichzeitig ein flüsternde Jungenstimme erklang, die sagte: „Hey du, hör auf dir die Beine in den Bauch zu stehen und beeil dich, sonst kriegen sie dich doch noch.“ Verärgert sah Seth die Mauer hinauf, in die Richtung aus der die Stimme kam. Wofür hielt sich der Eigentümer der Stimme eigentlich? Glaubte er tatsächlich, Seth wollte gefangen und getötet werden? Aber ohne Benu war es ihm nun einmal unmöglich zu fliegen und keiner der Bäume stand nah genug an der Mauer, als dass er über einen von ihnen den Garten hätte verlassen können. Das schien auch der Unbekannte zu wissen, denn genau in diesem Moment entrollte sich von der Mauerkrone herab eine einfache Strickleiter und die Stimme erklärte wieder: „Beeil dich und kletter rauf, sie sind gleich hier.“ Auch Seth konnte sie bereits hören und so ergriff er schleunigst die angebotene Leiter und kletterte geschickt wie ein Affe die Mauer hinauf, auf diese Weise knapp den Händen seiner Häscher entgehend. Auf der Mauerkrone angekommen, entdeckte er einen kleinen, mageren Jungen von sechs oder sieben Jahren mit zerzausten blauschwarzen Haaren, in verschlissener, schmutziger Tunika, der mit geübten Griffen die Leiter einzog, sie auf der anderen Seite wieder herunterließ und sich eilig an den Abstieg machte, Seth auffordernd ihm zu folgen. Bevor dieser genau das tat, warf er noch einen letzten, suchenden Blick über den Garten, ohne jedoch seinen Benu entdecken zu können. Mit dem festen Entschluss zurückzukommen und Merenseth wiederzufinden, sobald er selbst nicht mehr verfolgt wurde, stieg auch Seth schließlich die Leiter herab und rannte so schnell ihn seine Beine trugen dem sich bereits entfernenden Jungen hinterher in das Gewirr der Gassen von Hattuscha.
 


 

Marginalie am Schluß

Tawananna = hethititsche Großkönigin



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