ItemMaker - Second Generation

Erinnerungen

Es war ein trüber Herbsttag. Feuchtigkeit lag nach Tagen des Regens in der Luft und schwere Wolken verdunkelten den Himmel. Fast schien es, als ob das Wetter Hectors Gemütszustand widerspiegeln wollte.

Heute war ein wichtiger Jahrestag – der Zwanzigste um genau zu sein – und der heute 62-jährige bewegte sich mit etwas schlurfenden Schritten auf das Ziel seiner Reise zu. Die großen durch Jahre der Arbeit abgehärteten Hände steckten in seiner weiten Jacke, der Kopf war gesenkt, während sein Enkel neben ihm entlangschritt und ihn beobachtete.

Schon seit Jahren gab es Zeichen dafür, dass Hector mental langsam abbaute. Er vergaß manchmal Dinge oder verwechselte Personen mit alten Freunden. Aber noch war es nichts alzu Schlimmes. Nur zu jedem Jahrestag schien es, als ob sich ein großes Gewicht auf seine Schultern legen und seine Krankheit verstärken würde.

Yuuki begleitete seinen Großvater bereits einige Jahre an diesen besonderen Jahrestagen. Er trug auch dieses Jahr wieder den obligatorischen Lilienstrauß.

Als die beiden ihr Ziel erreicht hatten, übergab Yuuki schweigend den Blumenstrauß. Hector nahm ihn mit einem Nicken entgegen, stützte sich mit einem Knie auf den Boden und legte den Strauß auf das graue Steingrab.
 

"Lilianne Vega

Geliebte Tochter und Schwester"
 

In kleinerer und durch die Verschmutzungen eines knappen Jahres nur noch schwer zu lesender Schrift stand in einer weiteren Zeile:
 

"Meisterschülerin der Schmiede ItemMaker"
 

Dies war das Grab einer der talentiertesten Schmiede ihrer Generation, eine Hoffnung einer Meisterschmiede und auch einer der Gründe ihres Untergangs. Am heutigen Tag war es aber nur das Grab einer sehr guten Freundin, mit der Hector viele erfreuliche Jahre und unzählige Abenteuer erlebt hatte.

Es war ein Unfall gewesen, zumindest hatten dies spätere Untersuchungen ergeben. Gemeinsam hatten alle Meisterschmiede der ItemMaker an einem neuen und besseren Exemplar eines Sephiroth-Beta gearbeitet. Nun, sie waren erfolgreich, aber zu welchem Preis?

Der erfolgreich gefertigte Sephiroth war inaktiv ins Lager gebracht und bis zu seiner Auslieferung versiegelt worden. Während die anderen sich nach langen anstrengenden Tagen der kontinuierlichen Formung ausruhen wollten und heim gegangen waren, blieben Hector und Lilianne zurück. Sie wollten die Schmiede aufräumen und sich dann den verdienten Urlaub gönnen.

Das Nächste, an das sich Hector erinnern konnte war die brennende Werkstatt und die tote Lilianne, die unweit von ihm entfernt im Gras lag. Von hinten durchs Herz erstochen, Sephiroths blutbeflecktes Schwert, dass aus ihrer Brust ragte und im Lichterspiel des Feuers zu tanzen schien, verfolgte Hector noch heute.
 

Einen Monat später – Hector stand noch immer unter Schock und musste seine Verletzungen im Krankenhaus kurieren – beschlossen die Meisterschmiede, die ItemMaker aufzulösen. Durch lange Jahre der guten Dienste hatten sie erfahren, dass der Animexx gegen sie vorgehen würde.

Ihr Sephiroth war ein Meisterwerk gewesen. Sein Wert wurde nicht mehr in Karotalern berechnet, sondern in Divisionsstärke, der er gleich kam. Er sollte der Wächter der neuen zentralen Karotalerreserve der Organisation WUCHER werden. Dort sollten Abermilliarden von Karotalern gelagert werden. Geschützt vor Dieben, Plünderern und gerüchteweise sogar vor dem Staat, sollte dieser seine langen Finger nach WUCHERs Reichtum ausstrecken wollen.

Und nun war ein solches Ungetüm ausgebrochen, verschwunden und niemand wusste, wer ihn kontrollierte oder was er vorhatte. Der Animexx konnte so etwas nicht ohne Strafe dulden.

Der Schock über den plötzlichen Verlust einer der Ihren machte sein Übriges und so wurden auch die ItemMaker zu Grabe getragen.

Während alle anderen sich neue Beschäftigungen suchten und später auch Erfolge feiern konnten, war Hector in der Schmiede zurückgeblieben und hatte sie im Laufe der Jahre wieder aufgebaut.

Sie lag weit abseits der Stadt am Fuße eines majestätischen Berges und im Einzugsbereich des zentralen Item-Schreins der Provinz. Trotz der Katastrophe hatte man der Werkstatt keinesfalls das Vertrauen entzogen.

Als Dank schmiedete Hector vereinzelt Items für den Schrein und hielt so die Gerätschaften in Schuss. Animexx ließ ihn gewähren.
 

Obwohl Lilianne beliebt gewesen war, kam heute niemand mehr an ihr Grab. Die ehemaligen Kollegen schienen Besseres zu tun zu haben, ihre Eltern waren vor Jahren gestorben. Ihre Schwester war die Letzte, die sich um ihr Grab kümmerte.

Es war vor Jahren gewesen, als sich Hector und einige der anderen Meister offen vor ihrem Grab gestritten hatten. Er war der Überzeugung, dass es das Mindeste wäre, ihr einmal im Jahr den gebührenden Respekt zu erweisen und sich zu entschuldigen. Schließlich hatten sie gemeinsam ihren Mörder erschaffen und bis heute war der genaue Tathergang nicht geklärt worden.

Ihre Eltern hatten nie etwas von ihrer Schmiedekarriere gehalten, aber solange sie erfolgreich war hatten sie geschwiegen. Von dieser Seite aus kamen also nur noch mehr Anschuldigungen.

Nach dem Streit ging man auseinander, die so lange währende Freundschaft zerrissen.
 

"Großvater, es wird spät. Lass uns gehen." Yuuki hatte bisher schweigend zugesehen, wie sein Großvater gedankenverloren vor dem Grab kniete und lächelte. Vermutlich erinnerte er sich an die guten alten Zeiten.

Yuuki war ein Unruhestifter und Problemkind gewesen, war aber stolz auf seinen Großvater und konnte die so ablehnende Haltung seiner Eltern nicht verstehen. Mit seinen 16 Jahren konnte sich Yuuki als Itemschmied registrieren lassen und hatte dies auch vor.

Schon lange hatte er regelmäßig Hector besucht und mit der Zeit das Schmieden erlernt. Er war weit davon entfernt ein Meister zu sein, doch seine Werke waren viel hochwertiger als die seiner Altergenossen und er hatte großes Potenzial.

Seine Eltern, beide reich geworden mit dem Handel von Items – auch die der ItemMaker – hatten es aufgegeben, Yuuki von seiner Entscheidung abzubringen und unterstützten ihn finanziell, wenn schon nicht persönlich. Das schuldete er wohl seiner Zwillingsschwester Aiko, mit der ihn eine Hassliebe verband.

Sie war hübsch, ein Genie und eine der wenigen Menschen, die in Magie bewandert waren. Momentan studierte sich auf einem Internat auf dem es Gerüchten zufolge sogar Elfenlehrer geben sollte. Sie war der Hoffnungsschimmer ihrer Eltern und Yuuki einfach ein Extra.

Sie hielt sich für so viel besser als ihn, dass Yuuki schlecht wurde. Leider musste er ihr auf fast allen Gebieten recht geben. Außer bei der Schmiedekunst, Streitlust und Sturheit. Obwohl es bei Letzterem wohl auf ein Patt hinauslaufen würde...
 

Gerade als sich beide auf den Rückweg machten, zerrissen die Wolken und spendeten ihnen einen wundervollen Ausblick, untermalt durch Kathedralen des Lichts, die durch die Wolken stachen. Es war nicht einfach gewesen und hatte Hector einen Großteil seiner angesammelten Gefallen gekostet. Aber er hatte keine Kosten und Mühen gescheut, um Lilianne ein Grab auf dem legendärem Friedhof am Fuße der Mondscheingletscher zu ermöglichen.

Während Großvater und Neffe gingen, waren ihre Reaktionen auf dieses Schauspiel verschieden. Hector hatte sich ein Schatten über die Augen gelegt, der vermutlich wie jedes Jahr nach einigen Tagen wieder verschwunden sein würde.

Yuuki ergötzte sich an den Lichtspielen im feuchten Glänzen des magischen ewigen Eises, dass eine über 400 Meter hohe Mauer bildete und die Welt der Menschen von der Enklave der Elfen trennte. Einem Gebiet so groß wie ein kleiner Kontinent und der Ort, an dem Hector und Lilianne jahrelang nur die besten Materialien für ihre Items gesammelt hatten.
 

Noch eine weitere Person war anwesend, die versteckt hinter einem Baum den Beiden hinterherschaute. Nach kurzem Zögern folgte sie ihnen, beständig darauf achtend, dass sie nichts davon bemerkten.

Dies sollte der Beginn sein.