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Zwischen den Fronten

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Ungeplante Wendung

Seit dem überraschenden Besuch meines Vaters waren drei Woche vergangen, in denen mir Kian nicht von der Seite gewichen war. Seine Verletzungen waren inzwischen fast wieder verheilt. Von den Kratzern im Gesicht sah man gar nichts mehr und den Gips um den Arm hatte er letzte Woche auch ablegen können. Noch hatten wir keine Mannaro getroffen und es schien auch nicht so, als hätten sie es noch auf mich abgesehen, doch mein bester Freund ließ sich davon nicht beeindrucken. Er brachte mich sogar früh in die Schule und holte mich nachmittags wieder ab. Und wenn ich ehrlich war, konnte ich damit sehr gut leben.

Aber den Grund, weshalb mein Vater überhaupt bei Kian und mir aufgetaucht war, wusste ich nicht. Er hatte irgendetwas mit Kian besprechen wollen, das hatte er gesagt. Aber wie es schien, hatte er es sich anders überlegt, als er mich in der Wohnung angetroffen und von unserer derzeitigen Situation erfahren hatte.

Ich seufzte. Im Moment saß ich in der Schule und ließ den Matheunterricht, die letzte Stunde des Tages, über mich ergehen. Seit meinem Streit mit Ryan war es mit meinen Zensuren in diesem Fach nur bergab gegangen. Ich verstand nicht einmal mehr, wovon der Lehrer überhaupt redete. Dass es Dean und George nicht anders ging, beruhigte mich kein Bisschen.

„Mister Stone.“, sprach der Lehrer, Herr Müller, mich zu allem Überfluss auch noch an, „Ich glaube ein wenig mehr Aufmerksamkeit würde Ihnen nicht schaden.“

Mit dem Gedanken längst wieder bei dem Apfelbaum neben der Schule nickte ich. Ich würde ja aufpassen, wenn ich könnte. Wenn ich den Sinn dieses Faches verstehen würde und nicht gerade ein ganzes Rudel Werwölfe hinter mir her wäre.

Der Lehrer schrieb einige Aufgaben an die Tafel. Wortlos kopierte jeder aus der Klasse sie in sein Heft, ich auch. Doch als es dann galt, sie zu lösen, musste ich kapitulieren. Egal wie sehr ich mich bemühte, ich konnte es einfach nicht.

Und als wäre das nicht schon Demütigung genug gewesen, musste der Lehrer auch noch durch die Klasse gehen und uns beim Rechnen zusehen. Hatte er nichts besseres zu tun? War sein Job so schlecht bezahlt, dass er das an uns auslassen musste? Er hätte einen anderen lernen können! Zu Allem Überfluss blieb er direkt hinter mir stehen und warf einen Blick in meinen Hefter. „Sie haben noch nicht eine Aufgabe gelöst. Meinen Sie nicht, es wäre angebracht, etwas mehr für den Unterricht zu lernen.“

Am liebsten hätte ich den Hefter samt Mathebuch nach dem Mann geworfen. Was bildete er sich eigentlich ein? Gut, es war wichtig, wenigstens ab und zu etwas für die Schule zu tun, aber momentan konnte ich das wirklich nicht! Ich hob meinen Blick von der Bank und sah den Lehrer wütend an. „Ich habe im Moment wirklich andere Probleme.“, zischte ich.

Einige Sekunden lang war es still. Dean und George schauten mich leicht erschrocken an, während der Lehrer um seine Fassung rang. „Alec Stone!“, schimpfte er hörbar empört, „Sie melden sich nach der Stunde bei mir!“

Nur langsam begriff ich, was ich mir durch meine etwas unangebrachten Worte eben eingehandelt hatte. Eine Menge Ärger. Wenn es gut ausging, würde der Lehrer nur meinen Vater anrufen und mit etwas Glück sagte dieser nichts dazu. Hatte ich allerdings Pech, müsste ich wahrscheinlich ein paar Tage nachsitzen. Ich seufzte. Da hatte ich mir ja etwas schönes eingebrockt. Hoffentlich durfte ich heute nach ein paar Minuten gehen und Kian musste nicht zu lange auf mich warten. Er machte sich schon genug Sorgen.

Das Klingeln riss mich aus meinen Gedanken. Schnell stopfte ich meine Sachen in meinen Rucksack. Der Lehrer ging zurück an seinen Platz, er sah nicht in meine Richtung und beobachtete auch nicht meine Klassenkameraden, die gerade das Zimmer verließen. Für einem Moment spielte ich mit dem Gedanken, jetzt einfach zu verschwinden, verwarf ihn aber schnell wieder. Damit würde ich wahrscheinlich nicht durchkommen. Ich quälte mich zum Lehrertisch und schaute Herrn Müller abwartend an.

Er blätterte in seinen Unterlagen, ignorierte mich einige Sekunden. Ich räusperte mich, bereute es aber schon einen Augenblick später, als er mir einen tadelnden Blick zuwarf. „Was ist nur mit Ihnen los, Alec? Sie waren immer ein vorbildlicher Schüler. Seit Herbst letzten Jahres lassen Ihre Leistungen kontinuierlich nach. Mathe war noch nie Ihr stärkstes Fach und ich erwarte auch keine Spitzenleistungen, aber so wie es im Moment aussieht, werden Sie die Prüfung in diesem Fach nicht bestehen. Wenn Sie das nicht schleunigst ändern, sehe ich mich gezwungen, Ihren Vater zu informieren.“

Ich nickte. Sollte er das tun, wenn er es für nötig hielt. So eng würde mein Vater das schon nicht sehen, hoffte ich zumindest.

„Das ist nicht Alecs Schuld.“, hörte ich eine mir bekannte Stimme direkt hinter mir, die von Ryan, „Das liegt nur an seinem Freund von früher, diesem Kian.“

„Er hat nichts damit zu tun.“, fuhr ich meinen Klassenkameraden an, „Hör endlich auf, ihm ständig die Schuld in die Schuhe zu schieben.“

„So ist das also.“ Herr Müller griff sich seufzend an den Kopf. „Es wäre besser für Sie, sich Ihre Freunde besser aussuchen, Alec.“

Hatte er mir nicht zugehört? Kian traf keine Schuld! Von Ryan hatte ich nichts anderes erwartet. Er hasste Kian, weil ich mich letztes Jahr für ihn entschieden hatte. Aber musste mein Lehrer jetzt auch noch damit anfangen.

„Ohne ihn wärst du um einiges besser dran.“, meinte jetzt auch Ryan.

„Nur um eine Sache klar zu stellen:“, zischte ich als ich ihn am Kragen packte, „Wäre Kian nicht gewesen, hätte ich die letzten sechs Jahre nicht überlebt. Die Mannaro machen keine halben Sachen. Ich wäre genauso geendet wie meine Mutter. Und selbst wenn ich das irgendwie überlebt hätte, sie löschen jeden gnadenlos aus, der von ihrer Existenz erfahren hat. Es wäre also nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie mir in irgendeiner dunklen Ecke aufgelauert hätten.“ Ich hatte absichtlich sehr leise gesprochen, damit der Lehrer meine Worte nicht hören konnte. Wütend stieß ich Ryan gegen die Wand. „Du solltest das wissen, immerhin geht es dir genau so!“

Ryan starrte mich aus angsterfüllten Augen heraus an.

„Falls es dich beruhigt.“ Ich wandte mich von ihm und meinem Lehrer ab. „Im Moment haben sie es ausschließlich auf mich abgesehen. Folglich hast du für die nächste Zeit etwas Ruhe, solange du ihnen nicht in einer dunklen Seitengasse über den Weg läufst.“

Ich lief in Richtung Tür. Doch schon nach wenigen Schritten rannte mein Lehrer mir hinterher, packte mich an der Schulter und zwang mich somit, ihn anzusehen. „Wo wollen Sie hin? Ich bin noch nicht mit Ihnen fertig.“

Ich riss mich los. Jetzt noch weiter zu reden war sinnlos, doch ich wollte nicht noch mehr Ärger bekommen, weshalb ich stehen blieb.

„Ist das, was Ryan sagt, wahr?“, fragte mich der Mann, „Hat Ihre Veränderung etwas mit diesem neuen Freund zu tun?“

Hatte er Kian nicht eben noch wie selbstverständlich die Schuld daran gegeben? Warum fragte er mich dann noch? Ich nutzte die Chance, um etwas richtig zu stellen. „Kian war schon in der Grundschule mein bester Freund!“

Der Lehrer stockte. Er sah zwischen Ryan und mir hin und her. „Stimmt das?“

Ich deutete auf das Fenster und den dahinter liegenden Schulhof. „Warum fragen Sie ihn nicht einfach selbst? Er steht seit mindestens einer Viertelstunde draußen und wartet auf mich.“

Darauf sagte Herr Müller nichts mehr. Wortlos ging er an seinen Tisch zurück und deutete mir und Ryan an, ihm zu folgen.

Sichtlich verwirrt kamen wir der Aufforderung nach. Ich wusste nicht, was das sollte. Das Thema Kian war beendet und einen anderen Grund, das Gespräch fortzuführen, gab es nicht. Oder war der Lehrer immer noch wütend wegen meiner Antwort in der letzten Stunde?

„Ich habe letztens in der Zeitung etwas über eure Väter gelesen.“, begann der Mann ein mir unangenehmes Thema anzuschneiden, „Was halten Sie davon, wenn Sie uns nächste Woche etwas über ihre Arbeit erzählen? Was genau sie erforschen, welche Ergebnisse sie schon haben und so.“

„Ich will damit nichts zu tun haben.“, antwortete ich, ohne vorher über eventuelle Folgen meiner Aussage nachzudenken. Die blieben zum Glück aus.

Ryan sah mich mit einem fragenden Blick an. „Warum nicht?“

„Weil die Forschungen der reinste Blödsinn sind.“ Ich log. Was anderes blieb mir nicht übrig. Sagte ich die Wahrheit, würden alle in diesem Raum in Schwierigkeiten geraten. Was mit Ryan passierte, war mir eigentlich egal, zumal es auf ihn keinen Einfluss hatte. Aber meinen Lehrer wollte ich dann doch nicht auf dem Gewissen haben, so schön es auch wäre, er würde seinen Beruf wechseln.

„Sind sie nicht!“, sagte Ryan mit beleidigter Stimme, „Hör endlich auf, so schlecht über deinen Vater zu reden!“

„Was hat meine Meinung über ihre Forschungsziele mit der Beziehung zu meinem Vater zu tun?“, fragte ich ihn, lauter als beabsichtigt.

„Stopp, das reicht!“ Der Lehrer ging dazwischen. „Ich sehe schon… Zu einem gemeinsamen Vortrag kann ich Sie nicht bewegen. Dennoch würde ich mir wünschen, dass einer von Ihnen das Thema bearbeitet und der Klasse vorstellt.“

In diesem Moment betraten Dean und Alice das Zimmer. Während das Mädchen schüchtern in der Tür stehen blieb, stürmte mein blondhaariger Klassenkamerad direkt auf mich zu. „Willst du nicht langsam mal raus gehen? Wenn du noch länger wartest, friert Kian noch am Boden an und ich habe keine Ahnung, wie wir ihn wieder davon los bekommen sollen.“

Als der Name meines besten Freundes fiel, zuckte Ryan zusammen. Er wich einige Schritte zurück. „Ich glaube das mit dem Vortrag lassen wir lieber. Alec scheint ihn nicht ausarbeiten zu wollen und ich habe im Moment keine Zeit dafür. In den nächsten Wochen schreiben wir viele Kontrollen, für die ich noch lernen muss.“

Dean formte seine Lippen zu einem stummen ‚Ausrede’.

Zuerst sah ich ihn genervt an, doch schon einen Augenblick später konnte ich mir ein Grinsen nicht mehr verkneifen.

Dem Lehrer schien das zum Glück nicht aufzufallen. Er schaute uns nur leicht enttäuscht an, bevor er sein Buch schloss und in seine Tasche packte. „Gut, dass belassen wir es dabei. Sollten Sie Ihre Meinung ändern, können Sie gern auf mich zukommen. Sie dürfen jetzt gehen.“

Das waren die Wort, auf die ich schon seit gefühlten Stunden wartete. Sofort zog ich mir meine Winterjacke an, warf mir meinen Rucksack über die Schulter und verließ gemeinsam mit Dean und Alice das Zimmer, ohne mich vom Lehrer zu verabschieden.

Kaum hatten wir den Raum verlassen, begann Dean auch schon, mich auszufragen. „Was wollte der Lehrer eigentlich von dir? Es ging doch sicher nicht um deinen kleinen Wutausbruch in der Stunde.“

„Am Anfang schon. Er hat mir eine Moralpredigt gehalten, ich solle mir meine Freunde besser aussuchen und mehr für die Schule lernen. Als er damit fertig war, wollte er Ryan und mir einen Vortrag aufbrummen. Über die Mannaro…“

„Wie kommt er denn darauf?“, wollte mein Klassenkamerad und guter Freund wissen. Dem Ton seiner Stimme entnahm ich, dass er befürchtete, unser Lehrer könnte etwas über sie wissen. „Als ob du so etwas machen könntest. Kian würde dir das sicher sehr übel nehmen.“

„Das wäre noch das kleinste Übel.“, entgegnete ich, „Du weißt, was die Mannaro mit Leuten machen, die von ihrer Existenz erfahren. Wenn ich ihnen die Forschungsergebnisse meines Vaters präsentiere, werden einige von ihnen anfangen, tatsächlich an ihr Vorhandensein zu glauben. Als Folge dessen würde unsere Klasse ein ganzes Stück schrumpfen…“

„So kann man das auch auslegen.“, murmelte Dean als wir das Schulgebäude verließen und über den verschneiten Pausenhof Richtung Schultor gingen.

Alice mischte sich besorgt in unser Gespräch ein. „Du hältst den Vortrag doch nicht, oder?“

Ich schüttelte meinen Kopf. „Dazu hätte er mich nie bekommen. Und falls es dich beruhigt: Ryan wird auch nichts darüber sagen.“

Wir hatten noch nicht einmal die Hälfte des Schulhofes überquert, da kam Kian uns schon entgegengelaufen. Mit einer Mischung aus Empörung und Besorgnis sah er mich an. „Wo warst du so lange?“

Dean klopfte mir grinsend auf die Schulter. „Er hat den Lehrer angeschnauzt und musste sich deswegen eine Moralpredigt anhören.“

Kian seufzte. „Wenn es weiter nichts ist…“ Er klang erleichtert.

„Das muss gefeiert werden.“, redete mein Klassenkamerad munter weiter, „Heute Abend bei mir machen wir richtig einen drauf. Kian und deine Freundin, deren Namen du mir noch immer nicht verraten hast, kannst du ruhig mitbringen. Dann wird es lustiger.“

Ich griff mir an den Kopf. Warum musste Dean so sehr darauf bestehen, dass ich ihm erzählte, mit wem ich zusammen war? Reichte es nicht aus, dass er wusste, dass es da irgendein Mädchen gab? Da es eher unwahrscheinlich war, dass er aufhörte, mich damit zu nerven, beschloss ich, dass ich Livi fragen würde ob sie gern mitkäme.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  chrono87
2011-01-07T15:28:32+00:00 07.01.2011 16:28
oh je, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen alec ist schwanger. seine gefühlsausbrüche sind wirklich seltsam, auch wenn ich ihn nur zu gut verstehen kann.
er ist auf einer todesliste ganz weit oben und dann soll er lernen, wo er wirklich um sein leben fürchten muss?
das ist wirklich nicht gerecht.
und dann daens idee... auf so einer feier ist alec doch wie auf dem presentierteller. es würde mich nicht wundern, wenn da was schief geht.


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