Nachspeise: Never seen the light of day
Nachspeise: Never seen the light of day
Das klatschen der Schritte auf dem nassen Straßenpflaster schien drei, nein viermal wiederzuhallen. Merkwürdigerweise jedes Mal lauter als zuvor!
Hätte sie zumindest schwören können.
Wie weit die Nacht auch fortgeschritten sein mochte – den ausgestorbenen Straßen nach: weit – ihre Logik hatte sich bereits vor längerer Zeit verabschiedet. Wieso sollte sie sonst weitab von gute und böse mit dem Held vom Nachtdienst durch die wie schon bereits erwähnt sehr nassen Straßen stromern? Noch dazu bei dieser kälte! Natürlich wurde ihr erst jetzt wo sie die weißen Atemwölkchen vor ihrer Nase bemerkt hatte schmerzlich bewusst, dass ihre Jacke noch neben Jenryas hing.
Bravo Ruki, ein wahres Meisterstück!
Akiyama interessierte sich natürlich nur wenig für ihre Misere. Wie vom Affen gebissen vorweg stürmen, der happy go lucky Sunnyboy voll in Action. Nervtötend? Einerseits!
Andererseits hatte er ihr den großen Abgang erspart. Nachher wäre sie noch als Spaßbremse abgestempelt worden. Und sie war endlich draußen an der frischen, arschkalten Luft. Bald wären ihre Finger zu Eis erstarrt und Ryo würde einen mit seinen tollpatschigen Händen zerbrechen. Kein Wunder. So fest wie der mit diesen rauhen, kräftigen, von Hornhaut, Kratzern und Wunden übersäten aber trotzdem irgendwie sanften und wohlig warmen, auf dem Handrücken sichtbar mit Adern und Sehnen durchzogenen wohlgeformten Männerhänden zudrückte.
Von jetzt auf gleich war er stehen geblieben, hatte sich herumgedreht und sein Anhängsel mit dem Rücken zur Wand abgestellt. Halb im alles offenbarenden dreckigen Licht einer Straßenlaterne und halb im Schutz undurchdringlichen schwarzen Nacht. Es verging eine Minute des An- und Zurückstarrens. Eines ihrer Augen funkelte wie einer dieser violetten Edelsteine. Ameirgendwas! Das Andere war matt wie Marmor.
Ob die diffusen Lichtverhältnisse bei ihm änhliches bewirkten?
Und wieso in Teufelsnamen fragte er sich eigentlich diesen Stuss!
Sachte und mit Bedacht ließ er die Stirn gegen ihre sinken. Berührte Rukis Nase mit seiner eigenen. Die Augen leicht geöffnet, versucht den Blickkontakt zu erhaschen.
So standen sie dort, halb im Licht und halb im Schatten, starr vor Kälte und glühend vor Hitze, durchnässt von Regen und Schweiß. Dreißig Sekunden, eine Minute. Den Duft des andern und dessen Alkoholfahne in der Nase. Neunzig Sekunden, zwei Minuten.
Einhundertachtundfünfzig Sekunden. Und eine halbe!
Exakt so lang verharrten sie so. Im seichten Regen unterm Wolkenverhangenen Nachthimmel. Je eine Hand in die des anderen verschränkt. Rukis zweite auf seiner Brust, Ryos an ihrer Hüfte. Die Augen nach wie vor nicht geschlossen um das Gegenüber so gut es nunmal ging zu fixieren. Stirn auf Stirn, Nase an Nase. Und schließlich auch mit seinen Lippen auf ihrem Philtrum und ihrer Oberlippe.
Endlich!
Die Hände in seiner dicken Mähne vergraben, das Gesicht heftig gegen seines gepresst. Der Kuss schien länger als nur eine Ewigkeit zu dauern! Und dann dieser Blick.
Keiner von beiden hatte die Augen für mehr als ein Blinzeln geschlossen. Keiner wollte sich die letzte Blöße geben. Er hatte unlängst beide Hände auf ihre Hüften gelegt, sie Stückchen für Stückchen heran gezogen. Jetzt konnte er jeden Zentimeter ihres Körpers spüren. Die knochigen Schultern die ihn in die Brust stachen. Die Knie wie sie gegen sein Schienbein drückten. Und ihr Herz das immer heftiger pochen wollte. Jetzt konnte er ihren betörenden Duft ihrer Kleidung, ihrer Haare und ihrer Haut riechen.
Jetzt konnte er sie sogar schmecken! Dann, plötzlich und ohne jede Vorwarnung: Licht. Gleißend hell stach es ihnen in die Augen, zwang sie dazu den innigen Kontakt zu brechen, die Lieder zu senken!
Er verfluchte den Fahrer. Und sein Xenon Licht gleich mit.
Sie stand bereits einige Meter abseits. Hatte die Hand nach ihm ausgestreckt. “Komm!” Ein paar Zentimeter näher und er hätte mit Sicherheit sagen können ob das ein Lächeln war.
Der Regen war stärker geworden und auch der Wind hatte zugenommen. Aber zugegeben: das arrhythmische Trommeln und unheimliche Heulen nahmen der ganzen Szenerie den Kitsch. In ihren Augen etwas sehr begrüßenswertes. Und mal im Ernst, hätte sie auch in einer sternenklaren Nacht bei Barry White und Kerzenschein hier im Bett gelegen? Als kleines Löffelchen?
Sicher nicht!
Seine Haarspitzen kitzelten während seinem Lippenbekenntnis. Den kleinen Küssen auf ihrem Rücken. Genau wie seine Hand an ihrer Seite! Natürlich war ihr mittlerweile bewusst, dass Ryo genau wusste was er da tat! Aber wusste er auch mit wem? Ein Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. Wen interessierte es?
Außer ihm und ihr war keiner da. Nicht im dunklen Schlafzimmer. Nicht im dunklen Bad. Und auch nicht im dunklen Wohnzimmer – dessen Fußboden dank ihren Schuhen wohl eher Sumpfgebiet als Laminat sein mochte. Ja, nur sie, er und seine Hände die sich just einen Weg zu ihrem Bauchnabel bahnten. Abwechselnd kleine und große Kreise zogen. Sechs Doppelpunkt null acht. Und neunundfünfzig. Die Zahlen auf dem kleinen Radiowecker schienen still zu stehn. Bloß keine Sekunde vergeuden, alles fühlen, einprägen und auskosten!
Sechs Doppelpunkt null neun.
Sie schloss die Augen. Warf den Kopf in den Nacken, sodas er leichter ihren Hals erreichen konnte. Der Lippenbekenntnisse wegen! Fast wäre ihr ein tiefer Seufzer über die Lippen gehuscht. Aber Rukis Fassade war noch nie ganz eingestürzt! Stattdessen griff sie erneut nach seinen Haaren und spielte mit einer der dicken Strähnen. Wickelte sie um den Finger. So wie sie ihn um den Finger gewickelt hatte!
Oder er sie?
Sechs Doppelpunkt eins null!
She knows that if
she ever breaks free
that she will never see the light of day
she’s been blinded
by the stars and dreams
she craved and if
they ever let her go
she still be bound to all her fears
and all the medicine
they forced her to take
On and on and on she goes
on and on and on she goes
but she will never ever ever find love
unless she takes on a fight
along with the northern light
Verdammter Radiowecker! Wieso am Samstag, wieso ausgerechnet jetzt? Die Wärme an ihrem Rücken begann zu versiegen und Ryos Hände zuckten zurück. Vorsichtig warf sie einen Blick über die Schulter. Draußen dämmerte es bereits, wabberte weißer Dunst durch die feuchten Straßen. Aber der Regen fiel noch immer. Trommelsolo an der Fensterscheibe.
Er lag auf die Ellbogen gestützt im Halbdunkel. Sah sich, die Decke nur bis knapp über die Hüfte gezogen nach dem Störenfried um. Und fand ihn auf dem kleinen Nachttisch zu seiner linken. Wollte grade danach greifen um ihn auszuschalten als sich ihre Hand um seine Schloss und er einen kleinen Ruck später auf der Matte lag.
Zurück in den Kissen.
Ruki zwang ihm den Kuss förmlich auf. Presste ihre Lippen auf seine, hielt das Gesicht in ihren Händen. Konnte seine kratzigen Stoppeln spüren – keine unangenehme Erfahrung! Und überhaupt: die Oberhand haben lag ihr ja eh.
Teufel noch eins, musste der so gut riechen!
Ein tiefes Brummen entrann seiner Kehle und keine Sekunde später spürte er ihr Grinsen. Wie sich ihre Lippen verzogen. Und das während ihrem heftigen Kuss.
Aber das spielte man zu zweit! Natürlich konnte er es nicht auf sich sitzen lassen, trieb seine Zunge keck gegen ihren Mund. Schlang die Arme um ihre Taille und zog sie weiter herab. Bestimmend und fest direkt auf sein Becken.
Erschrocken schlug sie die Augen auf. Fing seinen spöttischen Blick ein. Und das Grinsen schwand. Ihr Grinsen!
Zugegeben: ihn erregte das Ganze nicht minder, aber das konnte sie ja nicht wissen. Hoffte er. Schließlich gab es in den südlichen Gefilden kaum zu übersehende Beweise. Verdammt, natürlich wusste sie es.
Und verdammt zum quadrat, das war ihm scheißegal! Konnte es denn wichtigeres geben als ihren heißen Atem, ihre zarten Lippen und ihren betörenden Duft? Die Spannung ihn zerreißen wollte?
Ein Biss in ihre Unterlippe. Sie zuckte vor Schmerz zurück, er ließ nicht locker und entlockte ihr die ersehnten Töne.
„ Call it even!“
Die Ellbogen auf seine Schultern gestützt lag sie auf ihm, Brust an Brust. Ihr Herz im Akkord schlagend. Versunken in lüsternen Blicken, gefangen auf der Grenze zwischen Nacht und Tag. Traum und Realität. Er wollte es genießen. Weiß Gott, wann er das nächste Mal die Gelegenheit haben würde. Aber wahrscheinlich konnte nicht mal der das beantworten. Immerhin war die, die da auf ihm lag nicht irgendein Mädchen. Ein zufriedenes Lächeln lag ihm auf den Lippen.
Einfach so daliegen, ihre Wange streicheln. Sich anschmiegen.
Kuscheln! Das Lächeln auf den Lippen. Küssen! Wurde zu einem Grinsen. Vielleicht Mehr?
Die Hand in ihrem Nacken zog sie herab. Bestimmend.
Die Lippen auf ihrem Mund küssten sie. Erst zärtlich, dann fordernd und schließlich bestimmend.
They found her in the
basement facing east
howling wolves and inhailing beast
were strangling every little
dream she had in there
And if she ever finds her way
they will haunt her through the day
until she breaks and then becomes one of them,
cause’
On and on and on she goes
on and on and on she goes
but she will never ever ever find love
unless she takes on a fight
along with the northern light
Die Hände fanden partout keine Ruhe. Ihren Rücken herab, ihre Beine herauf. Sie konnte das Blut in ihren Ohren rauschen hören. Seine Berührungen ließen sie schaudern. Heiß und kalt zugleich, mal sanft, mal hart und dann wieder keins von beidem.
Und seine Lippen! Jede Berührung, jeder Kuss. Jedes am - wahlweise – Hals, Bauch, Finger oder Brust festsaugen stahl ihr den Atem. Oder lags am Gewicht auf ihrem zarten Körper? Schwachsinn!
Mochte zwar dazu beitragen aber war sicher nicht der Grund, dass ihr die Luft wegblieb. Wieso jetzt drüber nachdenken? Just wenn er sie heranzog. Auf seinen nackten Schoß. Näher zu ihm und der unbändigen Hitze. Hoffentlich verbrannte sie sich nicht. Und hoffentlich schaltete ihr Kopf sich endlich ab!
Das Kinn auf eine Schulter gestütz, die Zähne im Nacken verbissen. Ihre Hände auf dem Rücken und seine auf ihrem Arsch. Im Rhythmus der gegen die Scheibe trommelnden Tropfen. Den sie eigentlich gar nicht hörten. Es mochte Einbildung sein.
Und es schmerzte!
Schmerzte sehr. Schmerzte auf eine durch und durch angenehmen Art und Weise.
Erst leise, dann lauter, dann schreiend. Die Stimme wollte sich überschlagen. Zusammen mit Herz und Hirn rebellieren. Ein Sturmlauf auf den Wogen der Lust. Über Berg und höhere Berge. Ihre Haut, schon zum Zerreißen gespannt konnte jeden Moment aufplatzen und schien schon jetzt in Flammen zu stehen. Prickelte wie verrückt. Er hatte das Salz in jede einzelne ihrer Wunden gestreut. Einmassiert, sodass es ihr durchs Blut schoss. Ihr kochendes Blut. Ihr in Wallung geratenes Blut! Pumpte im Gleichklang mit ihm durch ihren Körper. Mit seinen Bewegungen. Seinen angespannten Muskeln. Bauch, Arme, Beine. Sogar am Hals sah sie die Sehnen spannen. Ein Blick nach oben, der Schweiß ran ihm von der Stirn. Doch die Augen blieben klar und ruhig. Diese tiefen blauen Augen. Ohne Boden, unendlich und weit. Und sein Lächeln.
Sie schlang die Arme um seinen Kopf, zog ihn an die Brust. Presste ihr Gesicht in den wilden Haarschopf. Erstickte das Schreien. Er hatte zugebissen! „Drecksack.“
Biss kräftiger zu.
Aber sie blieb tapfer. Schmerzenslaute geben? Blöße zeigen? Nicht mehr als nötig.
Ihm noch mehr genugtuung verschaffen? Niemals!
Ein Grinsen konnte er sich nicht verkneifen. Und als er ihre Gänsehaut sah wurde es breiter. Was ihr durch den Kopf ging? Was würde er zahlen – nur ein kurzer Blick in ihr innerstes.
Er hatte etwas berührt. Wusste er. Aber höchstens an der Oberfläche gekratzt. Da war so viel mehr. Tief unter der harten Schale. Wusste er auch. Und sie saß auf seinem Schoß. Ein unvergesslicher Anblick. Unvergessliche Gefühle. Der Kampf, die Spannung, das Ende. Die Erlösung. Viel zu schnell, viel zu früh. Er wollte mehr.
Würde mehr brauchen!
Von ihr. Dem Quell seiner Begier. Seiner Sucht.
Die Hände lagen auf ihren Schenkeln. Erschöpft. Schweißgebadet – genau wie er. Müde und ausgelaugt. Satt und befriedigt. Hungrig nach mehr!? Und natürlich glücklich.
On and on and on she goes
on and on and on she goes
but she will never ever ever find love
unless she takes on a fight
along with the northern light
She knows
that if she ever let go
she will only loose her soul
„There’s no way out of this hell.” Was ein Akt! Wie viel Kraft es sie kostete. Das Sprechen.
„Yeah.“ Und wie viel es ihn kostete! Lächelnd in diese dunklen Augen blicken. Alles was er konnte. Alles was er wollte. Sah ihre Scham und ihre Freude. Vielleicht unbändige Freude? Er sah die Müdigkeit in ihnen. Ganz ohne Worte.
Ein Kuss, dann noch einer und noch einer. Mal forsch, mal liebevoll. Dann zufrieden.
Nach dem zweiten schloss sie die Augen. Ließ sich zurück in die Kissen fallen. Er tats ihr gleich. Hob das Laken über sie. Schlug nach dem verdammten Wecker. Dann kam die Stille.
Und nur Sekunden später kam der Schlaf.