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Bilder unserer Zeit

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Diese Geschichte existiert bereits als eigenständiges Werk auf Animexx. Der Ordnung halber, reihe ich es nun aber an das Ende dieser Geschichte und beginne damit mein Sequel-Reihe. Komplett anzeigen

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Vater und Tochter

"Alex, wach auf."
 

Leise murrend drehe ich mich noch einmal herum, lege die Hände über die Augen und versuche so das helle Licht des Tages auszublenden.
 

"Na komm, Kleines", lockt mich seine sanfte Stimme, die von dem zarten Streicheln seiner Hand begleitet wird. Ich seufze einmal kurz auf.
 

"Noch zehn Minuten", maule ich, wende mich von seinem warmen Körper ab und vergrabe meine Finger in dem weichen Stofffell meines Teddybären, der wie immer rechts neben meinem Kopfkissen sitzt.
 

"Na gut", gibt er nach. "Aber wirklich nur zehn."
 

Ich brumme noch etwas Unverständliches, höre meinen Vater leise lachen und kurz darauf das Zufallen der Tür. In diesem Moment bin ich hellwach. Ein paar Mal blinzle ich noch gegen das Sonnenlicht an, drücke meinen Teddy an meine Brust und gähne ein allerletztes Mal ganz ungeniert.
 

Ich recke und strecke meine Arme über meinen Kopf gen Decke, bewege jeden Finger und drehe mich hin und her. Langsam weicht die Müdigkeit aus meinem Körper und ich schlage die Decke zurück, schwinge die Beine über die Bettkante und wackle lächelnd mit den Füßen.
 

"Aufstehzeit", raune ich meinem Teddy zu, den ich ein wenig zerknautscht auf meinem Kopfkissen zurück gelassen habe. Ich schlüpfe in meine Hausschuhe, stapfe gut gelaunt und wild mit den Armen rudernd ins Bad, wasche mir dort gründlich Gesicht und Hände, trockne mich ab und grinse mein Spiegelbild an.
 

"Heute kommt er wieder", flüstere ich zu mir selber, schneide Grimassen und Maskeraden bis die Tür schließlich von meinem lächelnden Vater aufgemacht wird und er mit nur einem Schritt bei mir ist und mir einen Kuss aufs Haar drückt.
 

"Guten Morgen", haucht er, greift nach der Bürste, die links neben uns auf der Anrichte liegt.
 

"Morgäään!", gebe ich gut gelaunt zurück und lasse mir brav von ihm die Haare durchkämmen, während ich mir einmal kurz die Zähne putze, damit ich nicht mehr diesen schrecklichen Atem habe.
 

"Frühstückst du heute alleine? Ich wollte dann schon mal in den Garten gehen."
 

"Machst du heute wieder Fotos?", frage ich neugierig nach, lehne mich etwas nach vorne um den Schaum auszuspucken.
 

"Ich weiß noch nicht, vielleicht. Die Blumen brauchen aber Wasser."
 

"Aber wehe du ertränkst die Ameisenfamilie!", mahne ich streng, schaue ihn durch den Spiegel her grimmig an, was ihn erneut zum lachen bringt. Ich mag es, wenn mein Papa lacht. Das tut er nur gar nicht mehr so oft, wenn mein Onkel nicht da ist.
 

"Ich verspreche hoch und heilig, dass ich nichts tue."
 

"Dann ist gut."
 

"Halt still, Süße, dann kann ich dir einen Zopf machen."
 

Schweigend arbeitet mein Vater mit meinem Haar und ich kann ihn dabei im Spiegel beobachten. Heute flechtet er sie mir zu einem langen Zopf. Am Ende dreht er ihn wie einen Kringel auf und befestigt ihn mit zahlreichen Spangen und Klammern an meinem Kopf. Ich drehe mich einmal hin und her, bewundere seine Arbeit und nicke anerkennend.
 

"Prima! Dann ziehst du dich jetzt an und ich gehe schon mal nach draußen bevor es auch mir zu warm wird." Damit schiebt er mich sanft aus dem Bad und ich Richtung meines Zimmers.
 

"Ich kann dich ja dann auch gießen!", schlage ich ihm lachend vor.
 

"Lieber nicht", wehrt er ab, verabschiedet sich und geht die Treppe nach unten, während ich in mein Zimmer zurückkehre und dort einige Zeit unschlüssig vor meinem Kleiderschrank stehe. Ein wenig verstimmt ziehe ich mir mein Nachthemd aus, werfe es achtlos auf den Boden.
 

"Grün oder gelb?", frage ich meinen Teddybären, der sich jedoch zu keiner Antwort hergibt und mich die Entscheidung selber fällen lässt. Kritisch beäuge ich beide Shirts und wähle letztendlich das Gelbe mit dem großen roten Herzsymbol aus. Die Hose ist schnell gefunden und ich schlüpfe in eine nur bis zum Knie gehende Jeanshose. Ich mache den Kleiderschrank wieder zu, verzichte auch weiterhin darauf Socken zu tragen und wende mich meinem Bett zu. Ich setze meine Kuscheltiere wieder ordentlich hin, lege das Nachthemd unter mein Kopfkissen und ziehe die Decke richtig, streiche sie noch einmal glatt.
 

Ich werfe einen Blick auf das Foto, das auf meinem Nachtschränkchen steht und lächle es an. Mein Vater hält mich darauf an der Hand, strahlt in die Kamera, während mein Onkel neben ihm steht, den Arm um ihn gelegt hat und eine wirklich lächerliche Grimasse zieht. Als ich in die funkelnden Augen meines Onkels schaue wird mir ganz schwer ums Herz und ich kämpfe die aufwallenden Tränen nieder.
 

"Er ist heute ja wieder da", raune ich mir selber zu, drücke meinen Teddybären jedoch fest an meine Brust und bleibe einige Momente unschlüssig auf dem Bett sitzen. Eigentlich ist mein Onkel nur ein paar Wochen weg gewesen, nach Spanien, zu seiner Arbeit und um seine Familie dort zu besuchen, aber irgendwie fühle ich mich jedes Mal schlecht, wenn er fort ist.
 

Auch Papa ergeht es so. Er ist dann abends sehr still, immerzu nachdenklich und besorgt. Und dann lacht er viel weniger. Deswegen versuche ich, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr ich meinen Onkel tatsächlich vermisse. Ich will nicht, dass mein Papa noch trauriger wird und gebe mein Bestes um ihn wieder aufzumuntern.
 

Weil ich mich sonst einsam fühlen würde, behalte ich meinen Teddy im Arm, als ich schließlich mein Zimmer verlasse und nach unten in die Küche gehe, wo der gedeckte Frühstückstisch auf mich wartet. Heute ist Samstag, Schul- und Arbeitsfrei und Papa und ich unternehmen meistens etwas zusammen. Heute will er aber zuerst im Garten arbeiten, die Blumen gießen, Unkraut zupfen und vielleicht schießt er sogar das ein oder andere Foto.
 

Als ich auf meinem Platz sitze kann ich mich nicht entscheiden was ich nun eigentlich essen will. Ich habe nicht wirklich Hunger, bin viel zu aufgeregt und nervös. Mein Onkel hat vor zwei Tagen angerufen und gesagt, dass er heute kommen würde, jedoch nicht wüsste wann genau sein Flug ginge. Wenn er erst abends nach Hause kommt, dann bin ich wahrscheinlich schon längst wieder im Bett. Ab und an sehe ich ihn erst am nächsten Morgen. Zwar eine sehr nette Überraschung, aber ich finde es schöner, wenn ich noch wach bin, wenn er endlich ankommt.
 

Seufzend erhebe ich mich von meinem Platz, angle mir im vorbeigehen ein trocknes Brötchen aus der Schüssel, trete zur offenen Terassenentür und spähe nach draußen. Mein Vater trägt eine seiner alten und schon ganz abgenutzten Jeanshosen und eins von seinen versauten Unterhemden, die er immer anzieht wenn er im Haus etwas anstreicht oder verputzt oder so was.
 

Gerade beugt er sich tief über das Blumenbeet, das er extra für seine Fotos angelegt hat. Da mein Papa von Beruf her Fotograf ist, kümmert er sich sehr fürsorglich um unseren Garten, da manchmal Tierbesitzer zu uns nach Hause kommen um in einer ganz natürlichen Umgebung ein Foto von ihrem Liebling machen zu lassen. Ab und an macht mein Papa auch Fotos von Kindern hier draußen. Dieses Blumenbeet ist deswegen so besondern, weil er da eine kreisrunde Lücke gelassen hat. Das ist der Platz wo dann die Hunde und Katzen sitzen sollen, umrahmt von den Tulpen, die Drumherum wachsen.
 

"Wie geht es den Ameisen?", rufe ich nach draußen, bringe ihn so dazu zu mir aufzusehen.
 

"Wollen wir zusammen nachschauen?", streckt er mir die Hand entgegen und freudig lachend laufe ich zu ihm, vergrabe meine Finger in seinem Hemd und gemeinsam gehen wir zu dem hinteren Teil unseres kleinen Gartens. Dort steht ein junger Apfelbaum in dessen Schatten sich eine Ameisenkolonie niedergelassen hat. Man kann sie auf ihren Straßen herumkrabbeln sehen und ich hab die Insekten richtig lieb gewonnen.
 

Vorsichtig knie ich mich auf den Boden, setze meinen Teddy neben mir ab und beobachte mit meinem Papa die emsigen Tierchen, die ganz geordnet hin und her krabbeln. Jeder scheint etwas zu tun zu haben.
 

"Wovon leben die eigentlich?", frage ich.
 

"Oh, die werden hier schon was finden. Blätter sind hier genug, im Herbst bleiben ja immer ein paar Äpfel von uns liegen und beim Nachbarn ist sicher auch was zu holen. Ich weiß gar nicht ob die auch Pollen essen."
 

"Lass uns nachher nachgucken gehen, ja?"
 

"Okay", lacht mein Papa, deutet dann an mir vorbei auf meinen Teddy. "Schau mal."
 

Eine kleine Ameise hat sich verirrt und krabbelt gerade über das kurze braune Stofffell meines Schmusetiers. Unermüdlich kämpft sie sich weiter nach oben, streckt immer wieder ihre Fühler aus, tastet den Weg ab.
 

Ich pflücke mir ein großes Blatt vom Boden, halte es vor die Ameise hin, doch augenblicklich kehrt sie mir den Rücken zu. Auf der anderen Seite versuche ich es dann noch einmal und nachdem sie sich davon überzeugt hat, dass ihr nichts passieren kann, klettert sie tatsächlich darauf. Vorsichtig setze ich sie wieder auf der Erde ab, beobachte zufrieden wie sie sich langsam wieder bei ihrer Kolonie einreiht.
 

"Schau lieber nach ob sich nicht mehr dahin verirrt haben", mahnt mich mein Vater sanft, steht auf und klopft sich ein wenig den Staub von der Hose.
 

"Hm...", mache ich nachdenklich, während ich meinen Teddy in meinen Händen herum drehe. "Sieht nicht so aus."
 

"Hast du gefrühstückt?"
 

"Kein Hunger", maule ich, wende meinen Blick von ihm und schaue den Ameisen zu, die sich langsam den Stamm des Apfelbaums hinaufkämpfen.
 

"Nicht schon wieder, Alex", seufzt mein Vater auf, sieht mich von oben her mahnend an. "Das hatten wir doch gestern schon. Ich möchte, dass du frühstückst."
 

"Ich will aber nicht", beharre ich trotzig.
 

Papa stemmt zunächst die Hände in die Hüfte, öffnet den Mund um etwas zu sagen, doch dann besinnt er sich auf etwas, beugt sich zu mir herab und küsst mich aufs Haar.
 

"Was hältst du von einer Abmachung, hm?", fragt er leise.
 

"Welche?", will ich wissen, schmiege mich an seine Hand, die er an meine Wange gelegt hat. Ich sehe mit einem zaghaften Lächeln zu ihm auf, da ich weiß, dass Papa jetzt nicht mehr sauer auf mich sein wird. Wahrscheinlich weiß er warum ich nichts essen kann. Ich bin viel zu nervös.
 

"Wenn du heute ordentlich isst, dann wecke ich dich, sobald er ankommt, oder ich ihn abholen fahre. Ist das gut?"
 

"Jaaa!", rufe ich freudig, werfe mich meinem Papa um den Hals, lasse mich von ihm wie auf einem Karussell drehen, quietsche vergnügt und küsse seine Wange, sobald er mich nur noch fest in seinem Arm hält. "Du bist der Beste."
 

"Und du bist mein Engel", flüstert er gerührt zurück, trägt mich zurück ins Haus, setzt sich zu mir und sieht mir dabei zu wie ich mir ein Brot etwas ungeschickt mit Butter bestreiche und Käse darauf lege. Er schneidet mir schnell eine Gurkenscheibe ab, legt sie auf meine Schnitte und mit einem breiten Grinsen beginne ich zu essen.
 

Als mein Vater davon überzeugt ist, dass ich ohne weiteren Aufstand und ganz in Ruhe frühstücke, geht er wieder nach draußen in den Garten. Ich kann ihn aus dem Fenster raus beobachten wie er zu dem kleinen Schuppen geht, darin verschwindet und erst wieder heraus kommt, als ich bereits mein zweites Glas Orangensaft getrunken habe. Er hält den aufgerollten Gartenschlauch in der Hand und in der anderen schiebt er unseren kleinen Rasenmäher. Noch einmal verschwindet er im Schuppen, holt das lange rote Kabel daraus hervor, schließt damit den Rasenmäher an den Strom an und kurz darauf höre ich das laute dröhnende Geräusch.
 

Während ich zu Ende frühstücke und dann auch mein Brettchen und mein Messer wegräume, kann ich ihn draußen mähen hören. Auch wenn ich weiß, dass Papa das eigentlich nicht gerne sieht, klettere ich dennoch immer wieder auf meinen Stuhl, den ich vor den Kühlschrank geschoben habe und räume die ganzen Dosen vom Tisch. Ich bemerke eine Flasche Wein die in der Tür des Kühlschranks steht und wundere mich einen Moment lang darüber, da mein Vater sonst kaum trinkt und Wein nicht einmal sonderlich mag. Ich besehe mir die Flasche daher näher und erkenne die spanische Schrift darauf und muss unwillkürlich schmunzeln. Scheinbar hat er sie für meinen Onkel besorgt.
 

Das Abräumen dauert eine ganze Zeit, weil ich mich auch immer wieder bis zum dritten Fach recken muss, aber als es endlich geschafft ist, kann ich auch den Rasenmäher nicht mehr hören. Ich spähe aus dem Fenster hinaus und kann meinen Vater sehen, wie er nun den Schlauch an den Hahn draußen angeschraubt hat und gerade den Schlüssel oben drauf steckt und das Wasser aufdreht.
 

Als er den Strahl auf einen feinen Nieselregen eingestellt hat, wendet er sich den Pflanzen zu, gießt all die Blumen die ein Team von Gartenarbeitern für ihn angelegt hat, schließlich die Sträucher die auf der anderen Seite wachsen und dann auch den Apfelbaum. Allerdings aus einiger Entfernung, damit nicht all zu viele der Ameisen zu Schaden kommen.
 

Da ich weiß, dass mein Vater jetzt erst noch alles wieder wegräumen und dann duschen wird, setze ich mich schon einmal ins Wohnzimmer, schalte den Fernseher an und bleibe auf einem Sender hängen, der immer Cartoons zeigt. Ich finde sie witzig, auch wenn ich die Hälfte der Zeit nicht verstehe worum es eigentlich geht.
 

Tatsächlich habe ich Glück und die Sendung fängt gerade erst an. Während ich den Ton regle kann ich Papa hören, wie er gerade wieder in die Küche kommt und nach mir ruft.
 

"Im Wohnzimmer", antworte ich.
 

Seine Schritte kommen näher, dann spüre ich wie so oft seine Hand auf meiner Schulter, er beugt sich langsam zu mir herunter und kitzelt mich mit seinem warmen Atem. Ich kichere und rücke ein wenig zur Seite.
 

"Ich räume schnell auf und geh dann duschen, okay? Wenn das Telefon klingelt und du seine Nummer nicht auf dem Display siehst, dann lass die Maschine ran gehen, ja?"
 

"Ist gut."
 

"Brav", streichelt er mir über den Kopf.
 

Lange Zeit ist es dann still, ich konzentriere mich auf den Fernseher, und lache mich immer wieder über diesen sprechenden Fisch kaputt, der eine so lustige Stimme hat. Als die erste Folge fast zu Ende ist, höre ich meinen Vater im Hintergrund, dann seine Schritte auf der Treppe, schließlich die Badezimmertür. Es dauert jedoch nicht besonders lange und schon bei der Hälfte der zweiten Folge ist er wieder unten, frisch geduscht und ganz lecker nach unserem Shampoo riechend.
 

"Was schaust du denn da?", fragt er mich, doch ich kann nur mit den Schultern zucken. Er nimmt mir die Fernbedienung auf den Händen, schaltet den Text ein und sucht den Namen der Sendung. "American Dad", murmelt er dann.
 

"Ich finde den Fisch so lustig. Und dieses Alien."
 

"Was für ein Alien?", hakt er zweifelnd nach, als es gerade ins Bild kommt.
 

"Das da!", deute ich auf den Bildschirm.
 

"Sag mal, was trinkst du da eigentlich, Roger?", dringt die Stimme des Jungen aus dem Fernseher, als der graue Alien sich gerade einen komisch braun aussehenden Mix in ein Cocktailglas füllt.
 

"Eine meiner Spezialmischungen, die meine Haare sprießen lassen sollen", lautet darauf die Antwort und Roger kippt das Getränk in einem Zug hinunter, verzieht kurz sehr wehleidig das Gesicht. "Alles für die Schönheit."
 

"Was ist da denn alles drin?", will der Junge jetzt wissen.
 

"Also Steve... na gut, nur weil du es bist und ich finde, dass dir so ein bisschen mehr Haarwuchs auch nicht schaden könnte. Also: Äpfel, Bananen und Kiwi."
 

"Und das ist alles?", hakt Steve ungläubig nach, riecht einmal an dem leeren Glas und verzieht daraufhin angewidert das Gesicht. "Und das soll helfen?"
 

"DU SOLLST MICH NICHT DAUERND UNTERBRECHEN!", schreit Roger aufgebracht und ich lache laut auf, weil das schon die ganze Folge über der Fall war. Roger wurde dauernd von allen unterbrochen und glaubte schließlich, dass es daran läge weil er keine Haare hat wie ein richtiger Mensch.
 

"Entschuldige", macht Steve abwehrend und Roger beruhigt sich allmählich wieder, auch wenn er immer noch böse Blicke auf den Jungen wirft, der an seiner selbstgebauten Theke sitzt.
 

"Schon gut. Tu’s nur nicht wieder. Also wie ich schon sagte, kommen in meine Haartinktonika Äpfel, Bananen und Kiwi und eine geheime Zutat, die das ganze Wachstum beschleunigt. Klaus war so freundlich es zu spenden."
 

"Was hat Klaus denn gegeben?"
 

"Exkremente."
 

Steve verziert angewidert das Gesicht, läuft grün an und hängt sich mit würgendem Laut über die Theke, während Roger sich summend einen neuen Drink mixt.
 

Mein Vater schaut wie erstarrt auf den Fernseher, nimmt schließlich die Fernbedienung und schaltet um, was mich laut aufschreien lässt.
 

"Was tust du?"
 

"Das ist nichts für eine Achtjährige", entscheidet er, blickt mich böse an, schaltet den Bildschirm nun ganz aus und sieht mich ermahnend an. "Wehe du schaust so was noch einmal, verstanden? Das ist ja grausam."
 

"Ich finde es lustig", verteidige ich mich mit verschränkten Armen.
 

"Ich verbiete es dir", schüttelt er energisch den Kopf und geknickt sinke ich in ein Kissen, blicke ihn nicht an und schnaube laut als er aus dem Wohnzimmer geht. Ich kann ihn in der Küche hören wie er in den Gefrierfächern herumstöbert.
 

Ich bin beleidigt und schmolle stumm vor mich hin, während ich meinem Vater beim herumwerkeln zuhören kann. Es ist jedes Mal dasselbe. Wann immer mein Onkel sich auf seine Reisen nach Spanien begibt, dreht mein Papa total am Rad und verbietet mir plötzlich Dinge, die ich vorher noch machen durfte. Auch wenn ich zugeben muss, dass er nicht gewusst hat, dass ich diese Sendung gucke.
 

"Alex, ich muss noch mal schnell zum Supermarkt flitzen. Ich hab den Spinat für heute Abend vergessen. Sei artig!", ruft er mir aus dem Flur zu und kurz darauf höre ich unsere Haustür zufallen. Mit klopfendem Herzen warte ich noch einen Moment ab, ehe ich flink aufspringe und den Fernseher schnell wieder anmache und das richtige Programm suche.
 

"Hey Klaus!", ruft Steve gerade, kommt die Treppe in einem lächerlich zusammengestellten Cowboy-Kostüm herunter und stellt sich mit gezückter Pistole vor das Fischglas. Der Goldfisch liest jedoch unbeeindruckt weiter in seiner Zeitung.
 

"Lass uns in den Sonnenuntergang reiten."
 

"So siehst du aus", lautet die trockene Antwort des Fisches und sofort schmunzle ich als ich diese seltsame Stimme höre, doch kurz darauf läuft schon der Abspann und diese zweite und letzte Folge ist vorbei ohne das ich viel von ihr mitbekommen hätte.
 

"Och Menno", jammere ich, schalte den Fernseher wieder aus und werfe die Fernbedienung frustriert auf den Wohnzimmertisch, lasse mich rücklings auf das Sofa fallen und schließe gefrustet die Augen. Irgendwie ist heute der Wurm in diesem Tag.
 

Ich glaube das ich kurz weggedöst bin, denn als ich die Augen wieder öffne liegt eine leichte Decke auf mir und in der Küche kann ich Geräusche hören, die darauf schließen lassen, dass mein Vater wieder zu Hause ist und bereits mit dem Mittagessen angefangen hat. Ich reibe mir einmal über die Augen, lege die Decke unachtsam beiseite und tapse dann in Richtung des leckeren Geruchs.
 

Mein Papa schaut auf, als ich hereinkomme, schmunzelt mich an und schiebt mir ein Glas mit Orangensaft zu, das ich dankbar annehme und beinahe in einem langen Zug austrinke.
 

"Na, wieder wach?"
 

"Hm", brumme ich schwach. "Hat er angerufen?"
 

"Nein, bisher nicht", antwortet Papa, dreht sich wieder dem Herd zu, rührt in einer Pfanne herum, ehe er die Herdplatte ausschaltet und das Reisgericht, das er gekocht hat auf zwei Teller verteilt, von dem er einen vor mich hinstellt.
 

"Guten Hunger."
 

"Ja, dir auch", antworte ich leise, ergreife meine Gabel mit einer leicht zitternden Hand und beginne klaglos zu essen. Ich hatte es Papa ja versprochen.
 

Nach dem Essen räumt mein Vater auf und ich ziehe mich auf mein Zimmer zurück, schlage Bücher auf, fange an Bilder zu malen und spiele dann doch lieber mit meinen Puppen. Nichts jedoch hält lange und je später es wird, desto trauriger werde ich, fange an daran zu zweifeln, dass mein Onkel heute überhaupt noch kommt. Vorsichtig schleiche ich mich langsam nach unten, erspähe meinen Vater durch die einen Spalt breit offen stehende Wohnzimmertür. Er sitzt auf dem Sofa, starrt reglos auf den schwarzen Bildschirm des Fernsehers.
 

So leise ich kann gehe ich näher heran, stoße die Tür auf, die lautlos dahin gleitet, mir den Blick nun ganz freigibt. Die Schultern meines Vaters beben unterdrückt und seine Hand liegt über seinen Augen. Auf einmal bin ich wütend auf meinen Onkel, der uns so lange warten lässt; der sich den ganzen Tag über nicht einmal kurz gemeldet hat. Ich laufe um das Sofa herum, springe darauf und lege meine Hände auf Papas Gesicht, ziehe seine eigene fort und suche seinen Blick mit dem meinen.
 

Seine Augen schimmern mir feucht entgegen, doch sein Mund verzieht sich sofort zu einem warmen Lächeln. Er vergräbt seine Hände in mein Shirt, zieht mich nahe an seine Brust und wiegt mich hin und her so als ob ich diejenige gewesen wäre, die geweint hat.
 

"Schon gut", flüstert er beruhigend. "Ist alles gut."
 

"Nicht traurig sein, Papa."
 

"Nein", antwortet er leise. "Nicht mehr. Ich hab ja meinen Engel."
 

"Hm", mache ich leise, schmiege mich so dicht an ihn wie ich kann und spende ihm all den Trost den ich habe. Ich will meinen Papa einfach nicht traurig sehen. Er soll sein tolles Lachen lachen und mich mit diesen strahlenden Augen ansehen, die mich damals als Allererstes aus meinem Schneckenhaus geholt haben.
 

"Mein Engel", raunt er mir ins Ohr, verstärkt seinen Griff um mich, streicht mir über den Rücken und hält mich ganz fest, unendlich fest an seiner Brust.
 

Eine ganze Weile sitzen wir so zusammen, schenken uns Nähe und Wärme, Trost und Hoffnung. Mein Vater beruhigt sich langsam, wirkt wieder gefasst und lächelt mich immer wieder an, dann beginnt er plötzlich damit mich zu kitzeln und zu ärgern und eine kleine Balgerei entsteht aus der uns erst das Läuten der Türglocke reißt.
 

"Nanu?", macht mein Papa, schaut auf die Uhr. "Wer ist das denn noch?"
 

"Ich will mit!", rufe ich aus, lasse mich von ihm hochheben und gemeinsam gehen wir so zur Tür und mit einem etwas verknitterten Ausdruck öffnet mein Vater. Gleich darauf glätten sich die Falten und ein überraschtes Keuchen kommt über seine Lippen.
 

"¡buenas noches!", dringt die dunkle, sonore Stimme an mein Ohr und augenblicklich hüpfe ich vom Arm meines Vaters, werde von zwei starken Händen aufgefangen und an einen harten, aber unglaublich warmen Körper gezogen. Dunkelbraune Augen funkeln mich verschmitzt an und die etwas rauen Lippen legen sich auf meine Wange. Er wirbelt mich herum, drückt mich ganz fest an sich und lässt es zu, dass ich mit meinen beiden Händen durch sein Gesicht fahre, über seinen kleinen Bartansatz streiche.
 

"Wir haben auf dich gewartet! Wo warst du solange?", will ich schließlich wissen, schmiege mich in seine Halsbeuge und genieße das Gefühl seines ruhigen Herzschlags unter meinen Fingern.
 

"Entschuldige, der Flug hatte Verspätung und ich wollte euch mit meinem Anruf nicht aufwecken, aber dann habe ich gesehen, dass ihr doch noch wach seid", erklärt er sich und ich kann diesen seltsamen Singsang in seiner Stimme hören, den er immer hat, wenn er in Spanien war. Auch wenn es nur eine Woche oder nur ein paar Tage waren. Immer wenn er wiederkommt redet er so anders, als wenn er noch nie Deutsch geredet hätte.
 

"Papa hätte dich doch abgeholt. Und ich wäre mitgekommen", erzähle ich ihm.
 

"So? Das wäre doch viel zu spät für dich gewesen."
 

"Papa hat es erlaubt, weil ich brav gegessen habe."
 

"Aha", macht er leise, streicht mir vorsichtig über die Haare. "Du hast einen schönen Zopf."
 

"Hat Papa gemacht", kichere ich.
 

Mein Onkel gibt mir daraufhin keine Antwort und ich weiß ganz genau, dass er jetzt endlich meinen Vater ansieht, der noch immer wie versteinert im Türrahmen steht. Ich muss die beiden nicht sehen um das zu wissen, es ist jedes Mal dasselbe.
 

"Hallo, Chris", sagt mein Onkel zaghaft, als wenn er genau wüsste, dass mein Vater ihm böse ist. Aber die zwei kennen sich schließlich schon ewig, also wird er es wohl tatsächlich wissen.
 

"Raphael", kommt es stockend zurück und dann geht ein Ruck durch meinen Onkel, er geht auf meinen Papa zu, zieht ihn an sich und ich kann die beiden spüren, wie sie mich in ihre Umarmung mit einbinden. Als ich die Augen, die ich kurz zuvor geschlossen habe, wieder öffne, sehe ich wie die beiden einen ersten zaghaften Kuss austauschen und muss insgeheim darüber lächeln. Jedes Mal ist es dasselbe.
 

"Lass uns reingehen, Papa", melde ich mich nun zu Wort, schrecke die beiden Männer wieder auf, die mich beide mit einem knappen Lächeln mustern. Mein Onkel küsst mich auf die Stirn und trägt mich über die Schwelle, während mein Vater dessen Gepäck mitnimmt. Als hinter uns die Tür ins Schloss fällt weiß ich, dass wir wieder glücklich sind. Mein Vater und ich.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Diese Idee spuckte mir seit langer Zeit im Kopf herum. Ich habe in Chris immer einen wahren Familienmenschen gesehen und fand die Idee ihn als Vater darzustellen, faszinierend. Wie es dazu kam und wie schwer Chris es tatsächlich hatte, die kleine Alex zu adoptieren, ist allerdings eine ganz andere Geschichte.

Ebenso ist es eine ganz andere Geschichte zu erklären, warum Alex Raphael Onkel nennt und trotzdem kein Problem damit hat, dass die beiden sich küssen. Auch das ist nicht gerade einfach für die beiden Herren gewesen, hatte in dieser Geschichte aber keinen Platz.

Es gibt viele Ideen, die ich noch umsetzen möchte, aber ich hoffe, dass euch diese erste gefallen hat. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  chaos-kao
2013-05-08T21:42:13+00:00 08.05.2013 23:42
Oooookay ... wo kommt das Kind auf einmal her?! o.O Kaum ist die Frage geklärt, ob die beiden wieder zueinander finden, dann taucht ein Kind aus dem Nichts auf :D Ich bitte um Aufklärung :D Aber niedlich die Kleine ^^

Lg
kao


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