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Empire of Dirt

von

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Eins

Dies ist eine kurze Geschichte, die im Rahmen eines "Darkfic"-Wettbewerbs hier auf Animexx verfasst wurde. Die Aufgabe kurz gefasst: Shonen-Ai; eine der Hauptfiguren sollte böse oder in Schwierigkeiten sein (und die andere hilft ihm/liebt ihn trotzdem, auch wenn es gefährlich/scheinbar sinnlos ist). Die Geschichte sollte zu einem Lied verfasst werden. Ich hatte mich für "I hate everything about you" von Three Days Grace entschieden.
 

1
 

„Viktor!!!“, riss die aufgebrachte weibliche Stimme den hellhaarigen jungen Mann aus seinen finsteren Tagträumen.
 

„Was?“, rief der Braunäugige erschrocken aus und blickte in die ihn musternden blauen Kristalle seiner besten Freundin Stella.
 

„Wirst du mir endlich erzählen, was diesmal zwischen euch vorgefallen ist?“, seufzte sie und rührte erneut ihren heißen Kaffee um, ohne ihren Blick von ihrem Freund zu nehmen. Viktor starrte den vor ihm stehenden, dampfenden Starbucks-Becher an. Die Geräusche der um sie herum sitzenden, aufgeregt redenden Menschen wurden ihm erst langsam bewusst.
 

Es war Mittagszeit, alle Läden waren vollkommen gefüllt. Nur aufgrund des Organisationstalents Stellas und ihrer Pünktlichkeit hatten sie sich diesen Platz in der Ecke des Lokals sichern können und nahmen ihren traditionellen gemeinsamen, wöchentlichen Kaffee ein.
 

„Ich glaube ich will gar nicht darüber reden…“, brachte er schließlich heraus, ohne seine Begleiterin anzusehen und nahm den ersten Schluck des Koffeingetränks zu sich. Der Kaffee schmeckte süß, nach Vanille und etwas nach Haselnuss. Eine perfekte Mischung.
 

„Viktor!“, seufzte Stella und ließ theatralisch den Kopf nach unten sacken. Dann starrte sie ihn wieder an und zwar so lange, bis er gezwungen war, einen Blickkontakt herzustellen.

„Was…?“, fragte er erneut, etwas zurückhaltend.
 

„Erzähl es mir!“, drängte sie ihn und legte den Kopf schief, formte einen kleinen Schmollmund.
 

„Stella…“, seufzte er.
 

„Ja, das bin ich!“, lächelte sie. „Und noch sag es mir endlich, oder ich lass dich nicht mehr gehen!“
 

„Das war ja klar…“, murmelte der junge Mann und strich sich mit seiner zart geformten Hand durch sein schulterlanges hellbraunes, leicht gelocktes Haar, welches einen angenehmen Kontrast zu seinen völlig dunklen Augen bildete, die seine blässere Haut wiederum nur noch mehr hervorhoben.
 

„Du wusstest worauf du dich einlässt…“, bemerkte die blonde Frau und leckte ihren Löffel genüsslich ab. „Köstlich!“, fügte sie hinzu. „Und nun erzähl mir das neue Drama, ich kann’ kaum abwarten!“
 

„Das ist nicht lustig!“, fauchte Viktor.
 

„Ach nein? Wenn du das nicht lustig findest, wie wäre es wenn du endlich was dagegen tust?!“, fauchte sie zurück. Der Braunhaarige senkte seinen Blick.
 

„Ach komm, Viktor! Erzähl es mir einfach, OK?“, sagte sie beschwichtigend. „Ich will dir doch nur helfen, OK?“
 

„Er redet nicht mit mir“, sagte er dann schließlich.
 

„Nichts Neues, ihr redet doch eh nie wirklich miteinander“, bemerkte seine Freundin und nahm einen weiteren Schluck Kaffee.
 

„Nein, nicht so ein Reden“, fing Viktor an und sah Stella dabei verzweifelt an. „Er hat seit zwei Tagen kein einziges Wort mehr mit mir gesprochen. Er ignoriert mich komplett! Er reagiert nicht mal auf ein ‚Hallo’ von mir, wenn ich nach Hause komme.“
 

Stella schwieg eine Weile und fragte dann: „Habt ihr euch gestritten?“

Kurz dachte Viktor nach.
 

„Eigentlich nicht, jedenfalls nicht, dass ich wüsste“, sagte er dann.
 

„Hmmmmm…“
 

„Ich will einfach nur wissen, was ich gemacht hab!“, fügte er dann noch hinzu.
 

„Frag ihn doch…“, sagte Stella, ihre Stimme von Sarkasmus getränkt.
 

„Ha, ha! Sehr witzig…“
 

„Vielleicht ist er nur mal wieder auf seinem Ego-Trip…“, sinnierte sie, ihren kleinen Löffel betrachtend.
 

„Er ist immer auf nem Egotrip…“, schnaubte Viktor und trank seinen Kaffee weiter, verbrannte sich seine Zunge. „Fuck…!“, wisperte er.
 

„Jonathan ist ein Arschloch und du bist ihm egal“, sagte Stella und blickte Viktor grinsend an. „Und vielleicht wird es auch langsam an der Zeit, dass du das mitbekommst und es endlich kapierst.“
 

„Jaja, ich weiß was jetzt kommt, ‚Trenn dich von ihm, das ist er nicht wert, du verdienst etwas Besseres, bla bla bla’, oder nicht?“, äffte er ihre Stimme nach.

Stella blickte ihn finster an und schüttelte den Kopf.
 

„Du verdienst wirklich etwas Besseres“, sprach sie dann resigniert und leerte ihren Kaffee.

„Was ist aber, wenn ich nichts besseres will…“, sagte Viktor leise, das Starbuckslogo auf seinem Becher betrachtend.

Seine Freundin seufzte.
 

„Dann bist du ein Idiot“, sagte sie.

„Das sagt Jonathan auch immer…
 

Wie lange waren sie jetzt schon zusammen? Waren es vier Jahre, waren es fünf? Viktor kam es wie die Ewigkeit vor, als ob es vor Jonathan keinen anderen an seiner Seite gegeben hätte. Es fühlte sich so an, als hätte er sein Leben eigentlich erst bewusst wahr genommen, seitdem der Schwarzhaarige es betreten hatte.

Sie hatten sich auf einer Party kennengelernt.

Den leeren Kaffeebecher in der Hand dachte er an diesen Abend zurück.
 


 


 

Es war ausgerechnet Stellas Geburtstag, den sie ausgiebig in der Kneipe auf dem Campus feiern musste. Das ganze Lokal hatte sie dafür gemietet. Für wenig Geld, wie sie behauptete. Dafür hatte sie eine Menge in Alkohol investiert.
 

Der um die 1,90 m große Kerl in einer engen, hellblauen Jeans und einem schwarzen semi-eleganten, pechschwarzen Hemd war ihm sofort aufgefallen. Genauso dunkles Haar umrandete sein perfektes Gesicht, die hohen Wangenknochen verliehen ihm etwas Adliges, das dachte Viktor zumindest. Das dachte er immer noch.
 

Als ihn die grünen Augen betrachteten und ihm der Unbekannte zuzwinkerte, machte sein Herz einen Sprung. Er wusste, dass er viel zu schüchtern sein würde ihn anzusprechen, vor allem, da der Schwarzhaarige die ganze Zeit über mit irgendwelchen, Viktor nicht wirklich bekannten Menschen an einem Tisch saß. Und eine ganze Menge Spaß zu haben schien.
 

Verärgert über seine eigene Unfähigkeit sich zu einem Flirt zu bewegen – mehr als schiefgehen hätte ja eigentlich nicht passieren können – trank er ein Bier nach dem anderen und unterhielt sich mit einigen von Stellas Freunden.
 

Diese Kulturwissenschaftler waren schon ein seltsamer Haufen. Und Uniformen trugen sie auch. Naja, so hätte man es bezeichnen können. Beige und dunkelgrün waren wohl Pflicht. Brillen mit einem dicken schwarzen Rahmen standen ebenfalls auf dem Programm. Entweder du bist Alternativ, ein Öko, Rocker oder du gehörst nicht in unsere Reihen schienen sie zu denken.
 

Aber im Grunde genommen waren Stellas auserwählte Gäste wirklich in Ordnung. Es nervte ihn nur, dass die kleine betrunkene Rothaarige sich die ganze Zeit an ihn ranmachte. Zudem war sie auch nur knapp 1,50 groß und Viktor musste sich ständig zu ihr runterbeugen, um überhaupt etwas verstehen zu können.
 

Ihr zartes Stimmchen ging in der lauten Musik und dem Gerede einfach unter.

Verzweifelt blickte er zu Stella, die ihn zunächst einfach nur aus der Distanz auslachte, als sie die Situation erkannte. Doch dann fasste sie sich ein Herz und marschierte zu ihnen an die Bar.
 

„Ah, Anna!“, sagte sie zu dem rothaarigen Mädchen, welches ihr sofort um den Hals sprang und lauthals „Happy Biiiirthdaaaaay“ schrie.
 

„Ja ja, vielen Dank, zum dritten Mal!“, lacht Stella. „Wie ich sehe hast du einen Narren an meinem besten Freund gefressen, was?“
 

Die Rothaarige flüsterte, bzw. dachte sie würde flüstern: „Ja! Der ist voooll süüüß!“
 

Viktor verdrehte die Augen, während Stella in angrinste.

Dann wandte sie sich wieder ihrer kleineren Kommilitonin zu und sagte: „Ja, er ist ein Sahneschnittchen. Und verdammt schwul.“
 

Die Kleine verschluckte sich fast an ihrem Bier.

„Schwul?“, japste sie, ihre Augen auf Viktor gerichtet, welcher stumm nickte und sich dachte, dass wohl wirklich nur diese drastische Methode half. Und eine Lüge war es schließlich auch nicht.
 

„Ups…“, lachte sie und hielt sich die Hand vor dem Mund. „Ich bin sch-schon weg!“
 

„Danke!“, sagte der Braunhaarige als seine persönliche Nervensäge verschwunden war und gab seiner besten Freundin ein Küsschen auf die Wange.
 

„Bitte, bitte“, lachte diese und beugte sich noch weiter zu Viktor vor. „Der Schwarzhaarige, hab ich Recht?“, sagte sie in sein Ohr.

Sein Herz machte einen weiteren Sprung und als er seine Augen auf den besagten Mann richtete bemerkte er, dass dieser ihn anstarrte.
 

„Na los, hilf mir mehr Bier zu seinem Tisch zu schleppen. Scheint ein Freund von Mark zu sein“, sagte sie, während die Bedienung schon fleißig Bierflaschen öffnete und sie auf den Tresen stellte.
 

„Du hast deinen Ex-Freund eingeladen?!“, wunderte sich Viktor, der den besagten Ex gar nicht bemerkt hatte, und musste laut lachen.
 

„Warum nicht? Wäre doch schade, wenn er die heiße Show von Nils und mir verpasst, schau er ist wieder am Tisch und nun starren uns alle an!“, grinste sie.

Viktors Knie wurden irgendwie weich nach dem letzten Satz.
 

Nur widerwillig griff er nach den Bieren und lief seiner Freundin nach, die direkt auf den Tisch zuging und mit einem großen Jubeln begrüßt wurde – wer würde Freibier nicht zujubeln?
 

Fast hätte er alle Bierflaschen fallen lassen als er die Augen seines persönlichen Blickfangs auf sich spürte.

„Trinken wir auf mich!“, rief Stella lachend aus und die Gäste am Tisch hoben ihre neuen Bierflaschen zum Prost an, auch Viktor, der über ein weiteres kaltes Pils wirklich glücklich war. Irgendwie musste er seine sich aufbauende Nervosität loswerden.
 

„Setzen!“, fauchte Stella ihn spielerisch an und schubste ihn auf das Sofa.

Direkt neben den unbekannten Schwarzhaarigen, der ihn nun neugierig musterte. Viktor sah ihn nervös grinsend an und es gelang ihm tatsächlich ein „Hi!“ zu wispern.
 

Und dann verschluckte er sich an seinem Bier und musste laut husten. Am liebsten hätte er sich in diesem Moment selber eine Backpfeife verpasst. Doch sein Sitznachbar grinste einfach nur und fragte ihn dann:

„Alles OK?“
 

„Klar, klar, kein Ding. Es schmeckt einfach zu gut, kann mich nicht zurückhalten“, scherzte er.
 

„Du bist Viktor, oder?“, fragte der Grünäugige weiter.
 

„Ja.“
 

„Ich bin Jonathan“, stellte er sich dann vor und hielt Viktor die Hand hin. Dem Braunhaarigen wurde plötzlich ganz mulmig, als er die warme Hand des jungen Mannes mit seiner eigenen umschloss.
 

Die nächste Frage seines Gegenübers brachte ihn völlig aus dem Konzept.

„Du stehst auf Kerle, oder?“

Um ein Haar hätte er sich wieder verschluckt.

Und eigentlich wollte er etwas Witziges, Sarkastisches, Cooles antworten, doch was aus seinem Mund kam war ein einziges, schnulziges: „Jaaa.“

Hier hätte er sich gern die zweite Ohrfeige verpasst.

Jonathan grinste.

„Welch Zufall“, sagte er dann. „Ich auch.“
 


 


 

„Entschuldigen Sie!“, riss ihn die fremde Stimme aus seinen Erinnerungen. „Ist hier gleich frei?“, fragte ihn eine Frau mit zwei Kindern.

Stella war längst fort, er war allein zurückgeblieben.

„Ja, sicher!“, antwortete er, griff flink nach seinen Sachen und machte Platz. Schnell warf er sich seine Jacke über und verließ das Lokal.

Der Wind war etwas kalt, dennoch verlieh die hell scheinende Sonne dem Tag etwas Angenehmes. Er war froh, dass sein Linguistikseminar heute ausfiel. Nach ernsthaftem Nachdenken war ihm heute wirklich nicht mehr.

Langsam schlenderte er durch den Unipark und blieb auf der kleinen Brücke über dem künstlich angelegten See stehen, starrte ins Wasser. Als er die zwei Fische erblickte, die kurz auftauchten und dann um sich herum wirbelnd wieder unter Wasser tauchten, musste er wieder an die Party denken, an ihren ersten Tanz…
 


 


 

Er wusste nicht mehr genau wie es passiert war, aber nach zwei oder drei Stunden Smalltalk, nach acht oder neun weiteren Bieren waren sie plötzlich auf der mittlerweile gut gefüllten Tanzfläche gelandet. Was war das für ein Lied? Irgend so eine R’n’B-Scheiße, so würde Stella das sicherlich beschreiben, mit einem durchgängigen, groovenden Beat der nur zu einer Sache animieren sollte; mit einem durchaus expliziten Text, den man in manchen Ländern aufgrund der Zensur ganz hätte weglassen können…
 

Sie kamen sich immer näher. Jonathan war ein verdammt guter Tänzer. Viktor nahm die vielen fehlschlagenden Versuche der weiblichen Gäste um ihn herum wahr, die immer wieder um seine Aufmerksamkeit mit ihren schwingenden Hüften warben.

Doch Jonathan schien nur Augen für ihn zu haben.
 

Urplötzlich griff er nach Viktors T-Shirt und presste ihn an seinen Körper, schlang seine gut geformten Arme um den etwa 10 cm kleineren Mann. Viktors Arme folgten seinem Instinkt und umfassten den Rücken seines Tanzpartners.
 

Alles um ihn herum drehte sich, die Musik nahm seinen ganzen Körper ein, der durch den Kontakt zu Jonathan nur noch heißer wurde. Er spürte Lust, Aufregung und wollte am liebsten einfach nur schreien.
 

Noch lauter, als Jonathan ungehalten seine Lippen auf die von Viktor presste und direkt Einlass verlangte. Gierig drang seine Zunge in die Mundhöhle des Kleineren und verwickelte sie in ein unanständiges Spiel.

Wer weiß wie lange sie sich so ungestüm in der Menge küssten.
 

Irgendwann sprang Stella dazwischen und brüllte lachend: „Holt euch doch ein Zimmer!“

Den Rest des Abends tanzten sie wild zu dritt, bzw. zu viert, denn Nils, die damalige Flamme Stellas, gesellte sich dazu.

Als er am nächsten Morgen auf seiner Luftmatratze in Stellas Zimmer durch das beständige Klingeln seines Handys aufwachte und Jonathan am anderen Ende war, ihn um ein gemeinsames Frühstück bat, war er der glücklichste Mann der Welt...
 


 


 

Er starrte auf sein mittlerweile ziemlich mitgenommenes, fast völlig zerkratztes Display seins Nokia Handys. Wann hatte ihn Jonathan das letzte Mal angerufen? Klar, sie wohnten zusammen, da entfielen die vielen kleinen Anrufe untereinander. Aber… In letzter Zeit waren sie doch oft getrennt unterwegs.
 

Viktor hatte viel mit der Uni zu tun. Und Jonathan… Nun. Die kleinen Jobs. Mal hier, mal da. Im Grunde genommen wusste er noch nicht mal, was genau sein Freund momentan machte.

Wütend steckte er das Mobiltelefon wieder ein.

War Jonathan zu Hause?
 

Vielleicht sollte er ihn ja anrufen?

Bei einem Anruf wäre er ja schließlich gezwungen mit ihm zu reden!

Schnell wählte er die Nummer, die er bereits nach dem zweiten Treffen mit dem Schwarzhaarigen auswendig kannte.

Doch bereits nach dem ersten Piepton wurde er weggedrückt.

Als er das zweite Mal wählte, in naiver Hoffnung, war das Handy ganz aus.

Er packte das Gerät zurück in seine Hosentasche.

„Mistkerl!“, wisperte er dem See zu.

Zwei

Es war 22 Uhr. Gelangweilt saß er immer noch über dem aufgeschlagenen Buch über Phonetik. Er hasste Phonetik. Er hasste das Linguistikseminar, doch Hausaufgaben waren Hausaufgaben und er musste sie erledigen. Gute Noten waren von Vorteil.

Wenigstens dann würden seine Eltern ihn nicht ständig nerven. Sie hassten es, dass ihr Sohn mit einem Mann zusammen lebte. Hatte er Jonathan überhaupt mal mit zu sich nach Hause gebracht?
 

Er kratzte sich am Kopf, während er darüber nachdachte. Nein, eigentlich nicht. Seine Eltern kannten seinen Freund noch nicht mal richtig. Nur ein Mal waren sie zufällig auf seine Mutter getroffen. Im Einkaufszentrum. Er erinnerte sich.
 

Sie aßen Eis. Jonathan schleckte an seinem Standard Schoko-Eis, während Viktor selbst einen Fruchtbecher verdrückte. Etwas von der Sorte Erdbeere war in seinem Mundwinkel kleben geblieben. Lächelnd hatte sich Jonathan vorgebeugt und ihn sanft geküsst, hatte die süße Versuchung leicht hinweggeleckt.
 

Und dann stand seine Mutter am Tisch, der Mund weit offen, seinen Namen stotternd, auf Jonathan blickend, der ausgerechnet an diesem Tag seine völlig zerfranste Jeans trug, dazu ein enges, dunkelgrünes Muskelshirt und seine gnädige Frau Mutter ungeniert angrinste.

Er hatte so verdammt gut ausgesehen an diesem Tag…
 

Ein Blick auf die große Uhr an der Wand ermahnte ihn. In einer halben Stunde würde die Bibliothek schließen. Es war Zeit sich auf nach Hause zu machen.

Mit einem kleinen Stechen in der Brust sammelte er seine mitgebrachten Unterlagen ein und ging in Richtung Ausgang.
 

Er war froh niemanden zu treffen. Er wollte allein sein. Und musste sich eingestehen, dass er Angst hatte nach Hause zu gehen. Er hatte Angst vor der Stille, die ihn auffressen würde, vor der Kälte, die momentan von seinem Freund ausging.

Dieses beständige Ignorieren. Nicht mal in die Augen blickte er ihm. Und alles was er wissen wollte, war nur wieso, wenn er doch wenigstens einen Grund hätte, wenn Viktor es sich nur erklären könnte…

Er musste an ihren letzten Streit denken. Ein kleiner Schauer fuhr seinen Rücken hinunter…
 


 


 

Jonathan war sauer. Viktor hatte ihm versprochen, eine ganz bestimmte DVD mitzubringen, irgend so ein Actionstreifen, er hatte sich den Titel extra notiert. Der Cousin Jonathans sollte zu Besuch kommen und, wie sein Freund es ihm erklärt hatte, war es eine Tradition, dass die beiden sich diesen Film jedes Mal zusammen ansahen.
 

Nach seiner wichtigen Klausur war er durch die Stadt geradelt, zur am besten ausgestatteten Videothek. Und angekommen suchte er den Zettel wie verrückt. Vergebens.

Er versuchte Jonathan zu erreichen. Doch dieser ging weder ans Handy, noch an den Festnetzanschluss. Genervt ließ er sich beraten und es gelang ihm sogar noch ein Exemplar eines ziemlich gut bewerteten Streifens zu erwischen.
 

Und da stand er, in der Küche, Jonathan vor ihm, völlig aus dem Häuschen.

„Sag mal, bist du TOTAL bescheuert?!?! Ich hab dir doch gesagt Stirb Langsam!“, fauchte er ihn an.
 

„Ach, Scheiße! Ich kann mir Filmtitel echt nie merken. Es tut mir Leid! Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich den Zettel verloren hab…“, redete Viktor beschwichtigend auf ihn ein.
 

„Wie dumm muss man eigentlich sein, um sich diesen Titel nicht merken zu können?“, sagte der Schwarzhaarige gehässig.
 

„Aber…“, stotterte Viktor und zeigte auf die mitgebrachte DVD. „In dem Film da spielt doch auch dieser Bruce Willis mit, oder nicht?“
 

„Ja, aber kling Hostage etwa wie Stirb Langsam, hm?!“, zischte der Grünäugige und pfefferte die DVD auf den Boden.

Er trat einen Schritt auf seinen hellhaarigen Freund zu.
 

„Jonathan…“, flüsterte der Dunkeläugige. Der Angesprochene funkelte ihn mit einem gehässigen Blick an.
 

„Du kriegst auch gar nichts auf die Reihe, oder?“, schrie er ihn dann an.

Viktors Wut war nun auch nicht mehr zu unterdrücken.

Er ging an Jonathan vorbei und hob die DVD demonstrativ vom Boden auf.
 

„Warum machst du eigentlich so einen scheiß Aufstand wegen einer verfickten DVD?!“, fuhr er seinen Freund mutig an.
 

„Weil mir dieser Abend mit meinem Cousin wichtig ist!“, zischte Jonathan zurück.
 

„Und warum hast du die DVD dann nicht selbst geholt?“, fragte Viktor ihn, nochmals Luft holend. „Du hängst doch eh den ganzen scheiß Tag faul zu Hause rum, während ich Sachen an der Uni erledigen muss und arbeiten gehe!“
 

„Was hast du gesagt?!“, kam die gepresste Antwort des Schwarzhaarigen.
 

Viktor schluckt, fasste seinen Mut zusammen und schrie: „Ich sagte, dass du eh den ganzen Tag FAUL in der Bude rumhängst!“ Die flache Hand des Größeren traf seine Wange mit einem lauten Knall, der durch die gesamte Küche hallte. Die Stelle brannte fürchterlich, instinktiv hielt Viktor seine eigene Handfläche an seine Backe. Jonathan hatte einfach zu viel Kraft...
 

Geschockt blickte er den Schwarzhaarigen an, der ihn immer noch wütend anblickte. Minutenlang starrten sie sich einfach an.
 

Dann veränderte sich Jonathans Gesichtsausdruck plötzlich, die zusammengezogenen Augenbrauen entspannten sich, wie auch seine Mundwinkel. Kurzzeitig meinte Viktor, leichte Verängstigung in dem Blick seines Freundes erkennen zu können, der nun langsam auf ihn zu kam, und seinen Namen flüsterte.
 

„Viktor…“

Er legte seine Arme um den kleineren Körper und presste seinen dunkeläugigen Geliebten an sich, mit seinen Händen durch sein längeres Haar fahrend.

„Es tut mir Leid…“, flüsterte er. „Das wollte ich nicht… OK?“
 

„Sch-schon gut“, wisperte Viktor zurück.
 

„Gut“, hauchte Jonathan in sein Ohr und ließ langsam von ihm ab.

Lächelte.

„Bist du so nett und holst jetzt die richtige DVD? Mein Cousin kommt in weniger als 10 Minuten.“
 

„K-klar…“, gab Viktor kleinlaut nach und machte sich auf den Weg.
 


 


 

Ja, dieses Lächeln war das Lächeln von früher gewesen. Von den Zeiten, in denen Jonathan ihn nie anschrie, oder die Hand gegen ihn hob. Aus den Zeiten, in denen sie Hand und Hand am Strand entlang spaziert waren und Leute des älteren Kalibers mit leidenschaftlichen Küssen in der Öffentlichkeit schockiert hatten.
 

Zeiten, in denen Jonathan ihm dieses Lächeln fast jeden Tag schenkte.

Dieses Lächeln, welches jegliche Warnvorrichtungen in seinem Kopf außer Funktion setzte und sein Herz schneller schlagen ließ; welches eine Wärme durch seinen gesamten Körper strömen ließ, dieses wohlige Gefühl in Form von Schauern hervorrief.

Das Lächeln, das seinem Leben einen Sinn gab.
 

Wie sehr er sich wünschte, es öfters sehen zu können… Wann war das letzte Mal? Er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern. Wahrscheinlich war es in einem seiner Träume gewesen…

Er merkte gar nicht, wie ihn der Regen durchnässte. Vielleicht war es ihm auch egal. Diese momentane Leere die er verspürte, die immer deutlicher zu werden schien, je näher er ihrem gemeinsamen Zuhause kam, nahm all seine Aufmerksamkeit ein.
 

Er verlangsamte seine Schritte.

Blieb vollends vor der Haustür stehen.

Der Regen tropfte ihm von der Nase.
 

Erst jetzt merkte er, wie kalt ihm eigentlich war. Er zitterte. Dennoch griff er nur widerwillig nach dem Haustürschlüssel. Er schleppte sich förmlich die Treppen hinauf, hoch in die dritte Etage. Ganz am Ende des Flures lag die Tür.

Behutsam öffnete er sie.
 

Der Fernseher war an, irgendeine US-Sitcom lief, darauf ließ jedenfalls das eingeblendete Lachen zwischen den einzelnen Sätzen der scheinbaren Protagonisten schließen.

Leise schloss er hinter sich zu. Als er sich umdrehte, erschrak er beinahe. Jonathan stand direkt vor ihm und blickte ihn finster an. Er schwankte leicht.
 

Gebannt starrte Viktor in die grünen Augen, die ihn endlich wieder wahrnahmen.

Sein Freund machte einen Schritt auf ihn zu, schweigend, und drückte ihn mit seinem Körper gegen die Tür, sein Mund direkt an Viktors Ohr, er konnte ihn atmen hören, spürte die warme Brise an seiner Haut.
 

Jonathans Hand legte sich auf seine Schulter.

Er roch nach Gin.

Einige Augenblicke lang blieb es ruhig. Dann sprach Jonathan mit seiner tiefen Stimme leise, direkt in Viktors Ohr:

„Ich will ficken.“
 

Der Hellhaarige hielt die Luft an, konnte es nicht glauben. Zwei Tage lang hatte Jonathan ihn komplett ignoriert und nun forderte er Sex? Betrunken?

Er schnaubte, andererseits glücklich, dass sein Freund überhaupt mit ihm sprach. Er fragte sich, ob tatsächlich seine Wut gerade die Oberhand in seinem inneren Streit der Gefühle behielt. Er war verwirrt. Enttäuscht. Dann wieder glücklich. Dann verärgert.
 

All diese Emotionen wechselten im Sekundentakt.

In Millisekunden.

Jonathans Finger machten sich daran seine Hose aufzuknöpfen, während er ihm laut ins Ohr atmete.
 

Die Wut, gepaart mit der Enttäuschung, gewann.
 

Viktors Finger griffen nach Jonathans arbeitenden Händen. Umgehend hob der Letztere den Kopf und blickte sein Gegenüber verwirrt und leicht verärgert an.
 

„Lass es…“, flüsterte der Dunkeläugige, den Blick seines größeren Freundes standhaltend.

Der Schwarzhaarige fing an selbstsicher zu grinsen.
 

„Ach, komm, Alter!“, sagte er und schlug Viktors Hände leicht weg. Wieder versuchte er ihm die Hose aus zu ziehen.
 

„Lass es!“, wiederholte Kleinere lauter und griff erneut nach seinen Armen.
 

„Mann!“, fuhr Jonathan ihn an und schlug seine Hände erneut weg. Als Viktors Finger sich erneut um seine Arme legen wollten, war der Betrunkene schneller. Seine Fingernägel bohrten sich schmerzvoll in die Handgelenke des Kleineren, der aufzischte.
 

„Verdammte Scheiße… W-was bist du eigentlich plötzlich so verklemmt?!“, fuhr der Größere ihn an, seine Finger noch tiefer in das Fleisch bohrend.
 

„Au, du tust mir weh!“, rief Viktor und versuchte seine Arme aus dem Griff seines Freundes zu befreien.
 

„Ach… fick dich doch!“, schnauzte dieser dann und schubste Viktor zur Seite, der sein Gleichgewicht verlor und auf seinem Hintern landete. Jonathan drehte sich derweilen um und ging zurück ins Wohnzimmer.
 


 

Eine Stunde lag er reglos auf ihrem gemeinsamen Bett. Die dumpfen Geräusche des immer noch laufenden Fernsehers drangen ins Schlafzimmer. Er seufzte. Wenigstens war es ihm gelungen, die Tränen dieses Mal zurück zu halten.
 

Und dennoch brannten seine Augen. In seinem Innern war er rastlos. Seine durch den Kopf rasenden Fragen überschlugen sich bereits. Heute Nacht würde er definitiv keinen Schlaf bekommen. Ohne großartig darüber nachzudenken erhob er sich und marschierte schnurstracks ins Wohnzimmer.
 

Jonathan saß auf der Couch, die Beine auf dem tiefen Wohnzimmertisch ruhend, ein weiterer Gin-Tonic in seiner Hand. Der wievielte war das heute wohl schon?

Wie in Zeitlupe drehte er Viktor seinen Kopf zu und grinste ihn leicht an. Er sah total verschlafen aus, die Augen leicht violett unterlaufen.
 

„Na…“, brachte der sich immer noch betrinkende junge Mann raus.
 

„Na…“, antwortete Viktor und setzte sich auf den Sessel rechts vom Sofa, ohne den Blick von seinem Freund abzuwenden.
 

„Warum hast du die letzten zwei Tage nicht mit mir geredet?“, fragte er nach einer Weile des Schweigens.
 

Jonathan musterte ihn. Verwirrung zeichnete sein Gesicht.

„I-ich hab nnnicht mit dir geredet?“, brachte er hervor.
 

Eigentlich wusste Viktor, dass es sinnlos war, mit ihm in diesem Zustand zu sprechen. Doch sein Verstand hatte sich schon längst verabschiedet. Er musste genau jetzt darüber reden, jetzt wo Jonathan ihn endlich wieder wahrnahm. Egal wie betrunken sein Freund war.
 

„Nein, kein einziges Wort“, setzte er an. „Du hast mich komplett ignoriert. Wieso? Was hab ich gemacht?“
 

„Meine Fresse, m-müssen wir das JETZT klären…?!“, fragte Jonathan genervt und nahm noch einen Schluck seiner Mischung.

„J-ja!“, stotterte der Hellhaarige.

„Du nervst!“, brummte er.
 

Sie schwiegen wieder.
 

„Ich… Ich will doch einfach nur wissen, was ich falsch gemacht hab…“, bemerkte Viktor fast flüsternd, und starrte den großen Fussel auf dem Teppichboden an.
 

„Mein Gott…“, gähnte Jonathan. „V-Vielleicht war ich einfach nur in Ge-Gedanken versunken… Okeee?“
 

„In Gedanken?! Du hast mir nicht mal auf ein ‚Hallo’ geantwortet!“, sagte der Braunhaarige fast jammernd.
 

„Jetzt heul hier nicht so rum…“, er nahm einen weiteren Schluck. „Nur weil… Nur wenn ich maaal nicht mit dir rede… geht die Welt nicht unter… klar?“
 

„W-wirst du denn jetzt wieder mit mir reden…?“, fragte er unsicher.
 

Jonathan sah ihn an und beugte sich vor, leicht schwankend, stützte sich an der Sofalehne ab.

„W-was machen wir denn hier gerade, hm?“, grinste er ihn warm an.

Viktors Mundwinkel zuckten, und dann lächelte er.

Wohlwissend, dass dieser Augenblick nur eine momentane Ausnahme war. Wissend, dass es morgen schon wieder völlig anders aussehen könnte…
 


 

Es war gegen Mitternacht, als Jonathan sich immer noch schwankend erhob und in Richtung Schlafzimmer ging.

„Na los…“, raunte er und drehte sich um. „Komm schon mit!“
 

Umgehend sprang Viktor auf und folgte seinem nun völlig betrunkenen Freund ins Schlafzimmer, der versuchte sich auszuziehen und durch seinen Zustand, der in unfähig machte seine Bewegungen zu koordinieren, kläglich daran scheiterte.
 

Eigentlich hatte Viktor nichts gegen Alkohol. Ja, er trank selber gern einen. Auch einen über den Durst. Und es war auch OK, wenn sein Freund sich ab und an betrank. Doch in letzter Zeit passierte das mehr als oft.

Er fing an es zu hassen.
 

Er hasste Jonathan in diesem Zustand.
 

Genervt und besorgt half er ihm nun aus seinen Klamotten, bis sein Freund nur noch in Boxershorts auf dem Bett saß und nach der vorher schon bereitgestellten Wasserflasche auf dem rechten Nachttisch griff. Seufzend entledigte sich nun auch Viktor seiner Klamotten.

Da passierte es.
 

Jonathans Hände packten ihn an seinen Hüften und zogen ihn brutal aufs Bett.

„Hey!“, rief er protestierend aus, doch da hatte der Schwarzhaarige ihn bereits mit dem Rücken auf Bett gedrückt, hielt seine Hände über dem Kopf in die Matratze gepresst, grinste.

Viktor hasste dieses besoffene, dämliche, bedrohliche Grinsen.
 

„Geh runter von mir, bitte…“, forderte er schwach.
 

Doch Jonathan dachte nicht dran, sondern fing an ihn zu küssen, zwang ihn mit seinen Lippen und Zähnen seine Lippen zu spreizen, drängte ihn in einen wilden Zungenkuss.

Er schmeckte nach Gin, nach Zigaretten, nach Pizza, nach irgendwelchen ekligen Gewürzen. Obwohl er es normalerweise genoss von seinem Freund geküsst zu werden, war er dieses Mal mehr als froh, als Jonathan den Kuss beendete und anstatt seines Mundes, seinen Hals weiter küsste, seine Brust, seinen Bauch.
 

Als er sich daran machte Viktors Boxershorts herunter zu ziehen, schnappte der Kleinere mit seinen nun befreiten Händen erneut nach den Armen seines Freundes.
 

„Nein!“, rief er gepresst heraus.
 

Er wollte jetzt nicht mit ihm schlafen, nicht in diesem Zustand!

Er stank nach Alkohol, Rauch und Schweiß und hatte diesen total furchterregenden Blick mit dem er ihn nun ansah.
 

„S-stell dich nicht so an!“, raunte der Schwarzhaarige ihn genervt an und wollte mit seinen Händen dort weitermachen, wo er aufgehört hatte, doch Viktor hielt ihn fest, schenkte ihm keine Bewegung.
 

„Alter!!!“, zischte Jonathan und seine Augen blitzen bedrohlich im vagen Licht der Nachttischlampe auf.

„STELL – DICH – NICHT – SO – AN!“, schrie er ihn dann an, sein Gesicht dem seines Freundes näherkommend. Viktor zuckte bei diesen betonten Wörtern zusammen, lockerte in diesem Moment den Griff um Jonathans Hände – der diese Tatsache sofort nutzte und Viktor wusste, als er nackt war, dass es sinnlos war sich zu wehren…
 


 

"Every time we lie awake,

after every hit we take,

every feeling that I get…"
 

Jonathan schnarchte bereits. Er schnarchte immer, wenn er getrunken hatte. Viktor dagegen lag mit weit aufgerissenen Augen da, starrte die Decke an, kämpfte gegen die sich sammelnde und brennende Flüssigkeit an, versuchte nicht zu blinzeln…

Er war wund, sein Becken schmerze fürchterlich. Er war sich sicher, dass er morgen nicht in der Lage sein würde auch nur einen Schritt zu gehen…
 

"Only when I stop to think about it…"
 

Er versuchte seine Gedanken auf etwas anderes zu lenken, versuchte an die Uni zu denken, an die anstehenden Hausarbeiten, an seinen Minijob, an Stella…
 

"I hate everything about you…

Why do I love you…"
 

Die Tränen kullerten leise seine Wangen hinunter.

Drei

Als er erwachte, die Augen öffnete und langsam seine Umgebung wahrnahm, pochten seine Schläfen bereits. Sein ganzer Körper fühlte sich schwer an, er war die ersten Minuten nicht einmal in der Lage, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Die Befehle wurden von seinen Gliedmaßen einfach ignoriert.
 

Ihm war heiß, Schweiß hatte sich auf seiner nackten Brust gebildet. Zudem fühlte es sich so an, als würde jemand gegen seine Stirn von innen treten. Mit Springerstiefeln an den Füßen… Seine Nase war dicht, das atmen fiel ihm schwer.

Er hätte es besser wissen müssen.
 

Anstatt völlig durchnässt und deprimiert auf dem Bett zu liegen, hätte er eine warme Dusche nehmen und einen warmen Tee trinken sollen. Jetzt hatte er das Desaster.

Er versuchte aufzustehen. Es war eine unangenehme und ermüdende Prozedur. Schwach schleppte er sich in die Küche, der gestern noch dazu verursachte Schmerz durch seinen Körper fahrend.
 

Das Radio war eingeschaltet. Die Moderatoren, die wie jeden Morgen eine unglaublich gute und vitale Laune vortäuschten, plapperten aufgeregt über irgendein anstehendes Konzert. Aber er hörte gar nicht zu.
 

Es roch noch nach Spiegelei, die immer noch warme, dreckige Pfanne war zur Seite gestellt worden. Jonathan saß am dunklen und kleinen Küchentisch an der Wand und aß das warme Frühstück langsam, die angebrochene Aspirinpackung neben seinem Teller liegend. Er las Zeitung, die Stellenangebote aufgeschlagen.
 

Erst als Viktor aus Versehen gegen den Mülleimer trat und aufzischte, bemerkte der Schwarzhaarige ihn und drehte ihm seinen Kopf zu, musterte ihn.

„Du siehst aus wie Scheiße“, sagte er dann und nahm einen Schluck Kaffee, wieder in die Zeitung blickend.
 

„Danke…“, murmelte der Hellhaarige genervt. „Ein ‚Guten Morgen’ hätte auch gereicht…“
 

„Sind wir schlecht gelaunt?“, fragte Jonathan bissig und drehte sich um zu Viktor, der am Herd stand und sich ebenfalls ein Ei braten wollte.
 

„Nein, nur krank. Mir geht’s genauso scheiße, wie ich aussehen“, entgegnete er, den Kühlschrank zu seiner Linken öffnend.

Jonathan seufzte.
 

„Haben wir noch Nasenspray und irgendwas für’n Hals?“, erkundigte Viktor sich, als er die Eier in die Pfanne schlug.
 

„Woher soll ich das bitte wissen?! Bin ich hier das Hausmädchen, oder was?“, fauchte sein Freund, erhob sich und warf seinen benutzten Teller mit seinem lauten Klirren in die Spüle. Viktor fasste sich an den Kopf. Diese Geräusche bekamen ihm gar nicht gut.
 

„Hab ich gesoffen, oder du?“, lachte Jonathan.

Der Braunäugige sagte gar nichts.
 

Es war sowieso schon schwer genug sich auf seinen eigenen Beinen zu halten. Er hatte Fieber, das konnte er auch ohne den Blick aufs Thermometer sagen. Sein Körper verlangte Schlaf, verlangte Ruhe.
 

„Jonathan…“, fing er an und der Angesprochene blieb in der Tür stehen. „Kannst du mir irgendwas gegen Fieber aus der Apotheke holen?“
 

Der junge Mann mit den schwarzen Haaren verdrehte die Augen.

„Mann, ich hab keine Zeit!“, meckerte er dann. „Ich hab gleich ein Vorstellungsgespräch. Wenn mir danach nichts anderes einfällt, mach ich’s vielleicht. Bis dann.“ Und schon war er weg, ließ Viktor in der Küche mit dem brutzelnden Ei stehen.
 

Er hörte die Tür knallen.
 

Wut hätte jetzt geholfen diese Situation besser zu überstehen, doch im Moment verspürte er einfach nur ein Stechen in seinem Herzen. Ausdruckslos bereitete er sein Frühstück weiter vor. Es schmeckte nach gar nichts, das Brot war hart und etwas Besseres im Kühlschrank hatten sie nicht.
 

Er hoffte, Jonathan würde später noch einkaufen fahren, doch kaum hatte er diesen Gedanken getroffen, musste er selber bitter lachen. Jonathan würde nicht einkaufen gehen.

Er würde sich eher mit seinen alten Kollegen aus der Ausbildungszeit treffen, oder alten Schulfreunden, oder wem auch immer. Oder vor dem PC abhängen, vielleicht noch gerade Bier von ner Tanke holen – dieses war schließlich auch alle.
 

Aber um die Nahrungsmittel musste er, Viktor, sich eigentlich kümmern. Er war es, der das Kommando für den Großeinkauf gab, die Einkaufsliste erstellte. Aber in letzter Zeit ging er eigentlich immer häufiger alleine los, damit diese genervte Laune Jonathans ihm nicht weh tat…
 

Immer diese verzogenen Mundwinkel, das Schweigen, diese Fragen.

„Sind wir bald fertig?“

„Haben wir’s gleich?“

„Warum soll ich das Fleisch aussuchen?!“

Dieses nicht vorhandene gewachsene Interesse am gemeinsamen Haushalt, welches sich durch die Besuche im Supermarkt nur verdeutlichte.

Er seufzte.

Dachte an die ersten Monate des Zusammenlebens, den allerersten Einkauf.
 


 


 

Er war so glücklich. Gerade hatten sie die Wohnung eingerichtet. Die muskulösen und etwas dämlichen Handwerker hatten ihre hellbraune Küche mit der schwarzen Arbeitsplatte und dem neuen Edelstahlherd endlich installiert.

Sie standen zusammen in der Küche, Jonathan legte seinen Arm um Viktors Schultern. Gemeinsam betrachteten sie den Raum lächelnd.
 

„Es sieht perfekt aus!“, sagte der Schwarzhaarige und blickte ihn an. „Jetzt kannst du jeden Tag nackt für mich kochen!“, scherzte er.
 

„Na, das werden wir ja noch sehen, mein Lieber!“, lachte Viktor.

Sie küssten sich.
 

Jonathans Kuss immer mehr an Verlangen gewinnend.

Er drängte ihn immer weiter in Richtung Wand, bis sie gegen den Küchentisch stießen. Der Schwarzhaarige drückte ihn auf die Tischplatte und spreizte seine Beine, rieb sich an seinem Körper, küsste ihn weiter.
 

Als sie nach Luft schnappten funkelten ihn die grünen Kristalle warm an.

„Ich liebe dich…“, flüsterte Jonathan und küsste ihn erneut, sanft, behutsam, mit so viel Wärme, ließ seine Finger an seinem Rücken auf und ab fahren, strich ihm durchs Haar.
 

„Ich liebe dich auch…“, hauchte Viktor, als sie den Kuss brachen.

Jonathan grinste frech.

„Einkaufen, Schätzchen?“, scherzte er und hob den Einkaufsblock vom Tisch, wedelte damit vor Viktors Gesicht herum.
 

„Und dann kochen wir uns unser erstes gemeinsames Essen!“, willigte der Hellhaarige ein.

Sie stellten die Liste zusammen, wechselten sich beim Schreiben der Zutaten ab. Fast schon lächerlich. Aber es machte sie glücklich. Damals.
 


 


 

Es war nur ein Einkauf, ein lächerlichere, notwendige, triviale Aktivität. Warum hatte es ihn so glücklich gemacht? Warum hatte er sich wie in einem Traum gefühlt, als sie gemeinsam den Einkaufswagen durch die Gänge schoben und ihn mit Lebensmitteln füllten. Miteinander scherzend, berieten welche Sauce geeigneter wäre, diskutierten, ob sie lieber fest- oder weichkochende Kartoffeln kaufen sollten, fast schon an eine Zeremonie erinnernd den Kühlschrank füllten?
 

Warum füllte die Erinnerung an diese einfachen Momente seine Augen wieder mit Tränen?

Er warf die Hälfte seines kläglichen Frühstücks in den Mülleimer und begab sich langsamen Schrittes wieder ins Schlafzimmer. Mühsam wühlte er den Karton mit den Arzneimitteln durch. Das meiste davon war bereits abgelaufen.
 

„Na toll…“, murmelte er vor sich hin, während er sich wieder ins Bett legte, versuchte zu schlafen. Doch seine verstopfte Nase ließ dies nicht zu.
 

Die Aspirintablette, die er zum Essen eingenommen hatte, schien auch keine Wirkung auf ihn zu haben, in seinem Kopf pochte und hämmerte es immer noch. Es war aussichtslos. Er fühlte sich, als hätte er in dieser Nacht kein einziges Auge zugemacht.

Seufzend erhob er sich und schaffte es irgendwie sich anzukleiden. Er schrieb Jonathan eine SMS.
 

„Brauchst nicht zur Apotheke, ich geh allein.“

Eine Antwort erwartete er nicht.

Er hüllte sich in seine Jacke, steckte die letzte Packung Taschentücher ein und verließ die Wohnung.
 

Es war kalt, aber seine Jacke schützte ihn gut vor dem leichten Wind. Zudem tat diese frische Luft seinen Atemwegen gut. Tief atmete er sie ein, während er zur Bushaltestelle ging. Er war dankbar, dass sie nur einige Meter von ihrem Haus entfernt lag. Und zum kleinen Einkaufszentrum, welches eine ebenso kleine Apotheke beherbergte, waren es auch nur fünf Stationen.

Er starrte auf die Straße, nahm die übrigen, ebenfalls auf den Bus wartenden Menschen gar nicht wahr.
 

Er fragte sich, zu was für einem Vorstellungsgespräch Jonathan sich gerade begeben hatte. Der Schwarzhaarige redete ja nicht mehr darüber. Eigentlich wusste Viktor wirklich gerade nicht, was sein Freund arbeitete, geschweige denn, ob er momentan überhaupt irgendwo arbeitete…
 

Das Bewerbungsgespräch ließ darauf schließen, dass er erwerbslos war, oder? Es könnte aber auch sein, dass sein momentaner Job ihm auf die Nerven ging und er wieder etwas Neues suchte. Dass seine Berufe in letzter Zeit ständig wechselten, wenigstens das wusste Viktor. Jonathan hatte 1,5 Jahre lang Biologie studiert. Und dann das Handtuch geworfen. Er hatte einfach keine Lust mehr aufs Studieren, wollte lieber Geld verdienen. Natürlich unterstützte Viktor ihn dabei, wieso hätte er es nicht tun sollen? Natürlich hätte er es vorgezogen, hätte sein Freund weiterhin studiert. Aber jeder ging nun mal seinen eigenen Weg.
 

Nach einem halben Jahr Kellnern bei diesem Griechen um die Ecke folgte die Ausbildung zum Biologielaboranten. Das gleiche Feld, andere Umstände. Jonathan fand gefallen daran, er war zufrieden, ging gern zur Arbeit, besuchte gern die Berufsschule. Und dann tickte sein Chef aus.
 

Seine Kollegen beschuldigten ihn des Stehlens und als auch noch heraus kam, dass der Schwarzhaarige schwul war und mit seinem Lebensgefährten zusammenlebte, war es eh schon zu spät.

Ein Auflösungsvertrag wartete bereits zur Unterschreibung.

Wieder war ein Jahr umsonst gewesen.
 

Nach dieser Erfahrung war es für Viktor verständlich, dass sein Freund zunächst einfach nur Jobben wollte. Er arbeitete als Kellner, als Nachhilfelehrer, machte bei Inventuren von jeglichen Betrieben mit.
 

Viktor seufzte und stieg in den haltenden Bus ein, starrte aus dem Fenster ohne die Gebäude und Straßen an denen sie vorbeifuhren wirklich wahr zu nehmen.

Er fragte sich nicht zum ersten Mal, was Jonathan sich eigentlich für seine Zukunft vorstellte. Er würde ihm gern zur Seite stehen, ihm helfen. Aber sein Freund ließ ihn nicht…
 

Der kleine Sprung zur Apotheke und den Mini-Supermarkt um irgendetwas Essbares zu besorgen dauerte in seinem Zustand länger als geplant. Erst nach einer Stunde kam er wieder zu Haus an, schloss die Wohnungstür auf und horchte.

Jonathan war nicht da.

Und irgendwie war er froh darüber. Auch wenn ein kleines Stechen in seiner Brust auf diesen Gedanken folgte.
 

Erst jetzt blickte er auf sein Handy und sein Herz machte direkt einen kleinen Sprung. Er hatte eine SMS bekommen! Mit einem schneller werdenden Klopfen in seiner Brust drückte er auf „Öffnen“.

Und seufzte.

Es war lediglich eine Nachricht von Stella.
 

„Hey Süßer! Was ist los? Nick sagte du wärst heute gar nicht da gewesen? WO BIST DU???“

Schnell tippte er zurück, sagte ihr, dass er krank im Bett läge. Und kaum hatte er es geschafft die eingekauften Kleinigkeiten auszupacken und das Wasser für einen Erkältungstee aufzusetzen, klingelte auch schon sein Handy.

Stella.

„Hallo, meine Hübsche!“, grüßte er sie, als er das Gespräch annahm.
 

„Heyyyyyy!“, schrie sie fast. „Geht’s dir gut? Liegst du brav im Bett und bewegst dich keinen Millimeter?“
 

„Ähm, ja“, antwortete er und betrachtete den arbeitenden Wasserkocher.

Kurz war sie still.
 

„Du lügst!“, sagte sie dann bestimmend.
 

„Ach!“, seufzte er. „Mein Gott, ich war eben kurz in der Apotheke, halb so schlimm.“
 

„Du hörst dich aber nicht halb so schlimm an, sondern furchtbar!“, meckerte sie.

Bevor er etwas antworten konnte, redete sie bereits weiter. „Ist Jonathan denn nicht da? Hätte er nicht eben zur Apotheke gehen können?“
 

„Der hatte ein Vorstellungsgespräch“, erklärte der Dunkeläugige ihr und goss seinen Tee auf.
 

„Aha“, sagte sie einfach nur. „Und wo?“
 

„Was weiß ich, keine Ahnung. Er hat’s mir nicht gesagt.“
 

„Hm. Vielleicht wird er ja Stripper oder geht auf’n Strich und sagt es dir deshalb nicht“, bemerkte sie frech.
 

„Stella!“
 

„Schon gut, sorry“, seufzte sie. „Kommst du zurecht? Soll ich vorbeikommen?“
 

„Nein, ist schon OK. Jetzt ist ja alles da“, antwortete er ruhig.

Er hörte sie erneut seufzen.
 

„Ich ruf heute Abend noch mal an. Und du – ab ins Bett, verstanden?“, sagte sie.

„Jupp.“

„Gut, bis dann.“

„Bis dann.“

Klick.

Das Gespräch war beendet.
 

Der Tee und die Schmerztabletten linderten sein Leiden etwas und irgendwann gelang es ihm auch einzuschlafen. Durch das Zuschlagen der Tür wurde er geweckt. Jemand stellte den Fernseher ein.
 

Wieder machte sein Herz einen kleinen Sprung.

Jonathan war zu Hause!
 

Kurz drehte er sich um und blickte auf die digitale Anzeige seines Weckers auf dem Nachttisch. 18:00 Uhr. Sein Freund war ganze sechs Stunden außer Haus gewesen. Ob er ihm wohl erzählen würde, wo er war?
 

Plötzlich vernahm Viktor Stimmen aus dem Wohnzimmer. Eine weitere Person befand sich in der Wohnung! Gebannt hielt er die Luft an und horchte, versuchte die Stimme einem Bekannten zuzuordnen. Vergeblich. Es war jemand da, den er nicht kannte.

Irgendwie wurde ihm mulmig bei dieser Erkenntnis.
 

Er war sich nicht sicher, ob er versuchen sollte weiter zu schlafen, oder ob er aufstehen sollte, nachsehen sollte, einfach mal „Hallo“ sagen sollte. Unschlüssig blieb er liegen.

Irgendwann drang lautes Lachen aus dem Wohnzimmer, welches sich nur einige Schritte den Flur herunter befand. Es war gleich die nächste Tür, durch welche man in das Zimmer gelangte. Die Wände waren nicht gerade dick, man konnte fast alles hören.
 

Viktor musste sich eingestehen, dass er sich nicht traute nachzusehen. Irgendwie tat es ihm weh, dass Jonathan so oft etwas mit anderen unternahm, seinen Freund dafür links liegen ließ.

Und er hatte Angst.

Er kannte viele der neuen Bekannten Jonathans nur flüchtig. Was wenn…

Nein! Daran wollte er gar nicht erst denken!

Und jetzt würde er einfach hier liegen bleiben und weiterschlafen.
 

Doch er schaffte es nicht.

Die Wasserflasche neben dem Bett war leer, sein Hals trocken. Er brauchte einen neuen Tee, eine weitere Paracetamol. Irgendwie würde er an dem Wohnzimmer unbemerkt vorbei schleichen.
 

Als er in seinen schwarzen Jogginganzug und ein passenden schwarzes Shirt schlüpfte, betete er bereits innerlich, dass die Tür des Wohnzimmers verschlossen wäre.

Sie war es nicht.

Kurz vor ihr blieb er stehen, nur einige Gesprächsfetzen drangen zu ihm.
 

„Wirst du’s ihm denn sagen? Irgendwann?“, fragte der Unbekannte.
 

„Hmmm…“, sinnierte Jonathan. „Vielleicht. Eigentlich reden wir ja nicht viel miteinander. In letzter Zeit.“
 

„Ich weiß!“, lachte der Unbekannte laut und Viktor hörte Glas zusammen stoßen.

Er trank schon wieder…
 

„Isser denn jetzt da?“, fragte der Unbekannte.
 

„Ja, der ist krank, pennt im Schlafzimmer. Echt ne Nummer, kam hier gestern wohl völlig durchnässt an, kein Wunder…“, brabbelte Jonathan.

Beide lachten.
 

„Und ich glaube ich hab ihn gestern ziemlich hart durchgenommen…“, fügte er dem hinzu und beide Männer lachten dreckig.

Das war zu viel. Instinktiv nahm Viktor leise einige Schritte zurück, schloss lautlos die Tür zum Schlafzimmer.
 

Sein Herz pochte laut.

Was sollte das?

Wieso redete Jonathan so herablassend über ihn?

Wer war dieser Kerl?
 

Er merkte gar nicht, wie er einige Klamotten in seine kleine Sporttasche stopfte und seinen Jogginganzug und sein Shirt gegen Jeans und Pullover tauschte. Er dachte eigentlich gar nicht nach, wusste nur, dass er hier raus musste. Egal wie scheiße es ihm momentan eigentlich ging.

Stella würde das schon verstehen…
 

Auf den Zehenspitzen schlich er zur Haustür.

Sein Freund und dieser… Scheißkerl da lachten immer noch, unterhielten sich, zogen sich irgendein sinnloses Programm rein. Lautlos huschte er aus der Wohnung und schloss die Tür ebenfalls geräuschlos hinter sich.
 

„Was machst DU denn hier???“, schrie Stella ihn fast an, als er wankend vor ihrer Tür, mit der kleinen Tasche in seiner Hand stand und sie mit seinem Hundeblick anschaute.

„Rein mit dir, aber sofort!“, befahl sie und zog ihren Freund in ihre helle, freundliche 2-Zimmer Wohnung hinein, drückte ihn schon fast auf das Gästesofa, welches sie sich letztes Jahr angeschafft hatte und kramte sofort nach einer Decke.
 

„K-Kann ich erstmal hier bleiben, Stella? Störe ich dich nicht?“, fragte er sie schwach.
 

„Natürlich bleibst du hier, du Honk!“, fuhr sie ihn an und schmiss ihm die dicke Decke zu. Dann setzte sie sich zu ihm, gab ihm noch ein Kissen, welches er dankend entgegen nahm.

„Was hat er getan…?“, flüsterte sie, Viktor anstarrend.
 

Es wäre sinnlos gewesen ihr nicht zu antworten. Und so erzählte er ihr von dem ganzen Tag und von dem kleinen Gespräch, welches er zufällig mitbekommen hatte.

„So ein Arschloch…“, knurrte Stella und erhob sich, setzte Wasser auf in der kleinen Kochnische direkt links neben der Tür zum Hauptzimmer, welches ihr Wohn- Ess- und Gästezimmer gleichzeitig war.
 

„So ein Arschloch…“, wiederholte sie, als sie den Tee aufgoss.
 

Nach einer Stunde in der sie still vor dem Fernseher saßen und sich eine Disney-DVD anschauten, Stellas Hand auf Viktors Schulter, klingelte sein Telefon.

Die Blonde erhob sich und griff nach dem Mobiltelefon. Sie starrte auf das Display.

„Was? Wer ist es?“, nörgelte Viktor vom Sofa aus und streckte seine Hand nach dem Gerät aus.
 

„Es ist Jonathan“, antwortete Stella ihm kalt und schaute ihn an.

Vier

Konnte sein dummes Herz denn nicht einmal normal reagieren, wenn es um Jonathan ging? Warum freute er sich überhaupt, dass sein Freund, der noch vor einigen Stunden so herablassend über ihn in Gegenwart eines Fremdes sprach, jetzt anrief?

Er wusste, dass es klüger gewesen wäre, nicht ranzugehen. Ausnahmsweise nicht erreichbar für den Schwarzhaarigen zu sein, der anscheinend dachte, er könnte alles mit ihm anstellen.

Wobei er sich langsam wirklich fragte, ob sein Freund da vielleicht gar nicht so falsch lag…
 

Und dennoch streckte er die Hand weiter nach dem Gerät aus und bedeutete Stella, es ihm umgehend auszuhändigen. Sie verdrehte die Augen, doch gab ebenfalls nach und drückte ihm das alte Mobiltelefon in die Hand.

Er schaffte es zeitig abzunehmen.
 

„Ja?“, krächzte er in das Handy und räusperte sich sofort.

„Viktor?“, fragte Jonathan.

„Ja, ja, ich bin’s, sorry.“

„Ah, gut! Wo bist du?“, fragte er weiter.

„Bei Stella.“
 

Eine kurze Pause entstand.

„Bei STELLA? Was machst du denn ganz dahinten?!“, brüllte er dann schon fast ins Telefon.
 

„Ähm…“, stotterte Viktor, sein Herz immer noch wie wild in seiner Brust pochend. „Abhängen…?“
 

„Abhängen“, wiederholte Jonathan ungläubig das Wort seines Freundes.
 

„Mhm“, brachte dieser nur raus. Stella hob ihre rechte Augenbraue und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
 

Er versuchte sie nicht anzublicken.

„Ach, so ne Scheiße…“, seufzte der junge Mann am anderen Ende der Leitung.
 

„Hm?“, hakte Viktor direkt nach.
 

„Ne, ich dachte du wärst grad hier unterwegs zur Apotheke und könntest Raphael und mir nen Döner mitbringen“, erklärte er lachend.

Döner?!

„Aber das hat sich hiermit wohl erledigt“, lachte er weiter.
 

Viktor schwieg. Konnte es nicht fassen.

Würde Jonathan noch etwas sagen?
 

„Naja, euch zwei Turteltäubchen dann noch nen schönen Abend!“

Klick.
 

Ungläubig starrte er das dunkle Display an.

„WAS?!“, rief er sitzend aus.

Stelle ließ sich seufzend aufs Sofa nieder, lehnte sich zurück und legte ihren Kopf schief.

„Arschloch?“, fragte sie dann.
 

Viktor sah sie an und antwortete: „Und wie…! Der wollte, dass ich ihm in meinem Zustand nen Döner mitbring’! Und seinem scheiß Freund auch!“
 

Vor Wut warf er das Handy auf den Boden. Dank des dicken Teppichs prallte es einfach nur dumpf auf und blieb einige Meter vom Sofa entfernt liegen. Er presste seine Finger gegen seine Schläfen, biss sich auf die Lippe. Stella legte vorsichtig den Arm um seine Schultern.
 

„Nicht aufregen wegen eines solchen Idioten… Das ist er nicht wert, Vik“, sprach sie leise auf ihn ein. Sanft streichelte sie ihn, während er die Augen zusammenpresste und sich nun auf die Zunge biss, um nicht laut los zu schreien.
 

„Ich brauch ein Taschentuch…“, sagte er nach einer langen Weile und seine Freundin brachte es ihm direkt.
 

„Danke“, sagte er und putzte sich die Nase, während Stelle sich wieder auf das Sofa setzte.
 

„Ganz ehrlich…“, fing sie an. „Ich glaube nicht, dass er dich noch liebt.“

Diese Worte taten weh.

Doch er unterbrach sie nicht.

„Schau doch…“, fuhr sie fort. „Er behandelt dich wie seinen Sklaven, ignoriert dich komplett, geht die ganze Zeit mit anderen Leuten weg. Der ganze scheiß Haushalt fällt auf dich, er denkt doch immer nur an sich!“
 

Diese Worte schmerzten. Doch er sagte nichts.
 

„Dann redet er wer weiß was hinter deinem Rücken, kümmert sich nicht um dich wenn es dir schlecht geht, vergewaltigt dich und NEIN, du kannst das nicht anders nennen, wenn er dich zum Sex gegen deinen Willen zwingt!“, drohte sie mit erhobenen Finger und ließ Viktor auch hier nicht zu Wort kommen. „Und weißt du was? Du hast absolut Recht mit deinen Befürchtungen. Wer weiß, ob dieser egoistische Bastard dir treu ist? Wer ist denn zum Beispiel dieser Raphael, und was verheimlicht er dir? Was weiß dieser Fremde in deiner Wohnung, dass du nicht weißt?“
 

Sie hatte Recht, das wusste er.
 

Stella hatte gerade all seine Befürchtungen ausgesprochen, vieles auf den Punkt gefasst.

„Ich hab dir schon damals gesagt, dass das den Bach runter geht. Unfassbar, dass du nicht sofort Schluss gemacht hast, als er dich angefangen hat zu schlagen…“, sie erhob sich und ging auf die kleine Kochnische zu. „Ich mach uns jetzt erstmal was zu essen und du lehn dich zurück und ruh dich aus.“, fügte sie sanft hinzu und machte sich daran buntes Gemüse kleinzuschneiden, welches sie ihrem Minikühlschrank entnommen hatte.
 

Viktor schloss die Augen.

Wann hatte das eigentlich noch angefangen?

Das müsste vor gut 1,5 Jahren gewesen sein, oder?
 


 


 

Eigentlich hatte es in einem völlig anderen Rahmen begonnen. Im Bett. Man konnte schließlich nicht immer nur Blümchensex haben. Was das betraf, waren sie sich beide einig.

Sie hatten sich einen schönen Abend gemacht. Pizza gebacken, mit frischen Zutaten, dazu gleich drei Flaschen Chardonnay getrunken. Eine sauleckere Mischung war das…
 

Von dem ausgeliehenen Film bekamen sie beide eigentlich nicht sehr viel mit. Viel zu beschäftigt waren sie mit ihren Küssen, den wandernden Händen, die den Körper des jeweils anderen erkundeten, den Partner auszogen.
 

Der hohe Alkoholgehalt in ihrem Blut brachte beide bei diesem Liebesspiel in Ekstase, die ganze Sache geriet etwas außer Kontrolle. Viktor erinnerte sich an ihn fest zupackende Hände, an die das Fleisch blutig kratzende Finger, an das scheuernde Seil um seine Handgelenke, welches ihn ans Bett fesselte. An Jonathans Zähne die überall ihre Markierungen hinterließen.
 

Und an die ins Gesicht klatschende Hand seines Freundes, als er nicht schnell genug auf die Befehle des Schwarzhaarigen reagierte.

Und er genoss es.
 

Ja, diese unregelmäßige Brutalität und Gewalt Jonathans im Bett törnte ihn an. Sie beide.

Es war kein SM, so würden sie es nicht beschreiben. Nur eben etwas härter, eine leichte Mischung aus Sex und Gewalt, die keine allzu großen Grenzüberschreitungen zugewiesen werden konnte.
 

Bis Jonathan die Hand außerhalb des Schlafzimmers ausrutschte.

Zum Beispiel, als Viktor ihn aus der Disko holte, weil der Schwarzhaarige zu betrunken war und Ärger anzog, die anderen Gäste anfing zu provozieren. Als sie zu Hause waren, knallte es. Oder als Viktor aus Versehen einen Suppenteller fallen ließ und die rote Flüssigkeit die neuen Jeans Jonathans einsaute. Der Größere flippte aus und schlug zu.

Oh, und einmal war er vollkommen durchgedreht. Vor etwa einem Jahr.

Viktor erinnerte sich.
 

Jonathan hatte ihn gebeten seinen Anzug aus der Wäscherei zu holen. Aufgrund eines verschobenen Examens und des Staus, welcher sich durch das Unwetter gebildet hatte, passierte, was Viktor bereits befürchtet hatte. Er stand vor verschlossenen Türen.

Er traf auf Jonathan in der Küche, der den beiden ein Abendessen zubereitet hatte. Spaghetti Bolognese, im wunderschönen Porzellan von Viktors Großtante angerichtet. Seine Mutter hatte es ihm zunächst gar nicht geben wollen, aber Tante Hilde hatte es schließlich so gewollt… Warum auch immer.
 

„Wie bitte?“, fuhr Jonathan ihn an, als Viktor ihm von dem verpatzten Vorhaben berichtete.

„Viktor! Ich brauche den scheiß Anzug für morgen früh! Ich hab gleich um 8.30 Uhr ein Bewerbungsgespräch, das ist der einzige Anzug den ich habe!“, schrie er, sich von dem Tisch erhebend.
 

Er wirkte so furchterregend, das der Hellhaarige automatisch einige Schritte zurückwich und sich fast mit dem Rücken an die Wand presste.
 

„Es tut mir Leid…“, sagte er aufrichtig. „Ich, ich fahr gleich morgen früh hin und hole ihn dir.“
 

„Bullshit! Die verfickte Wäscherei macht erst um 8.30 auf, du Idiot!“, schrie er immer lauter.

„Du hast mir das scheiß Gespräch versaut! Was soll ich denn jetzt anziehen, kannst du mir das verraten, hm?!“, hallte seine aufgebrachte Stimme durch die Küche.
 

„Ich… Ich…“, stotterte Viktor vor sich hin. „Ich kann dir doch meinen Anzug leihen!“

„Dein Anzug ist mir zu klein, geht das nicht in dein Hirn rein? Ich dachte du bist der Studierte von uns beiden!“, fuhr er ihn an.

Und da flog auch schon der erste gefüllte Teller auf ihn zu. Gerade noch konnte er ausweichen und das Porzellan zersprang mit einem Krachen an der Wand, die rote Sauce der Nudeln langsam hinab laufend.
 

Kaum hatte er sich Jonathan wieder zugedreht, warf er bereits den zweiten Teller nach ihm, der ebenfalls an der Wand zerbarst.
 

„Jonathan, hör auf!“, schrie Viktor panisch, da kam sein Freund bereits auf ihn zu und schlug mit der Faust in sein Gesicht. Der Kleinere ging zu Boden und Jonathan verließ stampfend und fluchend die Küche.
 

Jeder, wirklich jeder den er kannte sprach ihn auf das blaue Auge an. Mit Jonathan, der sich am nächsten Tag tausendfach entschuldigte, mit roten Rosen und allem was dazugehörte, hatten sie sich auf eine offizielle Geschichte geeinigt.

„Wir waren in der Disco und irgend so ein Schwulenhasser ging auf mich los, als ich mit meinem Freund getanzt hab…“, klang sein auswendig gelernter Satz.

Nur Stella erzählte er die Wahrheit.

Der Frau in seinem Leben, der er sowieso nichts vorenthalten konnte.
 


 


 

„Essen ist fertig!“, riss ihre engelhafte Stimme ihn aus seinen finsteren Gedanken.

Die blauäugige blonde Frau zog den kleinen Wohnzimmertisch ans Sofa und gesellte sich zu ihrem besten Freund.

Gierig schlangen die beiden die Vollkornnudeln in der Gemüsesauce herunter. Stella war ein Fan gesunden Essens. Und sie kochte unheimlich gern. Deswegen liebte Viktor es auch, zu Besuch bei ihr zu sein. Er konnte sich jedes Mal sicher sein, gut „gefüttert“ zu werden.
 

Und die kommenden vier Tage stellte Stella persönlich sicher, dass ihr Dauergast wohl genährt war, sodass er am Abend des vierten Tages auch schon wieder kerngesund war.

Während der ganzen Zeit hatte Jonathan nicht angerufen. Er hatte nicht vorbeigeschaut oder sich indirekt nach dem Zustand oder dem Verbleib seines Partners erkundigt.
 

Immer wieder hatte Stella Viktor davon abhalten müssen, seinen sich abweisend verhaltenden Freund zu kontaktieren. Immer wieder riss sie ihm förmlich das Handy aus der Hand oder fuhr ihn an, als er es unentwegt anstarrte.

So wie jetzt zum Beispiel.
 

Der Braunäugige hockte auf dem Sofa, der Blick ausdruckslos. Seine Tasche hatte er bereits gepackt.

Und doch war er irgendwie nicht gewillt nach Hause zu gehen.

Zu groß war die Enttäuschung.

Zu groß die Angst.
 

„Bleib doch noch eine Nacht“, schlug Stella lächelnd vor.
 

„Darf ich denn?“, fragte er, den Kopf schief legend.
 

„Würde ich sonst fragen?“, grinste sie. Und machte noch einen Vorschlag.

„Weißt du was, schlag ihn doch mit seinen eigenen Waffen.“
 

„Hm? Wie meinst du das?“, fragte der Braunhaarige sie.
 

„Lass uns heute ausgehen! Er hat doch dieses Lieblingsclub, oder?“, redete sie aufgeregt.

„Ja, das Blue, so heißt der Club. Das ist aber ne Schwulendisco, das ist dir schon klar, oder?“, grinste Viktor.
 

„Ach, dann bin ich heute Abend eben eine Lesbe! Diana kommt sicherlich mit!“, rief die Blauäugige enthusiastisch aus und suchte bereits in ihrem Kontaktbuch des Handys nach der Nummer ihrer engen Freundin.
 

„Und dann suchst du dir nen richtig leckeren Kerl und tanzt die ganze Nacht mit ihm! Und morgen, wenn du nach Hause gehst, wirst du Jonathan davon erzählen, egal ob er’s hören will oder nicht!“, grinste sie.
 

„Oh Mann, ey…“, lachte Viktor und malte sich diese Szene in seinem Kopf aus. Ein unbehagliches und dennoch gleichzeitig reizendes Gefühl beschlich ihn.
 

„Das ziehen wir durch!“, bestimmte seine Freundin und blickte ihm in die Augen. „Gönn dir auch mal was, er geht doch auch ständig auf Party. Ohne dich! Und das, mein Lieber, machst du jetzt auch!“
 

Vorglühen. Das war der erste Punkt von Stellas Tagesordnung. Batida di Coco mit Kirschsaft. Und Singstar. Alle drei waren furchtbar.

Diana und Viktor kannten sich durch die gemeinsame Freundin auch bereits seit Jahren. Bevor er mit Jonathan zusammen gekommen war, hatten sie öfter etwas zu dritt unternommen. Dieser Abend erinnerte ihn an die alten Zeiten. Er fühlte sich wohl.

Er hatte sogar Spaß, so sehr, dass er nur ein Mal auf sein Handy starrte. Was Stella mit einem Augenrollen quittierte.

Auch Diana sagte, nachdem ihr die Geschichte und der Sinn dieses Abends kurz erläutert wurden, dieselben Sachen, wie ihre Freundin Stella:

„Mann, Jonathan ist voll das Arschloch, ich versteh gar nicht, was du eigentlich von ihm willst!“
 

„Only when I stop to think about it…“
 

Ja, was das war, das konnte er im Moment auch nicht so genau bestimmten. Er wusste nur, dass er noch einen weiteren Drink wollte, bevor sie loszogen.

Angetrunken, fröhlich, eingehakt und schwankend schafften sie es tatsächlich ohne größeren Zwischenfall an der besagten Diskothek einzutreffen.

Bereits die Türsteher des Lokals sahen umwerfend aus, lächelten charmant, und ließen für besondere Gäste sogar die Jacke fallen und ihre Muskeln spielen. Die bunten Lichter der Diskomeile hatten Viktor ganz kirre gemacht, in einem positiven Sinn. Er grinste ununterbrochen, auch als sie den Laden bereits betreten, ihre Jacken abgegeben hatten und direkt die Bar ansteuerten.
 

Theoretisch bestand der gesamte Laden aus einer riesigen Tanzfläche und insgesamt drei unterschiedlich gestalteten Tresen. Sie hatten sich wohl den Hawaitresen ausgesucht. Saftige Palmenblätter zierten die Säulen, Fischnetze mit künstlichen, exotischen Tierchen waren auf gehangen worden, überall waren Blumenketten zu sehen. Die Wand dahinter bestand zum Teil aus Glas, zum Teil aus einem Gemälde, das einen langen, einladenden Strand mit einem hellblauen Meer darstellte.
 

„Urlauuuub!“, grölte Stella gegen den Schwall der Musik.

Mit einem exotischen Cocktail in der Hand stießen sie auf den anstehenden Abend an. Sie redeten total durcheinander, betrachteten die vielen, unterschiedlichen Gestalten. Manche halbnackt, andere semi-elegant, andere völlig auf dem Alternative-Trip, andere totale Emos. Jede Sparte schien vertreten zu sein.
 

Immer mehr Alkohol floss und irgendwann, als sie ihren x-ten Drink leerten, schnappte sich Stella Viktor und Diana und zog die beiden vor Freunde kreischend auf die rappelvolle Tanzfläche. Ohne darüber nachzudenken fingen sie an zu tanzen, passten sich an die schwitzigen, sich bereits bewegenden Körper um sie herum an. Stella lachte laut und beugte sich zu Viktor vor.
 

„Gerade HIER läuft WOMANISER von der Britney! Wie PASSEND, HAHA!“, schrie sie in sein Ohr.
 

Lachend tanzten sie weiter.

Stella fing an ihre Freundin anzutanzen – und sie spielten das lesbische Pärchen wirklich authentisch, das musste ihnen der Hellhaarige wirklich lassen. Seine Stimmung wurde immer besser und plötzlich merkte er, wie er gleich von zwei Seiten angetanzt wurde.

Auf der rechten von einem etwas dunkleren Kerl, mit schwarzen kurzen Haaren, einem leichten Dreitagebart, einer wohlgeformten, nackten Brust in dunkelgrünen Cargohosen.

Lecker.
 

Auf der linken was es ein blonder Kerl, die langen Haare zum Zopf gebunden, ein weißes Muskelshirt tragend, dazu eine passende schwarze, hautenge Jeans.

Heiß.
 

Ungeniert fing er an mit den beiden zu tanzen.

Ungeniert pressten sie die Körper aneinander und ließen sich von den Beats führen.

Irgendwann fühlte er die Hände des dunkleren Kerls, der hinter seinem Rücken tanzt, sich um seine Hüften legend, während der Blonde, der direkt vor ihm tanzte, seine Hände auf seinen Schultern platzierte.
 

Die drei grinsten und bewegten sich weiter.

Tanzten zu den folgenden Liedern.

Drehten sich umeinander.

Und die ganze Zeit dachte Viktor nur eins: „Leck mich doch, Jonathan! Leck mich, du Arschloch!“

Bis er plötzlich an der Schulter angetippt wurde und in die kalten Augen seines Freundes blickte.
 

Er hörte noch Diana hysterisch „Scheiiiiißeeee“ kichern…

Fünf

Die grünen Augen betrachteten ihn durchdringend, nahmen die beiden sich nun entfernenden Tanzpartner ins Visier und bewegten sich dann wieder zurück, um in die seinigen zu blicken, ihn mit seinem kalten und souveränen Blick zu durchbohren. Jonathan fing an hämisch zu grinsen, trat einen Schritt auf Viktor zu, beugte sich zu ihm herunter und rief ihm ins Ohr: „So so! Krank also!“, seine Stimme gerade so gegen die Musik ankommend.
 

Der Hellhaarige wusste auch nicht so genau was es war, das ihn in diesem Moment beeinflusste. War es der Alkohol, von dem er große Mengen an diesem Abend konsumiert hatte? War es die gute Stimmung, ausgelöst durch die vielen angenehmen Partyerinnerungen mit Stella und Diana, die am heutigen Abend entfacht und wiederbelebt worden waren? War es seine Wut, die sich kontinuierlich aufgestaut hatte und ihm diese unbeschreibliche Kraft, diesen Mut verlieh?
 

Vielleicht war es einfach die Mischung aus all dem. Die Mischung aus Freude, Verzweiflung, Alkohol, Adrenalin und unbeschreiblicher Aggressivität, die er die ganze Zeit über unterdrückt hatte. Er packte seinen etwas größeren Partner an dessen schwarzer Weste, die er über seinem weißen T-Shirt trug, und zog ihn noch ein wenig näher zu sich, sodass er direkt in dessen Ohr schreien konnte.
 

„Du bist ein beschissenes Arschloch! Woher willst du wissen, dass ich noch krank bin? Du hast dich vier verfickte Tage lang überhaupt NICHT bei mir gemeldet. Ich geh dir so am Arsch vorbei, woher willst du wissen wie’s mir geht? Was geht dich das überhaupt plötzlich an?!“, spie er ihn gehässig und auf voller Lautstärke an.
 

Stella hielt ihn bereits an seinem linken Arm fest, völlig verdattert und aus dem Mix der Verblüffung und Angst leicht kichernd. Sie hielt sich deswegen die Hand vor den eignen Mund. Diese Verblüffung hatte auch Jonathan ergriffen. Minimal. Er schlug die Hände seines Freundes gekonnt weg und nahm einen kleinen Schritt rückwärts.
 

„Alter, du bist voll dicht“, sagte er dann, Viktor irritiert in die Augen blickend. „Wir klären das MORGEN, wenn du deinen Rausch ausgeschlafen hast. Klar?“

Schon wollte er sich umdrehen und die Tanzfläche verlassen, da packte ihn der Hellhaarige erneut und wirbelte ihn herum. Jonathan hatte durch die Überraschung dieses Zuges keine Zeit zu reagieren.
 

„Nein, du Hurensohn!“, schrie Jonathan ihn an. „Wir klären das genau JETZT!“

Die grünen Augen weiteten sich erzürnt und schockiert zugleich.
 

„Hey, hey!“, mischte Stella sich nun ein, als sie sich nach wenigen Sekunden gefasst hatte, und versuchte Viktors Hand von dem Stoff Jonathans Kleidung weg zu ziehen. Doch diesmal schlug Jonathan ihre Hand leicht weg und zischte, den Finger auf sie zeigend: „Misch dich nicht ein, du Zicke!“
 

In dem Moment schubste Viktor ihn mit beiden Händen. Der Grünäugige taumelte zwei Schritte zurück. „Schrei Stella nicht an!“, schnauzte der Braunäugige Jonathan umgehend an.
 

Zwei unheimlich große und düster dreinblickende Gestalten, die Stella erst aus der Nähe als einige der Türsteher erkannte, drängelten sich durch die Massen an tanzenden Leuten und blieben genau vor den beiden streitenden Männern stehen.
 

„Wenn ihr Stress schieben wollt, dann macht das draußen!“, von dem charmanten Lächeln von vorhin war auf dem Gesicht des Mannes nun nichts mehr zu erkennen.
 

„Wir wollten gerade gehen“, antwortete Jonathan mit einer mindestens genauso finsteren Miene und griff nach Viktors Arm, zog ihn in Richtung Ausgang hinter sich her.
 

„Hey, wartet!“, rief Stella panisch.
 

Sofort blieb Jonathan stehen und blickte zurück, sodass sein hellhaariger Freund gegen seine Seite rannte, doch der Größere schenkte dem keine weitere Beachtung.
 

„Hol einfach seine Jacke, OK?!“, zischte er die Frau an und war schon wieder dabei, seinen betrunkenen Freund hinter sich her zu ziehen.
 

„Ich hab gesagt du s-sollst s-sie nicht anmachen!“, schrie Viktor ihn erneut an, worauf der Schwarzhaarige ein weiteres Mal stehen blieb, seinen Partner an sich heranzog und ebenfalls laut antwortete: „Halt jetzt einfach die Klappe, OK? Warte wenigstens bis wir draußen sind!“
 

Viktor murmelte irgendwelche nicht verständliche und doch in ihrer Art brutal klingende Worte vor sich hin, während sein Freund ihn in die dunkle und laute Nacht hinauszog. Sie entfernten sich ein paar Meter von dem Tanzlokal und nur einige Minuten später rannten ihnen bereits Stella und Diana hinterher, holten sie ein.
 

„Mischt euch ja nicht ein!“, zischte Jonathan, dessen Hand noch immer Viktors arm kraftvoll umfasste.
 

„Ich sagte…“, setzte Viktor laut ein, doch sein Freund schnitt ihm noch lauter das Wort ab.

„Halt’s Maul, ich hab’s kapiert!“
 

„Schnauz mich ge-gefälligst nicht immer so an, du Idiot!“, meckerte der Hellhaarige und riss sich aus Jonathans Griff los. Doch der Alkohol war ihm bereits zu sehr zu Kopf geschossen, alles drehte sich, er schwankte, stolperte und fiel beinahe gegen die Wand des Pubs, an dem sie stehengelieben waren.
 

Sofort packte Jonathan ihn erneut an seinem Arm und zog ihn dicht an sich heran, sodass Viktor die Brust des Schwarzhaarigen an der seinigen spürte, den unruhigen Atem Jonathans an seinen Wangen vernehmend.
 

„Jonathan!“, drang plötzlich die aufgebrachte Stimme Stellas wieder zu ihm.
 

„Misch dich nicht ein, verdammt noch mal!“, schrie sein Freund sie erneut an und schaute sich links und rechts auf der Straße um, zog Viktor wieder hinter sich her.
 

„Was… Wo…. Was machst du?!“, brachte der Hellhaarige schließlich raus, als Jonathan ihn harsch auf ein haltenden Auto zuzog.
 

„Wo wollt ihr hin, hey!“, schrie Diana nun, doch da drückte Jonathan ihn bereits auf den hinteren Sitz des Autos.

Die Türen schlugen zu.

Er hörte Jonathan ihre Adresse aufsagen.

Schon hetzte der Wagen los, ordnete sich in den fließenden Verkehr der dunklen Nacht ein.
 

Erst jetzt realisierte er, dass Jonathan ihn in ein Taxi gezogen hatte und dass sie die Partymeile bereits verlassen hatten. Ohne Stella. Ohne Diana.
 

„Hey!“, rief er aus, als Jonathan ihn mit Gewalt anschnallte.
 

„Jetzt bist du erstmal ruhig, kapiert?!“, fauchte er den Hellhaarigen an, seine Augen in den vorbeiziehende Lichtern der Stadt funkelnd.
 

„SCHREI MICH NICHT AN!“, brüllte Viktor zurück. Umgehend griff der Schwarzhaarige nach dem Stoff seiner Jacke, die ihm irgendwer anscheinend erfolgreich angezogen hatte, und zischte: „Reiß dich zusammen, Arschloch!“, schubste ihn gegen die Lehne des Sitzes.

Eine längere Weile starrte Viktor ihn einfach nur an. Dann flüsterte er giftig: „Du bist das Arschloch, Jonathan. Ich hasse dich.“

Und der Angesprochene grinste, ruhig aus dem Fenster schauend.
 

„Only when I Stop to think about it…

I hate everything about you…

Why do I love you…?”
 

Die Lichter verschwanden, irgendwelche Türen knallten, das Erklimmen der Treppenstufen ähnelte eher dem Gefühl in einem abhebenden Flugzeug zu sitzen und urplötzlich, ohne tatsächlich mitbekommen zu haben wie genau, stand Viktor im eigenen Wohnzimmer.

Jonathan schmiss gerade ihre Jacken achtlos über die Sofalehne, an der der Hellhaarige sich anlehnte, um nicht zur Seite zu kippen. Alles im seinen Kopf schien durcheinander, sinnlos aneinander gereihte Bilder wirbelten umher und ergaben weder Sinn noch irgendwelche Hinweise auf den Verlauf der Dinge.
 

„Was?!“, fauchte er nun seinen Freund an, der ihn einfach nur angrinste.
 

„Du bist besoffen“, erklärte der Schwarzhaarige immer noch grinsend, ohne den Blick von Viktor zu nehmen, der leicht hin und her schwankte.
 

„Ach…“, schnaubte der Angesprochene und fing dann auch an zu grinsen. „Du musst das ja am-am besten, be-beurteilen können… Du… Alkoholiker…“

Jonathan zog die Augenbrauen leicht hoch.
 

„Wie bitte?“, fragte er ruhig, einen Schritt auf seinen Partner zugehend. Dieser gluckste kurz.
 

„Ich sagte…“, fing er an, ebenfalls einen Schritt auf sein Gegenüber zugehend und dabei fast stolpernd. „Du bist… ein verfickter Alkoholiker, du… Arschloch.“
 

Jonathans Faust traf ihn wie in Zeitlupe, doch durch den hohen Alkoholgehalt in seinem Blut besaß er nicht das Vermögen rechtzeitig darauf zu reagieren. Der Schmerz aber der wurde durch seinen betrunkenen Zustand gedämpft. Er spürte lediglich ein leichtes Ziehen in seiner rechten Gesichtshälfte und nur ein kleines Stechen an seinem Rücken, als er durch den verpassten Hieb sein Gleichgewicht endgültig verlor und nach hinten kippte.
 

Jonathan sah mit einer finsteren Miene zu ihm herunter, hielt ihm dennoch die Hand helfend entgegen.

„Komm schon hoch, du Idiot.“, sagte er kühl.
 

Fast blind griff Viktor nach der ihm angebotenen Hand, fast blind ließ er sich hoch ziehen, fast blind holte er mit seiner eigenen, zur Faust gebildeten Hand aus und traf Jonathans Backe sowie Nase dennoch zielsicher.
 

Zum ersten Mal lernte der Schwarzhaarige junge Mann die Kraft seines Freundes kennen, die Faust traf ihn schmerzvoll, mit einer unerwarteten Wucht die ihn nach hintern stolpern ließ. Nein, seine Nase war nicht gebrochen. Blut floss dennoch, er sah die rote Flüssigkeit an seinen Fingern kleben, als er instinktiv nach der pochenden Stelle griff.
 

Als er seinen Blick erhob und Viktor ins Visier nehmen wollte, war es diesem bereits irgendwie gelungen zu ihm vorzudringen. Er hatte sich direkt vor dem Schwarzhaarigen aufgebaut und holte bereits zum zweiten Schlag aus, der auch dieses Mal mit Präzision durchgeführt wurde, trotz des Alkohols in seiner Blutbahn.

Er traf sein rechtes Auge mit voller Kraft.

Es war, als hätte Viktor die Verbindung zwischen Gehirn und Körper ausgeschaltet, als hätte er ein essentielles Kabel durchtrennt. Erst als Jonathan auf dem Boden lag, die Hände sich vors Gesicht haltend, realisierte der Dunkeläugige was er eigentlich getan hatte.
 

Die Luft anhaltend blieb er wie versteinert stehen. Erst jetzt fühlte er sein wild pochendes Herz in der eigenen Brust, das Adrenalin das durch seine Venen geschossen war, die Hitze die immer noch durch seinen Körper strömte. Erst jetzt erfasste er, dass er soeben seinen Partner brutal geschlagen hatte.
 

Er schnappte nach Luft, füllte seine Lungen mit Kälte.

Er wollte etwas sagen, Jonathan fragen, ob alles in Ordnung war. Ein Gefühl, welches er wohl als Schuld beschreiben hätte können fing an sich zu bilden, sich anzuschleichen, ihn zu ergreifen.
 

Der Schwarzhaarige erhob sich langsam, seine Hand immer noch die getroffene Stelle leicht massierend. Ebenso langsam hob er seinen Blick. Ihre Augen trafen sich.

Erneut hielt Viktor die Luft an.

Jonathan lächelte.
 

„Endlich wehrst du dich…“, sagte er ruhig, seine Hand senkend, einen Schritt auf den Hellhaarigen zugehend.

Es ging so schnell, Viktor blieb gar keine Zeit zu reagieren.
 

Jonathans Arme hatten sich bereits um seinen Körper geschlungen, seine weichen Lippen pressten sich auf Viktors, mit seiner Zunge verlangte er nach Einlass. Es war als hätte ein Orkan alle bis jetzt angestauten Emotionen und Gedanken Viktors mit einem einzigen Schlag hinweggeweht und Raum und Platz für Anderweitiges geschaffen.
 

Die sekundenlange Leere in seinem Kopf, seinem Körper, wurde durch den Kontakt mit Jonathans Händen, Lippen, seinem ganzen Körper umgehend mit Verlangen, Lust, mit Erregung gefüllt.

Er spreizte seine Lippen. Direkt verwickelte ihn Jonathan in einen innigen Kuss, erforschte die Mundhöhle seines Partners, während seine Hände sich an der Kleidung des Braunäugigen zu schaffen machten…
 


 

Es waren verschwommene Bilder, die Platz in seinem Kopf eingenommen hatten, die sich nun, da er halb wach im Bett lag und versuchte seine Erinnerungen zuzuordnen, vor seinem inneren Auge abspielten.

Intime Küsse, Jonathans Hände die ihn entkleideten, nacktes Fleisch gegen nacktes Fleisch gepresst, seine Fingernägel die sich tief in den Rücken des Schwarzhaarigen bohrten, die tiefe heisere Stimme Jonathans die immerzu „Vik!“ stöhnte, hart Stöße, das knarrende Bett, Jonathans Zunge an seinem Ohr, seine eigenen Hände im schwarzen Haar verknotet…
 

Er öffnete die Augen ganz und drehte seinen Kopf.

Sein Partner lag nicht neben ihm.

Hatte er das alles geträumt?
 

Erst nach und nach tauchten auch die Bilder der vorangegangenen Ereignisse auf. Der Club, die Tänzer, die Konfrontation mit Jonathan…

Ach, du Scheiße! Schoss es ihm durch den Kopf als sein Freund plötzlich durch die Tür trat, mit einem Tablett in seinen Händen. Der Duft von frischen Brötchen und heißem Kaffee verbreitete sich im Zimmer.
 

Lächelnd stellte der Schwarzhaarige das mitgebrachte Frühstück auf der weichen Matratze neben Viktor ab und setzte sich daneben. Der Hellhaarige starrte ihn mit halb offenem Mund an. Das rechte Auge seines Gegenübers war bläulich, schwarz, fast schon violett unterlaufen. Er hatte ihm tatsächlich ein blaues Auge verpasst…
 

Jonathan gluckste. „Sieht schön aus, was?“, feixte er.
 

Viktor sagte gar nichts, war nicht in der Lage auch nur ein einziges Wort herauszubekommen. Er hatte Kopfschmerzen, ihm war flau im Magen, er war verwirrt, vollkommen durcheinander.
 

„Vik, ist schon OK…“, lächelte der Schwarzhaarige ihn an. „Deine kleine Revange….“, fügte er grinsend hinzu.
 

Erneut wusste Viktor nicht, was er dazu sagen sollte. Stumm setzte er sich auf und starrte das vor ihm stehende Tablett an. Er hatte gar keinen Hunger.

Und was sollte das überhaupt? Warum brachte ihn Jonathan Frühstück ans Bett?! Das hatte er schon… Ja, wie lange war das her, als er ihm das letzte Mal Frühstück ans Bett gebracht hatte?

Viktor schnaubte.
 

„Hm?“, fragte Jonathan ihn. „Hast du keinen Hunger? Oder soll ich dir vielleicht was anderes bringen?“
 

„Was soll das?!“, fuhr der Hellhaarige ihn plötzlich an.
 

Wahrscheinlich war es der Restalkohol, der ihm erneut Mut verlieh, der ihn rastlos, ihn wütend machte, ein weiteres Mal verwirrte.
 

„Was…“, setzte Jonathan an, seufzte dann aber nur. Viktor gab ihm keine Möglichkeit etwas auszusprechen.
 

„Das ganze, meine ich“, sagte der Hellhaarige. „Der ganze Mist der vergangenen Wochen. Oder eher Monate. Irgendwas läuft falsch und ich hab die Schnauze so langsam gestrichen voll! Du behandelst mich wie Dreck, ignorierst mich tagelang, schlägst mich, redest nicht mit mir. Ich meine, ich weiß noch nicht mal was du momentan machst, wo du arbeitest, mit wem du rumhängst! Wer weiß, was du alles hinter meinem Rücken machst?!“ Er spürte die Tränen die sich bildeten, drohten seine Wangen hinunter zu kullern. „Mann, ich dachte du liebst mich, aber du tust mir nur weh! Du tust mir nur weh, Jonathan!“ Es war zu spät, er schmeckte die salzige Flüssigkeit bereits auf seinen Lippen. „Was soll das?!“, schluchzte er.
 

Der Schwarzhaarige blickte traurig auf das ignorierte Tablett und stellte es schließlich beiseite. Dann rückte er näher zu Viktor, setzte sich direkt neben ihn, seine Augen auf einen undefinierbaren Punkt gerichtet.
 

„Viktor ich…“, erneut seufzte er. „Ich weiß nicht, wie ich dir das am besten erklären soll… Mir gefällt es auch nicht, wie es gerade läuft.“
 

„Ach…!“, schnaubte der Hellhaarige und wischte sich seine Tränen weg.
 

„Es… Es tut mir Leid, aber… Mann, wie soll ich das sagen…“
 

„Du liebst mich nicht mehr, sag es einfach, dann ist es leichter für mich…“, flüsterte Viktor, auf die Wand starrend.
 

„Laber keine Scheiße!“, fuhr sein grünäugiger Freund ihn plötzlich an. Er fühlte den verärgerten Blick des Schwarzhaarigen auf sich ruhen. „Das ist nicht wahr! Es ist nur… schwierig.“
 

Erneut schnaubte Viktor, doch sein Herz pochte wie wild, seine Hände waren schwitzig.

Jonathan liebte ihn noch!

Für einige Sekunden blieb er komplett still im Raum, nur die Geräusche der vorbeifahrenden Autos waren aus der Ferne zu vernehmen.
 

„Du hast immer diese rosa-rote Brille auf, weißt du?“, fing Jonathan an. „Du willst immer, dass alles perfekt zwischen uns ist. Und deswegen, wie soll ich sagen, deswegen verdrehst du immer die Fakten für dich. Das ist irgendwie so, dass du alles negative ausblendest und nicht darauf reagierst. Du suchst kein Gespräch mit mir, du lässt alles einfach passieren. Du erduldest alles, nur um nicht mit mir zu reden. Ernsthaft zu reden. Es ist so als wenn du alle Probleme ignorieren wollen würdest, nur um nicht die Gefahr einzugehen, dass du dir selbst eingestehen müsstest, dass unsere Beziehung nicht perfekt ist.“
 

Viktor atmete schwer, schwer aber leise.
 

„Versteh das jetzt nicht falsch, ich gebe dir hier nicht die Schuld! ICH bin das Arschloch in vielerlei Hinsicht! Da hast du Recht, ich weiß auch nicht, warum ich so ausraste, warum ich dich überhaupt schlage. Ich bin ein Mistkerl!“, redete Jonathan weiter. „Und das tut mir Leid… Eine lange Zeit habe ich mich einfach darüber aufgeregt, dass du alles so… Naja, an dir vorbeiziehen lässt. Deswegen war ich gemein, ich wollte dich zum Ausrasten bringen, damit du dir das alles von der Seele reden – oder auch schreien kannst – und wir dann endlich wie zwei Erwachsene über unsere Probleme reden können.“
 

Der Schwarzhaarige nahm einen Schluck von dem Orangensaft, den er mitgebracht hatte.

„Aber es kam einfach nichts von dir“, fuhr er fort. „Und dann, ich denke ich hab’s irgendwann aufgegeben und war schon in diesem, hm, wie soll ich das jetzt am besten nennen? Gemeinheitstrieb gefangen. Und dann auch noch die ganze Scheiße mit der Ausbildung und den Jobs… Ach, ich hab einfach keine klare Zukunftsperspektive, weißt du? Das stresst ganz schön… Viktor…“, er sah ihn an und ganz langsam hob auch der Hellhaarige seinen Blick um in die grünen Augen seines Freundes zu blicken. „Es tut mir echt Leid. Ich bin nicht perfekt. Du bist nicht perfekt. WIR sind nicht perfekt.“
 

„Ich… Ich weiß“, antwortete des Angesprochene heiser.
 

Minutenlang war es ruhig.

Die beiden jungen Männer blickten sich an.

Dann räusperte sich Viktor leicht und fragte: „Wer ist Raphael?“
 

„Ein neuer Bekannter. Wir haben uns vor einigen Wochen auf dem Arbeitsamt kennengelernt. Ähnliche Geschichte, da versteht man sich“, antwortete Jonathan ruhig, immer noch in die Augen seines Freundes blickend.
 

„Und…,“ setzte Viktor an. „Was meinte der Typ mit ‚wirst du’s ihm denn sagen?’, ich hab einiges von eurem Treffen mitbekommen…“

Für einige Augenblicke sagte Jonathan nichts. Dann sah er die gegenüberliegende Wand an und seufzte.

Viktor Herz fing erneut an wild zu schlagen.
 

„Naja, ich denke wenn wir schon mal dabei sind, kann ich es dir auch sagen“, fing er an. „Ich mache jetzt ne Ausbildung zum Bäcker.“
 

Erneut schaute er Viktor an, der die Augenbrauen hob.
 

„Und das soll das Geheimnis sein?“, fragte er leicht ungläubig, doch mit Hoffnung.
 

„Ja!“, antwortete Jonathan barsch. „Mann, das ist voll die Scheiße, aber bei allen anderen Bewerbungsgesprächen hat’s halt nicht geklappt! Weißt du wie ich mich fühle? Ich bin ein Versager…“
 

„Nein! Nein, das bist du nicht“, rief Viktor schon fast. „Du bist kein Versager!“
 

„Ich fühle mich aber so…“, seufzte Jonathan, doch lächelte leicht.

Dann nahm er plötzlich Viktors Hand und fing an leicht mit dem Daumen über seinen Handrücken zu streicheln.
 

„Aber es freut mich, dass du das so siehst, Vik…“, flüsterte er.
 

Jonathans Worte hallten in seinem Kopf, Gedanken überschlugen sich. Er versuchte viel zu viele vergangene Szenen zu analysieren, sein eigenes Verhalten zu verstehen, Jonathans Reaktionen zu begreifen.

Hatte er Recht?

Vielleicht hatte er ja tatsächlich zu viele Disneyfilme geguckt…

Vielleicht…

Er war zu verwirrt um noch klare Gedanken formulieren zu können.

Langsam beugte er sich vor und legte seinen Kopf an Jonathans Schulter.

„Meinst du… Meinst du, wir kriegen das hin?“, wisperte er dann, nicht wissend, was er sonst hätte sagen können, den Atem Jonathans auf seinem Haar spürend. Dieser küsste seinen Kopf leicht, legte seinen Arm um Viktors Schulter.

„Wenn wir uns ändern…“, wisperte er zurück.
 


 

Stella lachte lauthals, Viktor musste schon den Hörer vom Ohr weg halten.

„Ein blaues Auge?????“, schrie sie erneut ins Telefon. „Du bist mein HELD, Viktor!!!“
 

„Jaja, ist schon gut.“
 

„Das hat der Arsch so was von verdient!“
 

Detailliert musste er die physische Auseinandersetzung beschreiben. Die Fetzen, an die er sich noch erinnern konnte... Die Beschreibung des heutigen Gespräches, an das er sich sehr gut erinnern konnte, fiel ihm allerdings schwerer.

Er wusste, dass Stella sowieso negativ reagieren würde.

Und er behielt Recht.
 

Eine Weile schwieg sie, nachdem er ihr alles erzählt hatte.

„Und du meinst jetzt wird alles gut, ja?“, fragte sie dann.

„Ja, ich bin mir sicher!“, sagte Viktor bestimmt.

„Du merkst aber schon, dass du wieder diese rosa-rote Brille damit aufhast, oder?“, sprach sie kühl in den Hörer.

Viktor starrte den stumm geschalteten Fernseher ausdruckslos an.

Sechs

Drei Wochen lag das klärende Gespräch nun zurück. Viktor starrte seinen Schokokeks eine Weile an und dippte ihn dann in seinen dampfenden Kaffee ein, der direkt vor seiner Nase stand. Fasziniert beobachtete er, wie die heiße Flüssigkeit die durchaus großen Schokostückchen gemächlich zum Schmelzen brachte.
 

Noch bevor das süße Gebäck völlig durchweichen und abbrechen konnte, führte er es geschickt zu seinem Mund und biss ab, ließ den lieblichen Geschmack auf seiner Zunge zergehen. Gleich würde Jonathan aus der Berufsschule zurückkommen. Das verriet die große Küchenuhr jedenfalls.
 

Der Dunkeläugige seufzte zufrieden nach einem weiteren Schluck des leckeren Getränks. Schwarz, heiß, aromatisch. So wie er ihn am liebsten trank. Und die neue Kaffeemaschine trug wohl auch einiges zu diesem überwältigen Geschmack, der gerade all seine Sinne in Anspruch nahm, bei.
 

Jonathan hatte sie ihm geschenkt. Der Schwarzhaarige war kein Kaffeeliebhaber, wusste dennoch, wie abhängig sein Freund von diesem Gebräu mittlerweile geworden war.

Viktor lächelte leicht als er das neue, pechschwarze Gerät auf der Arbeitsfläche betrachtete. Die Dinge änderten sich momentan. Die Dinge zwischen ihnen, ihr ganzes Zusammenleben.

Lange hatte er über sich selbst nachgedacht. Über Jonathan. Über sie beide.
 

Ja, sein Freund hatte mit seiner Theorie über die stets aufgesetzte rosa-rote Brille wohl Recht. Das hatte der Hellhaarige eingesehen. Und sich den Mut antrainiert öfters auf Jonathan zuzugehen, den Mund zu öffnen, wenn ihm etwas nicht passte. Und auch der Schwarzhaarige gab sich Mühe. Erzählte wo er war, was er machte, versuchte ruhig zu bleiben, seinen immer mal wieder aufkeimenden Ärger, die Wut, zu unterdrücken.
 

Er hatte ihm versprochen ihn nie wieder zu schlagen.
 

Viktor versuchte ihm zu glauben und war dennoch auf der Hut. Wann immer er Anzeichen sah, die zu einem Zusammenprall führen konnten, sprach er Jonathan ruhig und bestimmt an, worauf dieser meistens lächelte und sich sofort entschuldigte. Sie küssten sich öfter. Erst vor drei Tagen hatten sie einen gemütlichen Videoabend gemacht. Nur zu zweit. Ein trivialer Aspekt, den sie vorher hatten schleifen lassen. Genau das hatte diesen simplen Abend so wunderschön gemacht…
 

Ihr Versöhnungssex war phänomenal gewesen, die Bilder des betrunkenen Schwarzhaarigen von vor einigen Wochen schon fast unrealistisch erscheinend. Ganz sanft war er dieses Mal mit seinem Freund umgegangen, hatte ihn in ein langes und intensives Vorspiel verwickelt. Sie hatten den Körper des jeweils anderen mit all ihren Sinnen neu erkundet, neu entdeckt, als sei es ihr erstes Mal gewesen.
 

Viktor rutschte unruhig auf dem Stuhl herum, als sich diese Szenen vor seinem inneren Auge erneut abspielten. Er lächelte leicht.

Erneut blickte er die Uhr an.

Noch um die fünf Minuten.
 

Sie wollten heute zusammen kochen. Gestern hatten sie bereits alles eingekauft. Zusammen. Und Jonathans Laune hatte man nicht als schlecht beschreiben können. Natürlich war dieser Einkauf nicht mit dem aller ersten zu vergleichen, der noch immer als positive Vorlage im Gedächtnis des Hellhaarigen gespeichert war, aber – er hatte ja schließlich auch seine rose Brille abgesetzt.

Weggeworfen.

Er konnte einfach nicht davon ausgehen, dass sein Leben wie in einem Hollywood Liebesstreifen aussehen konnte. Alltag war Alltag, und Alltag war langweilig und nichts Besonderes.
 

Momentan freute er sich einfach, dass sie miteinander auskamen.

Zehn Minuten später schenkte er sich seine zweite Tasse Kaffee ein.
 

Öffentliche Verkehrsmittel. Nie konnte man sich auf sie verlassen…

Weitere zwanzig Minuten später setzte er sich vor den Fernseher und ließ sich von dem frühen Nachmittagsprogramm berieseln.
 


 

Um 14 Uhr hatte Jonathan da sein wollen.
 

Jetzt zeigte die digitale Anzeige der Wanduhr im Wohnzimmer 15.12 Uhr an.

Er hörte seinen Freund die Tür öffnen, den Schlüsselbund rascheln.
 

„Viktor?“, rief der Schwarzhaarige laut. Der Dunkeläugige konnte hören, wie sein Freund seine Schuhe schnell in die Ecke pfefferte und ebenfalls eilig aus seiner Jacke schlüpfte.

„Viktor?“, wiederholte er als er das Wohnzimmer betrat und den Gesuchten auf dem Sofa entdeckte. „Hey, Schatz…“, fuhr er fort, setzte sich direkt neben den Hellhaarigen, der ihn mit keinem Blick würdigte. „Es tut mir Leid. Ehrlich. Dass ich zu spät bin.“
 

Ohne die Augen vom Bildschirm zu nehmen fragte der Angesprochene fast schon ausdruckslos: „Wieso hast du nicht Bescheid gesagt?“
 

„Ich hab nicht auf die Zeit geachtet, sorry und dann bin ich so schnell los, dass ich gar nicht mehr daran gedacht hab“, erklärte Jonathan mit einer besorgten Miene. „Hey, schau mich doch mal an, bitte.“

Langsam und mit einem genervten Gesichtsausdruck kam Viktor dieser Bitte nach.

„Wo warst du?“, fragte er dann.
 

„Nach der Schule stand Raphael plötzlich da und wollte ein Bier mit mir trinken. Ich hab gesagt, ich komm kurz mit und muss aber schnell wieder los. Und da fing er an, mir sein Herz auszuschütten, seine Freundin hat wohl mit ihm Schluss gemacht“, erklärte Jonathan umgehend, immer noch mit einem besorgten Blick. „Es tut mir echt Leid, OK?“

Viktor seufzte.
 

„Dir sind andere immer wichtiger. Waren sie schon immer“, kommentierte er und stand mit einem Stechen im Herzen auf.
 

„Jetzt sag so was nicht!“, schnaubte Jonathan, erhob sich ebenfalls und folgte Viktor in die Küche. „Ja, es war scheiße von mir, aber jetzt mach nicht so nen Aufstand wegen so einer Kleinigkeit!“
 

„Ich kenne diesen Raphael immer noch nicht! Du erzählst zwar was von den Leuten mit denen du abhängst, aber du stellst sie mir nie vor!“, brach es aus dem Hellhaarigen heraus, der angefangen hatte die bereitgelegten Zwiebeln klein zu schneiden. Jonathan schnappte sich ebenfalls Messer und Brettchen und tat dem gleich.
 

„Daher weht also der Wind“, sprach er ruhig.

Viktor sagte gar nichts.

„Willst du Raphael kennenlernen?“, fragte er nach einer Weile.

„Ja“, kam er direkt von Viktor. „Und Siggi und Bernd auch.“
 

Jonathan lächelte.
 

„Gut, dann machen wir das.“

Die braunen Augen blickten den Schwarzhaarigen überrascht an.

„Gleich dieses Wochenende. Ich weiß, dass Raphael nichts dagegen hätte, mit ins Blue zu kommen. Und Siggi und Bernd sind da eh fast jedes Wochenende, seitdem ich die damals da mitgenommen hatte, die Biofreaks“, fuhr der Schwarzhaarige fort. „Die meinten ja jetzt, dass die Ausbildung jetzt richtig Scheiße geworden ist. Vielleicht war das ja doch ganz gut, dass ich jetzt Brötchen backe. Auch wenn das frühe Aufstehen im Betrieb ätzend ist.“
 

Viktor musste wohl oder übel lächeln.
 

„Also ich finde das klasse, dass wir jetzt immer Brot und Brötchen en Masse haben“, grinste er. „Und beschwer dich nicht, die Bäckerei ist hier gleich um die Ecke! Brauchst nicht meckern!“
 

„Ja, Mami“, feixte Jonathan gab Viktor einen Kuss auf die Wange.
 

„Hunger?“, fragte er dann.
 

„Und wie, lass uns das bloß schnell hier fertig machen.“, antwortete Viktor.
 


 

Am späten Samstagnachmittag machten sie sich auf um noch einen Kasten Bier zu kaufen. Zwar würden sie die anderen erst gegen 22 Uhr imBlue treffen, wollten sich das gemeinsame Vorglühen jedoch nicht nehmen lassen. Und im Endeffekt waren sie zufrieden mit der Entscheidung die besagten Getränke besorgt zu haben, denn gegen 20 Uhr erreiche sie Raphaels SMS die verkündete, er würde sie zwar nur ungern bei ihrem „Vorsaufen“ stören, würde es aber nicht eine Minute länger in der gemeinsamen Wohnung mit seiner nun Ex-Freundin aushalten.
 

Bereits eine halbe Stunde später klingelte es.

„Das muss er sein!“, lächelte Jonathan. „Er ist wirklich in Ordnung, Vik.“
 

Gemeinsam gingen sie zur Tür und lauschten den Geräuschen im Treppenhaus. Es dauerte nur eine Minute da stand der fast zwei Meter große, etwas dickere Mann mit bläulich-grauen Augen und dunkelblonden Rastazöpfen, die ihm bis zur Schulter reichten und die er sich zu einem dicken Zopf gebunden hatte vor ihnen und lächelte.
 

„Hi, ich bin Raphael, endlich treffen wir uns“, sagte er zu Viktor und streckte ihm die Hand entgegen.

Viktor schätzte ihn auf etwa 30. Und der Kerl war ihm auf Anhieb sympathisch.
 

„Hi, ich bin Viktor, aber das weißt du wahrscheinlich schon“, grinste er.
 

„So, nun komm rein, das Bier ist bereits kalt. Du hast dir den perfekten Zeitpunkt ausgesucht“, sagte Jonathan und die drei Männer machten es sich auf der Couch gemütlich, stießen an.
 

„Hier, wegen neulich“, fing Raphael an und wandte sich direkt an Viktor. „Das war meine Schuld. Also, dass Jonathan zu spät wir. Mir ging’s so dreckig an diesem Tag. Ich sag dir, ich komm nach Hause, da steht Melanie vor mir, also meine Ex jetzt, mit so nem Gesicht“, gestikulierte er mit seinen Händen aufgeregt. „und sagt mir: Raphael, es hat keinen Sinn mehr. Acht Jahre waren wir zusammen, ich wollte ihr dieses Jahr endlich nen Heiratsantrag machen und dann so was!“
 

Der Mann nahm einen Schluck Bier und lachte dann kurz auf.
 

„Ich hab deinen Freud so dermaßen voll geheult, der hatte gar keine Chance auch nur einen Ton herauszubekommen, geschweige denn mir das Maul zu stopfen“, sagte er dann grinsend.
 

„Schon OK“, beruhigte Viktor ihn grinsend. „Ich kann’s verstehen, dass es einem da dreckig geht. Hat sie denn einen Grund genannt? Wenn ich fragen darf, versteht sich…“
 

„Nö. Weiber halt. Sie sagt einfach nur die ganze Zeit, dass wir nicht mehr zueinander passen. Sah da aber ne Woche vorher noch ganz anders aus…“, erklärte er sarkastisch.
 

„Oh…“, bemerkte Viktor, trank einen Schluck des kalten Bieres und sinnierte dann: „Vielleicht hat sie ja wen kennengelernt…“
 

„Und DAS sage ich auch die ganze Zeit, Junge!“, lachte Raphael laut aus. „So ne Scheiße…“
 

„Und jetzt meine Herren“, mischte Jonathan sich endlich ein. „wechseln wir das Thema. Wir sind hier um zu feiern und nicht um irgendwelchen Blondinen hinter her zu heulen, alles klar?“

Er grinste in die Runde und fischte direkt drei neue Flaschen Bier aus dem neben ihm stehenden Kasten.
 

„Scheiß auf Weiber!“, rief Raphael aus und gluckste, als er merkte, was er grad gesagt hatte. „Naja, macht ihr ja sowieso“, fügte er lachend hinzu.
 

„In der Tat…“, grinste Jonathan und legte seine linke Hand auf Viktors rechten Oberschenkel.

Ein wohliger Schauer jagte dem Hellhaarigen über den Rücken.
 


 

Wie jedes Wochenende war das Blue gefüllt. Fast 20 Minuten lang standen sie an. Doch keinem der drei machte dies etwas aus. Das Bier hatte sein Werk vollbracht, die gute Laune unterstrichen, ein Grinsen oder Lächeln konstant auf ihre Gesichter gebannt. Und warm war ihnen auch. „Siggi und Bernd halten uns hinten einen Platz frei!“, rief Jonathan seinen beiden Begleitern zu als sie ihre Jacken an der Garderobe abgaben.
 

Die Anlage des Clubs war aufgedreht. Bassige Beats ließen die Tanzfläche über die sie gerade schritten erbeben und obwohl zu dieser Zeit noch nicht so viele Tänzer ihr Können bewiesen, konnte sie deutlich die Hitze spüren, als sie an den wenigen, sich windenden Körpern vorbei schritten. Und tatsächlich winkten ihnen zwei junge Männer eifrig von dem Tisch an der hinteren Wand zu.
 

„Jonathan!!!“, rief der etwas Kleinere mit den schwarz gefärbten, kinnlangen Haaren. „Hier sind wir!!!“
 

„Ich bin nicht blind!“, feixte der Schwarzhaarige, als sie am großen Tisch platz nahmen.

„Das ist meine bessere Hälfte Viktor“, stellte er seinen Freund vor, der direkt die ihm angebotenen Hände mit der seinen umschloss und höflich schüttelte. Siggi war es, der nach Jonathan gerufen hatte. Sein Partner, Bernd, war der größere von den beiden mit kurzen, dunkelblonden Haaren und einem kleinen, zu seinem Gesicht eigentlich so gar nicht passenden Ziegenbart.
 

Wie es schien war Bernd der ruhigere von den beiden. Viktor unterhielt sich lange mit dem jungen Mann. Vor seiner Ausbildung hatte der 27-Jährige in einer völlig anderen Stadt Jura studiert, nach dem Abschluss jedoch beschlossen, nicht in seinem Beruf tätig zu werden.

Glücklich über sein Diplom und die damit verbundene Studienzeit war er dennoch. Mit einem Flackern in den Augen erzählte er Viktor von den Studentenparties die er mit seiner damaligen Clique unsicher gemacht hatte.

Der Hellhaarige amüsierte sich prächtig.
 

Immer wieder wechselten die nun fünf Männer ihre Sitzplätze, um so eine Chance bekommen, mit jedem zu sprechen. Wie wild redeten sie durcheinander. Viktor musste erfreut feststellen, dass Siggi so ziemlich denselben Musikgeschmack hatte wie er. Und als sie die ersten Takte von Bartender von (hed) Planet Earth erkannten, war es Siggi der umgehend aufsprang, Viktor am Arm packte und scherzend zu Jonathan rief: „Ich entführe mal kurz deinen Schatz!“ Seinem Freund zwinkerte er schnell zu und feixte: „Bernd, du hast sicher nichts dagegen, bist ja nicht allein!“
 

Noch bevor Siggi ihn von dem Tisch wegziehen konnte, beugte sich Jonathan, der gerade zwischen Bernd und Raphael saß, über den Tisch und packte Viktor am Kragen seines schwarzen, kurzärmligen Hemdes.
 

Eine Sekunde lang erschrak der Hellhaarige, doch dieses Gefühl verließ ihn umgehend, als er in das grinsende Gesicht seines Freundes blickte der verführerisch wisperte: „Aber keine Dummheiten, klar?“ und ihn nach dieser Aussage innig küsste.
 

Dann schaffte Siggi es endlich seinen neuen Tanzpartner fortzureißen.
 

Immer mehr Seelen tummelten sich auf der riesigen Tanzebene. Viktor und Siggi tanzten sich überhaupt nicht ernst gemeint an und hatten dabei jede Menge Spaß, nahmen auch noch die folgenden drei Lieder mit, alberten herum, bis ihnen so langsam die Puste ausging und sie den Weg zurück zum Tisch ansteuerten.
 

Das erste was Viktor auffiel war, dass Jonathan fehlte.

Raphael sah ihn an und bemerkte den etwas verwirrten Gesichtsausdruck auf seinem Gesicht. Der Mann mit den Rastazöpfen lächelte ihn beruhigend an. Viktor setzte sich neben ihn, während seine Augen die nähere Umgebung scannten.
 

„Wo ist Jonathan?“, fragte er Raphael und als dieser zur Antwort ansetzte, entdeckte er seinen Freund am rechten Rand der Tanzfläche stehen.

Neben ihm stand ein junger Kerl, ungefähr genauso groß wie Jonathan. Er hatte etwas längere, kastanienbraune Haare zu einem Minizopf zusammen gebunden, einige Sommersprossen zierten seine hohen Wangen. Er besaß ebenso dunkle Augen wie Viktor selbst. Nur hatte er viel mehr Muskeln als der Hellhaarige…
 

Sein Herz fing an schneller zu rasen. Er starrte die beiden angespannt an.

Das Lachen Raphaels holte ihn in die Realität zurück.
 

„Mann, du bist ja schlimmer als meine Freundin damals“, lachte er. „Beruhig dich, Jonathan sagt dem Kerl gerade, dass er sich verpissen soll.“
 

„Was?“, fragte Viktor gereizt, die Augen nicht von den ernst miteinander sprechenden Männern nehmend.
 

„Dieser Typ da hat ihn wohl irgendwie die ganze Zeit von der Seite angemacht und er sagte, er würde das jetzt klären“, erklärte Raphael ruhig. Siggi und Bernd knutschten rum, als wäre nichts und niemand um sie herum.
 

Der Unbekannte fasste Jonathan am Arm, doch dieser schlug dessen Hand weg.

Doch das war genug für Viktor.

„Hey, wo willst’n du hin?!“, rief Raphael, als der Hellhaarige junge Mann sich bereits mit festen Schritten auf seinen Freund und diesen unbekannten Mistkerl zu bewegte.
 

„Ich sag’s dir jetzt noch einmal: Verpiss dich, Kai, ich will nichts mit dir zu tun haben!“, hörte er Jonathan noch sagen, dann fiel der Blick des Grünäugigen direkt und überrascht auf ihn.
 

Viktor hatte gar keine Zeit auch nur ein Wort zu sagen. Jonathans Hände griffen nach ihm, zogen ihn dicht heran. Fast schon gierig presste er seine Lippen auf Viktors, erkundete direkt mit seiner feuchten Zunge dessen Mundhöhle, leckte an seinen Lippen, während seine Finger spielerisch den Rücken des Hellhaarigen auf und ab wanderten.
 

Als sie den Kuss lösten, sah Jonathan den unbekannten Mann noch einmal finster an und zischte: „Tschüß, Kai!“, wonach er deinen Dunkeläugigen Freund hinter sich her zog.

Viktor spürte den zornigen und enttäuschten Blick des Fremden auf seinem Rücken. Und musste triumphal grinsen.
 

„Na los, jetzt bin ich dran“, raunte Jonathan ihm ins Ohr, als sie sich auf der Tanzfläche befanden, ihre Leiber aneinander gepresst, die Musik in ihren Köpfen dröhnend, ihr Zungen in einem Kampf verstrickt.

Er tanzte bestimmt eine ganze Stunde lang mit Jonathan. Überglücklich. Erregt. Aufgedreht.

Wie er das vermisst hatte!
 


 

Gegen 4 Uhr kamen sie nach Hause, mit Raphael im Schlepptau, der sich so dermaßen betrunken hatte, dass sie es nicht übers Herz gebracht hatten ihn allein nach Hause fahren zu lassen. Und da auch Jonathan seine genaue Adresse nicht wusste, war ihnen sowieso nichts anderes übrig geblieben, als ihn auf ihr Sofa zu werfen.
 

Sie kicherten, als er anfing laut zu schnarchen.

„Na, der schläft bis morgen bis durch. Das ist sicher“, lachte Viktor leise. Plötzlich verstummte er.

Jonathan sah ihn mit diesem verruchten Blick an.
 

„Bett?“, wisperte der Schwarzhaarige verführerisch.

„Bett“, wiederholte der Hellhaarige leise und wurde auf das besagte Objekt fast schon getragen.

Als sie sich küssten war Viktor klar, dass diese Nacht nicht zärtlich werden würde.

Und er wollte es auch gar nicht anders.

„Jonathan…“, stöhnte er, als es los ging…
 


 

Der Hellhaarige war der erste, der aufwachte. Da er sich am Abend zuvor strikt an Bier gehalten hatte, fielen seine Kopfschmerzen auch dementsprechend mager aus. Er freute sich deswegen fast schon wie ein kleines Kind. Grinste vor sich hin als er aufstand und gemächlich kleidete.
 

Jonathan und auch Raphael schnarchten noch gemütlich vor sich hin.

Leise packte er seine kleine Tasche und schlüpfte in die Schuhe.

Der Bäcker war nicht weit und sein Freund, wie auch Raphael, hätten sicherlich nichts gegen frische Brötchen auf dem Frühstückstisch.
 

Bei diesem Gedanken lief ihm selbst das Wasser im Mund zusammen.

Er hüfte die Treppenstufen schon fast herunter und wurde von einem blauen Himmel und einer astrein, strahlenden Sonne begrüßt. Er lächelte.

Ja, das würde ein schöner Tag werden. Dessen war er sich sicher.
 

„Ähm, bist du Viktor?“, fragte ihn plötzlich eine männliche Stimme. Umgehend blieb er stehen und drehte sich um.

Er erschrak. Vor ihm stand dieser Mistkerl aus der Disco. Wie war noch mal sein Name? Was machte der Spacken hier?
 

Er fühlte wie sein Herz klopfte.

„Sorry, dass ich dich hier so blöd auf der Straße anspreche. Ich bin Kai“, er hielt seine Hand hin, doch Viktor konnte sich gar nicht rühren.

Der junge Mann mit den kastanienbraunen Haaren seufzte und senkte sie wieder.

„Ich muss echt wirklich mit dir reden“, sagte er dann mit einem ernsthaften Ton.
 

„Ich hab keine Zeit…“, murmelte Viktor und wollte bereits weitergehen, da griff der Fremde nach seinem Arm und hielt ihn auf.
 

„Es geht um deinen Freund“, verächtlich sprach er das letzte Wort aus. „Und ich denke, es wird dich interessieren…“

Sieben

Ungläubig starrte Viktor den Mann mit den kastanienbraunen Haaren an. Dass er in Augen blickte, die seinen so verdammt ähnlich sahen, machte ihn nur noch nervöser als er bereits war.
 

„Ich hab also deine Aufmerksamkeit, ja?“, fragte Kai und lächelte irgendwie gequält.
 

„Was willst du von mir und Jonathan?“, kam es direkt von Viktor.
 

„Ich will dir sagen, was für ein Arschloch dein Freund ist“, sagte Kai. „Aber nicht hier. Ich hab nicht weit von hier ein Café gesehen, könnten wir bitte dahin? Ich möchte das nicht hier auf der Straße klären. Und du sicherlich auch nicht.“
 

Tausende Gedanken rasten durch Viktors Kopf.

Hatte er nicht eigentlich unbewusst auf so einen Moment gewartet?

Waren seine Befürchtungen doch nicht irgendwelchen belanglosen Fantasien entsprungen?

Wenn das so weitergehen würde, würde sein Herz bald seine eigene Brust zersprengen.

Er war verwirrt.

Neugierig.

Ängstlich.
 

„O-OK“, stotterte er dann. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Schweigend gingen sie nebeneinander die Straße entlang.
 

„Woher weißt du, wo wir wohnen?“, platzte es schließlich aus Viktor heraus und er blickte erneut in die dunklen Augen, die ihn bereits seit einiger Zeit musterten.
 

„Ich bin euch gestern aus dem Blue gefolgt und hab die Adresse notiert“, antwortete Kai ehrlich.
 

„Seit wann stehst du hier schon?“, bohrte Viktor weiter.
 

„Seit zwei Stunden ungefähr. Irgendwann hättest du ja rauskommen müssen. Darauf hatte ich jedenfalls gehofft. Naja, ich hatte wohl Glück, was?“, grinste Kai.
 

Viktor war einfach nur schlecht.

Zum ersten Mal rief der Geruch vom frischen Kaffee nichts als Übelkeit in ihm hervor. Als die Getränke serviert wurden und sich die Aushilfskraft von dem Tisch entfernte, seufzte Kai laut.
 

„Hey, es tut mir Leid, dass du das auf so eine Weise erfahren musst, aber dein Freund hat dich verarscht. Verarscht und betrogen“, platzte es endlich aus dem jungen Mann heraus.

Viktor hielt die Luft an, starrte sein Gegenüber geschockt und wütend zugleich an.

„Oh nein, nicht mit mir! Das will ich gleich klarstellen!“, fügte der Mann mit den leichten Sommersprossen hinzu. „Nicht mit mir…“, flüsterte er schon fast, als er sein Getränk umrührte.
 

„Mit wem dann…?“, fragte Viktor heiser. Schon allein diese Wörter über die Lippen zu bekommen tat weh.
 

Wie auf Kommando kramte der Überbringer dieser Nachricht in seiner Jackentasche und holte sein gut gefülltes Portemonnaie aus der Tasche. Sekunden später warf er Viktor ein Foto vor die Nase.

Zwei grinsende Männer waren darauf zu sehen.

Der Linke war Kai, keine Frage. Rechts neben ihm stand ein etwas kleinerer, schmaler Typ, braungebrannt, mit einem Piercing in seiner rechten, leicht buschigen Braue. Graue Augen starrten Viktor vom Foto an. Schwarze Haare mit blonden Strähnchen umrandeten das Gesicht. Seine Hand fing an zu zittern.
 

„Mein Freund“, erklärte Kai. Dann schnaubte er verächtlich und lachte sarkastisch. „EX-Freund. Tschuldigung, ist alles noch ein wenig neu für mich“, fügte er umgehend hinzu.
 

Der Hellhaarige schüttelte seinen Kopf wie in Zeitlupe. Seine Augen klebten noch immer förmlich an dem Foto, welches er in seinen unruhigen Händen hielt.

Minuten des Schweigens vergingen.

Seinen Kaffee betrachtete er nicht mal.
 

„Drei Monate“, sagte Kai plötzlich.

Erschrocken blickte Viktor auf, schaute sein Gegenüber an.

„Was?“, fragte er.

„Drei Monate“, wiederholte der Junge. „Die hatten die letzten drei Monate Sex, Schatz.“, sagte er sarkastisch.
 

Drei Monate…

Drei Monate…

Drei Monate…

Drei Monate…
 

Diese Zahl hämmerte durch seinen Kopf.

Aber…

Aber was wenn er log?
 

„W-Woher soll ich wissen, dass du mir die Wahrheit sagst?“, funkelte er Kai an.

Doch dieser lachte nur laut auf, kramte nach seinem Handy.
 

„Du kannst Lennart gerne anrufen und fragen, wie dein Herzallerliebster so im Bett war. Hier, ich kann dir gern seine Nummer geben. Null Eins Sieben Null…“
 

„Warte!“, unterbrach Viktor seinen Tischnachbarn, dem deutlich Tränen in die Augen gestiegen waren.
 

„Sorry…“, sagte er und vergrub sein Gesicht für einige Zeit in seinen Händen, atmete tief ein. „Sorry, ich kann damit noch nicht umgehen. Ich weiß es auch erst seit einer Woche.“
 

Viktor schluckte.

Immer noch wollten seine Hände sich nicht beruhigen.

Ihm war schlecht, als hätte er sich gerade einen ekelhaften Kräuterschnaps gegönnt.

Einem nach dem anderen.
 

„Wie… Wie hast du’s… erfahren?“, brachte er schließlich über die Lippen.
 

„Ich hab eine eindeutige SMS gelesen. Lennart war in letzter Zeit einfach komisch, hat vor allem sein Handy immer versteckt. Und als er dann duschen war und dann die SMS kam, konnte ich nicht anders…“, erzählte Kai. „Und dann habe ich ihn direkt zur Rede gestellt und er hat alles gebeichtet.“
 

Wieder vergingen einige Momente der Stille.
 

„Warum bist du überhaupt zu mir gekommen?“, fragte Viktor endlich.
 

„Weil ich finde, dass du als Betrogener das Recht hast es zu wissen und ich nicht davon ausgehe, dass Mr. Cool dir das je erzählen würde…“, schnaubte Kai und leerte seinen Becher in einem Zug.
 

Viktor fasste sich an die Schläfen.

Schloss die Augen.

Er war so verwirrt, dass er weder wütend noch traurig war.

Er war einfach nur leer.

Als er die Augen wieder öffnete, schrieb Kai bereits etwas auf einen kleinen Zettel.

„Hier“, sagte er dann und schob die Notiz dem Hellhaarigen zu. „Das ist meine Nummer. Just in case. Falls er’s nicht zugeben will oder ähnliches. Behalt auch das Foto, dann wird’s schwerer fallen sich aus der Sache zu manövrieren.“

Mit diesem Worten stand er auf, nickte Viktor kurz zu und verschwand.
 


 

Eine weitere Stunde saß Viktor an dem verlassenden Tisch, die wechselnden Leute um ihn herum komplett ignorierend. Ausdruckslos starrte er die gegenüberliegende, purpur-rote Wand an.

Sein Handy klingelte.

Zum zehnten Mal.

Es war ihm egal.

War es Jonathan?

Ach, scheiß doch drauf!

Was… Was sollte er jetzt tun?

Er glaubte Kai.

Zu 99 Prozent.
 

„Entschuldigen Sie bitte!“, riss ihn die Stimme der freundlichen Bedienung aus seinen Gedanken. „Wenn Sie nichts mehr bestellen wollen, dann müssten Sie jetzt bitte gehen.“
 

„Ja, ja, natürlich, ich gehe schon“, wisperte Viktor schon fast und verließ das Café.

Er atmete die frische Luft ein.
 

Nach Brötchen holen war ihm nicht mehr.

Unschlüssig blieb er stehen.

Erneut klingelte sein Handy.

Diesmal griff er nach dem Gerät und ein einziger Blick aufs Display bestätigte seine Vermutungen.
 

„Jonathan Handy“ stand dort in den digitalen Lettern geschrieben.

Sein Herz pochte so laut, er war sicher die anderen Passanten konnten es im Vorbeigehen wahrnehmen. Einige Sekunden lang überlegte er.

Dann drückte er den grünen Knopf.

Seine Stimme war erstaunlich stabil als er ein „Ja?“ in das Telefon sprach.
 

„Hey, Babe, wo bist du? Ich mach mir hier schon Sorgen!“, plapperte Jonathan direkt los.
 

„Ich bin eigentlich direkt bei unserer Wohnung.“
 

„Was? Was hast du gemacht? Warst du einkaufen? Bringst du Brötchen mit?“, hakte Jonathan direkt nach.
 

„Eigentlich hatte ich mich mit nem Freund zum Kaffeetrinken getroffen“, antwortete Viktor ausdruckslos.
 

„Oh. Oh, das muss ich wohl vergessen haben!“, lachte sein Freund am anderen Ende der Leitung.
 

„Das war auch nicht geplant“, sagte Viktor einfach nur.
 

Sie schwiegen einige Sekunden lang.

Dann fragte der Schwarzhaarige vorsichtig: „Ist alles in Ordnung? Du klingst so komisch…“

Am liebsten hätte Viktor in diesem Moment das Gerät einfach auf den Boden gepfeffert. Oder seinen behinderten Freund direkt angebrüllt.
 

Aber er sagte einfach nur: „Ja. Alles OK.“
 

„Hm, bist du dann gleich wieder da?“, fragte Jonathan vorsichtig.
 

„Ja.“
 

„Dann, äh, schiebe ich jetzt mal die Aufbackbrötchen in den Ofen, ja?“
 

„Ja.“

Er drückte den roten Knopf und steckte das Handy wieder zurück in die Tasche.

Er wollte es von Jonathan hören.

Er wollte sehen und hören, wie Jonathan diese Scheiße zugab.

Festen Schrittes marschierte er auf ihren Block zu, die Hände zu Fäusten geformt.

Wut und Trauer fingen endlich an diese Leere in seinem Innern zu verdrängen.
 


 

Raphael war noch da.

Er grüßte den hereinkommenden Hellhaarigen mit einer Handbewegung. Zusammen mit Jonathan saß er auf der Couch, sie schauten irgendwelche lächerlichen Cartoons.

Der Wohnzimmertisch war zu einem Frühstückstisch umfunktioniert worden.
 

„Hey!“, rief Jonathan freudig aus, als er seinen Freund erblickte. „Die Brötchen müssten gleich schon fertig sein.“
 

„Perfektes Timing“, gab Raphael in einer sehr verkaterten, dunklen Stimme dazu.
 

Ohne etwas zu sagen setzte sich Viktor auf den leeren Sessel und starrte auf den Fernseher, ohne wirklich den Inhalt mitzubekommen, geschweige denn zu verstehen.

Eigentlich verstand er nichts im Moment.

War einfach nur sauer, dass Raphael noch da war.

Jonathan war bereits aufgestanden und kam nun mit den noch dampfenden Brötchen zurück ins Zimmer.
 

„Mhhh…“, kam es von dem Rastamann. „Das riecht verdammt gut. Dein Freund ist die perfekte Hausfrau!“, scherzte er in Viktors Richtung. Doch der Hellhaarige reagierte nicht auf diesen Scherz.

Starrte weiterhin die Flimmerkiste an.
 

Die übrigen zwei tauschten kurz die Blicke aus, woraufhin Raphael mit den Schultern zuckte und sich eines der Brötchen nahm.

„Willst du gar nichts essen?“, riss Jonathans Stimme ihn nach einer Weile aus den Gedanken.

Erst jetzt blickte er ihn an und das Gesicht seines Freundes, der so nah bei ihm saß, verpasste ihn einen schmerzvollen Hieb.
 

Sofort spielten sich Bilder in seinem Kopf ab, Bilder über die er nicht nachdenken wollte.

Jonathan wie er Lennart küsste, mit seinen Haaren spielte, in sein Ohrläppchen biss, mit ihm schlief.

„Alter, Viktor, was ist los?“, stammelte Jonathan nun total verwirrt, legte sein Brötchen weg und kam einen Schritt näher auf seinen Freund zu, setzte sich auf die Lehne des Sessels.

Als er seinen Arm um den Hellhaarigen legte zuckte dieser zusammen und hisste was unverständlich: „Fass mich nicht an!“
 

Umgehend trat Jonathan zurück, seine Augen weit aufgerissen.

„Viktor, bitte, was ist los? Sag es mir!“
 

Der Angesprochene schnaubte.

Jetzt war Jonathan plötzlich besorgt und einfühlsam.

Wie witzig.

„Nichts ist los, ich hab nur schlechte Laune“, entgegnete er ihm. Er würde keine Szene vor Raphael abziehen.
 

Eine Weile lang passierte gar nichts.

Geniert aß Raphael schnell sein Brötchen, bedacht so schnell wie möglich abzuhauen.
 

„Viktor!“, raunte Jonathan ihn plötzlich an. „Du sagst mir jetzt sofort was los ist, du Idiot!“

Dieser fiese, befehlshaberische Ton brachte das Fass zum Überlaufen.

In diesem Augenblick war ihm alles egal, denn die Wut hatte die komplette Leere eingenommen und sich tief in seinem Innern eingenistet. Sie trieb ihn voran.

Endlich.
 

Er sprang auf, baute sich vor Jonathan auf, nahm dessen Hand und drückte ihn das erst heute Morgen erworbene Foto in die Hand.

Er lachte fast schon laut auf, als die grünen Kristalle Jonathans den Mann auf dem Foto erkannten und der Schwarzhaarige ihn umgehend, völlig geschockt, Mund weit offen, anstarrte. Wahrscheinlich nach den richtigen Worten suchte.

Doch Viktor ließ ihn erst gar nicht zum Sprechen kommen.
 

„DAS ist los, du Wichser! DAS!“, schrie er ihn an, zeigte wie wild mit seinem Finger auf das Foto. „Na, hat es dir gefallen? Habt ihr es auch schön hier in unserem Bett getrieben, hm? Ich hoffe du hattest SPASS, Jonathan! Du gottverdammter Bastard!“
 

Ohne Raphael eines Blickes zu würdigen marschierte er schnurstracks aus der Wohnung, rannte in blinder Wut die Treppenstufen hinunter, sodass er fast stolperte.

Er hörte Jonathans Schritte hinter ihm.

Seine Stimme, die immerzu seinen Namen rief.

Verzweifelt.

Kaum öffnete er die Tür nach draußen, rannte er auch schon los.

Und er war immer der bessere Läufer gewesen.
 


 

Er rannte ohne Ziel, durch die Straßen, durch den Park, vorbei an irgendwelchen Schulen, Einkaufszentren bis er endlich, völlig außer Atem vor Stellas Haus stand.

Schon wollte er den Knopf drücken, da wurde ihm bewusst, dass dies genau der Ort sei würde, an dem Jonathan als erstes nach ihm suchen würde.

Instinktiv schaute er sich um, doch natürlich war der Schwarzhaarige nirgends zu sehen.

Er ging die Straße weiter hinunter, wählte jedoch Stellas Nummer.
 

„Hallo Vik! Was geht?“, grüßte sie ihn.
 

Kurz, nur kurz fühlte er die brennenden Tränen in seinen Augen. Doch er schaffte es sie hinweg zu blinzeln.

„Er hat mich betrogen“, sprach er ruhig ins Telefon.
 

Kurz blieb Stella still. Dann flüstere sie fast schon: „Scheiße.“

„Ja…“, sprach Viktor.

„Wo bist du? Willst du herkommen? Soll ich herkommen?“

„Starbucks. Jetzt. Hier bei dir.“

„Ich bin unterwegs.“
 


 

Er erzählte ihr die ganze Geschichte, wie er Kai im Club gesehen hatte, wie er am nächsten Morgen quasi vor seiner Tür auftauchte, ihm die Nachricht überbrachte. Die ganze Zeit über hielt sie seine Hand.

Und dann regte sie sich auf, wie immer. Über das Arschloch Jonathan.

„Vik, ich hoffe das reicht jetzt“, sagte sie dann besorgt. „Das war’s doch oder, du wirst dich von ihm trennen, oder nicht?“

Schmerz durchfuhr seinen ganzen Körper als er mit einem „Ja“ antwortete.

Sie umarmte ihn.

„Shoppen?“, fragte sie dann halbgrinsend.

„Ich bitte darum“, versuchte er zu lächeln.
 


 

Eigentlich machte das Klamottenprobieren keinen Spaß, aber es war eine Ablenkung. Sein Handy hatte er bereits ausgeschaltet nachdem er Stella erreicht hatte. Und das war gut so. Er wollte gar nicht wissen, wie viele Male oder ob Jonathan überhaupt versucht hatte ihn zu erreichen.

Scheiß auf Jonathan!

Dieser Satz jagte immerzu durch seinen Kopf.
 

Als sie sich ein richtig ungesundes Menü bei Burger King gönnten, nach drei Stunden Shopping und einem komplett neu zusammengestellten Outfit, sicher aufbewahrt in den Plastiktaschen, klingelte Stellas Handy plötzlich.
 

„Ja?“, ging sie ran. Sofort änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Viktor hörte auf zu kauen. „Woher hast du meine Nummer?!“, fauchte sie ins Telefon. „Nein, er ist NICHT bei mir, aber ich weiß Bescheid, du kleiner Hurensohn. Und jetzt ruf mich nie wieder an!“

Die blonde Frau brüllte fast schon in ihr mobiles Gerät, wonach sie es einfach ausschaltete.

„Der Wichser hat doch tatsächlich an der Uni rumgefragt und meine Handynummer rausbekommen!“, rief sie ungläubig und genervt aus.

Viktor sagte gar nichts, sondern aß still zu Ende.
 


 

Es war Abend. Im Endeffekt war er doch zu Stella gegangen.

So viele Stunden später würde Jonathan sicherlich nicht nach ihm suchen.

„Es tut mir so Leid, dass ich gleich zu meiner Schwester muss“, sagte sie aufrichtig als sie ihre kleine Reisetasche packte. „Wenn du willst, dann geb ich dir den Schlüssel und du kannst hier heute Nacht pennen!“
 

„Ist schon gut Stella, ich finde schon noch jemanden, bei dem ich pennen kann. Ich will heute Nacht nicht allein sein. Ich muss heute irgendwie noch raus, verstehst du?“, redete er.
 

„Na klar, klar kann ich das verstehen. Aber pass bloß auf dich auf, mach nichts Dummes, OK?“

„Ja, ja…“
 

Er wusste selber nicht ob das, was er tat, dumm war, als er nur eine Stunde später Kais Nummer wählte.

„Schäfer hier“, sagte eine männliche Stimme.
 

„Äh, hi. Hier ist Viktor“, sagte der Hellhaarige und fügte direkt hinzu. „Der Typ von heute morgen.“
 

„Hey!“, begrüßte Kai ihn gleich schon freundlicher. „Alles OK bei dir? Gab’s deftig Stress?“
 

„Naja, er weiß nun, dass ich es weiß. Weiter bin ich noch nicht gekommen.“
 

Kai seufzte und sprach dann in einer milden Stimme weiter: „Geht’s dir gut?“
 

„Den Umständen entsprechend. Ich… Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, warum ich dich gerade anrufe. Ich wollte noch ins Blue und, ich glaube ich wollte dich, fragen ob du mitkommst, weil mir momentan wirklich keiner von meinen Kumpels einfällt, die mich verstehen würden.“
 

Kai lachte warm.

„Dein Anruf kommt mir ehrlich gesagt sehr gelegen…“, setzte er an. „Lennart packt hier all seine Sachen mit einigen Freunden zusammen… Ich muss mir das nicht ansehen. Ich muss hier echt raus. Das Blue macht in ner halben Stunde auf, oder?“

„Ja.“

„Dann sehen wir uns da, bis gleich!“

Klick.

Der Abend war gerettet.

Oder?
 


 

Drei Stunden später saßen sie an einem Tisch zusammen.

Tranken den sechsten Cocktail und hatten sich wohl jedes einzelne Detail ihrer Beziehungen, bzw. Ex-Beziehungen erzählt.

Er wusste auch nicht ob es der Alkohol war, oder sein allgemeiner Gemütszustand, aber es fühlte sich so an, als hätte er Kai schon seit Jahren gekannt.

Er konnte offen in seiner Gegenwart sein, musste sich nicht verstellen.

Und Kai konnte genau nachvollziehen, was sich gerade in seinem Innern abspielte.

Er verstand den Schmerz, die Wut, die Enttäuschung, die Leere, die Verwirrung, die Unwissenheit über die Zukunft…
 

Als Kai seine Hand auf seinen Oberschenkel ruhen ließ, protestierte er nicht. Irgendwie ließ die sich dort wärmende Wärme wohlige Schauer durch seinen Körper fahren.

Oder sein Gehirn hatte sich einfach schon verabschiedet.

Urplötzlich waren sie schon in einen wilden Zungenkuss verwickelt, saßen in einer festen Umarmung. Kais Hände fuhren bereits über seinen Schritt und unter sein Shirt, er selbst spielte mit Kais Haaren, ließ sie seine Finger durch sie fahren, während er leicht in den Kuss seufzte.
 

Kais Lippen fingen an seinen Hals zu liebkosen, seine Zunge an seiner Haut fühlte sich einfach nur geil an, und dann spürte er den Atmen des anderen direkt an seinem Ohr.

„Ich will dich ficken“, flüsterte Kai.

Acht

Viktors Herz drohte erneut seine Brust zum Zerbersten zu bringen. Der Herzschlag pochte ihm bereits in den Ohren, übertönte fast den dröhnenden Bass der Anlange. Erneut hatte Kai ihn in ein wildes Spiel mit ihren Zungen verwickelt, ein Kampf um Dominanz wurde ausgefochten, den der nun nicht mehr ganz so fremd wirkende junge Mann mit den kastanienbraunen Haaren gewann.
 

Spielerisch leckte er über Viktors Unterlippe, biss leicht hinein, führte seine Zunge wieder in die Mundhöhle des Kleineren ein. Viktors Hände strichen fast schon geistesabwesend über Kais Rücken, waren ebenfalls unter dessen Shirt gewandert, sogen die Wärme die der Körper des Größeren ausstieß auf.
 

Der Hellhaarige keuchte leicht, als Kai den Druck auf seinen Schritt etwas erhöhte, seine harte Männlichkeit durch den Jeansstoff massierte. Als er spielerisch danach in Viktors Hals biss, zuckte dieser leicht auf, presste sich noch mehr gegen seinen momentanen Spielgefährten.
 

„Ist das ein ‚Ja’?“, fragte Kai ihn heiser, während seine Lippen Viktors Ohr weiter liebkosten.

Kais Hände, Kais Körper, Kais Finger beraubten ihn des Verstandes. Während sie sich ungeniert im Klub küssten schien es so, als würde nichts und niemand sonst in diesem Augenblick existieren. Sogar die vielen laut redenden, tanzenden, trinkenden Menschen um sie Herum verschwammen in einer unbeschreiblichen Dunkelheit.

Jonathan?

Wer war Jonathan?

In diesem Augenblick konnte Viktor kein zu diesem Namen passendes Gesicht finden.

Zeit, geschweige denn Kraft zum Nachdenken besaß er nicht. Auch diese wurde ihn von den stürmischen Lippen, den besitzergreifenden Händen geraubt, unverblümt gestohlen.
 

Wie waren sie eigentlich in dieses Hotelzimmer gekommen? In diesen kleinen schäbigen Raum mit dem quietschenden und rostigen Bett? Mit dem winzigen Balkon? Durch die auf kippe gerichteten Fenster drangen gedämpfte, völlig durcheinander geratende Bassklänge, Schreie, Rufe und Gelächter von Menschen. Zerschellendes Glas, Sirenen.
 

Das Bett gab ein unangenehmes Geräusch von sich, als Kai ihn auf die uralte und mit einem hässlichen Laken bezogene Matratze drückte, sein Knie zwischen seine Beine gedrückt, seine Lippen auf Viktors gepresst. Seine Zunge mit der des Hellhaarigen spielend.

Ihm war schwindelig.
 

Als er nach einigen Minuten merkte, dass er sein Shirt bereits losgeworden war und sich Kais Hände an seinem Reißverschluss zu schaffen machten, erstarrte er.

Ja, jetzt hatte er das passende Gesicht, den passenden Köper, die passende Stimme und die passenden Augen zu dem Namen „Jonathan“ gefunden.

Er verkrampfte sich.
 

„Was’n los?“, grinste Kai, dem diese Reaktion nicht verborgen geblieben war und fuhr mit seiner Zunge über den Hals des unter ihm liegenden Mannes.

Jonathan.

Jonathan!

Verdammt!

Hätte ihn der Gedanken an seinen Freund, der ihn wie Dreck behandelte, verarschte und zu all dem noch betrogen hatte nicht eigentlich vorantreiben sollen?

Hatte er sich diesen One-Night-Stand nicht verdient?

Wäre das eigentlich nicht die gerechte Strafe gewesen, seine ganz persönliche, kleine Revange, die dazu auch noch mit einem Orgasmus enden könnte?
 

„Na los, komm schon…“, stöhnte Kai ihm ins Ohr und öffnete mit einem Ruck den Zipper, griff direkt in die Boxershorts, nach Viktors Länge. Und plötzlich, mit dieser Bewegung, verschwand der ganze Effekt des Alkohols.

Viktor kam es vor als hätte ihm jemand eine schallende Backpfeife verpasst, die ihn umgehend zurück in die Realität befördert hätte. Fest entschlossen packte er Kai an dessen Schultern und drückte ihn von sich weg. Der junge Mann öffnete leicht irritiert seine Augen und starrte Viktor an, verhaarte in seinen Bewegungen.
 

„Warte, bitte“, presste der Hellhaarige hervor. Langsam stieg Kai von ihm herunter, setzte sich auf die Bettkante, den immer noch verwirrten Blick nicht von dem hellhaarigen Mann nehmend, während eben dieser aufstand und in Richtung des kleinen, ebenso schäbigen Bades ging.
 

„Viktor?“, fragte Kai plötzlich, als dieser schon fast die Tür hinter sich schloss.
 

„Gib mir kurz Zeit, OK?“, antwortete der Dunkeläugige verunsichert, hielt inne.
 

„Klar… Kein Problem.“, sagte Kai, der sich auf den Rücken legte, die Decke anstarrte, leicht seufzte. Der Hellhaarige meinte ihn lächeln zu sehen.
 

Er schloss ab.

Setzte sich auf die Toilette.

Atmete durch.

Was war nur los?

WAS WAR LOS?!

Er zitterte am ganzen Körper.

Jonathan hatte ihn betrogen.

Jonathan war ein Bastard.

Er würde sich von Jonathan trennen. Das war doch bereits eine beschlossene Tatsache.

Warum fühlte er sich so, als würde er seinen bald Ex-Freund hintergehen?

Warum hatte er ein schlechtes Gewissen?!

Er merkte gar nicht, wie die Tränen seinen Augen entkamen und seine Wangen benetzten. Erst als er einen salzigen Geschmack wahrnahm als er sich über die Lippen leckte verstand er, dass er weinte.
 

Es war zu früh.

Oder?

Er liebte Jonathan noch zu sehr, um sich einem anderen Mann hingeben zu können. Auch wenn er mit ihm Schluss machen würde.

Es musste.

Weil es gar keinen anderen Ausweg gab.
 

Viktor war sich selbst nicht sicher, warum er sein Mobiltelefon aus seiner Tasche holte und es anschaltete. Direkt wurde er darüber informiert, dass 15 Nachrichten auf seiner Mailbox zum Abruf standen.

Er las die SMS jedoch zuerst.
 

Laut Anzeige hatte Jonathan sie erst vor einer Stunde geschrieben.

„BITTE VIKTOR! Melde dich bei mir! Ich kann nicht mehr! BITTE! Gib mir nur eine Minute!!!“

Er musste sich auf die Zunge beißen, um nicht lauthals loszuschluchzen. Um nicht gleichzeitig lauthals vor Wut zu schnauben. Dieser Bastard hatte mit Lennart gevögelt, dem ach so tollen Kerl dessen Gesicht Viktor nur von einem Foto kannte. Er hatte die Beziehung von Kai zerstört und damit gleichzeitig auch ihre! Und jetzt kam er mit dem Satz an „Ich kann nicht mehr!“.

Pah!
 

Dennoch wählte er die Nummer der Mobilbox.

Hörte sich alle Nachrichten an.

Und erstarrte.
 

Nach den ersten zehn, die nicht mehr als die verzweifelte Stimme Jonathans darstellten, der immer wieder „Es tut mir Leid, bitte melde dich, wir müssen reden“ oder „Wo bist du? Bitte melde dich, ich muss mit dir sprechen“ wiederholte, kamen einige längere Zeilen.

Viktor fing an zu zittern.
 

„Das mit Kai war eine unglaubliche Dummheit! Es ist nur ein Mal passiert, ich war total betrunken, wir hatten Streit… Oh mein Gott, es tut mir so verdammt Leid…“, hörte er Jonathans auf Band aufgenommene Stimme aufgeregt stammeln.
 

Der Hellhaarige schluckte.
 

„Scheiße Mann, melde dich! Es tut mir so Leid, das mit Kai war ein Ausrutscher! Ich leibe dich, Vik, bitte lass es mich doch erklären! Wo zum Teufel bist du?“
 

„Sie haben keine weiteren Nachrichten“, informierte ihn die völlig emotionslose Frauenstimme dann.
 

Der hellhaarige junge Mann betätigte den roten Knopf. Das Telefon verstummte.

Einige Sekunden lang saß er regungslos da und starrte die überaus hässlichen, wahrscheinlich noch aus den 70ern stammenden, dunkelgrünen Fliesen an. Atmete tief.

Er zitterte nicht mehr. Obwohl ihm unglaublich kalt war. Als hätte man ihn für Stunden in die Kühltruhe gesteckt. Diese arktische Kälte breitet sich zunächst in seiner Brust aus, umfasste sein Herz und schoss dann durch all seine Glieder.
 

„Scheiße!“, fluchte er.

Plötzlich hatte er Angst.

Kai war nicht der Mann, für den er ihn gehalten hatte.

Es war Kai, mit dem Jonathan geschlafen hatte.

Kai!

Und was war mit Lennart?

Hieß der Typ auf dem Foto überhaupt so? War das überhaupt Kais Ex? Warum hatte dieser Mistkerl ihm so eine scheiß Lügengeschichte aufgetischt?!
 

„Viktor, alles in Ordnung?“, drang die tiefere Stimme aus dem Nebenzimmer zu ihm, ließ ihn beinahe aufspringen.

Er musste hier raus.

Schnell.

Ohne zu überlegen öffnete die Tür und rannte fast gegen Kai.
 

„Hey, was’n mit dir plötzlich los?“, lachte dieser auf und ging einen Schritt zur Seite.

Nervös lächelte Viktor ihn an.
 

Seine Jacke lag auf dem Boden. Direkt neben Tür. Dem Ausgang. Der Rettung. Kais Arme umfassten seine Hüften von hinten, zogen ihn an sich heran.„Wo waren wir gerade…?“, raunte er in sein Ohr und fing abermals an seine Zunge den Nacken des Hellhaarigen runter zu fahren. Ein eisiger und alles andere als angenehmer Schauer jagte Viktor den Rücken herunter.
 

„Ich hab noch etwas… schönes, in der Jacke. Kai“, brachte er so gut es ging hervor, versuchte seine Angst, seine Nervosität zu überspielen.
 

„Achja, und was ist dieses Schöne?“, wisperte er während seine Hand sich erneut am Hosenbund des Kleineren zu schaffen machte.
 

„Soll ich es dir zeigen?“, fragte Viktor heiser.
 

„Ich bitte darum…“, kam es von Kai, der seinen Griff lockerte.

Das war die Chance!

Adrenalin pumpte durch seinen ganzen Körper. Übereifrig griff er nach dem Kleidungsstück – das verloren gegangene Shirt war ihm egal – und sprang mit zwei großen Schritten zur Tür, die Gott sei Dank nicht verschlossen war, riss sie auf und rannte den ekligen Flur herunter. Ignorierte Kais Rufe.
 

Seine Füße bewegten sich wie von alleine.

Einer nach dem anderen.

In einem schnellen Tempo.

Sein Sprint brachte ihm bis zum Hauptbahnhof.

Erst dort, erst nach 15 Minuten blieb er stehen, drehte sich panisch um.
 

Nein, Kai war ihm nicht gefolgt. Bei diesem Tempo wäre es unmöglich gewesen.

Still dankte er seinen Eltern, dass sie ihn von Kindesbeinen zum Lauftraining gebracht hatten.

Seine Lungen brannten, er konnte fühlen, dass er einen roten Kopf hatte. An einer Litfasssäule stützte er sich ab, den Blick auf den dunklen Beton gesenkt und atmete tief ein.
 

Er verstand gar nichts mehr.

Lennart? Kai? Was?

Eigentlich wusste er nur eines: Jonathan hatte ihn betrogen. Anscheinend mit Kai. Vielleicht aber auch mit Lennart.

Vielleicht aber noch mit vielen weiteren?
 

Bei diesem Gedanken wurde ihm fast schlecht. Er verspürte ein unangenehmes Ziehen in seinen Schläfen, einen widerlichen Druck auf seiner Brust. Die monströse Uhr am Haupteingang des Bahnhofs zeigte 3 Uhr an. In 15 Minuten würden die Nachtlinien fahren. Er blickte die momentan noch leeren Haltestellen an. Eigentlich war es ihm schon sofort klar gewesen, dass er es nicht ertragen könnte, diese Nacht in Jonathans Gesicht zu blicken.

Bereits die Vorstellung dieser ihn musternden grünen Augen tat weh…
 

Verdammt, warum hatte er Stellas Angebot mit dem Schlüssel nur ausgeschlagen?!

Er war ein Idiot!

Wie Jonathan immer sagte…

Eigentlich sollte er froh sein, dass ihn dieses Arschloch betrogen hatte. Jetzt würde ihn nichts mehr davon abhalten mit ihm Schluss zu machen.

Nichts.
 

Wieder fühlte er das Brennen hinter seinen Augenliedern. Schnell hob er den Blick, sah die funkelnden Sterne an. Und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er hier mit nacktem Oberkörper in der Kühle stand, seine Jacke immer noch fest in der Hand haltend.

Er grinste gequält und zog sich das Kleidungsstück endlich über.

Wieder blickte er die große, antik wirkende Uhr an.

Es war 3.04 Uhr.

Viktor seufzte.

Spontan fiel ihm nur eine Überachtungsmöglichkeit ein. Aber ob das die richtige Entscheidung wäre, da war er sich selbst nicht sicher.

Mit gesenktem Kopf schlenderte er auf die Wartebänke im Innern des Bahnhofes zu.
 


 

Die Regionalbahn verließ plangemäß um 6.15 Uhr den Hauptbahnhof aus Gleis 11. Völlig übermüdet stierte Viktor aus dem Fenster und nahm die an ihm im gelassenen Tempo vorbeirasende Landschaft, die kleineren Dörfer, die Felder, die Seen überhaupt nicht wahr.

Gott sei Dank dauerte diese Fahrt nur 50 Minuten. Immer wieder ertappte er sich beim Einnicken und fragte die ihm auf dem gegenüberliegenden Viererplatz sitzenden Passagiere nach seinem Stopp nach.

Er verpasste ihn nicht.
 

Träge schleppte er sich zu einem Minibus.

Nach weiteren 10 Minuten stand er bereits vor seinem Elternhaus. Das Küchenfenster stand auf Kippe. Er konnte sogar die gedämpfte Musik des Küchenradios wahrnehmen. Seine Mutter machte wohl gerade Frühstück…

Zwar besaß er einen Schlüssel, darauf hatten seine Eltern bestanden, doch im jetzigen Moment fühlte es sich einfach nicht richtig an ihn zu benutzen.

Mit einem mulmigen Gefühl drückte er deshalb auf die Klingel und zuckte bei dem Ton den er von draußen vernahm leicht zusammen.
 

Er hörte die näherkommenden Schritte, die seinem Herzklopfen gleichkamen.

Scheiße, wie lange hatte er seine Eltern nicht gesehen? Das letzte Mal hatten sie ihn vor drei Monaten angerufen, wegen eines scheinbar nicht lösbaren PC-Problems. Das war’s dann aber auch. Für einen kurzen Moment überlegte er, ob es nicht doch besser wäre abzuhauen, doch die aufgehende Tür beendete diesen Gedankengang auch sofort.
 

„Viktor!“, rief die etwas kleinere schmale Frau mit den dunkelbraunen Augen und leichten Falten im Gesicht. Ihr dunkelblondes Haar hatte sie zu einem Dutt zusammengeknotet. Ihre leicht rosa geschminkten Lippen formten ein Lächeln. „Was machst du denn hier?“, rief sie nun vollends strahlend aus und stürzte sich förmlich auf ihren Sprössling.

Irgendwie fühlte sich diese mütterliche Umarmung besser als alles andere an.

Er fühlte sich für diese wenigen Sekunden beschützt, geborgen, warmgehalten.

Als sie einen Schritt zurücktrat, verschwand ihr Lächeln.
 

„Viktor, wie siehst du denn eigentlich aus?“, sprach sie entsetzt. Erst jetzt fiel ihr auf, dass ihr Sohn unter der nur halb zugeknöpften Jacke keinen Pullover nicht mal ein T-Shirt trug. „Ist… Ist was passiert? Geht es dir gut? Komm rein! Na los!“, redete sie und zog ihm am Ärmel in das Haus hinein, in dem Viktor so viele Jahre seines Lebens verbrachte hatte. Die auf ihn einströmenden Erinnerungen taten ihm gut, er lächelte leicht.
 

Doch seine Augen fielen ihm fast zu.

„Mir geht’s nicht so gut…“, fing er an, als seine Mutter sich daran machte, ihm beim Ausziehen seiner Jacke zu helfen. Ihre Augen musterten ihn besorgt. „Es ist… Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen, ich…“, stammelte er.
 

„Ich beziehe dir sofort dein Bett, geh du erstmal duschen!“, befahl sie und schon war sie die Treppe hinauf verschwunden.
 

Irgendwie… Tat dieses Verhalten seiner Mutter gut. Als wären all diese Streitigkeiten wegen seiner Sexualität, wegen Jonathan nicht vorgekommen… Als hätte sie nie so abweisend und geschockt auf sein Leben reagiert.

Doch im Moment wollte er nicht darüber nachdenken…

Er wollte über gar nichts nachdenken.
 


 

Das warme Wasser das auf seine nackte Haut niederprasselte entspannte ihn. Es fühlte sich gut an Kais Spuren einfach hinfort zu spülen, von seinem Körper zu waschen. Über zehn Minuten wusch er sich die Haare, seifte sich ein, lehnte sich an die vom Dampf ebenfalls warm gewordene Fliesenwand.
 

Seine Mutter hatte ihm einen alten Jogginganzug, den er bei seinem Auszug hiergelassen hatte, zurecht gelegt. Frische Klamotten an seinem Leib fühlten sich ebenfalls gut an. Langsam ging er hinunter in die Küche, wollte ‚Gute Nacht’ sagen, seiner Mutter einen angenehmen Tag wünschen. Doch als der Geruch von Toast ihm in die Nase stieg, merkte er erst, wie ausgehungert er eigentlich war.
 

„Kann ich etwas zu Essen haben?“, fragte er seine Mutter, die sich augenblicklich zu ihm umdrehte.
 

„Natürlich kannst du das! Toast mit Käse? Salami?“, entgegnete sie sofort und packte zwei neue Scheiben in den Toaster.
 

„Beides“, antwortete Viktor fade.

Seine Mutter lächelte ihn an.

Und irgendwie schaffte er es zurück zu lächeln.
 

„Ich muss jetzt los, OK?“, sagte sie dann zu ihm, als sie ihm seinen Wunsch auf dem Teller vor seine Nase stellte.
 

„OK.“
 

„Ich bin um zwei wieder da, dann reden wir, wenn du magst...“, sagte sie noch ruhig.

Dann war sie fort.

Reden… Eine schlechte Idee…
 

Fünf Minuten später driftete Viktor bereits in einen dunklen und fast komplett traumlosen Schlaf.

Das Klingeln seines nervigen Handys weckte ihn erst einige Stunden später. Riss ihn unangenehm zurück in die Realität.

Hastig griff er nach dem Telefon.

Es war Jonathan.

Schon wieder.

Energisch drückte er seinen Freund weg. Er konnte und wollte die Stimme des Schwarzhaarigen einfach nicht hören!

Und schaltete das Gerät aus.

Es war besser so.

Oder?

Neun

Einen kurzen Augenblick blieb er auf seinem Bett sitzen, strich sich gedankenverloren durch sein langes Haar und seufzte tief. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass seine Mutter schon längst zu Hause war. Sie hatte ihn wohl in Ruhe schlafen lassen. Sein Vater müsste auch bereits von der Arbeit zurückgekommen sein, oder welche Schicht hatte er grad? Irgendwie wurde ihm wieder etwas mulmig bei dem Gedanken an seinen Herrn Papa. Er war damals noch schlechter mit Viktors Coming-Out klargekommen als seine Mutter... Und hatte es wahrscheinlich immer noch nicht akzeptiert.
 

Die Erinnerungen an sein ausdrucksloses Gesicht, als der Hellhaarige es endlich bei einer Familiensitzung aussprach, jagten ihm immer noch einen leichten Schauer über dem Rücken. Sein Vater hatte nichts gesagt. Mit leeren Augen den Tisch betrachtet. Gebannt hatte Viktor ihn angestarrt, die Luft angehalten, auf verständnisvolle Worte gehofft.

Alles was sein Vater dann sagte war: „Oh.“

Ein simples, einfaches, fast schon gehauchtes „Oh.“ Und dann fragte er seine Mutter, was es zum Abendbrot geben würde.
 

Es gab damals frisches Graubrot mit Bio Eiern. Viktor konnte sich noch genau erinnern. Schließlich war es das beschissenste Abendbrot gewesen, das er jemals erlebt hatte. Die ganzen 15 Minuten in denen sie aßen hatten sie sich angeschwiegen. Es war eine bedrückende Stille gewesen. Viktor fühlte sich damals wie ein Versager.
 

Und jetzt fühlte er sich auch nicht besser, als er den alten Jogginganzug erneut anstreifte und sich ins Erdgeschoss des Hauses begab. Die Fernsehgeräusche ließen darauf schließen, dass sein Vater tatsächlich im Haus war.
 

„Hanne!“, hörte er ihn seine Mutter rufen. „Hanne, wann machen wir denn endlich Essen?!“
 

„Wenn der Junge aufwacht, Dieter!“, rief seine Mutter aus der Küche zurück. Und diesen Raum steuerte nun auch Viktor an. Ja, es wäre besser, jetzt zunächst seine Mutter wieder zu sehen. Jetzt direkt auf seinen Vater zu treffen... Nein, das traute er sich einfach nicht. Unausweichlich war es dennoch.
 

„Guten Morgen...“, murmelte er nun als er den besagten Raum betrat.
 

„Hach, da bist du ja!“, begrüßte ihn seine Mutter und lächelte. „Hast du Lust was zu essen? Dann würde ich jetzt Mittag machen. Dein Vater stirbt gerade vor Hunger.“
 

„Äh klar“, entgegnete der Hellhaarige und setzte sich auf einen der Küchenstühle.
 

„Dieter! Viktor ist wach!“, rief seine Mutter, sich aus der Küche in den Flur lehnend.

Verdammt!
 

Jetzt hatte er wirklich gar keine Zeit mehr sich mental auf das Treffen vorzubereiten. Er hörte die Schritte seines Vaters bereits durch den Gang hallen. Und dann stand der 1,80 m große ältere Mann mit dem buschigen, hellen Vollbart bereits im Eingang zur Küche.

„Viktor“, sagte er kurz und knapp und trat mit ausgestreckter Hand auf seinen Sohn zu, der sich umgehend vom Stuhl erhob.
 

Ein kurzer Händedruck. Das war schon immer die intimste Geste zwischen ihm und seinem Vater gewesen. Dann noch ein leicht anerkennendes Nicken. Ende.
 

„Endlich kommste uns mal besuchen“, brummte der immer noch im Blaumann gekleidete Mann und setzte sich gegenüber seines Sohnes an den Tisch. „Warst ja schon lange nicht mehr hier.“
 

„Ja,“, setzte Viktor an. „Das stimmt wohl, aber...“
 

„Wie läuft’s denn an der Uni, hm?“, schnitt sein Vater ihm das Wort ab. Der Hellhaarige war dies noch gewohnt. Wie konnte er es auch vergessen?

Ohne sich etwas anmerken zu lassen beantwortete er die ihm gestellte Frage.
 

„Sehr gut eigentlich. Ich arbeite grad an einer wichtigen Hausarbeit, aber das sollte schon klappen“, erzählte er. „Letztes Semester habe ich alles bestanden und ich hatte auch nur eine vier. Hab nen Durchschnitt von ungefähr 1,9“, fügte er etwas stolz hinzu.
 

„Das ist ja wunderschön!“, sagte seine Mutter, während sie weiterhin am Herd stand und das Mahl zubereitete. Es fing schon an zu herrlich zu duften und diese Gerüche einatmend merkte er, dass er tatsächlich schon wieder Hunger hatte. Kohldampf eigentlich.
 

„Aha“, raunte sein Vater. „Schön, schön.“

Der Ältere nippte an seinem Mineralwasser. Dann stand er auf und holte sich doch lieber ein Bier aus dem Kühlschrank.

„Du auch?“, fragte er Viktor als er sich mit der Flasche in der Hand zu ihm drehte.
 

„Lieber nicht...“, murmelte der Hellhaarige und fing an mit seiner Gabel rumzuspielen.

Merkwürdige Stimmung...

Sein Vater goss sich das bittere Getränk in ein entsprechendes Glas ein und seufzte zufrieden nach dem ersten tiefen Schluck.
 

„Hast wohl genug davon auf den ganzen Studentenparties, was?“, scherzte er mit seiner brummenden Stimme.
 

„So ungefähr, ja...“, antwortete Viktor ohne seinem Vater dabei ins Gesicht zu blicken.
 

„Wie geht es Stella?“, fragte seine Mutter plötzlich. „Ich hab sie letztens in der Stadt gesehen, aber ich wollte sie nicht ansprechen, sie war da mit einem jungen Mann unterwegs, da wollte ich sie nicht stören.“
 

„Oh, Stella geht’s eigentlich ganz gut. Wir sehen uns mindestens ein Mal die Woche. Zum Kaffeetrinken“, erklärte der Hellhaarige leicht lächelnd. Was würde er nur ohne Stella machen?
 

„Das ist schön“, kommentierte seine Mutter. „Und der junge Mann? Ist das ihr Freund gewesen? Der trug so eine komische Mütze, da guckten so bunte Haare raus.“
 

„Ne, das war nur ein Kumpel. Stella hat gar keinen Freund“, lachte Viktor.
 

„Und du?“, fragte sein Vater plötzlich und spürte seinen Blick auf sich ruhend. Diese Frage brachte ihn völlig aus dem Konzept.
 

„Also...“, sagte er und sah seinem Vater dabei in die Augen. Der Alte schaute ihn skeptisch an und als er sich selbst dabei ertappte, versuchte er gezwungen zu lächeln. Ein gequälter und misslungener Versuch. „Ach, das willst du doch eh gar nicht hören oder wissen“, zischte Viktor dann und starrte erneut seine Gabel an, zählte ihre Zacken und versuchte das hineingeschweißte Logo zu entziffern.
 

Ich will das aber wissen!“, mischte seine Mutter sich plötzlich ein und baute sich regelrecht vor ihrem Sohn an. „Ich will das hören!“

Als er sie ansah, blickte sie ihn entschlossen an.

„Jonathan?“, fragte sie dann. „Das war doch dieser Schwarzhaarige, den ich mal im Eiscafé kennengelernt habe, oder? Seid ihr immer noch zusammen? Ich meine, nie von dir gehört haben, dass ihr euch getrennt hättet.“

Viktor musste schlucken.
 

„Das ist jetzt vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt darüber zu reden, Mama...“, presste er irgendwie hervor und zählte die Zacken seiner Gabel erneut.
 

„Oh...“, stammelte die blonde Frau und auf ihrem Gesicht machte sich Verständnis breit, sie zählte eins und eins zusammen. „Also... Du magst doch Tomatensuppe, oder? Die gibt’s jetzt quasi als Vorspeise. Ein altes Rezept von Tante Hilde.“

Viktor nickte nur stumm.

Sein Vater betrachtete ihn immer noch, sagte aber nichts.
 

Während des Essens sagte Viktor eigentlich gar nichts mehr. Gelegentlich antwortete er nur mit ‚ja’ oder ‚nein’, wenn ihn etwas gefragt wurde. Hauptentertainer der freudlosen Gesellschaft war Hanne, seine Mutter, die von irgendwelchen Nachbarn erzählte, die Viktor ihrer Meinung nach kannte, deren Kindern oder irgendwelchen Vorfällen die auf der Arbeit – sie war Sekretärin eines großen Hais bei Siemens – oder im Supermarkt vorgefallen waren.
 

Wow, seine Mutter versuchte tatsächlich dazu beizutragen, dass die Stimmung nicht völlig auf den Nullpunkt sank. Was wer hier los? Was hatte er verpasst? Auch wenn sie dabei ziemlich unbeholfen wirkte und man ohne Probleme ihre Schauspielerei durchschauen konnte, musste man ihr wenigstens den Versuch anrechnen.
 

„So“, sagte sein Vater und erhob sich, schob den Teller beiseite. „Ihr wisst, wo ihr mich findet.“ Mit diesen Worten verließ er die Küche und steuerte, natürlich, das Wohnzimmer an. Das Fernsehgerät rief nach ihm.

Seine Mutter sagte gar nichts, fing an den Tisch abzuräumen.
 

Automatisch erhob Viktor sich und fing an ihr dabei zu helfen. Sie lächelte leicht und sagte, nachdem sie den Abwasch stillschweigend vollbracht hatten: „Danke dir, mein Schatz.“

Und nun standen sie hilflos in der Küche. Der Hellhaarige kratzte sich verlegen am Kopf, seine Mutter setzte öfters mal zum Sprechen an, entschied sich dann in letzter Sekunde doch immer dagegen.
 

„Ähm“, setzte Viktor nach einer Weile, die ihm wie die Ewigkeit erschien, an. „Kann ich noch eine Nacht hierbleiben, oder... Störe ich?“

„Natürlich kannst du hierbleiben, Viktor! Was ist denn das für ne Frage?“, rief seine Mutter aus.
 

„Eigentlich eine ziemlich berechtigte“, entkam es dem Hellhaarigen. Verdammt, warum konnte er gerade seinen Mund nicht halten?
 

„Weißt du, Viktor“, antwortete seine Mutter ernsthaft. „Du machst uns das alles auch nicht leicht.“

Sie sah ihn an und ging dann an ihm vorbei.

Er blieb allein in der Küche stehen.

ER machte es IHNEN nicht leicht??
 


 

Den Rest des Abends verbrachte er allein in seinem Zimmer. Regungslos verharrte er auf seinem weichen Bett, betrachtete die Decke und die Lampe die von eben dieser herunterhing.

Sein Handy hatte er immer noch nicht angeschaltet.

Auch wenn er kurz überlegt hatte Stella anzurufen.
 

Andererseits wollte er nicht schon wieder weinen... Und wenn er Stellas Stimme hören würde und ihr von dem Abend mit Kai berichten müsste, von diesem eindeutigen, auf Band aufgenommenen Geständnis Jonathans... Dann würden seine Augen sicherlich nicht trocken bleiben.
 

Er drehte sich auf die Seite, ausdruckslos, gegen den Schmerz in seiner Brust kämpfend.

Er fühlte sich völlig allein gelassen.

Nicht mal das Haus seiner Eltern bot ihm eine Zuflucht. Die Kälte seines Vaters und die Unbeholfenheit seiner Mutter, auch wenn sie dich diesmal sehr viel Mühe gab, machten diese Situation noch unausstehlicher.

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken.
 

„Ja?“, rief er, ohne sich vom Bett zu erheben.
 

„Kann ich reinkommen?“, fragte ihn seine Mutter.
 

„Ähm, ja klar“, rief er zurück und setzte sich auf.

Sie trat ein und trug einen kleinen Stapel Klamotten mit sich mit.
 

„Hier“, sagte sie und legte die schwarze Jeans und den grünen Pullover neben ihm aufs Bett. „Du hast nichts zum Anziehen und, so wie ich das beurteilen kann willst du momentan nicht in deine Wohnung. Ich hab deine Hosengröße an deiner alten abgelesen, der Pullover müsste auch passen. Ich war grad nur kurz im Einkaufszentrum.“

Erneut lächelte sie sanft.
 

„Wow...“, stammelte Viktor. „Danke...“

Eine Weile schwiegen sie wieder und der Hellhaarige starrte auf die neuen Klamotten.
 

„Viktor...“, sagte seine Mutter plötzlich mit einer sanften Stimme und ihr Sohn blickte sie endlich an. „Ich möchte nicht, dass du denkst, dass wir dich nicht lieb haben.“
 

„W-was...“, stammelte der Angesprochene.
 

Sie seufzte und starrte aus dem Fenster.

„Es war nicht leicht für mich, als ich erfuhr, dass du schwul bist, weißt du?“, fing sie an und bereits die Tatsache, dass sie das ‚böse Wort’ ohne zu zögern aussprach, verwirrte Viktor. „Jede Mutter rechnet doch normalerweise damit, dass ihr Sohn irgendwann ein nettes Mädchen mit nach Hause bringt, oder nicht? Und jede Mutter träumt doch, dass sie eine tolle Schwiegertochter zum Vorzeigen bekommen wird, mit der sie Weiberabende veranstalten kann“, sie lachte leicht. „Und dein Vater... Es hat ihm das Herz gebrochen, als er sich plötzlich ausmalen musste, dass er vielleicht nie Opa werden wird. Und dass sein Sohn nie ein Mädel nach Hause bringen wird, weil er auf andere Männer steht. Du weißt, wie dein Vater aufgewachsen ist, Schatz. Für ihn ist das... nicht normal.“
 

„Ich finde es nicht normal, dass ihr mich wie einen Aussätzigen behandelt habt!“, zischte Viktor und stierte ebenfalls aus dem Fenster.

Seine Mutter seufzte.
 

„Du hast es uns nicht leicht gemacht“, wiederholte sie.
 

„Was soll das denn eigentlich heißen?!“, fragte Viktor leicht mürrisch.

Kurz war es wieder still.

Dann setzte seine Mutter erneut an.

„Nachdem du uns davon erzählt hattest, hast du uns überhaupt gar keine Chance gegeben, uns damit abzufinden. Viktor, das war ein SCHOCK für uns! Die ganze Zeit dachten wir, du würdest mit Mädchen ausgehen und eine Freundin haben und dann sagst du uns plötzlich, dass du einen Freund hast. Dieser Dirk, oder wie er auch hieß.“
 

„Ja, Dirk“, bestätigte Viktor ausdruckslos.
 

„Wir waren überhaupt nicht vorbereitet. Wir mussten erstmal miteinander reden. Jetzt, wo du selber vielleicht weißt wie das in einer längeren Partnerschaft ist, kannst du das auch vielleicht verstehen, dass ich erstmal ruhig und allein mit deinem Vater darüber reden musste, um mit mir selbst in Einklang zu kommen und diesen Fakt zu akzeptieren“, sagte sie.

„Und jedes Mal, wenn ich mit dir darüber reden wollte, hast du abgeblockt“, fuhr sie fort. „Weißt du eigentlich, wie aggressiv du zu uns warst? Und dann bist du fast jeden Abend so spät nach Hause gekommen, hast uns ignoriert, nicht einmal Bescheid gesagt, wenn du woanders übernachtet hast. Gott weiß wo... Denkst du, das hat die ganze Situation besser gemacht? Irgendwann hat dein Vater beschlossen, einfach gar nichts mehr zu sagen, weil ihm deine Reaktion verdammt wütend und enttäuscht gemacht hat. Und ich schloss mich an. Was meinst du, warum er dich immer angeschrien hat? Er hat einen sehr impulsiven Charakter, natürlich ist das nicht gut, aber er war so verwirrt und hat sich ignoriert geführt, dass er einfach nicht wusste, wie er reagieren soll. Und ich auch nicht. Und dann erzählst du mir noch nicht mal von deinem neuen Freund und ich muss mit ansehen, wie ein fremder Mann dir in einem gefüllten Eiscafé das Eis vom Mund leckt... Vielleicht bin ich ja konservativ, aber das musst du dann auch akzeptieren, dass mich das schockiert hat.“
 

Stille kehrte erneut an.

Viktors Augen waren weit aufgerissen. Jedes Wort seiner Mutter hatte er eingesogen, gespeichert.
 

„Als du dann sagtest, du willst ausziehen, haben wir gedacht, dass dieser Umstand alles zum Guten verändern würde. Dass wir vielleicht wieder zueinander finden würden, wenn wir nur genügend Abstand haben würden, der uns die Gelegenheit geben könnte in Ruhe über alles nachzudenken“, sprach sie.
 

„Und warum habt ihr euch dann nicht öfters bei mir gemeldet?!“, fuhr Viktor sie heiser an.
 

„Ach, Schatz... Wir dachten... Wir wollten dir Zeit geben, damit klar zu kommen und haben gehofft, dass du uns eines Tages einfach anrufen und einladen würdest, um uns deinen Freund vorzustellen... Anscheinend... War das nicht richtig von uns. Wahrscheinlich hast du Recht... Vielleicht hätten wir uns wirklich mehr Mühe als Eltern geben sollen...“, sagte sie leise und blickte ihren Sohn von der Seite an.

„Es tut mir Leid, Viktor“, sagte sie und legte ihre Hand auf seine Schulter.

Unkontrolliert schluchzte er.
 

„Es tut mir auch Leid, Mama...“, stotterte er unter Tränen. Das war alles zu viel für ihn. Die Erklärungen seiner Mutter, die alte Bilder hervorbrachten und in ein bis dato unbekanntes Licht stellten, die Erinnerungen an Jonathan und an diese momentane, mega-beschissene Situation.
 

Sie streichelte seine Schulter ruhig.

„Wollen wir das nicht einfach alles vergessen und neu anfangen, hm?“, fragte sie ihn leicht lächelnd nach einiger Zeit.

Der hellhaarige junge Mann strich sich die Tränen weg und blickte sie ebenfalls an. Nickte. Sie umarmten sich.

„Und was ist mit Papa?“, fragte er leise.
 

„Du kannst nicht von ihm verlangen, dass er es jemals gutheißen wird. Aber er toleriert es. Auch wenn es ihm schwer fällt. Du bist sein einziger Sohn, du weißt, dass er dich lieb hat.“
 


 

Es war komisch mit seinem Vater vor dem Fernsehen zu sitzen. Sie redeten kaum. Doch dass sie sprachen miteinander war für beide genug.

Irgendwann tranken sie doch ein Bier miteinander. Und seinem Vater gelang es sogar richtig, ehrlich zu lächeln.
 

„Ich geh ins Bett“, sagte er irgendwann. „Morgen Frühschicht. Ich entschuldige mich jetzt schon, falls ich dich morgen aus Versehen wecken werde.“
 

„Schon OK“, grinste Viktor.
 

„Und...“, sagte der ältere Mann noch und fasste Viktor im Vorbeigehen an die Schulter, drückte leicht zu. „Das wird schon wieder, egal was es ist.“

Er nickt ihm zu und verschwand.

Das wird schon wieder...

Die Bilder, die er den ganzen Tag lang hatte versucht zu unterdrücken, holten ihn wieder ein. Wie ein Alptraum, aus dem man versuchte aufzuwachen.

Es gelang niemals.
 


 

Er ging nicht zur Uni. Die Vorlesungen hätten ihm jetzt den Rest gegeben. Nur kurz hatte er sein Telefon eingeschaltet und seinen Kommilitonen eine SMS zukommen lassen, mit der Bitte ihn auf die Anwesenheitslisten einzutragen.

Ein leichtes Spiel.

Die von Jonathan geschriebenen SMS ignorierte er, wollte sie nicht lesen, ließ sie ungeöffnet im Speicher.
 

Auch Stella schrieb er eine Nachricht, damit sie sich keine Sorgen machen musste. Sagte ihr, wo er sich gerade befand und dass es ihm gut ging. Dieser Umstand war natürlich gelogen und sie würde es wissen. Aber es hörte sich einfach besser an als zu schreiben: „Wie immer geht es mir Scheiße, ich heule mir wegen des Mistkerls die Augen aus und will die Zeit zurückdrehen.“
 

Ab und an kam seine Mutter in das Zimmer in den zwei Tagen, in denen er sein Elternhaus gar nicht verließ, die Wand anstarrte, ab und zu das kleine Radio anschaltete und sonst eigentlich nur mit seinen Eltern die Mahlzeiten einnahm, mit seinem Vater fernsah und sich von seiner Mutter den neusten Nachbarschaftsklatsch mitteilen ließ.
 

Am dritten Tag, war es Morgen, war es Nachmittag, die dunklen Wolken am Himmel verdeckten ebenfalls das Zeitgefühl, betrat seine Mutter erneut das Zimmer.
 

„Viktor, der junge Mann, der da die ganze Zeit vor unserem Haus steht, ist das nicht dieser Jonathan?“
 

Sein Herz pochte. Zum ersten Mal nach dieser Zeit des Nichtstuns sprang er fast schon vom Bett auf und ging schnellen Schrittes zum Fenster.

Er hielt die Luft an.

Tatsächlich.

Dort an der Pforte stand Jonathan.

Ihre Blicke trafen sich.

Scheiße! Er fühlte wie ihm die Tränen wieder in die Augen stiegen.

Jonathan hob seine Hand zum Gruß, sah ihn fragend, bittend an.

Sofort drehte Viktor sich um.
 

„Kannst du ihm bitte sagen, dass er sich gefälligst verpissen soll?“, murrte er zu seiner Mutter und schmiss sich wieder aufs Bett, schaltete das Radio daneben ein.
 

„Ja... Mach ich“, entgegnete seine Mutter leise und schloss ebenso geräuschlos die Tür hinter sich.
 

Woher wusste dieser Penner, dass er hier war? Woher wusste er überhaupt wo seine Eltern wohnten? Er hatte ihn doch niemals hierher geschleppt!

Es machte „Klick!“ in seinem Kopf.

Stella!
 

Umgehend schaltete er sein Handy wieder an und wählte direkt ihre Nummer.

„Viktor!“, rief sie aus.

„Du hast es ihm gesagt, oder?!“, schrie er sie an.

„Was? Hä?“, fragte sie.

„Jonathan!“, keifte er. „Du hast ihm gesagt wo ich bin.“

„Wirklich, denkst du, er hätte mich in Ruhe gelassen?!“, keifte Stella zurück und seufzte dann. „Vielleicht solltest du ja doch mit ihm Reden. Hör dir an was er zu sagen hat.“
 

„Solche Töne aus deinem Mund, Stella! Ist dir ein Bügeleisen auf den Kopf gefallen? Oder wurdest du von irgendeinem Idioten zu hart durchgenommen?!“, schrie er ins Telefon.
 

„Beruhig dich, Viktor!“, seufzte sie.

Doch der Hellhaarige dachte gar nicht daran.
 

„Wie auch immer, vielen Dank auch!“, fauchte er und beendete das Gespräch.
 

Zitternd saß er auf dem Bett. So viele Emotionen prasselten gleichzeitig auf ihn nieder. Angst, Schmerz, Wut, Freude, Hass, Verwirrung. Er wusste gar nicht wie er reagieren sollte. Was er überhaupt denken sollte.

Was er tun sollte.

Also blieb er liegen, versuchte dem Moderator des Senders zuzuhören, nicht an Jonathan zu denken.
 

Erst nach zwei Stunden stand er auf und ging sehr, sehr langsam zum Fenster. Als er hinaus schaute, machte sein Herz erneut einen Riesensprung. Jonathan war immer noch da, er saß auf der Mauer, den Kopf leicht nach unten gehängt.

Als der Hellhaarige merkte, dass der Grünäugige langsam seinen Kopf hob, ging er schnell in die Hocke, aus dem Sichtfeld hinaus.

Was zum Teufel...?!
 

Zitternd ging er die Treppenstufen nach unten und fand seine Mutter im Bügelzimmer.

„Hast du... Hast du ihm gesagt, dass er gehen soll?“, fragte er sie umgehend.

Hanne hob ihren Kopf.
 

„Ja. Ja, natürlich hab ich ihm das ausgerichtet. Vielleicht etwas netter, als du es formuliert hast...“, antwortete sie ihm.
 

„Warum ist er dann immer noch da?!“, schrie er fast.

Seine Mutter legte das Bügeleisen zur Seite.
 

„Er sagte mir, dass er erst gehen wird, nachdem du mit ihm gesprochen hast“, erklärte sie ihm.
 

Viktor verschlug es die Sprache.

Was zum Teufel war mit Jonathan los?!
 

„Willst du mir nicht endlich sagen, was passiert ist?“, fragte seine Mutter ihn vorsichtig.
 

„Wenn es dich so brennend interessiert: Er hat mich betrogen. Achja, vorher hat er noch irgendwann Tante Hildes Porzellan zerschlagen, als er wütend auf mich war, mich behandelt wie Dreck und dann auch noch verprügelt. Aber keine Sorge, dafür habe ich mich bereits gerächt“, spie er aus und verließ stampfend den Raum.
 

Als er sein altes Zimmer betrat zog er wütend die Vorhänge zu und riss sie fast dabei ab. Sollte der Idiot doch da campieren, er wollte ihn nicht sehen, wollte nichts von ihm hören, wollte nicht seine Stimme hören...

Erneut fühlte er die Tränen seine Wangen hinunter rennen...
 

„Scheiße!“, fluchte er laut. „Scheiße!“

Stunden später fiel er in einen traumlosen Schlaf.
 


 

Als er am nächsten Morgen aufwachte, verspürte er noch nicht mal Hunger. Er spürte gar nichts, außer eine unangenehmen Leere. Vielleicht redet er sich das auch nur ein?

Vielleicht wollte er sich einfach nicht eingestehen, dass er Jonathan vermisste?
 

Es kostete ihn viel Kraft nicht an viele Situationen ihres gemeinsamen Lebens zu denken... Nicht an Kleinigkeiten zu denken, die sie gemeinsam erlebt hatten. Er fühlte sich an, als hätte ihm jemand seinen Arm ausgerissen, oder sein Bein. Einen essentiellen Teil seines Körpers, ohne den es schwer war weiter zu leben. Aber möglich.

Es war möglich!

Er musste sich daran klammern!
 

Vorsichtig zog er die Gardinen beiseite, lugte hinaus.

Nichts und niemand. Nur seine Nachbarn. Ein Auto fuhr vorbei.

Keine schwarzen Haare, kein perfekter Körper, kein Jonathan.

Viktor seufzte.

Langsam schleppte er sich unter die Dusche, versuchte zu entspannen, zu vergessen, nahm sich Zeit. Es brachte nichts.

Als er sich im Zimmer umzog und die Sachen, die ihm seine Mutter gekauft hatte anstreifte, klopfte jemand.
 

„Herein!“, sagte er ohne sich umzudrehen, schaltete das Radio ein.

Langsam öffnete sich die hölzerne Tür.
 

„Ähm.. Viktor?“, fragte eine so verdammt bekannte Stimme vorsichtig.

Eine Stimme, die es ihm eiskalt über den Rücken laufen ließ, seine Nackenhärchen sich aufstellen ließ, sein Herz laut pochen ließ.

Umgehend wirbelte der Hellhaarige herum.

In der Tür stand Jonathan und blickte ihn unsicher an.

Zehn

„Was zum... Was zum Teufel machst du hier?!“, schrie Viktor ihn heiser an, ohne sich zu bewegen. Währenddessen schloss Jonathan leise und sehr vorsichtig die Tür hinter sich zu und sah den Hellhaarigen erneut an. „Wie bist du hier reingekommen?!“, schrie dieser ihn weiterhin an.
 

„Deine Mutter hat mich reingelassen...“, antwortete der Schwarzhaarige ruhig.
 

„Was?! Meine Mutter?!“, zischte Viktor ungläubig. Wütend. Und verzweifelt.
 

„Bitte...“, murmelte Jonathan und nahm einen Schritt auf Viktor zu. „Gib mir nur ein paar Minuten. Wir müssen reden, Vik.“
 

„Mein Name ist Viktor. Schieb dir dein Vik sonst wo hin, Jonathan“, bemerkte der Hellhaarige gehässig und verunsicherte Jonathan für einige Sekunden. Und ehrlicherweise verunsicherte er sich selbst auch damit. Woher nahm er diese Energie? Hass und Enttäuschung schienen eine kraftvolle Mischung zu sein.
 

„Viktor“, sprach der grünäugige Mann ihn nun ernsthaft und zugleich sanft ein. „Bitte, können wir reden?“
 

„Tun wir das nicht gerade?!“, fuhr der Angesprochene ihn wieder sarkastisch an.

Jonathan seufzte.
 

Zu seinem Entsetzen musste Viktor feststellen, dass ein schmerzvoller Ausdruck Jonathans Gesicht zeichnete. Zudem entdeckte er erst jetzt die dunkleren Augenringe und das nicht wie sonst immer perfekt sitzende, etwas längere tiefschwarze Haar. Sein Freund, nein, gleich Ex-Freund, blickte ihn traurig an, gequält.
 

Hatte Viktor ihn so schon mal erlebt?

Wahrscheinlich nur in seinen Träumen, die jetzt auf diese beklemmende Art und Weise wahr wurden.

Er schluckte.
 

Jonathan stand immer noch unsicher nur einen Schritt von der Tür entfernt, in seiner Bewegung wie festgefroren. Verdammt, was war nur los mit ihm? Sonst war er doch immer ein vor Energie und Selbstsicherheit triefender junger Mann. Manche bezeichneten ihn sogar als arrogant und besserwisserisch. Er hatte doch immer einen frechen Spruch auf den Lippen, immer ein Kontra zu bieten. Und jetzt? Jetzt stand er da wie ein Häufchen Elend.
 

Viktor ertappte sich dabei, wie er langsam etwas wie Mitgefühl in ihm wuchs - und verfluchte sich umgehend für die Formulierung dieses Gedankens. Dieser Mistkerl hatte ihn betrogen! Dieser Bastard behandelte ihn wie Scheiße! Dieses Arschloch hatte gelogen als er sagte, dass er ihn liebte!

Diese Person verdiente keinen einzigen positiven Gedanken und erst recht nicht von ihm!

Viktor seufzte.
 

„Was willst du, Jonathan?“, fragte er ihn schließlich kalt und lehnte sich gegen die Wand, starrte aus dem Fenster.
 

„Ich will dir sagen, wie unheimlich Leid mir das tut“, winselte Jonathan schon fast. „Ich will es dir erklären.“
 

„Die Erklärung liegt doch auf der Hand!“, fuhr Viktor ihn an. „Du hast die Schnauze voll mir, also fickst du jemanden anders! Und die Sache ist gegessen!“

Sein eigenes Herz zog sich bei diesen ausgesprochenen Worten zusammen, ein eisiger Schmerz fuhr durch seine Brust.
 

„Nein, Viktor, NEIN!“, schrie der Schwarzhaarige plötzlich und brachte sein hellhaariges Gegenüber zum abrupten Schweigen. „So ist das nicht...“, fügte er mit einer sehr leisen und zitternden Stimme hinzu. „So war das nicht...“, er schaute ihm in die Augen.
 

„Wie war es dann?“, fragte Viktor mit einer gespielten kühlen Stimme. Wieso gab er sich diese ganze Situation überhaupt? Wieso ließ er es zu, dass Jonathan ihm ein weiteres Mal Schaden zufügte, ihn ein mentales Messer durch die Brust jagte. Langsam und präzise und sich bei den Resultaten wie ein kleines Kind freute, das einen Regenwurm durchtrennte und entzückt dabei zusah, wie beide Hälften sich noch auf dem schleimigen Boden räkelten.
 

„Die letzten Monaten waren echt scheiße zwischen uns, darüber haben wir ja bereits gesprochen...“, fing Jonathan leise und traurig an. „Ich... Ich war einfach wieder total down, dass du nichts gesagt, nichts gemacht hast, während ich total das Arschloch war. Und dann kam noch dazu, dass ich damals aus dem Supermarkt gefeuert wurde. Klar war das ein scheiß Job! Aber ich hatte wenigstens einen. Und...“, er seufzte laut, holte Luft, sammelte sich und Viktor war immer noch darüber erstaunt seinen Partner so vor sich zu sehen. „Du hattest mich schon so lange nicht mehr wegen meiner Situation gefragt, dass ich dachte, dich würde es überhaupt nicht interessieren...“, sagte er.
 

Viktor schnaubte verächtlich. „Du hast mir NIE etwas erzählt, Jonathan und bist dann einfach immer aus dem Haus raus. Selbst wenn ich dich manchmal gefragt habe, wohin du denn gehst, hast du aggressiv reagiert. Denkst du da hat man irgendwie noch Lust nachzuhaken?!“
 

„Mag sein, dass ich scheiße reagiert habe, aber wenn, dann wirklich nur, weil ich mich verletzt und allein gefühlt habe wegen dieser Jobsituation. Du hast eine tolle Uni, bist gut, wirst irgendwann Lehrer werden. Für dich ist das einfach, für mich ne ganz andere Situation!“, fuhr Jonathan etwas lauter, aber immer noch mit zitternder Stimme fort. „Mann scheiße, ich bin einfach ein Arschloch!“
 

Viktor sagte nichts, beobachtete den Schwarzhaarigen weiter, der sich mittlerweile aufs Bett gesetzt hatte und seine Stirn gegen die eigenen Handflächen presste, den Boden anstarrte. Weiter erzählte. „Ich bin dann immer, um nicht weiter darüber nachzudenken und wahrscheinlich, weil ich einfach Bock auf Party hatte, ins Blue gegangen. Mit alten Kollegen, mit neuen Bekannten, die ich da kennenlernte. Und irgendwann hat mir irgendwer Kai vorgestellt.“
 

Bei dem Erwähnen dieses Namens, machte Viktors Herz einen unangenehmen Sprung. Es schauderte ihm ein wenig.
 

„Wir haben uns echt einige Wochen immer nur im Blue getroffen und eigentlich nur gequatscht. Es war rein freundschaftlich. Ich wusste auch gar nicht, dass er Single ist und das bisschen bedeutungslos flirten tat mir gut. Ich hätte ja nie gedacht, dass er es irgendwie ernst meint. Oder...“, er stockte kurz. „Oder das mir das irgendwann zu Kopf steigen würde...“, beendete er gepresst den Satz.
 

„Wie oft hast du mit ihm geschlafen?“, fragte Viktor und mit jedem Wort, welches seinen Mund verließ, wurde das mentale Messer immer tiefer in sein Fleisch gespießt.
 

„Ein Mal!“, schrie Jonathan fast schon hysterisch und blickte Viktor mit seinen leicht geröteten Augen an. „Nur ein Mal, wie ich’s dir schon auf die Mailbox und in den SMS geschrieben habe! Nur ein Mal! Ich war total betrunken, wir waren im Blue, ich hab’s nicht mehr nach Hause geschafft, er hat mir nen Schlafplatz angeboten, du warst eh mal wieder bei Stella und bist mir aus dem Weg gegangen und – Zack! Dann sind wir in der Kiste gelandet.“
 

Viktors Hände hatten sich unbewusst zu Fäusten geformt.

Er kämpfte gegen die Tränen an.

Doch als er Jonathan erneut ansaß, der sich die Haare raufte, seinen Kopf zu Boden gesenkt hielt und dicke, nasse Tropfen sich ihren Weg über seine Wangen bannten, ergriff es ihn auch.

Gleichzeitig war er geschockt und sowieso völlig verwirrt. Als wäre er eben erst in einen schweren Unfall verwickelt gewesen und wäre gerade so mit dem Leben davon gekommen.

Was zum Teufel war hier los?!

Jonathan WEINTE?!
 

Wieso musste er überhaupt in dieser scheiß Situation stecken?!

Am liebsten wäre es ihm, er hätte von diesem Mist überhaupt nichts mitbekommen... Aber dafür steckte er schon viel zu tief in der Scheiße.
 

„Was ist mit Lennart?!“, raunte er Jonathan an und wischte, sich die Tränen weg.

Der Angesprochene hob seinen Kopf.
 

„L-Lennart?“, stammelte er, seine Augen immer noch rot von den Tränen.
 

„Ja, der Kerl neben Kai auf dem Foto. Dein Herzallerliebster meinte nämlich, du hättest mit seinem Freund – Lennart – geschlafen. Deswegen hatte er auch angeblich auf mich gewartet, um mich aufzuklären“, erklärte Viktor.
 

Mit der Faust knallte der Schwarzhaarige sich gegen sein eigenes Knie.

„Diese falsche Schlange!“, spie er.

Erneut wiederholte er die Bewegung.
 

„Ich will jetzt endlich die ganze Geschichte hören!“, schrie der Hellhaarige ihn plötzlich an, seine Stimme von Wut und Hysterie getränkt. Für einige Sekunden starrte Jonathan ihn an, dann fuhr er fort.
 

„Der Typ aufm Foto heißt nicht so. Das ist ein Kumpel von ihm. Marc oder Marcus. Die haben und hatten nichts miteinander. Der wollte dich reinlegen! Ich hatte ihn schon damals im Blue, wo wir zusammen da waren, gesagt er soll sich von dir und von mir fernhalten! Er hatte mir einige Wochen zuvor gestanden, dass er sich in mich verliebt hat“, Jonathan schwieg eine Weile, wie Viktor, der die Bilder, die sich automatisch vor seinen Augen ausmalten gar nicht sehen wollte, gar nicht darüber nachdenken wollte. Aber er hatte keine Wahl.
 

„Ich hab ihm gesagt, dass ich nichts von ihm will. Dass er das ganze als einen One-Night-Stand betrachten sollte, dass wir einfach Freunde bleiben wollten. Und als wir beide dann geredet hatten...“, er lächelte leicht traurig. „Dann hab ich ihm gesagt er soll mich auch als guten Freund vergessen. Ich hab ihm erzählt, dass es bei uns wieder bergauf geht und ich glücklich mit dir bin...“
 

Viktor schnaubte, doch Jonathan ignorierte dies.
 

„Ich hätte es eigentlich schon wissen müssen, als er da zu mir meinte ‚Das werden wir noch sehen’, dass dieser Psychopath etwas plant. Scheiße!“, erneut knallte er die Faust gegen sein Knie.
 

„Wir haben fast miteinander geschlafen“, sagte Viktor mir einer ausdruckslosen, leer wirkenden Stimme.

Stille entstand.

Jonathan atmete laut aus.

„W-was heißt fast...?“, fragte er dann.
 

„Wir haben uns im Blue getroffen, einige Cocktails getrunken und sind dann ins Hotel gegangen. Doch als wir fast soweit waren, musste ich an dich, meinen immer noch offiziellen Freund, meinen Partner denken und spürte, dass es falsch ist, was ich tue. Siehst du wie dumm ich bin, Jonathan? Siehst du wie dumm ich bin?!“, redete er gehässig und wurde dabei immer lauter. „Ich hatte immer noch das Gefühl von Loyalität. Wenn ich mit jemandem zusammen bin, egal wie scheiße die Situation gerade ist, dann bin ich TREU, verstehst du? Und selbst wenn ich betrunken bin, kann ich mich noch stoppen! Weil ich davon ausgehe, dass mein FREUND mit vertraut“, er atmete laut. „Und eigentlich bin ich ja immer davon ausgegangen, dass ich auch meinem Freund, dass ich dir vertrauen kann. So kann man sich täuschen...“
 

Erneut musste er sich verärgert die Tränen aus dem Gesicht wischen.
 

„Es tut mir Leid, Vik...“, flüsterte Jonathan, der zu einem wahren Häufchen Elend mutiert war.
 

„Davon kann ich mir auch nichts kaufen“, lachte Viktor traurig.
 

„Ich...“, setzte Jonathan an, verstummte jedoch umgehend wieder.

In völlige bedrückende Stille gehüllt verblieben sie in ihren Positionen. Jonathan auf dem Bett sitzend, Viktor am Fenster gegen die Wand lehnend.

Erst nach einer Weile hob der Hellhaarige leicht den Blick und musterte sein Gegenüber vorsichtig. Betrachtete die ihn so bekannte Person, den ihm so vertrauten Mann. Seinen Freund. Seinen Partner.
 

War es das letzte Mal, dass sie so zusammen in einem Raum saßen?

Viktor wusste, dass sie hier die letzten Minuten als Paar verbringen könnten, würde er mit ihm Schluss machen, würde er die gehässigen, kalten so viel bedeutenden Wörter aussprechen. Würde er einfach seinen Mund aufmachen, das lächerliche Gespräch beenden und Jonathan aus seinem Elternhaus werfen.

Es war so einfach.

Es könnte so einfach sein.

Wäre diese ganze Situation nicht so verdammt kalt und würde das alles nicht so schwer auf seiner Seele, seinem Herz lasten.
 

Jonathan war Teil seines Lebens, Jonathan war sein Leben. Wieso musste das alles gerade passieren? Wieso wurde sein ganzes, bereits angerissenes Bild nun in kleine Einzelteile zerfetzt? Der ihm so vertraute Mann kam ihm plötzlich wie ein Fremder vor. Und doch, wenn er ihn anblickte so wie jetzt, war diese Nähe für einige Sekunden wieder da.
 

Bis diese Bilder, die Bilder des Verrates, das Lächeln welches er einem anderen schenkte auftauchten. Bilder wie aus einem schlechten Film, den man am liebsten wieder so schnell wie möglich vergessen würde.

Verdammt! Viktor zitterte am ganzen Körper.

Jonathan seufzte laut und versuchte sich das ganze Nass aus seinem Gesicht zu wischen. Dann blickte er den Hellhaarigen an. Verzweiflung, Trauer, Angst spiegelten sich in den grünen Augen wieder.
 

„Viktor, ich...“, fing er mit zitternder Stimme an. „Bitte mach nicht mit mir Schluss! Ich weiß, ich kann es nicht wieder gut machen, aber...“
 

„Aber WAS?!“, schrie der Hellhaarige ihn an. „Aber WAS?!“
 

Jonathans Augen weiteten sich für einige Moment bevor er verzweifelt antwortete: „Ich liebe dich!“
 

„Du bist so ein billiges, dreckiges Arschloch, Jonathan...“, presste Viktor in einer für ihn untypischen, düsteren Stimme hervor, die sein Gegenüber völlig überraschte, aus dem Konzept brachte, die naive Hoffnung zerstörte. „Hau ab, Jonathan! Ich will dich nicht mehr sehen, verpiss dich!“, schrie Viktor, nahm einen Schritt auf seinen bescheuerten Freund zu, der sich umgehend vom Bett erhob.
 

„Vik...“, sagte dieser verzweifelt.
 

„Ich sagte, du sollst dich verpissen! Hau ab!“, schrie der Hellhaarige erneut und es schien als würde seine Stimme dabei immer lauter und immer wütender werden.
 

„V-Vik...“, stotterte Jonathan wieder. „Bitte... Bitte nicht...“
 

„HAU AB!!“
 


 

Einige Stunden später saß der Hellhaarige noch immer auf dem Boden direkt unter dem Fenster, seine Arme um die eigenen Beine geschlungen, sein Kopf auf den Knien ruhend.

Die Tränen die er geweint hatte waren bereits getrocknet. Seine Augen waren leer, wie auch sein Inneres, sein Herz. Es schlug noch, aber im Moment fragte er sich wofür überhaupt...

Das leichte vorsichtige Klopfen ließ ihn kurz aufschrecken. Er sagte nichts. Langsam öffnete sich die Tür und seine Mutter lugte ebenso vorsichtig hinein.
 

„Viktor?“, flüsterte sie schon fast.
 

„Komm rein“, gab ihr Sohn schwach zurück.

Sie setzte sich aufs Bett, blickte ihn sanft lächelnd an.
 

„Vielleicht solltest du was essen, hm? Ich hab grad Lasagne für dich gemacht. Sogar dein Vater wartet noch mit dem essen“, sprach sie ebenso sanft wie ihr Lächeln war.

Viktor seufzte.

Ihm war nicht nach essen.

Auch wenn er Hunger hatte.

Ein weiterer Blick auf seine Mutter ließ ihn dennoch aufstehen. Wenn seine Beziehung zu Jonathan schon kaputt war, musste er nicht noch einen draufsetzen und die neugewonnene Chance mit seinen Eltern in den Sand setzen.
 

Sein Vater erzählte von lustigen Fällen auf der Arbeit, von eingeschlafenen Kranfahrern, die erst von der nächsten Schicht entdeckt wurden, von sinnlosen Diskussionen über BILD-Artikel die dazu führten, dass die ganze Produktion zum Stillstand kam, weil die Arbeiter versäumt hatten auf ihre Bildschirme zu blicken, von Grillfesten im hinteren Bereich der Maschinen, in denen keine Überwachungskameras aufgebaut waren.
 

Für einige Zeit kam es Viktor sogar vor, als wäre es wie früher. Als er noch ein Kind war. Irgendwie war das ein beruhigendes Gefühl. Ein schönes Gefühl.

Die Zeit zurückdrehen, ja, das wäre auch schön.
 

Und dann würde er Jonathan auf Stellas Party ignorieren und einen tollen Typen woanders kennenlernen und mit ihm glücklich werden, eine tolle Partnerschaft führen und müsste sich jetzt nicht mit diesen momentan Scheiße rumschlagen.

Er seufzte laut.
 

„Schmeckt es dir nicht?“, fragte seine Mutter besorgt.
 

„Doch, es ist super lecker, Mama!“, entgegnete der Hellhaarige sofort und es gelang ihm sogar zu lächeln.
 

„Aber du hast doch fast gar nichts davon gegessen!“, beschwerte sich die blonde Frau immer noch in einem sanften Ton.
 

„Sorry...“, murmelte Viktor und starrte seinen immer noch etwas gefüllten Teller an.
 

„Männer dürfen nie zu dünn sein!“, lachte sein Vater und klopfte sich selber auf seinen etwas herausstehenden Bauch.

Die Familie lachte.

Als seine Mutter anfing abzuräumen, erhob sein Vater sich. Da er auch morgen zur Frühschicht musste, war frühes Schlafengehen für das Familienoberhaupt angesagt.

Im Vorbeigehen klopfte er seinem Sohn auf die Schulter und sagte: „Das wird schon wieder.“

Dann war er weg.

Und Viktor blieb erstaunt am Küchentisch sitzen.
 


 

Am nächsten Tag ging er wieder nicht zur Uni. Bis zum Ende dieser Woche hatte er es auch nicht vor. Momentan konnte er einfach nur auf dem Bett liegen und regungslos die Decke anstarren.
 

Auch wenn er es versuchte abzuschalten schlängelten sich seine Gedanken immer wieder zu Jonathan zurück. Zu den Erinnerungen an die gemeinsame Zeit, vor allen zu den Anfängen, zu der Vertrautheit und Gewohnheit die ihm momentan fehlte. Er vermisste das Aufwachen im gemeinsamen Bett, das Einkehren in das gemeinsame Heim...

Ob Jonathan auch so dachte?
 

Bei solchen Gedanken überkam ihm dann immer wieder die Wut, Bilder strömten durch seinen Kopf, die er seiner dunklen Fantasie entlockte. Jonathan mit irgendwelchen fremden Kerlen im gemeinsamen Bett... Wahrscheinlich war er jetzt jeden Tag auf Party, mit seinen ach so tollen Bekannten.
 

Vielleicht war er ja jetzt doch mit Kai zusammen?

Warum sollte er das nicht ausnutzen?

Wütend schlug Viktor in sein Kissen ein.

Seufzte.
 

Im Laufe des Tages kam seine Mutter ins Zimmer und brachte einen Stapel Klamotten ins Zimmer, die Viktor umgehend als die seinigen erkannte. Erstaunt setzte er sich auf. Woher...?

„Die hat Jonathan eben vorbeigebracht“, erklärte ihm seine Mutter. „Er dachte, du könntest sie gebrauchen.“
 

Leise verließ sie das Zimmer und der Hellhaarige stürzte sich umgehend zum Fenster.

Jonathan?

Doch von dem Schwarzhaarigen war weit und breit nichts mehr zu sehen. Als er realisierte, dass sein Herz laut pochte und er so lächerlich verzweifelt am Fenster stand, verfluchte er sich selbst.
 

Wieso war es ihm so wichtig gewesen einen Blick auf seinen Ex zu werfen?

Warum wollte er sich quälen?

Warum reagierte er so auf alles, was irgendwie mit Jonathan zu tun hatte?

Was sollte dieser Schmerz in seiner Brust?

Völlig aufgebracht, wütend, verletzt, trat er nach dem Stapel Klamotten, verteilte die Kleidungsstücke sinnlos auf dem Boden. Erst dann entdeckte er den weißen Briefumschlag, der lautlos zu Boden geglitten war.

Einige Sekunden lang starrte er ihn einfach nur an.

Und dann hob er ihn auf.
 

„Hallo Viktor,
 

ich weiß nicht mal, ob du diesen Brief lesen wirst, oder ob du ihn direkt in den Mülleimer befördern wirst. Irgendwie könnte ich diese Reaktion total nachvollziehen. Eigentlich habe ich es verdient, dass du meine Versuche, wieder Kontakt mit dir aufzunehmen, ignorierst, dass du mich ignorierst.
 

Du hast das, was ich dir angetan habe nicht verdient. Damit meine ich alles. Aber vor allem die Tatsache, dass ich dir fremdgegangen bin und mich die ganze Zeit wie ein Arschloch aufgeführt habe. Wie es dazu gekommen ist, konnte ich dir Gott sei Dank persönlich erklären. Es wäre falsch so etwas in dieser Form zu kommunizieren. Hier möchte ich mich noch mal explizit bei dir entschuldigen! Es tut mir Leid! Ich wünschte, ich könnte es rückgängig machen, aber ich weiß auch, dass das leider nicht geht.
 

Ich habe in den letzten Tagen viel nachgedacht.
 

Es ging mir sehr schlecht ohne dich. Ich bin ein Arschloch, ein Idiot. Ich bin der größte Dummkopf auf der Welt! Erst jetzt wird mir wieder bewusst, was ich an dir habe. Was für einen tollen Partner ich hatte.
 

Als ich wütend auf dich war, dass du deine rosa-rote Brille aufhattest, hätte ich nicht so handeln sollen, wie ich es getan hatte. Ich hätte derjenige sein sollen, der dich zum Reden hätte bringen sollen, egal wie aufwendig das wäre.

Ich glaube, irgendwo war ich neidisch, dass es bei dir beruflich besser läuft als bei mir und das habe ich unbewusst auf die ganze Situation projiziert, mich dir gegenüber aggressiv verhalten und vielleicht einige deiner Annäherungsversuche im Keim erstickt mit meiner Art.
 

Auch dafür möchte ich mich aufrichtig bei dir entschuldigen

Und ich möchte dich anflehen.
 

Viktor, ich liebe dich!
 

Ich weiß, dass es hart für dich sein muss, mir das jetzt noch zu glauben. Und dennoch flehe ich dich an, genau dies zu tun. Ich möchte mit dir zusammen sein und ich weiß, dass wir das schaffen können, wenn wir uns BEIDE Mühe geben.
 

Ich kann dir nicht versprechen, dass wir für immer zusammen sein werden.

Ich kann dir nicht versprechen, dass wir uns nicht mehr streiten werden.

Ich kann dir nicht versprechen, dass ich nicht jemanden anderes kennenlernen werde in Zukunft – genauso wenig, wie du mir das versprechen kannst, Viktor.

Ich weiß nur, dass ich dich liebe, dass ich mit dir zusammen sein will. Und ja, am liebsten für immer. Nur ob das so sein kann, das weiß nun mal niemand.

Ich würde dieses Risiko gerne eingehen.
 

Ich kann dir aber auch einiges versprechen!

Dass ich mich bessern werden, dass ich an mir und meiner Karriere arbeiten werde, dass ich nicht mehr so viel trinken werde, dass ich mir Mühe geben werde, was alles mit uns beiden angeht.
 

Ich denke, wir können uns auch gegenseitig einige Versprechen geben.

Dass wir miteinander reden werden, egal wie winzig die Kleinigkeit auch ist, die uns bedrückt, damit wir Probleme direkt aus der Welt schaffen und nicht erst warten werden, dass sie uns überschatten. Und dass wir versuchen werden den anderen besser zu verstehen.
 

Ich hoffe du hast diesen Brief gelesen, auch wenn du dich entschieden hast, nicht mehr mit mir zusammen zu sein.
 

Nimm dir Zeit über die ganze Situation, über UNS nachzudenken.

Und dann melde dich bitte bei mir, um mir deine Entscheidung mitzuteilen.

Ich hab deiner Mutter mit diesem Brief auch einige deiner Klamotten gegeben. Ich denke frische Sachen zu haben ist nicht verkehrt…
 

Alles Liebe,

Jonathan“
 

Er las den Brief drei Mal. Und weinte jedes Mal erneut.

Er war verwirrt.

Er war glücklich.

Er war wütend.

Er rief Stella an.
 

„Das sind erwachsene Worte, die Jonathan da von sich gibt“, sagte sie nachdenklich.
 

„Warum hast du mir das letzte Mal gesagt, ich solle ihm mal zuhören?“, fragte der Hellhaarige seine beste Freundin.
 

„Weil ich es besser fand, dass du die ganze Situation geklärt bekommst. Dass du von dem Arsch alles ins Gesicht gesagt bekommst“, sprach sie. „Er war hier und hatte nach dir gesucht und als ich ihn zur Rede stellte, gab er zu dich betrogen zu haben. Natürlich ist das hart, aber ich hatte gehofft, dass du dir dann klar darüber wirst, mit was für einem Mistkerl zu zusammen bist. Deswegen hab ich ihm auch gesagt wo du steckst.“
 

Viktor seufzte.

„Tut mir Leid, dass ich dich am Telefon so angebrüllt hab“, sagte er leise und lachte leicht.
 

„Macht nichts, ich glaube ich wäre in so einer Situation noch viel schlimmer gewesen“, antwortete die junge Frau mit einer weichen Stimme. „Und?“, hakte sie nach, als es für eine kurze Weile ganz still wurde. „Was machst du jetzt, Vik?“

Der hellhaarige dachte nach.

„Ich...“, begann er und eine stundenlange Diskussion entfachte.
 

„Only when I stop to think about it...“
 

Es fühlte sich komisch an, die eigentlich so bekannten Treppen hinaufzusteigen. Jeder Schritt verpasste ihm einen leichten Stich im Herzen. Noch schlimmer wurde es, als er den Schlüssel ins Loch steckte, die Tür knackte und aufsprang.

Umgehend hörte er ihm schnell entgegenkommende Schritte.

Jonathan tauchte auf, sah ihn vorsichtig an, näherte sich nun langsam.
 

„H-hey...“, presste der Schwarzhaarige heraus und lächelte leicht, sein Blick blieb an der kleinen Reisetasche Viktors hängen, und wanderte dann wieder zu den dunklen Augen, die ihn kalt anblickten.
 

„Hallo“, sagte Viktor nun und schloss die Tür, nahm seine Jacke ab.

Drehte sich dem grünäugigen Mann wieder zu.
 

Jonathan schluckte, wollte etwas sagen, doch sein Mund blieb einfach halb offen, ohne dass ein Ton herauskam.

Eine Weile schwiegen sie sich an.

Der Anblick des Schwarzhaarigen rief abermals einen Schwall von Bildern in Viktors Kopf hervor. Ihr erster Kuss, ihr erster Einkauf, ihr erster Urlaub, ihr erster Tanz, ihre erste gemeinsame Wohnung.
 

So viele Sätze, die Jonathan zu ihm gesagt hatte, jagten ihm durchs Gedächtnis, an so viele Berührungen wurde er erinnert, dachte an die Geborgenheit, die er einst an der Seite des Mannes, der ihm nun gegenüberstand, empfand.

Es war ebenfalls Viktor, der als erstes sprach:

„Das ist deine aller letzte Chance.“
 

„Only when I stop to think about it...

I hate everything about you,

Why do I love you?
 

Ja, warum eigentlich?

Stella würde ihm den Hals umdrehen...
 

ENDE



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Kommentare zu dieser Fanfic (36)
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Von:  jyorie
2014-10-08T14:58:31+00:00 08.10.2014 16:58
Hallo (^o^)y

uff, da wäre Kais plan ja fast aufgegangen, das er die beiden auseinander gebracht hat. Es hat zwar wirklich lang gedauert, bis sich Victor wieder einbekommen hat, aber irgendwie freu ich mich jetzt auch, das er Jonathan noch eine Chance gibt. Vielleicht kann er sich ja doch noch ändern und nicht mehr so einen Scheiß abziehen, so sehr wie er sich um seinen Freund zum Ende hin bemüht hat.

Liebe Grüße, Jyorie

Von:  jyorie
2014-10-08T11:12:23+00:00 08.10.2014 13:12
Hallo (◑‿◐)

hm ... das ist hart ... eigentlich erwartet man ja, das die Famiie es nicht akzeptiert, aber so ruhig wie seine Mutter über das coming out gesprochen hat und wie sie ihm dann gezeigt hat, wie agressiv er geworden war – ich glaub ihr das, man sieht es ja auch jetzt an seinem Verhalten, wie er sich benimmt. – Finde ich total überraschend, aber auch gut, mal die seite beleuchtet zu bekommen (nicht immer das die „armen Schwulen, die nicht akzepitert werden“-Gejammer ... also mal ganz überspitzt ausgedrückt).

Und bei Jonathan war ich auch angenehm überrascht, was er alles herausgefunden hat und alle achtung, das er es so lange ausgehalten hat – ich glaube spätestens an dem Punkt, wenn man stur auf jemand warten will, wenn man mal aufs Klo muss, erkennt man das das eine Dumme Idee war – aber er hat es wohl die ganze Nacht ausgehalten *hut ab* ... hoffentlich ist Viktor nicht zu verbort, sich die Geschichte anzuhörten.

Liebe Grüße, Jyorie

Von:  jyorie
2014-10-08T11:12:01+00:00 08.10.2014 13:12
Hallo ヽ(^。^)丿

oh weh, zwar eine Intrige, aber nicht so wie ich es vermutet hatte, dann würde Kai wohl gern mehr haben von Jonathan, aber der will nicht mehr mit Kai und um Jonathan weh zu tun, wollte er das mit Victor und ihm zerstören, damit Jonatahn vielleicht doch zu ihm Kommt?! ... so würde ich das mal interpretieren, was Victor da von der Mailbox mit den Entschuldigungen abgehört hat.

Ich war ja schon froh, als er vor Kai aufs Klo geflüchtet ist und sie nicht miteinander geschlafen haben. ... aber so wie das jetzt auszusehen scheint ist das bestürzend. Ob Kai Jonathan womöglich sogar gedroht hat, oder ihn erpresst? – Wirklich ein Empire of dirt. ... schön das Mutti ihn am ende der Nacht aufgefangen hat ohne Vorwürfe (hoffentlich lassen die noch ne weile auf sich warten.

Liebe Grüße, Jyorie

Von:  jyorie
2014-10-08T11:11:29+00:00 08.10.2014 13:11
Hallo (ツ)

hm ... also am Anfang wie Kai begonnen hat das zu erzählen und von der Trennung hatte ich ja noch gedacht, das es stimmt, was er sagt über Jonathan, aber die Initiative die Jonathan danach hatte, wie er nach Stella gesucht hat und etwas klären wollte. Irgendwie kommt mir das Ganze mit der Betrugssache nicht koscher vor. ... vor allem bei dem letzten Satz von Kai ... „ich will dich f****“ ... also irgendwie glaube ich das es vielleicht doch nicht stimmt, was er von dem Betrug gesagt hat und Kai da irgendetwas plant, oder er und Jonathan sich um etwas gestritten haben und er es ihm jetzt heimzahlen will, oder das Ganze ein abgekartetes Spiel ist ... Irgendwo ist da eine Ungereimtheit ... nur Alkohol und Frust?! ich weiß nicht...

Liebe Grüße, Jyorie

Von:  jyorie
2014-10-08T05:22:21+00:00 08.10.2014 07:22
Hallo ( ͡° ͜ʖ ͡°)

Klar ich freu mich für Victor, das es jetzt besser läuft und man ihm die rosa Brille etwas zurecht gesetzt hat, aber ich kann es dennoch nicht ganz glauben, das jetzt alles wieder gut ist. Verhaltensmuster prägen sich ja auch. Ich fand es auch schön, das Victor und Jonathan endlich mal zusammen die unbekannten Freunde treffen und sie wieder ihren Spaß haben.

Aber der letzte Satz, wie Kai kommt und über den Freund reden muss, und sich Jonathan und dieser Typ schon in der Disco unerfreulich auseinander gesetzt haben – ich bin gespannt, was da raus kommt. Ob es doch noch etwas gibt, oder ob der Zweifel unbegründet war.

Liebe Grüße, Jyorie

Von:  jyorie
2014-10-08T05:19:02+00:00 08.10.2014 07:19
Hallo 。◕‿◕。

Ne, also das glaub ich nicht, das kann ich Jonathan nicht abkaufen, das das alles gewesen sein soll?! das er nur wollte das sich Victor auch mal wehrt und das ... nein, dazu ist das zu lange gegangen und ihm zu häufig und zu leicht die Hand ausgerutscht. Auch wenn sich die beiden jetzt besser verstehen und Jonathan endlich ausgesprochen hat das er sich wegen der Bäcker Lehre als Versager fühlt und auch sonst nicht so gut drauf ist... aber dies erklärung kommt mir irgendwie fadenscheinig. ...da hängt sicher noch ein Dicker Hund hinten dran.

Liebe Grüße, Jyorie

Von:  jyorie
2014-10-07T05:32:07+00:00 07.10.2014 07:32
Hallo (☆^ー^☆)

*outzsch*
*mega outsch* das tut weh, bringst du mir und meiner Affäre einen Döner mit – deutlicher kann man es jemanden doch nicht sagen/zeigen das man absolut nichts mehr von ihm hält?! Ich hab zwar nicht ganz verstanden wer aufgelegt hat, aber wenn es Victor war dann hatte er da voll und ganz recht. ...

Hm ... das es mal mit dem Test von SM-Spielchen begonnen hat ist schade, wenn das so ausgetickt ist. Ich kann Victor gut verstehen, wenn er sagt es hat ihm gefallen, aber es ist immer noch eine andere Sache wenn das was man aus Spaß/gegenseitigem Einverständnis dann plötzlich zu ernst wird und der Partner aus wut handelt. Schade das Niko nicht da schon begonnen hatte Jonathan in die Schranken zu weißen.

Daher mache ich mir jetzt auch echte Sorgen um ihn, was ihn erwartet, als es Jonathan in der Disco auftaucht und ihn sieht, wie er mit zweit Typen tanzt. Hoffentlich war das nicht eine dumme Idee, die Stella da hatte, wenn er auch mal seinen Spaß haben soll.

Liebe Grüße, Jyorie

Von:  jyorie
2014-10-06T04:37:03+00:00 06.10.2014 06:37
Hallo (ˆ⌣ˆ‎)

*seuftz* das hörte sich so schön und idyllisch an, auch wenn es etwas kitschig war, wie die beiden gemeinsam in die Wohnung eingezogen sind und zusammen den Einkaufszettel schreiben. Aber wenn man glücklich und verliebt ist, darf man auch mal kitischig sein, schließlich ist das kribbeln das man da empfindet auch etwas wunderbares.

Langsam kann man Viktor etwas besser verstehen, wenn er zwischen der vergangenheit und dem Heute fest hängt und immer noch am hoffen ist, das es vielleicht doch noch mal besser wird. Aber ich fand es war ein starker Bock, das sich Jonathan nicht um ihn kümmert wo er doch so offensichtlich krank ist und das er dann sogar noch seine Affäre mit zu sich nach hause schleppt, wo sein kranker Freund im Bett liegt. – Ich weiß nicht was schmerzlicher ist, es so zu erfahren oder wenn Jonathan es ihm gesagt hätte.

Gut das er eine so treue Freundin wie Stella hat, die ihre Pforten einfach öffnet und ihn aufnimmt. :D

Liebe Grüße, Jyorie

Von:  jyorie
2014-10-05T15:05:00+00:00 05.10.2014 17:05
Hallo ✌(◕‿-)✌

hört sich süß an die Geschichte wie sich Jonathan und Victor auf Stellas B-Day-Party kennen gelernt haben, aber das Ende ist wohl ziemlich bitter und abzusehen, wenn er so oft von seiner besten Freundin geraten bekommt, das er sich jemand besseren suchen soll, als ein Arschloch, das ihn ständig ignoriert. – hm – klingt spannend. Ich bin neugierig, warum Jonathan nicht mehr mit ihm spricht, und warum er dann nicht Schluss macht, wenn er doch wohl nichts mehr von Victor will.

Liebe Grüße, Jyorie

Von:  Ribka-is-Mori
2011-09-03T01:07:02+00:00 03.09.2011 03:07
damit habe ich echt gehofft^^ ich liebe einfach happy ends^^°

omg war das schön!! viks verhalten ist sowas von nachvollziebar und ich denke sogut wie jeder hätte so reagiert... aber dieser brief... WOW sowas erfordert wirklich mut, nach so ner ansage so einen versuch zu starten! und der brief war einfach nur zuckersüß und erlich. ich finde wirklich die beiden passen zu einander und ich wäre traurig geworden wenn sie sich wirkich getrennt hätten.

einziger wermutstropfen bei dieser wundervollen ff ist wie ich finde, das es keinen epilog gibt. ich liebe epiloge und hätte gerne gewusst wies danach weiter gegangen ist.

lg Tat-chan

ps: ich <3 deine ffs und deinen stil erst recht^^ *mal in weitere ffs von dir rumstöber*



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