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Empire of Dirt

von

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Fünf

Die grünen Augen betrachteten ihn durchdringend, nahmen die beiden sich nun entfernenden Tanzpartner ins Visier und bewegten sich dann wieder zurück, um in die seinigen zu blicken, ihn mit seinem kalten und souveränen Blick zu durchbohren. Jonathan fing an hämisch zu grinsen, trat einen Schritt auf Viktor zu, beugte sich zu ihm herunter und rief ihm ins Ohr: „So so! Krank also!“, seine Stimme gerade so gegen die Musik ankommend.
 

Der Hellhaarige wusste auch nicht so genau was es war, das ihn in diesem Moment beeinflusste. War es der Alkohol, von dem er große Mengen an diesem Abend konsumiert hatte? War es die gute Stimmung, ausgelöst durch die vielen angenehmen Partyerinnerungen mit Stella und Diana, die am heutigen Abend entfacht und wiederbelebt worden waren? War es seine Wut, die sich kontinuierlich aufgestaut hatte und ihm diese unbeschreibliche Kraft, diesen Mut verlieh?
 

Vielleicht war es einfach die Mischung aus all dem. Die Mischung aus Freude, Verzweiflung, Alkohol, Adrenalin und unbeschreiblicher Aggressivität, die er die ganze Zeit über unterdrückt hatte. Er packte seinen etwas größeren Partner an dessen schwarzer Weste, die er über seinem weißen T-Shirt trug, und zog ihn noch ein wenig näher zu sich, sodass er direkt in dessen Ohr schreien konnte.
 

„Du bist ein beschissenes Arschloch! Woher willst du wissen, dass ich noch krank bin? Du hast dich vier verfickte Tage lang überhaupt NICHT bei mir gemeldet. Ich geh dir so am Arsch vorbei, woher willst du wissen wie’s mir geht? Was geht dich das überhaupt plötzlich an?!“, spie er ihn gehässig und auf voller Lautstärke an.
 

Stella hielt ihn bereits an seinem linken Arm fest, völlig verdattert und aus dem Mix der Verblüffung und Angst leicht kichernd. Sie hielt sich deswegen die Hand vor den eignen Mund. Diese Verblüffung hatte auch Jonathan ergriffen. Minimal. Er schlug die Hände seines Freundes gekonnt weg und nahm einen kleinen Schritt rückwärts.
 

„Alter, du bist voll dicht“, sagte er dann, Viktor irritiert in die Augen blickend. „Wir klären das MORGEN, wenn du deinen Rausch ausgeschlafen hast. Klar?“

Schon wollte er sich umdrehen und die Tanzfläche verlassen, da packte ihn der Hellhaarige erneut und wirbelte ihn herum. Jonathan hatte durch die Überraschung dieses Zuges keine Zeit zu reagieren.
 

„Nein, du Hurensohn!“, schrie Jonathan ihn an. „Wir klären das genau JETZT!“

Die grünen Augen weiteten sich erzürnt und schockiert zugleich.
 

„Hey, hey!“, mischte Stella sich nun ein, als sie sich nach wenigen Sekunden gefasst hatte, und versuchte Viktors Hand von dem Stoff Jonathans Kleidung weg zu ziehen. Doch diesmal schlug Jonathan ihre Hand leicht weg und zischte, den Finger auf sie zeigend: „Misch dich nicht ein, du Zicke!“
 

In dem Moment schubste Viktor ihn mit beiden Händen. Der Grünäugige taumelte zwei Schritte zurück. „Schrei Stella nicht an!“, schnauzte der Braunäugige Jonathan umgehend an.
 

Zwei unheimlich große und düster dreinblickende Gestalten, die Stella erst aus der Nähe als einige der Türsteher erkannte, drängelten sich durch die Massen an tanzenden Leuten und blieben genau vor den beiden streitenden Männern stehen.
 

„Wenn ihr Stress schieben wollt, dann macht das draußen!“, von dem charmanten Lächeln von vorhin war auf dem Gesicht des Mannes nun nichts mehr zu erkennen.
 

„Wir wollten gerade gehen“, antwortete Jonathan mit einer mindestens genauso finsteren Miene und griff nach Viktors Arm, zog ihn in Richtung Ausgang hinter sich her.
 

„Hey, wartet!“, rief Stella panisch.
 

Sofort blieb Jonathan stehen und blickte zurück, sodass sein hellhaariger Freund gegen seine Seite rannte, doch der Größere schenkte dem keine weitere Beachtung.
 

„Hol einfach seine Jacke, OK?!“, zischte er die Frau an und war schon wieder dabei, seinen betrunkenen Freund hinter sich her zu ziehen.
 

„Ich hab gesagt du s-sollst s-sie nicht anmachen!“, schrie Viktor ihn erneut an, worauf der Schwarzhaarige ein weiteres Mal stehen blieb, seinen Partner an sich heranzog und ebenfalls laut antwortete: „Halt jetzt einfach die Klappe, OK? Warte wenigstens bis wir draußen sind!“
 

Viktor murmelte irgendwelche nicht verständliche und doch in ihrer Art brutal klingende Worte vor sich hin, während sein Freund ihn in die dunkle und laute Nacht hinauszog. Sie entfernten sich ein paar Meter von dem Tanzlokal und nur einige Minuten später rannten ihnen bereits Stella und Diana hinterher, holten sie ein.
 

„Mischt euch ja nicht ein!“, zischte Jonathan, dessen Hand noch immer Viktors arm kraftvoll umfasste.
 

„Ich sagte…“, setzte Viktor laut ein, doch sein Freund schnitt ihm noch lauter das Wort ab.

„Halt’s Maul, ich hab’s kapiert!“
 

„Schnauz mich ge-gefälligst nicht immer so an, du Idiot!“, meckerte der Hellhaarige und riss sich aus Jonathans Griff los. Doch der Alkohol war ihm bereits zu sehr zu Kopf geschossen, alles drehte sich, er schwankte, stolperte und fiel beinahe gegen die Wand des Pubs, an dem sie stehengelieben waren.
 

Sofort packte Jonathan ihn erneut an seinem Arm und zog ihn dicht an sich heran, sodass Viktor die Brust des Schwarzhaarigen an der seinigen spürte, den unruhigen Atem Jonathans an seinen Wangen vernehmend.
 

„Jonathan!“, drang plötzlich die aufgebrachte Stimme Stellas wieder zu ihm.
 

„Misch dich nicht ein, verdammt noch mal!“, schrie sein Freund sie erneut an und schaute sich links und rechts auf der Straße um, zog Viktor wieder hinter sich her.
 

„Was… Wo…. Was machst du?!“, brachte der Hellhaarige schließlich raus, als Jonathan ihn harsch auf ein haltenden Auto zuzog.
 

„Wo wollt ihr hin, hey!“, schrie Diana nun, doch da drückte Jonathan ihn bereits auf den hinteren Sitz des Autos.

Die Türen schlugen zu.

Er hörte Jonathan ihre Adresse aufsagen.

Schon hetzte der Wagen los, ordnete sich in den fließenden Verkehr der dunklen Nacht ein.
 

Erst jetzt realisierte er, dass Jonathan ihn in ein Taxi gezogen hatte und dass sie die Partymeile bereits verlassen hatten. Ohne Stella. Ohne Diana.
 

„Hey!“, rief er aus, als Jonathan ihn mit Gewalt anschnallte.
 

„Jetzt bist du erstmal ruhig, kapiert?!“, fauchte er den Hellhaarigen an, seine Augen in den vorbeiziehende Lichtern der Stadt funkelnd.
 

„SCHREI MICH NICHT AN!“, brüllte Viktor zurück. Umgehend griff der Schwarzhaarige nach dem Stoff seiner Jacke, die ihm irgendwer anscheinend erfolgreich angezogen hatte, und zischte: „Reiß dich zusammen, Arschloch!“, schubste ihn gegen die Lehne des Sitzes.

Eine längere Weile starrte Viktor ihn einfach nur an. Dann flüsterte er giftig: „Du bist das Arschloch, Jonathan. Ich hasse dich.“

Und der Angesprochene grinste, ruhig aus dem Fenster schauend.
 

„Only when I Stop to think about it…

I hate everything about you…

Why do I love you…?”
 

Die Lichter verschwanden, irgendwelche Türen knallten, das Erklimmen der Treppenstufen ähnelte eher dem Gefühl in einem abhebenden Flugzeug zu sitzen und urplötzlich, ohne tatsächlich mitbekommen zu haben wie genau, stand Viktor im eigenen Wohnzimmer.

Jonathan schmiss gerade ihre Jacken achtlos über die Sofalehne, an der der Hellhaarige sich anlehnte, um nicht zur Seite zu kippen. Alles im seinen Kopf schien durcheinander, sinnlos aneinander gereihte Bilder wirbelten umher und ergaben weder Sinn noch irgendwelche Hinweise auf den Verlauf der Dinge.
 

„Was?!“, fauchte er nun seinen Freund an, der ihn einfach nur angrinste.
 

„Du bist besoffen“, erklärte der Schwarzhaarige immer noch grinsend, ohne den Blick von Viktor zu nehmen, der leicht hin und her schwankte.
 

„Ach…“, schnaubte der Angesprochene und fing dann auch an zu grinsen. „Du musst das ja am-am besten, be-beurteilen können… Du… Alkoholiker…“

Jonathan zog die Augenbrauen leicht hoch.
 

„Wie bitte?“, fragte er ruhig, einen Schritt auf seinen Partner zugehend. Dieser gluckste kurz.
 

„Ich sagte…“, fing er an, ebenfalls einen Schritt auf sein Gegenüber zugehend und dabei fast stolpernd. „Du bist… ein verfickter Alkoholiker, du… Arschloch.“
 

Jonathans Faust traf ihn wie in Zeitlupe, doch durch den hohen Alkoholgehalt in seinem Blut besaß er nicht das Vermögen rechtzeitig darauf zu reagieren. Der Schmerz aber der wurde durch seinen betrunkenen Zustand gedämpft. Er spürte lediglich ein leichtes Ziehen in seiner rechten Gesichtshälfte und nur ein kleines Stechen an seinem Rücken, als er durch den verpassten Hieb sein Gleichgewicht endgültig verlor und nach hinten kippte.
 

Jonathan sah mit einer finsteren Miene zu ihm herunter, hielt ihm dennoch die Hand helfend entgegen.

„Komm schon hoch, du Idiot.“, sagte er kühl.
 

Fast blind griff Viktor nach der ihm angebotenen Hand, fast blind ließ er sich hoch ziehen, fast blind holte er mit seiner eigenen, zur Faust gebildeten Hand aus und traf Jonathans Backe sowie Nase dennoch zielsicher.
 

Zum ersten Mal lernte der Schwarzhaarige junge Mann die Kraft seines Freundes kennen, die Faust traf ihn schmerzvoll, mit einer unerwarteten Wucht die ihn nach hintern stolpern ließ. Nein, seine Nase war nicht gebrochen. Blut floss dennoch, er sah die rote Flüssigkeit an seinen Fingern kleben, als er instinktiv nach der pochenden Stelle griff.
 

Als er seinen Blick erhob und Viktor ins Visier nehmen wollte, war es diesem bereits irgendwie gelungen zu ihm vorzudringen. Er hatte sich direkt vor dem Schwarzhaarigen aufgebaut und holte bereits zum zweiten Schlag aus, der auch dieses Mal mit Präzision durchgeführt wurde, trotz des Alkohols in seiner Blutbahn.

Er traf sein rechtes Auge mit voller Kraft.

Es war, als hätte Viktor die Verbindung zwischen Gehirn und Körper ausgeschaltet, als hätte er ein essentielles Kabel durchtrennt. Erst als Jonathan auf dem Boden lag, die Hände sich vors Gesicht haltend, realisierte der Dunkeläugige was er eigentlich getan hatte.
 

Die Luft anhaltend blieb er wie versteinert stehen. Erst jetzt fühlte er sein wild pochendes Herz in der eigenen Brust, das Adrenalin das durch seine Venen geschossen war, die Hitze die immer noch durch seinen Körper strömte. Erst jetzt erfasste er, dass er soeben seinen Partner brutal geschlagen hatte.
 

Er schnappte nach Luft, füllte seine Lungen mit Kälte.

Er wollte etwas sagen, Jonathan fragen, ob alles in Ordnung war. Ein Gefühl, welches er wohl als Schuld beschreiben hätte können fing an sich zu bilden, sich anzuschleichen, ihn zu ergreifen.
 

Der Schwarzhaarige erhob sich langsam, seine Hand immer noch die getroffene Stelle leicht massierend. Ebenso langsam hob er seinen Blick. Ihre Augen trafen sich.

Erneut hielt Viktor die Luft an.

Jonathan lächelte.
 

„Endlich wehrst du dich…“, sagte er ruhig, seine Hand senkend, einen Schritt auf den Hellhaarigen zugehend.

Es ging so schnell, Viktor blieb gar keine Zeit zu reagieren.
 

Jonathans Arme hatten sich bereits um seinen Körper geschlungen, seine weichen Lippen pressten sich auf Viktors, mit seiner Zunge verlangte er nach Einlass. Es war als hätte ein Orkan alle bis jetzt angestauten Emotionen und Gedanken Viktors mit einem einzigen Schlag hinweggeweht und Raum und Platz für Anderweitiges geschaffen.
 

Die sekundenlange Leere in seinem Kopf, seinem Körper, wurde durch den Kontakt mit Jonathans Händen, Lippen, seinem ganzen Körper umgehend mit Verlangen, Lust, mit Erregung gefüllt.

Er spreizte seine Lippen. Direkt verwickelte ihn Jonathan in einen innigen Kuss, erforschte die Mundhöhle seines Partners, während seine Hände sich an der Kleidung des Braunäugigen zu schaffen machten…
 


 

Es waren verschwommene Bilder, die Platz in seinem Kopf eingenommen hatten, die sich nun, da er halb wach im Bett lag und versuchte seine Erinnerungen zuzuordnen, vor seinem inneren Auge abspielten.

Intime Küsse, Jonathans Hände die ihn entkleideten, nacktes Fleisch gegen nacktes Fleisch gepresst, seine Fingernägel die sich tief in den Rücken des Schwarzhaarigen bohrten, die tiefe heisere Stimme Jonathans die immerzu „Vik!“ stöhnte, hart Stöße, das knarrende Bett, Jonathans Zunge an seinem Ohr, seine eigenen Hände im schwarzen Haar verknotet…
 

Er öffnete die Augen ganz und drehte seinen Kopf.

Sein Partner lag nicht neben ihm.

Hatte er das alles geträumt?
 

Erst nach und nach tauchten auch die Bilder der vorangegangenen Ereignisse auf. Der Club, die Tänzer, die Konfrontation mit Jonathan…

Ach, du Scheiße! Schoss es ihm durch den Kopf als sein Freund plötzlich durch die Tür trat, mit einem Tablett in seinen Händen. Der Duft von frischen Brötchen und heißem Kaffee verbreitete sich im Zimmer.
 

Lächelnd stellte der Schwarzhaarige das mitgebrachte Frühstück auf der weichen Matratze neben Viktor ab und setzte sich daneben. Der Hellhaarige starrte ihn mit halb offenem Mund an. Das rechte Auge seines Gegenübers war bläulich, schwarz, fast schon violett unterlaufen. Er hatte ihm tatsächlich ein blaues Auge verpasst…
 

Jonathan gluckste. „Sieht schön aus, was?“, feixte er.
 

Viktor sagte gar nichts, war nicht in der Lage auch nur ein einziges Wort herauszubekommen. Er hatte Kopfschmerzen, ihm war flau im Magen, er war verwirrt, vollkommen durcheinander.
 

„Vik, ist schon OK…“, lächelte der Schwarzhaarige ihn an. „Deine kleine Revange….“, fügte er grinsend hinzu.
 

Erneut wusste Viktor nicht, was er dazu sagen sollte. Stumm setzte er sich auf und starrte das vor ihm stehende Tablett an. Er hatte gar keinen Hunger.

Und was sollte das überhaupt? Warum brachte ihn Jonathan Frühstück ans Bett?! Das hatte er schon… Ja, wie lange war das her, als er ihm das letzte Mal Frühstück ans Bett gebracht hatte?

Viktor schnaubte.
 

„Hm?“, fragte Jonathan ihn. „Hast du keinen Hunger? Oder soll ich dir vielleicht was anderes bringen?“
 

„Was soll das?!“, fuhr der Hellhaarige ihn plötzlich an.
 

Wahrscheinlich war es der Restalkohol, der ihm erneut Mut verlieh, der ihn rastlos, ihn wütend machte, ein weiteres Mal verwirrte.
 

„Was…“, setzte Jonathan an, seufzte dann aber nur. Viktor gab ihm keine Möglichkeit etwas auszusprechen.
 

„Das ganze, meine ich“, sagte der Hellhaarige. „Der ganze Mist der vergangenen Wochen. Oder eher Monate. Irgendwas läuft falsch und ich hab die Schnauze so langsam gestrichen voll! Du behandelst mich wie Dreck, ignorierst mich tagelang, schlägst mich, redest nicht mit mir. Ich meine, ich weiß noch nicht mal was du momentan machst, wo du arbeitest, mit wem du rumhängst! Wer weiß, was du alles hinter meinem Rücken machst?!“ Er spürte die Tränen die sich bildeten, drohten seine Wangen hinunter zu kullern. „Mann, ich dachte du liebst mich, aber du tust mir nur weh! Du tust mir nur weh, Jonathan!“ Es war zu spät, er schmeckte die salzige Flüssigkeit bereits auf seinen Lippen. „Was soll das?!“, schluchzte er.
 

Der Schwarzhaarige blickte traurig auf das ignorierte Tablett und stellte es schließlich beiseite. Dann rückte er näher zu Viktor, setzte sich direkt neben ihn, seine Augen auf einen undefinierbaren Punkt gerichtet.
 

„Viktor ich…“, erneut seufzte er. „Ich weiß nicht, wie ich dir das am besten erklären soll… Mir gefällt es auch nicht, wie es gerade läuft.“
 

„Ach…!“, schnaubte der Hellhaarige und wischte sich seine Tränen weg.
 

„Es… Es tut mir Leid, aber… Mann, wie soll ich das sagen…“
 

„Du liebst mich nicht mehr, sag es einfach, dann ist es leichter für mich…“, flüsterte Viktor, auf die Wand starrend.
 

„Laber keine Scheiße!“, fuhr sein grünäugiger Freund ihn plötzlich an. Er fühlte den verärgerten Blick des Schwarzhaarigen auf sich ruhen. „Das ist nicht wahr! Es ist nur… schwierig.“
 

Erneut schnaubte Viktor, doch sein Herz pochte wie wild, seine Hände waren schwitzig.

Jonathan liebte ihn noch!

Für einige Sekunden blieb er komplett still im Raum, nur die Geräusche der vorbeifahrenden Autos waren aus der Ferne zu vernehmen.
 

„Du hast immer diese rosa-rote Brille auf, weißt du?“, fing Jonathan an. „Du willst immer, dass alles perfekt zwischen uns ist. Und deswegen, wie soll ich sagen, deswegen verdrehst du immer die Fakten für dich. Das ist irgendwie so, dass du alles negative ausblendest und nicht darauf reagierst. Du suchst kein Gespräch mit mir, du lässt alles einfach passieren. Du erduldest alles, nur um nicht mit mir zu reden. Ernsthaft zu reden. Es ist so als wenn du alle Probleme ignorieren wollen würdest, nur um nicht die Gefahr einzugehen, dass du dir selbst eingestehen müsstest, dass unsere Beziehung nicht perfekt ist.“
 

Viktor atmete schwer, schwer aber leise.
 

„Versteh das jetzt nicht falsch, ich gebe dir hier nicht die Schuld! ICH bin das Arschloch in vielerlei Hinsicht! Da hast du Recht, ich weiß auch nicht, warum ich so ausraste, warum ich dich überhaupt schlage. Ich bin ein Mistkerl!“, redete Jonathan weiter. „Und das tut mir Leid… Eine lange Zeit habe ich mich einfach darüber aufgeregt, dass du alles so… Naja, an dir vorbeiziehen lässt. Deswegen war ich gemein, ich wollte dich zum Ausrasten bringen, damit du dir das alles von der Seele reden – oder auch schreien kannst – und wir dann endlich wie zwei Erwachsene über unsere Probleme reden können.“
 

Der Schwarzhaarige nahm einen Schluck von dem Orangensaft, den er mitgebracht hatte.

„Aber es kam einfach nichts von dir“, fuhr er fort. „Und dann, ich denke ich hab’s irgendwann aufgegeben und war schon in diesem, hm, wie soll ich das jetzt am besten nennen? Gemeinheitstrieb gefangen. Und dann auch noch die ganze Scheiße mit der Ausbildung und den Jobs… Ach, ich hab einfach keine klare Zukunftsperspektive, weißt du? Das stresst ganz schön… Viktor…“, er sah ihn an und ganz langsam hob auch der Hellhaarige seinen Blick um in die grünen Augen seines Freundes zu blicken. „Es tut mir echt Leid. Ich bin nicht perfekt. Du bist nicht perfekt. WIR sind nicht perfekt.“
 

„Ich… Ich weiß“, antwortete des Angesprochene heiser.
 

Minutenlang war es ruhig.

Die beiden jungen Männer blickten sich an.

Dann räusperte sich Viktor leicht und fragte: „Wer ist Raphael?“
 

„Ein neuer Bekannter. Wir haben uns vor einigen Wochen auf dem Arbeitsamt kennengelernt. Ähnliche Geschichte, da versteht man sich“, antwortete Jonathan ruhig, immer noch in die Augen seines Freundes blickend.
 

„Und…,“ setzte Viktor an. „Was meinte der Typ mit ‚wirst du’s ihm denn sagen?’, ich hab einiges von eurem Treffen mitbekommen…“

Für einige Augenblicke sagte Jonathan nichts. Dann sah er die gegenüberliegende Wand an und seufzte.

Viktor Herz fing erneut an wild zu schlagen.
 

„Naja, ich denke wenn wir schon mal dabei sind, kann ich es dir auch sagen“, fing er an. „Ich mache jetzt ne Ausbildung zum Bäcker.“
 

Erneut schaute er Viktor an, der die Augenbrauen hob.
 

„Und das soll das Geheimnis sein?“, fragte er leicht ungläubig, doch mit Hoffnung.
 

„Ja!“, antwortete Jonathan barsch. „Mann, das ist voll die Scheiße, aber bei allen anderen Bewerbungsgesprächen hat’s halt nicht geklappt! Weißt du wie ich mich fühle? Ich bin ein Versager…“
 

„Nein! Nein, das bist du nicht“, rief Viktor schon fast. „Du bist kein Versager!“
 

„Ich fühle mich aber so…“, seufzte Jonathan, doch lächelte leicht.

Dann nahm er plötzlich Viktors Hand und fing an leicht mit dem Daumen über seinen Handrücken zu streicheln.
 

„Aber es freut mich, dass du das so siehst, Vik…“, flüsterte er.
 

Jonathans Worte hallten in seinem Kopf, Gedanken überschlugen sich. Er versuchte viel zu viele vergangene Szenen zu analysieren, sein eigenes Verhalten zu verstehen, Jonathans Reaktionen zu begreifen.

Hatte er Recht?

Vielleicht hatte er ja tatsächlich zu viele Disneyfilme geguckt…

Vielleicht…

Er war zu verwirrt um noch klare Gedanken formulieren zu können.

Langsam beugte er sich vor und legte seinen Kopf an Jonathans Schulter.

„Meinst du… Meinst du, wir kriegen das hin?“, wisperte er dann, nicht wissend, was er sonst hätte sagen können, den Atem Jonathans auf seinem Haar spürend. Dieser küsste seinen Kopf leicht, legte seinen Arm um Viktors Schulter.

„Wenn wir uns ändern…“, wisperte er zurück.
 


 

Stella lachte lauthals, Viktor musste schon den Hörer vom Ohr weg halten.

„Ein blaues Auge?????“, schrie sie erneut ins Telefon. „Du bist mein HELD, Viktor!!!“
 

„Jaja, ist schon gut.“
 

„Das hat der Arsch so was von verdient!“
 

Detailliert musste er die physische Auseinandersetzung beschreiben. Die Fetzen, an die er sich noch erinnern konnte... Die Beschreibung des heutigen Gespräches, an das er sich sehr gut erinnern konnte, fiel ihm allerdings schwerer.

Er wusste, dass Stella sowieso negativ reagieren würde.

Und er behielt Recht.
 

Eine Weile schwieg sie, nachdem er ihr alles erzählt hatte.

„Und du meinst jetzt wird alles gut, ja?“, fragte sie dann.

„Ja, ich bin mir sicher!“, sagte Viktor bestimmt.

„Du merkst aber schon, dass du wieder diese rosa-rote Brille damit aufhast, oder?“, sprach sie kühl in den Hörer.

Viktor starrte den stumm geschalteten Fernseher ausdruckslos an.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  jyorie
2014-10-08T05:19:02+00:00 08.10.2014 07:19
Hallo 。◕‿◕。

Ne, also das glaub ich nicht, das kann ich Jonathan nicht abkaufen, das das alles gewesen sein soll?! das er nur wollte das sich Victor auch mal wehrt und das ... nein, dazu ist das zu lange gegangen und ihm zu häufig und zu leicht die Hand ausgerutscht. Auch wenn sich die beiden jetzt besser verstehen und Jonathan endlich ausgesprochen hat das er sich wegen der Bäcker Lehre als Versager fühlt und auch sonst nicht so gut drauf ist... aber dies erklärung kommt mir irgendwie fadenscheinig. ...da hängt sicher noch ein Dicker Hund hinten dran.

Liebe Grüße, Jyorie

Von:  Ribka-is-Mori
2011-09-02T13:05:54+00:00 02.09.2011 15:05
hmm... iwi hatte ich ein völlig falsches bild von jonathan... auch wenn ich gehofft habe das er doch nicht DAS arschloch ist was er zu sein schien. eig ja ne gute idee von ihm vik mal zu ausrasten zu bringen, schade das es aber dann in so einen alltagstrott ging... ich freu mich für sie das sie das klären konnten^^ und das wg bäcker... da kann ich jonathan gut verstehn^^

jetzt wird hoffentlich wieder alles gut, oder?

lg Tat-chan
Von:  saspi
2009-03-08T15:04:19+00:00 08.03.2009 16:04
huhu!!!

die auseinander setzung ging ja heiß her. wer hatte das gedacht das er mal zurück schlägt und was dann noch alles als nächstes passiert.

byby


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