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Für eine Handvoll Sommer

In der Hitze des Augenblicks
von

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Es war einst keine Prinzessin.

Nein, eine Prinzessin war sie ganz sicher nicht.

Ihr Name war Mathilda von Dummersberg und ihr Name war vermutlich fast das einzige Adelige an ihr.

Sie hatte sieben Brüder und fünf Schwestern, dafür keinen Vater mehr. Die Kinder waren von drei verschiedenen Müttern, die Bastarde nicht mitgezählt. Was das Alter betraf lag sie ziemlich genau in der spätgeborenen Hälfte und verbesserte somit die Situation ihrer Familie, welche drei ihrer Söhne (Das es keine vier waren, lag zu diesem Zeitpunkt nur daran, dass der betreffende Vierte noch in die Windeln schiss und schrie wie am Spieß, aus Spaß. Letzteres machte sonst nur Friederich, der Zweitälteste, denn er zog gerne in die Schlacht – und kam gerne mit Verwundungen wieder. Momentan war er irgendwo weit im Osten, an einem Ort, den Mathilda nicht aussprechen konnte, und die Chancen standen gut, dass er es diesmal schaffte und nicht wiederkehrte. Seine Familie würde es ihm danken.) ins Kloster abgeschoben hatte und bereits für Tochter Nummer drei, Adelheid, kaum die Mitgift hatte zusammenkratzen können, nicht.

Vielleicht hatte sie Glück. Adalbert, der Älteste, zog nicht gern in die Schlacht und kam nicht gern mit Verwundungen wieder, hatte den König aber in den Süden begleitet und Kontakte mit einem Grafen aus dem Süden geschlossen. Und er hatte ein Auge auf dessen Tochter geworfen, auch wenn er sie noch nicht kannte. Seiner Aussage nach standen die Chancen gut, dass er sie, Mathilda, demnächst in eine Kutsche steckte und gen Süden schickte – die Tochter hatte noch einen Bruder.

Mathilda war es recht.

Süden bedeutete nach dem, was sie über den Süden wusste, Wärme. Und Wärme war das Gegenteil von allem, was ihr das Wetter hier brachte. Alles in allem ein erstrebenswertes Ziel.
 

Allerdings begann diese Geschichte eigentlich nicht mit Mathilda. Sie wäre dieser Idee auch abgeneigt gewesen, es sei denn, es würde sich um eine besonders romantische Liebesgeschichte handeln (Was es nicht tat.)
 

Diese Geschichte begann auch nicht mit ihrem Bruder Cunrat, der Nummer sechs in der Erbfolge.

Dieser befand sich gerade in einer Lagerhalle des nahen Klosters und tat genau das, was die älteren Mönche ihm niemals erlaubt hätten. Eigentlich hätten diese nicht einmal in Erwägung gezogen, dass er tat, was er tat.

Der Regen klatschte wie zähflüssiges Wachs gegen die mit Pergament bespannten Fenster. Die klamme Kälte, die sonst durch alle Ritzen kroch, war in dem kleinen, mit fast vergessenen Fässern voll geräumten Raum nicht zu verspüren. Stattdessen war es stickig und fast unangenehm warm, die Luft verbraucht und zum Schneiden dick. Es roch nach altem, eingepökelten Fleisch, das vermutlich in den Kisten, die hastig in eine Ecke geschoben worden zu sein schienen, verrottete.

Alles in allem keine sonderlich gute Mischung, denn sie lullte ein. Blitz und Donner, die hätten aufschrecken können, fehlten.

Nicht, dass Cunrat sich hätte einlullen lassen wollen. Er gähnte nur zaghaft.

Sein Blick huschte unter halb geschlossenen Lidern durch den Raum, zählte die Kerzen, die er aufgestellt hatte, überprüfte die unsauber gezogenen Kreidelinien auf dem Boden, ignorierte das Gerümpel an den Wänden und ruhte gleichzeitig auf dem Pergament, das mit seinen Händen bebte.

Halb krächzend, die Kehle auf seltsame Weise wie ausgedörrt, halb murmelnd, dabei die Endungen schluckend, las er die in kleinen Lettern auf den Bogen gequetschten Worte nicht halb so deutlich, wie er sie hätte lesen sollen. Vielleicht war er dazu auch einfach noch zu jung, er war schließlich noch keine zwölf Jahre alt. Vermutlich war er auch noch viel zu jung, um das Latein auch nur halb so gut lesen zu können, wie er es hätte lesen können sollen. Ganz sicher war er aber noch viel zu jung, um mitten in der Nacht in einer zugigen Lagerhalle, bei Kerzenlicht und Kreidestrichen auf dem Boden, lateinische Sätze, die er nicht verstand, von einem Blatt Pergament abzulesen.
 

Aber wie bereits erwähnt begann diese Geschichte eigentlich nicht mit dem jungen Cunrat, der in einer zugigen und nassen Lagerhalle eines verarmten Klosters lateinische Formeln murmelte.

Sie begann mit dem Wasser, das verdunstete und in höhere Luftschichten aufstieg, um sich dort mit Staubpartikeln zu Wolken zu verbinden, nur um dann vom Wind übers Land getragen zu werden und schließlich, weit von seinem Ursprungsort, als dicke, schwere Tropfen wieder den Weg zur Erde zu finden.

Sie begann auch mit den Getreide, das auf den Feldern ersoff.

Mit Talbot begann sie auch. Talbot, ein fahrender Händler, weilte nie allzu lange an einem Ort, vermutlich hatte er dafür seine guten Gründe. Es hieß, er öffne seine Zelte nur zur unchristlichen Stund und seine Waren kosteten mehr als nur das Gold, das er für sie verlangte. Zumindest, wenn man den Gerüchten Glauben schenkte.
 

Balduin hatte wahrlich jeden Grund, den Gerüchten Glauben zu schenken, aber letztendlich fragte ihn niemand um seine bescheidene Meinung (Nicht, das er anderweitig bescheiden gewesen wäre. Er mochte Luxus, er mochte ihn wirklich. Wenn er ihn sich leisten konnte. Aber das nur am Rande.) Mit ihm begann diese Geschichte allerdings ebenfalls nicht.

Er lag nämlich gerade im Stroh eines Pferdestalls und beschwerte sich nur nicht darüber, dass ihm die Halme in den Rücken stachen und modrig rochen, weil er es bereits gewohnt war – der Luxus weißer Laken war für ihn nach wie vor leider ein Luxus – und weil er abgelenkt wurde.

Er musste sich einen Moment zwingen, sich zu erinnern. Dann wusste er es wieder.

Juliana. Sechzehn Jahre alt, ein bildhübsches Ding und die Eltern zu arm, um sie zu verheiraten. Deshalb arbeitete sie in der Taverne, tagsüber.

Er zog sie näher zu sich, strich über ihre Haut und grinste über ihr leises Kichern. Nein, das stechende, modrige Stroh in seinem Rücken störte ihn wirklich nur mäßig.

Sie umfasste seinen Nacken und er reagierte genau so, wie er es befürchtet hatte: Ihm lief ein eiskalter Schauer über den Rücken.

„Balduin?“

Er schluckte und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren und beschloss, morgen weiter zu ziehen, Wetter hin, Wetter her.

Aber erst morgen.

„Nichts. Es ist nichts.“
 

Das nichts war, sah auch Bruder Balthasar sofort.

Er sah es und er roch es und irgendwo hatte er es auch schon geahnt. Nicht gewusst, aber geahnt und nicht richtig gedeutet, weil er es für unmöglich gehalten hatte.

Die Luft, die ihm entgegen schlug, war stickig und unerträglich warm und der Regen, der jeden unüberdachten Flecken des Klosters in eine schlammige Brühe verwandelte, die das Gras erstickte, bevor es wachsen konnte und zwischen seinen Zehen klebte, klatschte gegen die pergamentenen Fenster wie flüssiges Wachs.

Noch bevor er die Tür ganz geöffnet hatte, schlug ihm der Geruch nach faulen Eiern entgegen und brannte in Augen, Nase und Rachen.

Es war sein Unterbewusstsein, das beschloss, dass es weiser war, die Tür gar nicht erst vollständig zu öffnen. Es – und somit auch er – konnte kaum genau wissen, was vor sich ging – doch Geruch, Luft, die brennenden Kerzen und seltsame Kreidestriche auf dem Boden vermittelten einen gewissen Eindruck von dem, was es sein mochte.

Hastig ein Kreuz schlagend tat er das, was seinem Unterbewusstsein als erstes einfiel: er ignorierte den Schlamm, der zwischen seinen Zehen klebte, und ergriff die Flucht.
 

Das nichts war, wusste auch Mathilda, allerdings erst sieben Stunden später, als sie ihre Augen einen Spalt weit öffnete und dachte, sie würde gerade bei lebendigem Leibe gekocht.

Noch bevor sie richtig wach war, hatte sie auch die letzte wärmende Decke von sich gestrampelt und registriert, dass das kaum den erwünschten Effekt hatte. Einen Moment streifte sie der Gedanke, sie habe Fieber, dann ein anderer, der ihr vermittelte, sie habe Halluzinationen. (Wie im falschen Film fühlte sie sich übrigens nicht. Das lag allerdings vermutlich nur daran, dass es zu ihrer Zeit noch keine Filme gab. Stattdessen hatte sie eines dieser grauenhaft vorgetragenen Bühnenspiele der fahrenden Spielleute vor Augen, die alle viertel Jahr ihre Zelte in der Nähe aufschlugen, um Brot bettelten und einem die letzten Münzen aus den Taschen stahlen.)

Völlig entnervt und verwirrt öffnete sie die Augen schließlich mehr als nur einen Spalt. Sie erkannte mehrere Dinge auf einmal: sie hatte die alte Waschschüssel während des Schlafes umgestoßen, durch die Fenster drang von den Pergamenten gedämpftes Sonnenlicht und vermutlich war es viel zu früh um aufzustehen.

Sie stand dennoch auf und bereute diesen Entschluss ziemlich rasch, als sie sich zurück auf ihr Bett setzen musste, weil sie sonst gefallen wäre. Einen Moment später hörten die leuchtenden Punkte wieder auf, vor ihren Augen zu tanzen.

Was nichts daran änderte, dass sie schwitzte, vielleicht wie noch nie in ihrem Leben und etwas mehr noch, als sie erneut aufstand. Die Hitze machte jede noch so kleine Bewegung zu einer Qual. Der Weg zu den offenen Fenstern auf dem Gang, sie fühlte sich zu schwach, um eines der Pergamente von ihrem Zimmerfenster zu nehmen, wurde für sie zu einem Kampf, den sie vor Missbilligung schnaubend gewann.

Missbilligend schnaubte sie vor allem wegen des Dieners (Sie fragte sich, wie diese Menschen immer schon so früh aufstehen konnten. Wie es dazu kam, dass sie ihre Kleidung jeden Morgen ordentlich zusammengelegt fand, wo sie sie jeden Morgen ordentlich zusammengelegt fand, fragte sie sich nicht. Sie erwartete es schlicht.), welcher keuchend, schwitzend und verschreckt einen Meter zurück sprang, als die Tür, die sie geöffnet hatte, versuchte, ihn zu erschlagen. Sie verfehlte ihn um Haaresbreite und erwischte nur die Wand. Es schepperte laut und weckte vermutlich ihre jüngeren Schwestern. Mathilda fluchte nicht leise.

„Martin? Was ist hier los?“

Der Knecht seufzte und stemmte die Hände nicht sehr respektvoll in die Hüfte. „Michel. Nicht Martin. Seitdem die Sonne aufgegangen ist, ist es brütend heiß.“

„Und wieso ist es das? Brennt es wieder irgendwo und ihr habt mal wieder vergessen, mich zu wecken?“

„Derjenige, der vergaß, dich zu wecken, war dein ehrenwerter Bruder, nicht ich, und nein, tut es nicht.“

Sie schnaubte.

„Wenn du nur alle Befehle so gewissenhaft ausführen würdest, wie diesen. Ich frage mich nach wie vor, wieso Adalbert dich nicht einfach vor die Tür setzt.“

„Weil er es sich nicht leisten kann.“

Das war ein wahres Wort und das wussten beide.

Es war eigentlich nicht so, dass Mathilda ihn und seinen Bruder, gottverdammte Zwillinge, nicht mochte. Sonniges Gemüt, eigentlich recht tatkräftig und fleißig. Aber leider ein zu flinkes Mundwerk. Sie gingen ihr manchmal schlicht auf die Nerven.

Sie winkte ab, stapfte zurück in ihr Zimmer und überlegte, ob sie einfach nackt vor die Tür gehen sollte.
 

Leisten konnte sich auch Balthasar nicht vieles.

Momentan eigentlich gar nichts. Selbst Atmen erschien ihm als zu teuer.

Er hockte, in seiner Mönchskutte vor Angst und Wärme erbärmlich schwitzend, hinter dem Altar und klammerte sich an seinen Rosenkranz wie ein Ertrinkender, obwohl schon seit Stunden kein Laut von draußen mehr zu vernehmen gewesen war. Balthasar musste es wissen, denn er war so angespannt, dass er selbst die Mäuse im Mauerwerk fiepen hören konnte. Zumindest, wenn der Abt gerade still war.

Der Abt, das war ein dicker, fettiger, untersetzter Mann mit schütterem braungrauem Haar, der neben ihm kauerte und leise vor sich hin betete, seit er angekommen war. Das war vor etwa sechs Stunden gewesen. Seitdem ging er Balthasar kontinuierlich auf den Geist, vielleicht, weil sich seine Sammlung von Gebeten nach einer halben Stunde erschöpft hatte und er sich seitdem beharrlich wiederholte, statt auf Baltharsars drängende Fragen, was außerhalb der Kirche vor sich ging, zu antworten.

Glücklicherweise war kurz darauf einer der anderen Brüder, Heinrich von Dummersberg, aufgetaucht, blutig und verschwitzt, aber lebendig. Und der hatte nicht gebetet, sondern geflucht wie ein Zigeuner. Obwohl Balthasar ihn für gewöhnlich nicht ausstehen konnte, war der Mann ihm kurzzeitig sympathisch gewesen. Vielleicht, weil er irgendwann begann, zu berichten.

Heinrich berichtete von einem betäubenden Gestank, der ihn an faule Eier erinnert hatte, von einer Gluthitze, von einem toten Mönch, über den er gestolpert war, und von einem Ungeheuer. Dieses Ungeheuer beschrieb er insgesamt sieben Mal (Balthasar hatte mitgezählt. Das war dann auch der Augenblick, an dem er sich wieder daran erinnerte, dass er Heinrich und die ganze Dummersberg-Sippe hasste wie die Pest.), und jedes Mal abenteuerlicher. Hätte Balthasar nicht – vermutlich zu Recht – zu viel Angst davor gehabt, er hätte sich lieber selbst ein Bild gemacht.

Aber er hatte Angst. Angst vor dem, was da draußen auf sie lauern mochte. Angst vor dem, was dieser kleine dumme Trottel von einem Novizen angestellt haben mochte.

Heinrich war vor einer gefühlten Ewigkeit, irgendwann, nachdem das Schreien und Lärmen und Brausen draußen verstummt war, wieder in die endende Nacht verschwunden und seither nicht mehr zurückgekehrt. Balthasar war ihm einerseits dankbar dafür – er zog den Abt einfach vor, denn dieser murmelte wenigstens leise – andererseits vergrößerte es seine Angst.

Jetzt verließ er den Abt und folgte ihm.
 

Mathilda hatte zu diesem Zeitpunkt das Hauptgebäude des Hofes der Familie, eine Burg hatte sie sich nie leisten können, längst verlassen.

Sie stand vor dem Eingangstor und starrte.

Ihr Starren galt dem Himmel, der in einem fast unnatürlichen Hellblau erstrahlte, der Sonne, die schien, als müsse sie den gesamten Regenjuli auf einmal wieder wett machen, den drei Knechten, die sich hinter den Ställen im Schatten hielten und die vermutlich statt der Pferde sich selbst versorgten, vorzugsweise mit Bier, und den Bäumen, Feldern, Wiesen und dem Boden, den sie sehen konnte.

Bäume, Felder, Wiesen und Boden gewannen schließlich den Kampf um ihre Aufmerksamkeit. Das war nicht weiter schwierig, denn Bäume, Felder, Wiesen und Boden beherrschten einen Trick, den Himmel, Sonne, Knechte, Schatten, Ställe, Pferde und Bier noch nicht kannten: Sie dampften.

Sie dampften nicht einfach so. Das die Natur dampfte, das war Mathilda gewöhnt, denn im Sommer passierte es manchmal, wenn es besonders warm war und geregnet hatte. Hier hingegen dampften die Pflanzen und das Erdreich, als wolle alles Wasser, das im vergangenen Monat herabgeregnet war, auf einmal verdunsten. (Es war atemberaubend. Vor allem atemberaubend schwül mit einer atemberaubend schlechten Fernsicht.)

Ihr Gefühl, gekocht zu werden, verstärkte sich.

Den Reiter, der den Waldpfad vom Kloster hinauf kaum, bemerkte Mathilda erst, als sie des Beobachtens von Bäumen, Feldern, Wiesen und Boden überdrüssig geworden war. Er ritt sie beinahe über den Haufen.

Sie fluchte und rief nach Martin und Michel tat ihr den Gefallen und hörte trotzdem auf sie.
 

Wäre der Reiter auf Balthasar zu galoppiert, er hätte ihn nicht nur fast über den Haufen geritten, sondern ganz. Er war schlicht zu sehr mit Starren beschäftigt, als dass er sich von etwas wie einem reitenden Reiter hätte ablenken lassen.

Abgesehen von der leicht veränderten Landschaft – weniger Feld, mehr Wald – bot sich ihm ein ähnliches Bild. Boden und Pflanzen dampften, sodass es fast aussah wie Nebel im Oktober, nur dreißig Grad wärmer.

Nur der tote Mönch zu seinen Füßen beeinträchtigte das Bild empfindlich (seinen Magen übrigens auch.)

Sein Unterbewusstsein vermisste den von Heinrich geschilderten Geruch nach faulen Eiern, doch ansonsten fand es alles so hübsch sortiert vor, wie es der Mann berichtet hatte: die Tür zum Lagerraum stand sperrangelweit offen, als wäre etwas nicht hindurch gegangen, aber hindurch gebrochen, Fässer lagen zerstreut und zerstört überall und dazwischen die Leichen toter Ordensbrüder.

Sein Unterbewusstsein riet Balthasar dringend, gen Himmel zu blinzeln, bevor der Drang, sich zu übergeben, zu stark wurde.

Er folgte dem Rat aufs Wort.

In den Himmel schauend und sich über das seltsame Hellblau wundernd, schritt er um den toten Körper und trat dem Armen dabei trotz aller Vorsicht doch auf die Finger.

Balthasars Magen überlegte es sich anders und drehte sich um gefühlte hundertachtzig Grad.
 

Mathilda übergab sich nicht, aber sie schwitzte. Seitdem sie den Wald betreten hatte, war es kühler geworden, aber auch feuchter.

Der Reiter, welcher sich als ihr Bruder Heinrich entpuppt hatte, hatte allen Anwesenden in einer panischen Rede (Das die Rede panisch war, erkannte man nicht an der sich überschlagenden Stimme, sondern daran, dass er Hände, Füße und eine Truhe zur Vermittlung der Tatsachen nutzte.) berichtete, dass ein Monster mit dreizehn Beinen, viereinhalb Köpfen, zehn Händen und der Größe einer kleineren Kirche im Kloster erschienen war, um alle Mönche zu fressen. Nur er habe sich retten können, es müsse die Apokalypse sein.

Sie hatte daraufhin beschlossen, sich die wahre Geschichte anzuhören.

Dazu ging sie selbstredend nicht zum Kloster. Erstens waren Frauen dort in etwa so gern gesehen, wie der Teufel, und zweitens war sie nicht verrückt. Heinrichs Geschichten hatten zumeist einen wahren Kern und dieser war zumeist blutig.

Stattdessen hatte sie den Weg zum Dorf eingeschlagen. Die alten Frauen dort wussten die wichtigen Informationen zumeist vor den zuverlässigeren Boten und sie hatte Bekannte in der Taverne.
 

Maria befand sich im Übrigen bereits in eben jener Taverne und kannte die Geschichte bereits in so vielen unterschiedlichen Versionen, dass sie sie nicht mehr zählen konnte (Was vielleicht daran lag, dass sie es nicht so mit den Zahlen hatte. Sie musste die Krüge nur bis zu den Tischen tragen, Anzahl und Inhalt war Aufgabe des Wirts.). Die ganze Sache verlor für sie langsam an Reiz.

Viel mehr Reiz übte hingegen ihre Schwester, Juliana, auf sie aus. Diese warf einem der wenigen Gäste, einem Mann kurz vor den Dreißig, schlaksig und heruntergekommen, immer wieder Blicke zu, während sie nachlässig die Brotkrumen von einem der Tische wischte. Beide hatten noch Stroh im Haar und sie war sich sicher, dass der Kerl immer nervöser wurde, desto länger Maria ihn anstarrte.

Sie grinste belustigt in sich hinein, während sie den Boden fegte und ins Sonnenlicht blinzelte. Sie fand den Tag schön.

Anschließend drehte sie sich um und starrte noch ein wenig mehr.
 

Als sie aus den Schatten der Bäume trat und wieder mit ungedämmten Sonnenlicht Vorlieb nehmen musste, verfluchte Mathilda ihren Entschluss nicht zum ersten Mal (sondern zum vierten. Sie neigte dazu, gewisse Dinge nicht zu sehen und Wurzeln, die aus dem Boden ragten, gehörten dazu. Ihre Knie waren mittlerweile blutig.), aber dieses Mal war es endgültig zu spät, um umzudrehen, denn sonst würde sie wieder drei oder mehr Wurzeln nicht sehen und dazu hatte sie schlicht keine Lust.

Statt zurück in die Schatten des Waldes zu flüchten, rang sie sich schließlich doch dazu durch, den schlammigen Pfad hinunter zum Dorf zu gehen.

Für die Bauern, die mittlerweile auf den Feldern zu retten versuchten, was nach den heftigen Regenschauern der letzten Wochen schlicht nicht mehr gerettet werden konnte, hatte sie dabei jedoch keinen Blick. Ihr Interesse galt allein dem Schlamm in ihren Sandalen, der zwischen ihren Zehen klebte und welcher, sobald sie die Füße aus dem Boden hob, erstaunlich rasch anzutrocknen begann.
 

Der Schlamm zwischen Balthasars Zehen war nicht leicht angetrocknet – er war steinhart. Zumindest, wenn man von den frischeren Schichten, die hinzugekommen waren, seitdem er die Kirche verlassen hatte, absah.

Er hatte mittlerweile nicht nur das Gebäude, sondern auch Klostermauer und Mageninhalt hinter sich gelassen, und zwar mehr stolpernd als rennend und von oben bis unten wund geschürft. Zurückgelassen hatte er auch den Abt und mit diesem sein moralisches Verantwortungsbewusstsein, wenn auch letzteres nur für einen Augenblick. Es neigte dazu, ihm hinterher zu laufen wie ein Hund, der einem leckeren Knochen folgte. Nicht nur der Abt hatte ihn dafür bereits verspottet.

Den Geruch von faulenden Eiern hatte er im Übrigen nicht mehr gefunden, dafür aber genug anderes, das seinen Albträumen für Monate genug Nahrung gab.

In diesem Moment streifte ihn sein Verantwortungsbewusstsein auch schon, doch Balthasar trat nur nach ihm, erinnerte sich daran, warum Heinrich es nicht gewagt hatte, zurückzukehren, rappelte sich wieder auf und rannte ein wenig schneller.

Er brauchte Hilfe.

Sofort.
 

Hilfe brauchte im Übrigen auch Mathilda.

Sie hatte das Dorf erreicht und die ersten zwei Geschichten über das Geschehen im Kloster gehört, keiner davon Glauben geschenkt und stand jetzt mit dem Rücken zur Wand. Die Wand gehörte der Taverne, in welcher sie eigentlich hatte eine kurze Rast einlegen wollen.

Ihr gegenüber stand ein Mann. Er war groß, schlaksig, blond und verdammt dreckig. Ihm standen nicht nur Strohhalme aus den Haaren, er roch auch danach. Außerdem schwitzte er anscheinend noch mehr als sie selbst, und warf ihr einen Blick zu, als hätte sie ihn bei etwas Verbotenem erwischt, als er aus der Hintertür schlich.

Bei genauerem Überlegen stand für sie fest, dass sie vermutlich genau das getan hatte.

Eigentlich starrte er sie nur an, einmal vom braunen Haaransatz bis zu den Fußspitzen und wieder zurück. Dann schien er es sich anders zu überlegen und kam einen Schritt auf sie zu.

Er lehnte sich mit dem Oberarm gegen das Stück Wand neben ihr.

„Hör mal, Mädchen...“

Weiter kam er nicht.

Von einem stabilen Holzscheit am Hinterkopf getroffen, glitt er recht unsanft ins Reich der Ohnmacht, versuchte noch, sich an ihr festzuhalten, fand aber keinen Halt und landete mit einem schmatzenden Geräusch im Schlamm.

Maria, eine der Mägde der Taverne ragte hinter ihm auf wie ein Racheengel, das Stück Holz noch in der Hand.

Die beiden jungen Frauen tauschten einen Blick.

„Er hatte seine Finger an meiner Schwester.“
 

Ein plötzlicher Schmerz in seinem Rücken war es, der Balduin weckte.

Er stöhnte und wollte fluchen, überlegte es sich jedoch anders, als er feststellte, dass er den Mund voll halb getrocknetem Schlamm hatte.

Noch einen Augenblick zögernd und darauf wartend, dass der Schmerz auf ein erträgliches Maß abflaute – was er zu seiner Überraschung sogar recht rasch tat – rappelte er sich auf und spuckte und hustete Erdklumpen. Er fühlte sich wie nach einer durchzechten Nacht in der Taverne mit einer zünftigen Tavernenprügelei, nur ohne die durchzechte Nacht in der Taverne und ohne die Chance, zurück zu schlagen.

Als er sich weiter aufsetzte, stellte er fest, dass es nicht beim Schlamm in seinem Mund blieb. Er knirschte mit den Zähnen und kleine Sandkörnchen knirschten fröhlich mit. Irgendjemand musste ihn niedergeschlagen haben – und hatte ihn anschließend in der Brühe, in der er gelandet war, liegen lassen. Nur wer dieser jemand gewesen war, darauf konnte er sich keinen Reim machen.

Das Letzte, an das er sich erinnerte, war ein Mädchen im besten Mädchenalter, das förmlich danach schrie, in Angelegenheiten hineingezogen zu werden, die sie nichts angingen. Er musste etwas gesagt haben oder zumindest hatte er etwas sagen wollen, doch dann kam nur noch der Schmerz in seinem Hinterkopf, Schwärze, Schmerz in seinem Rücken, als hätte ihn jemand als Brücke über den Schlamm benutzt, Schlamm in seinem Mund, selbigen ausspucken, sich fragen, wo er war.

Balduin hielt in seinen Gedanken inne und fasste sich etwas verspätet mit einer dreckverkrusteten Hand an den Hinterkopf.

Die Wunde, die sich dort zweifelsohne befand, auch wenn sie vielleicht nicht mehr blutete, grüßte mit einem enthusiastischen Pochen zurück.

Die Zähne fletschend und immer noch auf Sandkörnern knirschend blinzelte er gen Himmel. Die Sonne war weiter gewandert, aber der Himmel war nach wie vor seltsam blau und die Luft viel zu heiß, selbst für August. Er fluchte nun doch und es klang seltsam knirschend.

Irgendwer würde dafür bluten. Und das nicht nur ein bisschen.
 

Als Balduin aus dem schmalen Gang zwischen Taverne und Pferdestall trat und sich auf die Suche nach einer Waschmöglichkeit (Die Tavernenprügelei nachzuholen musste warten. Er fühlte sich stocksteif und das lag nicht an seinen Gliedern, sondern am Schlamm, der seine Kleidung ziemlich schnell ziemlich fest werden ließ.) machte, geschahen mehrere Dinge zugleich:
 

Die alte Ketlin, Frau vom Dorfschmied, Mutter von elf Kindern und Großmutter von unzähligen Enkeln, deren Fußabdruck übrigens schon auf Balduins Rücken prangte, rannte wie ein in helle Panik geratenes Huhn durchs Dorf und rief ihre Kinder und Enkel zur Hülfe (Ja, sie benutzte ein Ü. Ihre Aussprache hatte es nicht so mit dem I. Zum Glück für sie gab es zu dieser Zeit noch keine Deutschlehrer.). Dabei achtete sie nicht sonderlich auf Menschen, die nicht ihre Kinder oder Enkel waren. Mathilda gehörte nicht dazu und bekam einen Ellbogen in den Rücken, als sie im Weg stand.
 

Mathilda landete nicht sonderlich weich, denn der alles bedeckende Schlamm war an dieser Stelle dank guter Sonneneinstrahlung bereits ausgehärtet, mit überraschend vielen spitzen Kanten und Löchern, überall dort, wo im feuchten Zustand die Bauerntrottel ihre Abdrücke hinterlassen hatten.

Sie verfehlte die Stelle, wo es keine Kanten und Löcher gab und fluchte herzhaft.

Auch wenn sie sich mittlerweile ein gutes Bild von den Geschehnissen beim Kloster (Das Wesen hatte wohl doch nur zwei Beine, zwei Arme und einen Kopf gehabt und sah wohl ziemlich menschlich aus. Der Bock, der es begleitete, sah ziemlich ziegisch aus, war es wohl aber nicht, denn es konnte Schwefel und Feuer speien.) hatte machen können, biss sie die Zähne aufeinander und beschloss, doch noch nicht zum Hof zurück zu kehren, sondern ihren ganzen Frust an jemandem abzulassen. Und wenn dieser jemand die alte Ketlin sein sollte, war ihr das gerade ziemlich egal.
 

Gleichzeitig stellte der Tavernenwirt fest, dass ihm nicht nur eine Magd abhanden gekommen war, sondern beide. Als er Juliana nicht einmal im Stroh des Pferdestalls fand, begann er, sich Sorgen zu machen.

Zuverlässige Dienstkräfte (Juliana gehörte dazu. Wann immer sie verschwand, konnte man sich eigentlich darauf verlassen, dass sie in Kürze leicht gerötet und mit Stroh oder Gras im Haar wieder auftauchte, genauso der fehlende Gast aus der Taverne.) ließen sich nur schwer finden und verlangten meist mehr Lohn, als sie wert waren. (Das taten unzuverlässige Dienstkräfte allerdings auch.)
 

Ebenfalls zeitgleich stolperte Balthasar durch die letzten Baumreihen hinaus ins Sonnenlicht. Ihm brach der Schweiß nicht aus, er schwitzte auch so schon genug.

Noch vor kurzem hätte er nie vermutet, dass ihn ein paar Bäume, die er eigentlich kannte, dermaßen verwirren konnten, dass er einen ganzen Nachmittag damit verbrachte, einen Weg, den er sonst recht rasch hinter sich brachte, zu finden. (Obwohl, das stimmte nicht ganz. Er hatte auch einen guten Teil der Zeit damit verbracht, vor einem ausgehungerten Wolf zu fliehen, der ihn wohl mit einem saftigen Stück Fleisch verwechselt hatte.)
 

Mathilda hatte indes die alte Ketlin erreicht.

Diese war umringt von ihren Töchtern, Schwiegertöchtern, Schwestern der Schwiegertöchter, den älteren Enkelinnen und Nichten, sowie den restlichen Frauen des Dorfes.

Mathilda ließ kurzfristig doch von ihrem Vorhaben, die alte Ketlin ungespitzt in den Boden zu rammen, ab und stellte sich stattdessen dazu, um die neuesten Neuigkeiten zu vernehmen.

Doch auch, als sie näher trat und sich nun ihrerseits mit den Ellenbogen weiter nach vorne kämpfte, verstand sie inmitten des Geschnatters nicht viel mehr von dem, was die alte Ketlin sagte, als vorher.

Sie wechselte einen besorgten Blick mit Maria, welche ebenfalls in der Menge stand und gebannt lauschte. Beide bekamen nur vage Gesprächsfetzen mit.

„Wenn üch es doch sag!“

„Tot! Mausetot!“

„Üch hab... gesehen!“

„Stand mitten...!“

„Blut überall!“

„Meün Mann! ... armer Mann!“

„Ja! ... der junge...“

Der Name, den die alte Ketlin nannte, ging in Mathildas Schrei unter.

Die junge Ketlin, doppelt so breit wie die Mutter, stand ihr auf dem Fuß.
 

Balthasar interessierte Mathildas Schrei nicht.

Er hörte ihn nicht einmal, weil er viel zu beschäftigt war, nicht vor Erschöpfung umzufallen.

Er fiel schließlich doch, über einen Mann, welcher gerade beschlossen hatte, sich doch noch einmal über den Trog zu knien und sich Schlamm aus dem Gesicht zu kratzen, und somit in Balthasars blinden Winkel (Sein Blickfeld glich momentan einem Tunnel. Dementsprechend war der blinde Winkel recht groß.) geriet.

Sie landeten beide in der Pferdetränke.

Der Geduldsfaden des Mannes riss und er stürzte sich auf den irritierten und erschöpften Mönch. Dieser jedoch, vom Wasser, das zwar nicht kühl, aber immerhin kühler als die Luft um sie her, war, frisch belebt, schlug zurück.

Und obwohl seine Faust mit Sicherheit nicht die durchschlagende Wirkung eines Holzscheites hatte, genügte sie dennoch – zielgenau gegen die Schläfe gerichtet – um den Mann aus der Pferdetränke so schlagen.

Diesmal landete der Mann nicht mit einem schmatzenden Geräusch im Schlamm, weil der Schlamm bei der Pferdetränke in der Sonne lag und bereits steinhart getrocknet war. Das Geräusch war folglich eher dumpf.

In diesem Moment meldete sich Balthasars moralisches Verantwortungsbewusstsein zaghaft zurück. Er beugte sich fluchend über den Mann und begann, sich zu entschuldigen.
 

Mathilda fluchte nur und verzichtete auf die Sache mit dem Entschuldigen, denn immerhin war es die junge Ketlin gewesen, die auf Mathildas Fuß gestanden hatte, nicht umgekehrt. (Umgekehrt hätte allerdings auch keine von beiden etwas bemerkt.)

Die junge Ketlin hingegen prügelte der jungen von Dummersberg nur nicht ihre Sicht der Dinge ein, weil sie die junge von Dummersberg war und sechs Brüder hatte, wovon zumindest drei mit Schwertern umgehen konnten. Und auch wenn Ketlin noch nie ein Schwert in der Hand gehabt hatte, wusste sie, dass diese spitz und scharf waren und sie keines in ihrem Körper stecken haben wollte.

Nur widerwillig ließ sich Mathilda aus der Gruppe, zu deren unfreiwilligem Mittelpunkt sie geworden war, schieben und hörte erst mit dem Zetern auf, als Maria, welche sie vorsichtshalber bei den Schultern gepackt hatte und mit sanfter Gewalt vor sich her schob, sie daran erinnerte, dass die junge Ketlin genauso ein Drache war, wie ihre Mutter. (Nur nicht mit ganz so vielen Kindern.)

Die anderen Frauen hatten sich längst wieder um die alte Ketlin gescharrt.

„Furchtbares Volk. Manchmal wünschte ich, Adalbert würde mit der ganzen Sippe kurzen Prozess machen.“

„Wenn er das täte, wäre das Dorf leer.“

Die beiden jungen Frauen seufzten und betraten die Taverne.

Was Mathilda jetzt brauchte war ein ordentlicher Schluck Wein. Verdünnt natürlich.

Unverdünnt konnte man das saure Zeug, was man in dieser Gegend produzieren musste, weil alle anderen Weine schlicht nicht gelangen oder eingingen, bevor sie Trauben trugen, nicht saufen.
 

Saufen wollte auch Balduin.

Nachdem der verdammte Mönch, Balthasar, das wusste er jetzt, ihn wieder wach bekommen und ihn mit Entschuldigungen entnervt hatte, hatte er sich wider besseren Wissens dazu entschlossen, doch noch nicht aufzubrechen, wie er es eigentlich schon seit dem Morgengrauen vorgehabt hatte, sondern sich seine Geschichte anzuhören. Dazu hatte er den Mönch in die Taverne gezogen und sich – da der Wirt gerade nicht anwesend war – schlicht selbst bedient. Auch das hatte er mittlerweile bereut, denn anscheinend hatte er die Bierreste von letzter Nacht erwischt, zumindest schmeckte es so.

Er hatte die Geschichte freilich schon gehört, von den anderen Brüdern, die sich hatten retten können, doch die Details verschwammen hinter einem Holzscheit, an dem noch sein Blut klebte – er hatte die Tatwaffe mittlerweile gefunden und sie vor lauter Wut nach einem der Pferde in der Nähe geworfen. Der Gaul hatte gescheut, seinen Reiter abgeworfen und war im Wald verschwunden, während der Mensch glücklicherweise zu sehr damit beschäftigt war, dem Klepper hinterherzueilen, als dass er Balduin hätte bemerken können.

Desto weiter jedoch die Erzählung Balthasars fortschritt, desto mehr bereute er seinen Entschluss.

Einen Teil hatte er wie bereits erwähnt bereits von den anderen Mönchen erfahren, welche sich beim kleinsten Anzeichen der Gefahr klugerweise in Sicherheit gebracht hatten und mittlerweile auf den Weg zu einem Schwesterkloster befanden. Balthasar hatte nicht zu dieser Gruppe gehört, anscheinend war er stattdessen der Trottel gewesen, der den Ursprungsort entdeckt hatte, mit Kerzen, seltsamen Witterungsverhältnissen, Kreidestrichen, faulen Eiern und allem Schnickschnack.

Im Gegensatz zu Balthasar wusste er, was das bedeutete.

Und es gefiel ihm ganz und gar nicht.

Er verfluchte sich erneut dafür, nicht gegangen zu sein, als er die Gelegenheit dazu gehabt hatte.
 

Maria wusste zwar nicht, was das alles zu bedeuten hatte, aber es interessierte sie auch nicht. Sie hatte sich bereits mit der neuen Situation arrangiert und die Hitze war ihr nach dem monatelangen Dauerregen sogar willkommen. Genauso der Fakt, dass sie wohl so schnell kein Bier und keinen Wein mehr zum Kloster würden liefern müssen.

So lauschte sie stattdessen mit einem Ohr Mathildas Gezeter, welche nun, da Ketlins Sippe nicht mehr in Hörweite war, farbenfroh fluchte, warf hin und wieder einen Blick zu dem Mönch, den sie als Bruder Balthasar zu erkennen glaubte, und dessen Begleitung, welche immer, wenn sie ihn mit dem Blick streifte, zusammenzuckte, und goss Wein in zwei Becher. Einen davon schob sie Mathilda zu, den anderen leerte sie selbst und verzog den Mund, weil das Zeug auch verdünnt noch sauer genug war. Sie fragte sich nicht einmal, wo sich der Wirt herum trieb. Vermutlich stand er ebenfalls zwischen den Weibern und lauschte dem Klatsch. Manchmal glaubte sie, er sei selbst ein halbes Weib, aber für den Beruf als Wirt musste man das wohl auch sein.

„Aber seltsam ist das schon.“, murmelte Mathilda in ihren Becher. „Erst das Kloster, jetzt der alte Schmied.“

„Ja, wir werden ihn vermissen. Und die Mönche auch. Waren gute Abnehmer. Sehr trinkfest.“

Die Mädchen grinsten.

„Das meinte ich nicht.“

„Ich weiß. Du hast Schiss, dass es dich als nächstes erwischt. Hat jeder hier. Vor allem die Schnepfe von dem Alten.“ Sie nickte kurz zur Theke, als sei damit bereits alles gesagt. „Hat heute all ihre Reichtümer, die sie nicht hat, in Sicherheit zu bringen versucht, sah lustig aus. Wenn du meine Meinung wissen willst: Die haben nur ordentlich einen über den Durst getrunken.“

Maria spürte Balthasars Blick in ihrem Nacken und ignorierte ihn mit all der Tavernenerfahrung, die sie mittlerweile hatte. Es gelang ihr gut.

„Heinrich war nüchtern. Ein Dummkopf, aber nüchtern. Ausnahmsweise.“

Maria wollte antworten, wurde jedoch unterbrochen, als ein Schrei ertönte und dann noch einer.

Die Tür schlug auf und schnell wieder zu und dann war der Wirt auch schon hinter dem Weinfass verschwunden. Er rief kein „Geht in Deckung!“ oder ähnliches. Vielleicht nahm er an, dass die Anwesenden darauf von allein kamen. Vielleicht war ihm sein eigenes Leben auch nur wichtiger.
 

Balduin hätte die Warnung auch nicht gebraucht.

Der Wirt war noch nicht einmal halb im Raum, da hatte er schon den Mönch bei der Kutte gepackt und war auf der Suche nach der Hintertür. Er hörte, dass die beiden Mädchen ihm folgten. Kurz dachte er, dass die beiden anscheinend wenigstens so klug waren, zu begreifen, dass ein Weinfass kein geeigneter Schutzwall ist, zumindest nicht in solchen Situation. (Den Gedanken, dass sie ihm vielleicht nur folgten, um ihm erneut einen Holzscheit auf den Hinterkopf zu zimmern, verdrängte er gekonnt. Das hätten die beiden auch nicht überlebt.)

Schließlich fand er die Tür, trat sie auf, weil sie klemmte und schob den Mönch drei Häuser weiter, weg von dem Ort des letzten Schreis. Dort drückte er sich gegen die Außenmauer des Gebäudes und überschlug in Gedanken, wie groß die Chancen waren, dass sie den Wald lebend, ungesehen und unbehelligt erreichten und auch die Flucht hindurch überlebten. Ein Blick auf seine drei Begleiter, einem abgerissenen erschöpften Mönch, eine kleine Tavernenschlampe, die vermutlich Maria hieß, wenn er sich recht entsann, und das Mädchen mit der Eigenschaft, in Angelegenheiten hineingezogen zu werden, die sie nichts angingen, verriet ihm, dass die Chancen gegen Null liefen.

Er rechnete nach und rechnete großzügig, doch das Ergebnis blieb frustrierend.

Kopfschüttelnd ließ er Wald Wald sein und kramte sich durch seinen Wams. Der Stoff knirschte bedenklich, als er sich bewegte.

„Was ist hier nur los?“, hörte er das Mädchen fragen. Gleich darauf vernahm er ein von der Tavernenschlampe gezischtes „Mathilda! Man könnte uns hören!“

Seine Finger schlossen sich um das, was er gesucht hatte, ein Stück Kreide, und er beschloss, doch zu antworten.

„Wenn er das nicht bereits getan hat.“

Zufrieden stellte er fest, dass der Satz noch bissiger geklungen hatte, als er beabsichtigt hatte. Genauso zufrieden stellte er fest, dass sich beide Mädchen noch weiter gegen die Wand drückten.

„Zu deiner Frage, Mathilda.“ Er klang knirschend. Gut. Hatte der Schlamm doch noch etwas Gutes. „Irgendeiner der Klostertrottel hat einen Dämon beschworen.“

„Was zur Hölle?“

„Halt du dein Maul, Balthasar, es reicht, wenn ich uns um den Kopf quatsche. Und Hölle trifft es ganz gut, denn dort kommen Dämonen für gewöhnlich her.“

Sie hörten einen neuerlichen Schrei, diesmal näher. Seine drei Begleiter zuckten zusammen, er verkniff es sich.

Einen Augenblick später sahen sie, wie die junge Ketlin aus dem schmalen Durchgang zwischen Taverne und Pferdestall hastete. Er wunderte sich noch, wieso sie nicht stecken blieb, dann erkannte er die Flammenzunge, die ihr folgte. Ketlin bog ab und verschwand hinter dem Pferdestall, das Feuer verbrannte ein bisschen Erde und noch weniger Gras und verpuffte. Eine Ziege meckerte.

„Was war das?“

Mathilda klang nicht nur verstört, sondern panisch. Ganz toll. Er schraubte die Chancen, den ganzen Scheiß zu überleben, noch ein wenig mehr zurück.

„Feuer?“

Er knirschte und hätte am liebsten ausgespuckt. Es verwunderte ihn, dass sie noch die Kraft dazu aufbringen konnte, frustriert zu schnauben. „Das habe ich gesehen.“

„Was machen wir jetzt?“

Wenigstens Balthasar schien noch ruhig zu sein, zumindest, wenn er nicht einfach nur zu erschöpft war.

„Was wohl? Wir schicken den Mistkerl zurück, wo er hingehört.“ Seine Finger umklammerten bereits jetzt die Kreide, als hinge sein Leben davon ab. (Tat es auch.) Oh ja, er hätte verschwinden sollen, als er die Gelegenheit dazu gehabt hatte. „Was ist das letzte Haus des Ortes in diese Richtung?“

Er wies in die Richtung, aus der sie nicht kamen.

„Das Wohnhaus des Dorfmeiers. Was...?“

„Stell nicht ständig unnötige Fragen oder ich bedanke mich doch noch für den Holzscheit.“

Maria zuckte zusammen, verkniff sich aber die Entschuldigung und wurde auch nicht rot. (Es freute Balduin dennoch diebisch, dass er sie ertappt hatte. Dabei hatte er sie noch nicht einmal genauer im Verdacht gehabt.)

„Ich hoffe, die Hintertür ist nicht verschlossen? Gut. Dann werde ich jetzt dort hingehen. Ihr lasst euch nicht kochen, denn wenn doch, wird es mir egal sein, verstanden?“

Mathildas Protest ging unter. Sie hörten die Ziege meckern. Und es klang, als hätte sie großen Spaß. Die junge Ketlin, die kurz darauf schrie, klang nicht so, als ob es ihr auch Spaß bereiten würde.

„Weg hier.“
 

Als sich Mathilda wieder Balduin zuwenden wollte, war dieser verschwunden und mit ihm Maria. Sie schluckte, dann fühlte sie sich auch schon mitgezogen.

„Balthasar, richtig?“

Der Mönch nickte und zog sie weiter.

„Was hast du vor?“

„Diesem Trottel folgen, was sonst?“

Sie war sich nicht ganz sicher, ob das eine Drohung gewesen war oder nicht, doch es klang so, als würde er von Balduin erwarten, dass er sich nicht einmal selbst den Hintern abwischen konnte.

Sie stoppten, als sich zwischen den Häuserreihen erneut ein Durchgang auftat, der zum Dorfplatz führte. Es meckerte, irgendwo hinter ihnen, hoffentlich weit genug weg.

Ihr Blick ging zurück, doch sie sah keine Ziege.
 

Balthasar sah auch keine Ziege. Sein Blick ging allerdings nicht zurück, sondern in den Durchgang. Was er sah, war ein Junge, noch keine zwölf Jahre alt. Er trug eine Novizenkutte und hatte ihnen den Rücken zugewandt. Dennoch hatte Balthasar das seltsame Gefühl, er würde sie beide sehen können. So, als würde er alles sehen können. Auch ohne Augen, obwohl er zweifelsfrei welche hatte.

Ihm grauste und vermutlich wäre ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken gelaufen, wenn er seit der Nacht nicht schon genug Grauen gesehen hätte.

Faule Eier, beziehungsweise deren Geruch, wehte ihm entgegen und er hatte das Gefühl, dass der Junge – es musste einfach der Junge sein – das extra für ihn tat. So, als würde er nicht nur alles sehen, sondern auch alles wissen. Und dann erkannte er ihn oder das, was er einmal gewesen war. Noch ein von Dummersburg, der zweitjüngste Knabe der Familie und eines der Familienmitglieder, die dem Namen von Dummersburg besonders gerecht wurden.

Er griff noch ein wenig fester nach Mathilda und zog sie weiter, bevor sie ihren Bruder auch nur sehen konnte.
 

Maria musste nicht gezogen werden. Sie folgte Balduin ganz von allein und irgendwo in ihr drin freute sie sich, dass er sich darüber zu ärgern schien. Immer wieder fragte sie sich, warum er ihr nicht sagte, dass sie ihn nervte, doch er schwieg und darum schwieg sie auch und irgendwie legten sie den Weg schneller zurück, als sie für möglich gehalten hätte.

Balduin war mehrere Male kurz stehen geblieben, meist vor Lücken zwischen den Häusern oder offen stehenden Türen, doch er hatte den Blick nie von seinem Ziel abgewandt, so, als wenn er gar nicht danach schauen musste, ob sich Gefahr näherte.

Zweimal hatte sie das Gefühl, gleich enttarnt zu werden, doch sie erreichten das Haus ungesehen und sie wurde den Gedanken nicht los, dass das Balduins Verdienst war. Wie auch immer er das schaffte.

Die Hintertür glitt lautlos auf, als er ihr einen kleinen Stoß gab. Dafür schrie das jüngste Kind der Familie, das bereits seit Tagen krank im Bett gelegen hatte. Es schien ihm wieder besser zu gehen, nur leider war der Moment dafür ausnahmsweise nicht sonderlich günstig.
 

„Bring das Gör zum Schweigen, oder ich tue es.“

Er brauchte nicht einmal sonderlich laut zu sprechen, Maria tat auch so, was er von ihr wollte und er genoss es. Er hatte nicht oft die Gelegenheit, jemandem Befehle geben zu können, in der Regel war er derjenige, der Befehlen Folge leisten musste. (Erstaunlich oft lautete dieser übrigens: „Nimm die Finger von meiner Tochter!“)

Zwar wäre es Balduin lieber gewesen, er hätte seine Methode verwenden dürfen, die vielleicht ein wenig blutig gewesen wäre, doch auch dem Mädchen gelang es tatsächlich, das Kind ruhig zu stellen. Ohne Blut.

Das Stroh, mit dem der Boden des Gebäudes ausgelegt worden war, raschelte leise unter seinen Füßen. Im Übrigen roch es modrig und der Geruch wurde stärker, als er sich hinunter beugte, um die Halme beiseite zu fegen.

„Was machst du da?“

Marias Stimme erreichte ihn nur leise und gedämpft, als hätte sie den Ernst der Lage tatsächlich begriffen. Als Belohnung war der Tonfall in seiner Antwort weniger bissig.

„Ich fege Stroh beiseite.“

Aber bissig genug. Er hörte sie frustriert seufzen.

Für einen Moment arbeitete er im Stillen.

Schließlich griff er nach dem Stück Kreide und begann, Linien auf den Boden zu zeichnen. Er spürte die interessierten Blicke, von Maria und von dem Gör. Anscheinend hatte sie von der Idee mit dem Holzscheit tatsächlich Abstand genommen.

„Du bist kein normaler Mensch, richtig?“

Was nicht hieß, dass sie ihn nicht nach wie vor nervte.

„Nein.“

Das Stroh über dem Kreidekreis verteilt, begutachtete er noch kurz sein Werk, war damit zufrieden und wandte sich dem nächsten Punkt in seinem Plan zu. Er widerstand der Versuchung, Kochgeschirr aus dem Weg zu treten, nur, weil es zu laut gewesen wäre, und wiederholte die Prozedur bei der vorderen Tür.

„Du weißt ziemlich viel, kann das sein?“
 

„Nein, ich tue nur so.“

Maria grinste nicht, aber nur, weil die Situation eigentlich nicht komisch war.

Sie saß neben dem Mädchen, Agnes, auf dem mit Stroh gefüllten Leinensack, welchen man neben die Feuerstelle geschafft hatte, wo auch gekocht wurde, der wärmste Ort des Hauses, und strich ihr beruhigend über den Rücken.

Dafür, dass sie das Mädchen aus dem Schlaf gerissen hatten, weil sie in das Haus ihrer Eltern eingebrochen waren, hatte die Kleine sehr rasch begriffen, dass sie still sein musste, da es ihr sonst an den Kragen gehen würde. Vermutlich wegen Balduins finsteren Blick, den Maria sehr wohl mitbekommen hatte.

„Woher weißt du das? Alles? Also die Sache mit dem Dämon?“

„Der Klostertrottel hat mir berichtet, was er gesehen hat. Ich hab eins und eins zusammengezählt.“

„Das meinte ich nicht. Ich... Woher wusstest du, dass es Dämonen überhaupt gibt? Das man sie rufen kann?“

Sie hörte ihn seufzen während er weiterhin in seine Arbeit vertieft war. Was immer er da gerade auch tat. Sie bezweifelte, dass er es ihr verraten würde, würde sie ihn fragen.

Dafür verriet er ihr etwas anderes.

„Es ist so etwas wie meine Freizeitbeschäftigung, weißt du? Hexerei, Magie, Dämonenbeschwörungen, seltsame Striche mit Kreide auf den Boden ziehen, komische Kräuter ins Feuer werfen. Es ist nicht so, dass ich das zum ersten Mal mache.“
 

Zu Balthasars neuester liebsten Freizeitbeschäftigung schien das Weglaufen zu gehören.

Gerade lief er wieder, in einem Zickzack Kurs diesmal.

Er wusste nicht, ob der Junge sie gesehen hatte, aber Mathilda hatte ihn gesehen und ihn erkannt und etwas gesagt, natürlich zu laut und dann hatte der Junge sie vielleicht nicht gesehen, aber die Ziege.

Es war tatsächlich eine Ziege, nicht nur das Meckern einer Ziege. Sie sah aus wie eine Ziege, sie hatte braungraues Fell wie eine Ziege, einen Ziegenbart wie eine Ziege, Hörner wie eine Ziege, sie klang wie eine Ziege und sie spie Feuer.

Das Gute an der Situation war: Es gab anscheinend nur eine.

Das Schlechte an dieser Situation war: Sie spie Feuer.

Er hastete vor der nächsten Flammenzunge in Deckung und sah, wie eines der Bauernhäuser in Flammen aufging.

Wo Mathilda war, wusste er nicht, aber er suchte auch nicht nach ihr, denn die Ziege – beziehungsweise die Flucht vor selbiger – erschien ihm momentan zweifelsfrei als wichtiger.

Er erreichte den Dorfplatz und es war ihm reichlich egal, ob der Junge ihn nun sah, oder nicht. Er tat noch eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf Schritte dann hatte er das Haus des Dorfmeiers erreicht und stieß die Tür scheppernd auf, sie öffnete nach innen, ohne Rücksicht darauf, was sich dahinter verbergen mochte.
 

Balduin verbarg sich zwar nicht hinter der Tür, aber er befand sich dahinter.

Sie knallte ihm mit einem dumpfen Schlag gegen den Schädel und vor seinen Augen wurde es zum dritten Mal an diesem Tage schwarz mit vielen leuchtenden Punkten auf dunklen Grund. Die Kreide rollte ihm aus der Hand.

Einen Moment später hörte er das Gör plärren, Maria genauso plärren, Balthasar sich entschuldigen und eine Ziege freudig meckern.

Es klingelte in seinen Ohren, doch er zwang sich dazu, sich aufzurappeln. Er schwankte bedrohlich. Warmes Blut lief ihm in den Nacken, doch er ignorierte es.

„Das ist Cunrat von Dummersberg!“

Das Pfeifen in Balduins Ohren war noch zu laut, um die Verblüffung aus Marias Stimme heraus zu hören. Er wusste dennoch, wie sie es gemeint hatte. Er verkniff es sich, Balthasar einen finsteren Blick zuzuwerfen, stattdessen blickte er gleich hinunter zu dem Knaben in der Novizenkutte mit dem strohblonden Haar.

„Nein. Das war Cunrat von Dummersberg. Zumindest, bis er auf die selten dämliche Idee gekommen ist, mitten in der Nacht in einer zugigen Hütte einen Kreidekreis zu ziehen und ein paar Kerzen aufzustellen und einen Dämon zu beschwören, der nun von ihm Besitz ergriffen hat.“

„Du hast das 'lateinische Formeln, von denen er nicht weiß, was sie bedeuten, murmeln' vergessen. Und ich fand die Idee gar nicht so selten dämlich.“

Cunrats Stimme war so glockenhell wie immer. Es mochte ein Dämon in ihm stecken, doch das änderte nichts an dem Fakt, dass sich die Pubertät bei ihm noch nicht eingestellt hatte.

„Du hattest schon immer einen äußerst seltsamen Geschmack.“

Balduin war mittlerweile wieder etwas sicherer auf den Füßen und trat einen Schritt vor.

„Und du einen äußerst seltsamen Humor. Balduin von Schwarzenburg, wenn ich mich recht entsinne? Jüngster von drei Brüdern, aber mindestens genauso tief in den dunklen Künsten versifft, wie die beiden älteren. Wollten dich die Bürger von Schwarzenburg nicht brennen?“

Ein Held hätte jetzt einen flammenden Monolog über seine Ehre gehalten oder wenigstens „Halt's Maul!“ geschrien.

Balduin war jedoch kein Held.

Er schlug die Tür zu und hastete zur Hinterausgang.
 

Niemand musste Maria sagen, dass es besser war, Balduin zu folgen. Sie griff nach der kleinen Agnes, zerrte sie erst mit sich und wuchtete sie sich schließlich auf den Arm.

Das Haus brannte von einem Moment auf den nächsten lichterloh, dann war sie durch die Tür gesprungen, Agnes und Balthasar an ihren Fersen, und atmete wieder frische Luft.

Als sie festen Boden unter den Füßen hatte, war von Balduin schon keine Spur mehr.

Beinahe erwartete sie das Meckern einer Ziege, doch was sie hörte war Cunrats helles Lachen. Ihr lief ein Schauer über den Rücken und sie tat das, was man einem Menschen in Panik nur äußerst selten befehlen musste: Sie rannte.

Sie nahm nicht den Weg, den sie vorher genommen hatten, sondern den hinter der Häuserreihe auf der anderen Seite.

Erst, als sie einer Ziege in die Hufe lief, stoppte sie ihren Sprint.
 

Balthasar lief ebenfalls und zwar nicht in eine Ziege.

Das lag vielleicht daran, dass er derjenige war, der den Weg nahm, den er gekommen war.

Von dem kannte er zumindest bereits die meisten Löcher.

Das er nicht alle Löcher kannte, bewies er schließlich doch.

Er hatte die Taverne passiert, dabei den Schatten, den er durch die Hintertür sehen konnte, ignoriert, war an dem Pferdestall vorbei gerannt, danach noch vier Häuser weiter, hatte sich nicht angesehen, was aus der jungen Ketlin geworden war und war stattdessen plötzlich, im Schatten des nächsten Hauses, schlicht stecken geblieben.

Sein Fuß versank in etwas, das vielleicht einmal ein Maulwurfshügel gewesen war.

Er schlug der Länge nach hin.
 

Maria lag immer noch, Agnes in ihren Armen und beide zitternd und die Ziege bereits wieder auf den Beinen.

Sie meckerte.

Und meckerte erneut.

Dann spürte Maria, wie etwas an ihren Haaren knabberte und zupfte.

Frustriert setzte sie sich auf. Die Ziege war folgsam – vor allem folgte sie den sich bewegenden Haaren.

Maria schnaubte, zog an dem, was vor einer Ewigkeit ihre Frisur gewesen sein mochte, befreite es aus einem gefräßigen Maul und stand auf.

Sie setzte Agnes ab und befahl ihr, sich gut zu verstecken, sie habe noch etwas zu erledigen.
 

Balduin schlug nur zu.

Seine ganze angestaute Wut und Frustration kanalisierte sich in seinem Fuß, mit dem er kurzerhand einen der Tische aus dem Weg rammte. Daraufhin verschwanden Wut und Frustration zwar für einen Moment, kehrten aber schnell zurück, als sein Fuß Schmerzsignale zurück an sein Gehirn sandte.

Er fluchte, sah sich um, warf die Idee, neue Kreide (Seine eigene war vermutlich mittlerweile flambiert. Damit würde er nur noch schwarze Kreise ziehen können und ehrlich: schwarze Kreidekreise hatten keinen Stil.) in diesem Durcheinander zu finden, über den Haufen und ließ seinen Blick für einen Moment auf dem dicken Hintern des dicken Wirts, der hinter dem Weinfass kauerte, ruhen und dachte sich, dass es vielleicht klappen könnte.
 

Bei Balthasar klappte es tatsächlich.

Mit einem leisen Platsch glitt sein Fuß aus dem Loch.

Sein Fuß, das war jetzt nicht mehr Zehen mit ein wenig Schlamm dazwischen, sondern Schlamm mit ein paar Zehen dazwischen.

Es irritierte ihn fast, dass er nach wie vor keine Ziege hörte.

Es irritierte ihn nicht mehr, als er stattdessen Cunrats Lachen vernahm.

Panisch blickte er sich um, sah aber nur das, was früher einmal die junge Ketlin gewesen sein mochte. Er blickte wieder weg und dann traf es ihn, diesmal nicht zaghaft, sondern mit voller Wucht: sein moralisches Verantwortungsbewusstsein.

Er realisierte, dass der Schatten, den er da in der Taverne gesehen hatte, Balduin gewesen sein musste. Er realisierte auch, dass Cunrat Balduin gefunden haben musste und das Balduin versucht hatte, ihnen den Arsch zu retten und jetzt vermutlich knusprig kross enden würde.

Sein moralisches Verantwortungsbewusstsein holte mit einem besonders schweren Hammer aus. Er stürmte durch den nächsten Gang auf den Marktplatz.

Er sah Cunrat tatsächlich. Dieser stand auch tatsächlich vor der Taverne. Er trat ein und verschwand aus Balthasars Blickfeld.

„Lange nicht gesehen, Balduin von Schwarzenburg. Sag, haben sie nun versucht, dich zu brennen oder nicht? Ich übernehme die Aufgabe gerne, weißt du?“, hörte er ihn sagen und es klang durch das Fachwerk gedämpft.

Er merkte nicht einmal, wie er zu dem Gebäude hastete, dann sah Balthasar beide wieder. Balduin im hinteren Bereich des Raumes, Cunrat davor. Balthasar schluckte und trat ein.
 

„Haben sie. Aber ich hatte verständlicherweise etwas dagegen, weißt du?“, knurrte er.

Über die Schulter des Novizen erkannte Balduin den Mönch. Der Boden knarrte, als er eintrat.

Er musste sich dazu zwingen, nicht zu seufzen oder sich gar an den Kopf zu fassen.

Der Blick des Knaben richtete sich auf den Boden. Dort befand sich eine Lache aus Wein, die einen Kreis und mehrere Symbole bildete. Balduins Blick folgte dem seinen.

„Oh Balduin von Schwarzenburg. Was ist nur aus dir geworden? Denkst du wirklich, dass ich darauf herein falle?“
 

In diesem Augenblick fiel Mathilda. Sie war auf der anderen Seite des Dorfes, hatte beinahe schon das letzte Haus hinter sich gelassen. Hinter ihr meckerte es und sie war sich verdammt sicher, dass diese Ziege nicht nur an ihrem Haar knabbern wollte. (Woher sie diese Sicherheit nahm? Nun, die Feuerzunge, die sie soeben beinahe gegrillt hätte, war vielleicht ein recht deutliches Anzeichen.)

Sie federte ihren Sturz mit den Händen ab.

Immerhin fallen konnte sie gut. Vorzugsweise im falschen Augenblick.

Erneut meckerte es und ohne nachzudenken rollte sie sich zur Seite. Dort, wo sie noch vor kurzem gelegen hatte, brannte nun das spärliche Gras.

Ihr entsetzter Blick streifte die Ziege und sie hatte das seltsame Gefühl, dass das Vieh grinste. Und zwar schadenfroh.
 

Schadenfroh grinsen konnte Balduin nicht, aber grinsen tat er trotzdem. Er glich einem Wolf, der die Zähne gefletscht hatte.

„Nein. Azazel.“

Cunrat lachte glockenhell.

„Du hast mich also erkannt.“

„Der Ziegenbock war ein guter Hinweis.“

Der Junge nickte zustimmend. „Du warst schon immer ein kluger Kopf. Weißt du? Du bedeutest immer einen gewissen Spaß. Ich hoffe, dass ich mit deiner Seele genauso viel Spaß haben werde, wie mit deiner verkohlten Leiche.“

An den Fingern des Jungen entstanden Flammen. Balduins Verstand raunte ihm zu, dass es jetzt an der Zeit war, wirklich beunruhigt zu sein, doch das einzige, was sich an ihm veränderte, war sein Grinsen. Es wurde breiter. Fast so, als sei er irre. (Wenn man bereits dreimal an einem Tag niedergeschlagen worden war und Schlamm zwischen den Zähnen hatte, war man das vielleicht auch.)

„Und ich hoffe, du weißt, dass du nicht derjenige bist, mit dem ich meinen Vertrag geschlossen habe.“

„Das wird nicht weiter von Belang sein, wenn ich derjenige bin, der dich holt.“

Eine kleine Flammenzunge schoss auf Balduin zu. Er machte sich nicht einmal die Mühe auszuweichen. Ein brennender Riss zog sich über seinen linken Oberarm.

Einen Augenblick später stieß ein Ellenbogen empfindlich in Balthasars Nieren und einen weiteren Augenblick später war Balthasar genug zur Seite getaumelt und ein Holzscheit zerbrach beinahe auf dem Kopf des besessen Jungen. Natürlich konnte so ein Holzscheit einem Dämon nicht wirklich etwas anhaben, auch wenn er einen menschlichen Körper besaß. Azazel tat Maria den Gefallen und trat einen Schritt vor, als hätte der Schlag ihm das Gleichgewicht geraubt. Im selben Augenblick – dem Augenblick ihres Triumphes – hob er die Hand, an der noch vier Flammen züngelten und richtete sie auf das Mädchen.
 

Maria starrte auf die Hand.

Balthasar, sich die Nierengegend reibend, starrte ebenfalls auf die Hand.

Beide wussten, was das bedeutete.

Obwohl es eigentlich egal war, warf er sich wie ein Schutzschild vor sie und riss sie zu Boden. Es schepperte, als sie einen Tisch trafen und zwei Becher auf dem Boden zerschellten.

Die Flammen blieben aus.

Sie hielt einen Augenblick inne und zählte innerlich zweimal bis vier. Dann schob sie Balthasar mit nicht ganz so sanfter Gewalt von sich, um freie Sicht zu haben.

Cunrat stand noch immer dort, wo er hingestolpert war, die Hand auf sie gerichtet. Das Feuer an den Fingerspitzen war erloschen.

Balduins Grinsen füllte förmlich den ganzen Raum, als drei weitere Augenpaare ihren Blick gen Decke richteten.

Ein wenig Wein tropfte unbemerkt zu Boden. Niemand brauchte sich darum zu scheren, denn der Kreis war auch ohne ihn vollständig.

„Du verdammter...“

Der Junge krächzte nur noch.

Balduin grinste.

„...kleiner Bastard. Richtig, Azazel. Beim nächsten Mal solltest du dich vielleicht daran erinnern, dass ich zu den Menschen gehöre, die die meisten normalen Decken erreichen, ohne sich anstrengen zu müssen.“

Maria sah, wie der Hexer sich Wein über die Hand schüttete. Er erreichte die Decke tatsächlich, ohne sich strecken zu müssen

„Wenn du nun erlaubst?“

Der Strich, der den Zauber vollendete, war schnell gezogen.

Azazel sprach keinen Fluch und keine Verwünschung aus, er starrte nur hasserfüllt zu Balduin.
 

Einen Augenblick sahen sie sich einfach nur an.

Die Ziege öffnete ihr Maul und Mathilda hielt sich die Arme schützend vor ihr Gesicht.

Sie vernahm ein klägliches Meckern.

Dann kippte die Ziege leblos zur Seite.
 

Cunrats genauso lebloser Körper schlug mit einem dumpfen Laut auf dem Boden auf.

Die Blicke der drei Menschen ruhten für einen Moment schweigend auf ihm.

Balduin war der erste, der sich aus der Starre löste.

Er stolperte rückwärts zu einem der Tische, hielt sich nicht damit auf, eine Bank zu suchen, sondern ließ sich gleich auf selbigen nieder und hob den Krug Bier an seine Lippen.

„Scheiße.“
 

Maria hatte nach dem Holzscheit gegriffen, überlegte es sich anders und setzte sich zu ihm. Keinen Augenblick später hatte sie den Bierkrug, der Balthasar gehört haben mochte, in den Händen. Sie leerte ihn in einem tiefen Zug.
 

Balthasar hockte indes beinahe entspannt neben dem Jungen. Sein moralisches Verantwortungsbewusstsein hatte sich wieder beruhigt und in einen versteckten Winkel seines Gehirns zurückgezogen. Es rollte sich zusammen und schlief, während er feststellte, dass es ihm nicht einmal Leid um den Bengel tat, als er feststellte, dass er nicht mehr atmete.
 

„Wer war das?“

Balduin zuckte mit den Achseln und bereute es, als sowohl Hinterkopf als auch Oberarm protestierend pochten. „Ein alter Bekannter. Azazel. Mein Bruder mochte ihn. Schmieriger Typ. Mag Ziegen.“

„Aha.“

„Und Cunrat hat ihn gerufen?“

Er nickte schwach und trank einen Schluck.

Ein Geräusch, als würde etwas kleines, nasses auf das Dach schlagen, erfüllte den Raum. Ein zweites, sehr ähnliches Geräusch folgte dem ersten und einen Augenblick später trommelte der Regen als hätte er nie aufgehört auf Dach und gegen die Fenster.

„Talbot war vor kurzem hier. Die Frauen waren begeistert von den Liebestränken.“

„Ich bestelle ihm einen Arschtritt von dir, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.“

„Das Wetter war vermutlich auch Azazels Werk?“

„Vermutlich Inhalt des Paktes. 'Ich geb dir schönes Wetter und du gibst mir deinen schönen Körper und wir beide wären schön glücklich, wäre das nicht schön?'“

Balthasar stand auf und warf dem Wirt, welcher anscheinend Frischluft witterte, einen finsteren Blick zu. Der Wirt nickte verdattert und einen Augenblick später saßen sie zu viert auf dem Tisch, jeder mit einem frisch gefüllten Krug.

Die Tür, die Maria zwischenzeitlich geschlossen hatte, öffnete sich protestierend quietschend und eine völlig durchnässte Mathilda trat, mit Agnes auf dem Arm, ein.

„Ich soll dir schöne Grüße von Juliana bestellen. Sie wartet im Stall.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2008-12-01T10:02:06+00:00 01.12.2008 11:02
Ich hatte schon vorher ein Auge auf die Geschichte geworfen, jetzt habe ich genug Zeit, die Geschichte komplett zu lesen.
Der erste Kritikpunkt nach zwei Seiten: Zu viele verschachtelte Sätze. Ich komme in der Erzählung nicht mehr ganz mit, mit den eingeklammerten Aussagen nicht mitgerechnet.
Mit der Zeit hat sich das ganze aber gelegt.
Der ganze Sprung zwischen den Figuren war teilweise auch verwirrend. Insbesondere Balduin und Balthasar habe ich ständig miteinander verwechselt. Vielleicht liegt's daran, dass sich die Namen (irgendwie) ähneln.
Teilweise war es jedoch auch so, dass mehrere Figuren auftraten und besonders zu Anfang immer anders bezeichnet wurden, abhängig von der handelnden Figur. Die letzten szenen, ungefähr ab dem Zeitpunkt, an dem der Kreidekreis gezogen werden sollte (im Haus der kleinen Agnes glaube ich) verlor ich komplett den überblick.
Wer war im Haus und wer floh vor der Ziege?
Hatte ich erwähnt, dass der Wechsel der agierenden Person zu Anfang recht verwirrend war?
So, das wäre jetzt wirklich alles negative, was mir einfällt.

Das positive war eindeutig dein Humor. Besonders die beschreibung der Dämonenziege, die Feuer spie, wie eine Ziege... äh, nein, moment.
Die Geschichte hast du recht unterhaltsam geschrieben, das Lesen hat wirklich spaß gemacht.
Auch die Handlung (sofern es wegen der Figuren nicht zu irritierend wurde) war recht spannend und vielleicht war das schöne Wetter doch nicht so schön, um schön zu sein.
Aber ja, ich denke, das trifft "Hitze des Augenblicks" in doppelter Hinsicht sehr gut.
Äh, ja, da war noch was, was ich hatte sagen wollen, aber das ist mir jetzt entfallen. Es liegt mir auf der Zunge... ach genau.
Die, ich nenne sie, Randbemerkungen, welche eingeklammert wurden.
Diese waren immer wieder schön zu lesen, wirklich, aber hin und wieder wäre ich sehr glücklich gewesen, wenn du sie so eingewoben hättest, dass der eigentliche Erzählstil nicht merklich gestört wurde.
Manche hatten einen Satz doch einigermaßen unterbrochen.

Wie aber schon gesagt, mir gefällt die Geschichte. :)
Von: abgemeldet
2008-11-12T12:12:30+00:00 12.11.2008 13:12
Zu erst einmal möchte ich betonen, wie begeistert ich von meiner Geschichte war und demnach wird das hier ne längere Geschichte XD

Wie ich schon im Thread sagte, der Einstieg mit den Namen und dazugehörigen Sätzen wirkte auf mich viel versprechend. Ich habe auf einem Blick die Hauptfiguren vorgestellt bekommen ohne wirklich etwas von ihnen zu wissen, natürlich zum Schluss ergeben die Sätze Sinn, allein
>Maria – hat schlagkräftige Argumente
hat mich später Schmunzeln lassen. Nur der Satz für Mathilda ist mir nach wie vor nicht ganz klar bzw. auf jedenfall nicht so aussagekräftig wie die anderen.
War es Absicht die männlichen Charakter jeweils mit B und die weiblichen Hauptcharakter mit M anfangen zu lassen oder war es Zufall? So ergibt sich ja ein schönes Schema ABAB XD*hust* (da machen sich die unzähligen Gedichtsanalysen bemerkbar äh ja..)
>Alle vier – haben ein Problem
Der Ideale Einstieg, spätestens hier konnte ich schon nicht mehr aufhören oder abwarten was passieren würde.
Im übrigen hatte die Geschichte einen so schönen Phoebe A. Taylor Touch, wenn dir der Name was sagt... das ist für mich jedenfalls wieder ein großer Pluspunkt. Du hast genau wie sie Humor eingebaut (nur dass es bei ihr Krimis waren die zum schreien komisch geschrieben waren) und den Figuren erst getrennte Stränge gegeben, die zum Schluss hin immer weiter zusammenliefen bis ein Seil quasie daraus wurde. Wie Balduin von Balthasar an der Tränke zB verprügelt wurde ist so ein Beispiel, das beste sogar, da man ja erst nicht weiß von wem er verprügelt wird und dann siehe da den kennen wir doch auch schon. (Ich empfehle dir an der Stelle mal dreister Weise ihren Krimi „Wie ein Stich durchs Herz“ das war meiner Meinung nach das Beste Buch aus ihrer Reihe...)

>von Du-weißt-noch-nicht-wem
Das war auch so eine Anlehnung an HP, oder? XD

>die Chancen standen gut, dass er es diesmal schaffte und nicht wiederkehrte. Seine Familie würde es ihm danken.
Ja wirklich ich habe zuerst skeptisch auf die Fußnote gesehen und mich dann auch die weiteren gefreut. Zumal der Zynismus genau meinen Lachmuskel getroffen hat ^^
Die zweite Fußnote ist ein gutes Beispiel warum ich sie so genial finde:
sie sagen eigentlich offensichtliches, aber wenn man sich die FF so durchliest, dann bekommen gerade die Fußnoten in Gedanken eine so herrlich trockene Stimme, zumindest bei mir war das der Fall. Ich hatte das Gefühl einem gelangweilten Erzähler zuzuhören und das ist nicht abwertend gemeint, ach es ist schwer zu erklären.
Wie später mit der Kreide, dass sein Leben von ihr abhinge, was es ja wirklich tat XD
In meiner Vorstellung war der Erzähler eine recht abgeklärte, zynische und eben etwas gelangweilte Figur. Allein, dass der Erzähler wie eine weitere Figur der Geschichte nur im Hintergrund wirkt, ist für den Leser (also für mich XD) ne dolle Sache, ich mag sowas. Der Erzähler erzählt die Geschichte, als wäre es schon das hundertste Mal, immerhin ER kennt den Ausgang ja schon, die Dummheit und Ungeschicke der Figuren, da kommt die Allwissenheit eben so schön rüber.
Eigentlich muss ich sogar gestehen ist er mein liebster Charakter der FF und dabei ist er aktiv nicht dabei (aber die Fußnoten *schwärm* XD)

>Der Regen klatschte wie zähflüssiges Wachs gegen die mit Pergament bespannten Fenster.
An der Stelle muss ich deine bildliche Umschreibung loben, es entsteht bei mir sofort ein sehr klares Bild und eine Stimmung.
Zudem hast du die ganze Geschichte über den alten Stil beibehalten, dabei wirkt es nicht gestelzt sondern es passt einfach, die Namen, der Schauplatz, die Umstände, die Figuren, die Sprache, es passt alles zusammen. Das ergibt ein rundes Bild.
>Mit ihm begann diese Geschichte allerdings ebenfalls nicht.
Es gibt da auch diesen Faden oder eher Running Gag XD
Was mich genauso erstaunt hat, war das ständige Aha Gefühl bei den Figuren.
Balduin, man erfährt so gut wie nichts über ihn, außer, dass er sich gern vergnügt.. und doch hat man sofort ein recht komplettes Bild über seinen Charakter, dass er keine Bindung eingehen will, sich aus dem Staub machen will, Dinge die angedeutet werden und ausreichen um ihn gänzlich zu charakterisieren.
Sofort wechselt die Szenerie wieder und an der Stelle bin ich noch prima mitgekommen, es ist schnell, aber nicht zu schnell, der Sprung in der Geschichte, sie hat Dynamik, die einen begeistert weiter lesen lässt.
Nicht zuletzt deswegen:
>„Nichts. Es ist nichts.“
>
>Das nichts war, sah auch Bruder Balthasar sofort.
Die Verknüpfung beider Szenen, nichts haben sie gemein und trotzdem ist da eine Verbindung ^^
Und ist ja keine Ausnahme, sonder eher die Regel. Das gibt ne schöne Balance zwischen rasantem Erzähltempo und Szenenwechsel zu fortlaufender Geschichte.


>Leisten konnte sich auch Balthasar nicht vieles.
An der Stelle hatte ich beim ersten Lesen einen Knoten im Kopf, zu viele Namen in zu kurzer Zeit und erst beim zurückscrollen wusste ich wieder wer Balthasar doch gleich war. Wobei es jetzt schon kein Problem mehr ist.
Aber wie gesagt im ersten Lesen machte sich der schnelle Szenenwechsel und der Sprung von Charakter zu Charakter doch bemerkbar ^^“
dafür stieg von Note zu Note meine Vorfreude auf die nächste XD
>Balthasar hatte mitgezählt. Das war dann auch der Augenblick, an dem er sich wieder daran erinnerte, dass er Heinrich und die ganze Dummersberg-Sippe hasste wie die Pest.

Ich konnte es mir jedesmal so herrlich bildlich vorstellen, wie diese inneren Gedanken von Fußnote sich in den Gesichtern der jeweiligen Figuren manifestierten!
>Sie fluchte und rief nach Martin und Michel tat ihr den Gefallen und hörte trotzdem auf sie.
Sagte ich schon, wie sehr ich diesen eingestreuten Humor liebe? Obwohl ich die FF überhaupt als erstes in die Humor Sparte einordnen würde.

Die Charakter nähern sich auch langsam aneinander an, genauso wie die Geschichte ihrem Finale zustrebt. Man merkt es, wie sich alles antreibt, die Eigendynamik der Geschichte.

>Ihr gegenüber stand ein Mann. Er war groß, schlaksig, blond und verdammt dreckig. Ihm standen nicht nur Strohhalme aus den Haaren, er roch auch danach.
So wüsste man ja nicht, dass es sich um Balduin handelt, es wird nicht klar gesagt, so wart man den Augenblick, dass es hier um die Sicht einer Figur handelt, aber trotzdem weiß man natürlich genau, dank der Hinweise, dass er es ist. Es wäre auch platt im Vergleich zum Rest jetzt einfach zu sagen, dass es Balduin war.
Als der Holzscheit kam, war ich auch sehr zufrieden XD Geschah ihm auch recht *hihi*

>Die Wunde, die sich dort zweifelsohne befand, auch wenn sie vielleicht nicht mehr blutete, grüßte mit einem enthusiastischen Pochen zurück.
Ich werde nie müde, deinen Humor zu loben.

Ich verstehe nur nicht, wie die Dorfbewohner ruhig in der Taverne sitzen können, wenn draußen Leute abgeschlachtet werden o0
Oder überhaupt die Zeit nehmen in Grüppchen allen Tratsch auszutauchen, anstatt die Beine und Wertsachen in die Hände zu nehmen..
>Mathilda klang nicht nur verstört, sondern panisch
Ich weiß nicht, aber als panisch hätte ich sie nicht eingestuft.

Bemerkenswert finde ich auch, dass nun, wo die Hauptfiguren und alle Einzelstränge zusammengelaufen sind, der Gesprächsanteil drastisch angestiegen ist.

Zum Schluss hin tat mir Balduin zunehmend leid *lol* er wurde mir sogar richtig sympatisch er und Maria.
>Balduin war jedoch kein Held.
>Er schlug die Tür zu und hastete zur Hinterausgang.
Sogar da noch, immerhin war es eine recht logische Handlung, Helden sterben ja nicht selten durch ihr Heldendasein XDD
Außerdem ist es so herrlich realistisch!
Mathilda habe ich verloren, klar bestimmt ist sie stehen geblieben als sie ihren Bruder erkannte, aber ich weiß nicht, ihr Charakter hat mich dann doch etwas enttäuscht, entgegen dem, was ich von ihr erwartet hatte, mehr zu sein wie Maria.. dafür ist Maria top XD
Jedenfalls hab ich bei ihr den Faden verloren und habe keine Ahnung wo sie abgeblieben ist, wo die anderen doch alle wieder zusammentrafen.
Zu glauben, dass der Mönch sie hat stehen lassen, fällt mir dagegen nicht schwer.

Ich verzichte an der Stelle mal NOCHMAL deinen herrlichen Humor und die Fußnoten zu loben, obwohl.. hab ich schon den Humor IN den Fußnoten gelobt?

Eine Sache verstehe ich nicht ganz:
>Beim nächsten Mal solltest du dich vielleicht daran erinnern, dass ich zu den Menschen gehöre, die die meisten normalen Decken erreichen, ohne sich anstrengen zu müssen.
Ist er so groß? Oo Die Decke so niedrig? Hat er Gummiarme? (eine Anspielung auf One Piece XD?)

>„Vermutlich Inhalt des Paktes. 'Ich geb dir schönes Wetter und du gibst mir deinen schönen Körper und wir beide wären schön glücklich, wäre das nicht schön?'“
DEN Satz fand ich klasse, weil es die Szene so gut darstellte, wie der Dämon mit Cunrat verhandelt haben mag. Genauso könnt ich es mir vorstellen. Eine Szene gratis dazu bekommen, die nie beschrieben wurde, is das nicht... schön? XD

Ich würde ja wirklich gerne etwas kritisches dazu sagen, hier ein Fehler, da eine schlechte Umschreibung, um mich selbst weniger unbegabt und Phantasiereich zu fühlen, aber es wäre gelogen. Du hast eine kleine Welt geschaffen, mit lebendigen Figuren und dabei ist wirklich nichts neues da! Dämonen, Lausebuben, Frauenhelden, die nie lange bleiben und die starke Frauengestalt, der etwas tollpatschige Geistliche... es ist das WIE, dass aus allem bekannten das Neue macht, dass aus den abgewetzten Charakteren Originale macht. Es ist der Erzähler, der ungerührt dem Tod der anderen beiwohnt oder zumindest so echt scheint, als würde er daneben stehen und einem unsichtbaren Publikum das wiedergeben, was er sieht, wohlgemerkt zum wiederholten Male! Nicht er ist unsichtbar, der Leser ist es!
In dem Sinne danke ich dir von Herzen für diese wunderschöne Wichtelgeschichte

die unsichtbare Leserin
Yinx

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