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Verstecktes Leben im Abseits

Tabuthema Homosexualität in der Männerdomäne Fußball
von

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<06> .... Unfaires Foulspiel

Wenn man eine Maske aufsetzt und sich vornimmt, sie sein Leben lang zu tragen, so mag einem das erst einmal ganz einfach erscheinen. Es sind vermeintlich nur ein paar Kleinigkeiten, die man verbergen muss, und man denkt nicht, dass es große Mühe kostet, sie immer und überall verstecken und sich vollkommen verstellen zu müssen. Man kann sich nicht vorstellen, wie anstrengend ein derartiges, psychisches Spiel sein kann, Energie raubender als jedes noch so harte Fußballspiel. Doch irgendwann lernt man, dass es eigentlich nahezu unmöglich ist, auf ewig eine Maske zu tragen.

Meine Maske bestand zunächst aufgrund von Verdrängung und weil ich nicht weiter nachdenken wollte. Ich habe lange nicht nur meine Umwelt belogen, sondern auch mich selbst. Ich wollte die Wahrheit nicht erkennen, hatte Angst davor, von ihr ergriffen zu werden. Was wäre, wenn ich mir erst einmal meiner selbst vollkommen bewusst sein würde? Doch irgendwann konnte ich nicht mehr davonlaufen und vor mir selbst fliehen; irgendwann musste ich mir meine Sexualität eingestehen, denn eigentlich hatte ich schon lange genug mit ihr gelebt, hatte bereits mit ihr geliebt… nun würde ich sie auch weiter tragen können. Also perfektionierte ich meine Maske nun bewusster, überlegte mir, wie ich auftreten musste, um die Leute nicht zum Nachdenken zu bringen. Ich wurde so gut, dass ich dann und wann in der Öffentlichkeit selbst an meine Rolle mit dem Namen „Hetero“ glaubte.

Miriam war ein wesentlicher Bestandteil davon und der Teil meines falschen Spieles, der es mir einfacher machte. Es war wichtiger als der negative Punkt, dass ich während des Sexes viel zu oft an Männer dachte; viel mehr war es ihre menschliche Seite, die mir nahe wurde, die mir gut tat, die es erreichte, dass ich auf gewisse Weise tatsächlich Liebe für sie zu entwickeln begann.

Miriam war drei Jahre älter. Das gefiel mir sehr gut, da ich so kein kindisch, tussiges Mädchen an meiner Seite hatte, sondern jemanden, der bereits zu einer erwachsenen Frau heranreifte. Mit jedem Tag, den ich mit ihr verbrachte, war ich froh, dass ich ausgerechnet sie zu mir gehörte. Sie verlangte nie, dass wir redeten, wenn sie merkte, dass ich lieber schweigen und meinen Gedanken nachhängen wollte. Auch drängte sie nie, dass ich ihr meine Probleme darlegen sollte, denn sie vertraute darauf, dass ich damit schon von alleine zu ihr käme. In gewisser Weise stimmte das auch, zumindest wenn die Probleme nichts mit einem speziellen Thema zu tun hatten.

Sie ließ mir meine Freiheiten, bestand nicht darauf, dass man sich täglich sah, sondern gönnte mir von Anfang an meinen eigenen Freundeskreis, so wie sie auch den ihren hatte. Mit Fußball konnte sie nicht so viel anfangen, doch das war wahrscheinlich auch ganz gut so, denn sonst hätten wir viel zu oft nur darüber geredet. Auf diese Weise konnte ich den Aspekt meines Lebens in ihrer Gegenwart oft vergessen und mit ihr über ganz andere Dinge reden, die weniger eine männlich, harte Seite verlangten. Weiterhin hatten wir einen ähnlichen Filmgeschmack, denn sie liebte Horrorstreifen und Actionfilme. Und sie kochte unheimlich gerne, was nicht nur ich genoss, sondern auch Til und Lutz.

Alles in allem war sie die perfekte Person für mich, bis auf das Problem, dass sie halt eine Frau war. Nun mag man meinen, dass das mit der Zeit eigentlich egal werden sollte. Immerhin liebt man doch nicht den Körper einer Person, sondern sein Wesen, sein Inneres. Das stimmt natürlich und auf gewisse Weise ist es für mich selbst unverständlich, doch ich habe es nie geschafft, zu vergessen, dass sie eine Frau ist. Ich habe nie aufgehört, mir irgendwo tief in mir einen Mann an meine Seite vorzustellen. Denn auch wenn man es oft als nicht so wichtig abstempeln will, weil es dann vielleicht ethisch korrekter wäre, so geht es doch in einer Beziehung zu einem großen Teil um Sex. Körperliche Anziehung ist etwas sehr Wichtiges in einer Partnerschaft und so sehr ich ihren weiblichen Körper rein objektiv mochte, so wenig erregte er mich subjektiv.

Ob es nun dieser körperliche Faktor war oder nicht, letztendlich habe ich Miriam nie wirklich die Liebe entgegenbringen können, wie sie normalerweise zwischen einem Paar besteht. Sie war für mich eine platonische Liebe, eine Schwester, die beste Freundin, die ich mir vorstellen konnte, eine Person, die ich nie missen wollen würde. Aber sie war niemals auch nur eine Sekunde lang meine große Liebe. Dabei hätte ich vermutlich mein Leben für sie gegeben und ihr, wenn ich es in der Hand gehalten hätte, mein Herz geschenkt… also dachte ich, dass der Teil, den sie bereits davon besaß, schon genug sein würde, immerhin gehörte ihr doch der größte Teil.
 

Als ich das nächste Mal Verein und Wohnort wechselte, war ich seit einigen Monaten siebzehn. Es war ein ausländischer Verein, was mir eigentlich ganz gut gefiel, da ich den Gedanken mochte, ein wenig mehr von der Welt zu sehen.

Miriam überlegte zunächst, mit mir umzuziehen, doch ich schaffte es, sie davon zu überzeugen, es nicht zu tun. Dies war ausnahmsweise kein Eigennutz, sondern lag in ihrem Studium begründet. Vor einem halben Jahr hatte sie damit begonnen und ich wollte einfach nicht, dass sie es für mich schmiss. Ich wollte ihr diesen Teil ihres Lebens nicht wegnehmen, sie sollte nicht ihren Traum für meinen opfern. Ich würde ihr erhalten bleiben, das versprach ich ihr. Mit keiner Frau würde ich fremdgehen, das sagte ich ihr genau so ins Gesicht, ohne dabei zu lügen. Ich wusste, dass ich mit keiner Frau schlafen wollte außer mit ihr und sie wusste das auch, selbst wenn sie nicht die wirklichen Gründe kannte. Wir versprachen uns also, dass wir jeden Tag voneinander hören würden, selbst wenn es nur eine SMS sei. Wir wollten daraus keinen Zwang werden lassen, sondern es tun, weil wir uns liebten, weil wir uns wichtig waren. Außerdem konnte man nie wissen, wie lange ich wirklich im Ausland bleiben würde. Zunächst war es nur als Abenteuer geplant.
 

Das Abenteuer führte mich in ein neues Leben ein und in einen neuen Teil von mir selbst. Bisher hatte ich gedacht, dass mir Pornos genügen würden, um meine Fantasien zu befriedigen, doch bald begriff ich, dass das nicht so einfach war. Mein junger Körper wollte mehr als Selbstbefriedigung und das Problem bestand wahrscheinlich vor allem darin, dass ich nun auch Miriam nicht mehr hatte, mit der ich schlafen konnte, wenn ich geil war. Natürlich, ich hätte in ein Bordell gehen können, um mir eine Frau zu nehmen, oder ich hätte auch einfach eine Frau in der Disko aufgabeln können, doch ich hatte es Miriam versprochen. Ich betrog sie bereits was mein Herz anging, meine Sexualität, mein Wesen… ich durfte nun nicht in den Armen einer anderen Frau Befriedigung suchen. Und ich wollte es auch gar nicht.

Das, was ich dann tat, war kaum besser, dessen bin ich mir durchaus bewusst. Ob es nun eine Frau ist oder ein Mann, mit dem man seinen Partner betrügt, wird für diesen letztendlich keinen Unterschied machen, denn der Akt ist der gleiche. Vielleicht ist es sogar schlimmer, wenn es das andere Geschlecht ist, denn so zeigt man deutlich, dass man hier etwas bekommt, was man daheim vergeblich sucht. Doch ich beschloss, dass sie es nie erfahren würde und mein Versprechen, mit keiner Frau zu schlafen, hielt ich schließlich auch. Also fühlte ich mich zumindest ein winziges bisschen weniger schlecht, was sicherlich auch daran lag, dass es etwas war, das ich tatsächlich tun wollte.

Seit Dennis hatte ich nie wieder einen anderen männlichen Körper auf erregende Weise angefasst, nie einen anderen Penis berührt außer meinen eigenen. Ich hatte noch nie einen Mann geküsst, noch nie männliche Hände sexuell auf meiner Haut gespürt. Und so sehnte ich mich bereits seit vielen Jahren danach, kaum wissend, wie ich diese Sehnsucht irgendwie kompensieren könnte.

Die Idee, der Gedanke, kam mir im Internet. Lange versuchte ich, ihn nicht zu denken, sie nicht mit Fantasien auszuschmücken. Ich stürzte mich noch mehr in den Fußball und versuchte, nicht nachzudenken, was schier unmöglich war. Letztendlich erregte mich der Gedanke so sehr wie ich ihn gleichzeitig abstoßend, widerwärtig fand. Und doch hielt mich jede Moral, jedes Schuldgefühl oder jeder Ekel nicht zurück, und mit noch nicht ganz achtzehn Jahren betrat ich das allererste Mal ein Sexkino für Schwule.
 

Ich hatte mir den Ort lange ausgeguckt, sehr viel darüber nachgedacht, wie ich ihn erreichen konnte, ohne gesehen zu werden. Ich fühlte mich ständig und zu jeder Zeit unter Beobachtung, manchmal selbst dann, wenn ich alleine in meiner Wohnung war. Mein Versteckspiel hatte meine Reize gestärkt, und ich glaubte, in jedem falschen Blick Gefahr zu lesen. Ich war aufmerksam und übervorsichtig, manchmal ängstlich und fast paranoid. Ich versuchte es sage und schreibe fünf Mal, mir den Weg zu dem Kino zu erschleichen, immer wieder anders gekleidet, doch wieder und wieder machte ich einen Rückzieher. Es dauerte lange, bis ich den Mut hatte, mitten in der Nacht, eingehüllt in einen riesigen Rollkragenpulli, obwohl es den ganzen Tag über 30 Grad gewesen waren. Zudem trug ich eine spiegelnde Sonnenbrille, die mein halbes Gesicht verbarg, und eine tief sitzende Mütze. Ich kam mir unheimlich dämlich vor und fragte mich bei jedem Schritt, weshalb ich mir das überhaupt antat, doch gleichzeitig war eine unbändige Neugierde in mir gewachsen und die Sehnsucht brannte. Die Sehnsucht nach dem Unbekannten, das ich mir schon immer verwehrt hatte. Sie war mittlerweile stärker als meine Angst, zumindest dann und wann, wenn ich alleine in meinen vier Wänden war.

Der Kassierer des Kinos beachtete meine Aufmachung nicht. Vermutlich sah er dergleichen nicht zum ersten Mal. Er fragte nach meinem Alter, ich log und wurde durchgelassen. Zögernd trugen mich meine Schritte und dann ließ ich mich in der allerletzten Reihe nieder. Der Film war schon längst im Gange.

Natürlich waren die Bilder heiß und ich wurde schnell hart, zumal leises Stöhnen von hier und da den Raum erfüllte. Männliches Stöhnen, nicht aus den Lautsprechern, sondern live um mich herum. Mein Herz schlug wie wild und mein Schwanz drückte erregt gegen das Innere meiner Jeans. Alles verlangte nach Befriedigung. Doch ich konnte es nicht, nicht bei diesem ersten Besuch. Ich machte noch nicht mal den Reißverschluss auf, sondern verließ das Kino fast so schnell wieder, wie ich gekommen war, fluchtartig und innerlich dreckig. Erst in meiner kleinen Zweizimmerwohnung holte ich mir einen runter und fühlte mich dabei unheimlich schuldig. Am liebsten hätte ich mir diese widerliche Seite meiner Selbst herausgeschnitten.

Wieso gab es bloß keine Möglichkeit, das zu unterdrücken? Wieso tat ich etwas derartig Abartiges? Wieso war ich kein normaler Mann?

Ich machte mir Vorwürfe, die ganze Nacht hindurch und noch auf dem Spielfeld am nächsten Tag, wo mir allerdings niemand etwas anmerkte. Sie alle lobten mein eifriges Spiel und hatten keinen blassen Schimmer, wie ich mich gerade selbst hasste. Am liebsten hätte ich es herausgeschrien. Ich platzte fast, weil ich es so grausam fand so zu sein.

Wieso ausgerechnet ich?
 

Doch es brachte nichts. So sehr ich mich hasste, verabscheute und kontrollierte, so sehr zog mich dies Verbotene doch immer weiter an. Es war wie ein Magnet, der mich nicht loslassen wollte. Ich konnte nichts dagegen tun, obwohl ich mir armselig vorkam. Und so hinderte mich letztendlich nichts stark genug daran, eine Woche später wieder in das Kino zu gehen.

Ich verließ es weniger schnell als beim ersten Mal, doch auch dieses Mal ohne Befriedigung an Ort und Stelle. Erst beim dritten Besuch wurde ich schwach, versuchte mein Stöhnen zu unterdrücken und verschwand, sobald ich abgespritzt hatte. Dies wiederholte ich noch ein paar Mal, dann irgendwann war ich mutig genug, mich direkt neben einen anderen Mann zu setzen. Zumindest in der Dunkelheit des Kinosaals erschien er mir kaum älter als ich, doch letztendlich war das ohnehin egal. Dieser mir vollkommen Fremde war nun der erste, mit dem ich meine homosexuelle Neigung teilte, selbst wenn wir uns nur mit den Händen berührten. Natürlich war es geil, doch als ich später in meinem Bett lag, fühlte ich mich dreckiger als je zuvor. Ich rief Miriam an und sagte ihr, dass ich ihre Stimme hören wollte. Sie fragte nicht weiter und erzählte mir einfach von ihrem Tag, nicht ahnend, dass ich Arschloch sie betrogen hatte.
 

Ich bin wahrlich nicht stolz darauf, doch auch wenn ich mir vornahm, nie wieder in dieses Kino zu gehen, so konnte ich mich selbst nicht daran hindern. Ich besuchte es nicht oft, doch ab und an fühlte ich mich einsam. Das soll keine Entschuldigung sein, es war lediglich der Grund. Manchmal saß ich nur da und befriedigte mich selbst, doch ein anderes Mal machte ich mit den merkwürdigsten Kerlen rum. Küssen ließ ich mich dabei nie, achtete außerdem sehr genau darauf, dass keiner je mein Gesicht sah oder Worte von mir hörte. Auch hatte ich mit keinem einzigen der Männer richtigen Sex, selbst wenn ich es eigentlich ausprobieren wollte und deutlich war, dass viele danach verlangten;. Ich tat es nicht, aus Angst, aus Selbsthass, wegen Miriam und weil ich mich nicht so einfach hergeben wollte.

So einsam ich mich vor den Besuchen fühlte, so schmutzig fühlte ich mich jedes Mal hinterher. Ich duschte dann lange und rieb mir dabei fast die Haut vom Körper. Und oft telefonierte ich anschließend mit Miriam, sagte ihr, wie sie mir fehlte und dass ich sie bald sehen wollte. Das war keine Lüge. Ich vermisste Miriam wirklich an meiner Seite, da sie mir oft Kraft gegeben hatte und Ruhe. Weil ich mich ab und an in ihrer Gegenwart vergessen konnte, mich und mein schäbiges Selbst.
 

„Wurde Miriam nie misstrauisch?“

„Nein, nicht ein Mal.“

„Sie haben also dieses Doppelleben immer weiter geführt?“

„Nein, nicht immer. Es gab Zeiten, in denen ich monatelang nicht in so ein Kino ging… entweder, weil Miriam mich besuchen war oder weil ich mich einfach schon dreckig genug fühlte. Außerdem wird so etwas riskanter und schwieriger je bekannter man wird…“

„Haben Sie in der Zeit darüber nachgedacht, sich von ihr zu trennen?“

„Mehr als ein Mal. Aber zu einfach klingen mag, auf meine Weise habe ich sie geliebt und wollte sie nicht verlieren. Und ich wollte ihr nicht wehtun…“

„War Ihnen nicht klar, dass Sie das irgendwann würden?“

„Ehrlich? Nein. Ich dachte, ich könnte immer so weiter machen… und vielleicht würden diese Triebe auch irgendwann nachlassen. Das mag naiv klingen, aber ich habe das wirklich geglaubt.“

„Also haben Sie ihre Maske weiter getragen?“

„Ja… aber sie wurde immer schwerer.“
 

Ich hatte das Thema Homosexualität immer tunlichst aus meiner Umgebung ferngehalten. Wenn darüber gesprochen wurde, dann abwertend zwischen uns Fußballern, weil komische Witze fielen oder jemand mit einem der Schimpfwörter neckend bedacht wurde. Keiner nahm es ernst, denn so etwas wie Homosexualität kommt bei einem Fußballer einfach nicht vor! So ist die Regel, danach leben wir alle.

Ich habe manchmal darüber nachgedacht, was wäre, wenn sich irgendjemand outete. Es käme auf den Bekanntheitsgrad an, auf die Liga, doch vermutlich würde er in jedem Fall erst einmal ziemlich fertig gemacht werden. Dabei ist Homosexualität mittlerweile sogar in der Politik kein Tabu mehr, wieso dann also bei einem so primitiven Sport wie Fußball? Ganz verstanden habe ich das nie, aber selbst wenn, hätte ich daran nichts ändern können.

Wenn ein Fußballer schwul wäre, würde er als schwach gelten. Er würde vermutlich kaum Bälle zugespielt bekommen, würde die meisten Fouls ertragen müssen, ohne dass der Schiedsrichter pfeift. Wenn er sich wirklich weh täte, weil er gerade einen Fuß in den Bauch bekommen hatte oder böse umgeknickt war, würde er als Weichei beschimpft werden und vielleicht sogar ausgelacht. Viel schlimmer wäre es aber vermutlich abseits des Feldes, bei Feiern, unter der Dusche, in der Kabine. Fußball ist ein sehr enger Sport. Man kann hier wahre Freunde finden, mit denen man alles teilt. Man ist männlich und cool und wenn man sich in den Arm nimmt, weil ein Tor gefallen ist oder gerade etwas anderes schönes passiert ist, so gilt dies nicht als schwach oder unmännlich, denn man ist ja ein Hetero. Wenn man dem Mannschaftskollegen spielerisch einen Klaps auf den Hintern gibt, so denkt sich keiner etwas dabei, selbst dann nicht, wenn man in der Dusche rangelt bis man sich lachend am Boden miteinander balgt. Das alles sind männliche Freundschaftsrituale, die zeigen, dass man sich auf dem Feld bei einem Spiel vertrauen kann. Doch was ist, wenn nun einer dabei ist, der vielleicht durch den Besuch in der Dusche erregt wird? Oder wenn alle glauben, dass er gerne seinen Kollegen an den Hintern fasst? Dann würden sie ihm aus dem Weg gehen, ihn meiden, sich beim Duschen bedecken und tunlichst nicht mehr bücken. Bei einem erfolgreichen Tor gibt es wahrscheinlich noch einen Handschlag und in einer betrunkenen Runde wird man niemals den Arm um die Schulter gelegt bekommen.

Natürlich, vielleicht ist das alles auch nur sehr überspitzt negativ gesagt, doch genau vor diesen Dingen habe ich Angst. Ich will nicht anders behandelt werden, nur weil ich auf Schwänze stehe. Das heißt doch nicht, dass ich meine Kollegen angaffe und als Lustobjekt ansehe. Im Gegenteil, dadurch, dass man die Leute kennt und viele ganz alltägliche Situationen mit ihnen erlebt, ihre Macken oft genug erfahren hat, beginnen sie, unattraktiv zu werden. Ich für meinen Teil achte nicht auf ihre nackten Körper unter den Duschen. Ich starre sie nicht an und geile mich nicht daran auf. Ich käme nicht mal auf die Idee, das zu tun, denn auf gewisser Weise sind sie wie meine Brüder und wenn ich hetero wäre, würde doch auch keiner glauben, dass ich meine Sophie angaffe.

Doch man kann nicht verlangen, dass das verstanden wird. Da ein Hetero normalerweise mit Frauen nie so eng zusammen ist, wie wir es beim Fußball sind, kann er sich nicht vorstellen, dass es da eine andere zwischenmenschliche Ebene gibt, die nichts mit der Sexualität zu tun hat. Stattdessen wird angenommen, dass man es als Schwuler auf jeden Kerl abgesehen hat. Was ein Irrsinn!

Um in der Realität zu sprechen, bei mir war es so, dass ich nach Karim meine Augen vor meinen Teamkameraden bewusst verschloss. Ich ging keine zu engen Freundschaften mit ihnen ein, da ich so etwas nicht noch ein zweites Mal erleben wollte. Ich wollte mich nicht noch einmal in jemanden verlieben, mit dem ich so viel teilte, dem ich so nahe war. Und so konnte ich von Glück sprechen, dass auch tatsächlich nie jemand in den Mannschaften auftauchte, der mein Interesse wirklich weckte. Natürlich, hier und da fand ich einen Neuzugang ganz attraktiv oder konnte ich nach einem erneuten Vereinswechsel nicht anders, als wenigstens einen kurzen Blick auf meine neuen Kameraden zu werfen, doch letztendlich war nie jemand dabei, für den ich Gefühle riskiert hätte. Ich wollte nur Freundschaft von ihnen, eine etwas distanzierte Freundschaft, in der nicht verlangt wird, dass man alles über sich preisgibt. Außerdem war ich ohnehin nie lang genug an einem Ort, um ein engere Bindung aufzubauen.
 

Das Thema Homosexualität im Fußball beschäftigte jedoch nicht nur mich, sondern an irgendeinem Punkt auch meine Freundin. Miriam interessierte sich allgemein sehr für die Psychologie von Menschen, so war es eigentlich kein Wunder, dass sie auch dieses Thema irgendwann ansprechen würde. Wahrscheinlich hätte jeder Fußballer irgendwie allergisch darauf reagiert, dass sie bei mir aber einen besonders wunden Punkt treffen würde, konnte sie natürlich nicht ahnen.

Das Thema kam auf, als sie mal wieder bei mir zu Besuch war. Sie hatte während der Zugfahrt einen entsprechenden Artikel gelesen und wollte gerne darüber mit mir reden. Ich wollte dies, verständlicherweise, auf gar keinen Fall, zumal ich in der allerersten Sekunde befürchtete, enttarnt worden zu sein. Also reagierte ich gereizt und schlecht gelaunt darauf, fragte sie, warum sie das Thema überhaupt interessierte. Sie sagte, wie schlimm sie es fände, dass sich ein schwuler Fußballprofi sein Leben lang verstecken müsste. Sie redete darüber, als würde sie alles verstehen, jedes Problem, den Druck und Schmerz, und alles, was sie von mir wollte, war meine Zustimmung.

Eigentlich hätte ich nur nicken müssen, mein Mitleid beteuern und sagen, dass ich, wenn sich in meiner Mannschaft einer outen würde, damit keine Probleme hätte. Für mich, der ich doch selbst in genau der Situation war, hätte das doch eigentlich ganz einfach sein sollen. Doch das war es nicht. Denn ich fürchtete Enttarnung, hatte Angst um meine Existenz und auch ein kleiner Teil meines aufgebauten Heterostolzes ließ es nicht zu. Also fauchte ich sie an, dass Schwule kein Fußball spielen könnten. Sie seien zu schwach dafür, zu sehr Frau, und so weiter. Ich zählte ihr genau die Argumente auf, die ich gegen mich vermutete, wenn ich mich jemals outen würde. Ich zählte ihr die Gründe auf, welche mich nicht mal im Traum daran denken ließen, je einem Menschen die Wahrheit zu sagen. Und ich echauffierte mich dabei völlig, was Miriam natürlich gar nicht begriff. Sie warf mir Intoleranz an den Kopf und verließ wütend das Zimmer.
 

Abgesehen davon verstanden Miriam und ich uns prächtig. Beide hörten wir von unseren Freunden immer Bewunderungen darüber, dass wir diese Fernbeziehung lebten, doch wir verstanden nicht, was daran so schlimm sei. Allerdings muss ich sagen, dass es für mich ohnehin etwas anderes sein musste als für sie. Ich vermisste meine beste Freundin, sie ihren Liebsten. Das ist ein Unterschied, der natürlich nie zur Sprache kam.

Dadurch, dass wir lange nicht zusammenlebten, fühlte ich mich ein Stück frei. Nachdem ich bei Til und Lutz ausgezogen war, hatte ich beschlossen, nicht noch einmal in eine WG zu ziehen. Das war nicht mein Ding, ich brauchte mein eigenes Reich, nicht nur ein eigenes Zimmer. Auf Auswärtsspielen war ich schon eng genug mit anderen Menschen zusammen, dann brauchte ich wenigstens hier und da Zeit und einen Rückzugsort ganz für mich alleine. Und immerhin verdiente ich mittlerweile auch mehr als genügend Geld, um mir diesen Luxus zu leisten.
 

Ich war gerade achtzehneinhalb als ich zum ersten Mal ins Gespräch für die Nationalmannschaft kam. Mittlerweile hatte ich schon bei drei Erstligavereinen gespielt und in zwei verschiedenen großen Auslandsvereinen. Im nächsten Jahr standen wieder Europameisterschaften an. Ich konnte es kaum fassen.

Natürlich wusste ich mittlerweile, wie gut ich war. Ich war flinker als viele andere und sehr schusssicher. Fast jeder Elfmeter traf ins Tor und bei Zwei- oder oft sogar Dreikämpfen behielt ich die Überhand. Zuerst hatten sich die Zweitligavereine um mich geschlagen, dann die der ersten Liga. Ich ging Schritt für Schritt näher einem Traum entgegen, den ich nie für real gehalten hatte, doch nun war ich fast am Ziel. Ich liebte diesen Sport, ich liebte das Reisen durch die verschiedensten Länder, liebte es, ständig neue Gesichter zu sehen, auf neuen Rasen zu stehen und immer andere Bälle zu treten und auszuprobieren. Das Geld liebte ich natürlich auch und den Ruhm, die Anerkennung. Frauen flogen auf mich und Männer bewunderten mich. Das war ein gutes Gefühl und alles, was ich je hatte erreichen wollen. Zumindest war ich davon lange Zeit vollkommen überzeugt.
 

„Damals haben Sie es nicht in die Nationalmannschaft geschafft.“

„Stimmt. Sie hatten viele gute Leute zur Verfügung, deshalb kam ich nicht in den Kader. Aber sie meinten, ich solle weiter trainieren, meine Chancen ständen gut…“

„Und wie wir heute sehen, hat es geklappt!“

„Ja, sogar recht bald. Als ich 20 war, rief mich mein Manager an und verkündete es mir… Sie können sich vorstellen, wie aus dem Häuschen ich war!“

„Das kann ich. Sicher haben sich ihre Eltern sehr darüber gefreut.“

„Ja, aber der erste, den ich angerufen habe, war Dennis.“

„Aha?“

„Ja. Wir hatten schon lange nicht mehr geredet, aber ich wollte es ihm sagen. Ich wusste, dass er mittlerweile bei einer Versicherungsgesellschaft arbeitete und scheinbar keines meiner Spiele verpasste. Ich wollte es ihm sagen, bevor er es aus dem Fernsehen erfuhr.“

„Und wie hat er reagiert?“

„Na, er hat sich riesig für mich gefreut! Und dann wollte er wissen, wie es mir die ganze Zeit über ergangen war… und in dem Moment ist es einfach so aus mir heraus gesprudelt…“

„Was? Dass sie schwul sind?“

„Nicht direkt, aber ich habe ihm gesagt, dass ich ein Versteckspiel lebe und langsam daran kaputt gehe. Dann habe ich aufgelegt.“
 

Kapitel 6 - ENDE



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Kommentare zu diesem Kapitel (13)
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Von:  TamakiSuo
2010-08-31T21:00:48+00:00 31.08.2010 23:00
Wow.. Also ich habe heute Nachmittag beim FF-stöbern durch Zufall deine entdeckt und bin echt überwältigt. Leider muss ich morgen früh raus und schaffe es daher nicht noch das 7. Kapitel zu lesen, also muss ich meinen lange geplanten Mega-Kommentar jetzt schreiben :)

Ich liebe die Geschichte! Ich liebe die Art wie du schreibst und diese Aufmachung als Auto-Biographie mit den Interview Stückchen dazwischen, das ist genial. Generell schreibst du voll schön und wie ein Profi, bis auf den ein oder anderen Tip-Fehler :'D Aber echt.. hammer gut.

Ich fänds voll toll, wenn die Geschichte als Buch heraus käme.
Sie ist einzigartig und das vorallem für mexxlerische Verhältnisse, bei denen die Storys meist ein Pair umfassen und nach drei Kapiteln schon die Lust raus ist und miteinander geschlafen wird. Solche FFs lese ich zwar auch ganz gerne, aber deine ist echt was besonderes :)

Wie ein dramatisch angehauchter, als Geschichte verpackter Rat sich nicht zu verstellen, zu dem zu stehen was man ist und natürlich die perfekte Geschichte für alle schwulen, jungen Männer die im Inbegriff sind, genau das zu tun, wie der junge Mann in dieser Geschichte.

Wenn man sie liest lebt man nämlich richtig mit ihm, und geht fast selbst kaputt an den Lügen und seiner Maskerade und man sagt ihm, dass er dumm ist, das zu tun. Solche Kritik an anderen zu üben ist viel leichter als Selbstkritik, deshalb nimmt man aus dieser Geschichte sicher viel mit.

Es kann sein, dass sich das was ich schreibe vollkommen übertrieben anhört, ja sogar für mich selbst XD, aber ich meine es so wie ich es sage.

Ich habe sogar zwei mal geweint :'(
Einmal als er Karim verprügelt hat und gerade am Ende des 7. Kapitels.. Oy..

Ich finde aber auch, dass es noch länger werden kann. Vorallem es.. Ich denke jetzt schon es sei ein Buch :D

Aber den Namen des Fußballers will ich gar nicht wissen, genauso wenig wie Länder, Beträge und sonstiges. Ich finde es eigentlich gut, dass du das so machst, wie du es machst :)

Weiter so! <3
Von: abgemeldet
2010-08-16T09:57:22+00:00 16.08.2010 11:57
Das Ende des Kapitels ist einfach fantastisch...im Siegestaumel ist man immer ein wenig leichtsinnig :) und es gibt weitere 5 Kapitel, doch nicht etwa eine schöne Szene mit seinem Lebenspartner? Ich bin äußerst gespannt und kann dich für deine fasziniernde Geschichte nur loben, danke für deine Arbeit, MfG Eisigerhauch
Von:  Onlyknow3
2010-08-14T16:57:15+00:00 14.08.2010 18:57
Also von mir aus können es auch noch mehr werden.Finde die Geschichte wird mit jedem Kapitel besser,nur möchte ich auch endlich den Namen von deinem Fussballer wissen wenn er schon so Berühmt ist.
Das wäre ein vorschlag fürs nächste Kapitel.
Weiter so du bist super.
LG
Onlyknow3
Von:  Samrachi
2010-08-14T15:47:29+00:00 14.08.2010 17:47
oh das ende war ja wirklich eine überraschung O__o dass er das dennis gesagt hat ist ziemlich aus heiterem himmel gekommen, aber man kann echt verstehen, dass ihm das langsam aber sicher zu viel wurde das ganz alleine zu tragen.
dass er so aggressiv auf miriams themenanschnitt reagiert hat ist sein schutzmechanismus gewesen ;_; je weiter das thema weggeschoben und nicht mit ihm in verbindung gebracht werden kann, umso besser für ihn.

bin auf die nächsten kapitel gespannt ^^
lg Samra
Von:  Tali
2010-08-13T19:05:26+00:00 13.08.2010 21:05
Ich bin wirklich mal gespannt, wie es weiter geht. Mitlerweile ist unser Held an seinen eigentlichen Lebenstraum angekommen. Trotz aller Hürden und der selbst aufgelegten Maske, gelingt ihm der Sprung in die Nationalmanschaft.
Ehrlich gesagt, hab ich erwartet, dass du es nur bis zu diesem Ziel schreibst. Aber nun freue ich mich um do mehr über die Kapitelverlängerung! ^^
Von: abgemeldet
2010-08-13T16:42:01+00:00 13.08.2010 18:42
<Ich fühlte mich ständig und zu jeder Zeit unter Beobachtung, manchmal selbst dann, wenn ich alleine in meiner Wohnung war.> Also, wenn es schon so weit ist, dass man sich in seinen eigenen vier Wänden nicht mehr sicher fühlt...
<Wieso war ich kein normaler Mann? > HALLO, aufwachen! Das bist du! Man, das würde ich ihm wirklich gerne zurufen...
<und vielleicht würden diese Triebe auch irgendwann nachlassen.> Klar, ist ja alles nur ein Phase, nicht wahr? -.-
<So ist die Regel, danach leben wir alle. > Regeln sind da um gebrochen zu werden.
< Dann würden sie ihm aus dem Weg gehen, ihn meiden, sich beim Duschen bedecken und tunlichst nicht mehr bücken.> Ich fand es erschreckend, als ich das alles gelesen habe... so genau habe ich mir das nie überlegt... klar, die anderen werden sich anders verhalten (leider), aber so im Detail ist es vielleicht doch begreiflicher, warum sich schwule Fußballer nicht outen...
<Dann habe ich aufgelegt.> Aber wenigstens hat er angefangen, die Maske fallen zu lassen... wenn auch gezwungener Maßen, weil sie einfach zu schwer wurde...
LG cada :)
Von:  Elena_Jenkins
2010-08-11T19:30:27+00:00 11.08.2010 21:30
Oh je~
das klingt alles zunehmend negativ. Gut ok, mit ausnahe dass er in die National 11 gekommen ist... aber sonst?
Schwulen Kino, indirektes direktes Betrügen der Freundin... ect. Ich find sein Leben wir nebenher immer und immer schwerer und negativer.
Und wie lange er das durchhält.. das würd ich auch gern wissen.
Dass es statt 10 nun 15 Kaps sind, feut mich ungemeinxD Mehr lesen *hehehe*
Auf jeden fall wieder ein 100%iges Kap geworden was es mehr als nur verdient hat, gelesen zu werden.

also:
;
Moi freut sich ^^

*kisu* & vlG,
Iv-chan
Von:  ReinaDoreen
2010-08-11T18:44:36+00:00 11.08.2010 20:44
So ein Versteckspiel ist Schwerstarbeit, vor allem für die Psyche. Vor allem, weil ja kein Ende in Sicht ist, zu diesem Zeitpunkt.
Ich glaube, Dennis versteht nicht was gemeint ist.
Reni
Von:  CreamCake
2010-08-11T14:16:55+00:00 11.08.2010 16:16
finds super das die story noch weiter geht :)
nur das ende des kapitels gefällt mir nicht >.< hätte ruhig länger sein können^^
bin gespannt wie das nächste Kapitel wird
liebe grüße
Von:  Wolkenfee
2010-08-11T10:22:10+00:00 11.08.2010 12:22
Wow, ich find das wirklich großartig, wie du seinen inneren Konflikt beschreibst, dadurch kann ich wirklich gut nachvollziehen, wie es ihm geht.
Miriam tut mir Leid, weil sie ja irgendwie die ganze Zeit benutzt wird, auch wenn er sie sehr mag.
Bin mal gespannt, wie Dennis reagiert.
Und dass es länger wird als geplant, find ich gut. ^__^
LG, Fee


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