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Abseits des Weges

Erinnerungen sind wie Fragmente
von

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Die Caulfield-Bürde

Es war nicht leicht, als Sohn von Dario Caulfield aufzuwachsen. Als Kommandant der Kavallerie von Király war er es gewohnt, dass man seinen Befehlen ohne Widerspruch gehorchte. Weder bei der eigenen Frau noch dem Sohn machte er da eine Ausnahme.

Wenn das nicht schlimm genug gewesen wäre, hielten einen andere Kinder auch noch für arrogant und verzogen, weswegen sie nicht mit einem sprachen, sondern nur über einen.

Doch das war nicht das Schlimmste für mich. Nein, schlimmer fand ich die Tatsache, dass mir untersagt wurde, mir meine eigene Karriere zu suchen. Stattdessen war mir bereits von klein auf beigebracht worden, dass ich eines Tages ebenfalls Kavallerist zu werden habe, noch besser sogar Kommandant genau wie mein Vater.

Das an sich wäre auch nicht weiter tragisch gewesen. Dass die Ausbildung in Cherrygrove mehrere Meilen von meiner Heimat New Kinging entfernt stattfand, das war für mich das Schlimme.

An meinem zwölften Geburtstag war mir eröffnet worden, dass ich dorthin ziehen musste, zu meiner ungeliebten Tante, der Schwester meines Vaters, einer furchtbaren Frau mit einer Haut, deren Farbe der eines Steins glich. Sie trank viel, schlief wenig und verbrachte erstaunlich viel Zeit damit, sich selbst zu bemitleiden.

Ich wusste nicht, warum, obwohl ich ihr bei jeder Mahlzeit stets aufmerksam zuhörte. Aber das einzige, was ich bislang glaubte verstanden zu haben, war die Tatsache, dass sie tatsächlich der Meinung war, die Welt hätte sich gegen sie verschworen, weil irgendein Kerl, in den sie verliebt gewesen war, eine Außenseiterin ihr vorgezogen hatte.

Konnte einen das wirklich so sehr zerstören? Immerhin hieß es, dass sie einst eine wunderschöne Frau gewesen sein soll, bis eben zu jenen Tagen.

Jedenfalls fühlte ich mich abgeschoben, von meinem Vater, aber vor allem von meiner Mutter, die mir all die Jahre stets versichert hatte, dass sie mich lieben und stets zu mir halten würde. Ich fühlte mich von ihr verraten, verkauft, hintergangen. Dass sie nicht einmal Briefe schrieb, um mit ihrem einzigen Sohn Kontakt zu halten, bestätigte mich darin, dass sie mich nicht mehr bei sich haben wollte und ich mich nur auf mich selbst verlassen konnte.

Das war inzwischen zwei Jahre her, aber selbst mit 14 fand ich mich noch mit denselben Problemen konfrontiert. Die anderen Jugendlichen tuschelten hinter meinem Rücken über mich, keiner sprach mit mir, meine Tante klagte immer noch über ihr zerstörtes Leben – es war furchtbar.

Doch egal wie schlimm es war, es widerstrebte mir, mich wie meine Tante zu benehmen. Stattdessen zeigte ich mich kämpferisch, legte mir einen Panzer an Gleichgültigkeit zu, der mich sicher durch meine Jugend bringen sollte. Doch gleichzeitig ärgerte es mich, dass ich damit meinem Vater nachstrebte, was auch niemals mein Ziel gewesen war.

Die einzige Möglichkeit, die mir blieb, um das zu umgehen, war, Teil dieser Gesellschaft zu werden. Aber das war nicht so einfach, da es dafür nicht nur meinen eigenen Willen brauchte, sondern auch den der anderen – und die hatten bereits alle ihre Urteile über mich gefällt.

So blieb mir nichts anderes übrig, als meine Mitauszubildenden aus der Entfernung zu betrachten. Die meisten kannte ich aus New Kinging, aber eine kleine Gruppe von vier Personen – von denen eine nicht an der Ausbildung beteiligt war – stammte aus Cherrygrove, weswegen ich sie nach meinem unfreiwilligen Umzug das erste Mal gesehen hatte. Inzwischen kannte ich auch ihre Namen.

Oriana Helton, die Tochter des Kommandanten der Stadtwache von Cherrygrove, das einzige Mädchen in der aktuellen Ausbildungsphase, auch wenn sie oft als Junge durchgehen konnte. Trotz ihrer eleganten und weiblichen Erscheinung war sie außerordentlich burschikos, sie schreckte nicht vor Prügeleien zurück und innerhalb der Gruppe schien sie es zu sein, die die Jungs herumkommandierte.

Dann war da noch Landis, der Sohn der großen Liebe meiner Tante. Er war der Jüngste in der Gruppe und gleichzeitig der Abenteuerlustigste. Es fiel ihm schwer, stillzusitzen, eigentlich schaffte er das nur, wenn Oriana ihn dazu zwang. Ich war mir sicher, dass mein Vater kein Vergnügen mit einem derart disziplinlosen Kavalleristen haben würde. Ohnehin erschien es mir fragwürdig, warum jemand wie er sich offenbar freiwillig für diese Ausbildung hatte entschließen können.

Nolan war offenbar der beste Freund von Landis und nur unwesentlich jünger als ich. Er war ein stets gutgelaunter Junge voller Energie, aber ohne jegliche Ambitionen diese sinnvoll einzusetzen. Selbst diese Ausbildung war er nur angetreten, da der jüngere Landis es ihm vormachte. Über seine Familie war mir nicht sonderlich viel bekannt, außer, dass seine Mutter vor etwa vier Jahren gestorben war. Es gab Gerüchte, dass sein Vater ihn schlagen würde, aber Nolan sprach nie darüber, also wusste niemand, ob es wirklich der Wahrheit entsprach.

Der Letzte im Bunde war Kenton, der Sohn einer Stadtwache. Er war nicht nur der Älteste, sondern auch der Vernünftigste und gab stets sein Bestes, um seine Freunde auf dem Boden der Tatsachen zu halten oder sie dorthin zurückzuholen, wenn es Zeit dafür wurde. Als einziger im Freundeskreis besaß er eine kleine Schwester, ein äußerst liebenswertes Mädchen.

Alle anderen waren Einzelkinder, genau wie ich.

Doch das war es nicht, was mich gerade an dieser Gruppe so sehr faszinierte, dass ich sie beobachtete und jedes Detail über sie in Erfahrung zu bringen versuchte. Sie alle umgab eine unheimlich anziehende und freundliche Ausstrahlung, dass ich nicht anders konnte, als mich zu ihnen hingezogen zu fühlen. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als ein Teil von ihnen zu sein, aber dennoch sprach ich keinen von ihnen je an.

Es mangelte mir nicht an Mut, sie anzusprechen, zumindest redete ich mir das immer wieder ein. Nein, ich wollte nur nicht nachgeben. Um zu einem Teil von ihnen zu werden, müsste ich meinen Schutzpanzer aufgeben, ihnen erlauben, mir nahe genug zu kommen, um mich verletzen zu können, ich müsste Schwäche zeigen – und das war es, was mich fürchten ließ.

Was geschah, wenn man zuließ, dass andere einen verletzten, konnte ich an meiner Tante sehen.

Doch was geschah, wenn ich genau das nicht zuließ, sah ich an meinem Vater.

Keines von beidem war für mich erstrebenswert, aber wie sollte ich den Mittelweg finden, wenn es niemanden gab, der mir diesen zeigen konnte?

Es war ein Dilemma aus dem ich keinen Ausweg fand, weswegen ich mich schon damit abfand, den Rest meines Lebens immer nur mir selbst vertrauen zu können und nur das zu tun, was mein Vater wollte – zumindest bis zu dessen Tod.

Doch dann kam dieser Tag, der alles verändern sollte.

Es regnete selten in Cherrygrove, aber wenn, dann immer besonders heftig. So auch an diesem Tag, an dem ich wieder einmal für meine Tante einkaufen ging. Sie selbst fühlte sich wie so oft nicht in der Lage dazu. Das waren oft die einzigen Gelegenheiten, in denen sie mich tatsächlich mit Namen ansprach und um etwas bat. Ansonsten schien sie meine Anwesenheit nicht einmal zu bemerken.

Nach zwei Jahren störte mich das nicht einmal mehr. Wenn ich an die Gerüchte über Nolan und dessen Vater dachte war es mir auch um einiges lieber, ignoriert zu werden.

Seit Stunden regnete es ununterbrochen in Strömen, weswegen ich wieder einmal über den selten genutzten Schirm froh war, den ich im Haus meiner Tante gefunden hatte.

Als ich mit einem Korb voller Lebensmittel wieder auf dem Rückweg war, kam ich an dem Trainingsgelände der Kavallerie vorbei. Unter dem Vordach stand eine Person, die ich schon von weitem als Oriana Helton erkannte. Ich wusste nicht, was sie hier an einem freien Tag machte, aber so missmutig wie sie in den Himmel sah, schien sie darauf zu warten, dass der Regen aufhörte oder dass jemand sie abholte.

Zumindest ersteres würde wohl aber noch lange dauern. Die dunkle Wolkendecke hatte eine gleichmäßig dicke, stahlgraue Schicht über den Himmel gelegt. Sonnenstrahlen würden diese am heutigen Tag mit Sicherheit nicht mehr durchdringen können.

Eigentlich widerstrebte es mir, sie anzusprechen, aber als ich sie allein dort stehen sah, war dieses anziehende Gefühl noch stärker als je zuvor. Etwas schien mich direkt zu ihr zu ziehen.

In der sicheren Überzeugung, dass sie mich ignorieren, zurechtweisen oder auslachen würde, ging ich ein wenig näher, gerade so sehr, dass ich auf dem halben Weg zwischen Straße und Vordach stand. Ehe ich etwas sagen konnte, wandte sie mir den Blick zu.

Ich konnte mich nicht erinnern, dass sie mich jemals so direkt angesehen hatte, jedenfalls war es mir nie aufgefallen. Ihre blauen Augen blickten freundlich, obwohl alles an ihr deutlich zeigte, wie wütend sie war. „Hallo, Frediano~“

Es fiel mir schwer, zu erklären, was in dem Moment in mir vorging, als ich hörte, wie sie meinen Namen aussprach. Er klang plötzlich anders, viel melodiöser, wundervoller.

„Was tust du hier?“, fragte ich, nachdem ich die Begrüßung erwidert hatte.

Sofort konnte ich sehen, wie ihre Wut verstärkt zurückkehrte. Verärgert warf sie ihr Haar zurück. „Landis wollte heute mit mir trainieren – aber noch während ich mit den Vorbereitungen beschäftigt war, macht sich dieser Idiot einfach aus dem Staub! Bestimmt sitzt er wieder mit Nolan zusammen und tut gar nichts!“

Die letzten zwei Jahre war mir immer wieder aufgefallen, wie eng die Beziehung der beiden war und auch in ihren Worten war es deutlich zu hören. So sehr ärgerte man sich nur über jemanden, den man wirklich mochte, dessen war ich mir sicher.

„Und jetzt weiß ich nicht, wie ich nach Hause kommen soll, ohne dabei klatschnass zu werden“, fuhr sie frustriert fort. „Alles nur die Schuld dieses Idioten! Wenn ich den erwische!“

Bei jedem anderen wäre ich jetzt wohl weitergelaufen, allerdings hätte ich bei jedem anderen auch gar nicht erst nicht angehalten. „Soll ich dich begleiten?“

Was war da nur über mich gekommen? Der Wunsch, ein Teil dieser Gruppe zu werden, hatte für einen Moment meinen Panzer aus Gleichgültigkeit überwunden – und dieser eine Augenblick schien alles gewesen zu sein, was meine Zunge brauchte, um diese Worte zu formulieren.

Die Überraschung in ihrem Gesicht wich schnell einem Lächeln. „Danke schön, Frediano, das ist wirklich nett von dir.“

Ich glich die letzte Distanz zum Vordach aus, damit sie problemlos unter den Schirm kommen konnte. Gemeinsam legten wir schließlich den Weg zu ihrem Haus ein. Eine Weile schimpfte sie weiter über Landis, wovon sie von mir nur ein „Aha“ bekam. Mangels Erfahrung im Umgang mit Menschen wusste ich nicht viel anderes zu sagen.

Plötzlich verstummte sie. Schuldbewusst sah sie mich an. „Tut mir Leid, ich wollte dich nicht damit zureden. Das interessiert dich sicherlich nicht.“

Ich hob die Schultern. „Ich rede ungern über Leute, die ich nicht wirklich kenne.“

Sie seufzte schwer. „Ich wünschte, Landis wäre auch so schlau.“

Landis war derjenige in der Gruppe, der mich am Wenigsten interessierte, weswegen ich erneut die Schultern hob.

Hastig entschuldigte sie sich. „Ich sollte nicht so viel über ihn reden. Aber erzähl doch mal etwas über dich.“

Das überrumpelte mich. Ich konnte nicht anders, als sie fragend anzusehen: „Was soll ich denn erzählen?“

Da ich mich äußerst gut kannte, gab es meiner Meinung nach nichts Interessantes zu erzählen.

Als sie den Blick abwandte, um wieder nach vorne zu sehen, war ich überzeugt, meine einzige Chance darauf, Teil der Gesellschaft zu werden, vertan zu haben.

Doch sie schien nur nachgedacht zu haben, denn plötzlich lächelte sie mich wieder an. „Es ist ziemlich schwer, über sich selbst zu sprechen, ich weiß. Also gebe ich dir den Anfang: Wie ist es so, der Sohn des Kavalleriekommandanten zu sein?“

„Anstrengend“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Stets den Ansprüchen genügen, die einem von irgendjemandem gesetzt wurden, sich nie beschweren, immer Höchstleistungen abliefern...“

Zum dritten Mal hob ich die Schultern, um zu zeigen, wie gleichgültig mir das war, auch wenn dem nicht so war. Aber mich emotional daran aufzureiben, war auch nicht der richtige Weg, damit umzugehen. Spätestens mit dem Tod meines Vaters würde ich nur noch meinen eigenen Ansprüchen genügen müssen und diesen Moment erwartete ich sehnsuchtsvoll.

„Ah, ich verstehe“, sagte Oriana. „Mein Vater ist auch Kommandant, das weißt du sicherlich, oder?“

„Ja, Joshua Helton, Kommandant der Stadtwache von Cherrygrove.“

Sie lachte amüsiert. „Das ist richtig. Ich kann nur ahnen, wie schwer es für dich sein muss. Meine Eltern erwarten zwar auch viel von mir, aber es ist auch nicht schlimm, wenn ich diese Erwartungen nicht erfülle. Sie sind dann nicht enttäuscht, sondern stehen weiter hinter mir.“

Das hörte sich traumhaft an. Bei meinem Vater aber wohl eine reine Wunschvorstellung, er würde nie so werden. Er war bereits von meinem Großvater so behandelt worden und tat es so auch mit mir, aus Überzeugung, dass dies die einzig richtige Erziehungsmaßnahme war.

„Aber ich habe gehört, dass Dario Caulfield sehr viel strenger ist als mein Vater.“

Ich nickte wortlos. Innerlich dachte ich mir, dass das aber möglicherweise auch gut so war. Mein Vater war vielleicht unterkühlt und außerordentlich streng, aber er war ein erfolgreicher und starker Mann, der sich alles hart erarbeitet hatte. Möglicherweise wollte er aus mir nur einen ähnlich erfolgreichen Menschen machen und da er keinen anderen Weg kannte, musste es eben so funktionieren.

Während ich noch nach Worten suchte, um ihr diese Überlegung mitzuteilen, neigte sie plötzlich den Kopf. „Aber vielleicht will er nur das Beste für dich. Kommandant Caulfield ist immerhin im ganzen Land bekannt, das Königshaus soll von seiner Arbeit in der Kavallerie begeistert sein.“

Das entsprach der Wahrheit. Die hohen Ansprüche an mich kamen immerhin nicht von ungefähr.

Mich erstaunte allerdings, dass sie genau dasselbe dachte wie ich und offenbar auch im selben Moment.

Sie lächelte verlegen. „Habe ich was Falsches gesagt?“

„Warum fragst du?“

Zur Antwort zeigte sie auf mein Gesicht, worauf mir erst auffiel, dass ich äußerst verwirrt dreinschaute. Sofort räusperte ich mich und bemühte mich, meine Mimik wieder dem gleichgültigen Ausdruck anzupassen. „Ich war nur erstaunt, dass du dasselbe dachtest, wie ich.“

„Ah~“

Das warme Lächeln, das sich in diesem Moment auf ihrem Gesicht ausbreitete, wird auf ewig in meinem Gedächtnis verankert bleiben. In diesem Moment schien es sogar mein Inneres zu wärmen und mich den Regen vergessen zu lassen.

Vor einem bestimmten Haus blieben wir wieder stehen. Ich war leicht enttäuscht, dass sich unsere Wege bereits trennten, aber seltsamerweise erfreut, dass sie das ebenfalls zu sein schien. Mit leichter Traurigkeit beseelt lächelte sie mich noch ein letztes Mal an. „Danke, dass du mich heimgebracht hast, Frediano. Wir sehen uns morgen.“

Ich verabschiedete mich nicht, sondern sah ihr nur hinterher, wie sie den Weg zur Eingangstür zurücklegte. Erst als die Tür hinter ihr zufiel, erwachte ich wieder aus meiner Starre.

In der eingetretenen Stille kam mir das Prasseln des Regens plötzlich noch lauter vor. Nur widerwillig setzte ich meinen eigenen Weg fort, in Gedanken immer bei Oriana und diese wenigen Minuten, die wir miteinander geteilt hatten.

Auch den Rest des Tages dachte ich an diese Begegnung. Seit ich denken konnte war es das erste Mal gewesen, dass jemand, der zumindest annähernd in meinem Alter war, vollkommen normal mit mir sprach. Offenbar strahlte ich von Geburt an etwas aus, das andere auf Abstand hielt.

Aber auf Oriana schien das keine Auswirkungen zu haben – nicht, dass mich das traurig machen würde. Immerhin war sie mir sympathisch, sie war einer der Gründe, warum ich unbedingt ein Teil dieser Gruppe werden wollte.

Ich fragte mich, ob ich der Erfüllung dieses Plans mit dem heutigen Tag einen Schritt näher gekommen war oder ob ich nun weiter entfernt denn je davon war. Meine mangelnde Erfahrung hinderte mich daran, eine verlässliche Einschätzung zu treffen, weswegen ich beschloss, von meinen Prinzipien abzuweichen und einfach abzuwarten, was geschehen würde, statt mich vorzubereiten, in welcher Weise auch immer.

So begab ich mich am nächsten Tag zum Unterricht, wo ich wieder einmal von allen, auch Oriana ignoriert wurde. Es enttäuschte mich tatsächlich, aber es hielt sich in Grenzen. Ich wollte es nicht an mich herankommen lassen und das würde es auch nicht, nicht solange ich das sagte.

Aber ich müsste lügen, wenn ich sage, dass es mich vollkommen kalt ließ, sie mit den anderen reden zu sehen, als wäre absolut gar nichts am Tag davor geschehen. Doch vielleicht maß ich dieser Begegnung viel mehr Bedeutung bei als sie. Nein, bestimmt sogar.

Die Erkenntnis traf mich härter als erwartet. Das bestärkte mich allerdings nur in dem Beschluss, meinen Gleichgültigkeitspanzer nicht mehr abzulegen, für niemanden mehr.

Wie schnell dieser allerdings ins Wanken kommen würde, erlebte ich bereits am Ende des Unterrichtstages.

Wie üblich verließ ich als einer der letzten das Klassenzimmer, knapp vor Landis, Nolan und Oriana, die sich mal wieder über irgendetwas absolut Belangloses unterhielten. Ich blendete das Gespräch aus, mit den Gedanken bei meinem Panzer – bis ich plötzlich meinen Namen hörte.

Überrascht blieb ich stehen. Oriana, Landis und Nolan blieben gleichauf mit mir stehen. Das Mädchen lächelte warm, was meinen Panzer direkt zum Schmelzen brachte. „Du warst heute so schweigsam.“

„Er ist immer schweigsam“, bemerkte Landis, überraschend vorurteilsfrei.

„Vielleicht weil er schüchtern ist“, mutmaßte Nolan.

Ich konnte nicht anders, als ihn fassungslos anzusehen. Er hob lächelnd die Schultern. „Ach, komm schon, Fredi. Wenn die Hauptstadt-Idioten dich als arrogant bezeichnen, muss das bedeuten, dass du das genaue Gegenteil bist.“

Bei all der Beobachtung war mir nie aufgefallen, dass die kleine Gruppe äußerst abfällig über ihre Mitschüler aus New Kinging dachte. Ich hatte mir die Abgrenzung immer anders erklärt. Allerdings erstaunte mich in diesem Moment, dass die drei wirklich zu glauben schienen, dass ich anders war.

„Ihr... denkt das also nicht?“, hakte ich nach.

Nolan und Landis warfen sich einen Blick zu, sie beide schienen geräuschlos miteinander zu kommunizieren und zu einem Ergebnis zu kommen – das mir seltsamerweise von Oriana präsentiert wurde: „Bis gestern schon, ein wenig zumindest.“

Als ob sie ein Kollektiv wären, das immer genau wusste, was jeder einzelne Teil dachte. Ich war ehrlich erstaunt. Passierte so etwas, wenn man lange miteinander befreundet war?

„Aber gestern bist du so nett gewesen“, fuhr sie fort. „Darum glaube ich, dass du einfach nur... nicht viele Freunde und darum auch keine Erfahrung mit anderen hast.“

Landis lachte. „Ja. Mama sagt, Menschen sind komisch, wenn sie nie Freunde haben.“

Ehe ich fragen konnte, warum das einen von ihnen interessieren sollte, antwortete mir Nolan bereits: „Wenn die anderen Idioten nichts mit dir zu tun haben wollen, kommst du eben zu uns.“

Oriana nickte zustimmend. „Wenn deine Familie schon nicht zu dir steht, werden wir das tun.“

Ich blickte von einem zum anderen, in der Erwartung, dass sie gleich zu lachen und alles als Scherz abtun würden, doch jeder einzelne blieb ernst. Das kollektive Lächeln auf ihren Gesichtern durchbrach den letzten Rest meiner Barriere.

Ich wollte ihnen glauben und Teil dieser Gruppe werden, ich wollte, dass mein Traum sich endlich erfüllte.

Dafür vergaß ich die Gedanken an meinen Vater, meine bisherige Erziehung, der Glaube, dass ich niemandem außer mir selbst vertrauen konnte. In den Moment hätte ich wohl alles aufgegeben, nur um endlich Freunde zu haben, statt sie nur aus der Entfernung zu betrachten und mir vorzustellen, wie es wohl war, ein Teil davon zu sein.

Also zögerte ich nicht lange und erwiderte das Lächeln entgegen all meiner guten Vorsätze der letzten zwei Jahre. „Vielen Dank.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  LeanaCole
2010-05-24T11:50:16+00:00 24.05.2010 13:50
Ich hingegen hoffe, dass ich nichts mehr von der Kackbratze Frediano lesen muss. Aber Oriana, die Trine, kann ruhig bei dem bleiben. Passen gut zusammen XD

Äh, nein. Hier will ich ja etwas zum Inhalt sagen. Denn eigentlich hat mir der One Shot hier gut gefallen, auch wenn es um meine verhasste Kackbratze ging XD
Zumindest verstehe ich ihn etwas besser, was aber nicht heißt, dass ich ihn nun mag. Du kannst versuchen, was du willst, Alo-chan XD
Jedenfalls wäre ich wohl auch so wie Frediano geworden, wenn ich unter solchen Umständen leben müsste.

Mehr kann ich dazu auch nicht schreiben. Zum Glück ist Ciela da. Die schreibt wenigstens anständige Kommentare, auch wenn die etwas lang sind XD
Also sei froh, dass du mich und Ciela hast. Solange du uns beide hast, brauchst du niemand anderen hier *lach*
Von: abgemeldet
2010-05-11T18:02:31+00:00 11.05.2010 20:02
Sooo, dann will ich mich doch mal dem neuen One-Shot widmen. Fredi! :D

> Meine Güte. Hat Ciela nichts zutun oder warum werden ihre Kommis mit
> jedem Mal länger? XD
> OMG! Wie schafft Ciela es immer nur so ewig lange Kommis zu
> verfassen? Hat sie kein Real Life? XD

*sich vor Leana_Cole versteck*
S-Sind meine Kommis etwa wirklich zu lang? Q___Q
Da ich immer sehr viel zitiere, sehen meine Kommis wahrscheinlich immer länger aus, als sie es eigentlich sind... }.{"
Ich habe natürlich ein Real Life! XD
Nur treffe ich mich in meiner Freizeit halt nie mit Freunden oder so und hänge dann meistens immer vor dem Laptop. X)
Jetzt aber genug davon und auf zu meinem (un)konstruktiven Kommi zu diesem One-Shot:

> Es war nicht leicht, als Sohn von Dario Caulfield aufzuwachsen.

Sowas ähnliches habe ich mir irgendwie schon gedacht. D:

Okay, nach der ersten Seite muss ich einfach mal folgendes loswerden: Armer Fredi! TT///TT

> [...] sie schreckte nicht vor Prügeleien zurück und innerhalb der Gruppe
> schien sie es zu sein, die die Jungs herumkommandierte.

Hihi, ich hab jetzt ein ganz anderes Bild von Oriana vor Augen und es gefällt mir sehr gut. Ich mag jungenhafte Mädchen, aber darüber hatten wir ja erst gestern gesprochen. X3
Und irgendwie mag ich sie nach dieser Kurzgeschichte richtig gut leiden! =)

> Es gab Gerüchte, dass sein Vater ihn schlagen würde, aber Nolan
> sprach nie darüber, also wusste niemand, ob es wirklich wahr war.

Waaas?! Hoffentlich ist das nur ein böses Gerücht. Wer könnte denn den lieben No schlagen?! Q___Q

Mir gefällt es außerordentlich gut, die Dinge mal aus Fredis Sicht zu erfahren. =)
Und er ist wirklich ein guter Kerl, ich mag ihn jedenfalls! X3

Wieder ein seeehr toller One-Shot, wirklich. Du kannst so toll schreiben und viel mit wenigen Worten ausdrücken... ich bin wieder mal vollkommen begeistert und erwarte sehnsüchtig die nächste Kurzgeschichte. ^___^





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