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Und er lächelte

von

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Wahnsinnig

Anders war der erste, der seinen starren Blick wieder von dem anderen losriss. Seine harte, kühle Miene war schnell zerbrochen und nun fuhr er sich niedergeschlagen über das bleiche Gesicht. Seine Ellbogen stützte der Sitzende auf Cullen's hölzernen Schreibtisch vor sich ab, vergrub den Kopf in seinen Händen und raufte sich mit unruhigen Fingern die Haare. Auch war er derjenige, der das betretene Schweigen dann endlich brach:

„Tut mir leid, Cullen.“ fing er leise an und seufzte verhalten. Der plötzlich so reumütige Magier schlug die Augen nieder, blieb völlig durch den Wind am Tisch sitzen und sah nicht wieder zu dem anwesenden Templer hin. Endlich kam er zur Vernunft „Ich-... eigentlich sollte ich dir danken, nicht? Entschuldige.“.

Cullen antwortete nicht darauf, denn er ahnte, dass Anders nun gleich lieber einen Monolog führen wollte, der die Situation aus seiner Sicht erklärte. Seine Frage von gerade eben war ja auch weniger Nachhaken als Einsicht und Selbstgespräch gewesen. Er hatte wohl realisiert, dass er sich unangebracht verhalten hatte. Obwohl er noch immer völlig wirr anmutete.

Der Knight-Captain atmete hörbar aus und verblieb erst einmal an der Stelle, an der er stand. Was würde nun kommen?

„Du setzt für mich viel aufs Spiel. Und das... das werd ich zu schätzen wissen...“ murmelte der Blonde irgendwo zwischen seinen Händen, in denen sein Gesicht ruhte. Ratlos schüttelte er das Haupt etwas „Nur gerade-... ich kann nicht. Ich habe keine Ahnung was ich machen soll. Ich weiß es nicht. Und ich weiß auch nicht, wie man mir helfen könnte.“ seine heisere Stimme brach während er den letzten Satz so hervor presste, als täte er sich sehr schwer damit seine offensichtlichen Ängste zuzugeben: „Zu allem Überfluss sitze ich hier in einem Zirkel fest und kann nicht weg.“.

Der skeptische Krieger zögerte, bevor er selbst den Mund wieder auf bekam. Vielleicht suchte er davor noch nach passenden Worten, vielleicht wartete er einfach nur ab, ob von Anders' Seite noch etwas kam. Nur wenige Augenblicke der betretenen Stille ließ er vergehen. Der labile Magier am Tisch sagte aber nichts mehr. Er zog nur seine Nase leise hoch und seine schmalen Schultern bebten. Ein klein wenig schien er in sich zusammenzusinken.

Oh. Fing Anders etwa an zu weinen..? Cullen's trockene Lippen standen einen Spalt weit offen, während seine braunen Augen forschend an dem anderen Mann hingen. Planlos musterten sie ihn. Was...Was sollte der Soldat nun unternehmen? Mehr als reden konnte er gerade nicht... nicht wirklich. Nicht in seiner momentanen Rolle, in der er sich selbst gefangen hielt.

„Mach dir keine Sorgen wegen dem Zirkel.“ bat der Templer ruhig und beschwichtigend. Er hob die Hände in einer sanft abwehrenden Gebärde „Du hättest nicht einmal im Kerker landen sollen. Warum hat man dich überhaupt so schnell dorthin gebracht?“

„Ich habe einen der Heiler im Lazarett umgestoßen und... und wollte loslaufen...“

„Mehr nicht?“ hakte der Knight-Captain beinahe schon erleichtert nach. Er hatte ja eigentlich mit schlimmerem gerechnet. Oh, dem Erbauer sei Dank hatte der wankelmütige Anders sonst nichts angestellt und niemand diese... Sache mit den leuchtenden Augen gesehen! Das machte die verzwickte Angelegenheit, in der sie beide steckten, gleich etwas einfacher; und Cullen den anderen Templern gegenüber viel glaubwürdiger. Er hatte schließlich gesagt, 'sein Zeuge' sei 'harmlos'; ein 'abtrünniger Idiot und Angsthase', nicht mehr und nicht weniger. Man hatte ihm vorerst geglaubt und es wäre gut, es bliebe auch weiterhin so.

„Nein... ich kam nicht zu mehr...“ wisperte der geständige Geistheiler und wischte sich mit einer Hand über die vermutlich nassen Augen. Er erntete für sein 'Ich kam nicht zu mehr.' einen tadelnden Blick; jedoch verkniff sich Cullen einen belehrenden Kommentar.

Man konnte Anders' halb abgewandtes Gesicht nach wie vor nicht sehen, denn noch immer verschwand es irgendwo zwischen unsteten Fingern und blonden Haaren. Cullen legte es aber auch nicht darauf an dies zu ändern. Er hätte so und so keine Ahnung gehabt, wie er auf einen verweinten Magier hätte reagieren sollen. In dieser Hinsicht war er absolut unbeholfen und womöglich auch nicht sensibel oder einfühlsam genug. Er war ein rauer Krieger, kein Seelsorger. Trotz... dieser seltsamen Bindung, die zwischen ihm und seinem empfindlichen Gegenüber bestand. Er hatte einfach keine Ahnung von Dingen wie... jemanden zu trösten. Ihn hatte auch nie jemand betüddelt; sein strenger Vater nicht, die distanzierten Kirchenleute nicht. Und seine Mutter hatte er nie kennengelernt. Daher verschloss er vor Anders' sentimentalen Gefühlsausbrüchen so lange die Augen wie es ging und redete sich ein, dass dieser Mann auch ohne komplizierte Trösterei zurechtkam. Bestimmt hatte ihn auch nie jemand in den Arm genommen, wenn ihm die Tränen gekommen waren. Daran würde sich nichts ändern.

„Weißt du, ich habe den Leuten gesagt, dass du ein einfacher Abtrünniger wärst.“ versicherte der zaudernde Cullen Anders nun und wechselte unbehaglich das Standbein. Er fühlte sich plötzlich irgendwie so fehlplatziert, denn er hatte das drängende Gefühl, dass die Erwartung an ihn im Raum stand Anders zu tätscheln und ihm lieb zuzureden. Aber, bei Andraste, das brachte er nicht fertig. Er hatte die meiste Zeit ja sogar Probleme damit dem anderen Mann länger als ein, zwei Wimpernschläge in die fesselnden Augen zu sehen.

„Dass ich dich verhören müsse, meinte ich, und dass sich keiner Sorgen machen bräuchte. Es gab kein großes Tamtam wegen dir. Ich wollte nur, dass man dir half, weil ich das selbst nicht mehr konnte.“ setzte Cullen fort und rieb sich den Nasenrücken.

Anders schien kurz zu überlegen und die Worte des anderen in seinem Kopf abzuwägen. Jetzt, da er die ganze Situation mit mehr Fassung tragen konnte – oder zumindest schien es derweil so – sah es so aus, als würde er dem Templer etwas Vertrauen entgegen bringen. Vielleicht sah er aber auch ein, dass ihm einfach nichts anderes übrig blieb „Danke...“.

Ja, der bissige Blondschopf hatte sich gerade tatsächlich bedankt.

Ein flüchtiges Lächeln schlich sich auf die matten Züge des Knight-Captains ehe er weitersprach. Er wollte die ganze unangenehme Angelegenheit hier schnell regeln „Und ich habe mir gedacht...“

Cullen legte ein penibel grüblerisches Zögern ein, bevor er seinen Satz beendete. Sollte er diesen riskanten Vorschlag nun wirklich unterbreiten? Jetzt? Aber wann auch sonst? Die Zeit blieb leider nicht für ihn stehen und so straffte er die Schultern etwas „Ich habe mir gedacht, dass du bleiben könntest.“.

Man sah, wie der sitzende Abtrünnige in diesem Moment kurz erstarrte. Dann hob er den Kopf, um einfach nur vor sich her zu sehen. Starrte er schon wieder apathisch oder zutiefst verletzt der grauen Wand entgegen? Was ging ihm durch den Kopf? Cullen konnte es sich ungefähr ausmalen und es gefiel ihm nicht. Er reckte den Hals etwas, um einen knappen Blick auf die Miene des anderen erhaschen zu können.

„Versteh mich nicht falsch. Ich glaube, dass man dir hier am ehesten helfen könnte. Wegen diesem... 'Gerechtigkeit'.“ meinte der Kurzhaarige, als er sich schließlich etwas näherte. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Wie würde der abtrünnige Rebell reagieren? „Meinst du nicht auch?“.

Nein.“

„Anders... wir haben hier viele fähige Zirkelmagier, die im Umgang mit Wesen aus dem Nichts bewandert sind. Manche von ihnen sind sogar in der Lage mit ihnen zu kommunizieren. Hör auf die Leute hier zu verteufeln, nur weil sie nicht deinem Konzept von Freiheit entsprechen...“ oh, wo würde das nun wieder hinführen? Cullen wusste es nicht, doch er hoffte auf das Beste. Leicht biss er sich auf die Innenseite der Wangen, als der gekränkte Magier nun endlich wieder zu ihm aufsah; bitterer Vorwurf lag in dessen ungläubigen Blick und der fereldener Krieger zwang sich dazu keine weiteren Lobeshymnen mehr über die Galgenburg zu singen. Er hatte in Anders' geröteten Augen vermutlich eh schon viel zu viel Gutes geredet. Am Ende glaubte der paranoide Heiler noch – oder wieder - an eine dunkle Verschwörung gegen ihn.

Unbewusst knibbelte der stehende Templer an einem seiner Fingernägel herum. Es war schon obskur: Cullen war der respektierte Hauptmann so vieler Soldaten, jemand, der keine Probleme damit hatte andere Menschen herumzukommandieren und ihnen strikte Befehle zu erteilen. Doch beim anwesenden Magier hier... wurde er wegen jedem Dreck nervös. Wegen eines simplen Vorschlags, den er gebracht hatte, klopfte ihm das Herz schon wieder bis zum engen Hals. Irgendwann würde es noch aus seiner Brust hervor springen...

„Du willst mich also tatsächlich hier einsperren.“ stellte Anders mit kratziger Stimme fest und lag damit einmal wieder daneben. Also... eigentlich nicht, doch er sah die Sache viel zu eng. Er sollte doch nicht eingesperrt werden sondern die einmalige Gelegenheit dazu bekommen dieses Monster in seinem Kopf loszuwerden. Es ging um Unterstützung. Etwas, das er nicht zu kapieren schien.

„Nein, Anders.“ seufzte der konfrontierte Knight-Captain und beim Anblick der nassen Rinnsale, die sich über die Wangen des Abtrünnigen hinab zogen, wurde es ihm richtig flau im Magen. Scheiße. Er versuchte dieses ungute Gefühl zu verdrängen und nicht moralisch einzubrechen „Ich will, dass dir geholfen wird. Und danach kannst du gehen wann immer du willst.“. War dies denn nicht eine schöne Vorstellung? Warum sträubte sich der aufmüpfige Blonde nur so vehement dagegen? Er könnte doch jederzeit verschwinden, hatte die rechte Hand Merediths auf seiner Seite.

„Ich glaub dir das nicht.“ langsam und sich mit dem fleckigen Ärmel über die feuchte Wange wischend erhob sich Anders. Was hatte er vor? Cullen wartete geduldig ab und versuchte weiterhin nur mit Worten zu kämpfen:

„Warum? Hab ich dir je ein Bein gestellt?“ kam es über die blassen Lippen des Templers „Wie ich es dir schon tausendfach versichert habe, möchte ich helfen. Warum wehrst du dich dagegen? Du könntest diesen Geist loswerden und wieder normal sein.“.

Der verstimmte Ausdruck des 'abnormalen' Magiers hatte sich kein Stück verändert. Man sah ihm an wie bedrängt er sich fühlte, wie schlecht und beleidigt. Er tat dem Templer so verdammt leid, doch das merkte man Cullen nicht an. Nicht wirklich.

„Anders, hör zu. Ich will dir nichts böses. Es mag ja sein, dass das Leben für dich hier nicht so großartig erscheint. Doch anstatt dein großes Problem allein mit dir herumzutragen, könntest du mit anderen Magiern daran arbeiten.“ ob Cullen das, was er da von sich gab selbst glaubte? Oder zwang er sich dazu? War er aus Verzweiflung und Not blauäugig geworden? Denn... wer würde einer Abscheulichkeit schon helfen wollen? Wer? Magier? Mit sehr, sehr viel Glück vielleicht. Templer? Keineswegs. Die würden den Abtrünnigen doch sofort enthaupten und verbrennen.

„Und du wärst in Sicherheit; in meiner Nähe. Wir würden uns jeden Tag sehen.“. schloss der Soldat, dem langsam die Wörter ausgingen.

Nach dieser Aussage wurden die aufgebrachten Züge des Geistheilers für einen Moment etwas weicher. Seine braunen Augen wanderten taxierend über den anderen Mann, durchdrangen ihn förmlich. Cullen schauderte beinah. Dann besann Anders sich aber offenbar wieder auf seine bittere Trotzigkeit – oder wie auch immer man dies nennen konnte – und schnalzte verärgert mit der Zunge. Man sah ihm an, dass er innerlich um Fassung rang – und verlor. "Was glaubst du eigentlich, Cullen??" Anders warf die schwachen Arme in die Luft und schüttelte den Kopf; beinah wäre der Templer ob dieser abrupten Bewegung zusammengezuckt.

„Das habe ich dir gerade gesagt!“ wehrte sich der Ältere mit lauterer Stimme als gewollt und bereute dies auch gleich wieder. Er neigte leider dazu schnell cholerisch zu werden, wenn man ihn anschnauzte – was im Gespräch mit jemandem wie dem sturen Anders ein enormer Nachteil war.

„Du hast sie doch nicht mehr alle! Hast du eine Ahnung, was es für mich heißt in einem Zirkel zu leben??“ schnappte der gereizte Magiebegabte ungläubig „Hast du eine Ahnung was mir damals passiert ist??

„Ja, habe ich.“ seufzte Cullen und besann sich erneut auf etwas mehr Ruhe. Natürlich wusste er was mit dem freiheitsliebenden Magier geschehen war. Er war mit ihm in Kinloch Hold gewesen und hatte den Rest der ganzen verdammten Kacke von Anders selbst erzählt bekommen.

Cullen streckte seine Hand in einer gezwungen wirkenden Geste der Schulter seines Gegenübers entgegen „Anders, bitte-“. Vielleicht wollte er den Rebell berühren, weil er ihn mit leeren Phrasen nicht mehr erreichte; mit den Fingern schon. Körperkontakt gab womöglich ein klein wenig Sicherheit; Verbundenheit. Für sie beide.

Aber ehe der Knight-Captain weiter reden konnte und noch bevor er den Magier überhaupt berührte, schlug dessen magische Aura ohne jegliche Vorwarnung aus. Drückend und wie eine massive Woge aus heißem Wasser schwappte sie über Cullen herein und drohte ihn zu erschlagen. Er ächzte überrumpelt, als seine scharfen Sinne mit einem mal Alarm schlugen. Für einen Augenblick lange blieb ihm die Luft weg und er wankte ein paar Schritte weit zurück. Mit dem, was gleich kommen sollte, hatte er nicht gerechnet und dies verschaffte seinem zornigen Gegner kostbare Sekunden: Anders schleuderte dem irritierten Templer eine magisch geladene Druckwelle entgegen und warf den ächzenden Krieger damit mit dem Rücken voran gegen die gegenüberliegende Wand des kleinen Zimmers. Noch einmal stockte dem Älteren der Atem. Er japste tonlos. Der harte Zusammenstoß mit der kalten Steinwand lähmte ihn und viele kleine Lichtpunkte tanzten vor seinen Augen, hüpften chaotisch auf und ab. Cullen kämpfte wankend gegen die Schwerkraft und gewann; er blieb etwas wackelig, doch auf beiden Beinen, stehen.

Der Templer ermahnte sich selbst hektisch dazu die Selbstbeherrschung nicht zu verlieren und suchte gezwungen einen sicheren Stand. Er stieß Luft zwischen den Zähnen aus und verengte seine glasigen Augen, um seine Sicht zu fokussieren. Und als er wieder ein einigermaßen klares Blickfeld besaß, fuhr er zusammen. Ein negativ überraschter Laut verließ seine trockene Kehle.

Da war es wieder: Dieses Ding, das er in der Dunkelstadt gesehen hatte1 Lodernd blaue Augenhöhlen glotzten ihm aus einem aggressiv verzerrten Gesicht entgegen. Viele feine, von Lyrium gespeiste, Risse brachen die Haut Anders' auf und dessen Stimme wirkte plötzlich wieder so fremd, als er sprach: „Stirb, Templer!“ grollte es Cullen mit tiefem Ton entgegen. Es war so, als spräche man aus einer anderen Welt zu ihm. Aus dem Nichts. Dunkler Nebel kroch gespenstisch über den Steinboden.

Oh nein.

Mit der Wand im rebellierenden Rücken stand der ratlose Soldat nun da. Ohne jeglichen Schutz, wenn man denn von seinen antimagischen Fähigkeiten absah. Und von seinem Schwert, mit dem er sich im äußersten Ernstfall erwehren könnte. Ja, könnte. Aber nicht wollte. Er trug keinerlei Rüstung, was ihn umso mehr beunruhigte. Aus den Augenwinkeln linste der Mann eilig zu der Waffe an seinem Gürtel hin und seine Hand legte sich demonstrativ an den gewickelten Griff des Langschwerts bevor er wieder zu dem Wesen vor sich blickte. Er musste sich inständig darum bemühen halbwegs gelassen zu bleiben und nicht in Panik zu geraten. Dies fiel ihm schwerer denn je, denn es galt hier nicht einfach irgendeine Abscheulichkeit zu töten. Dieser... dieser Dämon bei ihm war Anders. Oder jedenfalls Anders' Körper. Dessen Aura war im Moment dermaßen präsent und stark, dass es ihm beinah schwindlig wurde. Die Magie, die 'Gerechtigkeit' umgab erfüllte den ganzen Raum und machte die Luft hier so dick, dass man sie nur mit Mühe und Not atmen konnte. Sie brannte einem regelrecht in den Lungen.

„Zurück!!“ blaffte Cullen herrisch, als er einen unsicheren Schritt auf den 'Fremden' zu trat. Seine Finger lagen nach wie vor am Schwertgriff, hielten diesen krampfhaft umschlossen. Der Geist sollte dies sehen; der Anblick sollte ihn einschüchtern.

Oh, hoffentlich würde der Krieger die Waffe nicht benutzen müssen. Hoffentlich kam Anders wieder zu sich. Er wollte ihm nichts tun. Er sollte, ja, aber er konnte einfach nicht. Denn die fragwürdige Beziehung, die sich über die letzten Wochen hinweg zwischen den beiden Männern aufgebaut hatte, bedeutete Cullen zu viel. Er gab es vielleicht nicht zu, doch womöglich empfand er mehr für den störrischen Magier, als ihnen beiden gut tat.

Der Dämon grinste nur verschmitzt und zeigte sich keineswegs furchtsam. Er ignorierte Cullen's Schwert und knackte mit den Fingerknöcheln. Wieder griff er an und das ohne Rücksicht auf Verluste. Offenbar machte er sich keinerlei Sorgen um die Unversehrtheit seines Wirtskörpers, denn er sprang den bewaffneten Cullen förmlich an. Bevor er den Templer aber erreichen konnte, holte jener reflexartig aus und traf den Blonden mit einem harten Schlag in die Magengegend. Der verdorbene Geist stürzte daraufhin fast, taumelte kurz, hielt inne und knurrte irgendetwas unverständliches. Er verspürte offensichtlich keinen Schmerz.

Und noch immer hatte Cullen seine Waffe nicht gezogen „Anders!“. Wahrscheinlich hörte der Magier ihn nicht, dennoch versuchte der nachgiebige Templer mit ihm zu sprechen „Hör auf!“. Vergebens. Es dauerte kaum drei Herzschläge, da befand sich Cullen wieder im direkten Nahkampf mit der Abscheulichkeit, die versuchte ihn mit magischen Flammen das farblose Gesicht zu versengen. Wieder stieß er das verstimmte Wesen von sich, wieder kam es auf ihn zu. Es war schnell. So schnell, dass der überforderte Knight-Captain es nicht bemerkte, dass der bösartige Geist das kleine Allzweckmesser von seinem Gürtel gerissen hatte. Es war eine kleinere Klinge, gedacht für allerlei Dinge wie das Aufschneiden von Brot, Briefen oder für kleinere Reparaturarbeiten. 'Gerechtigkeit' funktionierte es in seiner prekären Situation aber zur Waffe um. Gerade, da wehrte Cullen erneut die manageladenen, haschenden Finger des Blonden ab. Doch in der nächsten Sekunde holte der Magier, mit der anderen Hand und von unten, mit dem Messer aus. Er traf den zu spät zurückweichenden Cullen direkt im Gesicht. Der kehlig ausatmende Templer spürte einen ziehenden Schmerz, der durch seine rechte Gesichtshälfte zuckte und er schmeckte sogleich Blut, das ihm durch die halb geöffneten Lippen in den Mund rann. Er wusste noch nicht genau, wie schwer und wo Anders ihn genau getroffen hatte... doch dass er blutete, stachelte ihn immens an und ihm wurde bewusst, wie ernst diese Situation hier gerade war. Sein Gegenüber wollte ihn töten, verdammt! Wieso musste ihn sein eigenes Blut erst wachrütteln und aufbringen? Das hier hätte gerade ordentlich in die Hose gehen können!

Das Wesen sah dem Knight-Captain mit grimmiger Zufriedenheit im Blick entgegen, bevor es erneut zum ruckartigen Schnitt ansetzte. Doch dieses Mal wich der vorgewarnte Krieger erfolgreich aus. Das Adrenalin in seinem aufwallenden Blut trieb ihn voran und verblendete sein rationales Denken beinahe vollkommen. Es brachte sein Herz zum rasen, spannte all seine Glieder an. Barsch schlug er dem Blonden das Allzweckmesser aus der Hand, dann stieß er ihn gewaltsam von sich und somit zurück. Dies alles geschah für Cullen so, als würde die Zeit nun langsamer laufen als sonst. Doch tatsächlich handelte er blitzschnell und instinktiv-souverän: Er eilte der Kreatur aus dem Nichts entgegen und packte mit groben Händen an deren Kopf. Der routinierte Templer brauchte nicht viel Zeit, um die Manaströme im verschleierten Schädel Anders' zu erfühlen; mit kalten Fingern an den Schläfen des Kleineren riss er diese potenten Energieflüsse mit einem Mal ab. Nicht lang, denn permanent vermochte man so etwas nicht. Jedenfalls nicht so. Doch es reichte aus, um Gerechtigkeit ein Stück weit zurückzudrängen. So weit, dass der Heiler wieder die Oberhand über seinen Leib gewann und Cullen einen hörbar tiefen Atemzug später wieder aus seinen rehbraunen, tückisch unschuldigen, Augen entgegensah.

Anders schrie erschrocken auf, so, als wäre er gerade aus einem schrecklichen Alptraum aufgewacht. Er fasste sofort an die beiden groben Hände an seinem Kopf, doch der verbissen kampfwütige Cullen ließ es nicht zu, dass der andere Mann diese fortzog. Im Gegenteil: Er verstärkte seinen Griff; so sehr, dass er dem anwesenden Magier sichtlich weh tat. Der verwirrte Heiler kniff ein Auge zusammen und stöhnte schmerzerfüllt auf. Er zog an den Ärmeln des Templers, doch er war zu schwach, um irgendetwas gegen den körperlich Stärkeren auszurichten. Ohne seine Magie hatte Anders keine Chance; regelrecht ohnmächtig wirkte er. Ohne Mana und seine Verbindung zum Nichts war er in diesem zugespitzten Augenblick bloß ein geschwächter Gefangener, ein ungefährlicher Rebell aus der Gosse, ein normalsterblicher Wahnsinniger.

Ja, wahnsinnig. Hatte der Knight-Captain vorhin etwa noch daran gedacht, dass Anders nicht in den Kerker zu den 'ganzen Irren' gehörte? Oh, Erbauer steh ihm bei!

Der Blonde gehörte dort hin.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Phinxie
2014-10-24T18:26:50+00:00 24.10.2014 20:26
Aww, schon wieder in gut geschriebenes Kapitel von dir :)
Hat mir richtig gut gefallen, besonders, dass du dir eine Geschichte zu der Narbe, die Cullen in Inquisition im Gesicht hat, ausgedacht und dazu Bezug genommen hast ^^ (Ist doch die Narbe, oder? ^^)
Mir gefällt dein Schreibstil immer besser und gerade jetzt, finde ich, wird es richtig spannend; ich frage mich nämlich, ob Anders wieder in die Kerker gesteckt wird oder nicht...
Nja, ich verfolge deine FanFic auf alle Fälle weiter :D
Liebe Grüße,
Nymphy ^^


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