Zum Inhalt der Seite

Feuervogel

Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Verlassen und Wiederkehren

Das Unwetter des Gottes Seth dauerte einen Tag und eine Nacht, in denen der Regen auch die kleinsten Flammen löschte und den Boden weit genug abkühlte, dass man im Dorf herumlaufen konnte, ohne sich die Füße zu verbrennen.
 

Aber der Regen spülte auch Asche, Reste von Menschen, Kleidern und anderen Dingen in den Nil und die Trinkwasserbrunnen des Dorfes, sodass es zusätzlich zu der verbrannten Erde, die einige Zeit keine Frucht mehr tragen würde, auch kein für Menschen genießbares Wasser gab und den wenigen Überlebenden nichts anderes übrig blieb, als sich mit dem Wenigen, was sie hatten retten können, auf den Weg zu machen und einen neuen Platz zum Leben zu finden.
 

Seth war der letzte, der bei den Ruinen des Dorfes ausharrte. Auf der Suche nach seinem Benu schob er Trümmer zur Seite, stieß auf verbrannte Leichen und musste sich dabei mehr als einmal übergeben, während er zugleich das Gefühl hatte, den stechend penetranten Geruch nach verkohltem Fleisch und Fett nie wieder loszuwerden.
 

Schließlich hörte er zwischen den Trümmern ein leises Piepsen, dem er folgte bis er das kleine, graufarbene Flaumknäuel fand, das dieses Geräusch verursacht hatte. Völlig vom Regen durchweicht und mit einem schlammigen Gemisch aus Asche und Dreck verschmiert, hockte das Vogeljunge in den Ruinen und piepste immer wieder in der Hoffnung, dass es jemand fand, der sich um es kümmern würde.
 

Kaum hatte Seth das Küken entdeckte, rannte er eilig zu ihm, in seiner Hast immer wieder auf dem glitschigen Boden ausrutschend oder über kleinere Trümmerteile stolpernd.
 

Leicht schlitternd kam er schließlich bei dem Vogeljungen an und kniete sich vor ihm hin, mit einem Mal eine irrwitzige Freude darüber verspürend, dass er Merenseth wiedergefunden hatte. Sie war das Einzige, was von seinem alten Leben übrig geblieben war. Die Einzige, die sich zusammen mit ihm an diejenigen, die gestorben waren, erinnern konnte. Solang er Merenseth an seiner Seite hatte, war er nicht vollkommen verlassen, hatte er jemanden auf den er vertrauen konnte, jemanden mit dem er reden konnte und der ihn verstand.
 

Vorsichtig hob er das Küken vom schlammigen Untergrund hoch und prüfte sorgsam, ob es irgendwelche Verletzungen aufwies. Aber abgesehen davon, dass es vor Kälte zitterte und immer wieder kläglich piepste, weil es offenbar Hunger hatte, schien es ihm gut zu gehen.
 

Während er den Vogel in seiner Hand schützend an seinen Körper hielt, suchte er noch einmal mit prüfendem Blick den Boden ab. Merenseth trug nicht mehr den Ring, den er ihr geschenkt hatte, und irgendwie erschien es ihm von größter Wichtigkeit, dass sie ihn wieder trug, sobald sie dafür groß genug war. Es war wie eine Versicherung, dass sich trotz der schrecklichen Ereignisse nichts zwischen ihnen Beiden geändert hatte.
 

Mit der freien Hand tastete Seth über den aufgeweichten Boden, wenn er bei einer winzigen Erhebung vermutete, dass es sich um den Ring handelte und tatsächlich fand er ihn nach einiger Suche nicht weit von der Stelle, an der er auch Merenseth gefunden hatte, halb verborgen im Schlamm stecken. Er hob ihn auf, wischte ihn an seiner Tunika halbwegs sauber und steckte ihn dann in den kleinen Beutel an seinem Gürtel, bevor er sich endgültig daran macht, zusammen mit seinem Benu, das Dorf zu verlassen.
 

Anders als die vergangenen Jahre, wenn er auf dem Rücken Merenseths das Land überquert hatte, war er nicht innerhalb weniger Stunden oder Tage an dem Ort, an den er wollte, sondern musste sich dieses Mal ganz auf seine eignen Kräfte, seine Geschicklichkeit und Findigkeit verlassen. Denn es galt nicht nur eine Möglichkeit zu finden sicher und möglichst schnell zu Sechemib zu gelangen, sondern er musste auch dafür sorgen, dass er und Merenseth Essen und einen Platz zum Schlafen hatten.
 

Allerdings reduzierte sich Seths Bedürfnis danach zu schlafen sehr schnell auf sehr wenige Stunden. Denn jedes Mal, wenn er sich schlafen legte und die Augen schloss, sah er wieder das brennende Dorf vor sich, roch er wieder den widerlichen Gestank, hörte er wieder die Schreie der Sterbenden. Und dieses Mal war es Merenseth nicht möglich ihn zum Turm der Zeit zu bringen, um seine Seele heilen zu lassen.
 

Nachdem er sich eine ganze Weile zu Fuß durchgeschlagen hatte, niedere Gelegenheitsarbeiten erledigte, wenn sich die Möglichkeit bot, um im Austausch dafür Essen und Obdach zu erhalten oder auch Essen stahl und heimlich in Ställen unterkroch, um sich einige Stunden auszuruhen, gelang es ihm eine Anstellung auf einem Boot zu finden, das Fluss abwärts Richtung Pharaonenstadt fuhr. Auf dem Boot war er Junge für alles, wurde herumkommandiert und hatte zu arbeiten bis er todmüde umfiel und keinen Muskel mehr rühren konnte. Aber das war ihm nur Recht, so blieben ihm wenigstens die Alpträume erspart. Die Arbeit selbst war hart, es kam anfangs nicht selten vor, dass die Haut seiner Hände aufgeplatzt und blutig gerieben war von den groben Hanfseilen mit denen die Segel gehandhabt wurden und das Boot ans Ufer gezogen und vertäut wurde. An manchen Tagen tat Seth sein Rücken von den Kisten, die es zu schleppen galt, so weh, dass er sich sicher war, nie wieder aufrecht und gerade gehen zu können, sondern den Rest seines Lebens wie ein gebeugter, alter Mann laufen zu müssen.
 

Jedes Mal, wenn er kurz davor war entmutigt aufzugeben oder sich verzweifelt in einer Ecke zu verkriechen, um den Rest der Welt einfach nur zu ignorieren, hörte er ein Piepsen hinter sich, das Aufmerksamkeit verlangte. Wenn er diese dann seinem Benu gewährte - so manches Mal nur widerwillig -, dann stellte das kleine, aschefarbene Flaumknäuel, irgendeinen merkwürdigen Unsinn an, plusterte sich gespielt wichtig auf oder kletterte einfach nur auf Seths Schulter und schmiegte sich gegen dessen Gesicht, um ihn aufzuheitern, zu trösten und ihn daran zu erinnern, dass er nicht so vollkommen allein war, wie er vielleicht glaubte.
 

Eine neue, irritierende Vorliebe des Benu war es geworden, sich nicht mehr nur auf Seths Schulter zu setzen und durch die Gegend tragen zu lassen, sondern sich stattdessen an dessen Haaren zu seinem Scheitel hinauf zu arbeiten und es sich anschließend auf seinem Kopf bequem zu machen. Offenbar empfand sie die braunen, wild wuchernden Haare Seths als äußerst behaglich.
 

Da Seth seinem Vogel auch mit den ausgeklügeltsten Versuchen diese Eigenheit nicht abgewöhnen konnte und sich der Vogel glücklicherweise zu benehmen wusste, akzeptierte der Junge schließlich mit einem resignierten Seufzen diese seltsame Angewohnheit.
 

Als Merenseth später schließlich ihre glutfarbene Gestalt angenommen hatte, machte sich Seth allerdings doch die Mühe sie jedes Mal von seinem Kopf zu nehmen, wenn sie unter Leute gingen, denn er verspürte keinerlei Lust sich lächerlich zu machen, nur weil er mit einem orangefarbenen Vogel mit langer Schwanzschleppe auf dem Kopf herumlief.
 

Einige Wochen nach Seths dreizehntem Geburtstag erreichten sie schließlich die Pharaonenstadt und die Verpflichtung des Jungen auf dem Schiff endete.
 

Nachdem Seth Boot und Hafen verlassen hatte, machte er sich auf den Weg zu dem Verwaltungsgebäude, in dem er Sechemib begegnet war und von diesem das Versprechen erhalten hatte, Hilfe bei seiner Ausbildung zu bekommen, sollte er Priester werden wollen. Obwohl dieses Ereignis erst wenige Monate zurücklag, kam es Seth doch vor, als wäre es bereits Jahre her oder in einem anderen Leben geschehen, das mit seinem jetzigen Ich nicht mehr gemein hatte, als die Erinnerung.
 

Es wurde bereits dunkel, als Seth schließlich bei dem Verwaltungsgebäude ankam, er hatte sich ein wenig in der Stadt verlaufen und sich erst durchfragen müssen, bis er an seinem Ziel ankam.
 

Nachdem er geklopft und gewartet hatte, öffnete ihm ein unbekannter Priester, der sich höflich erkundigte, was der Junge um diese Zeit noch wollte.
 

„Ist Sechemib zu sprechen?“, fragte Seth lediglich, ohne eine Erklärung abzugeben, warum er den Mann sprechen wollte. Der Pförtner nickte nur, wollte noch Seths Namen wissen und erklärte anschließend, er würde Sechemib ausrichten das Seth ihn sprechen wolle; solange sollte dieser vor der Tür warten.
 

Eine geraume Weile stand der Junge geduldig vor der wieder geschlossenen Tür, während es immer dunkler und kühler wurde. Dann öffnete sich der Eingang wieder und Sechemib begrüßte seinen Gast freundlich lächelnd mit den Worten: „Du hast dich also entschieden“, und mit einer einladenden Geste fügte der Priester hinzu: „Komm rein, dann bekommst du etwas zu essen und ich zeige dir, wo du heute Nacht schlafen kannst.“
 

Gehorsam folgte Seth dem Amunpriester in das Innere des Hauses und in einen Raum, der offenbar ausschließlich für die Zubereitung von Speisen gedacht war. Verblüfft und neugierig sah Seth sich um, so etwas hatte er noch nie gesehen, auch während er aß und nebenbei immer wieder Merenseth etwas in den Schnabel schob, beobachtete er aufmerksam das Geschehen um ihn herum.
 

Nach den Mengen, die hier vorbereitet wurden, zu urteilen, musste es sich um eine ziemlich große Hausgemeinschaft handeln. – Hatte der eine Mann damals nicht erwähnt, dass er seinen Sohn in die Priesterschule geben wollte? Offenbar befand sich die Schule ebenfalls in diesem Gebäude und Sechemib war vermutlich einer der Lehrer.
 

Als Seth satt war, wurde er von Sechemib zu seinem Schlafplatz geführt, wobei ihm dieser erklärte, dass Seth am folgenden Tag dem Priester vorgestellt werden würde, der die Schule leitete, damit dieser entschied, ob Seth eine Ausbildung erhalten sollte oder nicht. Der Junge nickte zunächst nur zur Kenntnis nehmend, erklärte dann jedoch vorsichtshalber: „Ich kann für die Ausbildung aber nicht bezahlen.“ „Mach dir darüber keine Gedanken, es gibt Möglichkeiten besonders talentierte Schüler, denen die finanziellen Mittel fehlen, dennoch eine Ausbildung zukommen zu lassen. Du wirst Morgen wahrscheinlich einige Prüfungen bestehen müssen, damit Uba-oner beurteilen kann, wie weit und fähig du bist, also ruh dich jetzt gut aus, damit du dich morgen nicht blamierst.“ Damit verabschiedete sich Sechemib von seinem Gast und ließ ihn allein. Seth lang noch eine lange Zeit wach, starrte die Zimmerdecke über sich an und hing seinen Erinnerungen und Gedanken nach, bevor er letztendlich doch müde in einen bleiernen Schlaf fiel, aus dem er früh am nächsten Morgen von Sechemib wieder geweckt wurde.
 

Nachdem er saubere Kleider erhalten, sich gewaschen und gefrühstückt hatte, ging es in Begleitung von Sechemib zu einem kleinen Raum, der mit einem Schreibpult, zwei Sitzgelegenheiten und jeder Menger Papyri hoffnungslos überfüllt und vollgestopft wirkte. Völlig ungerührt davon saß hinter dem Pult, in der Nähe des einzigen Fensters, ein älterer, kahlköpfiger Mann und schien vollkommen in das Studium einer Schriftrolle vertieft zu sein, bei dem er sich auch nicht durch die Anwesenheit Sechemibs, Seths und dessen Benu stören ließ.
 

Schließlich legte der ältliche Priester, den Sechemib mit Uba-oner angesprochen hatte, die Schriftrolle beiseite und betrachtete sich gleichmütig und gründlich den dreizehnjährigen Jungen vor sich. „Du willst also Priester werden“, eröffnete er letztendlich ruhig das Gespräch und auf Seths bestätigende Antwort hin hakte er nach: „Warum willst du unbedingt Priester werden?“
 

Da Seth schlecht sagen konnte, dass er sich die Möglichkeiten verschaffen wollte, herauszufinden wer sein Dorf ausgelöscht hatte, warum dieser Jemand das getan hatte und dass er gedachte sich an diesem Jemand zu rächen, erwiderte er den nächstbesten Gemeinplatz der ihm einfiel und der in keinem Fall seine positive Wirkung verfehlen dürfte: „Ich möchte den Göttern Kemets dienen, ihnen zum Ruhm und Kemet zum Wohl.“
 

Die ganze Reaktion Uba-oners darauf war ein erneuter prüfender Blick, bevor er lediglich erwiderte: „Dann lass uns prüfen, ob du für diese Aufgabe geeignet bist. – Worum geht es im Papyrus Itji-taui?“
 

„Um die göttliche Abkunft der fünften Dynastie und Wundergeschichten, welche die Söhne Chufus ihrem Vater erzählen.“
 

„Hm. Wie lang ist eine Elle?“
 

„Sieben Handbreit zu je 4 Fingerbreit. - Hundert Ellen ergeben ein Klafter.“
 

Wieder brummte Uba-oner nur undeutbar vor sich hin, um anschließend mit seiner Befragung ohne scheinbares System fortzufahren. Die Fragen kamen aus allen Bereichen, die sich denken ließen und unterschieden sich in ihrem Schwerregrad erheblich, einiges hatte Seth noch nie gehört, andere Dinge konnte er ohne nachzudenken beantworten. Bei den religiösen Fragen nach Göttern, ihren Festen und Kultorten, musste er sich ein, zweimal zurückhalten um nicht zu verraten, dass er das Innere des Tempels von Ombos kannte und auch bereits einigen Göttern begegnet war.
 

Er vermutete, nicht ganz zu unrecht, dass die beiden anwesenden Priester diese Erwähnung nicht gern gehört, sondern als Gotteslästerung und Frevel empfunden hätten. Nachdem dieses Frage-Antwortspiel gut eine Stunde gedauert haben mochte, erklärte Uba-oner plötzlich übergangslos: „Gut, ich habe genug gehört, du darfst dich zurückziehen. Ich werde über deine Bitte, dich bei uns auszubilden nachdenken. Bis du meine Antwort erhältst, sei unser Gast und sieh dich ruhig um.“
 

Genau das tat Seth wenig später auch und wurde während seiner einsamen Wanderung durch die Gänge des verwinkelten und weitläufigen Gebäudes immer wieder neugierig von den Priesterschülern gemustert, die zum Unterricht gingen oder gerade von diesem kamen.
 

Seth ignorierte sie einfach und zog sich schließlich mit Merenseth in den Garten des Hauses zurück, der ihm noch von seinem letzten Besuch in angenehmer Erinnerung geblieben war. Mit angezogenen Beinen saß er wenig später unter einem Baum, während der Benu mit seinem noch fleckigen Gefieder auf seinen Knien balancierte und ihn mit ruhiger Aufmerksamkeit betrachtete.
 

Merenseth war noch nicht in der Lage, sich in einen Menschen zu verwandeln, um mit Seth zu sprechen, dafür musste sie ausgewachsen sein. Aber Seth kannte seinen Vogel nun schon lange genug, dass er auch so wusste, dass sie ihm in diesem Moment sicher gesagt hätte, er solle sich keine Sorgen machen, Uba-oner würde ihm sicherlich gestatten die Ausbildung zu absolvieren. – Wie Mukisanu war sie ein unverbesserlicher Optimist. Der Gedanke ließ Seth lächeln, während er über das Gefieder seines Benu strich und darauf wartete zu erfahren, wie über ihn entschieden worden war.
 

Schließlich waren leise Schritte zu hören und als Seth aufsah, um herauszufinden wer ihn in seiner Einsamkeit stören kam, sah er Sechemib, der ihn offenbar gesucht hatte, ihn nun entdeckte und zielstrebig auf ihn zukam.
 

„Du bist aufgenommen und darfst auch hier wohnen. Oder hast du bereits eine Unterkunft wo du bleiben kannst?“ Seth schüttelte auf diese Frage nur den Kopf und verkniff sich die Bemerkung, dass er sicherlich nicht in der vergangenen Nacht an die Tür des Verwaltungsgebäudes geklopft hätte, wenn dem so wäre. Stattdessen erhob er sich nur, um Sechemib auf dessen Aufforderung hin erneut zu folgen, damit dieser ihn in seine Klasse bringen konnte.
 

Als sie den Raum betraten, konnte Seth feststellen, dass er offenbar für gut genug befunden worden war, um mit Schülern, die zwei, drei Jahre älter waren als er, zusammen zu lernen. Auch diese Schüler musterten ihn wieder mit Neugier und Erstaunen und sich gegenseitig auf den merkwürdigen Vogel aufs Seths Schulter aufmerksam machend. Wieder ignorierte Seth alle diese Reaktionen und ließ sich stattdessen nur gleichmütig auf einen freien Platz sinken, nachdem er von seinem Lehrmeister die für den Unterricht notwenigen Utensilien erhalten hatte.
 

In der folgenden Zeit gewöhnte sich Seth schnell an das Leben in der Priesterschule und dessen tägliche Routine. Er blieb die meiste Zeit für sich, zum einen weil die anderen Schüler zunächst der Ansicht waren, es könne nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, dass Seth in eine der fortgeschrittensten Klassen eingeteilt worden war, sie es ihm anschließend übelnahmen, dass er tatsächlich so begabt schien, wie die Einstufung glauben machen wollte und sie ihn letztendlich vollkommen links liegen ließen, weil er keinerlei Interesse an den Dingen zeigte, die sie interessierten, sondern die meiste Zeit schwieg und mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt schien, an denen er niemanden teilhaben lassen wollte.
 

Anfangs war es hin und wieder vorgekommen, dass einer der anderen Jungen versucht hatte neugierig mehr über Seth herauszufinden. Wenn er dann zum Beispiel auf die Frage, woher er die Blasen und Schwielen an seinen Händen hatte, antwortete „von Bootstauen“, wurde er mit verständnislos großen Augen angesehen, bevor derjenige, der ihn angesprochen hatte, krampfhaft versuchte das Thema zu wechseln oder unverhohlen die Flucht ergriff, weil er gerade herausgefunden hatte, dass er offenbar mit einem armen Arbeiterkind gesprochen hatte. Seth störte es nicht, er hatte dafür nicht mehr als ein müdes Achselzucken übrig, bevor er sich abwandte und sich mit Merenseth in den Garten zurückzog, wo ihn selten jemand störte.
 

Dem Jungen war dieses Außenseiterdasein durchaus nicht unrecht, gab es ihm doch ein gewisses Maß an Freiheit, ohne auf jemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Dazu kam, dass er sich den anderen Jungen seiner Klasse gegenüber merkwürdig fremd fühlte. Keiner von ihnen schien eine Ahnung davon zu haben, wie vergänglich das Leben sein konnte. Keiner von ihnen eine Vorstellung vom Leben selbst zu haben.
 

Sie kamen ihm vor wie fröhlich durch den Tag taumelnde, träumende Schmetterlinge, die nicht ahnten, dass es Stürme gab, die ihnen die Flügel brechen konnten. Sie schienen alle bisher ein sehr behütetes Dasein geführt zu haben, das sie wohl auch gedachten fortzusetzen. Es gab Zeiten, da wünschte Seth ihnen von Herzen, dass sich ihre Vorstellung bewahrheiten würde und es gab Zeiten, in denen es ihn wütend machte, sie so glücklich und sorglos zu sehen, in denen er es ihnen übelnahm, dass sie so ein Leben führen konnten.
 

Der Junge, der einst geschworen hatte Kemet beschützen zu wollen, komme was da wolle, hatte sich zusammen mit seinem alten Leben in Rauch aufgelöst. Jetzt interessierte es ihn nicht mehr, ob er dafür Sorge tragen konnte, dass diese blökenden, kleinen Schafe glücklich leben konnten. Das, was er von nun an sein Denken und Handeln beherrschte, war der Gedanke daran herauszufinden warum sein Dorf zerstört worden war, den Verantwortlichen für den Tod seiner Familie zu finden und ihn zur Rechenschaft zu ziehen.
 

Vielleicht war die Überzeugung, dass die Männer, die durch den Atem des Dämons getötet worden waren, in fremden Auftrag gehandelt hatten ein Hirngespinst, um es Seth irgendwie zu ermöglichen sein Überleben zu rechtfertigen. Vorerst jedoch würde er sich an diesen Glauben klammern, denn er war davon überzeugt, dass der Gott Seth ihm sicher nicht aus Spaß gesagt hatte, er solle Augen und Ohren offen halten, wenn er Rache für sein Dorf wollte.
 


 

Klarstellung

Das Papyrus von Itji-taui existiert nicht unter diesem Namen, da das sogenannte Papyrus Westcar seinen Namen erst rund 2000 Jahre später erhielt, deshalb habe ich es dreist nach einer der wechselnden Pharaonenstädte benannt.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Carcajou
2009-01-04T22:45:34+00:00 04.01.2009 23:45
Klar, das Seth nach diesen Erlebnissen die unbeschwerte Art von Kindern, die noch nichts schlimmes erlebt haben, nicht mehr nachvollziehen kann. So etwas zeichnet, prägt- und trennt.
und das er die Begegnung mit den Göttern nicht erwähnt, ist wahrscheinlich auch wirklich besser so.
was menschen nicht verstehen fürchten oder hassen sie... das hab ich doch gerade schon woanders gelesen?^^

und ich habe auch iwei das Gefühl, das du sehr gründlich recherchierst...
Hoffentlich blamier ich mich da später nicht^^
wenn ich bezüglich Ägypten fragen habe, werd ich mich vertrauensvoll an dich wenden?


lg,
Carcajou



Von:  Hotepneith
2009-01-02T21:46:29+00:00 02.01.2009 22:46
Genau das meinte ich....:)
Papyrus westcar und co.
Du hast wirklich toll recherchiert.

Und ja, danke für die ens, ich mach gern weiter.

bye

hotep


Zurück