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Sonnenaufgang im Westen

Aus den jungen Jahren eines Hundefürsten...
von

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Drachen

Ein Treffen mit dem Drachenkönig in dessen eigener Hauptstadt, so man bei Drachen überhaupt davon sprechen konnte? Der junge Hundefürst runzelte die Stirn: „Shigatsu kann unmöglich davon ausgehen, dass ich das tue.“

„Lasst es mich so ausdrücken, Herr: er sagte, ich solle Euch das eben so ausrichten. Ihr kommt allein zu ihm, um Euren Friedenswillen zu zeigen. Kommt Ihr nicht, betrachtet er dies als Bestätigung, dass Euer Vater und Ihr ihn angelogen habt. Es hat ihn wohl sehr geärgert, dass er umsonst in den Westen kam, auch, wenn er vermutlich einsieht, dass der Tod des Fürsten das verursachte.“ In der Stimme des kleinen Flohgeistes lag noch immer das Zittern das er dabei empfunden hatte, als ihn die riesigen Drachen von Klaue zu Klaue gereicht hatten, ehe ihn endlich der König packte. „Und er sagte, er lasse mich nur gehen, um Euch eben dies zu auszurichten.“

„Du bist ein Feigling, Myouga, aber kein Narr. Wie sehr steht Shigatsu seinerseits unter Druck? Du erwähntest, seine Ratgeber wollen Krieg?“

Der Kleine wusste durchaus zu schätzen, dass der mächtige Hundedämon vor ihm seine Meinung offen wollte: „Ich denke, er steht sehr unter Druck. Wie ich schon sagte, seine Ratgeber waren unverzüglich für Krieg. Und nach allem, was ich von Drachen weiß, ist Friedlichkeit nicht gerade verbreitet. Shigatsu schätzte wohl Euren Vater – und ist beeindruckt vom Höllenschwert. Zu Euch hat er sich noch keine Meinung gebildet, wollte mir scheinen. Wenn Ihr zu dem Treffen geht, wäre das allerdings so gut wie Selbstmord, Herr. Um König Shigatsu herum sind sicher weit über hundert Drachen, alle bewaffnet.“

„Nette Überzahl. Gehe ich nicht, gibt es sicher erneut Fehde, um nicht zu sagen Krieg, mit den Drachen. Susumu im Süden wartet bestimmt nur auf einen Fehler meinerseits. Er hat zwar bislang offenen Kampf vermieden, aber das mag sich ändern, wenn sich die Möglichkeit auf einen Zweifrontenkrieg eröffnet.“

„Ihr habt es nicht leicht.“ Myouga wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Du auch nicht. Geh und ruhe dich aus, ich werde über die Drachen nachdenken. Danach werde ich dich rufen lassen. Ich habe noch einen wichtigen Auftrag für dich.“

Der Flohgeist seufzte etwas: „Nicht so gefährlich wie die Drachen?“

„Nicht ganz.“

Diese Antwort tröstete Myouga kaum, als er das Arbeitszimmer seines Herrn verließ.
 

Der Inu no Taishou warf einen resignierenden Blick auf das Schwert, das so scheinbar harmlos in seinem Ständer abseits ruhte, ehe er die Augen schloss und nachdachte.

Es wäre fahrlässig die Möglichkeit außer Acht zu lassen, dass seine Gemahlin tatsächlich nur aus Versehen geplaudert hatte, keinen Verrat beabsichtigt hatte. Die Frage war dann, für wen arbeitete ihre Zofe? Für Kodoro oder den Herrn des Südens? Eigentlich gab es nur eine Möglichkeit, das sicher festzustellen und dazu benötigte er Myouga.

Die Drachen – war Shigatsu als der neue König gegen der Meinung vieler seines Volkes am Frieden interessiert, gleich warum? Dann wäre es töricht, den bereits etwas verstimmten Herrscher erneut zu brüskieren. Aber: wenn das eine Falle war, in die er sehenden Auges lief – was würde aus dem Westen? Was aus seiner Familie? Was sollte er tun? Am liebsten würde er sich mit ihr beraten – ihr Verstand war ihm in den letzten Wochen doch bemerkenswert erschienen, aber das musste er sich versagen, ehe klar war was hinter dem Anschlag steckte und inwieweit sie darin verwickelt war. Nein, das Leben als Heerführer und Fürst war nicht einfach und im Moment schien es ihm noch ärger, als er es je vermutet hatte. Und einsamer.

Vielleicht war es in diesem Augenblick als ihm klar wurde, dass ihn nie wieder jemand um seiner selbst willen ansehen, anlächeln würde. Jeder Dämon sah den Herrn des Westens, den Herrn der Hunde, jede Dämonin den potentiellen Vater ihres Kindes....Vielleicht würde sein Sohn ihn so schätzen, wie er es mit seinem eigenen Vater getan hatte, aber das blieb dahingestellt. Er wusste, dass es oft zu Streitigkeiten kam, wenn der Fürst und der Erbprinz anderer Ansicht waren. Aber noch konnte er hoffen, dass sein Sohn zu ihm aufsehen würde.

Er atmete tief durch. Es gab nur wenige Möglichkeiten, die sich ihm auftaten. Umringt von misstrauischen oder ehrgeizigen Feinden musste er sich entscheiden, auf wen er setzen wollte. Myouga war sicher dabei und auch Toutousai. Beide hatten ihre Fehler, aber sie waren zu ihm persönlich loyal, gleich, welchen Rang er einnahm, das wusste er. Und seine Gemahlin...?

Es war sicher besser vorsichtig zu sein.
 

Sumu zuckte zusammen, als sie erkannte, wer ohne Anmeldung ihr Zimmer betrat. Noch ehe sie weiter nachdachte, warf sie sich vor, um den Fürsten passend zu begrüßen.

„Sumu, du bist die Kammerzofe meiner Gemahlin.“

„Ja, Herr.“ Sie war erschreckt über den Überraschungsbesuch, aber auch besorgt.

„Du weißt, dass ich sie unter Arrest gestellt habe.“

„Ja, Herr.“

„Es wird vermutlich nötig sein, dass du ihr erneut zur Verfügung stehst, da sie ein Kind erwartet. Du wirst mir jeden Abend über alles berichten, was sie geredet hat.“ Der Inu no Taishou bemerkte beruhigt, dass der kleine Flohgeist sich mittlerweile hinten an das Kleid der Falkendämonin klammerte. Diese Nachricht würde sie gewiss an ihren Auftraggeber weiterleiten wollen und damit konnte Myouga diesen herausfinden.

„Ja, Herr.“

Wie er doch diese einseitigen Unterhaltungen hasste: „Noch Fragen?“

„Nein, Herr.“

Er ging in der Gewissheit, dass er bald wissen würde, für wen zumindest sie arbeitete. Und da war ja auch noch Dai. Es wäre so oder so gut, dem Herrn des Südens etwas zum Nachdenken zu geben. So wies er seinen Kammerdiener an, doch einmal in der Bibliothek nachzuforschen, welche Bräuche bei der Geburt eines Erbprinzen zu beachten wären. Es wäre ungewöhnlich, würde dieser eine derartige Nachricht nicht an seinen Auftraggeber weiterleiten wollen.
 

Nur wenige Stunden später stand der Herr der westlichen Gebiete an der Grenze zu den Bergen, die die Drachen für sich beanspruchten. Er hütete sich die unsichtbare Linie zu überschreiten, zeigte jedoch seine Energie zumindest zum Teil offen. Falls Shigatsu nicht gerade Idioten als Grenzposten hatte, würde früher oder später einer auf ihn aufmerksam werden.

In der Tat dauerte es nicht sehr lange, ehe sich die große, schlangenförmige Gestalt eines Drachen vor ihm aufrichtete: „Besuch?“ Dunkle Augen funkelten ihn an.

Der Taishou sah empor, etwas irritiert, dass es sich um vier Augen handelte. Auf der Stirn des Lindwurms saß ein fast menschlich, wenn auch maskenhaft anmutendes zweites Gesicht: „König Shigatsu will mit mir reden.“

„Mit dir? - Ah, der neue Fürst? Kommt.“

Der Posten führte den Besucher tiefer in die Berge, die zerklüftet und rau waren. Hier würden sicher keine Menschen leben wollen oder auch nur können, nicht einmal Dämonen. Immer wieder zeigten sich heiße Quellen, sei es aus Wasser oder Morast, manchmal stiegen Dampffontänen aus Spalten. Der Hundefürst sprang elegant hinter dem Drachen her, nicht willens, sich durch dessen Tempo oder die Umgebung beeindrucken zu lassen. Wer hier lebte, musste wirklich ein karges Leben schätzen - oder Toutousai heißen, der ähnlich hauste.

Sie erreichten nach fast einer Stunde Wegs einen feurigen Fluss aus glühendem Gestein, der quer vor ihnen lag. Dahinter stieg ein steiler Berg auf.

„Könnt Ihr fliegen?“

„Ja.“

„Dort oben, auf der Spitze des Berges erwartet Euch der König. Ich kann nicht fliegen und muss überdies auf meinen Posten zurück. Aber auch dort werdet Ihr auf Wächter treffen.“

„Danke für die Führung.“ Der Taishou erhob sich ohne weiteres Wort in die Luft. Er schätzte das Fliegen nicht sehr, es bedeutete doch eine gewisse Anstrengung, aber hier war es schlicht praktisch, um den Feuerfluss überqueren zu können. Das gesamte Gebiet hier zeigte nur zu deutlich seinen vulkanischen Ursprung. Oben landete er, als er zwei Wächterdrachen entdeckte, beide mit Schwertern in den Händen. Sie hatten ihn ebenfalls bemerkt und kamen zu ihm:

„Inu no Taishou?“

„In der Tat.“

„König Shigatsu erwartet Euch.“

Einer der beiden blieb zurück, der andere bewegte seinen schlangenförmigen Körper rasch über die Felsen. An der nächsten Ecke konnte der Besucher dann in die Tiefe blicken. Vor ihm lag wohl der ehemalige Krater eines Vulkans. Gewiss hunderte von Drachen befanden sich dort. Im Hintergrund türmte sich etwas auf, das fast wie ein Berg im Berg wirkte, vielleicht der ehemalige Schlot. Wie schon seit seinem Betreten des Landes konnte der Herr der Hunde weder Pflanze noch Tier erkennen, korrigierte sich dann aber. Fast direkt unter ihm befanden sich zwei Gebilde, die man mit viel Phantasie als vertrocknete, weiße Bäume bezeichnen konnte. Diese ignorierte er jedoch, denn unten hatte man offenkundig den Besuch erkannt und wich auseinander. So entstand ein Pfad frei zu einem großen Drachen, sicher Shigatsu, dem König. Einige andere hielten sich rechts und links von ihm und der Hundefürst vermutete in ihnen die Ratgeber, die auf Krieg mit ihm selbst aus waren. Scheinbar unbeeindruckt ging er an den vertrockneten Bäumen vorbei, durch die Menge der Drachen, die ihn nicht unbedingt freundlich ansahen. Er war hier in der Falle, wenn Shigatsu nicht ehrlich spielte, aber wie hatte sein verehrter Vater gesagt: nichts kann man ohne Risiko gewinnen.

Er blieb vor dem König stehen und neigte genau bemessen den Kopf: höflich, aber ebenbürtig.

„Sollte ich sagen, willkommen, Herr der Hunde?“ hallte die dunkle Stimme Shigatsus durch den Krater: „Ich entnehme Eurem Besuch, dass dieser kleine Floh seinen Auftrag ausgerichtet hat.“

„Ihr gabt ihm zu verstehen, dass es wichtig ist.“

„Krieg oder Frieden ist stets wichtig, nicht wahr, Taishou?“

„Mein Vater bezahlte seinen Versuch Euch zu treffen mit dem Leben.“

„So hörte ich. Und es scheint zuzutreffen, denn das Schwert auf Eurem Rücken ist das Höllenschwert. Euer Vater hätte es nie aus der Hand gegeben. - Entweder Ihr seid sehr mutig oder sehr dumm, tatsächlich allein herzukommen, nachdem so viel Blut der Drachen in den letzten Jahren floss.“

„Es floss auch genug Dämonenblut, König Shigatsu.“ Es war überaus lästig mit jemandem zu sprechen, der einen buchstäblich von oben herab musterte. „Und ich wäre daran interessiert, beides in Zukunft zu verhindern. - Ich habe nicht die Absicht in das Gebiet Eures Volkes einzudringen und würde auch nur meine Länder verteidigen.“

„Meine Ratgeber sind dafür, in Eure Gebiete einzufallen und sie zu verwüsten.“

„Ihr seid der König und Ihr entscheidet.“ Das klang nicht sehr verheißungsvoll, aber zum einen schätzten Drachen durchaus Kampf und Mord, zum anderen musste Shigatsu wohl auch behutsam sein, wenn er wirklich Frieden wollte. „Ich persönlich sehe wenig Sinn in einem Blutvergießen, das nur eine bereits vorhandene Grenze festlegt.“ Er drehte sich nicht um, konnte aber wittern, dass sich die Drachen nun auch hinter ihm befanden. Keine sehr angenehme Lage. Aber wenn er zu seinem Schwert griff, würden sie alle über ihn herfallen und trotz aller Bösartigkeit der Klinge war das eine zu große Übermacht, als das er es hätte überleben können. Die Aussicht, dann als willenloser Zombie dem Geist des Höllenschwertes zu gehorchen, war keine schöne Zukunftsaussicht.

„Um Euren guten Willen zu einem Frieden zu bekunden, könntet Ihr mir Euer Schwert schenken.“

„König Shigatsu, Ihr könnt alles von meinem Eigentum verlangen – dies jedoch wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Nicht ohne Grund nennt man es ein Höllenschwert. Nur jemand aus meiner Blutlinie vermag es so zu zähmen, dass es ruhig bleibt. Ansonsten tötet es wahllos.“

„Der Hund verhöhnt Euch, mein König,“ warf einer der Ratgeber ein: „Er war dumm genug herzukommen, dumm genug, Euch zu beleidigen – das erfordert Strafe!“

Der Taishou spannte sich unmerklich an. Die Stimmung unter den Drachen drohte zu kippen, das konnte er an den Geräuschen hinter sich hören: Klauen, die sich an Schwertgriffe legten.

„Ich bitte um Vergebung, mein König,“ sagte ein junger Drache, der etwas weiter außen stand und bei dem sich wohl ein weiterer Posten befand: „Wir bekommen vielleicht Gelegenheit unsere Bündnisse und Verträge neu zu überdenken. Ein Bote Fürst Susumus aus dem Süden bittet um Audienz. Und er hat ein Geschenk dabei.“

Shigatsu sah interessiert auf: „Ich lasse ihn bitten, Ryukossei. - Und, Taishou, während dieses Gespräches seid mein Gast.“

Während, nicht danach, erkannte der Hundefürst, aber wenn er sich nicht den Weg freikämpfen wollte, musste er wohl mitspielen. Susumu! Was wollte dieser Kerl denn mit den Drachen? Ein Bündnis, um den Westen in die Zange nehmen zu wollen? Das ergäbe taktisch durchaus Sinn. So neigte er den Kopf, verabschiedend, aber auch Zustimmung andeutend, und folgte einem Drachen zum Rand des Kraters, nicht weit von den weißen Bäumen, wo dieser auf ein dunkles Loch wies, neben dem ein riesiger Stein lag, anscheinend mit Ketten befestigt:

„Geht dort hinein,“ sagte der Führer: „Auf Befehl des Königs werdet Ihr wieder herauskommen.“

Hoffentlich, dachte der Herr des Westens, aber er ging in die Dunkelheit, hörte, wie er es erwartet hatte, prompt, dass der Stein davor geschoben wurde. Zusätzlich spürte er eine magische Sicherung. Nein, er saß hier als Gefangener, konnte nicht sehen oder hören, was der Bote Susumus brachte, wie die Verhandlungen abliefen. Mit einem leisen Fluch versuchte er sich zu orientieren. Das hier war nur eine Grotte, die hinten nicht weiter in den Berg führte. Flucht war hier wohl kaum möglich – und würde ihn vor den Drachen wohl auch blamieren. Soweit er sich an die Gerüchte über sie entsann, waren sie zwar harte Krieger, skrupellose Mörder, wenn sie es wollten, aber sie hatten in gewissen Grenzen Ehrgefühl und achteten Mut. Schon die Tatsache, dass er hier allein aufgetaucht war und Susumu nur einen Boten sandte, würde durchaus zu seinen Gunsten sprechen. Fragte sich, was der als Geschenk mitgebracht hatte und wie groß das Interesse Shigatsus daran war. Allerdings hatte ihn der Drachenkönig bislang weder als Gast noch als Verbündeten angesprochen – damit war er nach den Regeln dieses Volkes wohl Freiwild. Aber das waren alles Vermutungen. Zu viele Dämonen hatten sich hier noch nicht aufgehalten ohne mit dem Leben dafür zu bezahlen.

Hm. Wie sollte er sich verhalten, wenn er hier herauskam? Es wäre durchaus möglich, sich den Weg aus der Grotte mit dem Höllenschwert zu bahnen – aber was wäre dann? Ein Kampf gegen die Drachen, eine spektakuläre Flucht würden sein Leben womöglich retten. Und seinen Ruf bei den Drachen ruinieren, ja, sie in Susumus Arme treiben. Dann hätte er einen ausgewachsenen Zweifrontenkrieg für den Westen vom Zaun gebrochen. Das musste er verhindern, um jeden Preis. Falls seine Gemahlin in der Tat einen Sohn erwartete, sollte dieser Erbe eines Landes sein, das noch existierte. Für die westlichen Länder gab es eine Zukunft, wenn sie auf ihren Sohn achtete, auch, wenn er selbst keine haben sollte. Und das würde sie tun, da war er sicher. Sie hatte Sumu und ihren Vater für ihn und ihren Sohn im Stich gelassen, hatte selbst gesagt, dass sie darin nun ihre Pflicht sähe. Und er glaubte ihr – soweit. Darum hatte er auch eine klare Anweisung hinterlassen, die sein Schreiber und Myouga öffnen sollten, wenn er in drei Tagen nicht zurück wäre: sie, Myouga und Zunai als Heerführer, als dreiköpfiger Regentschaftsrat für das Ungeborene.
 

Es schien endlos zu dauern, die Zeit in der Dunkelheit, ehe er spürte, dass der Stein beiseite geschafft wurde. In gewisser Alarmbereitschaft erkannte er, dass sich draußen einiges verändert hatte. Der König und seine Ratgeber waren nun ebenfalls auf dieser Seite des Kraters und musterten ihn in gewisser abwartender Neugier, die sich freilich nur in den kleinen maskenhaften Gesichtern auf ihren Stirnen zeigte. Auch die anderen Drachen waren alle hier. Ging es um ihn? Aber die Blicke galten den vertrockneten Bäumen. Und da war auch ein Katzendämon, sicher Susumus Bote, in seiner menschlichen Gestalt. Er schien nicht sonderlich glücklich, war jedoch noch am Leben und ungefesselt. Das aufgezäumte vierfüßige Reitdrache dort hinten gehörte sicher zu ihm – und der Taishou erkannte ein Wesen jener Art, auf denen die Attentäter in den Bergen von Me sie angegriffen hatten.

Besser eine gewisse Höflichkeit wahren, dachte er und neigte den Kopf vor dem Drachenkönig, als er aus der Grotte trat. Die Witterung von Blut, Menschenblut, drang in seine Nase und er erkannte einige Drachen mit rotgefärbten Mäulern. Das also war Susumus Geschenk gewesen. Widerlich. Er selbst machte sich nicht viel aus Menschen, aber sie lebten hier im Land und besaßen das gleiche Lebensrecht wie alle anderen Wesen. Sie zu töten auf der Jagd, um den Hunger zu stillen, war eine Sache, sie als „Geschenk“ Drachen zu übergeben – nein. Das hätte er selbst nie getan. Immerhin schien die Sache noch offen zu stehen.

Shigatsu nickte etwas: „Fürst Susumu macht uns ein Bündnisangebot. Aber wozu darauf eingehen, wenn wir Euch sowieso schon hier haben? Wir werden sehen, ob Ihr Drachensitten vertragt.“

Das klang nicht gut, dachte der Herr der Hunde: ganz und gar nicht. Aber wenn er keinen Zweifrontenkrieg haben wollte, musste er jedes Risiko eingehen. Für den Westen. Fürst zu sein war in der Tat kein Zuckerschlecken und auch, wenn er nie erwartet hatte, kaum eine Woche nach seinem Amtsantritt schon für seine Länder sterben zu können, so war das eben so: „Was wünscht Ihr?“

„Seht Ihr den Baum neben Euch? Geht zu ihm. Nein. Mit dem Rücken zuerst.“

Ein wenig verständnislos gehorchte der Taishou, zumal ihn alle Drachen gespannt betrachteten. War das etwa kein alter, vertrockneter Baum, sondern etwas anderes? Jetzt spürte er hinter sich eine Lebensform, nicht dämonisch, kein Drache, etwas vollkommen unterschiedliches. Wollten sie an sein Schwert? Im nächsten Moment war eine Bewegung hinter ihm und noch ehe er auch nur instinktiv reagieren konnte, wurde er an Armen und Beinen gepackt und gegen den Baum gerissen.

Er benötigte eine Sekunde, um sich zu orientieren. Er hing an dem Stamm des baumartigen Wesens. Weiche und doch unzerreißbare Äste hatten sich um seine Arme gewickelt, hielten sie ausgebreitet, andere hielten seine Beine so weit gespreizt, dass es fast schon in den Hüften schmerzte. Etwas ähnliches lag eng um seine Kehle. Und er war ganz sicher, dass kein auch noch so starkes Lebewesen diese Bande loswerden konnte. Jetzt, wo das Geschöpf hinter ihm seine Fassade hatte fallen lassen, witterte er auch getrocknetes Blut.
 

Immerhin hatten sie ihm das Höllenschwert gelassen. Er hätte sich nicht vorstellen wollen, was die Klinge hier anrichten würde, wäre sie nicht mehr unter seiner Kontrolle. Shigatsu war intelligent. Nur war jetzt die Frage, wollten sie ihn hier töten oder sollte das eine Prüfung werden? Er sah zu dem Drachenkönig.

Dieser betrachtete ihn interessiert: „Ihr besitzt Selbstbeherrschung, das gebe ich zu. Ich fürchte nur, dass sie Euch verlassen wird.“

„Das werden wir sehen,“ gab der Taishou zurück: „Versprecht Ihr mir nur eines, König Shigatsu, im Interesse Eures eigenen Volkes? Wenn ich tot bin, lasst die magiekundigsten der Drachen das Höllenschwert nehmen und es in den glühenden Fluss aus Steinen dort draußen werfen. Niemand jedoch sollte es auch nur berühren oder in seine Nähe kommen.“

„Das ist Eure ganze Sorge?“ Shigatsu sah zu dem Boten aus dem Süden: „Verstehst du den Unterschied? Dein Herr kam nicht selbst her, aus Furcht oder Hochmut. Beides ist nicht sonderlich schmeichelhaft für uns Drachen. Und es würde uns auch keine Ehre bringen, dich, den schwachen Überbringer, zu töten.“ Er sah zu seinen Wachen: „Als Dank für sein Geschenk soll ihn Susumu auch lebendig wiederbekommen. Bringt ihn zur Grenze.“

Der Taishou, unbequem an das baumartige Wesen hinter sich gepresst, hätte fast etwas gesagt. Drachen! Immerhin hatten sie den Bündnisvertrag aus dem Süden ausgeschlagen und rechneten sich es als Ehre an, ihn selbst umzubringen. Wunderbar. Zumindest wären seine Länder sicher, das musste ihn trösten.
 

**

Im nächsten Kapitel werfen wir einen Blick auf den armen Myouga, seine Aufgabe – und Fürst Susumu.



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Kommentare zu diesem Kapitel (9)

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Von:  Minerva_Noctua
2012-03-18T14:08:58+00:00 18.03.2012 15:08
Gute Idee mit den Bäumen. War klar, dass die nicht normal sind.
Der Taishou ist wirklich mutig.
Es wäre schön, wenn er sich bald wieder mit seiner Gemahlin vertragen würde.

Bye

Minerva
Von:  kiji-chan
2011-04-27T22:21:47+00:00 28.04.2011 00:21
Ich habe gleich gedacht, dass das keine Bäume sind!! Was nur aus dem armen Taishô wird?

Er hat jetzt die Ehre für seine Ländereien zu sterben. Sind die Ländereien es wert? Ist sie es wert???

Auf alle Fälle den Drachen ein fröhliches Grillen, dem Taishô, dass er nicht als Grillhünchen endet und dir ein gute Nacht.


ncha!
Kiji
Von: abgemeldet
2011-04-24T14:22:18+00:00 24.04.2011 16:22
Der Arme. Da traut er sich doch tatsächlich hin und dann sowas! Bleibt nur zu hoffen, dass es nur eine Prüfung wird. Ich bezweifle, dass sie ihn fressen oder töten würden. Vielleicht ein paar Fragen, die er richtig beantworten muss. Rätsel oder sowas. Einfach ein Test, den er bestehen muss. Und wenn er es nicht schafft, bezahlt er mit seinem Leben. Anders kann ich es mir nicht vorstellen.

Bin gespannt wie es weiter geht.

LG, Tinerina
Von:  Krylia
2011-04-23T09:30:39+00:00 23.04.2011 11:30
Drachen sind kompliziert, wie es scheint. Oder einfach nur anders.
Ich bin gespannt, was dieser "Baum" mit dem Taishou vorhat und was Myouga im nächsten Kap herausfindet.
Von:  Cistus
2011-04-22T18:20:49+00:00 22.04.2011 20:20
Der Taishou kann nun einmal nicht anders handel´n, als so wie er es tut! Der Stärkste geht voran und schickt nicht einen Schwächeren in die Gefahr! Ich denke mal das ist die größte Tugend die den Herrn der Hunde auszeichnet!
Es wäre sicher tröstlich für ihn zu wissen, das sein Sohn ihn eines Tages ebenso verehren wird, wie der Taishou es sich erhofft.

Ich wünsche allen ein frohes Osterfest!

mfg
Cistus
Von:  yamina-chan
2011-04-21T17:23:44+00:00 21.04.2011 19:23
Der Taisho tut mir leid.
So viel Ärger...was die Drachen wohl mit ihm vor haben?
Ein gutes und Spannendes Kapitel, was du da geschrieben hast =) Mit vielen interessanten Kleinigkeiten.
Taisho: 1 - Susumu: 0
Auch wenn das in der aktuellen Lage nicht viel heißen mag.
Von:  Haruko-sama
2011-04-21T16:43:43+00:00 21.04.2011 18:43
Auf Drachen als Verhandlungspartner kann man also gut verzichten, wie man in diesem Kapitel merkt. Mal gucken, wie der Taishou aus der Nummer wieder rauskommt.
Aber seine Wut auf die Ehefrau scheint verraucht, wenn ich mir die zurückgelassenen Anweisungen so angucke.
Myougas Auftrag trägt hoffentlich bald Früchte, damit es zumindest eine Sorge weniger im Schloss gibt.

LG und ebenfalls frohe Ostern, Haruko
Von:  Teilchenzoo
2011-04-21T14:55:20+00:00 21.04.2011 16:55
Wie ich mir das wünsche:
*Taishou und neko machen looki-looki auf das Reitvieh vom Attentat*
"Oh, großer Shigatsu, das ist ein Reittier vom Attenat! Fürst Susumu hat eure Verhandlungen mit dem Taishou sabotiert! (womöglich wollte er Euch auch in eine Falle locken.)"
Ergebnis: Susumu tot, Taishou in Frieden. Perfekt.

Nur leider wird es so nicht kommen. Ich denke, shigatsu will ihn prüfen, also sollte das Ganze zu überstehen sein - vielleicht geht es darum, ob man es mit einem würdigen Herrscher zu tun hat?

Sumu jedenfalls wurde geschickt in die Irre geleitet. Bei dieser Aktion wird sie auch Position beziehen müssen ... Susumu oder Kodoro? Oder gar beide?

Lg neko
Von:  Lothiril
2011-04-21T11:39:20+00:00 21.04.2011 13:39
Ach, ein grandioses Kapitel... ich bin ja gar nichts anderes mehr gewohnt, aber trotzdem ein Dankeschön dafür. :)
Mir gefällt die Darstellung der Gefühle und Gedanken des Protagonisten sehr gut in diesem Kapitel, diese leichte Resgination was seine eigene Zukunft angeht, hat irgendwie etwas traurig Rührendes... dass ihn die ganze Situation noch überfordert, kommt schön raus - und er zeigt sich trotzdem stark. Sympathische Person. :)
Die Drachen sind auch ein sehr interessantes Völkchen - zumindest ihr König. Der scheint etwas Grips zu haben, und ich bin schon gespannt auf das nächste Kapitel und hoffe, da nicht nur was über Susumu und Myoga zu erfahren, sondern auch irgendwie etwas über Shigatsus Pläne. An der spannensten Stelle abzubrechen ist so hinterhältig... ;)

Ich verbleibe in großer Bewunderung dafür, dass du dir derart gute Storys aus den Fingern saugen kannst
mit besten Grüßen und einem "Frohe Ostern"-Wunsch.^^
Lothiril


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