Zum Inhalt der Seite

Feuervogel

Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Erwachen

Seth merkte schnell, dass es so leicht wie gedacht nicht war, Isfet zu bekämpfen. Zunächst machte ihm und Merenseth das Feuer zu schaffen, das es durch seine Hitze schier unmöglich machte, wirklich nah an das Dorf heranzukommen. Also drehten die Beiden nach kurzer Zeit erst einmal wieder ab, nahmen ein gründliches Bad im Nil und versuchten erneut ins Dorf zu gelangen, um zu sehen ob sie noch irgendjemanden retten konnten.
 

Als sie dieses Mal auf das Dorf zuflogen, sahen sie etwas, das ihnen bei ihrem ersten Versuch völlig entgangen war: Eine kleine Gruppe von fünf, sechs Männern ritt in gebührendem Abstand um das Dorf herum und ermordete johlend alles und jeden, der versuchte den Flammen zu entkommen. Zorn kochte in Seth hoch und er befahl Merenseth die Richtung zu ändern, statt in das Dorf, direkt auf diese hinterhältigen Meuchelmörder zu zufliegen, um sie ebenso zu verjagen, wie sie es mit den Männern in der Wüste getan hatten. Anders als jene rannten diese jedoch nicht fort, sondern warteten mit einem irren Flackern in den Augen das Herannahen des Vogels ab, die wenigen Menschen, die noch versuchten zu flüchten mit einem Mal völlig ignorierend.
 

Kaum war der Benu nah genug an sie heran gekommen, zielten sie mit Speeren und Pfeilen auf ihn und versuchten auf diese Weise Vogel und Reiter vom Himmel zu holen, sich dabei gegenseitig anstachelnd. Den ersten Geschoßen wich Merenseth mühelos aus, sich anschließend den Männern erneut nähernd, um sie zu vertreiben. Doch wieder versuchten die Unbekannten sie mit ihren Waffen zu treffen. Bei einem unbeteiligten Beobachter hätte das nun einsetzende, erfolglose Hin und Her des Angreifens und Zurückweichens auf beiden Seiten vermutlich den Eindruck eines grotesken Tanzes hinterlassen, ermöglichte es aber immerhin einer Handvoll von Dorfbewohnern der Flammenhölle zu entkommen, ohne anschließend von den unbekannten Männern abgeschlachtet zu werden, sodass sich die wenigen überlebenden Dörfler mit nicht mehr als dem, was sie am Leibe trugen und in den Händen halten, konnten in Sicherheit brachten.
 

Wie es genau geschehen war, konnte Seth im Nachhinein nicht sagen, selbst Sekunden später, wäre es ihm unmöglich gewesen eine Erklärung dafür zu finden. Vermutlich lag es daran, dass Merenseth begann zu ermüden, während zwischen den marodierenden Fremden überraschend ein weiterer Mann auftauchte, der bis vor kurzem nicht zu sehen gewesen war. Dieser Mann besaß eine eisige Ruhe, taxierte kurz den Vogel, ließ sich dann einen Speer geben und befahl den anderen Männern, erneut anzugreifen.
 

Wieder wich Merenseth den heran fliegenden Pfeilen und Waffen aus, noch immer bemüht die Männer in die FLucht zu jagen, während der neuhinzugekommene Fremde unbeachtet seine Position änderte, um besser angreifen zu können, schließlich seinen Speer mit erstaunlicher Kraft in Richtung des Vogels schleuderte und dieser gleich darauf Merenseth schrill aufschreien und in der Luft taumeln ließ, als der Speer sie unterhalb ihres Flügels in die Seite traf. Nur mit Mühe gelang es dem Benu an Höhe zu gewinnen, um anschließend außer Schussweite davon fliegen zu können. Doch soweit kam es gar nicht mehr.
 

Vollkommen unerwartet war plötzlich am feuerhellen Nachthimmel ein weiteres, riesiges Wesen erschienen. Ein Wesen von durchscheinendem Weiß, das entfernt an eine Echse mit Flügeln erinnerte. Ein Wesen, das so noch niemand gesehen hatte, für das es in der Welt Kemets keinen Namen gab. Dieses riesige Ungeheuer brüllte wütend auf, bevor es sich in unverhülltem Zorn auf die Mörder und Brandstifter stürzte und diese allein durch seinen Atem tötete. Doch nicht nur die fremden Männer starben.
 

Merenseth hatte bei dem unerwartet aufgetauchten Wesen für einen Wimpernschlag in ihrem Bemühen Höhe zu gewinnen innegehalten, verunsichert, ob sie Freund oder Feind vor sich hatte. Dieses winzige Zögern war ihr zum Verhängnis geworden, denn der Mann, der sie bereits mit seinem Speer getroffen hatte, hatte erneut auf sie angelegt. Dieses Mal mit Pfeil und Bogen, nachdem er sich auf ein herrenloses Pferd geschwungen, auf diesem hinter dem Vogel her galoppiert war und sich erneut in eine bessere Zielposition gebracht hatte. Der abgeschossene Pfeil traf Merenseth in der gleichen Sekunde, als sich das geflügelte, weiße Wesen auf die unbekannten Mörder stürzte. Dieses Mal schrie Merenseth nicht auf, es gelang ihr lediglich noch in einem merkwürdig verdrehten Manöver, das ihr wohl in jedem anderen Fall das Rückgrat gebrochen hätte, Seth von ihrem Rücken zu katapultieren, bevor sie in Flammen aufging und ihr Asche vom Wind in die brennenden Ruinen des Dorfes geweht wurde.
 

Seth spürte, wie die Flammen sich gierig nach ihm auszustrecken schienen, um ihn zu verschlingen und war sicher, dass er nun ebenfalls sterben würde, als er sich unerwartet an den Schultern gepackt fühlte und zwei durchsichtigweiße Klauen erkannte, die ihn festhielten und sicher von dem Inferno fort trugen. Als der Junge den Kopf nach hinten neigte, um nach oben sehen zu können, fand er seinen Verdacht bestätigt: Er war von dem unbekannten Ungeheuer gerettet worden. Im nächsten Moment senkte er den Kopf wieder nach vorn, um zu sehen, wohin das Wesen ihn trug. Mit immer größer werdendem Erstaunen erkannte er, dass es sich bei der Person, zu der er gerade getragen wurde, um das weißhaarige Mädchen handelte, das er gerettet hatte. Als er schließlich nicht sonderlich sanft neben diesem abgesetzt wurde, stellte er fest, dass sich das Mädchen in einer Art Trance zu befinden schien. Von ihren Augen war nur noch das Weiße zu sehen, während sie stocksteif und reglos mit geöffnetem Mund auf das Inferno unter sich zu starren schien und offenbar nichts mehr von dem Geschehen um sich her wahrnahm.
 

Der Zorn des geflügelten Wesens schien unterdessen noch immer nicht verraucht zu sein, denn es begann nun auch die flüchtenden Dorfbewohner anzugreifen.
 

Bei diesem Anblick rappelte Seth sich hastig auf. Er war sich nicht sicher, ob Mädchen und Ungeheuer tatsächlich in einer Beziehung zu einander standen, aber er musste zumindest versuchen zu verhindern, dass auch die letzten Dorfbewohner getötet wurden und so rüttelte er das Mädchen grob an den Schultern, um sie aus ihrem tranceartigen Zustand zu wecken und wieder zu Bewusstsein zu bringen. Es kam Seth so vor, als würde es Stunden dauern, tatsächlich vergingen nur wenige Augenblicke, bis das Mädchen aus seinem Traumzustand erwachte, sich das geflügelte Ungeheuer im gleichen Moment in einen feinen Nebel auflöste und durch den Mund des Mädchens wieder in ihrem Inneren verschwand.
 

Aus fassungslos geweiteten, blauen Augen starrte das Mädchen auf den Jungen vor sich, während sie verwirrt murmelte: „Was ist passiert?“ Seth beschränkte sich bei seiner Aufzählung auf die Fakten: „Mein Dorf wurde niedergebrannt, Merenseth ist erschossen worden und du hast deinen Dämon erweckt.“ Voller Entsetzen starrte das weißhaarige Mädchen ihn an, während es verängstigt flüsterte: „Ist jemand getötet worden?“ Angesichts dieser Frage huschte ein freudlos grimmiges Lächeln über Seths Züge. Was glaubte das Mädchen, was diesen Gestank verursachte und was das für reglose Körper überall am Boden waren? Er erwiderte jedoch letztendlich nur: „Geh jetzt besser. Wer weiß, ob die Männer aus der Oase nicht immer noch hinter dir her sind. Es wäre klüger, wenn du schleunigst nach Hause zurückkehrst.“ „Kann ich nicht irgendwie helfen?“, die Frage wurde in beinahe schon flehendem Tonfall gestellt.
 

‚Helfen’, dachte Seth mit bitterer Verachtung, es gab nichts mehr, wo noch Hilfe möglich gewesen wäre. „Nein“, erwiderte er also auf die Frage des Mädchens und fügte befehlend hinzu: „Geh jetzt!“ Mit einem traurigen Nicken fügte sich das Mädchen und ging langsam, als wäre jeder Schritt eine kaum zu erfüllende Mühsal, zu dem nicht weit entfernt stehenden Pferd. Seth sah ihr dabei zu, wie sie sich auf dessen Rücken hievte und anschließend davon ritt, während er in Gedanken mit sich selbst haderte.
 

Er hatte versagt. Er hatte Isfet bekämpfen wollen und war mühelos besiegt worden. Nicht nur das, er hatte Merenseth verloren und hatte selbst gerettet werden müssen, wo er hatte retten wollen. Er war vollkommen und unwiderruflich gescheitert. Alle seine heroisch gefassten Vorsätze, all seine Pläne und Träume hatten sich in diesen wenigen Momenten als Luftschlösser erwiesen, die sich bei dem geringsten Kontakt mit der Wirklichkeit in Nichts aufgelöst hatten; waren zusammen mit dem Dorf und dessen Bewohnern in Flammen aufgegangen. Den Preis für diese Erkenntnis hatten die Menschen, mit denen er aufgewachsen war, blutig mit ihrem Leben bezahlen müssen.
 

In plötzlichem Entsetzen, wandte sich Seth abrupt um und starrte hinunter auf das Dorf. Mit voller Wucht hatte ihn in diesem Moment die Erkenntnis getroffen, die er bisher erfolgreich verdrängt hatte: Seine Mutter, Meni und dessen Frau, was mochte aus ihnen geworden sein? Waren sie in den Flammen umgekommen oder gehörten sie zu den Wenigen, denen es gelungen war den Flammen und den fremden Mördern zu entkommen? Seth betete mit aller Inbrunst zu der er fähig war, dass letzteres der Fall war. ‚Bitte, lasst sie leben. Bitte macht, dass sie am Leben sind.’ Wie ein Mantra begannen diese Gedanken in seinem Kopf zu kreisen, während eine namenlose Angst ihm die Eingeweide zusammenzog.
 

Seth wusste nicht, wie lang er auf der Anhöhe gestanden und auf die brennenden Überreste seines alten Lebens gestarrt hatte, bevor er in der Lage war sich zu bewegen und auf die Suche nach seiner Mutter und Meni zu machen.
 

Die Flammen waren allmählich heruntergebrannt, während langsam die Sonne aufging und es versprach ein herrlicher Tag zu werden, als Seth die Reste des Dorfes umrundete, die immer noch eine Hitze abstrahlten, die das Atmen schwer machte und sich über alles die lastende Stille und der Geruch des Todes senkte.

Bei dem kleinen Grüppchen Überlebender angekommen, sah Seth in rußgeschwärzte, verschwitzte Gesichter die durch Schock und Trauer gealtert und leblos wirkten. Hörte er immer wieder die fassungslos geflüsterten, mit hilflosem Weinen gemischten Worte: „Warum? Warum haben sie uns angegriffen? Wieso hat uns niemand geholfen?“
 

Sorgfältig und gründlich prüfte Seth jedes Gesicht der Überlebenden, ob sich unter Ruß und erlebtem Grauen das vertraute Gesicht Menis oder seiner Mutter verbarg. Aber er wurde jedes Mal aufs Neue enttäuscht und auch die Frage, ob jemand die Beiden gesehen hatte, wurde stets mit einem apathisch verneinenden Kopfschütteln beantwortet.
 

Als schließlich unumstößlich feststand, dass weder seine Mutter, noch Meni und dessen Frau dem Feuer entkommen waren, fühlte Seth nichts. Was immer er erwartet hatte: Trauer, Entsetzen, Einsamkeit, Fassungslosigkeit - er fühlte es nicht. Er fühlte gar nichts. Da war nur Leere in ihm. Sprachlose, gefühllose Leere, die das Denken lähmte und nur noch eines zuließ: Laufen. Und so lief Seth. Er wusste nicht wohin er lief, es interessierte ihn auch nicht. Er wusste nicht, wie lang er lief und es war ihm egal. Nur laufen, solang ihn seine Beine trugen.
 

Irgendwann brach er vor Entkräftung zusammen, besinnungslos im heißen Wüstensand liegend, während die Sonne erbarmungslos auf ihn herab brannte. Es verging eine geraume Zeit, in der sich nichts um den leblos daliegenden Jungen regte, als die vor Hitze flimmernde Luft und die durch den Wind langsam wandernden Sandkörner. Dann jedoch fielen mit einem Mal die Schatten zweier Personen auf den Jungen im Sand, die ihn einen Moment betrachteten, bevor die kleinere und zierlichere der beiden Personen sich zu Seth hinabbeugte und diesen ansprach.
 

„Wach auf, Sohn Kemets! Deine Zeit ist noch nicht gekommen“, erklang die angenehme Stimme einer Frau, die tief bis in Seths Bewusstlosigkeit vordrang und ihn mühsam blinzeln ließ, während er an seinen Lippen plötzlich ein kühles Tongefäß spürte, aus dem ihm Wasser gereicht wurde. Sobald er getrunken und sich ein wenig erholt hatte, öffnete er die Augen und richtete sich langsam auf, um zu sehen wer ihn gefunden und angesprochen hatte. Was er sah, waren ein Mann und eine Frau ägyptischer Abstammung in kostbaren Gewändern. Er wusste wer sie waren, er hatte keine Ahnung woher oder warum, aber er wusste, dass er Seth und Nephtys vor sich hatte, den Herrn der Wüste und seine Schwestergemahlin. Für einen langen Augenblick starrte er diese Erscheinungen sprachlos an, bis es auf einmal verzweifelt aus ihm herausbrach: „Warum? Warum habt ihr das zugelassen? Warum mussten sie alle sterben?“ Seine Stimme war dabei immer schriller und lauter geworden, ohne dass sie bei den beiden Göttern sichtbaren Eindruck hinterließ.
 

„Es ist seltsam, da pochen die Menschen immer auf ihre Unabhängigkeit und Freiheit, aber wenn dann etwas Schreckliches geschieht, sind wir daran schuld. Wir sorgen dafür, dass sie über alle nötigen Voraussetzungen verfügen, um ihre Leben zu leben und alles was wir dafür erhalten sind Schuldzuweisungen und die gierige Bitte nach mehr“, stellte schließlich der Gott Seth scheinbar an seine Gemahlin gewandt, gleichmütig fest. Nephtys sah ihn darauf nur kurz verärgert an, bevor sie sich wieder an den inzwischen knieenden Jungen wandte und ihm ruhig erklärte: „Isfet wird stärker, du hast es selbst gesehen. Es wird nicht mehr lange dauern und Kemet wird im Chaos versinken, wenn nicht jemand etwas dagegen unternimmt.“ „Was ist mit Akunemkanon? Er ist der Erbe des Horus, der Beschützer der beiden Länder, warum tut er nichts gegen Isfet?“, verlangte Seth in verzweifeltem Zorn zu wissen seine Hände zu Fäusten ballend, und erhielt vom Herrn der Wüste die gelassene Antwort: „Akunemkanon ist schwach. Er glaubt zu vielen und misstraut zu wenigen, wenn die Kinder Kemets sich auf ihn verlassen, werden sie untergehen.“ „Aber irgendjemand muss doch etwas tun können“, Seths Stimme klang so flehend, wie sein Blick auf die beiden Götter gerichtet war. „Es gibt sie“, bestätigte Nephtys ruhig und fügte hinzu: „Aber noch sind sie nicht stark genug, noch wird es ihnen nicht gelingen Isfet aufzuhalten und Kemet zu bewahren.“ „Vielleicht wird es ihnen auch später nicht gelingen“, fügte der Herr der Wüste ungerührt hinzu, „dann wird Kemet untergehen. Im Gegensatz zu meinen Geschwistern, halte ich das nicht unbedingt für die schlechteste Alternative.“ Erneut verärgert sah Nephtys zu ihrem Brudergemahl auf: „Du hältst es auch nicht für eine schlechte Idee Chaos zu stiften.“ „Meine Liebe, weißt du nicht, dass nur das Chaos Raum für neue Möglichkeiten bietet?“, erwiderte der Herr der Wüste darauf mit boshafter Freundlichkeit, bevor er sich wieder an Seth wandte und dem fassungslosen Jungen vollkommen schonungslos befahl: „Hör auf dich selbst zu bemitleiden! Du hast beschlossen mir ähnlich zu werden; und bei dem ersten kleinen Hindernis, das sich dir in den Weg stellt gibst du klein bei und ziehst den Schwanz ein. Glaubst du, dass ich so jemandem meinen Namen leihe?“ Seth konnte nur den Kopf schütteln. „Dann sind wir uns einig. Wenn du für den Tod deiner Familie Gerechtigkeit oder Rache willst, dann hör auf dich in deinem Schmerz und deiner Trauer zu verkriechen, steh auf und fang an dir die Macht zu verschaffen, die du brauchst, um zu ändern, was dir nicht gefällt.“
 

Seth lächelte bitter, ein Gott hatte gut reden, er war allmächtig, stand weit über menschlichen Schwächen und selbst der Tod war für ihn nicht endgültig. Aber was sollte aus den Seelen seiner Mutter und Menis werden? Ihre Körper waren verbrannt, sie hatten keine Möglichkeit in das nächste Leben einzugehen. Plötzlich spürte Seth die sanfte Berührung einer Hand auf seiner Schulter und als er aufsah, blickte er direkt in die freundlichen, wissenden Augen Nephtys. „Mach dir keine Sorgen um deine Familie, Sohn Kemets, sie stehen unter meinem Schutz.“ Seth wusste, dass er diesen Worten vertrauen konnte und hatte mit einem Mal alle Mühe nicht in Tränen auszubrechen. Aber er musste nur an die wahrscheinliche Reaktion des Herrn der Wüste denken, der mit Sicherheit nicht erbaut davon sein würde, wenn der Träger seines Namens anfing vor ihm wie ein Baby zu weinen, und es gelang ihm die Tränen zu unterdrücken.
 

Allerdings verhinderte das nicht, dass der Gott leicht ungeduldig erklärte: „Nachdem ihr dieses Detail zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst habt, sollte der Junge sich allmählich auf den Weg machen. Es wird eine ganze Zeit in Anspruch nehmen, bis er die Pharaonenstadt erreicht hat und mit Sechemib sprechen kann.“ Mit großen Augen starrte Seth zu dem Gott auf und schien Dank der Ereignisse der vergangenen Stunden seine rasche Auffassungsgabe verloren zu haben, denn er fragte verwirrt nach: „Sechemib?“ Der Herr der Wüste seufzte ungehalten und ungeduldig, bevor er dennoch erklärte: „Sechemib, der Amunpriester, der dir Hilfe angeboten hat, falls du eines Tages eine Priesterausbildung anstreben solltest. Geh zu ihm, lass dir helfen und halte dabei Augen und Ohren offen.“ Wieder starrte Seth wortlos zu dem Gott auf, nickte jedoch schließlich lediglich zustimmend und senkte ergeben den Kopf.
 

In diesem Moment schien dem Herrn der Wüste noch eine Anweisung eingefallen zu sein, denn er erhob noch einmal die Stimme und befahl dieses Mal wieder mit gleichmütiger Gelassenheit: „Vergiss nicht deinen Benu aus den Trümmern des Dorfes zu holen, bevor du aufbrichst.“ „Aber es wird noch einige Tage dauern, bis das Feuer vollkommen erloschen ist und der Boden weit genug abgekühlt, dass du das Dorf überhaupt betreten kannst“, fügte Nephtys vorsorglich mahnend hinzu, wofür der Herr der Wüste nur ein herablassendes Lächeln übrig hatte, während er erklärte: „Meine Liebe, du vergisst, wer ich bin“, bei dieser Bemerkung vollführte der Herr der Stürme eine knappe, elegante Handbewegung und der Himmel begann sich zu verfinstern, während von fern Sturm und Unwetter begannen heranzutoben. „Ich finde, wir können ihm zumindest in dieser Hinsicht etwas behilflich sein, angesichts der Aufgabe, die er zu erfüllen hat“, fügte der Gott anschließend mit zwangloser Lässigkeit hinzu, als er den skeptischen Blick seiner Schwestergemahlin sah. Da diese von seinem Argument nicht wirklich überzeugt schien, wandte sich der Herr des Chaos erneut an Seth, Nephtys ignorierend: „Ich fand es übrigens eine amüsante Idee, der Tochter Maats den Namen ‚von Seth geliebt’ zu geben“, der Gott grinste vergnügt, „ich habe Maat lange nicht mehr so empört gesehen, wie in dem Moment, als sie davon erfahren hat. - Sie hat regelrecht Farbe bekommen.“ Dass er das offenbar als Einziger unterhaltsam fand, schien den Gott nicht weiter zu stören, während Seth sich mit dem Gedanken abzufinden versuchte, dass er anscheinend Maat mit seiner Namenswahl tödlich beleidigt hatte, während er offenbar gleichzeitig dafür auserwählt worden war Maat vor Isfet zu verteidigen. Ihm gefiel die Vorstellung, dass die Götter ihn einfach zu benutzen gedachten ebenso wenig, wie die Vorstellung die Göttin erzürnt zu haben, die die Toten beurteilte und darüber entschied, ob sie ins Jenseits eingehen durften. Aber weder an der einen noch an der anderen Tatsache ließ sich etwas ändern und so war es wohl sinnvoller sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
 

Die beiden Gottheiten unterdessen schienen alles gesagt zu haben, was ihrer Meinung nach zu sagen war, sodass sie den Jungen wieder sich selbst überlassen und in die Sphären zurückkehren wollten, aus denen sie gekommen waren. Sie wurden jedoch von der hastig hervorgebrachten Bemerkung Seths aufgehalten: „Wartet, bitte, nur noch einen Augenblick.“ „Was willst du denn noch? – Etwa einen Schutz gegen das Unwetter? Du wirst ohne auskommen müssen, den Umhang aus Kranichfedern hast du schließlich leichtfertig verschenkt“, äußerte der Herr der Stürme mit gleichmütiger Endgültigkeit in der Stimme. Worauf Seth jedoch nur den Kopf schüttelte und erwiderte: „Nein, nichts dergleichen“, und sich anschließend an Nephtys wandte: „Ich möchte dich um etwas bitten.“ Sobald die Göttin ihn freundlich aufgefordert hatte zu sprechen, erklärte Seth etwas zögernd, mit einem vorsichtigen Seitenblick auf den Herrn der Wüste: „Könntest du meiner Mutter etwas ausrichten?“ Ein aufmunterndes Nicken ließ ihn hastig fortfahren: „Sag ihr, dass es mir leid tut und dass sie sich keine Sorgen um mich machen soll, ich komme schon zurecht.“ Nachdem er diesen Satz eilig hervorgesprudelt hatte, sackten seine Schultern erleichtert herab, keiner der beiden Götter schien sein Anliegen lächerlich oder unangebracht zu finden. Der Herr der Wüste schwieg mit unbewegtem Gesicht, während Nephtys mit einem freundlichen Lächeln erneut nickte und versicherte, sie würde die Nachricht überbringen. „Danke“, war alles was Seth noch leise hervorbringen konnte, bevor die beiden Götter auch schon verschwunden waren und er allein in der endlosen, von einem heftigen Unwetter verdüsterten Wüste kniete, noch einen Moment über diese bizarre Begegnung nachdenkend. Schließlich jedoch erhob er sich und kehrte langsam zum Dorf zurück, um dort nach Merenseth zu suchen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Carcajou
2009-01-02T16:50:33+00:00 02.01.2009 17:50
Sag mal... du schaffst es wirklich, ds ich auch mit Begeisterung FF zu Fandoms lese, die mich nicht sonderlich interessieren. bei Yu-gi-o denke ich vor allem an das Kartenspiel- und das interessiert mich nicht die Bohne.
Aber das hier...^^
Vor allem der direkte Bezug auf die Ägyptische Mythologie fasziniert mich!
Die Personen/ Figuren sind wie immer sehr lebendig- vor allem Seth scheint eine deutliche Entwicklung mitzumachen, er wird im laufe der kapitel irgendwie immer erwachsener.
Merenseth mag ich sehr... und ich musste sehr grinsen bei Seth Rektion zu ihrer menschlichen Gestalt. Kleinjungenhafte Empörung: Bäh, ein Mädchen...^^
Ich denke, ich werde auch hier dran bleiben.

glg,
der Marder
Von:  Hotepneith
2008-12-28T21:44:16+00:00 28.12.2008 22:44
wunderschön geschrieben...ich sollte schon längst im Bett sein, aber jetzt hatte ich mich festgelesen:)
^^"





Zurück