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Bora, Stein der Winde

von

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Wiedersehen

Justin rubbelte sich das Haar trocken während er die Treppe nach unten ging. Es tat gut, nach so langer Zeit mal wieder richtig sauber zu sein. Er war kaum die Treppe ganz unten, als seine Mutter aus dem Wohnzimmer nach ihm rief. Justin ging zu ihr und auf dem Sofa, seiner Mutter gegenüber, saß ein Polizist.

„Guten Tag”, grüßte Justin höfflich.

Ginny seufzte als sie ihn sah, oder vielmehr, als sie sah, das sogar seine größten Klamotten kaum noch passten.

„Wir müssen morgen unbedingt in die Stadt, du bist nämlich ganz schön gewachsen, mein lieber. Aber egal, Herr Schmidt hat ein paar Fragen an dich”, erklärte sie.

Justin setzte sich auf den Boden und schaute den Polizisten erwartungsvoll an: „Ich höre. Was wollen sie wissen?”

„Nun, erst mal, wo du das vergangene Jahr eigentlich warst. Warum bist du überhaupt ausgebüxt und wer ist der andere Mann, der in der Begleitung von dir und deinen Freunden war?”, wollte der wissen.

„Also das letzte Jahr, auch wenn sie es mir nicht glauben, ich habe mich verlaufen. Ich habe diesen Mann gesucht, weil ich ihn noch ein paar Fragen stellen wollte und da hab ich mich einfach verlaufen. Ich war eine zeitlang nicht mal mehr in Deutschland. Bevor sie fragen, ich bin nicht zu anderen Menschen gegangen, weil ich ja den Mann gesucht habe und da wollte ich es nicht riskieren, das mich irgendwer nach Hause schleppt. Und dieser Mann, das war Moritz, mittlerweile ist er ein guter Freund von mir”, antwortete Justin.

„Warum hat dieser Moritz dich kurz vorher mit dem Schwert bedroht?”, wollte Herr Schmidt wissen.

„Hat er gar nicht. Das Schwert ist nicht mal echt gewesen. Bestand aus Holz, das hatte er geschnitzt. Ich war erstaunt, dass es so echt aussah und habe ihn gebeten, mir auch eines zu machen”, erklärte Justin.

„Und was wolltest du ihn dann fragen?”, Herr Schmidt wollte Justin wohl unbedingt in einen Widerspruch verwickeln.

„Etwas zu meinem Träumen. Er ist so etwas wie ein Landstreicher und ich wusste, wo er hin wollte und auf welchem Weg und das alles und so konnte ich ihm folgen”, Justin zuckte mit den Schultern.

„Was hat das alles mit deinen Träumen zu tun?”

Justin unterdrückte einen genervten Seufzer. Ihm gingen die Fragen auf die Nerven, trotzdem blieb er freundlich und sachlich.

„Nun, meine Träume. Meine Träume sind merkwürdig und ich versuche einfach nur zu verstehen, was dahinter steckt. Auch wenn es sich unglaubwürdig anhört, aber es ist so, das viele meiner Träume ein paar Tage später Wirklichkeit werde...”

Herr Schmidt runzelte die Stirn.

„Da fällt mir ein, heute war ein rothaariger Junge da, der unbedingt wollte, das dieser Moritz freigelassen wird. Warst du das?”, fragte er dann noch.

„Ja. Immerhin ist er mein Freund und wer sieht schon gerne seinen unschuldigen Kumpel im Knast rum hocken?”, Justin schaute den Polizisten direkt in die Augen. Er wusste, dass die wenigsten Menschen seinen Blick standhalten konnten, auch wenn er nicht verstand, wieso, doch er bekam die gewünschte Wirkung, der Polizist stand auf und ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er nun gehen würde.

„Ich werde noch ein paar Dinge prüfen müssen, aber wenn deine Geschichte stimmt und von deinen Freunden bestätigt wird, dann spricht nichts dagegen, das dein Kumpel bald wieder frei ist”, erklärte er zum Abschied, dann ging er.

Justin lächelte triumphierend, dann flitzte er ans Telefon und berichtete seinen Freunden, was für eine Geschichte er erzählt hatte. Wenn die Anderen nämlich etwas anderes erzählten, dann war sicher, dass er sich die Geschichte nur ausgedacht hat, beziehungsweise, seine Freunde sie sich ausgedacht hätten und das würde die Sache nur unnötig verkomplizieren. Als er nach einer halben Stunde herum telefonieren endlich auflegte, meldete sich auch Ginny mal zu Wort.

„Warum hast du Herrn Schmidt angelogen?”, wollte sie wissen.

„Weil mir die Wahrheit sowieso niemand glauben würde, zumindest nicht ohne Beweise und ich kann es nicht beweisen”, erklärte der Rotschopf.

„Versuch es doch einfach mal. Vielleicht glaubt dir ja doch jemand”, fand seine Mutter.

Justin ließ sein rotes Haar fliegen.

„So was glaubt mir keiner. Nie im Leben. Vielleicht ein Kleinkind, aber niemand, der noch richtig im Kopf ist”, meinte er.

„Versuch es. Erzähl mir die Geschichte, so abwegig sie auch sein mag. Ich möchte sie hören”, Ginny ließ nicht locker.

„Okay, okay, aber ich sage dir vorher, dass du es mir nicht glauben wirst”, warnte der Junge und begann zu erzählen. Er erzählte alles, nur eine Sache ließ er aus, nämlich sein Gespräch mit Moritz im Regen. Seine Mutter schaute ihn dabei immer ungläubiger an. Nach mehr als einer Stunde endete Justin dann. Erst schwieg seine Mutter. Sie dachte darüber nach, was sie gehört hatte und ihr Sohn wollte ihr Zeit lassen.

„Das hört sich wirklich...”, Ginny fand das richtige Wort nicht, also half Justin ihr auf die Sprünge.

„Hört sich wirklich erstunken und erlogen an? Vollkommen ausgedacht, von einem kranken Hirn, das schon vor langer Zeit abgesackt ist, in das Reich der Drachen und Feen? Ja, so hört es sich an, aber so ist es nicht. Ich wusste, dass du mir nicht glaubst. Niemand würde das”, meinte er.

„Tut mir leid, aber so etwas kann ich einfach nicht glauben. Also erzähl mir bitte, was wirklich geschehen ist”, bat Ginny.

„Das war, was wirklich ist. Sobald Moritz hier ist kann ich es dir sogar beweisen, denn ich kann die Magie nicht nutzen, aber Moritz kann es. Zwar auch nicht sonderlich gut, aber er kann es”, erklärte Justin.

Ginny seufzte tief.

„Du hast eine eigenartige Art zu sprechen”, bemerkte sie.

„Kann sein. Ich habe mich den Sitten der anderen Welt angepasst und sie sprechen eben ein wenig… das ist es!”, Justin sprang begeistert auf, „Sprache! Die Sprache der Unsterblichen! Du hast sie bestimmt noch nie gehört, geschweige denn gelernt und du wirst sie trotzdem verstehen!”

„Wie kann ich eine Sprache verstehen, die ich noch nie zuvor gehört habe?”, wollte seine Mutter wissen.

„Weil dies die Sprache ist, die jedes Lebewesen versteht. Nur die wenigsten haben sie verlernt, aber du kannst sie! Du musst sie können, denn ich kann sie ja auch!”, Justin war Feuer und Flamme.

„Jetzt rein theoretisch, es gibt diese Sprache, wieso bist du dir so sicher, das ich sie dir vererbt habe, und nicht dein Vater?”, warf Ginny ein.

„Klar, kann schon sein, dass Moritz sie mir vererbt hat, aber wenn ich jetzt anfangen würde, dir zu erklären, warum du und nicht er, dann würde das wohl ein wenig zu weit führen. Also egal, lassen wir es auf einen Versuch ankommen”, winkte Justin ab.

„Okay, dann versuch dein Glück”, seine Mutter zuckte mit den Schultern.

„Aber immer doch”, grinste Justin in der Sprache der Unsterblichen und Ginnys Augen wurden immer größer vor stummen Staunen, denn sie hatte ihn verstanden. Wie Justin vor einem Jahr hatte sie diese Sprache noch nie zuvor gehört.

„Na? Verstehst du mich?”, die Frage war vollkommen überflüssig, denn man sah die Antwort überdeutlich in Ginnys Gesicht geschrieben.

„A-aber das ich doch nicht möglich!”, rief sie aus.

„Doch, es ist möglich. Hörst du ja”, Justin machte es unbändige Freude, seine Mutter so verblüfft zu sehen.

In dem Moment schrillte das Telefon. Justin ging ran und Timo lieferte ihm einen ausführlichen Bericht darüber, was bei ihm herausgekommen war. Nur wenige Sekunden, nachdem der Rotschopf aufgelegt hatte, schrillte es erneut. Diesmal war es Moritz, der mit, von Begeisterung triefender, Stimme erklärte, dass er wieder frei war. Justin hängte ein und hüpfte sofort wieder los und ließ seine noch immer verblüffte, fast schon entsetzte Mutter alleine. Mit dem Bus holte er Moritz ab.

„Endlich, ich dachte, ich komme nie mehr daraus”, murmelte der.

„Tja, jetzt bist du es endlich. Ich bin gespannt, was Mama für ein Gesicht macht, wenn sie dich sieht”, Justin konnte vor Vorfreude kaum noch ruhig sitzen, doch Moritz schien sich unwohl zu fühlen.

„Du, ich glaube, ich sollte nicht mit dir kommen”, erklärte er.

Justin schaute seinen Vater verwundert an: „Aber warum denn nicht? Das bist du Mama doch schuldig, nachdem du dich so lange nicht mehr gemeldet hast!”

„Kann schon sein, aber wir werden wohl noch einmal weg müssen und ich will nicht, das sie sich dann wieder so traurig wird. Außerdem war ich zehn Jahre weg! Justin, das eine so unglaublich lange Zeit! Sie hat mich doch bestimmt schon längst vergessen...”

Moritz schaute aus dem Fenster als er bitter hinzufügte: „Oder gegen einen anderen ausgetauscht. Nein, ich werde nicht mit dir kommen, einfach weil es besser ist.”

Justin schaute Moritz fassungslos an.

„Das meinst du jetzt nicht ernst. Sag mir, dass das nur ein Scherz war”, forderte er, doch Moritz verneinte.

„Moritz! Auf diesen Moment habe ich mich gefreut, seitdem ich auch nur die entfernteste Vermutung hatte, wer du bist! Das kannst du mir nicht antun!”, rief er.

Ein paar der Fahrgäste im Bus drehte sich zu den Beiden um.

„Tut mir leid, aber ich komme nicht mit. Noch nicht. Wenn es vorbei ist, wenn alles vorbei ist, dann erst will ich sie wieder sehen”, murmelte Moritz.

Justin stand auf und sprang ohne ein weiteres Wort zu sagen aus dem haltenden Bus. Er war enttäuscht, hatte er sich doch schon so lange darauf gefreut, das er endlich wieder in einer vollständigen Familie hat leben sollen und nun zerplatzte dieser Wunsch wie eine Seifenblase, einfach weil sein Vater nicht wollte. Den Rest des Weges ging er zu Fuß. Erst am späten Nachmittag kam er zu Hause an. Voll kindlicher Enttäuschung ging er auf sein Zimmer ohne seine Mutter oder seine Schwester auch nur wahrzunehmen. Seine Mutter holte ihn einige Zeit später zum Abendbrot. Mittlerweile hatte er seine Enttäuschung abgeschüttelt und gab sein bestes, sich wieder so zu benehmen, wie er es sonst auch tat. Es gelang ihm, außer vielleicht die Kleinigkeit, das er sich nicht ständig mit seiner Schwester stritt. Die war viel zu glücklich, ihren Bruder wieder zuhaben, als das sie auf seine spitzen Bemerkungen oder Neckereien einging. Sie waren schon eine Weile beim essen, als es an der Haustür klingelte. Justin sprang auf, schneller als das eine der beiden Frauen auch nur daran denken konnte, und lief zur Tür. Er machte auf und sein Vater schaute ihm entgegen. Wortlos trat der Rotschopf nach draußen und zog die Tür so zu, das er zwar noch rein konnte, aber man von drinnen nicht hören konnte, was draußen gesprochen wurde.

„Du hier? Ich dachte, du wolltest Mama nicht mehr wieder sehen”, meinte Justin in bewusst verletzendem Tonfall und der verfehlte seine Wirkung nicht. Moritz zuckte unmerklich zusammen.

„Wollt ich auch nicht, aber was du gesagt hast, und vor allem, wie du es gesagt hast, das hat mir keine Ruhe gelassen”, erklärte der.

„Aha, und deswegen hast du dir auch ein paar Stunden Zeit gelassen, ja?”, der Rotschopf blieb abweisend.

Moritz druckste ein wenig herum: „Na ja, das lag daran, das ich schon lange nicht mehr hier war und da habe ich... den Weg nicht gleich gefunden...”

Justin lachte laut los und es dauerte eine Weile, bis er sich wieder beruhigt hatte, dann machte er die Tür auf und deutete Moritz mit einer einladenden Geste, einzutreten. Er ging in die Küche während Moritz sich kurz im Flur umsah.

„Wir haben einen... na ja, Gast ist wohl das falsche Wort...”, Justin überlegte, dann kam ihm die richtige Idee.

„Genau! Wir haben einen Geist zum Abendbrot.”

Er grinste breit über das verwunderte Gesicht von Helen und Ginny. Moritz schaute über seinen Kopf hinweg scheu in die Küche.

„Wer ist denn das?”, fragten die Beiden sofort.

Justin zog seinen Vater ganz in die Küche und erklärte: „Das ist Moritz, der „Geist”.”

„Warum Geist? Ich finde, der sieht noch ganz Lebendig aus”, meinte Helen und musterte Moritz scharf. Dass sie ihren Vater vor sich hatte, das merkte sie nicht, Ginny dagegen sah da schon um einiges nachdenklicher aus.

„Er kommt mir jetzt, bei genauerem hinsehen, irgendwie bekannt vor...”, meinte sie.

Justin lachte, Moritz fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut.

„Natürlich kommt er dir bekannt vor, Mama”, grinste der Rotschopf, „Du bist immerhin seid vierundzwanzig Jahren mit ihm verheiratet! Das heißt, wenn ich mich jetzt nicht verrechnet habe.”

Ginny zog die Augenbraun hoch: „Das geht nicht, ich bin nämlich seid elf Jahren Witwe, falls es dir entfallen sein sollte.”

Justin lachte.

„Das glaubst du”, grinste er.

„Justin, rede keinen Schwachsinn, das da ist nie im Leben Papa! Ich meine, selbst wenn Papa noch leben würde, der da ist viel zu jung dazu, der ist doch kaum älter als du”, meldete sich Helen zu Wort.

Justin lachte und wandte sich an Moritz: „Los, sag du auch mal etwas! Lass doch mich nicht die ganze Zeit reden!”

„Na ja, was soll ich sagen.“ Moritz zuckte die Achseln. „Juss hat recht, aber ich glaube, ich fange einfach ganz von vorne an, das ist leichter”, er begann seine Geschichte zu erzählen und zwar auf eben dieselbe Weise, wie er sie Justin erzählt hatte. Helen und Ginny hörten zu, aber sie schienen nicht sonderlich überzeugt.

„Das sollen wir jetzt glauben ja?”, fragte Helen und schüttelte missbilligend den Kopf.

„Justin, warum quälst du mich so? Du weist ganz genau, das mir dein Vater fehlt, warum tust du mir das an?”, fragte Ginny traurig.

Moritz schwieg.

„Erzähl etwas, was nur du wissen kannst, beweise ihnen, das du nicht lügst”, forderte Justin ihn auf.

„Ich bin doch schon am überlegen, aber… ich weiß!”, Moritz stand von seinem Stuhl auf, auf den er sich während des Erzählens gesetzt hatte, und flüsterte Ginny etwas ins Ohr.

Diese sog scharf die Luft ein und starrte ihn ungläubig an.

„Aber da-das ist doch... nicht möglich...”, murmelte sie.

Justin wusste zwar nicht, was Moritz ihr gesagt hatte, aber es hatte sie von der Wahrheit überzeugt. Er stand auf und zog Helen kurzerhand mit sich, als er die Küche verließ. Er schloss die Tür und sagte mit einem Augenzwinkern zu seiner verdutzten Schwester: „Die Beiden haben sich sicher eine Menge zu erzählen. Wir sollten sie echt nicht stören.”



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