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Und er lächelte

von

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Stille

Cullen versuchte ruhig auszuatmen, als er seine Hände nervös knetete. Seine haselnussbraunen Augen ruhten auf der dunklen Tischplatte vor ihm; Knight-Commander Meredith's Tischplatte. Sie hatte ihn heute, zu einer ungnädig frühen Stunde, in ihre Schreibstube bestellt. Und nun saß er da, mit gesenktem Kopf und einer Unruhe, die ihm die Glieder anspannte und seinen Mund trocken machte. Diese Aufgeregtheit wühlte ihn gerade jedes Mal aufs neue auf, wenn er vor dem Raum, in dem er alleine saß und wartete, Rüstungsgeklappere hörte. Immer, wenn vor dem Büro jemand vorbei ging, zuckte er kaum merklich zusammen, denn er rechnete jede Sekunde mit seiner strengen Vorgesetzten und einer ärgerlichen Tirade.

Ein junger Rekrut hatte ihm ausgerichtet, dass Meredith ihn unbedingt sehen wollte. Wieso, das war dem einsichtigen Knight-Captain wohl oder übel klar:

Neulich, während der ungeplanten Auseinandersetzung mit dem verwirrten Anders, hatte man ihn mit dem Magier ertappt. Nun, naja, als die aufgescheuchten Wachmänner zu diesem Zeitpunkt in seine kleine Schreibstube geeilt waren, hatten die Streithähne ihre barsche Diskussion mehr oder weniger hinter sich gebracht und sich törichterweise und völlig impulsiv... Anderem hingeben wollen. Und dennoch hatte Cullen seinen Kopf aus der Schlinge gezogen, indem er vorgegeben hatte den rebellischen Magier unter Kontrolle bringen zu wollen.

In den Augen der gerüsteten Templerwachen hatte Cullen Anders vornüber über seinen massiven Tisch gebeugt und dabei festgehalten, weil er ihn im Schach halten hatte wollen. Dass die Sache ganz anders, weitaus pikanter, gewesen war, hatten sie nicht vermutet. Hoffte er zumindest.

Und dennoch wollte Meredith ihn sprechen. Vermutlich, weil er den flatterhaften Anders auf eigene Faust und ohne Verstärkung aus dem dreckigen Kerker geholt hatte, um ihn 'zu verhören'. An und für sich war so etwas nicht gestattet. Nicht, ohne die ausdrückliche Erlaubnis der Knight-Commander. Cullen mochte ja deren Rechte Hand sein, doch das hieß nicht, dass er sich alles erlauben und entgegen den strikten Regeln der Galgenburg handeln durfte.

Er müsste sich nun eine verdammt gute Ausrede für seine Taten einfallen lassen und zwar schnell.
 

Als die Tür zum klammen Raum geöffnet wurde, sah Cullen über seine Schulter zurück und hielt den Atem an, als er die blonde Frau in der schweren Templerrüstung erkannte. Zwei Wachen begleiteten sie und bezogen sogleich links und rechts von der hölzernen Türe Stellung. Der Knight-Captain verengte die Augen etwas und erhob sich zögerlich. Er nickte Meredith, die ihm einen recht missgestimmten Blick zuwarf, zum Gruß zu: "Knight-Commander."

"Ser Cullen. Setzt Euch", bat ihn die Angesprochene nur knapp und kühl und hielt hinter ihrem Schreibtisch an. Nur beiläufig ließ sie ihre Aufmerksamkeit über die Papiere darauf gleiten. Dann hob sie ihren Kopf dem nervösen Mann entgegen.

Cullen hatte sich auf Geheiß der verstimmten Blonden wieder niedergelassen und wirkte auf dem kleinen Stuhl vor deren massiven Tisch etwas verloren. Er schwieg abwartend.

"Ihr wisst, warum ich Euch sprechen will?", fing die Gerüstete dann ohne jegliche Umschweife an. Im Gegenzug zu dem unschlüssigen Cullen blieb sie stehen und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Ihre blauen Augen ruhten eiskalt und berechnend auf dem Mann in Erklärungsnot.

"Nein", log der zerfahrene Kurzhaarige und hätte sich am liebsten fest auf die Zunge gebissen "Wenn Ihr mich bitte aufklären würdet..?".

Man sah Meredith nun an, dass sie gerne entnervt geseufzt hätte, doch sie bewahrte ihre harte, nahezu starre Miene.

"Der blonde Magier...", sagte die Frau und diese Worte bohrten sich sofort wie ein Dolch in die flaue Magengrube des Kriegers "Was wolltet Ihr von ihm?"

"Welcher-", der konfrontierte Knight-Captain hielt inne, als er bemerkte, wie dämlich er wirken musste und wie dumm es gewesen wäre, hätte er sich gerade ahnungslos gegeben. Meredith war nicht unklug... und ihr zu lange etwas vorzumachen brachte nichts als Ärger.

"Ach, ihr meint den, der mich attackiert hat", schloss der aufgewühlte Soldat schließlich und versuchte dabei so ruhig als möglich zu klingen. Meredith's abschätzige Augen fielen dabei auf die Naht in Cullen's Gesicht. Die Wunde an der Oberlippe war gut am Verheilen und schmerzte kaum noch mehr. Die Frau sagte nichts, doch ihr tadelnder Blick war abfällige Aussage genug.

"Ich wollte ihn befragen, Knight-Commander", entkam es der trockenen Kehle des Templers und er musste sich selbst dazu drängen nicht aufgebracht am bestickten Ärmelsaum seiner Robe herumzufummeln. Cullen befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge "Es war ein Fehler. Ich hätte ihn nicht alleine und ohne jegliche, vorherige Abklärung holen sollen." Seine tiefbraunen Augen wanderten unsicher, sie hatten Schwierigkeiten damit, Meredith, die sich drohend vor ihm aufgebaut hatte, beim Sprechen zu fixieren.

"Ein Fehler? In der Tat", entgegnete die blonde, schwer bewaffnete Kriegerin sofort und klang dabei beinah schon schnippisch. Es schien ihr nicht zu gefallen, dass ihre Rechte Hand gegen ihre persönlichen Vorstellungen und Ansichten gehandelt hatte und dem verlieh sie in der nächsten Sekunde Ausdruck. Natürlich. Mit einer Handfläche schlug sie hart auf den Tisch und Cullen musste an sich halten nicht, einen erschrockenen Laut von sich gebend, zusammenzufahren. Er biss sich auf die Innenseite der Wangen und atmete durch die Nase aus.

"Ich hätte mir von Euch mehr Pflichtbewusstsein erwartet, Knight-Captain Cullen. Und dass gerade Ihr mich über alle Neuigkeiten unterrichtet." Mit Unmut in der plötzlich so scharfen Stimme schnitt die Frau dem Sitzenden tief in das pflichtbewusste Ego. Ein, zwei Mal ging sie hinter ihrem Tisch auf und ab, aufgebracht, ehe sie sich abermals zu ihm umwendete "Stattdessen wird dieser Abtrünnige hierher gebracht ohne, dass ich davon höre. Ihr habt ihn höchstpersönlich dem Lazarett übergeben und geschwiegen. Es existiert kein Schriftwerk über ihn, kein Phylakterion, es gibt keinerlei Informationen über seine Herkunft. Er sitzt nun als gefährlicher Namenloser in meinem Kerker und Ihr erachtete es bis heute nicht mir zu sagen wer er ist! So etwas ist unentschuldbar!"

Meredith's Kiefer mahlten und ihre strahlend blauen Augen waren zu bösen Schlitzen verengt. Cullen fühlte sich auf einmal so... winzig und schuldbewusst. Am liebsten hätte er sich in Luft aufgelöst.

"Ich-", fing der reumütige Krieger an, doch wusste nicht so recht was sagen. In seinem wirren Kopf klaubte er soeben nach passenden Worten, doch fand keine.

"Verzeiht", entkam es ihm daher bloß etwas kleinlaut. Doch damit gab sich die dominante Soldatin nicht zufrieden und in ihrer erhobenen Stimme lag schneidender Nachdruck als sie weiter sprach:

"Was wolltet ihr von ihm?", hakte sie nach und Cullen schluckte abermals trocken; seine schale Zunge klebte ihm am Gaumen.

"Informationen", sagte der Mann aus dem Stegreif heraus und musste sich dazu zwingen nicht vollkommen eingeschüchtert zu klingen.

Oh, Erbauer steh‘ ihm bei! Meredith hatte ein gewisses Auftreten und eine Präsenz, die einem ganz schön auf die Selbstsicherheit drückten. Sie hätte Cullen nicht einmal anblaffen müssen, um in ihm Unwohlsein aufwallen zu lassen. Besonders in letzter Zeit wirkte sie zu oft so... angespannt und aggressiv. Es war unklug gewesen sie zu verärgern, denn womöglich hatte er damit seine hohe Stellung im Zirkel gefährdet. Aus forschend-vorsichtigen Augen betrachtete der Mann die Gerüstete vor sich.

„Informationen worüber?“, fragte Meredith forsch. Man sah ihr an, dass sie nicht besonders glücklich damit war, dass ihre Rechte Hand gerade so dermaßen verschwiegen wirkte. Und gleichauf fragte sie sich bestimmt wieso Cullen nicht von sich aus redete und so nervös anmutete. Sie war leider viel zu klug und jeman der Menschen, die Dreck am Stecken hatten, schnell durchschaute.

„Über... über den Aufstand der Qunari“, entkam es der heiseren Kehle des Sitzenden und er hätte sich dafür selbst gewaltsam Ohrfeigen können. Denn seit wann interessierten sich die Templer für Auseinandersetzungen zwischen zwei nichtmagischen Parteien? Natürlich hatten sie eine gewisse Macht und das Sagen in mancherlei Angelegenheit, doch Meredith selbst hatte angeordnet nicht überstürzt in den Kleinkrieg, den die Gehörnten heraufbeschworen hatten, einzugreifen. Oberste Priorität sei schließlich der Schutz des Turms. Wo wäre die Sicherheit der Galgenburg denn geblieben, hätte man die Templer in die Stadt geschickt, um aufmüpfige Qunari zu schlachten?

Nein, Cullen's dumme Ausflucht von eben machte keinen Sinn; und dennoch konnte er sie nicht zurücknehmen.

„Seit wann interessieren Euch Bürgerkriege? Und was sollte der Magier damit zu tun haben?“, brummte die Knight-Commander „Was habt Ihr Euch erhofft, hm? Warum habt ihr Euch nicht abgemeldet?“

„Er... war in die ganze Sache verwickelt. Zusammen mit anderen Abtrünnigen, die im wilden Kampfgetümmel entkommen konnten“, tropfte diese Lüge aus dem Mund des Kriegers und sein panisches Bauchgefühl verriet ihm, dass er sich hier gerade in eine ganz, ganz miese Lage hinein ritt. All das, was er sagte, verließ seine heisere Kehle mehr oder weniger spontan. Die Gefahr sich selbst zu widersprechen oder solch einen Blödsinn zu reden, dass seine Vorgesetzte tatsächlich richtig misstrauisch wurde, war riesengroß.

„Ihr habt Euren Posten also verlassen, um im Qunari-Aufstand nach Abtrünnigen zu suchen?“, unterbrach Meredith den atemlosen Knight-Captain vor sich. Ihre blauen, durchdringenden Augen sahen so... wissend aus. Und dieser Blick fachte das Unwohlsein in Cullen weiter an, wie ein Blasebalg ein Feuer; es verknotete ihm die Eingeweide und schnürte ihm die Kehle zu.

„... ja“, antwortete er dann beinah schon tonlos und knapp, ratlos. Denn was hätte er schon anderes sagen sollen? Jedes Wort mehr hätte die gewitzte Meredith noch stutziger gemacht, nicht wahr?

Die Knight-Commander hob eine Augenbraue etwas an und sah dabei so aus, als hätte sie in ihrem Kopf bereits ein Urteil gefällt. Als hätte sie die gesamte, verzwickte Misere längst durchschaut.

Hatte sie das denn?

Oh, hoffentlich nicht.

Cullen verspürte gerade einen unglaublichen Drang dazu in den Kerker zu eilen, um Anders zu holen und zusammen mit ihm zu fliehen. Sofort. Vollends unüberlegt und halsbrecherisch, doch immerhin wäre er damit nicht den üblen Launen seiner Vorgesetzten ausgesetzt gewesen.

Immerhin hätte er damit ein wenig Sicherheit gehabt und nicht diese dunkle Vorahnung das Leben seines Freundes gerade in schreckliche Gefahr gebracht zu haben.

Hier in der Galgenburg lief es nämlich anders als in Kinloch Hold. Hier hatten die Magier kaum Freiheiten; und wurde einer von ihnen aufmüpfig, wurde er sofort besänftigt. Magiebegabte, die etwa einen höher gestellten Knight-Captain angriffen-

Die wurden zum Tod durch das Schwert verurteilt. Dabei wurden sie zuvor nicht einmal mehr angehört, denn in Meredith's Augen waren sie alle gefährliche Schandflecke und Lügner ohne ein Recht auf einen objektiven Richtspruch.

Verstehe“, meinte die Gerüstete nun nurmehr und in ihrem dunklen Unterton lag irgendetwas durchaus Verschwörerisches „Ich werde den gefangenen Magier heute noch dazu befragen“.

Was??

Das war nicht gut. Cullen ballte die Hände zu Fäusten.

„Ich möchte nicht, dass so etwas noch einmal geschieht, verstanden?“, sagte Meredith dann säuerlich „Ihr könnt gehen.“
 

Cullen's Kopf fühlte sich zentnerschwer an, als er folglich durch den langen Gang ging, der zu den Quartieren führte. Seine stählerne Rüstung zog schwer an seinem Leib, der sich anfühlte, als hätte er nächtelang kein Auge zugetan; matt und kraftlos. Seine schlechten Gedanken und Befürchtungen drückten ihm schwer aufs Gemüt und machten ihm die Brust zu eng. Er glaubte jeden Moment die Kraft zum Atmen zu verlieren, fuhr sich mit der behandschuhten Hand über das blasse Gesicht.

Oh, was sollte er nun tun?

Das Gespräch mit der zornigen Meredith war mehr als nur schlecht verlaufen und er hatte seiner Vorgesetzten solch einen unglaublichen Schwachsinn erzählt.

Ja, hätte man ihm jemanden vor die Nase gesetzt, der ihm irgendeine kuriose Geschichte über eine unangemeldete Magierjagd während eines Bürgerkrieges weismachen wollte... er hätte demjenigen kein Wort geglaubt. Er wäre wohl genauso argwöhnisch geworden wie Meredith, genauso wütend.

Er hatte das Vertrauen dieser Frau missbraucht, ohne eine Sekunde lang über arge Konsequenzen dafür nachzudenken. Er hatte seinen vernünftigen Kopf stumm geschaltet, während er bloß seinem verliebten Herzen gefolgt war. Cullen hatte helfen wollen, Anders retten und mehr, doch damit hatte er mehr Schaden angerichtet, als es ihnen beiden gut tat.

Der Knight-Captain hatte Angst.

Denn er wusste nicht, was kommen sollte; ahnte jedoch Schlimmes. Er musste heute, während des Schichtwechsels nach dem Abendessen, zu dem eingekerkerten Heiler. Und dann würden sie weitersehen. Man durfte Anders nun nämlich auf keinen Fall mehr in der Galgenburg eingesperrt lassen.

Der Blondschopf musste verschwinden und zwar schleunigst.
 

II
 

„Knight-Captain!“, Thomas' Atem ging schwer, als er bei dem überraschten Cullen hielt. Der bedächtige Templer hatte gerade den großen Speisesaal der Galgenburg verlassen wollen, um sich bald einen unauffälligen Weg in den Keller zu suchen, da hatte ihn der kleinere Zirkelheiler eingeholt. Ein wenig überrascht lenkte der Gerüstete seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf Vern's Schüler. Der junge Mann in der hellen Robe stützte die Hände auf die Knie und atmete ein paar Mal tief durch. Dann hob er den Kopf, um dem abwartenden Knight-Captain wehleidig entgegen zu sehen. Er zögerte und seine Lippen öffneten sich einige Male, bevor er sprach.

„K-Knight-Captain...“, wiederholte er sich und wich den forschenden Augen des Kriegers verunsichert aus, biss sich auf die Unterlippe.

Warum war der Junge so... aufgebracht?

Er war offenbar gerannt, um den hochrangigen Templer zu erreichen; vielleicht hatte er ihn sogar gesucht. Eigentlich war es ja verboten als Novize einen Kirchenbruder wie Cullen einfach so anzusprechen; außer, wenn es um triftige Dringlichkeiten ging. Meredith sah es außerdem nicht gerne, wenn die Magiebegabten durch den Zirkel liefen. Denn rennende Magier machten die anwesenden Templer nervös. Es war wie bei aufmerksamen Wildtieren und ihrer Beute... wenn letztere anfing zu rennen, folgten die knurrenden Wölfe.

Thomas wusste das; jeder wusste das.

Also was, in alles in der Welt, war in ihn gefahren?

„Bei Andraste, Thomas...“, fing Cullen ruhig an und verbarg damit, wie alarmiert er zu diesem Zeitpunkt eigentlich war. „Was ist los? Der irritierte Krieger stemmte sich abwartend eine Hand in die Hüfte und spürte bereits neugierige Blicke im Nacken. Man sah es nicht oft, dass sich die Rechte Hand Merediths mit jungen, nichtsbedeutenden Magierburschen unterhielt.

„Sie haben...“, gab der atemlose Kerl von sich und haderte mit seinen Worten. Er senkte die kratzige Stimme, flüsterte nun nahezu: „Sie haben ihn ins Lazarett gebracht. Sie haben-“

Weiter kam der wirre Thomas nicht. Denn angefacht von einem plötzlichen Adrenalinschub und unhaltbarer Sorge, ging ein Ruck durch Cullen's Körper. Und der Knight-Captain lief los.
 

Stoßweise atmend und mit rasendem Herzen trat Cullen bald in die nüchterne Krankenstation. Den ganzen Weg über war er gerannt wie ein Blöder und der schüchterne Thomas war ihm mit wehender Robe gefolgt. Sie beide hatten sich dabei einige, skeptische Blicke eingefangen, doch der kurzhaarige Fereldener hatte seinen unterstellten Männern und Frauen herrisch angewiesen ihre Posten nicht zu verlassen.

Die dicken Plattenstiefel des Soldaten traten schwer auf den Boden der Krankenstation und seine furchtsamen Augen suchten hektisch. Sie fanden ihr Ziel auch bald, denn das Lazarett war momentan nicht besonders ausgelastet. Lediglich drei schlafende Menschen und ein komatöser Elf lagen hier in ihren harten Betten. Darunter auch ein dünner Blondschopf, der mit dem Rücken zu ihm auf einer der Pritschen ruhte. Vern stand an dessen schmalen Bett und zog ihm gerade die weiße Bettdecke bis zur Nase hoch, legte eine seiner Hände sanft auf die Schulter des Liegenden. Im Gesicht des Alten standen währenddessen tiefes Bedauern und eine stumme Entschuldigung geschrieben. Eine Traurigkeit, die sich verfinsterte, als Vern aufsah und den schwer atmenden Cullen erblickte. Der Brustkorb des abgekämpften Templers hob und senkte sich schnell unter dessen massiver Plattenrüstung.

Die braunen Augen des Templers weiteten sich und er hielt inne, als er Blickkontakt zu dem Alten aufnahm. So, als hätte er fürchterliche Angst vor Vern oder dem regungslosen Geistheiler am Bett, zögerte er und sein unbeholfener Blick wanderte unstet. Von Anders zu dem anderen Heiler und wieder zurück. Er hielt den Atem an und schluckte schwer; ein Kloß formte sich in seinem Hals.

Was-... was war passiert?

Cullen spürte, wie der empathische Thomas ihm von hinten beruhigend an den Arm fasste, doch er entzog sich den schlanken Fingern des Burschen sofort. In diesem Augenblick wendete Vern seine Aufmerksamkeit von dem ruhelosen Templer fort, drehte sich weg und hatte aberplötzlich auffallend geschäftig damit zu tun ein paar saubere Laken zu falten.
 

„Knight-Captain...“, hörte Cullen Thomas sagen und dessen leise Stimme wirkte in diesem Augenblick so dermaßen entfernt, dass er sie kaum wahrnahm. Die behandschuhten Hände des aufgescheuchten Kriegers zitterten. Und erst nach einer gefühlten Ewigkeit näherte er sich dem Bett, in dem Anders mit angezogenen Beinen und zur Seite gedreht lag.

Wie ein Tier auf der Lauer ging Cullen um die besagte Pritsche herum, um seinen blonden Kumpanen ansehen zu können; er trat direkt an dessen Bettkante heran.

Anders schlief.

Wirr hingen ihm die unordentlichen Haare in das Gesicht, er wirkte abgekämpft und viel zu bleich. Ein frisch verheilter Schnitt zierte seine Wange, eine weitere Wunde seine Stirn und sein Hals war verbunden worden.

War er... in einen Kampf verwickelt gewesen? Auf den Kopf gefallen?

Der Kurzhaarige streckte seine fahrige Hand nach dem Gesicht des Ruhenden aus und strich ihm die unordentlichen, langen Haarsträhnen dort zur Seite. In diesem Moment sah er aus dem Augenwinkel, wie Thomas zusammenzuckte und auch Vern wieder taxierend hersah.

Und als Cullen erkannte, was tatsächlich auf der Stirn des leise atmenden Magiers aus Anderfels prangte - keine Kampf- oder Sturzwunde sondern ein sonnenförmiges Brandmal - zog er seine zittrigen Finger von Anders zurück, als hätte er sich fürchterlich an jenem verbrüht.

Augenblicklich erstarrte der Krieger wie zur Eissäule.

Seine spröden Lippen standen ihm einen Spalt weit offen und seine ungläubigen, glasigen Augen weiteten sich in seiner entsetzten Miene. Er wich gar einen kleinen Schritt weit zurück. Wie tausend tödliche Messerstiche fuhr ihm der Anblick seines Freundes durch Mark und Bein, bohrte sich in sein drückendes Herz und ließ es schmerzend ausbluten. Es war plötzlich so kalt hier. Cullen's Knie wurden dermaßen weich, dass er sich mit beiden Händen schwer am Bettrand abstützen musste und ein gequältes Stöhnen entwich seiner rauen Kehle.
 

Betreten trat der mitleidende Thomas zurück und wendete den Kopf ab, um den sichtlich leidenden Templer nicht ansehen zu müssen. Doch das nahm Cullen kaum mehr wahr. All seine Aufmerksamkeit lag auf dem Besänftigten vor ihm. Auf dem ruhigen Gesichtsausdruck Anders', auf dessen flacher Atmung, auf seiner rauen Hand, die locker über den Rand der ungemütlichen Schlafgelegenheit hing.

Der Blonde sah so... friedlich aus.

Ein paar Mal holte der hin und her gerissene Knight-Captain stockend Luft und die emotionale Pein, die seine Schultern erbeben ließ, war so neu für ihn, dass er glaubte sogleich schreien und tot umfallen zu müssen. Mit scharfer Klinge rührte sie in seinem Bauch herum und drosch auf sein zentnerschweres Herz ein; wie ein hartes Brett schlug sie ihm vor den brummenden Kopf und brachte ihn dazu seinen eigenen Puls in den Ohren pochen zu hören.

Cullen verschwamm die Sicht und er blinzelte überfordert, doch es brachte nichts. Die Welt vor seinen nassen Augen verschwamm zu einem Meer aus tristen Farben und Formen. Noch einmal japste er vergebens nach Luft.

Vollkommen unkontrolliert verließ den sonst so disziplinierten Soldaten daraufhin ein lautes Aufschluchzen und warme Tränen bahnten sich nasse Rinnsale über seine farblosen Wangen nach unten. Sie tropften auf die weiße Bettdecke Anders', versiegten dort; und dem keuchenden Fereldener war es ihm Augenblick egal, dass ihn zwei Zirkelheiler so sahen.

Gerade, da war ihm alles einerlei. Es wäre ihm auch egal gewesen, hätte ihn nun einer der Magier von hinten attackiert. Vielleicht... vielleicht hätte er dies sogar willkommen geheißen. Womöglich wäre es ihm jetzt nur recht gewesen, hätte man ihn rücklings erstochen.

Er wollte sterben.

„Nein...“, entkam es dem gebeutelten Templer tonlos. „Nein... nein...“, wisperte er in seiner Panik und kalter Schweiß brach ihm aus, vermischte sich mit den salzigen Tränen in seinem Gesicht.

Das schmerzliche Wissen über das, was man mit dem Freigeist Anders angestellt hatte, lastete auf seinen breiten Schultern wie ein riesengroßer Felsbrocken. Wie ein harter Stein, der ihn schlussendlich gewaltsam in die wackeligen Knie zwang.

Scheppernd trafen Cullen's Kniekacheln unter dessen Kirchenrobe auf den Steingrund, als er etwas gebeugt vor der schmalen Pritsche niederging und das feuchte Gesicht zwischen seinen Händen vergrub. Das Rüstleder seiner Handschuhe scheuerte etwas an seiner Haut, doch er fühlte dies nicht. Dumpf schmerzende Gefühle hatten hier die Oberhand über alles Körperliche gewonnen und traten ihn, als wäre er ein räudiger Straßenköter, den man am liebsten mit einer Eisenstange tot geprügelt hätte.
 

Cullen hatte lange nicht mehr geweint.

Das letzte Mal nach der schrecklichen Katastrophe in Kinloch Hold. Doch heute tat er das jämmerlichst und lange. Wie ein Schlosshund heulte er. Die halbe Nacht verbrachte er schluchzend - und später apathisch - an der Seite Anders'. Er klammerte sich stundenlang an dessen schlaffe, warme Hand, streichelte und küsste sie, als könne er dem besänftigten Mann dessen Verbindung zum Nichts damit wieder zurück geben.

Doch niemand könnte das.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sternenschwester
2015-01-13T20:48:45+00:00 13.01.2015 21:48
ich habe zwar keine Ahnung was man Anders angetan hat (habe keines der Spiele je gespielt) bin aber schon sehr gespannt wie es weiter geht...
Danke für die Versüßung des Abends^^
lg, Sternenschwester
Antwort von:  Crevan
14.01.2015 00:38
In Dragon Age ist es so, dass die Magier eine Verbindung zum 'Nichts' haben (= Eine Art Traumwelt). Wenn sie 'besänftigt' werden, dann wird diese Verbindung abgerissen und sie verlieren ihre magischen Fähigkeiten. Eine Nebenwirkung davon ists dann eben, dass sie keine Gefühle mehr haben :)
Hier ist ein Wiki-Eintrag dazu: http://de.dragonage.wikia.com/wiki/Bes%C3%A4nftigte

Ich find es total toll, dass du die Story liest, obwohl du die Spiele nicht gezockt hast. Das hat mich grade echt umgehauen! <3
Danke!


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