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Die fetten Jahre beginnen erst jetzt

Ryoki
von

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Fehlgeleitet

Weiter geht’s :).
 

Ich hoffe, der Schock des letzten Kapitels ist ein wenig überwunden. Ihr müsst keine Panik kriegen. Das Leben spielt eben nur manchmal so. ;)
 

Über kleine Streicheleinheiten, in Form von Kommentaren, würde ich mich sehr freuen. ;)

Kuss & Schluss, die Tanya
 

*
 

Kapitel 5Fehlgeleitet
 

Scheiße. Scheiße. Scheiße.
 

Gab’s sonst noch irgendetwas zu sagen?
 

Nein, bis auf ein weiteres Scheiße war dem nichts mehr hinzuzufügen. Vielleicht noch etwas im Sinne von: Kazu war ein toter Mann.
 

Vor einer halben Stunde bin ich in einer Wohnung aufgewacht, die nicht mein zu Hause war; lag in einem Bett, das nicht mir gehörte; und neben einem Mann, der eigentlich nicht neben mir liegen sollte.
 

Das schlimmste daran war aber, dass ich nicht mal sagen konnte, ich hätte einen Filmriss gehabt. So etwas war nämlich viel leichter zu verdrängen, weil man eben nichts mehr wusste. Ich konnte mich jedoch noch an jedes schmutzige Detail erinnern. Auch an die Tatsache, dass die vergangene Nacht im Grunde gar nicht mal so schlecht gewesen war. Sie hätte eben nur nicht passieren dürfen. Das war aber auch schon alles.
 

Gott sei Dank hatte Teru noch geschlafen, als ich aus seiner Wohnung geschlichen bin. Auf Gespräche wie “Wo stehen wir jetzt?” und “Was bedeutet das für uns?” war mir jetzt definitiv nicht zu Mute. Und erst recht nicht danach, dass es vielleicht wieder geschah, jetzt, da wir nach einem halben Jahr mal wieder auf den Geschmack gekommen waren.
 

In der U-Bahn kramte ich in meiner Tasche nach meinem Handy und warf dabei zum ersten Mal bewusst einen Blick auf die Uhr. Es war bereits elf und ich hatte drei Anrufe in Abwesenheit von Jen erhalten. Ich überprüfte die Uhrzeiten und wurde besorgt. Alle drei waren in der vergangenen Stunde eingetroffen. Es musste also etwas passiert sein.
 

Nachdem ich an meiner Haltestelle die Bahn verlassen hatte und mir wieder ein Netz zur Verfügung stand, rief ich Jen zurück. Bereits nach dem dritten Klingeln ging sie ran.
 

„Wo warst du, verdammt noch mal?”, rief sie aufgewühlt und in einem Tonfall, der eigentlich gar nicht zu ihr passte.
 

„Das ist eine lange Geschichte, aber dir auch einen guten Morgen”, seufzte ich und fügte dann hastig hinzu: „Was ist passiert? Du hörst dich gar nicht gut an.”
 

„Takato”, presste Jen hervor. Am Telefon hörte ich, wie sie kurz schniefte und ihr dann die Tränen kamen. „Wir haben uns gestritten. Gestern war es mir noch egal ... doch heute ...”
 

Sie begann zu schluchzen und ich erinnerte mich vage daran, wie ich Jen zusammen mit diesem Sato, Saitou oder wie auch immer, gesehen hatte. Allerdings war ich gestern viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, mir meine eigene Welt schön zu trinken, anstatt, dass ich dabei so vorausschauend gedacht hätte, bereits irgendwelche Folgen für Jen vor mir zu sehen. Ich konnte nur ahnen, was geschehen war.
 

„Du hast ihn doch nicht etwa betrogen?”
 

„Nein!”, stieß Jen mit tränenerstickter Stimme entsetzt hervor, als wäre das der abwegigste Gedanke überhaupt. Jedoch fand ich das angesichts ihres Zustandes gar nicht so abwegig. Sie weinte noch einige Sekunden weiter, ehe sie wieder sprechen konnte. „Das heißt ... doch, aber ich habe nicht mit ihm geschlafen. Wir haben uns geküsst – auf der Party. Takato hat es gesehen und ist furchtbar wütend geworden. Warum hast du denn nichts getan? Mir rechtzeitig eine Ohrfeige verpasst, zum Beispiel.”
 

Genervt sog ich scharf die Luft ein. Jen war ein furchtbar nettes Mädchen. Es fiel mir schwer sie anzuschnauzen oder gar wütend auf sie zu sein, doch ich war immerhin nicht ihr Kindermädchen!
 

„Hey, du bist schon alt genug um selbst zu wissen was du tust!” – sprach gerade ich und hatte selbst einen gnadenlos dummen Fehler gemacht. Vielleicht war das aber auch der Grund, warum ich überhaupt so aggressiv reagierte. Mich überforderte gerade mein eigenes Problem ein wenig.
 

„I-ich weiß.” Jen begann von neuem zu weinen. „Es tut mir leid.“
 

Ich seufzte in mein Handy. „Hör zu, ich versuche mit Takato zu reden, okay? Das wird schon wieder. Er liebt dich und du hast einfach nur zu viel getrunken.”
 

„Aber was ist, wenn er mich jetzt hasst?“, fragte Jen mit zitternder Stimme vorsichtig.
 

„Ach, komm schon, der hasst dich nicht. Ich würde es an seiner Stelle vielleicht tun, aber der ist doch genauso drauf wie du.“
 

Ich hörte Jen kurz lächeln und war froh, dass es mir anscheinend gelungen war, sie zu überzeugen. Seit den Ereignissen damals, zur Digimon-Zeit, nachdem sie in Depressionen verfallen war, war ich vorsichtig beim Umgang mit ihr. Zwar besaß sie inzwischen wesentlich mehr Charakterstärke als früher, dennoch entdeckte ich auch allzu oft das kleine Mädchen in ihr wieder, nicht zu letzt in diesem Gespräch.
 

„Okay, danke”, schniefte Jen schließlich. „Kommst du heute dann auch noch vorbei?”
 

Nachdenklich biss ich mir auf die Unterlippe. Eigentlich war mir gar nicht danach zu Mute. Am liebsten hätte ich mich jetzt selbst in mein Bett vergraben und mir meine eigenen Fehler vorgeworfen.
 

„Ich denke nicht. Wir reden morgen, okay? Heute ist auch nicht unbedingt mein Tag.”
 

Jen klang enttäuscht, als sie „Oh, ja dann gut, bis morgen” sagte. Ich verabschiedete mich ebenfalls noch vor ihr und legte auf.
 

Kaum war der Anruf beendet, gingen zwei SMSen auf meinem Handy ein. Einmal eine Mailboxnachricht von Teru, der anscheinend versucht hatte mich zu erreichen, während ich mich Jen gesprochen hatte; und dann noch eine SMS von ihm.
 

Wir müssen reden. Bitte ruf mich an.

Teru
 

Verdammt noch mal. Ich schaltete mein Handy ab. Jetzt brauchte ich meine Ruhe.
 

*
 

Ich klingelte bei den Matsukis und es dauerte nicht lange, bis Takatos Mutter mit einem strahlenden Lächeln in der Haustür stand. „Hallo Rika. Schön dich wiederzusehen. Wie geht’s dir denn?“
 

„Gut”, gab ich meine Standartantwort auf diese Frage, obwohl sie im Moment ganz und gar nicht der Wahrheit entsprach. Das war es nur eben immer, was alle hören wollten und, mal ehrlich, niemand würde je etwas anderes darauf antworten.
 

„Sehr schön. Komm doch rein”, erwiderte seine Mutter lächelnd und trat beiseite, damit ich eintreten konnte. „Takato!”, rief sie dann nach oben. „Rika ist da!”
 

Es dauerte keine Minute, bis Takato die Treppen herunterkam. Müde lächelte er mich schief an, dennoch sah er auch ein wenig traurig aus. Man sah ihm die letzte Nacht an.
 

„Morgen”, begrüßte ich ihn. „Gehen wir raus?“
 

*
 

Fünf Minuten später saß ich im Schneidersitz neben Takato und in der angenehmen Frühlingssonne auf einer Parkbank und vertilgten dankbar die Rosinenbrötchen, die uns seine Mutter mitgegeben hatte. Ich hatte nichts gegessen, als ich nach Hause gekommen bin, sondern nur kurz geduscht und war dann sofort zu ihm gefahren, deswegen war ich jetzt besonders dankbar für diese kleine Stärkung. Beziehungen musste man eben haben.
 

„Du hast mit Jen geredet, hab ich Recht?”, fragte Takato und betrachtete mich aufmerksam, während ich mir einen weiteren Bissen in den Mund schob.
 

Takato und ich führten selten Gespräche über unsere Beziehungen miteinander. Mal abgesehen davon, dass ich in diesem Punkt, was mich betraf, sowieso sehr schweigsam war. Es war ein komisches Gefühl für mich, jetzt so etwas anzusprechen.
 

„Ja, sie hat mich heute Morgen angerufen und mir gesagt was passiert ist”, gab ich zu.
 

Takato fuhr sich angestrengt durch sein braunes Haar. „Eigentlich will ich gar nicht darüber reden.” Seufzend lehnte er sich gegen die Banklehne und starrte nachdenklich geradeaus.
 

„Ist es denn für dich aus?”, hakte ich stattdessen vorsichtig nach.
 

Merkwürdigerweise blieb er stumm. Damit hatte ich nicht gerechnet. Plötzlich ahnte ich schlimmes, ließ mein Brötchen Brötchen sein, legte es wieder in die Tüte zurück und schenkte ihm meine vollständige Aufmerksamkeit.
 

„Sie war betrunken, Takato”, fuhr ich fort. „Jen wusste überhaupt nicht was sie tat. Sie liebt dich. Mir geht sie oft genug damit auf die Nerven.”
 

Mit gequältem Gesichtsausdruck sah er mich wieder an. „Ich weiß, dass sie mich liebt. Es geht nicht einmal darum, dass sie ihn geküsst hat.”
 

Wie bitte? Das überraschte mich jetzt. Verständnislos sah ich Takato an.
 

„Ich habe das Gefühl, dass wir irgendwie nicht mehr zueinander passen“, erklärte er mir. „Jen träumt die ganze Zeit von einem möglichst aufregenden Leben und vielen Abenteuern, die mir gar nicht so wichtig sind. Ich habe hier alles was ich brauche und will nur ein glückliches Leben führen, aber sie will nach dem Studium nach Paris gehen und dort ihre eigene Kunstgalerie eröffnen.” Takato lachte laut, amüsierte sich aber nicht im Geringsten darüber. „Letzte Woche wollte sie noch nach Mailand, weißt du?”
 

Nach dem Abschluss der Oberschule hatte ich schon lange bemerkt, dass sich Jen und Takato auf ihre Weise veränderten. Allerdings hatte ich nicht vermutet, dass es so ernst um ihre Beziehung stand. Wenn ich Takato so zuhörte, bekam ich das Gefühl, dass sie wirklich nicht mehr zueinander passten. Sie beiden waren schon immer Träumer gewesen, aber es stimmte, Jen träumte in letzter Zeit so viel, dass sie anderen das Gefühl gab, nicht mehr wichtig zu sein.
 

„Jen brauchst du aber auch”, sagte ich leise und wartete auf eine Reaktion von Takato. Er antwortete wieder nichts. „Oder?”, fügte ich zögerlich hinzu.
 

Takato erwiderte lange meinen fragenden Blick. In diesem Moment wurde mir klar, dass er gestern Abend mit Jen abgeschlossen hatte. Das war eine Erkenntnis, die sogar mich ein wenig traf. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was das für unsere Freundschaft bedeuten würde – und erst recht nicht, wie für Jen dadurch die Welt zusammenbrechen könnte.
 

„Dann sei bitte fair zu ihr und sprich mit ihr darüber“, riet ich ihm und hoffte inständig, dass er das tun würde.
 

Gott sei Dank hatte ich Jen für heute nicht mehr zugesagt. Ich wusste nicht, wie ich ihr das beibringen könnte, denn Jen würde sicherlich nicht locker lassen, bis sie erfuhr, was Takato und ich miteinander gesprochen hatten. Blieb also nur zu hoffen, dass Takato rechtzeitig mit ihr sprach, ehe Jen mich in die Mangel nahm.
 

Für einen langen Moment sagte niemand von uns ein Wort. Ich betrachtete Takato angestrengt und versuchte dabei herauszufinden, ob ich etwas bei ihm bewirkt hatte. Selten hatte er so unergründlich ausgesehen, wie in diesem Moment, während er nachdenklich geradeaus starrte und auf seiner Semmel herum kaute. Doch Takato war ein gerechter Mensch. Er würde sicherlich mit ihr reden.
 

Ganz im Gegensatz zu mir. Ich schaltete gerne mein Handy aus, für gewöhnlich, wenn ich vor etwas flüchtete. Und ich flüchtete nur allzu oft. Meine nächtlichen Spaziergänge zum Beispiel, unternahm ich auch nicht nur, weil ich gerne alleine war. Ich hätte heute Morgen mit Teru sprechen sollen, immerhin wusste ich nicht einmal, ob er sich wirklich unsere Beziehung zurückwünschte. Statt aber die Sache aus der Welt zu schaffen, bin ich sofort vom schlimmsten ausgegangen und war gegangen.
 

Schließlich sprang Takato seufzend von der Parkbank auf und riss mich somit wieder aus meinen eigenen Gedanken. Er streckte sich ausgiebig, um seinen Gliedern wieder etwas Leben zurückzugeben, dann gähnte Takato und sah lächelnd zu mir herab. In diesem Moment sah er bereits wieder wie ein anderer Mensch aus, als wären wir beide eben nicht hier gesessen und hätten über seine gescheiterte Beziehung zu Jen gesprochen, sondern ausgiebige Urlaubspläne geschmiedet. Es war beinahe traurig, wie sehr er den Eindruck erwecken wollte, dass eigentlich alles gut und er nicht totunglücklich war.
 

„Ich habe Kazu versprochen ihm noch beim Aufräumen zu helfen. Kommst du mit?“
 

Pha. Diesem Idioten helfen?
 

Leider hob dieser Gedanke aber meine Stimmung auch ein wenig, angesichts der Tatsache, dass ich so gut verdrängen konnte, was ich soeben erfahren hatte. Außerdem musste ich ohnehin noch ein erstes Wörtchen mit Kazu wechseln.
 

Schwerfällig stand ich ebenfalls von der Bank auf. „Na wenn’s denn sein muss.“
 

*
 

Kazus anzügliches Grinsen, nachdem er die Tür öffnete und mich entdeckte, ließ mich sofort meinen Entschluss bereuen, überhaupt einen Finger für ihn krumm zu machen.
 

Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, allerdings fiel ich ihm rechtzeitig schroff ins Wort. „Ein Wort und du bist tot.“
 

Ohne ihm weiter Beachtung zu schenken, drängte ich mich an ihm vorbei in die Wohnung und stand plötzlich direkt vor Ryo, der bereits einen Müllsack in der Hand hielt und fleißig dabei war Pappbecher und Partydekoration vom Boden aufzusammeln.
 

Na super. Wenn ich das gewusst hätte, dann wäre ich nicht mitgekommen.
 

Ryo lächelte uns schief an. „Hallo.“
 

Stille kehrte ein, in der mir bewusst wurde, dass sich hier etwas verändert hatte. Eigentlich benahm er sich seit unserem Wiedersehen mir gegenüber so, als wären wir seit Jahren die besten Freunde, allerdings spürte ich zum ersten Mal bewusst die zwischen uns die Distanz, die sieben Jahre Trennung bewirken konnte. Das lag sicherlich daran, dass ich ihm diese sieben Jahre vorgeworfen hatte. Ryos Abgang danach war immerhin auch nicht ohne gewesen. Noch nie hatte ich ihn so erlebt. Verärgert stellte ich auf einmal fest, dass ich mich plötzlich deswegen schuldig fühlte. Dabei hatte ich nichts falsch gemacht, sondern ihm nur die Wahrheit gesagt.
 

„Rika“, meinte Kazu mit frecher Stimme und schnappte sich unverschämterweise meinen Arm zum Einhaken, noch ehe ich etwas dagegen tun konnte. „Du böses Mädchen, du. Eine wilde Nacht gehabt?“
 

Natürlich, er konnte es nicht sein lassen.
 

Ich entriss ihm meinen Arm wieder und sah ihn wütend an. In dem Moment, als ich jedoch verärgert etwas erwidern wollte, wurde mir bewusst, dass das sowieso keinen Sinn hatte. Mit Kazu hatte ich mich schon immer im Kreis gedreht und würde es auch immer weiterhin tun. Wir stritten, stritten und stritten miteinander und im Grunde hatte er dabei die hellste Freude.
 

„Lad Teru einfach nie wieder ein ohne mir zuvor Bescheid zu geben, hast du gehört?“, sagte ich kalt und wunderte mich selbst darüber, wie gut Kazu aus der Sache herauskam. „Also, was soll ich jetzt machen?“
 

Kazu verschränkte die Arme vor der Brust „Willst du denn nicht-“
 

„Komm, wir fangen an!“, fiel Takato ihm allerdings ins Wort. Er schnappte sich zwei weitere Müllsäcke von Ryo und drückte mir einen davon in die Hand. „Sonst werden wir hier nie fertig. Das ist ja ein richtiger Saustall.“
 

In all meiner Wut auf Kazu war meine Umgebung eher nebensächlich gewesen. Takato hatte recht. Wir befanden uns wirklich in einem wahrhaften Saustall. Überall lag Müll am Boden verstreut, Alkoholflecken befanden sich, wohin man nur sah und es war sogar ein Stuhl zu Bruch gegangen. Wie auch immer das geschehen ist, ich hatte davon nichts mitbekommen. Zumindest stellte ich mit einer gewissen Befriedigung fest, dass Kazu auch eine Wandhälfte komplett neu streichen musste, während ich, genauso wie Takato, begann, den Müll in die blaue Tüte zu stopfen.
 

„Vergiss Kazu, du weißt, dass er manchmal ein Idiot ist“, sagte plötzlich Ryo hinter mir. Er sprach leise. Takato und Kazu waren zwar inzwischen in die Küche gegangen und begannen dort alle Partyspuren zu beseitigen, allerdings gab es keine Tür, die die Räume voneinander trennte.
 

Ich wandte mich zu ihm um und zog die Augenbraue empor. „Denkst du wirklich ich brauche Trost?“
 

Ryo schüttelte den Kopf. „Nein, eigentlich wollte ich mir dir reden.“
 

„Schon wieder?“, fragte ich unbeeindruckt.
 

„Du hast Recht, es war scheiße von mir, mich nicht bei euch zu melden. Ich kann dich verstehen“, fuhr Ryo unbeirrt fort. „Allerdings hatte ich einen Grund.“
 

„Und der wäre?“
 

Ryo sah mich lange an, bis sich schließlich ein bitteres Lächeln über seine Mundwinkel zog. „Darüber spreche ich nicht.“ Er holte tief Luft. „Ich habe nachgedacht und muss dir wieder zu stimmen. Wir waren nie wirkliche Freunde. Ich will dir meine Freundschaft nicht aufdrängen. Wir beide würden sowieso nicht miteinander funktionieren.“
 

Ich betrachtete Ryos erste Miene noch eine Weile, ehe ich begriff, dass er tatsächlich fest entschlossen war. Schon wieder etwas, dass nicht miteinander funktionierte. Das zu hören, ließ mich merkwürdigerweise nicht so kalt, wie mich das eigentlich lassen sollte. Es war diese bescheuerte Sentimentalität, die sich in mir gerade regte und mich an die Zeit zurückerinnerte, in der wir gemeinsam Feinden gegenübergestanden hatten und füreinander kämpfen. Damals hatten wir miteinander funktioniert. Allerdings hatte ich noch nie um eine Freundschaft gekämpft und ich war mir sicher, dass ich eine Freundschaft mit Ryo sicherlich nicht wollte.
 

Also nickte ich stattdessen. „Dann gehen wir uns in Zukunft also aus dem Weg.“
 

„Es wäre besser so.“
 

Aber ob ich es wirklich bereits innerlich genauso akzeptiert hatte, wie ich es äußerlich vorgab?
 

Plötzlich fragte sich ein kleiner Teil in mir, was so falsch daran war, eine Freundschaft mit Ryo auszuprobieren und ihn einfach neu kennen zu lernen. Und er fragte sich, wo stand, dass wir nicht miteinander funktionieren würden.
 

So schnell wie dieser Zweifel kam, verschwand er allerdings wieder. Ich wandte mich wieder meinem Müll zu und begann weiter aufzuräumen. Natürlich funktionierten wir nicht miteinander. Wir hatten schon immer angeeckt. Wenn man es streng nahm, dann funktionierten Kazu und ich genauso wenig. Aber in diesem Punkt wurde ich leider nicht gefragt.
 

Und wie war das noch mal im Falle Ryos?
 

Es war mir schon immer eine Spur zu selbstsicher, zu arrogant und zu charmant gewesen. Alles Eigenschaften, die ich absolut nicht ertragen konnte, wenn sie bei einer Person im Überfluss vorhanden waren. Im Grunde sollte ich also froh sein, dass ich dem nun nicht mehr ausgesetzt sein würde.
 

Ich fragte mich nur bereits, wie das gehen sollte. Wollte er sich etwa auch von den anderen fern halten – nur wegen mir?
 

*
 

Gegen Abend klingelte es plötzlich bei mir zu Hause Sturm. Genervt nahm ich die Ohrstöpsel meines iPods heraus und fühlte mich plötzlich in dein Deja-vu-Erlebnis zurückmanövriert, das erst vor wenigen Tagen stattgefunden hatte. Wollte dieser bescheuerte Akiyama etwa schon wieder mit mir reden? Dabei hatte er mir erst heute Nachmittag mitgeteilt, dass es besser wäre, wenn wir uns voneinander fernhielten.
 

Zum ersten Mal hoffte ich, dass es einer von Rumikos Verflossenen war, der sie um jeden Preis zurückgewinnen wollte. Dennoch gab ich mich nicht damit zufrieden, sie zur Tür gehen zu lassen, sondern stieg neugierig aus meinem Bett und betrat den Flur.
 

In diesem Moment öffnete Rumiko die Haustür.
 

„Jen!“, rief sie verwundert, fast schon ein wenig erschrocken aus. „Wie siehst du denn aus?“
 

Plötzlich ahnte ich schlimmes. Ich kam den Flur entlang auf sie zu. Jen stürmte an ihr vorbei ins Haus und fiel mir weinend um den Hals, kaum, dass sie mich entdeckte. Schluchzend vergrub sie ihr Gesicht in mein graues Sweatshirt und krallte ihre Fingernägel in meine Arme.
 

„Er hat Schluss gemacht, Rika!“, schaffte sie es irgendwann mal unter Tränen hervor zupressen, doch gleich darauf überfiel sie ein erneuter Weinkrampft.
 

Rumiko schloss mit besorgter Miene die Haustür und ging stumm in die Küche zurück, wofür ich ihr sehr dankbar war. Irgendwie schaffte ich es, Jen in mein Zimmer zu bekommen, ohne sie dabei loszulassen. Dort setzten wir uns auf mein Bett und sofort schnappte sie sich eins meiner Kissen, um weiter ihre Tränen darin zu vergießen. Meine Arme waren ihr dankbar, allerdings hätte ich dennoch gerne heute Nacht auf dem Trockenen geschlafen.
 

„Es tut mir so leid, Jen“, sagte ich leise.
 

Zu mehr war ich nicht fähig. Im Trösten war ich noch nie besonders gut gewesen. Allein schon der Gedanke, ihr durchs Haar zu streichen, wie eine Mutter ihrem kleinen Kind, wenn es von einem bösen Albtraum heimgesucht worden war, fühlte sich komisch an.
 

„Ich dachte wirklich, dass alles wieder gut werden würde.“ Jen schleuderte mein Kissen gegen die Wand und ich sah hilflos dabei zu, wie das arme Ding auf den Boden fiel. „Und er hat gesagt, dass er mich lieb! Er liebt mich, Rika, und macht mit mir Schluss!“
 

Ich spürte, wie sich Jens Trauer allmählich in Wut umwandelte. Jetzt wäre vielleicht doch eine beruhigende Geste angebracht. Vorsichtig legte ich meine Hand auf ihren Unterarm.
 

„Jen-“
 

„Du hast auch gesagt, dass alles wieder gut werden würde!“
 

„Jen-“
 

„Ich verstehe nicht, was in seinem Kopf vorgeht! Er meinte, wir passen nicht mehr zueinander!“ Jen sah mich zum ersten Mal wieder an. „Passen wir nicht mehr zueinander?“
 

Ich bekam Takatos Worte wieder in den Sinn und zögerte – zu lange. Plötzlich entriss mir Jen ihren Arm und sprang wieder von meinem Bett auf.
 

„Du denkst auch, dass wir nicht mehr zueinander passen?“
 

Wow. Allmählich verlor ich die Kontrolle über diese Situation. Jen hatte mich bisher noch nie angeschrien.
 

„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte ich mit ruhiger Stimme und versuchte, mich nicht wieder von ihr unterbrechen zu lassen. „Allerdings-“
 

„Allerdings, was?“, blaffte sie mich an. Ihr Gesichtsausdruck wurde plötzlich zu einer wissenden und bitteren Miene. „Du bist eigentlich überhaupt nicht überrascht. Du wusstest schon Bescheid, nicht wahr? Als ihr miteinander geredet habt, hast du Takato nicht vielleicht sogar auf die Idee gebracht? Wie sollte er denn sonst auf so einen Unsinn kommen?“
 

Für einen Moment glaubte ich mich verhört zu haben, allerdings stand Jen immer noch der Vorwurf ins Gesicht geschrieben. Allmählich zog sie meinen Ärger auf sich.
 

„Was soll denn jetzt dieser Schwachsinn? Wieso sollte ich so etwas tun?“, fragte ich kalt und stand von meinem Bett auf. „Natürlich wusste ich Bescheid! Takato hat es mir erzählt, allerdings ist der alt genug, um seine Entscheidungen selber zu treffen. Ich habe im lediglich geraten fair zu dir zu sein!“
 

„Fair zu mir zu sein, indem er mit mir Schluss macht?“ Jen steigerte sich diese Situation so hinein, dass sie anscheinend keinen logischen Gedanken mehr zustande brachte.
 

„Er wollte mit dir Schluss machen. Ich habe nur darum gebeten, dass er dich nicht so lange auflaufen lässt, weil du das nicht verdient hast!“ Ich hatte beinahe geschrien und musste jetzt tief Luft holen. Gepresst fuhr ich mit meiner Stimme fort. „Du wolltest doch unbedingt, dass ich mit ihm rede, weil du einfach nicht selbstständig sein kannst!“
 

Jen warf mir noch für einige Sekunden einen entgeisterten Blick zu, dann rauschte sie wütend davon und knallte lautstark meine Tür hinter sich zu. Ich konnte ihr nur fassungslos hinterher starren. Die hatte wirklich einen Sprung in der Schüssel.
 

*

Fortsetzung folgt …



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Michan-chan
2011-03-07T16:14:07+00:00 07.03.2011 17:14
ich bin von deiner Fanfic absolut begeistert. Sie ist echt echt spitze. Mach weiter so.
Michan-chan
Von:  BrokenPride
2010-11-11T16:29:42+00:00 11.11.2010 17:29
awww genial xD
sauber rika, ich konnte Jen irgendwie noch nie leiden xD
und hier nervt sie erst recht
armer takato *zustimm*
mach bloß schnell weißte
*idee-kekse und idee-kakao hinstell*
*auf stuhl setz und artig wart*
Von:  Annie
2010-11-10T18:18:48+00:00 10.11.2010 19:18
>.<
ich will mehr !!! xD

ich will ja mal wissen was rikas ex jetzt will...
der arme takato....

xD ey iwie geht jen mir in dieser ff voll auf den kecks.

ich freu mich schon auf nächste kapitel

lg tonia ;)
Von: abgemeldet
2010-11-10T16:03:08+00:00 10.11.2010 17:03
wow, ich bin die erste ^.^
aslo bei rika lauft grad alles schief
mit ryo
jen
und da wer noch der (verblödete affe toru)
die story an sich ist total toll!!mir gefällt auch dein schreibstil wie grade rika denk bei diesen situationen..

freu mich schon auf next kapi ;D


lg yuki


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