First encounter?
Ungeduldig trommelten meine Finger auf der Tischplatte, während die Dame am Tresen das Register in ihrem Computer durchging.
Wie lange musste ich noch warten, bis ich die gewünschte Auskunft bekam?
Konnte es wirklich so schwer sein, ein Buch zu finden?
Ich blickte mich in der Bibliothek um und rollte mit den Augen.
So groß war die Stadtbücherei doch gar nicht.
Ich drehte mich um und lehnte mich Stirnrunzelnd gegen die Theke, wobei ich meine Schuhspitzen intensiv betrachtete.
Ich schnitt eine Grimasse und schüttelte den Kopf.
Rot stand mir nun wirklich nicht.
Wo war ich gewesen? Ach ja …
Wieso hatte ich dieses vermaldeteite Buch eigentlich nicht einfach gekauft?
Wut pochte in meinen Schläfen, bevor ich nachdenklich meinen Kaugummi kaute und dabei genervt aufseufzte.
Ich wollte hier raus und nach Hause gehen.
Die Anwesenheit einer Vielzahl von Menschen löste starkes Unwohlsein in mir aus und ich musste gegen den Impuls ankämpfen den Rückzug anzutreten.
Mein Therapeut meinte, ich sollte mich meiner Angst stellen.
Bisher vertrat ich aber nicht die Ansicht, dass mir das etwas gebracht hätte, außer der penetranten Übelkeit, die sich hartnäckig in meinen Magen eingenistet hatte.
Erneut atmete ich tief durch.
Wieso hatte ich mir auch einen Sonntag ausgesucht, um meine Hausarbeiten zu erledigen?
Genau in diesem Augenblick fiel das Objekt meiner Begierde in mein Sichtfeld.
Beinahe hätte ich vor Freude aufgejauchzt.
Doch ein Breitschultriger Fremder, der das Buch in der Hand hielt, war im Begriff, mir zu stehlen was ich brauchte, um dieses verflixte Gebäude endlich verlassen zu können.
Sofort war mein Kampfgeist erwacht.
Das ließ ich definitiv nicht zu.
Trotzdem … meine Beine waren wie gelähmt und ich konnte keinen Muskel bewegen.
Meine Furcht hinderte mich daran, auch nur einen Schritt zu tun.
Als hätte er meine Gedanken gehört sah er in meine Richtung.
Ich spürte, wie mir das Blut heiß in die Wangen schoss.
Verlegen senkte ich die Lider.
Auch über die Entfernung und Köpfe der Anderen hinweg hatte ich seinen unergründlichen Blick bemerkt, dem ich auszuweichen versuchte.
Warum starrte er mich an?
Oder bildete ich mir das nur ein?
Natürlich. Meine Fantasie spielte mir sicher nur einen Streich.
Vorsichtig sah ich unter den Schleier meiner Haare hervor auf und stieß, im nächsten Moment, schmerzhaft gegen den Tresen, als ich vor ihm zurückweichen wollte.
Wieso stand er plötzlich vor mir?
Eine Steile Falte bildete sich zwischen meinen Augenbrauen.
Ich hatte ihn gar nicht näher kommen gehört.
"Ich hatte mit vielen gerechnet, aber nicht, dass dich mein Anblick dermaßen erschreckt."
Verwirrt blinzelnd betrachtete ich seine attraktiven Züge und begann mich zu fragen, ob sich dieser unverschämte Kerl einen Scherz erlaubte.
Mir blieb der Mund offen stehen.
Nicht nur seine melodische Stimme, die wie Musik in meinen Ohren klang, auch sein anziehendes Lächeln hätte mich fast dazu gebracht, dass schlucken zu vergessen.
Streng wies ich mich innerlich zurecht.
Warum gaffte ich ihn so an?
Zugegeben, er sah ganz gut aus, aber das war auch schon alles.
Das dachte ich zumindest.
Zähneknirschend ballte ich die Fäuste.
Mir war nun wirklich nicht mehr zu helfen.
"Du wolltest dieses Buch, nehme ich an", sagte er nüchtern und riss mich unvorbereitet aus meinen Überlegungen.
Ich fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen.
Panisch wollte ich die Flucht ergreifen und wäre wohl über meine eigenen Füße gefallen, wenn er seinen Arm nicht um meine Taille geschlungen hätte.
Für meinen Geschmack kam er mir eindeutig zu nahe.
Ich schluckte schwer und löste mich von ihm.
Ich versuchte mich locker zu geben, obwohl mir das Herz bis zum Hals schlug und das Blut schneller durch meine Adern pulsierte.
Es erschien unmöglich, dass ich in Gegenwart anderer Menschen ruhig blieb.
Wer war der Typ überhaupt?
Und wie kam er dazu, mich einfach zu duzen?
Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen und ein kalter Schauer jagte mir über den Rücken.
Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.
Ich hatte zwar ständig das Gefühl verfolgt zu werden, aber dieses Misstrauen, dass sich bis zu meinen Zehnspitzen auszubreiten begann, lag nicht an meinen Wahnvorstellungen.
"Und das sagt wer?", hackte ich Wachsam nach.
Er hob eine Augenbraue und musterte mich Verständnislos. "Du befindest dich in einer Bibliothek. Die Möglichkeit wäre also naheliegend, dass du ein Buch ausleihen willst."
Ein Muskel in meiner zuckte.
"Das wäre eine Möglichkeit …" Ich hob die Schultern. "Aber deswegen bin ich nicht hier. Ich … äh … suche jemanden."
Er lächelte erneut und das Herz schlug mir bis zum Hals.
Ich starrte ihn wie Hypnotisiert an.
"Du bist eine schlechte Lügnerin, Angel", meinte er sanft und legte mir das Buch in die Hände. "Fällt dir die Anwesenheit anderer immer noch so Schwer?"
Verbal geriet ich ins stolpern und mir lief die Schamesröte ins Gesicht, obwohl mich der Seltsame Kosename irritierte, den er mir gab. So gut kannten wir uns doch überhaupt nicht, dass er ein recht dazu gehabt hätte.
Und woher wusste er von meiner Schwäche?
Könnte es sein, dass er zu meinem früheren Leben gehörte, dass ich wiederfinden wollte?
Aber wenn an dem was war, was hatte er für eine Rolle gespielt?
"Wir sehen uns bald wieder", meinte der Fremde und tätschelte meinen Kopf, als sei ich ein kleines, dummes Kind.
Ich schnitt eine Grimasse.
Sollte dass eine Drohung sein?
Das Buch entglitt meinen Fingern und landete mit einem dumpfen laut auf dem Boden.
Leise schimpfend bückte ich mich, um es wieder aufzuheben.
Ich spürte einen Lufthauch und als ich aufsah war er verschwunden.
Ich furchte die Stirn und wandte mich der Dame am Tresen zu, die mich Aufmerksam beobachtete.
"Haben Sie gesehen, wo er hingegangen ist?"
Sie starrte mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. "Wer?"
"Na dieser … Kerl, der mir das Buch gegeben hat. Er ist plötzlich verschwunden …"
Mit einem Mal sah die Frau beunruhigt aus. "Sind Sie sicher dass es Ihnen gut geht?", fragte sie mit besorgter Stimme.
"Was soll die Frage?", wollte ich leicht gereizt wissen.
"Da war niemand", meinte sie und schürzte die Lippen. "Soll ich vielleicht jemanden anrufen, der sie abholt?"
Sie hatte bereits den Telefonhörer in der Hand.
In der ungewöhnlichen Stille der Bibliothek hörte ich das Freizeichen.
"Wollen Sie mich Verarschen?", fuhr ich sie an. "Der Kerl stand direkt neben mir!"
Sie erwiderte diesmal nichts.
Ich entschied, dass ich wohl besser gehen sollte, bevor sie noch in der hiesigen Anstalt für Geistig verwirrte Menschen anrief und ich dort eingewiesen wurde.
Die Hände in den Taschen meiner Jeanshose verließ ich das Gebäude und vergaß dabei, diesen verdammten Bibliotheksausweis vorzulegen.
Ich nahm das Buch mit, ohne dazu berechtigt zu sein.
Aber jetzt noch einmal zurück zu gehen hielt ich für keine gute Idee.
Ich zuckte die Schultern und beschloss, bei nächster Gelegenheit wieder in der Stadtbücherei vorbeizusehen.
***
Schon lange hatte ich den unbekannten Fremden, der mir in der Bibliothek begegnet war, aus meinem Gedächtnis gestrichen.
Seine Drohung schien nur ein leeres Versprechen gewesen zu sein, wie ich äußerst erleichtert festgestellt hatte.
Während der nachfolgenden zwei Woche war ich ihm nicht mehr über den Weg gelaufen.
Seine Gegenwart, die untrüglich beängstigend war, hatte dafür gesorgt, dass alle Alarmglocken in meinem Verstand aufgeheult hatten.
Aber war das nicht immer so?
Egal, wer mir über den Weg lief?
Verärgert knirschte ich mit den Zähnen und ballte die Faust.
Was konnte ich dafür, dass ich so eine Phobie gegen Menschen hatte?
Sie hätten mich eben nicht in das Leben zwingen sollen, dass jetzt meinen Alltag bestimmte.
Ich glaubte nicht daran, dass ich diese Emily MacRae war … wer war ich also?
Ich schüttelte meine düsteren Gedanken ab und blickte den Asphalt entlang.
Es kam kein Auto.
Also konnte ich den Zebrastreifen ungehindert passieren.
Gerade wollte ich die Straße überqueren, als eine Hand meinen Arm umklammerte und mich auf den Bürgersteig zurückzog.
Vor schreck ließ ich meinen Regenschirm los, der von einem Motorrad erfasst wurde, dass sein Tempo scheinbar nicht drosseln wollte, und ich war dem Regen schutzlos ausgeliefert.
Ich blinzelte verwirrt, sobald mir dieser erdige, süßliche Geruch in die Nase stieg, der von dem Stoff eines feuchten Mantels ausging.
Ich hob den Kopf und blickte in zwei sanfte, wunderschöne Augen, die meine Gestalt fixierten.
Sein kühler Atem streifte meine Wange.
Ich brauchte einen kurzen Moment bis ich begriff, wer vor mir stand.
Reflexartig wich ich vor ihm zurück und starrte ihn fassungslos an.
"Das hätte auch anders ausgehen können, Angel."
Seine Stimme umgab mich wie ein milder Windhauch und mir jagte ein Schauer über den Rücken.
Ich biss mir auf die Unterlippe und senkte die Lider.
"Dann kann ich froh sein, dass Sie gerade in der nähe gewesen sind."
Er lächelte und mein innerlicher widerstand schmolz wie Butter in der Mittagssonne.
Meinem Verstand wollten die Fragen entgleiten, die mich schon länger interessierte.
Mein Finger tippte gegen meine Lippen.
"Wer Sind sie überhaupt?"
"Ich heiße Jamie Alec Draycott und bin schon lange auf der suche nach dir."
Meine Stirn legte sich in Falten und ich glaubte mich verhört zu haben.
War ich gerade in einem schlechten Horrorfilm?
Er hielt mir seinen Schirm über den Kopf und wieder zierte ein hinreißendes lächeln seine Lippen.
Wieso brachte mich dieser Kerl nur so aus der Fassung?
Erst eine Sekunde später begriff ich, was für einen Namen er gerade genannt hatte.
Draycott?
Das klang so … Adelig …
So alt und …
Mir fiel der passende Wortlaut einfach nicht ein.
Aber im zusammenklang mit Jamie Alec könnte man fast denken, dieser Fremde stammte aus der Vergangenheit.
Lag ich mit dieser Theorie richtig?
Seine Art zu sprechen, sein Auftreten, die Tonlage seiner Stimme …
Dieser Mann gehörte definitiv nicht hier her.
Was also machte er in solch einer trostlosen Einöde?
Hier war doch der Hund gestorben.
Er drückte mir seinen Regenschirm Wortlos in die kalten Finger und klappte den Kragen seines Mantels hoch, bevor er diesen vor seiner Kehle zusammen hielt.
"Sei Vorsichtig, Angel."
Damit drehte er sich auf dem Absatz um und ließ mich stehen.
Ich hatte mich, Seltsamerweise, daran gewöhnt, dass er mich 'Angel' nannte.
Aber warum?
Ich blickte ihm nach, bis seine Gestalt im aufsteigenden Nebel verschwunden war.
Fortsetzung Folgt ...