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Traum oder Wirklichkeit?

von

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Doktor Castien saß jetzt schon eine geraume Weile neben Deans Bett, anscheinend schien er darauf zu warten, dass Dean ihn beachtete. Darauf konnte er lange warten. Dean hatte keine Lust hier zu sein und das Spiel würde er nicht mitspielen. Bisher war er immer zurück gekommen, warum sollte es dieses Mal anders sein?

„Ich möchte sie ungern hier gefesselt liegen lassen“, sagte Castien irgendwann.

Dean verdrehte seine Augen. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er immer noch sagen, dass dies Castiel war. „Dann machen sie mich doch einfach los.“ Dean lächelte den Doktor breit an. „Was hindert sie daran?“

Castien seufzte laut. „Die Vorschriften, Dean, die Vorschriften. Es gibt für alles Regeln und die müssen eingehalten werden.“

„Scheiß auf die Vorschriften, Cas.“ Er sprach ihn extra mit Cas an, hatte er doch schon gemerkt, dass es den Doktor in irgendeiner Weise beeinflusste. „Mach mich los.“ Er beobachte Castien, der sich jedoch keinen Millimeter bewegte. Kurz schloss er seine Augen, seufzte laut. „Bitte“, fügte er noch leise hinzu. Er hatte keine Lust mehr, an diesem Bett gefesselt zu sein. Um diese Situation bekämpfen zu können, musste er erst herausfinden, womit er es eigentlich zu tun hatte. und das konnte er bestimmt nicht, wenn er wieder nur mehrere Stunden an diesem Bett gefesselt war. Was er zu tun hatte, war recherchieren, auch wenn Dean sonst diese Arbeit liebend gern Sam überließ. Aber das hier wäre kein langweiliges Recherchieren in irgendwelchen alten verstaubten Büchern. Er würde sich umsehen, sich ein Bild über seinen Standort machen, Informationen sammeln.

„Okay“, sagte Castien kleinlaut. Er beugte sich näher zu Dean. „Aber sie müssen mir versprechen, dass sie sich benehmen. Es wird immer jemand bei ihnen sein, also denken sie nicht einmal daran, weg zu laufen. Es würde ihnen sowieso nichts bringen. Vor der Realität kann man nicht davonlaufen.“

Dean war es gleich, dass Castien so einen Müll laberte. Er hatte nur gehört, dass er ihn losbinden wollte. Eine Chance, die er wohl so schnell nicht wieder bekommen würde. Er müsste ihn sofort überwältigen und sich auf seinen Weg nach draußen bloß nicht erwischen lassen, sonst würde er wohl wieder in so einer Zelle landen, wie bei seinem ersten Besuch. Aber wo wollte er eigentlich hin? Das hier war doch nur ein Traum, oder? Aus einem Traum konnte man doch schlecht fliehen.

Jedoch musste er es versuchen. Außerdem war sich Dean nicht mehr wirklich sicher, ob es nur ein Traum war. Er spürte Schmerzen, was man im Traum sonst nicht tat. Vielleicht war es ja so etwas Ähnliches wie damals bei Bobby und da waren sie auch entkommen, indem sie die Situation gelöst hatten. Dean musste es einfach probieren und ein Versuch hatte noch niemanden geschadet.

Bevor der Doktor jedoch die Fesseln löste, ging er noch einmal kurz raus und kam, zu Deans Leidwesen, mit Begleitung wieder zurück. So viel zu leichtem Überwältigen. Mit dem Arzt wäre er spielend fertig geworden, wenn er die Wahrheit gesagt hatte und nichts von den Fähigkeiten des Engels besaß. Mit zwei müsste er wohl auch noch fertig werden können, wenn er Glück hatte. Dean musste bedenken, dass er schon einige Zeit in diesem Bett lag und seine Arme und Beine fühlten sich leicht taub an. Leider schlechte Bedingungen für einen Kampf. Wenn er Pech hatte, konnte er nicht einmal aufrecht stehen und sobald sie sich bewegten, wäre das Risiko größer, dass sie noch mehr Menschen begegneten.

Erst jetzt bemerkte Dean, wer mit Castien den Raum betreten hatte. er blinzelte ein paar Mal, wollte doch nicht auf irgendeine Halluzination reinfallen. Aber der Mann blieb an Ort und Stelle, wo er war. Keine Einbildung: Dort stand wirklich Henricksen. Dean konnte seinen Augen immer noch nicht glauben. Henricksen, der damals von Lilith getötet worden war.

„Hallo, Dean“, begrüßte dieser ihn mürrisch. Anscheinend war Dean hier bestens bekannt, wenn sogar ein Sicherheitswärter, wie Henricksen einer zu sein schien, ihm beim Namen nennen konnte.

Dean konnte nur nicken, glaubte er seinen Augen doch immer noch nicht so ganz.

Henricksen hatte sich mittlerweile wieder an den Doktor gewandt. „Und was soll ich jetzt hier, Jim?“ Die vertraute Anrede verwunderte Dean doch etwas, da Henricksen bestimmt unter Castien gestellt war. Zumindest hatte Dean bisher gedacht, dass Castien hier der Boss war, bei seinem Auftreten.

„Ich möchte ihn losbinden. Er soll etwas rumlaufen“, erklärte Castien. Sein Ton war sachlich und Dean meinte, auch Unsicherheit herauszuhören. War er sich seinem Plan wohl doch nicht so sicher? Dean hoffte nur, dass er sich es nicht noch anders überlegte.

Besonders als Henricksen bemerkte: „Sind sie sich auch sicher, Doktor? Sie wissen doch bestimmt noch, wozu dieser Patient dort fähig ist.“ Henricksen schaute ihn nicht an und Dean musste zugeben, dass ihn die Anrede „dieser Patient“ doch ein wenig verärgerte. So, als wäre er gar nicht im Raum.

„Hey“, rief er deshalb laut auf. „Ich bin noch hier, Mann.“ Aber Henricksen schenkte ihm nur ein halbstarkes Lächeln. „Ist ja gut, Dean.“ Irgendetwas ließ Dean meinen, dass Henricksen nicht besonders gut auf ihn zu sprechen war.

Castien hingegen tat so, als ob die beiden überhaupt nichts gesagt hätten und fuhr einfach fort: „Daüber bin ich mir natürlich absolut im Klaren, aber ich denke, dass wir in den letzten Tagen enorme Fortschritte gemacht haben und damit es noch besser läuft, müssen wir den nächsten Schritt wagen.“ Er machte eine kurze Pause und sah Henricksen intensiv an. „Damit nichts passiert, habe ich sie geholt. Ich möchte, dass sie ein Auge auf ihn werfen.“

„Jimmy, ich bin kein Pfleger, sonders Sicherheitsmann“, versuchte er sich rauszureden.

Castien nickte. „Ich weiß, aber sie sind in der Lage, ihn zu überwältigen, wenn es sein muss. Er wird sich nur im Gemeinschaftsraum aufhalten. Dort werden auch Pfleger vor Ort sein, die – falls es irgendein medizinisches Problem geben sollte – einschreiten können. Aber mir würde es besser gefallen, wenn sie bei ihm wären.“

Henricksen schaute von Castien zu Dean und wieder zurück. „Ich mag den Kerl nicht“, sagte er noch, nickte aber bereits schon.

Castien lächelte leicht, was Dean kurz stutzen ließ, war es doch sehr ungewohnt, diese Gestalt überhaupt lächeln zu sehen. Selbst als Doktor hatte er bisher nicht eine solche Regung gezeigt. „Danke, Viktor, du hast was gut bei mir.“

Dean überlegte fieberhaft, wie er jetzt vorgehen sollte. Sollte er es riskieren und versuchen, die Beiden zu überwältigen? Bei Henricksen hatte er bestimmt schlechte Chancen, wenn er beim Sicherheitsdienst war. Er war ein ausgebildeter Wachmann. Vielleicht nicht so gut ausgebildet, wie er selbst als Jäger, aber im Moment war er ihm eindeutig überlegen. Aber vielleicht würde er auch hier einiges herausfinden können. Was hatte Castien noch gleich gesagt? Es ging in den Gemeinschaftsraum. Hoffentlich könnte er dort jemanden finden, der halbwegs normal im Kopf war, um sich mit ihm zu unterhalten. Also würde er zuerst schön brav bleiben, wie er es seinem Doktor versprochen hatte.

Schon spürte er, wie sich die Fesseln um seine Fußknöchel lösten. Es war ein angenehmes Gefühl, seine Beine wieder bewegen zu können. Kurz darauf folgten seine Arme. Dean war wieder ein freier Mann, zumindest so frei wie man in einer Anstalt für psychisch Kranke nur sein konnte.
 

Der Flur war verlassen, bis auf Henricksen und Dean. Castien hatte sich zurückgezogen mit der Ausrede, er hätte noch einen wichtigen Termin, den er einhalten musste. Dean war es gleich gewesen, konnte er auf diesen Möchtegern-Castiel gerne verzichten. Und nun war er alleine mit Henricksen, der ihn wohl nicht ausstehen konnte. Dies zeigte er nur zu deutlich, indem er kein Wort mit ihm sprach und er schaute ihn die ganze Zeit finster an. Dean fragte sich, was er wohl getan hatte. Der richtige, tote, Henricksen hätte allen Grund dazu, denn Dean war nicht in der Lage gewesen, diesen zu retten. Er hätte damals dort bleiben sollen, bis er sicher war, dass alle Dämonen erledigt waren. Er hatte es nicht getan und das war definitiv ein Fehler gewesen. Nicht nur Henricksen war an diesem Tag gestorben.

Dass er jetzt, hier neben ihm ging war eigenartig. Dean wusste, dass es nicht der Echte war, genauso wenig wie Castien der echte Castiel war, aber trotzdem war es seltsam. Allein schon jemanden zu sehen, der genau so aussah. Es brachte all diese Gefühle wieder hoch, die er versucht hatte zu verdrängen: Die Tatsache, dass jeder, der nur mit ihnen zu tun hatte, früher oder später dafür bezahlen musste.

„Und hat es Spaß gemacht mich zu töten?“, fragte Henricksen plötzlich. Er musterte Dean, sah ihn dabei an, als ob er nicht mehr wert wäre als ein Stück Dreck.

Dean blieb stehen und schaute Henricksen verwirrt an. „Was?“, brachte er nur hervor.

„Ich habe gefragt, ob es Spaß gemacht hat, mich zu töten“, wiederholte er seine Worte. Dabei blieb er ebenfalls stehen und ging einen Schritt näher auf den Patienten zu.

Dean grinste schief, wusste er doch nicht, was er anderes tun sollte. „Aber sie stehen doch sehr lebendig vor mir“, warf er ein.

Ein kurzes Auflachen, ein bohrender Blick. „Nein, nicht so. Du weißt schon, wie ich das meine.“ Er kam noch einen Schritt näher. Tippte ihn dann mit dem Zeigefinger auf die Stirn. „In deiner kleinen Fantasiewelt natürlich, du Irrer.“

Dean schluckte. Er war kein Feigling, das bestimmt nicht, aber er war sich auch nicht sicher, was er darauf tun oder sagen sollte. Es war alles schon so verwirrend genug, ohne dass ihn ein plötzlich wieder lebendiger alter Freund vorwarf, ihn umgebracht zu haben.

„Dieses ganze Gerede über Dämonen und Geister zeigt doch eindeutig, dass du irre bist, Junge.“

„Ich bin nicht irre, okay?“, schrie Dean ihn an. Er konnte dieses Wort einfach nicht mehr ertragen. Vielleicht gerade deswegen, weil er wirklich Angst hatte, verrückt zu werden. „Dämonen und Geister existieren wirklich und einer davon ist bestimmt daran schuld, dass ich hier bin.“ Seine Stimme wurde leiser, ruhiger.

Henricksen lachte nur breit, schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein, Dean.“ Er sprach den Namen langsam und betonend aus. „Die Wahrheit ist, dass dich dein Vater mit seinem Teufelsgequatsche und seiner Gehirnwäsche zu dem gemacht hat, was du bist. Das ist alles. Das ist die Realität.“

Dean weitete geschockt die Augen. Diese Worte kannte er. Er hatte sie schon einmal gehört. Von derselben Person oder zumindest ansatzweise. Das hatte nämlich damals der richtige Henricksen zu ihm gesagt, als dieser auch noch davon überzeugt gewesen war, es mit einem gestörten Mörder zu tun zu haben.

„Vielleicht siehst du es ja langsam ein“, sagte Henricksen und musterte dabei Dean ziemlich eingehend. „Du siehst zumindest nicht so verrückt aus, wie sonst. Immerhin kann man mit dir reden.“

„Was meinst du damit?“, wollte Dean wissen. Auch wenn ihm dieses Gespräch nicht besonders behagte, erkannte Dean ziemlich genau, wann er eine Chance hatte, an Informationen zu kommen. Vielleicht würde er durch Henricksen zumindest etwas erfahren können. „Wieso bin ich hier?“, hakte er nach. Dabei sah er Henricksen flehend an, denn er war kein schlechter Mensch und würde ihn vielleicht mit ein bisschen Demut wirklich etwas erzählen.

„Du bist verrückt“, meinte er keck.

„Ein bisschen genauer“, verlangte Dean.

Henricksen kam noch ein Schritt näher. „Du bist Dreck“, zischte er ihm ins Ohr. „Du glaubst an Dämonen und Geister und verletzt unschuldige Menschen. Du bist völlig außer Kontrolle geraten. Seit du hier drin bist, ist es besser geworden, aber nur, weil du dir deine eigene kleine Fantasiewelt zu Recht gelegt hast, wo du deine Monster jagen kannst. Tag für Tag für Tag.“ Er machte eine kurze Pause und funkelte ihn böse an. „Von mir aus, hättest du ruhig in deiner Fantasiewelt bleiben können. Hier bist du nur ein zu großes Risiko.“

Damit wandte er sich ab und ging weiter. „Komm endlich, Dean.“

Dean blieb noch einige Sekunden an der Wand stehen, lehnte sich kurz dagegen. Diese Worte hatten ihm ganz und gar nicht gefallen. Dämonen, Geister, Dean wusste, dass so etwas existierte, aber anscheinend war er genau deswegen hier gelandet – wo auch immer er war. Das sollte der Grund sein, weshalb er all das erlebte? Naja, zumindest gab es eine Erklärung, warum er sich in einem Irrenhaus befand, aber immer noch nicht, warum er so plötzlich hin und her switchte. Geschweige denn eine Erklärung, warum er plötzlich diese gewaltigen Kopfschmerzen gehabt hatte. Dieser Ort war nicht real, also durfte es ihn nicht interessieren, was er hier für eine Geschichte haben könnte. Er musste herausfinden, warum er in dieser Welt gefangen war. Vielleicht hatten doch Engel damit zu tun und Castiel war einfach nicht darüber informiert worden. Hieß es nicht letztens noch, dass sie ihm nicht mehr so vertrauen würden, weil er zu Dean eine zu starke Bindung aufgebaut hatte? Vielleicht hatten sie es ihm einfach nicht erzählt, damit er nicht dazwischenfunkte.

Dean löste sich von der Wand und folgte Henricksen. Dieser war nun wieder so still wie zu Beginn. Von ihm würde Dean sicherlich nichts Brauchbares mehr erfahren.
 

Castien saß an seinem Schreibtisch und ging die Patientenakten durch, die vor ihm auf den Tisch lagen. Er hatte viele Patienten, aber Dean war ihm doch der Wichtigste. Deshalb hatte er extra dieses Treffen organisiert. Castien war davon überzeugt, dass sie bei Dean kurz vor einem Durchbruch standen. In letzter Zeit war er immer öfters wach gewesen und er schien auch klarer bei Verstand zu sein, als sonst. Jedoch befürchtete Castien, dass wenn sie jetzt nicht am Ball blieben, Dean ihnen für immer entgleiten könnte. Er hatte es zumindest irgendwie im Gefühl.

Immer wieder schaute er auf die Uhr, denn ihm war dieses Treffen besonders wichtig und er konnte es kaum erwarten, dass der Gast eintraf. Vielleicht könnte er mit seiner Hilfe die entscheidende Hürde schaffen.

Es klopfte kurz. Castien schaute auf, stapelte noch schnell die Krankenakten aufeinander und legte sie in eine Ecke, wo sie nicht störten, setzte sich gerade hin und sagte dann: „Herein.“

Er hatte nie gut mit normalen Leuten umgehen können, vielleicht hatte er deshalb diesen Beruf gewählt. Die Menschen dort hatten alle Probleme, lebten in ihrer eigenen kleinen Welt. Normale Bürger lebten in dieser Welt, zu dem Castien nie den richtigen Draht gehabt hatte. Er konnte seine Patienten meist besser verstehen, als so mancher Person, der er begegnete.

Aber dieses Treffen hatte er selber organisiert und er tat das alles auch nur für Dean. Auf seine Bitte kamen zwei Leute herein. Ein großgewachsener Mann mit etwas längeren braunen Haaren und neben sich eine schwarzhaarige Frau. Sie lächelte freundlich, genau wie der Mann. Castien versuchte das Lächeln zu erwidern, war sich jedoch nicht ganz sicher, ob es ihm wirklich gelang.

Er stand auf, reichte seine Hand über den Tisch hinweg. „Freut mich, dass sie Zeit hatten, Mr. Winchester.“

Sam ergriff die Hand des Arztes. „Wenn es um meinen Bruder geht, nehme ich mir alle Zeit, die ich kriegen kann.“

Das war eine Aussage, die Castien doch sehr beruhigte. Vielleicht war er mit dieser Person doch auf einer Wellenlänge. Zumindest schienen sie das gleiche Ziel zu verfolgen. Natürlich begrüßte er auch die Frau, die nach Sam den Raum betreten hatte.

„Willkommen, Mrs. Winchester“, begrüßte er sie.

Aber diese schüttelte sachte den Kopf. „Noch nicht ganz“, sagte sie, während sie ihm ihre linke Hand entgegen streckte, um ihren Verlobungsring zu präsentieren. „Noch bin ich Ruby Forester.“

Castien lächelte verlegen. „Dann gratuliere ich schonmal. Aber setzen sie sich doch.“ Er zeigte auf die beiden Stühle, die ihm gegenüber auf der anderen Seite seines Schreibtisches standen. Gleichzeitig mit seinen Gästen nahm er ebenfalls wieder Platz.

Er holte einmal tief Luft, ging in Gedanken nochmals durch, was er sich vorgenommen hatte zu sagen. „Wie ich schon am Telefon erwähnt habe, geht es um Dean. Ich habe das Gefühl, dass wir bei ihm vor einer entscheidenden Wende stehen könnten.“

Sam richtete sich in seinem Stuhl auf. „Wie meinen sie das, Doktor?“ Er hatte schon viel mit Dean durchgemacht und es war schon häufiger der Fall gewesen, dass man ihm gesagt hatte, dass er vermutlich wieder gesund werden könnte. Daher ging er jetzt bei solchen Meldungen immer behutsam vor und wartete mit dem Hoffen ab, bis es wirklich Sinn ergab.

Castien hatte mit einer solchen Frage gerechnet. Er kannte Sam zwar noch nicht, da er Deans Fall erst seit kurzem betreute und immer wenn dieser seinen Bruder besucht hatte, anderweitig beschäftigt gewesen war, sodass er keine Zeit gehabt hatte, mit ihm zu reden, aber er ging davon aus, dass Sam ein sehr rationaler Mensch war, der eine Situation erst analysierte, bevor er handelte oder gar reagierte. „Es liegt der Fall vor, dass er seit kurzem immer häufiger bei Bewusstsein ist“, erklärte Castien sachlich. „Und zwar ist er voll und ganz ansprechbar, auch wenn er noch etwas verwirrt scheint. Er ist sich wohl nicht sicher, was er glauben soll und was er für real halten soll. Er hat schon so lange in seiner Realität gelebt, dass es ihm schwer fällt, das Hier zu akzeptieren.“

Sam wartete mit seiner Antwort, ließ sich das Gehörte einen Moment durch den Kopf gehen. Tief in seinem Innern begann er zu hoffen, wusste jedoch, dass es falsch war. Er durfte sich nicht dieser Schwäche hingeben, sondern musste alles ganz sachlich behandeln. „Verstehen sie mich nicht falsch, Doktor, aber diese ganzen Versprechungen habe ich schon so oft gehört. Manchmal sah es richtig gut aus, zuletzt vor ein paar Monaten, wo ich wirklich geglaubt hatte, dass es jetzt vorbei wäre. Aber genau das ist auch der Grund, weshalb ich ihnen nicht ganz vertraue. Es mag zwar sein, dass er sich anders verhält, aber diese Phasen hatte er immer mal wieder. Das hat nichts zu bedeuten.“ Sam machte eine kurze Pause. „Es tut mir leid, falls das hart klingen sollte, aber so ist es nun mal.“ Sam fiel es sichtlich schwer, diese Worte auszusprechen, wollte er doch genau so gerne hoffen wie der Arzt. Aber er wusste, dass es nur mehr Schmerzen bringen würde. Er spürte, wie Ruby nach seiner Hand griff und sie feste drückte. Es tat gut, sie bei sich zu haben.

„Ich kann sie gut verstehen“, sagte Castien, darauf hoffend, dass Sam nicht die Heuchelei in seiner Stimme bemerken würde. „Aber ich denke, dass es dieses Mal anders ist.“ Castien hob seine Hand, um Sam zu stoppen, der gerade etwas einwenden wollte. „Ich bin mir im Klaren darüber, dass ich erst seit kurzem hier bin, aber sie können mir glauben, dass ich jedes einzelne Blatt in seiner Akte eingehend studiert habe. Ich kenne die Geschichte ihres Bruders bis ins kleinste Detail und-“ Er hielt kurz inne, sich nicht ganz sicher, ob er es preisgeben sollte, ob es wirklich klug war. Es würde ihn gegenüber Sam angreifbar machen, aber er hatte keine andere Wahl. Castien schätzte Sam so ein, dass man ihn nur überzeugen konnte, wenn man offen und ehrlich mit ihm umging. „Und mir liegt sehr viel an Dean“, gab er schließlich zu.

Sam nickte verstehend. „Das glaube ich ihnen sogar, Doktor, aber das ändert meine Meinung nicht. Sie können mir erzählen, was sie wollen. Ich werde erst davon überzeugt sein, wenn er nicht mehr über Geister und Dämonen redet und das für eine lange Zeit.“

Sams Misstrauen überraschte Castien in keinster Weise. Sie war wohl begründet und wie er selber, gab vermutlich auch Sam ihm die Schuld für seinen letzten Rückfall. Vier Monate war Dean klar gewesen, auf den besten Weg zu einer vollständigen Genesung und Castien hatte einen schwerwiegenden Fehler gemacht. Nur weil er den Patienten noch nicht gut genug gekannt hatte. „Ich verlange auch gar nicht, dass sie mir glauben oder vertrauen. Ich möchte eigentlich nur ihre Hilfe.“

Sam schaute überrascht auf. „Wie bitte?“

Castien ordnete seine Gedanken. „Es war meine Schuld, dass Dean diesen Rückfall gehabt hatte. Seitdem versuche ich an ihn heranzukommen. Aber es ist schwierig. Er lässt nur wenige Leute an sich heran und dass er mich für einen Engel hält, macht es nicht gerade leichter.“ Er lachte leise auf, um seine Unsicherheit zu überspielen.

„Das will ich gar nicht hören, Doktor. Es ist ihre Aufgabe und die haben sie bisher nicht sehr gut erledigt“, regte sich Sam auf. Sofort spürte er den leichten Druck von Rubys Hand. Er bemühte sich, wieder etwas ruhiger zu werden, aber es gelang ihn nicht recht. Viele hatten ihm schon Versprechungen gemacht, ihm das Blaue vom Himmel gelogen und der erste Arzt, der wirklich ehrlich zu ihm war, schrie er an. Sam konnte es sich nicht wirklich erklären. Es war einfach über ihn gekommen. „Es tut mir leid.“

Castien schüttelte sachte seinen Kopf. „Das muss es nicht. Es ist die Wahrheit und sie haben das beste Recht mir Vorwürfe zu machen.“ Er schaute an seinen beiden Gästen vorbei zur gegenüberliegenden Wand. „Ich möchte ihrem Bruder helfen und meine Fehler wieder gut machen. Auch wenn ich weiß, dass ich meine Schuld wohl nie ganz begleichen kann, möchte ich sie doch wieder mit Dean zusammen führen.“

„Sie müssen Sam verstehen“, mischte sich jetzt zum ersten Mal Ruby ein. „Vor ein paar Monaten hat er geglaubt, seinen Bruder wieder zu haben und dann wurde er ihm einfach wieder genommen.“

Castiens Blick wurde traurig.

„Aber sicherlich gibt er nicht ihnen die Schuld dafür. Vielmehr quält es ihn selbst, dass er nichts dagegen tun konnte. Dean hat immer auf ihn aufgepasst, schon als sie noch Kinder waren und Sam zerfrisst es förmlich, dass er ihm nicht einmal helfen konnte. Zumindest sieht er das so.“

Castien und Sam blickten beide gleichzeitig zu Ruby, überrascht über ihre Einsicht der Dinge. Besonders Sam war verblüfft, hatte er dies doch nie laut ausgesprochen und trotzdem passten diese Worte exakt zu seiner Gefühlslage.

„Ich habe ihn schon häufig davon überzeugen wollen, dass er alles tut, was er kann, aber er glaubt mir nicht. Er ist in dieser Hinsicht ziemlich stur, müssen sie wissen.“ Ihre Gedanken entlockten ihr ein leichtes Lächeln. „Aber wenn er ihm irgendwie helfen kann, wird er es sicherlich tun. Er würde alles für seinen Bruder tun.“ Ruby schaute zu ihrem Verlobten und nickte ihm verstehend zu.

Sam blickte ihre einige Zeit in die Augen, sah darin dieses grenzenlose Verständnis. Ruby hatte sich nie beschwert, wenn Dean Sam mal wieder wichtiger gewesen war. Sie hatte es immer verstanden und akzeptiert. Sie hatte ihn dabei sogar noch unterstützt.

Schließlich atmete Sam einmal hörbar auf und wandte sich an Castien. „Wie kann ich helfen?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2010-09-18T13:05:05+00:00 18.09.2010 15:05
aha aha...intersessant... ^^

"Castien lächelte leicht, was Dean kurz stutzen ließ, war es doch sehr ungewohnt, diese Gestalt überhaupt lächeln zu sehen." - das fand ich voll süß xD

"....Verlobungsring zu präsentieren. „Noch bin ich Ruby Forester.“" - und DAS fand ich voll ätzend....nichts gegen dich....aber ich HASSE Ruby! So....das wollte ich nur noch mal gesagt haben ;P

HDL Janine :D


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